Im Aufzug mit Pheline Roggan

Ist dir nichts mehr peinlich?

"Man muss nicht perfekt leben, um sich zu Klimaschutz äußern und eine Haltung haben zu dürfen." Pheline Roggan steht in einem schwarz weiß geringelten Oberteil und dunkler Hose vor einem blauen Hintergrund

Meine heutige Gästin ist Expertin für unangenehme Situationen – denn sie macht das beruflich. In der Serie jerks muss Pheline Roggan ständig ihre eigenen Grenzen über Bord werfen. Wir sprechen darüber, was Film darf und wie divers die Filmbranche ist oder auch nicht. Pheline ist vielleicht sowas wie das grüne Schaf dieser Branche: Sie möchte mit ihrer Initiative die Filmwelt umkrempeln und erreichen, dass Produktionen umweltfreundlicher werden.

Sie erzählt mir in unserer Aufzugfahrt, was der Auslöser für ihr Engagement war, von ihren Ängsten ums Klima – und was ihr trotzdem Hoffnung gibt. Hört selbst: Aufzugtür auf für Pheline Roggan!

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Raúl Krauthausen: Bevor es heute losgeht, ihr wisst sicher was jetzt kommt, nämlich wie immer der Hinweis auf Steady. Mit Steady könnt ihr nämlich diesen Podcast finanziell unterstützen. Mit einem kleinen monatlichen Beitrag helft ihr mir und dem Team diesen Podcast Schritt für Schritt unabhängig zu betreiben. Jetzt unter www.im-aufzug.de informieren und Unterstützer*in werden. Supporter erhalten so zum Beispiel vorab Zugang zu neuen Folgen und werden namentlich im Podcast erwähnt. Diese Woche geht der Dank also an den folgenden Unterstützer: Linus. Los gehts. Meine heutige Gästin ist Expertin für unangenehme Situationen. Denn sie macht das beruflich. In der Serie „Jerks“ musste Felina Roggan ständig ihre eigenen Grenzen über Bord werfen. Wir sprechen darüber, was Film darf und wie divers die Filmbranche überhaupt ist, oder eben nicht. Pheline ist vielleicht so etwas wie das grüne Schaf dieser Branche. Sie möchte mit ihrer Initiative die Filmwelt umkrempeln und erreichen, dass Produktionen insgesamt umweltfreundlicher werden. Sie erzählt mir in unserer Aufzugsfahrt, was ihr Auslöser für ihr Engagement war, von ihren Ängsten ums Klima und was ihr trotzdem Hoffnung gibt. Aufzugtür auf für Pheline Roggan. Die Tür geht auf, und wer kommt rein? Es ist Pheline Roggan. Oder „Rohgan”? Wie sagt man das eigentlich richtig?

00:01:40

Pheline Roggan: Man sagt „Rógan” tatsächlich, es sagen nicht viele richtig. Aber du hast es richtig gesagt. (lacht)

00:01:46

Raúl Krauthausen: Ja, mit zwei G dachte ich, spricht man die anderen Vokale drumherum kurz aus, weil das G dominiert. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt bei den Vorbereitungen, ob wir uns zufällig schon mal begegnet sind bei den Dreharbeiten zu „Jerks”.

00:02:02

Pheline Roggan: Sind wir.

00:02:03

Raúl Krauthausen: Aber ich bin mir nicht sicher.

00:02:04

Pheline Roggan: Doch, sind wir. Aber nur ganz kurz. Wir haben gleichzeitig gedreht am selben Tag, aber wir haben ja nicht miteinander gedreht, keine Szenen gespielt. Also wir haben uns einmal irgendwo vorm Kostüm oder beim Catering oder einmal auf jeden Fall Hallo gesagt. Aber es war noch nicht so eine intensive Begegnung wie jetzt hier im Aufzug.

00:02:24

Raúl Krauthausen: Genau. Gab es schon mal intensive Momente im Aufzug, die du persönlich erlebt hast?

00:02:30

Pheline Roggan: Nee, aber ich fahre auch nicht so viel Aufzug, glaube ich. Nee, fällt mir nichts ein. Du? Bist du schon einmal stecken geblieben?

00:02:39

Raúl Krauthausen: Nee, zum Glück nicht, aber ich fahre ja nur Aufzug.

00:02:42

Pheline Roggan: (lacht) Nee, ich bewohne oder benutze anscheinend nicht viele Gebäude mit Aufzug.

00:02:50

Raúl Krauthausen: Du hast schon sehr früh mit Schauspielerei angefangen und auch mit Modeln. War das schon immer ein Teenie-Traum von dir?

00:02:59

Pheline Roggan: Also mein Teenie-Traum, mein Kinder-Traum war Pippi Langstrumpf werden. Ich hatte nicht so eine feste Berufsvorstellung. Das mit dem Modeln, das ist mir so passiert. Da wurde ich vor der Schule angesprochen. Aber ich hatte als Kind schon Schauspiel-Ambitionen. Also ich war mal auf zwei Castings und dann war es aber so, dass mein Vater mit meiner kleinen Schwester mich hingebracht hat, und dann hat meine kleine Schwester eine Rolle gekriegt und ich nicht. Und da war ich erst mal beleidigt und habe die Schauspielerei für einige Jahre in den Hintergrund gestellt. Und dann ist das aber wieder gekommen. Genau, nach der Schule, und während der Schule habe ich so nebenbei ein bisschen gemodelt. Und da hat sich aber sehr stark der Wunsch entwickelt, mehr als nur auf dem Foto zu sein, halt einen größeren künstlerischen Freiraum zu haben und zu bespielen, und Geschichten zu erzählen und nicht nur Klamotten zu verkaufen. So bin ich dann auf der Schauspielschule gelandet.

00:04:06

Raúl Krauthausen: Und kannst du dich noch an deinen ersten Film erinnern?

00:04:10

Pheline Roggan: Also richtig angefangen zu drehen, das kam viel später. Ich habe dann Abi gemacht, und bin nach der Schule noch ein Jahr lang als Model gereist, und war dann in New York und in Australien, habe so ein paar Länder besucht und da gemodelt, wo ich immer mal gern hin wollte. Aber eigentlich hatte sich da irgendwie nicht wirklich Ehrgeiz entwickelt, also ich war schon so ein bisschen durch mit der Modelei. Und dann hat eine Freundin von mir sich vorbereitet dafür, an der Schauspielschule vorzusprechen. Und dann wusste ich, als sie mir das erzählt hat, das will ich auch! Und dann habe ich mich auch dafür vorbereitet und habe da vorgesprochen. Und das hat dann Gott sei Dank geklappt, und damit war die Modelei beendet. Und dann war ich auf der Schauspielschule. Und den ersten Film – also ich habe schon während ich auf der Schauspielschule war, Kurzfilme gedreht. Und der erste richtige Film, wo ich mitgespielt habe, das war „Kebab Connection”. Den gibt es jetzt lustigerweise gerade wieder neu auf Netflix. Da habe ich eine Punkerin gespielt und vorher auch sehr gekämpft dafür, dass ich diese Rolle spielen durfte. Ja, das war lustig, das war eine schöne Erfahrung.

00:05:18

Raúl Krauthausen: Ja, an den Film kann ich mich auch ganz gut erinnern. „King of Kebab” oder so, war doch immer der Claim von dem Film. Da hat auch Nora Tschirner, glaub ich, da habe ich sie zum ersten Mal als Schauspielerin wahrgenommen. Aber ich glaube, das lag eher an meinem Alter (lacht).

00:05:35

Pheline Roggan: Nora Tschirner und Denis Moschitto haben die Hauptrollen gespielt, und Fahri Yardim hat auch mitgespielt, den habe ich da auch kennengelernt. Kida Ramadan hat auch mitgespielt.

00:05:48

Raúl Krauthausen: Die sind alle noch so im Geschäft, so wie du.

00:05:51

Pheline Roggan: Alle noch im Geschäft, genau.

00:05:52

Raúl Krauthausen: Wenn du jetzt erzählst, dass du damals durch die Welt gereist bist als Model, und wir dann gleichzeitig heutzutage diese ganzen Model-Castingshows uns anschauen, also weiß ich nicht, für mich hat das oft auch so etwas Tragisches. In was für Orten diese Leute dann auch warten und frieren, und alles eigentlich gar nicht so Glamour ist, wie man das dann am Ende auf dem Cover immer sieht. War das auch ein Grund für dich, damit aufzuhören?

00:06:24

Pheline Roggan: Also ja, du hast total recht, es ist überhaupt nicht glamourös, das alltägliche Model-Leben. Dann wohnt man in so WGs, mit – keine Ahnung – 6 bis 8 anderen Mädchen zusammen, die aus aller Welt kommen und immer auf ihren unterschiedlichen Touren sind, von diesen Mode-Städten. Keiner weiß richtig, wie lange er bleibt, keiner hat ein festes Zuhause. Und das Lustige – ich war ja damals noch in Analog-Zeiten Model – ich glaube, das ist heute ganz anders, weil ich hatte zum Beispiel gar kein Handy. Wir haben uns nicht die ganze Zeit Nachrichten geschrieben mit den Freunden zu Hause. Es gab diese permanente Verbindung nicht. Wir sind mit Falt-Stadtplänen durch fremde Städte gelaufen und haben die Türen und die Studios gesucht. Und ja, es ist schon sehr einsam teilweise, wie man da alleine unterwegs ist. Das hat bestimmt auch damit zu tun gehabt, dass mir das irgendwann gereicht hat, als Erfahrung. Also es war gut für mich, weil ich sehr selbstständig dadurch geworden bin in diesen fremden Städten und Ländern, auf fremden Sprachen, mich alleine durchzuschlagen. Aber wie gesagt, das war auch einsam. Es gibt viele Leute, die da nicht so… Es ist nicht so einfach, wirkliche Freundschaften zu schließen, weil alle so viel unterwegs sind und nicht fest. Halt die ganze Zeit durch die Gegend reisen. Und ich glamourisiere dieses ganze Business auch überhaupt nicht. Ich habe auch keinen Bezug zu diesen Casting-Shows, das ist, glaube ich, auch noch mal ein ganz anderes Level. Das hat glaube ich – das ist jetzt nur meine These – sozusagen mit der richtigen Modelei nicht so wirklich viel zu tun. Die werden ja eher dann Influencer jetzt, als dass sie in diesem Kreislauf mit den Agenturen und so unterwegs sind.

00:08:17

Raúl Krauthausen: Hast du schon mal mit dem Gedanken gespielt, mit der Schauspielerei auch irgendwann aufzuhören oder an den Nagel zu hängen?

00:08:25

Pheline Roggan: Komplett aufhören, nein. Weil das Spielen so wahnsinnig Spaß machen kann und so erfüllen sein kann. Aber wie immer sind ja auch diese Momente rar. Das ist ja auch nicht in jeder Szene, die man spielt oder nicht in jedem Projekt erfüllt sich das. Und auf jeden Fall habe ich in den letzten Jahren angefangen, mich auch ab von der Schauspielerei nach links und rechts zu orientieren und mir dann noch andere Wirkungsfelder zu erschließen, in denen ich nicht so abhängig bin. Das ist ja das, was die Schauspielerei ist und die Modelei aber noch mehr, dass man sozusagen immer nur in dieser Warteposition ist, dass jemand anders einem erlaubt mitzuarbeiten. Man kann sich die Arbeit ja nicht selber generieren. Also ich kann mir zwar sagen, ich möchte jetzt in einem internationalen Arthouse-Kinofilm mitspielen. Am liebsten bei Maria Schrader oder bei Lukas Dhont oder so, aber das heißt ja leider noch lange nicht, dass das dann auch passiert (lacht). Da habe ich keinen Einfluss drauf. Und das ist es ja auch, was es so schwierig macht und wo man so unzufrieden werden kann, weil man es halt als Schauspieler*in eigentlich nicht wirklich in der Hand hat. Die Wenigsten sind in der Position, wirklich sagen, bestimmen zu können, wo sie mitmachen oder nicht. Also man kann das natürlich durch ein bisschen Absagen und Zusagen steuern, aber man hat keinen Einfluss darauf, wofür man angefragt wird. Und da tut es auf jeden Fall gut, sich nebenbei noch Felder zu schaffen oder Interessen, Ideen, Sachen zu verfolgen, wo man eine andere Kontrolle darüber hat, wann man die ausüben kann und wann nicht.

00:10:10

Raúl Krauthausen: Ja, das kann ich total nachvollziehen. Bei der Schauspielerei, was sind denn die Momente, wo du sagst dass ist für dich das pure Glück? Sind das diese Momente, wo man Improvisation macht? Oder sind es die Rollen, die man vielleicht auswendig gelernt hat, wo man dann eher dirigiert wird von der Regie oder von dem Autoren oder der Autorin?

00:10:31

Pheline Roggan: Das hat eigentlich mit der Form nichts zu tun. Das ist unterschiedlich, das kann in beidem passieren. Bei der Improvisation kann es einen halt total selber überraschen, wo die Szene hin läuft, und eigentlich hat es immer was mit einem Partner oder einer Partnerin zu tun, mit dem Gegenüber. Und wenn sich da plötzlich etwas entwickelt, etwas Eigenes entsteht, was auch übernimmt und sich sozusagen verselbstständigt, dann sind das Momente, die danach, wenn ich dann wieder auftauche, mich total glücklich machen, wenn da wirklich etwas entstanden ist, eine Situation. Und das gibt es auch: ich habe zum Beispiel, das ist schon eine ganze Weile her, ich habe mal „Das kunstseidene Mädchen“ gespielt an den Hamburger Kammerspielen. Das ist ein Ein-Personen-Stück. Und da hatte ich Vorstellungen, die auch so beglückend waren, weil da plötzlich so eine Energie in mir entstanden ist, die ich von mir selber gar nicht kannte (lacht). Und so zu merken, dass da wie so ein Raketenantrieb irgendwo etwas losgeht, und mich so in dieses Stück übernimmt. Und das finde ich total, wenn man sich sozusagen so auflösen kann da drin, das macht mich glücklich.

00:11:41

Raúl Krauthausen: Als ich am Set von „Jerks“ war, da fand ich unfassbar interessant – natürlich immer überraschend, wie viele Leute beim Film arbeiten, das finde ich immer wieder interessant – aber dann hatten wir an diesem Tag, das war irgendwo in Brandenburg, an so einer alten Ruine, wo die gerade zuvor irgend eine Szene gedreht haben mit einem Auto…

00:12:03

Pheline Roggan: Stimmt. Ihr habt was gedreht, dass ihr einen Film dreht, sozusagen. Es war ein Film, nicht wahr?

00:12:07

Raúl Krauthausen: Genau. Und das war einfach so meta, dass ich in meinem Kopf überhaupt nicht klar kam, dass dann irgendwie das „Set“ gleichzeitig das Set war. Und dann die Leute, die im Film auftauchten, aber in Wirklichkeit auch die Aufgabe hatten, den Film zu drehen. Und man hat mir dann irgendwann erklärt, wie das hier funktioniert: dass die Szenen immer dann aufhören, wenn Christian Ulmen lachen muss. Das war jetzt jedenfalls der Moment, wo man uns gesagt hat, oder mir zumindest gesagt hat: Du musst solange spielen, bis Christian Ulmen lachen muss oder die Szene abbricht. Und das ist ja ein permanenter Verkehrsunfall, in dem man sich da befindet, wo man nicht hingucken darf, aber trotzdem alle hingucken, um aus dieser Szene nicht rauszukommen. Und du willst ja nie derjenige sein, der – sagen wir mal – als Erster nicht mehr weiter weiß, so lange bis Christian Ulmen lacht. Hast du das auch so empfunden, als Stress?

00:13:09

Pheline Roggan: Nee, Gott sei Dank nicht. Aber das ist auch Gewöhnung, glaube ich. Ich fand es eher eine totale Erleichterung, oder nicht Erleichterung, sondern eine große Freiheit, dass Christian uns so viel Raum gegeben hat, dass man halt nicht wusste, wann die Szene aufhört. Und dass man sich so reinfallen lassen konnte, dass man das tatsächlich auch vergisst zwischendurch, dass hier eine Szene gedreht wird. Und was mir aber sehr oft passiert ist, was ich total gut verstehen kann, in den ganzen Meta-Gewirr, weil wir ja auch alle noch mit unseren echten Namen spielen, und wie gesagt, auch das echte Team ja teilweise dann mit drin war, dass ich oft vergessen habe, dass Christian auch noch Regie macht. Und also einmal hatte ich zum Beispiel, was bei „Jerks“ eher selten vorgekommen ist, eine Szene nachts, wo ich alleine im Taxi saß und dann wusste ich gar nicht: Hä? Wer ist denn dann der Regisseur, wer ist denn dann da? Und dann war natürlich Christian da, aber weil ich den halt so sehr als Kollegen und als Gegenüber die ganze Zeit habe, hat es mich oft auch total erstaunt, auch in den Szenen, wenn der dann plötzlich aussteigt und sagt: „Danke“. Und man denkt so: „Oh Gott, ja das machst du ja auch noch, während wir das hier alles zusammen-spielen, hast du auch noch den Aufblick auf das Ganze, und hast es im Blick, lenkst das, wo das hingehen soll und beendest das dann auch noch. Das finde ich schon eine beeindruckende Leistung, die er da macht. Und sonst, glaube ich, geht es halt auch bei dieser Schauspielerei, aber das ist halt auch nicht so einfach, auch darum loszulassen. Auch in diesem Autounfall, wie du es gerade genannt hast, in dem man sich da befindet, und sich darauf einzulassen. Und das ist ja gerade bei „Jerks” so, dass man nie wusste – also man wusste schon, gleich rummst es irgendwo, aber man wusste nicht so richtig, von welcher Seite kommt es jetzt angefahren.

00:15:00

Raúl Krauthausen: Christian Ulmen war mal in meiner Fernsehsendung zu Gast, und da habe ich zum ersten Mal, glaube ich, verstanden, wie dieses Konzept dieser Sendung ist. Dass er versucht die Szenen immer so zu bauen, dass die Vernunft immer anwesend ist. Und die Vernunft ist aber quasi der Zuschauer, die Zuschauerin. Und spielen tun die Leute, meistens Christian und Fahri, Fehlverhalten. Und das quasi immer darauf hinausläuft, wie du gerade sagst, dass es irgendwo knallt, du weißt nicht genau an welchem Punkt genau, aber die Vernunft ist immer anwesend. Das hat für mich dann plötzlich das Ganze auch logisch wirken lassen und nicht so einfach „Wir machen hier totales Chaos.” Hast du das auch so erlebt?

00:15:49

Pheline Roggan: Ja, ich habe es aber tatsächlich auch noch so erlebt, dass eigentlich Emily und ich sozusagen wie die Verlängerung des Zuschauers sind. Oder sozusagen so ein bisschen die moralische Instanz.

00:16:02

Raúl Krauthausen: Aber ihr verliert immer.

00:16:03

Pheline Roggan: Ja, wir verlieren immer. Also das habe ich aus meiner Rolle heraus nicht so gesehen (lacht).

00:16:10

Raúl Krauthausen: Nein, also von der Moral her, meine ich. Damit man genau diesen Unfall hat.

00:16:14

Pheline Roggan: Ja, also vor allen Dingen, es hat ja keine Konsequenzen. Das ist das, glaube ich, was man aushalten muss oder was ich auch lernen musste auch in meiner Figur loszulassen. Und diese ganzen schrecklichen Dinge, die einem da angetan werden, sozusagen wieder hinter mir zu lassen. Und dann wieder in der nächsten Szene bei Null anzufangen und sich wieder überrollen zu lassen von den Chaos-Mobil. Aber das hat sich in den Staffeln auch ein bisschen geändert.

00:16:50

Raúl Krauthausen: Inwiefern?

00:16:51

Pheline Roggan: Dass ich am Anfang, hatte ich das Gefühl, dass meine Figur sehr oft sauer die Szene verlassen hat oder musste. Und ich habe mir das im Laufe der Zeit eigentlich, also ich habe es mir immer so gedacht, wenn eine Person mit so jemandem wie Fahri zusammen ist, wie Fahri in der Serie. Dann hat man erstens würde ich sagen, auch selber einen an der Marmel oder einen Abgrund, auch wenn der dann nicht gezeigt wird oder nicht erzählt wird, wenn der Fokus nicht drauf ist. Aber es gibt den. Den habe ich mir selber gedacht, um das aushalten zu können. Also ich glaube, die Beziehung von Pheline und Fahri bei Jerks, die basiert wie auf einer Abmachung. Die haben eine unausgesprochene Abmachung und auch feste Bilder von sich, die sie nach außen präsentieren. Und das ist wichtiger als die wirkliche Klärung der Konfrontationen, die da passieren. Dieses Bild wird aufrechterhalten, und diese Abmachung ist auch stärker als das, was passiert. So ein bisschen vielleicht wie bei „House of Cards.“ Weißt du, was ich meine?

00:18:00

Raúl Krauthausen: Ja ja, ich weiß total, was du meinst. Das ist vielleicht auch genau das, was dann der oder die Zuschauer*in sich dann ausmalen soll, um sich zu fragen, wie sind die eigentlich privat? Was ist Ihre Abmachung? Aber das wird ja quasi nicht erklärt. Wirst du denn auf der Straße manchmal als die Pheline gelesen, die du bei Jerks bist?

00:18:22

Pheline Roggan: Meine letzte Begegnung auf der Straße war ganz süß. Da kam eine relativ junge Frau auf mich zu, es war abends, ich glaube, sie war schon ein bisschen angetrunken. Sie meinte, sie findet mich so toll in Jerks. Und so: „Aber du wärst nicht mit so einem Lappen zusammen, oder? Du wärst nicht mit so jemanden zusammen, in echt?“ hat sie mich immer gefragt. Nein, wäre ich nicht. In echt wäre ich auf jeden Fall schon lange gegangen (lacht). Das hätte ich nicht mit mir machen lassen. Also ich weiß nicht, ob ich so gelesen werde wie diese Frau. Eher nicht, obwohl doch, es gab schon so Verwechslungen. Also es wurde schon gedacht, dass ich ja in Potsdam lebe. „Vielleicht sieht man sich mal in Potsdam im Supermarkt.“ Und ich sag so: „Wieso? Also eher nicht, ich wohne ja in Hamburg.“ Und dann so: „Ach so, ja oh Gott! Stimmt!“ Und auch, dass ich wirklich in so einem Haus wohne. Das wurde ich auch schon gefragt.

00:19:20

Raúl Krauthausen: In diesem schicken Haus.

00:19:21

Pheline Roggan: In diesem schicken, weißen Kühlschrank-Haus. Und das ist relativ weit weg von meiner realen Lebensrealität, so ein Haus am, wie heißt das, am Grunewaldsee. Nein, das ist es nicht. Also wir spielen da halt wirklich schon, das ist sehr fiktiv, aber die Namen sind halt dieselben und deshalb werde ich auch mit Pheline angesprochen. Und da verschwimmt dann natürlich so ein bisschen die Figur mit mir oder mit der Wahrnehmung. Und das passiert aber ja bei anderen Filmen auch, nur dann heißt man wenigstens nicht, wie man real heißt.

00:19:57

Raúl Krauthausen: Ja. Ich würde gerne mit dir noch mal kurz über das Thema Diversität und Jerks und Film und Schauspielerei reden. Als Christian Ulmen mich gefragt hat, ob ich Lust hätte, ein Cameo zu haben in einer Folge, da war ich natürlich, also muss ich ganz ehrlich zugeben, ich fühlte mich geehrt, ich dachte: Ja geil, mit Christian Ulmen mal zusammenarbeiten, ist bestimmt toll. Da hat das Ego auf jeden Fall in mir gewonnen. Und dann habe ich diese Rolle gespielt und ich fühlte mich manchmal ein bisschen unangenehm, weil ich meine Behinderung benutzt habe, um darüber Witze zu machen. Ich habe über mich selber gelacht, ich habe andere über mich lachen lassen. Und war aber trotzdem mit mir in dem Moment noch gut genug, zu sagen: Ja, das machst du mal, man darf auch über Behinderungen lachen und lieber lache ich darüber, als das andere über mich lachen und so weiter. Ich hab aber trotzdem am Ende Ärger dafür bekommen, aus der Behinderten-Szene. So nach dem Motto, ich würde das legitimieren, darüber Witze zu machen. Und: „Die Szene ist merkwürdig aufgelöst,“ beziehungsweise „Die ganze Folge ist merkwürdig aufgelöst.“ Und ich habe versucht meine Würde in der Serie zu erhalten, aber trotzdem gewinnt natürlich immer das größere Ganze der Serie. Egal wie gut du versuchst, deine Würde aufrechtzuerhalten als Person. So wie du ja sagst, dass Pheline in den ersten Staffeln immer, sagen wir mal, im Streit auseinanderging oder wütend, obwohl sie ja vielleicht eine gar nicht so wütende Person ist. Und ich habe mich dann gefragt: Hätte ich das nicht machen sollen? Darf man über alles lachen? Wie gehst du damit um, wenn du im wahren Leben in der Szene vielleicht schon längst interveniert hättest oder abgehauen wärst und du das dann aber trotzdem gemacht hast. Und man das vielleicht trotzdem mit deiner Person verbindet.

00:21:47

Pheline Roggan: Also, ich verstehe dein Gefühl oder deinen inneren Konflikt. Das habe ich auf jeden Fall auch schon gehabt, weil ja auch Christian und Fahri mit ihrer komplett unmoralischen Art ja irgendwie trotzdem die Gewinner sind, weil sie ja die Sympathieträger sind. Auch wenn sie sich eigentlich so daneben benehmen. Und weil man, wenn man die vernünftige gesellschaftliche Position vertritt, auch so die soziale, sozialverträgliche, ist man eigentlich anstrengend oder nervig oder unlocker oder so.

00:22:27

Raúl Krauthausen: Genau.

00:22:28

Pheline Roggan: Ja, Jerks ist auf jeden Fall ambivalent und bewegt sich da sehr oft sehr am Abgrund oder auf der Kippe zwischen dem, was geht und was nicht geht. Das muss man irgendwie, glaube ich, für sich selber entscheiden und das ist dann ja auch ein Findungsprozess, wo es einem manchmal wehtun kann oder nicht. Also ich erinnere mich auch, vor allen Dingen in der ersten Staffel hatten wir öfter dann auf dem Weg zurück oder nachdem wir Szenen gespielt haben… Weil sie auch noch improvisiert sind, das heißt, es wird zwar vorgegeben, was passieren soll aber es gibt keinen konkreten Text. Das heißt, der andere hat es wirklich gesagt, also es wurde sich wirklich beleidigt. Und Christian, der ist da komplett unempfindlich. Den kann man also beleidigen ohne Ende und der findet das wirklich lustig, aber wir anderen sind nicht so abgehärtet, in dem Bereich. Ich glaube, das ist bei Christian auch eine Gabe. Ich weiß ich, hast du mal „Mein neuer bester Freund“ gesehen? Er kann sich ja wirklich in die unangenehmsten Situationen bringen und die aushalten und die dann auch noch verschärfen und sie nicht harmonisieren. Und das geht mir eigentlich gegen meine Erziehung und auch gegen mein Normalverhalten. Also immer mit dem Anfang der Dreharbeiten von Jerks musste ich wieder so Hemmschwellen abbauen und lernen, über Grenzen rüberzugehen. Ich glaube, das ist einfach wichtig, das zu beobachten und das zu kommunizieren. Aber Jerks ist dann halt sehr klar, das was es ist. Also das Muster, wie da die Witze funktionieren, die sind immer so trotzdem dieselben. Also man weiß, worauf man sich einlässt. Und aber es funktioniert sehr gut. Aber ich verstehe die Ambivalenz da drin und ich glaube, dass es letztendlich wirklich von der Person selber abhängt, man kann selber entscheiden, ob man darüber lachen kann oder möchte oder nicht. Und manchmal passt es und manchmal nicht. Ich glaube, dass das keine festgelegten Realitäten sind, wo man sagen kann: Okay, das ist die Grenze. Sondern es geht ja immer darum, nicht wirklich die Person, das Gegenüber zu verletzen. Und wie gesagt, solange du okay damit bist und das lustig findest, ist es auch in Ordnung. Aber natürlich ist das auch schon noch mal was anderes im Spiel und dann, wenn das ein fertig geschnittenes Produkt ist und dann rausgegeben wird in den Fernseher, in den Sender und dann bei den Leuten zu Hause was anderes auslöst. Da verstehe ich auch, dass dann andere Reaktionen zurückkommen oder dass das halt nicht jeder gut oder witzig findet. Aber das ist ja bei sehr vielen Dingen auch so. Also wie geht es dir denn im Nachhinein damit?

00:25:28

Raúl Krauthausen: Also, ich würde es wahrscheinlich nicht noch mal machen. Oder ich würde die Szene so umdrehen, dass andere letztendlich die Verlierer*innen sind, und nicht ich derjenige bin. Also, ich war ja auch kein Verlierer direkt, aber am Ende haben sich halt alle daran abgearbeitet, und ich konnte nur dagegenhalten. Aber ich war am Ende doch irgendwie der Verlierer aufgrund des Formats. Ich frage mich nur ob, genau wie du das nämlich sagst, plötzlich landet es in den Wohnzimmern der Leute, ob dann mit dieser Produktion als solcher jenseits von Kunstfreiheit und „Kunst darf alles,“ letztendlich auch eine starke Dimension von Verantwortung mitgeht. Und ich habe neulich ein Interview gelesen, ich glaube mit Christian Ulmen sogar, wo er sagte, dass das unter anderem auch der Grund ist, warum sie das nicht weiter produzieren. Weil einfach die Zeit sich auch weiter gedreht hat. Der Zeitgeist ein anderer geworden ist. Und wir ja auch in einer Gesellschaft inzwischen leben, wo man mehr auf Sprache achtet und wer darf worüber noch lachen und wie sollte man lachen. Dass das vielleicht auch irgendwann aus der Zeit fällt.

00:26:33

Pheline Roggan: Ja, finde ich auch. Also, das hat auf jeden Fall eine Berechtigung. Als wir angefangen haben vor fünf Jahren, glaube ich, hatten wir alle noch ein anderes Bewusstsein über Sprache, auch über Positionen von Männlichkeit, wie das auch erzählt wird. Also ich finde auch, dass sozusagen die Geschlechterrollen da, die sind auf jeden Fall auch überdenkenswert, zum Teil. Oder: wer geht als Sympathieträger raus? Also ich glaube auch, das war ja die letzte Staffel, die wir letztes Jahr gedreht haben, da wird jetzt eine Pause eingelegt. Und ich glaube schon, dass es dem Format auch gut tut, darüber nachzudenken oder da noch mal mit Abstand drauf zu gucken und dann zu sehen, wie kann man das moderner erzählen, wie kann man das jetziger, wie kann man das rübernehmen ins Jetzt? Ich würde das eher so erzählen, wie du sagst, dass die Zentrierung nicht nur auf den beiden ist, dass dann sozusagen der Witz oder die Lustigkeit am Ende bei denen stehen bleibt, sondern dass sich das abwechselt. Aber ich finde auch, die Serie hat schon eine Entwicklung gemacht. Also Fahris Figur, die am Anfang ja noch sehr unhinterfragt war, in den letzten Staffeln wurde schon viel mehr aufgezeigt, was er eigentlich wirklich für eine Arsch ist und für ein Opportunist. Ich glaube, das war für viele Leute auch schwieriger, ihn dann noch so als witzig zu erkennen.Weil plötzlich wurde dieses, ja weiß ich nicht, Fremdgehen und so, das wurde dann alles auch im Bild gezeigt und dadurch wurde mehr aufgedeckt. Keine Ahnung, neulich meinte mal irgendjemand zu ihm, er ist eigentlich wie Donald Trump mittlerweile, er kann alles sagen, und trotzdem geht er irgendwie doch noch so als Gewinner da raus. Und das ist ja wirklich auch irgendwie eine gruselige Figur, die da dann erzählt wird, weil er ja immer damit durchkommt. Aber auf dem Level, wenn man das so sieht dann offenbart es natürlich auch etwas, was so ja auch funktioniert medial. Nehmen wir mal Donald Trump, nicht für uns natürlich in der Wahrnehmung, aber er hat ja eine riesengroße Fanbase und kann weiter so wirken. Also ja, aber ich glaube auch, dass wir in anderen Zeiten angefangen haben mit Jerks und dass sich gesellschaftlich viel getan hat, Gott sei Dank. Und dass man das Format dahingehend dann auch überdenken kann und muss. Die Einstellung dazu ändert sich ja auch, man selber findet ja auch Sachen dann irgendwie nicht mehr lustig oder möchte da nicht mehr partizipieren.

00:29:05

Raúl Krauthausen: Du hast an der Schule für Schauspiel in Hamburg, glaube ich, Schauspielerei gelernt. Sind dir damals Schauspieler*innen zum Beispiel mit Behinderung begegnet?

00:29:14

Pheline Roggan: Nein.

00:29:16

Raúl Krauthausen: Und danach in der Laufbahn?

00:29:21

Pheline Roggan: Nein, ich glaube nicht. Nee, ich kann mich nicht erinnern.

00:29:25

Raúl Krauthausen: Woran glaubst du liegt das?

00:29:26

Pheline Roggan: Woran liegt das? An einer Form von…

00:29:31

Raúl Krauthausen: Werden sie nicht ausgebildet oder nicht gecastet?

00:29:34

Pheline Roggan: Beides. Also das ist strukturell. Das liegt an einer heteronormativen weißen Erzählform, die im Fernsehen und überall stattfindet oder stattgefunden hat. Also an den Schauspielschulen gibt es glaube ich fast so gut wie keine Menschen mit Behinderung. Dann gibt es dadurch auch wenig ausgebildete Schauspieler*innen, aber es gibt auch sehr wenig Rollenangebote. Und die Rollen, die diese Geschichten erzählen, die wurden ja meistens mit Menschen besetzt ohne Behinderung. Und so ging es lange.

00:30:21

Raúl Krauthausen: Genau, da wird dann Tom Schilling in den Rollstuhl gesetzt.

00:30:23

Pheline Roggan: Ja, so lief es lange im Kreis.

00:30:26

Raúl Krauthausen: Aber ist denn so was wie Tom Schilling in den Rollstuhl setzen nicht das gleiche wie Blackfacing, nur eben in Bezug auf Behinderung?

00: 30:34

Pheline Roggan: Das würde ich dich fragen, das würde ich Menschen mit Behinderung fragen, wie sie das empfinden. Ich verstehe schon grundsätzlich, also ich als Schauspielerin habe natürlich das Bedürfnis und auch die Vorstellung, auch wenn die abwegig ist, ich möchte alles spielen können und ich möchte alles ausprobieren können. Also aus der schauspielenden Perspektive finde ich das total nachvollziehbar, solche Rollen spielen zu können und annehmen wollen zu können. Und dadurch lernt man ja auch wahnsinnig viel. Also, als die spielende Person kann das ja auch sehr Empathie schaffend sein, weil man dadurch eine andere Lebensrealität richtig fühlen kann. Aber – also genau, die Frage würde ich sagen, sollte von Menschen mit Behinderung beantwortet werden, wie es ihnen damit ergeht. Und ich glaube, jetzt wo das Bewusstsein langsam eingesickert ist, dass es da eine grundlegende Ungerechtigkeit gibt in der Verteilung und sozusagen in der Ausschließung von bestimmten Menschen und Gruppierungen, gerade in der Zeit ist es eine Zeit, das umzudrehen und sehr bewusst darauf zu achten, dass man halt Menschen aus diesen Gruppen, die bis jetzt nicht so vorgekommen sind, dass man die einlädt, rein holt und ihnen die Rollen anbietet. Was meinst du?

00:32:06

Raúl Krauthausen: Also wir haben so eine Art Henne-Ei-Problem. Weil die Rollen nicht geschrieben werden, werden sie nicht gecastet, erkennt man keinen Bedarf in der Ausbildung von Schauspieler*innen mit Behinderung. Und umgekehrt: Schauspieler*innen mit Behinderung werde nicht ausgebildet, deswegen gibt es auch wenig Rollen für sie und dann erhält sich das quasi von selbst. Und wenn man dann auch noch Tom Schilling in den Rollstuhl setzt, dann wurde ja ein Arbeitsplatz, den ein Behinderter, eine Behinderte hätte spielen können, ja auch weggenommen, der dann letztendlich damit auch gerechtfertigt wird von “Geil, Schauspieler*innen können alles spielen.” Ich würde sagen, klar, jeder kann einen Bäcker spielen oder Bäckerin oder Raucherin, aber wenn ein Mann anfängt eine Frau zu spielen, weil man keine Frau gefunden hat, dann wird es halt schwierig. Und das glaube ich, würde ich so eher vergleichen.

00:32:59

Pheline Roggan: Ja, das verstehe ich total. Trotzdem würde ich liebend gern zum Beispiel mal einen Mann spielen, würde ich einfach gerne machen. Ob mir das dann nachher jemand glaubt, ist halt die Frage.

00:33:08

Raúl Krauthausen: Ich glaube, so herum wäre das auch wahrscheinlich weniger ein Problem, als wenn jetzt Uwe Ochsenknecht sagt er spielt jetzt Pheline Roggan, weil Pheline Roggan keine Zeit hatte.

00:33:19

Pheline Roggan: Ja, oder weil Uwe Ochsenknecht einfach der größere Name ist (lacht). Wenn das die Argumentation wäre.

00:33:24

Raúl Krauthausen: Die schönen Namen kommen noch dazu.

00:33:26

Pheline Roggan: Ja, ja.

00:33:27

Raúl Krauthausen: Also ganz oft ist es ja auch so, dass Filme ja so finanziert werden. Nachdem der Schauspieler oder die Schauspielerin klar sind, erst dann gibt es ja letztendlich die Fördergelder. Und klar funktioniert dann Tom Schilling besser als Raúl Krauthausen, weil Raúl Krauthausen erstens kein Schauspieler ist und zweitens vielleicht nicht so bekannt wäre als Schauspieler.

00:33:48

Pheline Roggan: Ja, aber es gibt ja meistens mehrere Rollen in so einem Film. Und wenn man es dann schafft, das wäre ja dann eigentlich das anvisierte Ziel. Dass man vielleicht einen größeren Namen hat, der die Finanzierung irgendwie stemmt, obwohl ich das auch anzweifele zum Teil, für welche deutschen Schauspieler*innen wirklich ins Kino gegangen wird. Also mal abgesehen von diesen großen kommerziellen Filmen mit Elyas M’Barek oder Matthias Schweighöfer oder so, die sich das aufgebaut haben. Oder Til Schweiger. Aber bei den anderen kenne ich das in meiner Bubble zumindest nicht, dass Leute wegen deutschen Schauspieler*innen ins Kino gehen.

00:34:31

Raúl Krauthausen: Und jetzt noch kurz eine Werbung in eigener Sache. Am 14. März ist mein neues Buch erschienen. „Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden.” ist der Titel. Für das Buch habe ich mit Expert*innen und Selbstvertreter*innen über die Frage gesprochen, wie Inklusion von einer schönen Idee zur gelebte Normalität werden kann. Herausgekommen ist ein Buch, das alle Aber-Sager entlarvt und auch jede Menge Argumente an die Hand gibt, warum Inklusion ein Thema ist, was ausnahmslos jede und jeden betrifft. „Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will findet Ausreden.“ ist jetzt überall im Handel. Aber jetzt wieder zurück zum Podcast.

00:35:20

Raúl Krauthausen: Neben Barrierefreiheit, die mich beschäftigt, beschäftigt ein anderes Thema mich sehr stark. Und das fand ich wirklich außergewöhnlich, weil davon habe ich noch gar nicht so oft gehört, nämlich Klimaschutz beziehungsweise Umweltschutz, Umweltschonung bei Dreharbeiten. Woher kommt eigentlich deine Liebe zur Natur?

00:35:40

Pheline Roggan: Woher die kommt?

00:35:42

Raúl Krauthausen: Ist das einfach so, weil wir die alle haben sollten oder hast du ein ganz besonderen Bezug dazu?

00:35:47

Pheline Roggan: Nein, ich glaube ich habe keinen besonders besonderen Bezug zur Natur. Also ich bin sehr gerne draußen, ab Frühling sowieso, oder in der Natur. Das merke ich jetzt auch mit dem Alter immer mehr, aber ich glaube, das haben wir eigentlich alle. Wo macht man Urlaub, oder, hauptsächlich? Man möchte zum Strand oder in die Berge oder irgendwie in die Natur. Das ist halt etwas sehr Wohltuendes. Aber daher kommt letztendlich mein Engagement nicht. Das kam tatsächlich aus einer Angst heraus, die ich hatte, als ich mich 2019 intensiver mit der wissenschaftlichen Faktenlage zur Klimakrise und der politischen Realität, in der wir uns befinden, auseinandergesetzt habe. Da habe ich Panik gekriegt, denn ich habe auch eine kleine Tochter, ich glaube damit hat es auch viel zu tun. Dass so Zukunft anders erlebbar, anders fühlbar wird, wenn man so ein kleines Kind hat, für das man Verantwortung trägt und das man so liebt und dann weiß: Aha, Ende des Jahrhunderts, wovon immer geredet wird, da lebt die noch, die ist dann noch hier. Wie kann das sein, dass nichts getan wird? Und so fing mein Engagement an. Und ich habe mich dann gefragt, weil ich am Anfang nicht richtig wusste, ich wusste, ich möchte was machen, damit endlich Bewegung kommt in die Sache und wir die Klimakrise angehen und ins Handeln kommen. Aber ich wusste nicht so richtig, wo ich ansetzen kann und habe mich dann mit drei Kolleg*innen zusammen getan. Und wir haben uns überlegt, warum setzen wir nicht da an, wo wir arbeiten und wo wir uns auskennen, wo wir die Menschen und Strukturen kennen. Was ist denn eigentlich in der Branche, wenn wir klimaneutral werden wollen, also wenn wir die Klimaziele einhalten wollen, dann müssen ja alle Branchen und Industrien sich umstellen, also auch die Filmbranche. Und was passiert denn da, passiert da überhaupt was? Wir wussten gar nichts. Wir haben dann erst mal auf der Berlinale 2019 ein Panel gemacht, wo wir Menschen eingeladen haben aus der Filmbranche, die sich schon damit auseinandergesetzt haben, um herauszufinden, was gibt es da schon für Initiativen und Bewegungen? Und wie können wir da einsetzen oder einhaken und wie können wir dem, was es schon gibt, noch einen Schub verschaffen? Und daraufhin haben wir die Initiative Changemakers.film gegründet und haben erst mal eine Selbstverpflichtung geschrieben.

00:38:25

Raúl Krauthausen: Da habt ihr quasi mit dieser Selbstverpflichtung ökologische Standards für nachhaltige Filmproduktionen festgelegt. Also, provokativ gefragt: ich kenne ähnliche Initiativen in Bezug auf Barrierefreiheit. Ist das etwas, was wir mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung gelöst bekommen? Oder müsste hier nicht eigentlich der Gesetzgeber, die Gesetzgeberin, einfach mal einen Riegel dem Ganzen vorschieben?

00:38:51

Pheline Roggan: Bei uns ist der Weg dahin sehr gut verlaufen. Also, wir bekommen es natürlich nicht mit Selbstverpflichtung, freiwilliger Selbstverpflichtung geregelt. Das sehen wir ja auch an der Klimakrise, an eigentlich allen Krisen, in denen wir uns befinden, dass oft die Bekundungen sind das Eine und das Handeln ist das Andere. Und dazwischen klafft leider oft eine riesengroße Lücke und alle wollen, aber keiner macht oder nur ein bisschen, es gibt nicht genug Geld und Zeit und sowieso. Damals haben wir gefragt, was fehlt denn von Seiten der Schauspieler*innen bis jetzt? Jetzt haben wir das ausgeweitet auf komplett Teamschaffende. Und damals wurde uns gesagt, dass sehr oft die Produktionen gerne nachhaltiger drehen würden, aber dass das nicht geht, weil wir Schauspieler*innen auf Luxus bestehen.

00:39:42

Raúl Krauthausen: Ist das so?

00:39:43

Pheline Roggan: Ich weiß nicht. Also wenn man sich jetzt diese gesamte Masse an schauspielenden Menschen anguckt, dann haben nur sehr wenige von denen überhaupt die Macht oder den Einfluss, solche Ansprüche zu stellen, wie: Ich möchte aber einen alleinigen Fahrer oder in soundso einem Hotel wohnen. Und die meisten arbeitenden Schauspieler*innen haben das nicht, können keine Luxusansprüche stellen oder beziehungsweise können sie stellen, aber die werden ihnen dann nicht bewilligt. Und dann werden sie auch wahrscheinlich nicht noch einmal engagiert. Aber es gibt mit Sicherheit ein paar, bei denen das so ist. Aber als uns das entgegengebracht wurde, haben wir halt gedacht: Ach so, na gut, aber das ist ja relativ einfach. Dann schreiben wir jetzt die Selbstverpflichtung, das war unser Ansatz, um damit in die Kommunikation zu gehen. Und einfach, wenn man das dem Vertrag beilegt, bei Vertragsabschließung ein Kommunikationsangebot mitzuschicken. Und zu sagen: Guckt mal, diese ganzen Punkte habe ich aufgelistet, zu allen denen bin ich bereit. Lass mal darüber sprechen, das brauche ich alles nicht. Ich muss nicht von Berlin nach Köln fliegen und ich wohne lieber in einem Apartment, was nicht so hohe Emissionen hat. Und ich bin auch bereit, mein eigenes Kostüm mitzubringen, wenn das irgendwie passt für die Rolle und so. Ich glaube, das sind ja oft Vermutungen, die sonst in so einem Graubereich bleiben, wo überhaupt nicht darüber gesprochen wird, sondern dann wird davon ausgegangen: Ah, das ist aber der Schauspieler, die möchte bestimmt alleine in ihrem Auto fahren oder so. Und dann kann ich halt am Anfang schon mal einen Zettel mitgeben und sagen: möchte ich übrigens nicht, fragt gerne. Oder: ich bin auch bereit mit der Bahn zu fahren. Da gibt es so ganz viele Punkte, über die man sprechen kann. Sets sehen ja immer anders aus, je nachdem, wonach man dreht und deshalb sind auch die Bedingungen unterschiedlich. Und dann kann man ja verhandeln und ins Gespräch gehen. Und das war sozusagen die Grundlage, weswegen wir diese Selbstverpflichtung gemacht haben. Und da haben auch bis jetzt so 600 Menschen unterschrieben. Und daraufhin wurden wir dann vom Arbeitskreis Green Shooting, das ist ein Bündnis aus den großen Sendern, Filmförderung und Produktionsfirmen, wurden wir gefragt, ob wir bei den Verhandlungen zu ökologischen Mindeststandards dabei sein möchten. Und das haben wir die letzten zweieinhalb Jahre gemacht. Erst wurden auch die auch freiwillig selbst verpflichtender Basis entwickelt, weil das vorherige Bundeskulturministerium aufgrund von Corona gesagt hat: Da können wir jetzt nicht noch ökologische Standards dazu tun. Deshalb muss das warten. Und dann haben aber diese ganzen Sender und Produktionsfirmen gesagt, sie wollen die aber trotzdem entwickeln. Und das ist ja auch das Wichtige, oder eigentlich das Gute, das aus der Branche heraus schon der Impuls kommt und auch alle Leute, die tatsächlich mit diesen Standards dann arbeiten müssen, die auch mit entwickeln. Weil sie halt die Arbeits-Realität und die Umsetzung dessen kennen. Und dann hat jetzt letztes Jahr Claudia Roth gesagt: Ja, das ist doch super, dass es die gibt, lass uns die doch zum Teil des Filmförderungsgesetzes machen. Das heißt, wenn man jetzt beim BKM ab Juni Fördergelder beantragt, dann müssen ökologische Standards eingehalten werden. Und das ist natürlich ein wahnsinnig wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Und trotzdem sind auch an diesen Standards, die wir da entwickelt und verhandelt haben, da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben und das muss auch immer wieder nachjustiert werden.

00:43:12

Raúl Krauthausen: Du hast mal gesagt, dass besonders die Filmbranche, Leute die dort arbeiten, Angst haben, sich zu Klima-Themen zu positionieren. Warum? Und hattest du diese Angst auch schon mal?

00:43:24

Pheline Roggan: Also ich kann diese Angst nachvollziehen. Es wird einem halt schnell vorgeworfen, dass man das aus so einer privilegierten Position heraus macht. Vor allen Dingen im Netz gibt es sehr schnell unangenehme Hass-Kommentare. Manchmal Hass, manchmal nicht, ich habe da auch schon einiges abgekriegt. Aber es gibt auch wahnsinnig viele Leute, die dem zustimmen und Zuspruch für die ganze Sache haben und das total gut finden, wenn Menschen ihre Reichweite nutzen, um halt auf Themen aufmerksam zu machen. Oder denen Raum zu geben, die für die Allgemeinheit gut und wichtig sind und ihre Reichweite nicht nur zum Beispiel für Werbung benutzen, sondern auch für andere Inhalte. Und warum dieser Angst so groß ist: also beim Klima wird ja immer mitdiskutiert, dass das so moralisierend wäre und dass man nicht mit dem Zeigefinger kommen darf und den Leuten erzählen soll, wie sie jetzt zu leben haben oder müssen. Und da möchten ganz viele Menschen sich nicht positionieren oder haben Angst, dass sie dann nachher dafür angegriffen werden. Und ich glaube, auch ein großer Punkt ist, dass viele denken, und das finde ich aber sehr schade und auch verpeilt, dass man selber schon perfekt aufgestellt sein müsste und perfekt leben müsste, um sich äußern zu dürfen zu einer Thematik und auch um eine Haltung zu haben. Das ist ja in unserem System, in der Welt, in der wir leben, gar nicht möglich. Also niemand schafft es, hier klimaneutral zu leben. Da müsste man schon komplett autark und Selbstversorger sein. Und jeder Deutsche hat, glaube ich, eine Emission von zehn oder elf Tonnen im Jahr, und ganz viel davon hat man auch als Konsument*in überhaupt nicht im Griff. Weil das zum Beispiel an den Häusern liegt, wie die gebaut sind, wie die Heizsysteme sind. Wenn man Mieter ist, da geht ganz viel drauf, also das ist einfach immanent. Das kann man gar nicht beeinflussen als Einzelperson.

00:45:32

Raúl Krauthausen: Du bist ja auch Botschafterin bei Plan International. Und durch Engagement habe ich in einem Podcast „Sinneswandel“, glaube ich, zum ersten Mal bewusst realisiert, das von der Klimakrise besonders Frauen benachteiligt werden. Aus verschiedenen Gründen, weil wie du sagst, viele von ihnen sind quasi zu Hause, atmen vielleicht auch giftige Gase ein, die vielleicht Zuhause freigesetzt werden. Oder aber aufgrund der Care-Arbeit können sie vielleicht nicht fliehen wegen der Klimakrise. Das heißt, wir haben ganz mannigfaltig vielschichtige Herausforderungen. Was ich interessant fand, warum gibt es das Wort „Öko-Sexismus“ nicht, aber das Wort „Öko-Ableismus“, also in Bezug auf Behinderung, gibt es das sehr wohl. Oder habe ich das einfach nur nicht mitbekommen?

00:46:27

Pheline Roggan: Also, „Öko-Sexismus“ habe ich noch nie gehört, ich habe aber „Öko-Ableism“ auch noch nicht gehört, ist mir noch nicht untergekommen. Die Klimakrise verschärft einfach alle Ungerechtigkeiten, die eh schon bestehen. Also sie ist rassistisch, sie ist sexistisch und sie verstärkt auch den Ableism und andere Ungerechtigkeiten. Und das finde ich total wichtig, das weiter zu erzählen, weil diese ganzen Kämpfe, die wir führen, jeder in diesen anderen Bereichen, die zahlen ja eigentlich alle in dasselbe Thema ein. Wie wollen wir leben, wie wollen wir miteinander leben? Wie können wir eine gerechtere, eine soziale Gesellschaft konstruieren, so wie wir gerne miteinander umgehen würden? Und da drunter liegt halt als Überthema die Klimakrise, weil sie wird all das verschärfen und verhindern, wenn wir sie nicht angehen. Und deshalb fände ich es total schön, wenn es wie hier jetzt sozusagen, wenn wir in Kommunikation treten und gucken: Ah, du bist in diesem Bereich aktiv und ich bin in diesem. Wenn das nicht so ausschließend ist, wenn man nicht sagt: Ich engagiere mich schon gegen Rassismus, deshalb kann ich mich jetzt nicht auch noch für Klimaschutz aussprechen, sonst überfordere ich auch die Menschen. Ich verstehe das auch, dass man sich nicht wie so willkürlich für alle Thematiken engagieren will, aber letztendlich greift doch sehr vieles ineinander und lässt sich halt gar nicht so auseinanderdividieren. Und das mitzudenken, dass halt wie gesagt, die Klimakrise letztendlich als Katalysator alle bestehenden Ungerechtigkeiten noch mal um einiges – ja, exorbitant ansteigen lassen wird. Das würde ich gern verhindern (lacht).

00:48:20

Raúl Krauthausen: Vielleicht kurz eine Erklärung für die Zuhörer*innen. Öko-Ableismus könnte zum Beispiel sein, dass Plastik-Strohhalme verboten werden, von denen Menschen mit Behinderung aber profitiert haben und jetzt quasi keine Strohhalme mehr haben. Und auch noch zusätzlich sich permanent rechtfertigen müssen, warum der Glas-Strohhalm, der Silikon-Strohhalm oder andere Strohhalm-Alternativen nicht immer die ideale Alternative darstellen. Dass sie dann auch oft gelabelt werden als Umweltschutzverweigerer oder Blockierer*innen. Dabei, wenn wir ehrlich sind, dem – nehme ich mal an – würdest du zustimmen, war der Plastikstrohhalm nie wirklich das Problem, wenn man vergleicht mit anderen Umweltschäden, die so existieren. Und es aber ein leichter Gewinn war für die Politik, eine große Maßnahme zu machen, die alle irgendwie mitkriegen. Und das gibt es noch vielfältiger auf anderen Ebenen. Menschen, die nicht evakuiert werden bei Fluten, weil es keine Konzepte für Menschen mit Behinderung gab. Sehen wir jetzt im Ahrtal, wo zwölf Bewohner*innen einer Behinderteneinrichtung ertrunken sind, weil man nicht wusste, wie man sie evakuiert rechtzeitig, undsoweiter. Und darüber wird halt auch relativ wenig geredet.

00:49:40

Pheline Roggan: Ja, das ist ja eh auch ein großes Thema oder die Problematik, dass es sehr oft um den persönlichen Fußabdruck geht, den persönlichen CO2-Fußabdruck. Und der ist eine Erfindung glaube ich, von BP Oil. Um davon abzulenken, also damit wir miteinander beschäftigt sind, uns gegenseitig zu sagen, was wir alles falsch und richtig machen: „Und du benutzt aber noch den Strohhalm!“ Das finde ich wirklich ist ja eine traurige Erzählung, weil Menschen, die es brauchen oder für die das die bessere Lösung ist, die darauf angewiesen sind, natürlich sollen die weiter diese Strohhalme benutzen. Und auch dann jemandem vorzuwerfen er wäre ein Klimaschutzblockierer oder eine Blockiererin, also während RWE weiter Lützerath abbaggert und da hunderte Millionen Tonnen, Gigatonnen von CO2 emittiert, das ist halt die eigentliche Erzählung, die stattfinden müsste. Die großen Konzerne, die einen wahnsinnigen Profit damit machen, die Klimakrise eskalieren zu lassen – und wir streiten uns darum, wer darf ein Strohhalm benutzen oder nicht. Andererseits finde ich die Strohhalm aber auch interessant, weil ich dachte mich damals auch: Ja also mein Gott, Strohhalm, ist das jetzt wirklich das Problem? Wenn allerdings, wir sind jetzt mittlerweile 8 Milliarden Menschen, und wenn auch nur die Hälfte von denen irgendwie vier, fünf Strohhalme die Woche einmal benutzt und wegschmeißt, dann kommt da auch ein relativ riesiger Haufen Plastik zusammen der natürlich auch überdacht werden muss. Aber ja, die wirklich großen Treiber der Klimakrise und der Ungerechtigkeiten, das sind die fossilen Konzerne. Und die werden auch noch mit Subventionen weiter gefördert. Und die überschreiten das 1,5-Grad-Ziel oder alle gesetzten Klimaziele. Und da muss es zuerst rangehen und dann muss es halt politische Rahmenbedingungen geben, die das Ganze so lenken und auch für die Bürgerinnen und Bürger durchschaubar machen, was sind denn die Handlungsoptionen? Und dann muss natürlich, wenn so allgemeine Entscheidungen getroffen werden, es müssen halt dann auch Ausnahmeregelungen bestehen. Natürlich muss jemand, der darauf angewiesen ist, einen Plastik-Strohhalm zu benutzen, weiterhin ein Plastik-Strohhalm benutzen können dürfen.

00:52:02

Raúl Krauthausen: Bei all diesen ganzen Hiobsbotschaften, die, wenn wir die Nachrichten einschalten, über uns niederprasseln – du hast es beim Thema Klima gesagt, dass dich 2019 so erdrückt hat, dass du gesagt hast, du musst da was tun – was macht dir denn Hoffnung?

00:52:17

Pheline Roggan: Also ich hab ja jetzt gerade in einer Serie mitgemacht, die ich auch zum Teil mitgeschrieben habe und die haben wir genau aus dem Grund gemacht, weil wir gedacht haben, die Nachrichtenlage ist so erdrückend und so furchtbar deprimierend. Eine Krise jagt die nächste und man hat das Gefühl, es gibt keine Utopie. Die Utopie fehlt. Wo ist das gute Ziel, wo wir hin wollen? Und sozusagen der Streif am Horizont, wo man sozusagen seinen Fokus draufsetzen kann und sagen kann: Okay, da wollen wir hin. Wie schaffen wir das? Und deshalb haben wir uns aufgemacht und haben in den unterschiedlichen Sektoren, die transformiert werden müssen: Transport, Energie, Ernährung, Landwirtschaft, Wirtschaft, Arbeiten und Natur – da haben wir Menschen gesucht und besucht, die ihre Bereiche, ihre Firmen, ihre Initiativen und so schon so umgestellt haben und so wirtschaften und agieren, wie wir es eigentlich alle machen müssten, um die Klimaziele einzuhalten. Und da haben wir wirklich ganz tolle Leute getroffen, die wahnsinnig gute Ideen haben und die schon umgesetzt haben. Das hat mir total Hoffnung gemacht, zu sehen, es muss gar nichts mehr erfunden werden, die Lösungen sind eigentlich alle schon da. Und sie sind tatsächlich auch schon ausprobiert. Und auch das gar nicht am anderen Ende der Welt und nur im Silicon Valley, sondern Marion und Peter aus Sprakebühl machen das schon so in ihrem Betrieb. Also, es ginge! Der Hyperloop muss nicht noch erst erfunden werden, sondern es müssen eigentlich, wie gesagt, einfach die politischen Rahmenbedingungen so gesteckt werden, dass sich das Gute dann auch durchsetzen kann. Aber die Begegnungen mit diesen Menschen, die gemerkt haben: In meinem Bereich irgendwie, finde ich, läuft das hier noch nicht so richtig oder man könnte doch bestimmt was besser machen. Die sich dann einfach auf den Weg gemacht haben und geguckt haben, wie kriege ich das umgesetzt, meine Idee. Das fand ich total motivierend.

00:54:18

Raúl Krauthausen: Und das ist dann dokumentarisch, oder wie?

00:54:20

Pheline Roggan: Das ist dokumentarisch, ja.

00:54:22

Raúl Krauthausen: Was ich mich gefragt habe, warum gibt es eigentlich nicht wieder so etwas wie damals Star Treck, die von so eine Utopie erzählt haben, wo’s kein Geld mehr gibt, wo man irgendwie durch die Zeit reisen kann, wo es Sachen gibt, die im Replikator alles was du essen und trinken willst, reproduzieren können. Wo sind denn diese visionären Geschichten? Wie sieht eine Welt aus, in der das Klima gerettet ist? Wir sehen ja immer nur „Day After Tomorrow“ von Roland Emmerich und die nächsten apokalyptischen Filme, und uns wird wirklich Angst gemacht. Aber es wird uns sehr gar nicht erzählt, in einer schönen Geschichte, wie eine schöne Welt sein kann.

00:15:01

Pheline Roggan: Ja, wo sind diese Geschichten? Wo sind die Drehbücher, wo sind die Filme dazu? Das fehlt total! Und das fehlt aber nicht nur in den Drehbüchern. Aber ich glaube, es würde sehr helfen, auch weil die Filmbranche ja auch so eine wahnsinnige Strahlkraft hat und auch so emotional erzählen kann. Ich glaube, dass es total wichtig ist, dass wir uns diese Welten vorstellen. Das ist so ein Zitat von Beuys: Wir müssen uns die Welt vorstellen oder ausdenken, in der wir leben wollen, weil sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen. Und da stecken wir ja im Moment irgendwie gerade mittendrin.

00:55:37

Raúl Krauthausen: Total!

00:55:38

Pheline Roggan: Ja und deshalb, ich wundere mich auch die ganze Zeit, und es gibt auch eine amerikanische Studie dazu, die über fünf Jahre 37.000 Drehbücher untersucht hat, auf die Klima-Thematik, ob das irgendwie abgebildet ist da drin. Und das ist sie gar nicht. Also es war wirklich ein erschreckend geringer Prozentsatz. Und man fragt sich, wieso ist das nicht so? Weil die Thematik ist ja in den Nachrichten überall jetzt eigentlich omnipräsent vorhanden, aber es spiegelt sich nicht in diesen fiktionalen Formaten. Und es gibt von den Menschen auch eine große Sehnsucht, aber auch ihre Ängste, ihre Sorgen und auch ihre Hoffnungen halt auch reflektiert zu sehen oder aufgenommen zu sehen und sich da was auszudenken. Also ja, das ist mein großer Wunsch oder ein Appell auch, dass darüber nachgedacht wird: In welcher Welt wollen wir leben, wie könnte die aussehen. Weil das ist ja auch was ganz oft vergessen wird oder nicht erzählt wird und ich glaube es ist so wahnsinnig wichtig, Bilder dafür zu finden. Jetzt zum Beispiel die Verkehrswende, wie cool! Was für eine schöne Stadt könnte das sein, wenn die Innenstadt autofrei ist, wenn aus den Parkplätzen Gärten werden, wo man sich treffen kann und so. Also dass man das auch bebildert und erfahrbar macht und halt nicht nur über diesen Verzicht und über dieses Wegnehmen kommuniziert wird. Weil dann wirkt das natürlich alles bedrohlich, aber man könnte ja auch wahnsinnig viel gewinnen. Oder in Berlin: Stell dir vor, das Wasser in der Spree wäre so sauber wie der Zürichsee und man könnte wirklich darin baden. Wie cool wäre das?

00:57:12

Raúl Krauthausen: Das wäre crazy!

00:57:13

Pheline Roggan: Ja, crazy! Man denkt, was ist das für eine verrückte Idee, aber wenn das in Zürich geht, müsste das doch eigentlich hier auch machbar sein, oder?

00:57:21

Raúl Krauthausen: Absolut. Man merkt, dass du auf jeden Fall eine Person bist, die sich sehr viele Gedanken darüber macht, außerhalb der Kulturbranche, in was für einer Welt wir leben wollen, du leben willst, deine Tochter leben soll und kann. Wie kann man denn, sagen wir mal, ein Thema das ja auch wichtig ist, jenseits von dem Genannten, als Zuhörer*in sich vielleicht beteiligen? Gibt es eine Organisation, die du persönlich empfiehlst? Wo du sagst, das könnte etwas Spannendes sein, für eine bessere Welt, für unsere Zuhörer*innen?

00:57:57

Pheline Roggan: Also ich glaube, ganz wichtig ist es, dass man sich mit anderen Menschen zusammen tut, das ist der erste Schritt. Weil alleine ist es total schwierig anzufangen und in Bewegung zu kommen. Und dann gibt es, glaube ich, wahnsinnig viele unterschiedliche Felder, wo man sich engagieren kann. Bei uns hat es ja wie gesagt angefangen, weil wir geguckt haben, wie ist das bei uns auf der Arbeit? Was können wir da machen, was können wir da verbessern, was läuft hier nicht richtig? Und machen wir das, wie wir es machen, eigentlich so, weil es wirklich die bestmöglichste Variante ist, oder machen wir das alles nur so, weil wir das schon immer so machen? Und das kann man auch machen in der Hausgemeinschaft, auf der Straße, im Sportverein, bei der Kita. Jetzt habe ich gerade was mit nebenan.de zusammen gemacht, das ist so eine Plattform für nachbarschaftliches Vernetzen. Also ich glaube, es ist ganz wichtig, ins Gespräch zu kommen und zu gucken, sind andere Menschen auch da, denen es ähnlich geht wie mir und sich mit denen auszutauschen. Das gibt nämlich schon mal total Energie und holt einen raus aus so einer Ohnmacht, zu merken, ich bin gar nicht alleine mit meinen Gedanken, Sorgen oder auch mit meinen Wünschen. Und dann, also klimatechnisch gibt es zum Beispiel eine Organisation, die heißt German Zero. Die versuchen in einzelnen Städten, kleinen Städten, Klima-Entscheide auf den Weg zu bringen. Das ist das, was jetzt in Berlin auch stattfindet, mit Klimaneutral 2030. Also Bürgerinitiativen zu gründen, um zu gucken, wie schaffen wir das in unserer Stadt, in unserer Lebenswelt, klimaneutraler zu werden und zwar schneller als die bundespolitischen Ziele. Und sich da vielleicht auch mal einfach in den Computer zu hängen und zu gucken, was gibt es? Um sich dann zu trauen, hinzugehen, wirklich vor Ort, dann ergibt sich sehr oft schon was. Und ich kann es einfach nur empfehlen, aktiv zu werden, weil man trifft viele interessante, tolle Leute und lernt viel. Und wenn man einmal angefangen hat, sich in Bewegung zu setzen, dann kommt es meistens von alleine, ergeben sich andere Dinge und dann entwickelt sich was. Und das ist total schön.

01:00:10

Raúl Krauthausen: Wow, das ist ein so schönes Abschluss-Statement von dir. Das, glaube ich, kann ich auf jeden Fall unterschreiben. Der Weg ist das Ziel. Und einfach ganz viel auch mitnehmen und auch lernen. Ich finde, es ist auch okay, wenn man aus egoistischen Motiven irgendetwas mitmacht. Einfach um tolle Leute kennen zu lernen und vielleicht auch mal danach einen netten Spieleabend zu haben. Das ist völlig okay. Diese ganze Umweltschutz-Klimathematik ist schon schlimm genug. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir Menschen sind und Freude und Spaß brauchen.

01:00:43

Pheline Roggan: Unbedingt! Und dass man den auch haben kann dabei, auch bei ernsten Themen und egal um welche Form von Diskriminierung es geht, oder Klimaschutz oder wo auch immer man sich einsetzt. Das Aktiv-Sein darf und sollte Spaß machen, ist doch alles auch Lebenszeit. Und wir haben nur eins, also warum versuchen wir nicht das positiv zu gestalten. Und wenn man dann bemerkt, dass man was bewegen kann, dann gibt das einem ja auch wahnsinnig viel zurück. Also, probiert es aus!

01:01:12

Raúl Krauthausen: Wenn jetzt der Aufzug anhält, wahrscheinlich in der 4000. Etage, wo musst du jetzt weiter?

01:01:19

Pheline Roggan: Wenn der Aufzug in der 4000. Etage anhält, ach! Dann würde ich gerne fliegen (lacht). Ich muss jetzt Gott sei Dank gar nicht so schnell weiter. Ich gehe mal raus, weil es hat nämlich geschneit, obwohl mir eigentlich innerlich schon nach Frühling ist. Und ich stiefele mal durch den Schnee und versuche mal einen kleinen Schneemann oder eine Schneefrau zu bauen.

01:01:42

Raúl Krauthausen: Auch das muss gegendert werden. Die gute alte Schneefrau ist nämlich hart unterrepräsentiert.

01:01:49

Pheline Roggan: Geht mir genauso. Deshalb baue ich jetzt eine, mache ich mich dran (lacht).

01:01:53

Raúl Krauthausen: Sehr gut! Vielen, vielen, vielen Dank für deine Zeit. Es hat mich wirklich bereichert.

01:01:59

Pheline Roggan: Ja, ich fand auch, es war ein sehr schönes Gespräch. Vielen Dank dafür. Hat mich gefreut.

01:02:04

Raúl Krauthausen: Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.

01:02:05

Pheline Roggan: Das hoffe ich auch!

01:02:06

Raúl Krauthausen: Auf bald!

01:02:08

Pheline Roggan: Mach’s gut! Bis bald.

01:02:12

Raúl Krauthausen: Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, sowie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Shownotes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. „Im Aufzug“ ist eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal, hier im Aufzug.

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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann

Coverart: Amadeus Fronk


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