Im Aufzug mit Lisa Paus

Warum ist dir das Thema Einsamkeit so wichtig?

Lisa Paus ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wir erzählen uns von unserer Kindheit und Schulzeit, sprechen über Einsamkeit und warum sie genauso schädlich sein kann wie Rauchen.
Ich will von Lisa Paus wissen: Warum möchte sie eigentlich nicht Bundeskanzlerin werden? Und wie ist das so im Ministerinnen-Alltag, wenn man zwischendurch auch mal politikfreie Sonntage braucht und nachts um ausreichend Schlaf kämpfen muss? Wir schauen auf die Kindergrundsicherung, diskutieren über die am Justizminister Buschmann gescheiterte Barrierefreiheits-Initiative und reden über Friedrich Merz, der ja offensichtlich auch irgendwie selbst unter dem Patriarchat leidet.
Aufzugtür auf für Lisa Paus!

Lisa Paus Empfehlung: Die Tafel

00:00:00.000

Raul Krauthausen: Die Tür geht auf und wer kommt rein? Ich freue mich sehr. Wir haben uns ein paar Mal auf Veranstaltungen gesehen. Unsere Bundesfamilienministerin Lisa Paus ist da. Hallo. 

00:00:09.000

Lisa Paus: Hallo. 

00:00:10.000

Raul Krauthausen: Schön, dass du da bist. Wir haben uns geeinigt, dass wir uns duzen. Hoffe das ist okay. 

00:00:14.000

Lisa Paus: Genau. Eine Kinderministerin lässt sich auch gerne duzen. So, aber auch für Senioren. Genau. Aber genau. Wie du es möchtest. 

00:00:20.000

Raul Krauthausen: Hast du eigentlich viel Kontakt mit Kindern als Familienministerin? Beruflich? 

00:00:25.000

Lisa Paus: Ja, klar. Ich habe zum Beispiel das Kita-Qualitätsgesetz mit auf den Weg gebracht. Das sind 4 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund für die Länder. Und da will ich natürlich sehen, was mit dem Geld passiert. Seitdem bin ich jetzt auch in Kitas unterwegs. 

00:00:40.000

Raul Krauthausen: Aber verhandelst du dann auch mit Kindern oder sind das eher die Erwachsenen, die entscheiden? 

00:00:43.000

Lisa Paus: Ich verhandle mit den Ländern und ich bin dann in den Kitas und schaue mir ihre Konzepte an. Und da gibt es wirklich ganz, ganz tolle Konzepte. Zum Beispiel auch Demokratie von Anfang an finde ich super. Aber auch die Klassiker wie Waldkitas und andere spezielle Konzepte, dass sie eben mehr als Naturforscher unterwegs sind. Oder in die Schwerpunkt auf Bewegung setzen. Ja, also Kitas sind tolle Lernorte. 

00:01:08.000

Raul Krauthausen: Auch wenn es jetzt so eine kitschige Frage ist, aber was können wir denn von Kindern lernen, was Erwachsene vielleicht verlernt haben, vor allem wenn sie in diesem Bereich unterwegs sind? 

00:01:18.000

Lisa Paus: Kinder sind nicht rassistisch. Kinder gehen auch mal erstmal mit allen Formen der Behinderung ganz offen um. Sind einfach neugierig, was ist das, was muss ich tun, was ist es, wie kann ich helfen oder einfach, was möchte die Person? Diese Offenheit und diese Vorurteilsfreiheit, die ist erstmal großartig. 

00:01:40.000

Raul Krauthausen: Ich habe mit Aladin El- Mafaalani vor ein paar Monaten mal hier in einem Podcast gesprochen. Und ich muss ehrlich gesagt sagen, das ist eine der Gespräche, die mir am meisten nachheilen, weil er sehr viele Dinge gesagt hat, die ich so noch gar nicht gesehen habe. Ich meine, eine Sache, die er erzählte, war, dass die Idee der Ganztagskita und der Ganztagsschule vor allem darauf basiert, dass wenn wir unsere Renten sichern wollen, die Frau, die Mutter in der Familie arbeiten muss oder arbeiten soll. Das heißt, diese ganzen Ideen von der Ganztagsschule und so weiter haben gar nicht den Ursprung, das Gute für Kinder zu wollen, sondern das Rentensystem zu sichern. Siehst du das auch so oder hat er das einfach überspitzt? 

00:02:27.000

Lisa Paus: 2 27lAuf jeden Fall ist es so, dass eben die deutschen Kitas und Schulen da noch ein bisschen Luft nach oben haben, was eben das Thema angeht, Schulen und Kitas als echte Lern- und Lebensorte auszubauen. Und ja, das stimmt, sozusagen der eigentliche Drive-Come in Deutschland über „Wir müssen bauen, bauen, bauen“ für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und noch nicht ganz so implementiert ist, dass eben es mit der frühkindlichen Bildung in der Kita schon anfängt. Das heißt nicht, dass sie am Tisch sitzen, im Stuhl und da irgendwie lesen, schreiben, rechnen lernen, sondern mit allen Sinnen. Aber ja, gerade die ersten Jahre sind ja ganz, ganz entscheidend. Das wissen wir inzwischen sehr intensiv. Nicht nur die Sprachentwicklung, auch die Bewegung etc. Das passiert alles vor allen Dingen in den ersten sechs Jahren. Und deswegen sind die so entscheidend. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir eben auch Qualitätsstandards für die Kitas entwickeln. Das ist in den Bundesländern sehr, sehr unterschiedlich. Als ich in den Deutschen Bundestag

gekommen bin, da hat Bayern noch gesagt, Kitas sind im Zweifel vielleicht nicht unbedingt schädlich, aber jedenfalls muss man da nicht hin und hatten ja noch gesagt, statt Kita dann lieber eine Herdprämie. Das hat sich inzwischen gewandelt, aber trotzdem ist es eben so, in den Bundesländern ist es noch sehr, sehr unterschiedlich, welche Standards in den Kitas herrschen. Und deswegen haben wir uns jetzt auf den Weg gemacht, Kitas auch tatsächlich zu tollen Lern und Lebensorten zu entwickeln rundum mit entsprechenden Qualitätsstandards. Es sind noch einige Schritte zu tun, aber wir sind auf dem Weg. 

00:03:59.000

Raul Krauthausen: Ich finde das Wort Lebensort so wichtig und so spannend, weil es geht eben nicht nur ums Lernen, auch in der Schule nicht. Aladin hat es mal formuliert, dass er sagte, Ganztagsschulen müssen so gestaltet sein, dass Kinder nach 14 Uhr freiwillig bleiben. 

00:04:10.000

Lisa Paus: Genau. 

00:04:11.000

Raul Krauthausen: Und das hat eben eine schöne Perspektive. Wann bleibt man freiwillig? Wenn man irgendwie seine Kumpels trifft, wenn man Freude hat an dem, was man macht. Vielleicht auch Freizeitaktivitäten, die nicht ständig unterfinanziert sind oder am Personalmangel scheitern, so wie damals in meiner Schulzeit. Ich war am Freitag bei einer Lesung von ihm im Haus der Kulturen der Welt. Und da sagte er, dass wahrscheinlich meine Generation, ich bin in 86 eingeschult worden, wahrscheinlich sogar die Generation war, die noch die beste Schulversorgung hatte. 

00:04:43.000

Lisa Paus: Ja, warum? 

00:04:44.000

Raul Krauthausen: Weil die Babyboomer dafür gesorgt haben, dass man einfach ganz viele Kita und Schulen ausbauen muss. Und dann wurden es immer weniger Kinder, einfach aufgrund der demografischen Entwicklung. Und mein Jahrgang wäre quasi der Jahrgang, wo der Schlüssel am besten ist. Und danach wurden die Klassen wieder größer, Personal wieder weniger, Jugendeinrichtungen wurden geschlossen, weil es einfach weniger Kinder gibt oder eben auch gespart wurde. Das war mir gar nicht so klar. 

00:05:14.000

Lisa Paus: Genau, aber war es bei dir auch noch so, dass es diese Kinderbücher gab über die Kinder, diese Schlüsselkinder, wo sozusagen die nach dem, also wir hatten ja eben keine Ganztagsschule, sondern da war ja einfach um 12.00 Uhr Schicht, weil man davon ausging, dass eben die Mutter maximal halbtags arbeitet, wenn überhaupt. Und wenn es eben bei manchen eben doch anders war, anders sein musste, zum Beispiel bei der Mutter alleinerziehend war, dann gab es eine Reihe von Kinderbüchern, die noch mal geschildert haben, wie schlimm das ist. 

00:05:44.000

Raul Krauthausen: Ja, das stimmt. 

00:05:45.000

Lisa Paus: Und natürlich hat das dann auch viel mit Armut zu tun, das ist auch schlimm. Also deswegen ist es schon gut, dass es eben Ganztagsschulen gibt. Aber diese Ganztagsschulen müssen eben auch tatsächlich dann auch Lebensorte werden. Und ich zum Beispiel fand das super krass. Mein Sohn war auf einer Ganztagsgrundschule, die war auch gut gebunden und so weiter. Aber zum Beispiel bei der Ferienbetreuung waren die ganz normal in Klassenzimmern. 30 Kinder im Klassenzimmer ist jetzt nicht so toll zum Bewegen, mal was anderes tun etc. Und da sieht man es ganz eklatant, was da noch fehlt, damit eben Ganztagsschulen Orte sind, wo Kinder eben dann auch gerne bleiben. 

00:06:30.000

Raul Krauthausen: Wenn also jetzt beide Elternteile arbeiten und das Kind die meiste Zeit des Tages in der Schule verbringt und nicht mit der Familie, dann bedeutet das ja auch, dass Schulen andere Aufgaben übernehmen sollen. Also Aladin meinte dann zum Beispiel, die ganzen U Untersuchungen könnte man theoretisch in Schulen dann machen und nicht die Eltern in die Verantwortung bringen, das dafür zu sorgen. Oder eben auch sonstige Freizeitgestaltung, weil gerade bei Sommerferien, wenn Eltern nur 4 Wochen Urlaub haben, aber die Schulferien sind 6 Wochen, ist es natürlich auch ein großes Herausforderung einer Lücke. 

00:07:05.000

Lisa Paus: Genau, und 6 Wochen sind ja nur die Sommerferien, dann kommen ja noch die Herbstferien und die Winterferien dazu. 

00:07:12.000

Raul Krauthausen: Wie war denn deine Schulzeit? 

00:07:13.000

Lisa Paus: Ich komme ja vom Land und ich war tatsächlich praktisch ab der 2. Klasse Fahrschülerin. In der 1. Klasse gab es noch meine Dorfschule, die war irgendwie 1,5 km entfernt, da konnte ich mit dem Fahrrad hinfahren damals. Das ist ja auch eher ungewöhnlich, heute ist ja Grundschule auf jeden Fall Eltern-Taxi. Meinen Sohn habe ich dann zu Fuß zur Schule gebracht, aber ich konnte damals Fahrrad fahren. Und dann war es aber so, dass nach der 1. Klasse ist dann diese Dorfschule zugemacht worden und es ist eine andere Dorfschule sozusagen zur zentralen Grundschule ernannt worden. Und dann war ich ab der 2. Klasse Fahrschülerin und das ist schon prägend. Und dann war es bei mir so ganz klassisch nach der 4. Klasse dann der Wechsel. Das habe ich nicht so toll wahrgenommen, weil dann sind schon einige Freundschaften verloren gegangen. Ich war zwar auch beim Sportverein und so, da gab es schon noch alte Freundschaften, aber dann war es wieder ganz neu. Und weil ich dann eben 20 km in die nächste Stadt fahren musste, aber natürlich dann als ich mit 10, 11 keinen Führerschein hatte, war das dann eben, weil es eben keine Ganztagsschule war, dann schon irgendwie ein bisschen abrupt sozusagen Schule das eine und Freunde dann. 

00:08:31.000

Raul Krauthausen: Und fahren einem dann die Eltern oder gab es so einen Radschulbus? 

00:08:34.000

Lisa Paus: Genau, meine Eltern haben mich natürlich nicht gefahren, sondern es gab ganz normal den Schulbus. Und der hat natürlich auch dafür gesorgt, dass ich von der Schule nach Hause gekommen bin und so. Aber der hat natürlich jetzt nicht übernommen, wenn ich mich mit Freunden treffen wollte. 

00:08:46.000

Raul Krauthausen: Ja oder Sommer hitzefrei war oder so. 

00:08:48.000

Lisa Paus: Ja, also bei mir war es jetzt nicht so, dass der Bus dann nur einmal am Tag gefahren ist, sondern der fuhr schon jede Stunde. Aber trotzdem ist es natürlich eine Einschränkung. Genau, ansonsten ganz normal der übliche Pogo mit Lehrern und auch schöne Erlebnisse, alles durch. 

00:09:04.000

Raul Krauthausen: Da bei mir gerade so bei vielen Anknüpfungspunkten ein Kindertrennen ab der vierten Klasse ist ja auch schon problematisch. Ich hatte das Glück, dass ich erst ab der sechsten mich für die weitere Schulform entscheiden musste. Weil Berlin ja sechs Jahre Grundschulzeit hat. 

00:09:18.000

Lisa Paus: Ja, das ist schon gut. Das ist schon gut. Ich bin auch froh, dass mein Sohn sechs Jahre auf der Grundschule gewesen ist. 

00:09:25.000

Raul Krauthausen: Inwieweit ist der Föderalismus in Deutschland eigentlich ein Problem, um hier mal das große Rad zu schwingen und die großen Maßnahmen, die nötig wären, einzuleiten? 

00:09:35.000

Lisa Paus: Ja, es gibt ja Gründe, warum eben, wenn man die Bevölkerung fragt, wie hätten sie es denn gerne mit der Bildung, dass sie jetzt nicht sagen, wir finden das super mit dem Föderalismus bei der Bildung. Sondern das sind konstante Umfragen, die alle sagen, die finden das eher bescheiden. Weil eben nicht das, was man denkt. Föderalismus führt eben auch dazu. Es gibt eben eine große Vielfalt. Und dann schaut man auch aufeinander und sozusagen macht den Wettbewerb für eine gute Bildung und gute Kita. Es ist aber eher, gut, das ist sehr böse, aber ich habe den Eindruck schon, das ist sehr umgekehrt. Es fängt ja damit an, dass ja beispielsweise in den letzten zehn Jahren die Länder beim Thema Lehrermangel sich eher die Lehrer gegenseitig weggenommen haben, als festzustellen, ein besserer Schlüssel ist gut und deswegen müssen wir mehr investieren, um eben die Auswahldienstkapazitäten zu erhöhen und mehr Menschen für diesen tollen Beruf dann auch zu gewinnen. Das Gegenteil ist der Fall gewesen. Und du hattest eben auch schon darüber gesprochen, die Schlüssel haben sich jetzt nicht automatisch verbessert, sondern auch durchaus verschlechtert. Und dann ist es so, wenn man eben zu gemeinsamen Standards kommen will, dann braucht es eben nicht nur eine Mehrheit, sondern die Kultusministerkonferenz, die muss immer einstimmig sein. Und das ist dann eben dann schon sehr, sehr, sehr langsam. Also ich bin ja eben jetzt mit für Kitas zuständig. Der Bund ist eingestiegen in die Finanzierung der Kitas. Wir wollen zusammen mit den Ländern Qualitätsstandard entwickeln. Dabei wissen wir natürlich auch, es gibt viel zu wenig Fachkräfte. Also wir haben doppelt so viele Fachkräfte wie vor 10, 15 Jahren. Wir haben übrigens sogar jetzt mehr Erzieherinnen und Erzieher als beschäftigt in der Automobilindustrie. Aber trotzdem haben wir immer noch einen Mangel und deswegen braucht es auch da in dem Bereich eine Fachkräfteoffensive im Bereich für Erzieherinnen und Erzieher, für Sozialpädagogen und Sozialpädagogen. Und da ist es aber so, dass auch die ganze Ausbildung eben in der Zuständigkeit der Länder liegt und ich kann eben praktisch nichts machen. Und da haben wir eben 16 Bundesländer und bei 16 Bundesländern ist es derzeit so, dass es über 60 verschiedene Verordnungen gibt für den Erzieherberuf. Da kann man sagen, das ist super, weil man aus so vielen unterschiedlichen Richtungen sozusagen Erzieher werden kann. Aber wenn man hinschaut, dann stellt man fest, es ist überhaupt nicht super, weil es ist total unübersichtlich. Länder wie üblich anerkennen natürlich nicht die Abschlüsse aus anderen Bundesländern automatisch. Und es ist eben auch nicht modular, wie es so schön heißt. Also es kann ja sein, dass 62 verschiedene Verordnungen dazu führen, dass wenn du hier ein Jahr machst, dann machst du da noch drei Jahre drauf, dann kommst du eben sozusagen gut in der Summe dann zu deinem Erzieherabschluss. So ist es eben nicht, sondern weil eben nicht anerkannt wird, kann es auch sein, dass du schon praktisch als Pädagogen gearbeitet hast und dann trotzdem noch eine vierjährige Umschulung machen musst, um dann Erzieher zu werden. So dieser Irrsinn, der steht für mich sinnbildlich für einiges, was schief läuft im Föderalismus, auch im Bildungsbereich. Und ja, deswegen würde ich das gerne ändern und deswegen brauchen wir nicht nur mehr Geld sozusagen deutschlandweit für Bildung, sondern wir müssen uns auch nochmal über die Strukturen unterhalten, was wir da anders und besser machen können. Immerhin haben wir jetzt eine Arbeitsgruppe eingerichtet. 

00:12:58.000

Raul Krauthausen: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, bilde ich einen Arbeitskreis. 

00:13:00.000

Lisa Paus: Und ich hoffe, dass da jetzt auch eines rauskommt. Also wir haben Experten, wir haben mit Experten zusammen Empfehlungen erarbeitet und es war historisch. Im vergangenen Jahr haben zum ersten Mal die Kultusministerkonferenz und die Jugend- und Familienministerkonferenz eine gemeinsame Konferenz gemacht. Das hat es seit Gründung der Bundesrepublik nicht gegeben. Also es ist was in Bewegung. 

00:13:25.000

Raul Krauthausen: Fällt mir schwer zu klatschen, aber okay. 

00:13:26.000

Lisa Paus: Aber es könnte noch ein bisschen an Tempo zulegen. 

00:13:29.000

Raul Krauthausen: Tanja Häusler, die Gründerin der TINCON, der Internetwork-Konferenz, der sogenannten Jugendabteilung der Republika. 

00:13:3.7000

Lisa Paus: Ja, genau, kenne ich gut. 

00:13:37.000

Raul Krauthausen: Die hat mir mal in einem Gespräch gesagt, das finde ich wirklich bemerkenswert, dass sich niemand um Bildung schert. Alle sind froh, also außer Minister*innen vom Beruf her, aber alle sind froh, mit dem Schulsystem nichts mehr zu tun zu haben. Man beschäftigt sich erst wieder damit, wenn man entweder selber Lehrerin wird oder selbst ein Kind hat, das in die Kita und Schule geht. Und das ist wahrscheinlich auch ein Teil des Dramas, dass es eine relativ kleine und geringe Lobby gibt. Was unter anderem auch daran liegt, sagte sie, dass wenn man in der Bildungsreform startet, da auch kein Blumentopf zu gewinnen ist. Das ist teuer, es dauert lange, bis die Erfolge messbar werden und das ist wahrscheinlich nach der eigenen Legislatur. Und als ich dann allerdings danach gefragt habe, was könnten wir denn da tun, dann antwortet er so ein bisschen ausweichend und sagt, ja, das müsste dann die Bevölkerung sagen. Wo ich dachte, ja, aber wir brauchen noch einen Masterplan, wie wir über eine Legislatur hinaus es schaffen, Reformen zu wagen, von denen wir vielleicht selber als Politiker*innen im Amt nicht profitieren, auch wenn es Geld kostet. Und das ist wahrscheinlich in der aktuellen medialen Berichterstattungssituation auch gar nicht so leicht darstellbar. Und Aladin stufe ich dann vor, so eine Art Minderheitenschutz für Kinder zum Beispiel einzuführen, der quasi immer wirkt, egal welcher Partei an der Macht ist. Was für andere Reformen könnte man machen, die länger denken als vier Jahre? 

00:15:15.000

Lisa Paus: Aladin hat ja auch die These, die ich gut nachvollziehen kann, dass sich im Bildungssystem in den letzten Jahren ja eben wenig verbessert, sondern viel verschlechtert hat, weil eben wir inzwischen so eine deutlich gealterte Gesellschaft sind. Und weil die 60-Jährigen, wir haben übrigens derzeit doppelt so viele 60. Geburtstage wie erste Geburtstage, weil die jetzt 60-Jährigen, als die ihre Kinder bekommen haben, da war sozusagen der erste Pisa-Schock. Da hat es ja noch Aktivitäten gegeben, weil da eben der geburtenstarke Jahrgang politische Macht selber Kinder bekommen hat und selber sozusagen gekämpft hat für die Rechte der eigenen Kinder. Diese Boomer, die sind jetzt eben 60 und ihre Kinder sind jetzt raus aus der Schule. Und inzwischen ist es eben so, dass diese politische Power sozusagen nicht da ist und dass eben tatsächlich Familien mit Kindern bis 18 eine deutliche Minderheit in der Gesellschaft sind. Also Kinder und Jugendliche sind in der Minderheit, aber auch nochmal sozusagen die Familien, die davon betroffen sind. 

00:16:25.000

Raul Krauthausen: Das geht so weit, dass selbst wenn die Eltern das Wahlrecht ihrer Kinder hätten zusätzlich, es immer noch zu wenig wäre. 

00:16:30.000

Lisa Paus: Ganz genau. Und mit Sicherheit hat das auch was damit zu tun, was das Thema aufmerksam angeht. Natürlich haben wir jetzt auch viele andere Dinge zu tun, also der Ukraine-Krieg beispielsweise, aber auch wie wir damals mit Corona umgegangen sind. Ich fand, man konnte schon ablesen, wie die Mehrheiten in dieser Gesellschaft sind. Ich fand, dass tatsächlich die psychosozialen Folgen für Kinder und Jugendlichen zu wenig eine Rolle gespielt haben. Am Sonntag hieß es immer, Kinder und Jugendliche sind uns ganz wichtig und Montags bis Freitags waren alle Einrichtungen für Kinder und Jugendliche geschlossen. Aber in der Wirtschaft konnten wir noch nicht mal eine entsprechende Homeoffice-Pflicht durchsetzen. Das, glaube ich, macht schon deutlich, wie die Prioritäten gesetzt worden sind und dass sie nicht zugunsten der Kinder und Jugendlichen gesetzt worden sind. Was sehr fatal ist, weil wir eben deutlich weniger Kinder und Jugendliche haben und trotzdem eben zu wenig für sie tun. Und das tut mir richtig im Herzen weh. Du weißt, ich habe gekämpft für die Kindergrundsicherung. Auch die Kindergrundsicherung ist am Ende des Tages nicht gekommen, weil es zwar eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung gegeben hat, aber nicht den harten Durchsetzungswillen von allen Beteiligten dieser Angelegenheit. Und ja, deswegen finde ich auch, wir müssen alles dafür tun, um den Spotlight darauf zu richten, weil wir jetzt schon erleben, dass es nicht nur fatal ist für die Kinder und Jugendlichen und jedes einzelne Kind, finde ich, hat das nicht verdient. Aber es ist ja noch mal doppelt bescheuert, weil es ja auch für unsere Gesellschaft insgesamt idiotisch ist. Wir reden jetzt über Fachkräftemangel und gleichzeitig haben wir über eine Million Jugendliche, die ohne Berufsabschluss die Schule verlassen, wo jetzt hier das Land Berlin ein neues Pflichtschuljahr irgendwie elfter Klasse einführt und lauter Sonnenburgs, weil eben man es nicht von Anfang an vernünftig ausstattet. Und deswegen ist es so, dass meine Partei jedenfalls sagt, das muss aufhören. Und deswegen wollen wir eben einen Deutschlandfonds machen, der eben das, was dringend getan werden muss. Und dazu gehören eben auch ganz deutlich Investitionen in Bildung und den ganzen Lern- und Lebensraum von Kindern und Jugendlichen. Da geht es auch um außerschulische Dinge, da geht es auch um eine bessere Ausstattung psychosozialer Art. Ich war in verschiedensten Schulen, wo Lehrer mir gesagt haben, nach Corona die Kinder waren de facto nicht beschulbar, weil man sie erstmal emotional und sozial abholen musste. Ich

habe ein Programm auf den Weg gebracht zur Stärkung der mentalen Gesundheit und war da eben auch in einigen Schulen und die haben gesagt, das war genau das, was wir brauchen, weil eben da kann man auch individuell, wenn man als Schüler ein Thema hat, hingehen. Aber sie haben auch so Workshops gemacht und das war ein Öffner sozusagen in der Klasse, weil niemand erzählt natürlich gerne über seine Schwächen, aber wir alle haben sie. Und wir alle brauchen auch einen Raum, wo wir darüber sprechen können. Und wenn eben dieser Raum geschaffen wird und dann der eine mal über seine Spielzeiten, die man schon als Sucht bezeichnen kann auch mal offen sprechen kann und die andere sozusagen mit anderen Thematiken, ob es jetzt irgendwie eine Essstörung ist oder wie auch immer, wenn da mal ein Raum dafür da ist und dann man tatsächlich feststellt, auch in der Schulklasse ist sowas besprechbar, dann ist es erstens ganz wichtig für einen selber. Wir haben so viele gestiegene Depressionen und so weiter von jungen Menschen, aber vor allen Dingen ist das auch erstmal der Türöffner dafür, dass man überhaupt wieder lernfähig ist. Weil wenn man Probleme hat und da nicht sozusagen abgeholt wird, dann ist der Kopf einfach zu. Und dann braucht man über Schule und Lernen überhaupt gar nicht zu sprechen. 

00:20:17.000

Raul Krauthausen: Stichwort Probleme, was wir uns ja auch glaube ich viel zu wenig klar machen, ist, was Kinder gerade erlebt haben in den letzten Jahren in der Schule. Und das muss man jetzt auch nicht immer alles als Problem sehen, aber Schule hat sich für Kinder ganz anders entwickelt, als es vielleicht zu unserer Zeit war. Also plötzlich gab es Kinder aus Syrien, aus der Ukraine in der Klasse, dann gab es Corona. Ständig war wahrscheinlich auch so eine Art Alarmstimmung in der Schule, weil die Lehrer*innen überfordert schienen und so weiter, dass es auch nicht verwunderlich ist, wenn Jugendliche dann vielleicht auch anfangen zu denken, also es scheint ja alles chaotisch zu sein und die Toiletten werden auch nicht gesäubert und so weiter. 

00:21:06.000

Lisa Paus: Ja, die haben ja auch recht. Ich kenn eine Schule, die hat die Toiletten abgeschlossen, die Jungen konnten nicht mehr auf die Toilette gehen, weil da gab es Vandalismus und dann war aber die Konsequenz nicht sozusagen das abzustellen, sondern dann haben die einfach die Toiletten abgeschlossen. 

00:21:17.000

Raul Krauthausen: Wie soll man denn da lernen? Ja, das ist Berlin, aber es ist leider nicht nur Berlin, also das ist unfassbar. Und es gibt Studien, die gemacht werden, wo unter anderem, das war eine sehr schöne Frage, wo Kinder gefragt werden, gibt es an deiner Schule jemanden, der an dich glaubt? 

00:21:37.000

Lisa Paus: Das wissen wir doch alle, auch du. Du kannst dich garantiert auch noch an einen Lehrer*in erinnern, die für dich ganz wichtig gewesen ist. Das geht uns allen so. 

00:21:42.000

Raul Krauthausen: Meine Frau hat mir das auch erzählt, dass sie auch eine Lehrerin hatte, die an sie geglaubt hat oder wo sie das Gefühl hatte, das sei so. Ich hatte super viele, die an mich geglaubt haben, aber zum Beispiel die Schwester meiner Frau hatte niemanden. Und es war aber an der gleichen Schule wie der von meiner Frau. Ich fand es total interessant, dass es auf der einen Seite was sehr Subjektives ist, aber auf der anderen Seite, wenn du niemanden hast in der Schule, wo du das Gefühl hast, der glaubt an dich, dann hast du wahrscheinlich auch eine andere Motivation zu lernen. Dann fühlst du dich ja eher verwahrt, als dass du da gerne hingehst. 

00:22:18.000

Lisa Paus: Ich habe ja ein freiwilliges Soziales Jahr im Kinderheim gemacht. Da heißt ja immer, du musst nur gut in die Schule investieren und dann ist das für alle Kinder gut. Das war in Hamburg Bergedorf. Bergedorf ist durchaus ein besserer Ort in Hamburg. Die Schule war eine gute Schule, das Kinderheim war direkt gegenüber. Aber weil die Kinder eben im Kinderheim waren und damit de facto stigmatisiert, sind die jeden Morgen mit hängendem Gesicht in die Schule und kamen auch mit noch schlimmeren Gesichtern wieder raus aus der Schule. Selbstverständlich sind die nicht zum Spielen eingeladen worden, geschweige denn zum Geburtstag. 

00:22:53.000

Raul Krauthausen: Und das über Jahre. 

00:22:53.000

Lisa Paus: Und das über Jahre. Ich habe mich dann eben mit denen hingesetzt und habe mit denen Hausaufgaben gemacht. Nicht einfach, um Hausaufgaben zu machen, sondern um überhaupt bei denen so ein bisschen wieder was zu wecken. Das kann auch Spaß machen und dass die Schule auch ein Erfolgserlebnis produzieren kann. Da waren die erstmal ganz weit davon weg. Und das hat ein paar Wochen dann gedauert, aber dann hat es eben dann auch geklappt. Und dann hat es auch teilweise mit den Lehrern wieder geklappt. Das ist wirklich entscheidend, dass eben Erwachsene, dass Lehrer, dass die Erziehungsberechtigten vermitteln, du kannst was. Und dann kann man auch was, weil jeder kann was. 

00:23:27.000

Raul Krauthausen: Das klingt so nach Regenbogen Einhornland, aber das ist wirklich wahr. Es gibt zahlreiche psychologische Studien, die das auch belegen, dass es nicht darum geht, jeder ist seines Glückes Schmied. Man muss sich nur anstrengen, dass eben auch die Umwelt sehr entscheidend ist. Und dass manchmal eine Person reicht, die das Blatt wenden kann. 

00:23:48.000

Lisa Paus: Genau. Ich zum Beispiel mochte meinen Grundschullehrer sehr gerne. Und das hat wirklich gut funktioniert. Als ich ihm dann mit 25 nochmal begegnet bin und er mir dann gesagt hat, jetzt wäre es aber mal langsam Zeit zu heiraten, weil mit 25 wäre hier dann langsam eine alte Schachtel, da habe ich nochmal ein bisschen hinterfragt, sozusagen, dein Bild. Aber als ich in der ersten, zweiten, dritten Klasse war, das war super. Und dieser Grundschullehrer war wirklich wichtig für mich. 

00:24:13.000

Raul Krauthausen: Und das glaube ich kann, also jeder von uns könnte ja so jemand sein für ein Kind. Und das habe ich auch erst vor ein paar Jahren verstanden, dass das, egal was das Kind durchgemacht hat im Leben, dass man nicht weiß, ob man nicht die eine Person auch sein könnte. Inwieweit, würde es Sinn machen Bildungsministerium und Familienministerium zusammenzulegen? Bei Bildung und Kinder muss man ja nicht tränklich wegen Ministerposten drinnen. 

00:24:43.000

Lisa Paus: Dazu bräuchte es eben Kompetenzen. Also natürlich kann man immer alles nochmal anders zusammenschneiden. Und tatsächlich war es ja so, wie gesagt, für die frühkindliche Bildung, für die Kitas war ich jetzt von Bundesseite zuständig. Die Hauptzuständigkeit liegt aber komplett bei den Ländern. Bei der Schule ist es natürlich noch intensiver. Der Bund ist aber jetzt ja auch eingestiegen, nochmal die Schulen zu unterstützen. Wir haben das sogenannte Staatschancenprogramm auf den Weg gebracht. Und damit unterstützen wir jetzt 4.000 Schulen bundesweit nach speziellen sozialen Kriterien, also die, die eben zusätzlichen Bedarf haben. Und diese 4.000 Schulen werden jetzt eben unterstützt und können mit diesem Geld baulich was machen, wenn sie denken, da ist noch was notwendig. Wenn da noch ein zusätzlicher Bewegungsraum oder was sein muss oder es einfach nur schön gemacht werden muss. Und sie können damit eben Bildungsschwerpunkte setzen, ob es jetzt zusätzlich Sprachförderung ist oder je nachdem, was sie meinen. Und sie können damit auch finanzieren multiprofessionelle Teams für psychosoziale Unterstützung in den Schulen. Und das macht Sinn, das auch ein Stück weit zusammenzufassen. Es ist auch so, dass wir ja auch eingestiegen sind in den Ganztagsausbau. Da geht es jetzt aber tatsächlich vor allen Dingen nur um Baugeschichten. Das macht der Bund jetzt auch. Aber ansonsten habe ich ja schon gesagt, wenn ich jetzt Familien- und Bildungsministerin wäre, als Familienministerin wurde ich immer schon angesprochen. Frau Paus, wie ist denn das? Es fehlen noch 40.000 Fachkräfte für die Kitas. Jetzt machen Sie mal. Und dann konnte ich immer nur sagen, ich würde gerne machen, aber ich fühle mich da wie eine Frau ohne Unterleib. Weil ich kann gar nichts tun für die bessere Ausbildung, Quereinstieg und so weiter. Die Zuständigkeit liegt komplett in den Ländern. Was ich eben tun konnte, habe ich gemacht. Ich habe eine Arbeitsgruppe gebildet, habe ich schon erwähnt, wo dann jetzt die 47 Empfehlungen zusammengefasst hat. Und da waren die Länder auch dabei mit Experten und Ländern, was man kurz, mittel und langfristig tun kann. Sowas kann ich machen. Aber es ist eben immer schwierig, sozusagen einen Titel zu haben. 

00:26:45.000

Raul Krauthausen: Jaja, genau. 

00:26:45.000

Lisa Paus: Und dann darunter nicht die Zuständigkeiten zu haben, die man eigentlich braucht, um wirklich etwas zu verändern. 

00:26:54.000

Raul Krauthausen: Gibt es da Bestrebungen, vielleicht Bildungshoheiten doch dem Bund zu übertragen? 

00:26:57.000

Lisa Paus: Das war das letzte Mal Thema in der Föderalismusreform 2. Da hat man auch versucht, darüber zu sprechen. Und am Ende konnte man sich auf nichts einigen, außer auf die Schuldenbremse. Das war aus meiner Sicht jetzt nicht das beste Ergebnis dieser Föderalismusreform. Aber ja, da gibt es einiges an Föderalismusreformen, was wir angehen sollten, im Bereich Bildung auf jeden Fall. Aber es ist eben traditionell so, dass die großen Flächenländer Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen finden, sie sind groß genug, dass sie jetzt alleine können. Und andere Länder, so in den Stadtstaaten oder so, die da eben offener dafür wären, haben eben jetzt nicht die Mehrheit. Aber ja, es wäre wichtig, weil alle leiden darunter. Ich habe es schon gesagt, die Bevölkerung leidet auch darunter. Sie will das anders. Und ja, es wäre schön, wenn Politik da auch sozusagen mal den Argumenten folgen könnte und sich nochmal überlegt, inwieweit das, was wir haben, gut ist oder nicht. Bei der Pflege haben wir es ja geschafft. Also bei der Pflege ist es so, dass inzwischen die – wir haben sie ja nochmal verändert – es gibt jetzt die generalistische Pflegeausbildung für Krankenpfleger und Altenpfleger und Kinderpfleger zusammen. Und das ist jetzt eine bundeseinheitliche Ausbildung. Die ist jetzt auf der Bundesebene geregelt. Und das Gleiche haben wir auch noch fast hinbekommen bei der Pflegeassistenz. Und Ähnliches könnte man beispielsweise im Erzieherberuf auch tun, dass man das sozusagen bundesvereinheitlicht. Momentan habe ich noch nicht den Eindruck, dass das nächste Woche eine Mehrheit findet. 

00:28:36.000

Raul Krauthausen: In der nächsten Woche sowieso nicht. Wir haben ja gerade – wir stecken– mitten im Wahlkampf zur vorgezogenen Bundestagswahl. Unter anderem ja auch deswegen, weil die Ampelkoalition an der, wie du sagst, Schuldenbremse gescheitert ist. Wahrscheinlich. Und wenn man – ich bin ja jetzt als Bürger – die Nachrichten konsumiert, dann gibt es immer so – aber ich weiß, man hat das Gefühl, es sind sehr einfache Wahrheiten. Also eine Wahrheit ist, die Migrantinnen sind schuld. Eine andere Wahrheit ist, die Schuldenbremse ist schuld. Und die dritte Wahrheit ist, Christian Lindner ist schuld. Und so einfach ist es wahrscheinlich nicht. Wie hast du die Zeit erlebt? 

00:29:16.000

Lisa Paus: Ich habe die Zeit so erlebt, dass – aber es passiert ja fast in jeder Legislaturperiode – dass eben plötzlich was reinschlägt, was man vorher nicht hat kommen sehen, nämlich tatsächlich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Und damit sich ja nicht nur sozusagen die Frage stellte, wie unterstützen wir jetzt die Ukraine und wie gehen wir mit den Geflüchteten um und wie können wir sie unterstützen aus der Ukraine, sondern die auch nochmal ganz anders aufschienen, dass Deutschland nicht wirklich verteidigungsfähig ist, dass der Katastrophenschutz in Deutschland nicht wirklich funktioniert. Und gleichzeitig wir ja auch eine Gesellschaft sind, die eben aus Corona raus ist. Und sozusagen wir haben insgesamt international erstarkende autoritäre Regime mit entsprechenden Konsequenzen, sozusagen auch geopolitisch, auch auf unserer Wirtschaft. Wir hören jetzt jeden Tag davon, dass jetzt irgendwie mehr und mehr wieder Zölle eingeführt werden sollen und so weiter. Also eine massive sozusagen Bedrohung des Wohlstandes, den wir hier haben. Und gleichzeitig nach Corona haben wir eben auch gemerkt, wir müssen eigentlich auch mehr investieren in die direkten Beziehungen der Menschen. Also in Orte, wo man sich gemeinschaftlich trifft. Mehr und mehr Gemeinschaftsorte sind ja auch zugemacht worden. Also Kirchen hatten Austritte, Gemeindesäle werden geschlossen. Kommunen haben

Haushaltsprobleme, Jugend-Einrichtungen werden geschlossen. Oder bei der Kultur genauso. Oder zumindest wird irgendwie Personal abgebaut. Es gibt dann weniger Programm, weniger Angebot. Und das in einer Zeit, wo die Menschen ohnehin schon herausgefordert sind und wo wir eigentlich mehr dafür tun müssen, dass man sich eben begegnen kann, dass man sich treffen kann. Und auch die Armut hat zugenommen. Und wenn man arm ist, dann ist es nochmal schwieriger, ins Café zu gehen und sich immer einen tollen Latte Macchiato zu kaufen und so. Solche Leute brauchen einfach Orte. Alle Menschen brauchen das, Schichten übergreifend. Wir ziehen uns immer mehr zurück in unsere eigenen Gruppen. Einsamkeiten in Deutschland. Das ist alles nicht gut. Und deswegen müssen wir darin mehr investieren. Unsere Infrastruktur ist überaltert. 80 Prozent der Brücken funktionieren nicht. Wir wissen, die Bahn funktioniert nicht. Also, können nicht jetzt alles weitermachen. Das ist die Situation. Und da ist eben die Antwort der Grünen und auch der SPD. Das ist eben die Situation, wo wir feststellen müssen, wir müssen deutlich mehr investieren. Genau das müssen wir tun. Wenn Krise da ist, dann ist es eben sinnvoll, sich herauszuentwickeln durch Investitionen und nicht durch Hinterhersparen. Ich glaube eigentlich, das hätte auch uns die Geschichte gelehrt. Das hätte uns auch die Geschichte gelehrt, weil Hitler hatte verschiedene Wege des Aufstiegs. Aber ein zentraler Brandbeschleuniger ist ja schon auch Brüning gewesen. Und da war es eben auch so. Es waren viele Probleme und es gab aber diese Haushaltseinschränkung und man konnte nichts dagegen tun. Und ich bin von Hause aus Ökonomin und ich kann wirklich nur mit dem Kopf darüber schütteln, dass immer noch gesagt wird, es ist wichtig in dieser Situation die Schuldenbremse einzuhalten, wenn wir ein Haus haben, was eigentlich in einem guten Zustand ist. Aber ja, es war ein Sturm und das Dach ist kaputt. Und dann kann man stolz darauf sein, dass mein Haushalt in einer guten Lage war, was irgendwie was wert ist und sagen, ich nehme jetzt keinen Kredit auf. Und dann ist das Dach offen und dann regnet es rein. 

00:32:55.000

Raul Krauthausen: Dann wird es richtig teuer. 

00:32:55.000

Lisa Paus: Dann wird es richtig teuer, wird richtig kaputt. Und das ist das, was ich denke, wie es in der Ampel gewesen ist. Wir haben es jetzt sozusagen richtig teuer gemacht für die Demokratie. So, hinterher auch die Investition, das wird deutlich teurer. Wir fanden das falsch. Wir haben trotzdem alles getan dafür, dass es noch gut weitergehen kann in dem Rahmen sozusagen, der da ist. Aber darum geht es, darum geht es, dass wir eben insgesamt die Situation für alle Menschen in diesem Land gut und sicher machen, sowohl sozial als auch sonst, versus eben wir setzen einfach nur auf Schuldenbremse, mehr soziale Verwerfungen. Alles wird darauf getrimmt sozusagen, dass nur die härtesten durchkommen. Das ist nicht gut für die Menschen dieser Gesellschaft, ist auch nicht gut für unsere Demokratie. Damit gehen wir wirklich vor die Hunde. Und darum geht es ein Stück weit an 23. 

00:33:53.000

Raul Krauthausen: Wo kommt denn eigentlich diese Besessenheit her, die Schuldenbremse aufrechtzuerhalten und bloß keine Schulden zu machen? Hab manchmal das Gefühl, Deutschland ist da ganz besonders stark drin im Vergleich zu anderen Ländern? 

00:34:07.000

Lisa Paus: Das ist so. Es ist ja nach wie vor so, dass tatsächlich die Hälfte der Bevölkerung das gut findet. Ich finde auch gut, dass wir vernünftig haushalten. Aber die Schuldenbremse, so wie sie ist, derzeit verhindert eben, dass wir vernünftig haushalten. Aber wenn man eben einfach fragt, Schuldenbremse, ja oder nein, dann ist die Hälfte der Deutschen immer noch dafür. Und das, obwohl, also früher wurden die Deutschen auch immer von entsprechenden Ökonomen darauf hingewiesen, dass das wichtig ist mit der Schuldenbremse, weil ansonsten die Stabilität insgesamt bedroht ist. Das sagt aber jetzt kein Wirtschaftswirtschaftler mehr. Da gibt es nicht den Unterschied zwischen den linken Ökonomen, die immer nur Geld raushauen wollen, und den anderen, den vernünftigen, die sagen, wir brauchen die Schuldenbremse und die Stabilität. Deutschland weiß, dass Stabilität ein wichtiger Wert ist. Und das ist auch so. Aber wir sind momentan ökonomisch, also wir haben jetzt eine Rezession, also wir sind geldpolitisch stabil. Wir sind aber weder ökonomisch stabil mit der Rezession noch sozusagen gesellschaftlich stabil, weil eben so viel Marode ist. Und deswegen sagen alle Ökonomen von links bis rechts, diese Schuldenbremse ist Gift für unsere Wirtschaft, ist Gift für unsere Gesellschaft, ist Gift für unsere Politik, unseren Staat. Wir müssen das ändern. Aber ja, was 20, 30, 40, 50 Jahre lang sozusagen für richtig wahrgenommen wurde, dass man da ein bisschen Misstrauen hat, das verstehe ich. Aber bitte hier auch mal auf die Wissenschaft hören. Die Wissenschaft sagt uns klar, was man tun soll. Und wenn jetzt manche Politiker sagen, wir sollten uns doch ein Beispiel nehmen an den USA, die Wirtschaftswachstumszahlen oder an andere europäische Länder, dann sage ich, ja, da müssen wir beide Seiten dieser Medaille nehmen, weil all die Länder, die bessere Wachstumsraten haben als wir, haben eine deutlich höhere Verschuldung. Weil sie eben genau das gemacht haben. Die hatten auch alle Krise und die haben eben die andere Schlussfolgerung gezogen und fahren damit besser, wir sollten das auch endlich tun. 

00:36:02.000

Raul Krauthausen: Ok, jetzt ist ja wahrscheinlich Christian Lindner in der kommenden Regierung nicht beteiligt, bzw. die FDP. 

00:36:07.000

Lisa Paus: Ja, nur. Also noch wirbt er ja jedenfalls für schwarz-gelb. Auch wenn jetzt der Kanzlerkandidat der Union sagt, jedes Prozent für die FDP ist ein Prozent zu viel. Schauen wir mal, wo es am Ende rauskommt. 

00:36:19.000

Raul Krauthausen: Ich gucke wirklich gerade auf den Wahlkampf wie auf so einen Verkehrsunfall, wo ich einfach denke, wow, das ist ja alles sehr schnell auseinandergebrochen und auch sehr schnell eskaliert. Es gibt manchmal so lichte Momente im Deutschlandfunk. Was mich daran nervt, ist, dass alle halbe Stunde eigentlich nichts Neues erzählt wird in den Nachrichten. Und dann einfach man auch so eingelullt wird mit so Pseudonachrichten, die eigentlich gar keine mehr sind, weil es von gestern auf heute nicht viel geändert ist. Aber manchmal gibt es eben so lichte Momente, wo dann irgendein Politikwissenschaftler, in vorbeikommt und einfach mal Dinge sagt, wo ich denke, das müsste die Bevölkerung viel öfter hören. Also zum Beispiel fragten die Journalistinnen jede halbe Stunde gefühlt, wie es denn jetzt in dem Ukraine-Konflikt weitergeht. Und eines Tages war der Herr Eschinger von der Sicherheitskonferenz im Interview und der meinte, dass der Deutschlandfunk damit mal aufhören sollte, so zu tun, als ob sich Frontverlauf in halben Stunden ändern würde. Also so ein Frontverlauf ändert sich in der Regel nur dann, wenn wir wissen, wer der nächste US-Präsident ist. Und das wissen alle. Alle, die in dem Ding beteiligt sind, wissen das und geben so lange Geld rein, wie es nötig ist. Und das fand ich mal eine Perspektive, die ich so noch gar nicht gedacht habe, die uns aber die Nachrichten auch gar nicht mehr erklären in dieser ganzen Verlautbarungsberichterstattung. Er hat gesagt, sie hat gesagt, es gibt keine große Einordnung mehr. Und dann gab es ein anderes Gespräch mit Herrn Bachmann, Wirtschaftswissenschaftler, und der sagte… Und der sagte… 

00:37:58.000

Lisa Paus: Woody! 

00:37:58.000

Raul Krauthausen: Genau, und der sagte, die einzige Partei, die die Schuldbremse auflösen kann, ist die CDU. Und die einzige Partei, die in Rüstung investieren kann, sind die Grünen und die SPD. Weil sie gesellschaftlich so gelesen werden, dass wenn selbst die das sagen, dann muss das ja stimmen. Und das heißt, es ist vielleicht sogar, und ich trau mich gar nicht, das zu sagen, aber im Sinne der Investition gut, wenn Schwarz an der Macht ist, um die Schuldbremse aufzulösen. 

00:38:0032000

Lisa Paus: In jeder Konstellation braucht es auf jeden Fall auch die Schwarzen, weil es ja eine Zweidrittelmehrheit braucht im Bundestag und im Bundesrat. Meine Wahrnehmung ist auch, dass es da eine Möglichkeit gibt, nach der Wahl darüber zu sprechen, weil ja auch alle CDU-Ministerpräsidenten sich sehr offen gezeigt haben für die Reform der Schuldbremse, weil sie eben auch vorne und hinten nicht klarkommen und weil sie eben auch feststellen, dass die Bevölkerung, von denen sie gewählt worden sind, zu Recht sagt, das geht nicht. Also was sie hier macht, das funktioniert nicht. Im Land Berlin derzeit. Wir haben über das Thema Bildungsmisere gesprochen. Wir haben über die Integrationsnotwendigkeiten und die zusätzlichen Bedarfe in der Kita und in der Schule gesprochen. Und gleichzeitig ist es so, dass Berlin jetzt 340 Millionen Euro rausspart aus dem Bereich Bildung, Kita und Jugend. Das in der derzeitigen Situation. Da muss man sich nicht wundern, wenn nächstes oder übern.chstes Jahr wieder die Hütte brennt. 

00:39:32.000

Raul Krauthausen: Ja, genau. 

00:39:32.000

Lisa Paus: Wir erinnern uns, der derzeitige Bürgermeister in Berlin ist gewählt worden aufgrund der Silvesterkrawalle, die es in Berlin gegeben hat. Danach war große Aufregung, oh, da ist was bei den Jugendlichen. Da ist ja Gewalt. Da muss man mal was tun. Da muss man mal präventiv tätig werden. So, und der gleiche regierende Bürgermeister verabschiedet jetzt einen Haushalt, wo eben in dem Bereich Bildung und Jugend jetzt eingespart wird 340 Millionen Euro. So, das zeigt, wie absurd die Situation ist und dass es dringend geändert werden muss. Und trotzdem war es die ganze Zeit über klar, dass eine Union das nur ändert, wenn sie dann auch selber das Geld ausgeben kann. Wahrscheinlich hat das schon ein bisschen was damit zu tun. Aber so oder so, ich bin in die Politik gegangen, nicht für Ruhm und Ehre für dieser Pause, sondern tatsächlich, weil ich was für die Menschen verändern will. Und deswegen sage ich da auch, mir ist am Ende egal, wie es zustande kommt, aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir das jetzt machen müssen, weil uns sonst hier die Hütte um die Luft fliegt. Und es ist so absurd, es wäre so einfach, was Vernünftiges zu machen. Lass es uns doch einfach tun. 

00:40:41.000

Raul Krauthausen: Wie hält man als Ministerin das eigentlich alles aus? Also die Leute, die ich kenne, die in der Politik sind, ob Landtag oder Bundestag, die arbeiten ohne Ende. Die haben super viele kurze Termine. Alle 10 Minuten ist was Neues gefühlt. Wie schafft man die Kraft eigentlich für sich zu halten auch über die vier Jahre mindestens, dass man daran nicht, keine Ahnung, sich mangelernährt, schlafmangelnd oder kaputt geht? 

00:41:13.000

Lisa Paus: Schlafen ist bei mir ganz wichtig. Ich habe immer schon gesagt, ich bin sehr froh, jetzt Ministerin zu sein, weil ich glaube, ich konnte auch wirklich was bewegen. Aber jüngst noch bin ich sehr froh, dass wir das mit dem Gewalthilfegesetz noch geschafft haben, also den Rechtsanspruch von jeder Frau auf Schutz vor Gewalt, dass die Frauenhäuser und Beratungsstellen ausgebaut werden. Das finde ich großartig. Aber ich kann schon mal sagen, selbst wenn es mir angeboten würde, ich würde niemals Bundeskanzlerin werden wollen, weil da habe ich definitiv meine Grenze. Ich brauche meinen Schlaf. 

00:41:45.000

Raul Krauthausen: Es ist noch mal krasser, Kanzler zu sein oder Kanzlerin? 

00:41:46.000

Lisa Paus: Definitiv. Es ist ja normalerweise so, dass eben gerade dann, wenn im Kalender der Urlaub drin steht, dass im Urlaub immer noch irgendwas passiert. Aber ansonsten ist es eben auch so ein Kanzler, also die haben im Schnitt fünf Stunden Schlaf vielleicht. Und ich muss schon über die Woche, ich muss nicht jeden Tag meine sieben Stunden Schlaf haben, aber über die Woche muss ich schon das irgendwie ausgleichen können. Dann bin ich gesund. Wenn ich unter sieben Stunden Schlaf habe, dann werde auch ich krank. Und das ist ja mal das mit Schutz sein, das Wichtigste. Bei mir momentan kommen tatsächlich Sport zu kurz. Ich mache jetzt Haustürwahlkampf, auch Treppensteigen, aber ansonsten haben wir fest vorgenommen, nach dem 23. Februar muss da mal wieder ein bisschen mehr Sport ran. Das Tolle an diesem Beruf ist ja schon, dass er so vielfältig ist. Also bei mir sind es jetzt nicht alle zehn Minuten, aber ja, gerne mal im Stundentakt ein neues Thema, neue Menschen. Und das empfinde ich, das ist natürlich auch ein Stress manchmal, aber es ist vor allen Dingen natürlich auch eine große Abwechslung und auch ein wirkliches Privileg, so viele verschiedene Lebensbereiche sozusagen reinschauen zu können. Und eben ja, die wollen ja mit mir sprechen, weil sie den Eindruck haben, ich könnte da auch was ändern. Und das stimmt ja auch oft. Also man kann ja auch tatsächlich immer kleinere, immer größere Dinge sozusagen ändern. Und das ist großartig, sowohl Bundeskanzler als auch, also den amerikanischen Präsidenten habe ich noch nicht getroffen, aber große wichtige Leute zu treffen und auch mal jetzt Schauspieler zu treffen und so weiter. Aber auf der anderen Seite eben auch eine Frau zu sprechen, die wirklich verzweifelt ist, weil sie seit 50 Jahren in ihrer Wohnung wohnt, 80 Jahre alt ist und jetzt eben die Eigenbedarfskündigung bekommen hat und was kann man da noch tun. Also diese Bandbreite. 

00:43:37.000

Raul Krauthausen: Kannst du dann was tun in dem Moment? 

00:43:39.000

Lisa Paus: Ich kann manchmal natürlich versuchen, mich mit meinem Namen sozusagen dann einzusetzen. Und manchmal klappt das meistens, oft klappt es nicht. Natürlich kann ich auch noch mal, wenn sie noch nicht die Rechtsberatung hat und so weiter, sie vermitteln. Weiß sie denn schon, die und die Menschen gibt es, die dir helfen können und so weiter. Solche Dinge kann ich tun. Weil ich natürlich mehr Wissen habe, was es an Beratungsangeboten gibt, wie die rechtlichen Situationen haben, wie Leute, die vorher nichts damit zu tun hatten und plötzlich dann von dieser furchtbaren Situation stehen. 

00:44:10.000

Raul Krauthausen: Weil das stelle ich mir tatsächlich sehr schwer vor, dass man ja auch alleine aufgrund des Namens, des Berufs, also Familienministerin, auch Erwartungen schürt, die man oft gar nicht erfüllen kann. 

00:44:23.000

Lisa Paus: Ja, also richtig schmerzlich ist natürlich, seitdem ich Familienministerin bin, kriege ich ganz viele Zuschriften über Unterhaltsstreitigkeiten, Sorgerechtstreitigkeiten und so weiter. Eine ganz furchtbare Geschichte, wo die natürlich sauer sind, dass ich nichts tue. Aber da kann ich wirklich nichts tun, sondern das sind eben Dinge, die vor Gericht dann ausgetragen werden müssen. Ich kann natürlich insgesamt noch mal darauf schauen, ist im Sorgerecht das rechtlich alles schon gut geregelt? Da wollten wir gemeinsam auch noch was auf den Weg bringen. Da waren wir auch schon sehr weit, der Marco Buschmann und ich. Also er hatte die Zuständigkeit, da ging es noch mal darum, dass grundsätzlich in entsprechenden Umgangs- und Sorgerechtstreitigkeiten, wenn Gewalt sowohl geschlechtsspezifisch als auch häufig stattgefunden hat, dass das automatisch berücksichtigt werden muss in den entsprechenden Prozessen. Es ist eigentlich unverständlich, dass das noch nicht Gesetzeslage ist. Genau, das wollten wir zum Beispiel ändern, solche Dinge noch mal grundsätzlich anzugehen. Aber bei Einzelfällen, wo es schon eine rechtliche Auseinandersetzung ist, da kann ich natürlich nichts machen. 

00:45:25.000

Raul Krauthausen: Würdest du noch mal antreten? 

00:45:46.000

Lisa Paus: Ja, ich trete ja noch mal an. 

00:45:27.000

Raul Krauthausen: Ich meine jetzt auch Familienministerin zu werden oder? 

00:00:3045.000

Lisa Paus: Also ich habe noch nicht fertig. Ich finde, ich habe einiges geschafft. Wir haben ein großes Kinderpaket geschnürt. Sowohl materiell haben wir mehr Geld, konnte ich mehr Geld für die Familien sozusagen organisieren und eben das Kita-Qualitätsgesetz auf den Weg gebracht, Ganztagsstaatschanceprogramm. Aber es gibt auch Gewalthilfegesetz und Selbstbestimmungsgesetz und so. Also wir haben schon einiges bewegt. Aber ich bin ja tatsächlich insbesondere in die Politik gegangen wegen des Themas Gleichstellung. Und da ist es eben so, wir haben die Gleichstellung noch nicht erreicht. Und deswegen habe ich nach wie vor einen großen Antrieb und ist auch genau das Ministerium. 

00:46:10.000

Raul Krauthausen: Da muss man aber noch ein paar Mal antreten. 

00:46:11.000

Lisa Paus: Bitte? 

00:46:11.000

Raul Krauthausen: Da muss man noch ein paar Mal antreten. Das hat man wahrscheinlich in den nächsten vier Jahren auch nicht. 

00:46:17.000

Lisa Paus: Genau. Aber jedenfalls glaube ich, also ich bin da jedenfalls ausrein motiviert. Ich finde übrigens auch, dass insgesamt wir auch nochmal das Thema Männerarbeit anders uns anschauen sollten. Auch das Thema Männerpolitik. Die sind jetzt zwar nicht vom Patriarchat unterdrückt. Aber leiden sozusagen an diesen Geschlechterstereotypen. Das hat sich ja nochmal wieder verschärft. Dass der Mann einfach nur stark sein muss und so weiter. Das ist natürlich auch nicht gut, wenn quasi für einen Mann nur akzeptiert ist, dass er sich freuen darf oder wütend ist. Also auch ein Mann hat ein Recht auf die ganze Breite der Emotionen und auch auf die ganze Breite an Berufsbildern und so weiter. Und das finde ich zum Beispiel etwas, was ich auch noch gerne in nächsten Jahren angehen würde zusammen mit anderen. 

00:47:13.000

Raul Krauthausen: Wenn ich nach meinem Vorbild gefragt werde, dann nenne ich immer Ruth Barber-Gainsburg, die ehemalige Verfassungsrichterin in den USA. Die ja auch gegen Geschlechterungerechtigkeit in der US-amerikanischen Verfassung gekämpft hat. Und lange belächelt wurde als Männerhasserin und so, bis sie dann eines Tages einen Fall übernahm von einem Mann, der diskriminiert wurde durch das Gesetz. Weil er glaube ich kein Pflegegeld bekam für seine Tochter. Und sie hat das quasi für ihn durchgestritten. 

00:47:50.000

Lisa Paus: Bis zum Supreme Court. 

00:47:50.000

Raul Krauthausen: Und das ist natürlich großartig und so habe ich dich jetzt auch gerade verstanden, dass Männerarbeit eben auch Geschlechterungerechtigkeit bedeuten kann. 

00:47:59.000

Lisa Paus: Ganz genau. 

00:47:59.000

Raul Krauthausen: Und wenn du gerade erzählst, dass der Kanzler in dem Moment einen Mann nur fünf Stunden am Tag schläft und die Kanzlerin davor auch keine Kinder hatte, sagt das ja auch was aus. Ist das überhaupt familienkompatibel, die Politik zum Beispiel? 

00:48:16.000

Lisa Paus: Nein, ist sie nicht. Deswegen habe ich auch mit mal initiiert Eltern in der Politik fraktionsübergreifend. Da haben wir ein bisschen was verbessern können. Aber es bleibt dabei. Ich habe 2009 meinen Sohn bekommen und bin tatsächlich quasi so ein bisschen die Generation der Politikerinnen, wo es, also wir hatten vorher auch schon als Grünen starke Politikerinnen, Renate Künast, Claudia Roth, andere. Und das war aber tatsächlich nur die Generation, die hatten keine Kinder. Und quasi mit meiner Generation kam das langsam, dass wir auch erkämpft haben, es muss auch möglich sein vorne in der Politik zu sein und Kinder zu haben. Und bei uns war es dann so im Berliner Abgeordnetenhaus, da war ich dann nicht alleine, sonst gab es noch eine Kollege von der SPD und wir haben dann eben auch das Kind mit dem Planerlsal genommen. Und dann war Walter Momper damals der Präsident des Abgeordnetenhauses und der hat gesagt, das geht nicht. Dann haben wir gesagt, was sollen wir machen? Das Berliner Abgeordnetenhaus war auch noch ein Teilzeitparlament. Für Abgeordnete gibt es keine Elternzeit. Also was sollen wir tun? Und dann kam das Thema langsam an, dann gab es auch im Abgeordnetenhaus für die Plenarsitzung einen extra Raum, eine entsprechende Unterstützung. Und beim Bundestag ist es genauso gewesen. Ich bin dann eben 2009 in den Deutschen Bundestag gekommen. 

00:49:42.000

Raul Krauthausen: Gerade als dein Kind auf die Welt kam? 

00:49:0044000

Lisa Paus: Er ist im Januar geboren und im September bin ich in den Bundestag gekommen. Deswegen habe ich das erste halbe Jahr sozusagen Abgeordnetenhaus und dann nach der Sommerpause quasi dann irgendwie Bundestag. 

00:49:0540.000

Raul Krauthausen: War er dann in den Bundestagskindergarten, wo man immer dran vorbeifährt, wenn man an der Spree langläuft? 

00:49:59.000

Lisa Paus: Ja, mein Sohn war tatsächlich in dem Bundestagskindergarten, allerdings weil auch der Vater Mitarbeiter im Bundestag war. Diese Bundestagskita ist nicht für Abgeordnete, sondern weil die Abgeordneten sind ja normalerweise auch in ihrem Wahlkreis, sondern der Bundestag selber hat 3000 Beschäftigte und natürlich noch mal zusätzlich die Beschäftigten der Fraktionen. Und die brauchen auch Kita-Plätze. Natürlich gibt es auch sonst Kita-Plätze, aber diese Betriebskita hat tatsächlich noch den Vorteil, dass sie eben lange Öffnungszeiten von 7 bis 18 Uhr entsprechen, sozusagen den Sitzungen, den Sitzungswochen und sie hat auch keine Ferienschließzeiten, was natürlich auch super wichtig ist. Und bei mir noch dazu kam, dass mein Mann dann auch schwer erkrankt ist, der ist dann später an Lungenkrebs gestorben. Also waren wir auch noch darauf angewiesen, nicht die lange Wartezeiten zu haben und so weiter, dann haben die mir tatsächlich geholfen. Aber diese Betriebskita ist eben deswegen nicht für Abgeordnete zuständig und deswegen hilft das eben konkret den Abgeordneten, wenn sie eben dann in Berlin sind, gar nicht weiter. Und deswegen haben wir eben da erstritten, dass es jetzt auch im Reichstag einen Raum gibt, wo eben dann Eltern mit ihren Kindern zwischendurch hingehen können, wo auch Betreuung sozusagen gebucht werden kann, wenn das irgendwie notwendig ist, hat es vorher da alles nicht gegeben. Und wir hätten gerne noch ein paar mehr Regelungen geschafft, aber wir haben uns auf ein paar Standards geeinigt. Wichtig ist natürlich dann, dass Sitzungszeiten eingehalten werden, dass sie möglichst auch noch einigermaßen Eltern kompatibel sind. Wir haben auch Empfehlungen gegeben sozusagen für die Parteien. Wir haben uns auch darauf verständigt, dass zumindest der Sonntag politikfrei sein sollte. Jetzt im Wahlkampf halte ich das nicht durch. Aber ansonsten ist das wirklich wichtig, weil als Politiker ist man ja tagsüber, macht man sozusagen Politik und abends und am Wochenende erklärt man es der Partei und den Bürgern. Und in jedem Dorf gibt es mindestens so und so viele Vereine. Jetzt in Charlottenburg- Wilmersdorf, kann ich Ihnen sagen, sind es 280.000 Menschen und zig Vereine für jeden der 54 Sonntage mindestens zwei. Und jeder sagt natürlich, sie muss nur einmal zu mir kommen. Aber trotzdem ist es eben so, dann sind alle Wochenenden weg. Und deswegen sich gemeinsam darauf zu verständigen, dass wir gerne da sind, aber dass es auch das Recht auf Freizeit für Politikerinnen gibt. Das ist wichtig, noch einmal festzuschreiben. Das muss man noch einmal wieder stärker aktivieren. 

00:52:42.000

Raul Krauthausen: Würde es denn Sinn machen, vielleicht sogar die Kanzlerin-Position oder auch die Ministerin-Position auf mehrere Köpfe zu verteilen? 

00:52:49.000

Lisa Paus: Es ist ja de facto so. Deswegen gibt es ja  eben Bundeskanzler und da gibt es eben natürlich die entsprechenden Minister. Sobald es eben um fachliche Ressortverantwortung geht. Also alles, was der Kanzler macht, dazu gibt es ja dann eben noch einen Fachminister. Für Außenpolitik gibt es ja Außenministerinnen und so weiter. Das gibt es ja schon. 

00:53:08.000

Raul Krauthausen: Aber das ist ja immer noch scheinbar zu wenig, wenn es so anstrengend ist. 

00:53:09.000

Lisa Paus: Ja, so ein Kanzler, es gibt ja immer dann G20-Regierungschefs, G7-Regierungschefs. Also diese großen Treffen gibt es, die müssen natürlich auch vorbereitet werden. Das ist auch wichtig. Und EU-Regierungschefs, die verschiedenen europäischen Räte, wo dann eben natürlich auch der Kanzler dann da sein muss. Deswegen haben wir auch immer Regierungserklärungen für die Gipfel im Deutschen Bundestag. Und Vielzahl geht natürlich drauf innerhalb einer Koalition, wenn sie sich nicht einig ist, daran zu arbeiten. Also ich habe zum Beispiel auch viele Stunden mit dem Bundeskanzler zur Kindergrundsicherung verbracht. Und wir konnten uns trotzdem nur kurz mit Herrn Lindner einigen und dann im Parlament ist es wieder ein bisschen auseinandergefallen. Das hängt natürlich immer darauf, wenn alle sich einig sind und man munter durchregieren kann, dann ist es wahrscheinlich ein bisschen entspannter. Aber das ist nicht die Realität. 

00:54:01.000

Raul Krauthausen: Wie läuft denn sowas hinter den Kulissen ab? Man hat vereinbart, wir sind 20 Uhr fertig und dann geht es bis Nachts um 4. Also irgendwann kann man ja auch nicht mehr. 

00:54:10.000

Lisa Paus: Ja, Angela Merkel soll ja der Legende gewesen sein, dass sie eben den wenigsten Schlaf und das beste Sitzfleisch hatte. 

00:54:20.000

Raul Krauthausen: Ist das ist auch eine Taktik, dass man sagt, ich kann länger durchhalten als du und dann kippt die andere Seite schon um. 

00:54:28.000

Lisa Paus: Wenn man das weiß und das harte Verhandlungen sind, dann ist man natürlich gut beratend, das mit einzubeziehen. Aber gut ist natürlich eine gute Vorbereitung. Wichtig ist immer eine gute Vorbereitung. Das ist immer, dass man sich auch vorbereitet darauf hat. Bei Verhandlungen geht es ja immer darum, das ist immer ein Aufeinanderzugehen. Also niemand wird sein Standpunkt komplett durchsetzen können. So ist das nicht in der Demokratie, sondern das geht ja auch um Respekt und dass man eben zusammenkommt. Deswegen ist eben für eine gute Verhandlung natürlich wichtig, dass man sich auch schon überlegt hat, was sind die Interessen des anderen, inwieweit kann ich darauf zugehen, welche weiteren Zwischenstunden habe ich. Manchmal freut man sich, dass man nicht alles geben musste, sondern was man sich überlegt hatte, sondern doch noch mehr von dem, was man eigentlich wollte durchsetzen kann. Und manchmal ist es anders. Eine Verhandlung ist eine Verhandlung. Da werden die Ärmel aufgekrempelt. Trotzdem sind die Verhandlungen besser, wenn man freundlich miteinander umgeht, mit einem guten Ton, nicht ausrastet. 

00:55:26.000

Raul Krauthausen: Gab es Ausraster? 

00:55:27.000

Lisa Paus: Wenig. 

00:55:30.000

Raul Krauthausen: Wenig. Also ich erinnere mich zumindest, als es um die Kindergrundsicherung ging, warst du die Ministerin, die von meinem Gefühl her zumindest am stärksten gegen gehalten hatte, was Schuldenbremse und Christan Lindner anging und dann mit Veto da versucht hast, auch deinen Standpunkt klarzumachen. Und am Ende kamen 2,4 Milliarden für die Kindergrundsicherung raus, obwohl irgendwie 11 benötigt waren, wenn ich das recht erinnere. Ist man dann – also die Zeit muss ja richtig hart gewesen sein, das zu verhandeln, auch auszuhalten, alle berichten über einen. Der Druck ist wahrscheinlich unfassbar groß. Wie steht man so etwas durch? 

00:56:19.000

Lisa Paus: Ich auf jeden Fall, indem ich ausgeschlafen da reingehe. Und ja, indem ich eben mir vorher überlege, wo sind meine Schmerzgrenzen, wo kann ich nicht drüber, was ist eben wichtig, damit dieses Projekt gelingt. Und diese Milliardenzahlen, die sind ja immer wieder da thematisiert worden. Mir war wichtig, dass es eine Kindergrundsicherung ist, die bei den Kindern wirklich was verändert, die bei den Kindern ankommt, die sowohl eine bessere Leistung ist als eben auch durch Digitalisierung und so weiter Automatisierung, dass eben bei all denen, die jetzt schon berechtigt sind, aber bei denen das Geld nicht ankommt, dass das eben auch klappt. Und beides sozusagen war immer wichtig. Und das war dann eben auch ein bisschen die Verhandlungsfrage in dem Zusammenhang. Und bei der Differenz in den Summen, da habe ich dann auch gesagt, okay, dann lasse ich Christian Lindner jetzt auch mal den Erfolg, dass er mich darunter gehandelt hat. Die Wahrheit ist, dass wir gemeinsam ein Gesetz verhandelt haben, was in der vollen Wirksamkeit ziemlich genau da gelandet ist, wo ich mir das vorgestellt hatte. Nicht 12 Milliarden, sondern gut 10 Milliarden. Aber es war eben auch wichtig für den Erfolg an diesem Wochenende, an diesem Tag, dass er 2,4 Milliarden sagen konnte und ich sagen konnte, es ist die Kindergrundsicherung. Und ich wusste, dass wir beide wissen, dass wenn das alles funktioniert, was wir machen, dass wir de facto über 10 Milliarden landen. 

00:57:55.000

Raul Krauthausen: Obwohl die von dir geforderten 5.000 zusätzlichen Angestellten in den Ämtern nicht kommen? 

00:57:59.000

Lisa Paus: Die habe übrigens nicht ich gefordert, um das hier auch nochmal zu sagen. Ich wollte auch keine zusätzliche Behörde, sondern ich wollte die bestehende Familienkasse ausbauen. Ich wollte, dass eben da die verschiedenen Leistungen gebündelt werden bei der Familienkasse. 

00:58:15.000

Raul Krauthausen: Was ja Sinn macht. 

00:58:15.000

Lisa Paus: Was ja total Sinn macht, weil die kennen alle, da stellen alle jetzt schon ihren Antrag auf Kindergeld. Alle Eltern haben Anspruch auf Kindergeld. Und diese Stelle sollte eben auch diese zusätzliche Leistung dann ausgeben. Das war mir auch deswegen wichtig, weil eben dann auch von außen niemand sehen kann, ob ich eben in Anführungsstrichen nur Kindergeld bekomme. 

00:58:35.000

Raul Krauthausen: Das ist auch nicht so schambehaftet ist. 

00:58:36.000

Lisa Paus: Ja genau. Oder ob ich eben zusätzliche Leistung bekomme. Das kennen wir insgesamt bei den Beanspruchungen von Sozialleistungen. Ja, es gibt auch ganz ganz minimal Missbrauch, aber die allermeisten Menschen haben ja erstmal eine Hürde zu überwinden, um tatsächlich da hinzugehen, einen Antrag zu stellen. Und viele tun es auch nicht, weil sie eben finden, das will ich nicht. 

00:58:57.000

Raul Krauthausen: Oder auch gar nicht wissen wie. 

00:58:57.000

Lisa Paus: Auch nicht. Genau. Davon gibt es auch ganz viele. Und es gibt aber auch welche, die dann auch immer noch sagen, ich will das auch gar nicht. Und unsinnigerweise sozusagen dann die Leistungen, auf die sie Anspruch haben, eben nicht in Anspruch nehmen. Und das finde ich falsch. Das wollte ich ändern. Und deswegen habe ich für die Kindergrundsicherung gekämpft. 

00:59:16.000

Raul Krauthausen: Und geht das auch ohne diese zusätzlichen Stellen? 

00:59:20.000

Lisa Paus: Ach so, genau. Die zusätzlichen Stellen. Ich wollte es bei der Familienkasse. Und ich wollte es eben aus den anderen Bereichen dann auch da bündeln. Und bei diesen 5000 Stellen sind eben die Stellen, die woanders wegfallen, nicht gegengerechnet worden. 

00:59:36.000

Raul Krauthausen: Na toll. 

00:59:36.000

Lisa Paus: Und das war aber auch schwierig zu kommunizieren, weil eben es wären Stellen weggefallen in den Ländern. Die haben natürlich gesagt nur… 

00:59:44.000

Raul Krauthausen: Andere wieder das Föderalismusproblem. 

00:59:44.000

Lisa Paus: Genau. Also Verwaltungsreform. Es ging im Kern auch um eine klare Verwaltungsreform. Und Verwaltungsreformen sind immer schwierig. Zumal wenn es eben darum geht, auf kommunaler und auf Länderebene auch was zu verändern. Und bei den Jobcentern. Und deswegen hatte ich dann leider sozusagen von den Betroffenen dann eben keine Unterstützung, sondern das Gegenteil. Und deswegen habe ich das dann kommunikativ nicht mehr einfangen können. Aber nein, diese Zahl kommt nicht von mir, sondern die kommt von der Bundesarbeitsagentur, die es ausgerechnet hat, die die wegfallenden Stellen nicht gegengerechnet hat. Aber da ich dann sozusagen die anderen dagegen mich hatte, habe ich gesagt, okay, das macht jetzt keinen Sinn. Ich streite jetzt auch nicht um einzelne Stellen. Sondern dann ist es eben so, ich muss einsehen, dass es nicht in einem Schritt machbar ist, sondern wir machen dann die Kindergrundsicherung in zwei Schritten. Und so hatten wir es dann eben auch angelegt. 

01:00:37.000

Raul Krauthausen: Schade, dass das da in den Medien so nicht rüber kam. Dass es ja dann am Ende eigentlich relativ verfolgreich war. 

01:00:44.000

Lisa Paus: Ja. Es kam auch in den Medien nicht vor, dass wir die Autobahngesellschaft sehr wohl auf Bundesebene gegründet haben, neu. Und dass sie 13.000 Stellen neu geschaffen hat. Wir haben auch nicht darüber geredet, dass der Christian Lindner eine neue Behörde schaffen wollte, die 2.000 zusätzliche Stellen brauchte. Über all diese Stellen haben wir nicht geredet. Wir haben auch nicht darüber geredet, dass in der letzten Legislaturperiode die Einführung der Grundrente zusätzlich um die 3.000 Stellen gebraucht hat. Über all das haben wir nicht geredet, weil da gab es kein politisches Interesse von anderen Menschen. Und da ging es auch wirklich nur um zusätzliche Stellen sozusagen. Das mobilisiert dann eben auch nicht, andere Stellen das zu kritisieren. Bei mir war es eben anders und hat dann eben zu diesem Ergebnis geführt. Aber es geht darum, politische Mehrheiten zu finden. Und ich habe dann eben festgestellt, ich kann mich jetzt hier noch so der im Kreis drehen und über Stellen streiten. Ich habe offenbar derzeit keine Unterstützung für dieses Konzept. Also muss ich eben zusammen mit den Beteiligten daran arbeiten, dass wir das in mehreren Stufen gemeinsam auf den Weg bringen. 

01:01:54.000

Raul Krauthausen: Da muss man auch, und ich meine das gar nicht so negativ, wahrscheinlich auch sein eigenes Ego dann so ein bisschen hinten anstellen. Also dass es um die Sache geht und eben nicht darum Recht zu haben. 

01:02:05.000

Lisa Paus: Genau. Also ich bin da tatsächlich ins Gelingen verliebt in die Sache. Und ja, also ich bin wer ich bin. Ja. Ich glaube, so eine Eitelkeit gehört jetzt nicht zu meinen hervorstechendsten Eigenschaften. 

01:02:13.000

Raul Krauthausen: Wie nach dem Bruch der Ampelkoalition, wurden ja trotzdem Gesetze verabschiedet. Als Gewaltschutzhilfegesetz oder wie das heißt. Wie kommt es, dass dann bestimmte Dinge doch noch genügt… 

01:02:26.000

Lisa Paus: Auch das UBSKM-Gesetz, also das Gesetz zur Stärkung des Kinderschutzes in Deutschland, haben wir auch noch geschafft. 

01:02:0310.000

Raul Krauthausen: Wie kommt es, dass man trotzdem es noch irgendwie hinbekommt, Dinge zu entscheiden, obwohl der Koalitionspartner weggebrochen ist? Wer organisiert sowas? Diese Dinge können wir doch noch durchbringen. Und warum schaffen es einige Gesetze und andere nicht? Also in Bezug auf Barrierefreiheit, Inklusion… 

01:02:48.000

Lisa Paus: Das hat es nicht mehr geschafft. 

01:02:49.000

Raul Krauthausen: Hat es nicht mehr geschafft. Und woran scheitert sowas? Oder gelingt? Mir wurde immer gesagt, an Bushmann scheitert es. Aber das fand ich auch zu einfach. 

01:02:57.000

Lisa Paus: Ja, die Wahrheit ist, dass es da… Genau, also während der Ampelzeit war das so. Das ist an der FDP gescheitert. Und danach war es eben so, dass bei der FDP dann klar war, warum sollten die jetzt ihre Meinung dazu ändern? Also geht es eben darum, findet man bei der Union entsprechende Unterstützung. Und warum die Union das in dem Thema jetzt nicht gemacht hat, weiß ich jetzt nicht genau. Das habe ich jetzt nicht verhandelt. Aber es war jetzt immer dann die Debatte bei den Gesetzen, die dann schon im Bundestag lagen. Was ist damit passiert? Hat die Union sehr klar überlegt entlang dessen, müssen wir das jetzt noch machen? Oder können wir uns sich selber auch damit schmücken? 

01:03:43.000

Raul Krauthausen: Ah, okay. 

01:03:44.000

Lisa Paus: Das war jetzt von mir ein bisschen flapsig formuliert. Aber wie weit hat das auch noch Zeit? Und inwieweit haben wir vielleicht noch eigene Dinge? Das kann jetzt das Positive wäre, die wollen das dann tatsächlich danach noch größer machen. Und das sind sich auch unsere eigenen Revéreheften. Das ist eine Variante, warum dann die Gesetze nicht mehr beschlossen worden sind. Dann insgesamt war natürlich, wenn wir jetzt ganz viel noch schaffen in dieser Zwischenzeit, das ist auch nicht gut. Also aus Unionssicht, aus Oppositionssicht. Aber bei meinen beiden Gesetzen war es eben so, bei dem Gesetz zur Stärkung des Kinderschutzes, da war schon die Anhörung gewesen vor dem Ampelbruch. Und das war sozusagen da schon klar, dass das fraktionsübergreifend alle eigentlich wollen. Und dass man da ein bisschen ein Problem hat, warum soll das jetzt noch irgendwie drei Monate liegen bleiben? Oder vier oder fünf. Und deswegen haben wir das zum Beispiel noch geschafft. Bei Gewalthilfe hat,

glaube ich, schon eine Rolle gespielt, dass eben anders als früher das Thema Gewalt gegen Frauen nicht mehr nur als Randthema wahrgenommen wird, sondern inzwischen alle verstanden haben, dass das ein Thema aus der Mitte und in der Mitte unserer Gesellschaft ist, dass eben leider geprügelt, geschlagen, bedroht wird, egal in welcher Schicht. Egal ob auf dem Land oder in der Stadt, das passiert überall. Es ist sogar leider so, es gab jetzt noch mal eine jüngste Umfrage unter jungen Männern. Also wie sieht es bei euch aus? Wie findet ihr das? Gewalt gegen Frauen. Und dann hat doch fast jeder zweite junge Mann gesagt, kann doch mal passieren. Und das ist sozusagen aktuelle Situation in Deutschland. Und gleichzeitig ist aber klar, dass das gar nicht geht. Und

deswegen war da, glaube ich, tatsächlich der politische Druck, der sich eben auch in den letzten Monaten dazu aufgebaut hat, so groß, dass dann wir mit der Union zusammen uns verständigen konnten, ja, das ist ein Thema. Da können wir nur alle verlieren, wenn wir das jetzt nicht machen. Und da können wir alle gewinnen, wenn wir das jetzt gemeinsam hinbekommen. Und solche Konstellationen, die wurden abgeklopft bei jedem einzelnen Gesetz. 

01:06:03.000

Raul Krauthausen: In der sich polarisierenden Gesellschaft, die wir gerade erleben, nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit, hat ich  jetzt aber kurz die Frage, ob das nicht so eine Art auch Hoffnungsschimmer ist, wenn ja die Mitte der Gesellschaft, die im Parlament repräsentiert sein sollte, dann doch noch in der Lage ist, Regierung und Opposition bestimmte Themen zu entscheiden, auch wenn es, sagen wir mal, jetzt nicht dem eigenen Marken-Image dient oder so. 

01:06:34.000

Lisa Paus: Genau. Also für mich hat das nicht vollständig versöhnt mit der letzten Woche, aber es war auch wichtig, ja. Weil im Deutschen Bundestag hat ja in der letzten Sitzungswoche diese Zensur stattgefunden. Friedrich Merz hat sein Wort gebrochen und erstmalig im Deutschen Bundestag ist eben ein Antrag angenommen worden mit den Stimmen der AfD. Also ich war, aber nicht nur ich, sondern viele, aber auch ich war einfach geschockt und fassungslos. Ich trinke normalerweise keinen harten Alkohol, aber nach diesem Mittwoch-Nachmittag habe ich gesagt, ich brauche jetzt ja auch wirklich mal, also jetzt ist wirklich der Moment für den Schnaps, weil ja, aber es passiert war und was nicht passieren darf. Und umso wichtiger war es dann aber eben auch diese Hoffnungsschimmer, diese Lichtstrahlen dann eben auch mitzubekommen, dass das eben noch gelungen ist. Und ja, wir haben dann eben am Freitag das Gewalthilfegesetz beschlossen. Damit ist es jetzt so, wenn auch der Bundesrat zustimmt, am 14. Februar hoffentlich, dass dann jede Frau das Recht auf Schutz vor Gewalt haben wird, dass wir die Frauenhaus- und Beratungsinfrastruktur mit 2,6 Milliarden Euro vom Bund ausbauen werden und dass dann eben Frauen sicher sein können, dass wenn sie konkret Hilfe und Schutz brauchen, dass sie den auch endlich bekommen. Und auch das Kinderschutzgesetz ist noch beschlossen worden und deswegen, ja, hat es meiner Seele gut getan, ehrlich gesagt. Aber hoffentlich haben wir ja auch was für die Menschen im Land verhindert. 

01:08:12.000

Raul Krauthausen: Ja, da hast du ja ein Thema aufgemacht, Brandmauer und die Polarisierung der Gesellschaft, die ja, wie gesagt, nicht nur in Deutschland gerade grassiert, was müssten Maßnahmen sein, die man jetzt tun kann, um Schlimmeres zu verhindern? Also wir sehen ja in den USA wie in kürzester Zeit ganze Prinzipien abgeräumt werden, abgerissen werden, die jahrzehntelang für sicher galten, dass plötzlich, ja, Entwicklungshilfe- Maßnahmen eingestellt werden, Gesundheitsversorgung eingestellt wird, Menschen entlassen werden in Regierungen. Wie können wir verhindern, dass so was bei uns nicht noch schlimmer wird? 

01:08:55.000

Lisa Paus: Ja, verhindern können wir es nur durch entsprechende demokratische Mehrheiten. Ansonsten gibt es da nicht den definitiven Schutz. Wir haben es auch noch geschafft, im Bundestag das Bundesverfassungsgericht ein Stück weit sozusagen resilienter zu machen, indem wir dann nochmal die Verfahren so gemacht haben, dass es schwieriger wird, für eine AfD sozusagen auch direkt das Verfassungsgericht anzugreifen. Aber ansonsten ist es eben so, dort, wo es andere Mehrheiten gibt, da verändert sich was. Ich war zum Beispiel jetzt auch jüngst in Dresden. Und in Dresden ist es jetzt so, dass dort auch schon de facto die Union mit der AfD stimmt. Die haben jetzt auch einen Haushalt zu verabschieden, haben hausdauerpolitische Probleme. Und auch in Dresden ist es so, dass eben gerade dort in den Stadtteilen, wo es eben besonders schwierig ist, wo der Migrationsanteil hoch ist, dass jetzt da beispielsweise eben auch Familienzentren geschlossen werden und weiteres. Das sind eben Dinge, die jetzt einfach passieren, wenn die demokratischen Kräfte eben nicht zusammenhalten und die Brandmauer eben nicht steht. 

01:10:11.000

Raul Krauthausen: Fehlt vielleicht so eine Art Vision 2040 von den Progressiven, also dass man auch mal andere Narrative setzt und nicht immer nur sagt, die Migrant,innen sind schuld und die, also so einfache Wahrheiten. 

01:10:26.000

Lisa Paus: Narrativ ist wichtig, Zuversicht ist wichtig. Ich habe jetzt auch gerade gesagt, hatte da auch so einen Loom-Stay, definitiv, aber es nützt ja nichts. Sondern sozusagen mit Angst hat man noch nie gewonnen, sondern es kommt eben gerade jetzt darauf an, gegen Hass Liebe zu setzen, gegen Frust Zuversicht zu setzen und so. Aber es muss sich ja auch aus irgendetwas speisen. Und deswegen ist es eben so wichtig, das, was ich jetzt vor ein längerer Zeit gesagt habe, dass wir eben erstens auch an Narrativen arbeiten, aber vor allen Dingen eben konkret den Leuten die Perspektiven geben. Und deswegen braucht es eine Investitionsoffensive in alle Bereiche. Deswegen ist das so wichtig. Und das ist kein rausgeschmissenes Geld. Im Gegenteil, das wird sich mehrfach auszahlen. Sowohl direkt, wenn es jetzt um klassische Infrastruktur für die Wirtschaft geht, aber auch in die Bildungsinfrastruktur. Das wird sich alles direkt auszahlen. Und auch wenn wir investieren in mehr gemeinsame Orte. Sport ist schon mal gut, aber auch jenseits des Sportes. Und dann eben in diesen Orten darauf auch achten, dass eben der Hass zurückgedrängt wird und das gemeinsam in den Vordergrund geht. Dann klappt das. Die Leute brauchen ein anderes Erleben. Wir sind alle soziale Wesen. Wir wollen alle geliebt werden. Wir reagieren aggressiv darauf, wenn das nicht passiert. Aber wir haben es auch alle in der Hand, dass wir mehr Liebe haben. 

01:11:48.000

Raul Krauthausen: Ja und auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit, dass die Bevölkerung das Gefühl mehr bekommt. 

01:11:55.000

Lisa Paus: Das ist ja auch das Normale. Wenn eine Krise ist, dann haben wir Angst, dann sind wir unsicher, dann wollen wir eigentlich alle etwas tun. Klassischerweise weglaufen. Und wenn das mit dem Weglaufen nicht geht, stehen bleiben, aber dann wollen wir etwas tun. Deswegen ist es wichtig, dass wir das ermöglichen. Übrigens auch mit den Menschen gemeinsam. Weil das haben wir bei Corona auch gesehen, da hat der Staat irgendwie alles hingesetzt und alle Leute waren aber zum Nichtstun verdammt. Das ist nicht gut. Sondern Krise bewältigt man eben auch, indem man selber dabei ist, selber etwas tut und nicht, dass jemand etwas für einen tut. Das ist sowieso das Kern Ding von Inklusionspolitik. Das entscheidende ist nicht, was für die Leute zu tun, sondern was mit den Menschen zu tun. Dass wir es gemeinsam tun. Und das ist genau das, was wir jetzt auch brauchen. 

01:12:47.000

Raul Krauthausen: Aber ich als Bürger kann ja meine Mieten nicht senken. Das kann ja nur jemand anderes für mich tun. Und wenn es jetzt um solche Sachen geht, dass alles teurer wird, dass ich das Gefühl habe, aufgrund von Anmeldung von Eigenbedarf, finde ich keine Wohnung, das Bürgergeld nicht reicht. 

01:1300:00.000

Lisa Paus: Genau. Eigenbedarf, das kann der Staat eben gesetzlich anders regeln. Bei der Miete eben auch. Das kann der Staat anders regeln. Wir hatten schon mal eine Mietpreisbremse, die jetzt wegen Ampel und FDP sozusagen jetzt erstmal ausgelaufen ist, die jetzt dringend verlängert werden muss, aber die vor allen Dingen auch Lücken hat, die geschlossen werden müssen. Wir brauchen auch bei angespannten Wohnlagen wie hier in Berlin, brauchen wir auch die Möglichkeit, Mietsteigerungen überhaupt erstmal nicht nur zu bremsen, sondern auch zu stoppen. Das sind alles Dinge, die der Gesetzgeber machen kann. Aber gleichzeitig ist es eben auch so, dass zum Beispiel jetzt, ja, dank Robert Habeck, man eben auch an seinen Balkonen eine Solaranlage machen kann. Und das ist dann schon wieder ein bisschen mitmachen im Sinne von ich bin auch Teil sozusagen der klimaneutralen Bewegung und solche Dinge meine ich. 

01:13:52.000

Raul Krauthausen: Du als Volkswirtschaftlerin kennst ja wahrscheinlich auch den Begriff der versunkenen Kosten. 

01:13:59.000

Lisa Paus: Ja, sowas von. 

01:13:59.000

Raul Krauthausen: Dass man immer hier ein bisschen was… Genau. Dass man da immer ein bisschen was investiert und da ein bisschen was und am Ende ist es für alle teuer. Und der Bürgergeldempfänger denkt sich ja, fünf Euro mehr im Monat, da kann ich mir jetzt auch nichts von kaufen. Also alle haben was getan, aber niemand ist zufrieden. 

01:0140:17.000

Lisa Paus: Genau. Davon brauchen wir weniger. 

01:14:21.000

Raul Krauthausen: Und genau, wir bräuchten ja im Prinzip so eine Art grundsätzliche Reform. Ich weiß nicht, wie die aussehen könnte, aber die ein bisschen größer denkt, die dann irgendwie sagt, okay, vielleicht müssen wir grundsätzlich erstmal dafür sorgen, dass das, was man bekommt, reicht. Und man nicht um fünf Euro feilscht. Also ich hätte es leichter gesagt von meiner Position her. Aber vielleicht gibt es andere Stellschrauben, die viel effizienter wären. Zum Beispiel verhindern das Mietensteigen oder zum Beispiel ÖPNV kostenlos machen oder Essen in Schulen und Kitas gut und kostenlos machen. Bildungsmaterialien gut und kostenlos machen. Und ohne ständig zum Amt zu rennen, dass es wahrscheinlich effizienter wäre, als immer nur ein bisschen Bürgergeld zu erhöhen. 

01:15:06.000

Lisa Paus: Mobilität. 

01:15:06.000

Raul Krauthausen: Mobilität, ja. 

01:15:07.000

Lisa Paus: Besser und günstiger machen. Genau. Kann ich alles mit unterschreiben. Kann ich alles mit unterschreiben. Das ist eben der Punkt. Wir brauchen, das, was du genannt hast, sind ja alles Dinge, die man unter Infrastruktur fasst. Also Schulen, Kitas, ÖPNV, Wohnen als Grundrecht. Jeder Mensch braucht eine Wohnung. Das ist ja überhaupt das Allerschlimmste, wenn man da aus seinen eigenen vier Wänden raus muss. Also all das muss irgendwie gewährleistet sein. Aber gleichzeitig brauchen wir eben auch mehr Begegnungen. Und wir brauchen andere Formen von Sozialzusammenhalt. Und deswegen natürlich ist, meine Vision ist eine klimaneutrale, gerechte Gesellschaft, wo jeder nach seinen Bedürfnissen und jeder nach seinen Bedarfen. Das ist dann ganz klassisch. 

01:16:01.000

Raul Krauthausen: Wenn du jetzt deine Amtszeit rückblickend betrachtest, was würdest du anders machen? 

01:16:07.000

Lisa Paus: Also ich bin, glaube ich, mit einem guten Schwung gestartet. Ich würde sicherlich sozusagen bei der Kindergrundsicherung unterwegs ein bisschen was anders machen. Und es ist schon so, dass ich eben am Anfang, ich wusste natürlich sozusagen, Hauptstadtpresse ist der Wahnsinn. Aber Wissen und schon damit umgehen können, das ist nochmal was anderes. Und deswegen habe ich da jetzt einiges gelernt. Das kann ich jetzt nicht rückgängig machen, aber das, was ich jetzt gelernt habe, das hätte ich gerne schon am Anfang gewusst. Und dann hätte ich einiges noch anders machen können. Aber insgesamt muss man einfach festhalten, diese drei Jahre Ampel, die waren durch andere Dinge geprägt. Und deswegen war es einfach so, dass ich für mein Ressort viel damit beschäftigt war, das zu halten, was ich hatte. Weil es ging ja auch nochmal um Kürzungen und das zu verhindern, dass es da harte Einschnitte gibt in meinem Bereich. Sondern stattdessen tatsächlich auch noch mehr zu erreichen für Familien, für Kinder, auch den Freiwilligendienst jetzt doch noch abzusichern. Auch den Kinder- und Jugendplan da ein Stück weit weiterzuentwickeln. Von daher bin ich ehrlich gesagt insgesamt schon zufrieden, obwohl es natürlich bitter ist, zu sehen, dass im Koalitionsvertrag so viel Mehrstand für meinen Bereich das aber sozusagen sich dann im Alltag einfach sofort zeigte. Das kann ich jetzt so nicht machen, weil eben bei den Koalitionsverhandlungen die Finanzverhandlungen nicht parallel dazu stattgefunden hatten. Also all das, was sozusagen an guten Versprechungen in meinem Kapitel drinstand, da gab es keine Finanzierung dafür. Und da konnte ich jetzt zwar einiges retten, weil ich eben Finanzerin bin von Hause aus, weil ich eben natürlich auch Haushaltspolitik kann. Aber ich konnte natürlich auch keine Milliarden herzaubern. Und das war dann teilweise ein bisschen bitter. 

01:18:23.000

Raul Krauthausen: Was sind denn deine zwei, drei Lessons learned oder Lifehacks, die du gerne früher gewusst hättest? Wie geht man mit der Hauptstadtpresse um? 

01:18:31.000

Lisa Paus: Auf jeden Fall immer aktiv. Es ist schon so, dass mit dem eigene Pins setzen, ja, sozusagen diese ganze Hintergrundkommunikation, dass

sie eben super wichtig ist. Und das fand ich ehrlich gesagt schon immer blöd, dieses hintenrum über andere Leute so und so reden. Das geht mir komplett ab. Also immer wenn Leute das machen, schlecht oder so, über Leute reden, das kann ich überhaupt nicht leiden. Das lehne ich für mich persönlich total ab und muss aber festhalten, dass das im politischen Berlin Standard ist und das wirklich zu einer sehr, sehr hohen Kunst entwickelt worden ist. Und ein Thema war natürlich, dass jetzt all die Journalistinnen, die jetzt für meinen Bereich zuständig sind, zum Beispiel praktisch alles Frauen sind. Und ein Mann, als ich ins Amt kam, dachte ich, ich mache das wie Annalena Baerbock. Die hat extra so einen

Hintergrund gemacht nur für Frauen, um nochmal klar zu machen, dass sie eben feministisch Außenpolitik macht, dass es ihr wichtig ist, sozusagen Frauen auch die gleiche Zugang zu geben und so weiter. Und dann wollte ich das bei mir auch machen und habe festgestellt, das macht überhaupt keinen Sinn, weil bei mir sind es nur Frauen. Und das war zum Beispiel ganz interessant mit der Kindergrundsicherung, weil es dann ja plötzlich um Geld ging und weil ich dann ja plötzlich in den Konflikt ging mit dem Finanzministerium, wurden dann plötzlich in den Redaktionen überall dann eben die Finanzjournalisten praktisch federführend für das Thema. Von denen kannte ich noch einige aus meiner alten Zeit als Finanzerin, deswegen haben die jetzt nicht grundsätzlich gesagt, die Paus hat ja keine Ahnung. Aber es war schon so, dass ich gemerkt habe, in den Redaktionen hat sich das dann verschoben. 

01:20:18.000

Raul Krauthausen: Harte Themen, weiche Themen. 

01:20:19.000

Lisa Paus: Das war dann plötzlich ein hartes Thema. Und dann hatte ich natürlich mit einer ganz anderen Wucht da zu tun, weil diese Journalisten haben natürlich normalerweise mit den Kinderthemen überhaupt nichts zu tun. Und fanden das dann eben auch unterschiedlich wichtig. Bis hinzu nicht so wichtig. Und das noch ein bisschen stärker zu antizipieren. Das wäre vielleicht ganz gut gewesen. Ich habe das dann erlebt, konnte dann teilweise gegensteuern und so, aber eben nicht so umfänglich, wie wir es eben bei der Debatte um die 5000 Stellen gesehen haben. Das hat eben einfach kommunikativ nicht hingehauen und dann musste ich eben einfach nochmal einen Schritt zurückgehen und nochmal neu Anlauf nehmen. 

01:20:59.000

Raul Krauthausen: Jetzt hast Du schon mehrfach gesagt, als Ihr den Koalitionsvertrag geschrieben habt, da hat man sich vorgenommen und dann ist aber die Realität gekommen und Dinge geschahen, die dann wahrscheinlich die Prioritäten verschoben haben. Das Problem ist, in meinem Bereich, Inklusion, Barrierefreiheit, Menschen mit Behinderungen, wird uns das eigentlich schon immer gesagt. Dass immer irgendwas wichtiger ist. Wirtschaftskrise, Corona, Flüchtlingskrise. 

01:21:28.000

Lisa Paus: Alles. Alles ist wichtig. 

01:21:28.000

Raul Krauthausen: Ständig ist irgendwas wichtiger. Wie schafft man es denn, die Themen, die auch wichtig sind, trotzdem zu retten? Also das ist sehr frustrierend, als jemand, der für diese Rechte streitet, jetzt nach so viel Hoffnung zu erleben, dass in Bezug auf behinderte Menschen die Ampelkoalition jetzt nicht so viel hinbekommen hat. 

01:21:53.000

Lisa Paus: Ne, auch in meinem Bereich. Wir haben uns ja auf den Weg gemacht, weiterzuführen aus der letzten Legislaturperiode, inklusive Kinder- und Jugendhilfe und haben da einen tollen Beteiligungsprozess gemacht. Das haben ja auch 5000 Menschen beteiligt, also in verschiedenen Bereichen, die Eltern, die Fachverbände und so weiter und so weiter. Und haben dann einen Gesetzentwurf gemacht, der mit Sicherheit auch noch dann kontroverser diskutiert wird, aber erstmal, glaube ich, einen guten Stand gebracht hat, weil er auf der einen Seite

eine Weiterentwicklung ist, aber auch sehr pragmatisch ist. Sodass eben die Länder, die Verwaltungen sagen „Okay“, aber auch die Betroffenen und die Eltern und so auch sagen, es ist aber auch ein Schritt in die richtige Richtung und wir haben jetzt nicht ganz tiefe Sorgen, dass es keine Verbesserung ist und dass es vielleicht Rückschritte gibt, sondern wir glauben schon, insgesamt kann das so hinhauen. So, das haben wir da soweit geschafft, aber trotzdem ist es eben so, dass es keine größere öffentliche Wirkung hatte. Ehrlich gesagt, ich habe das auch bewusst so gemacht, weil ich eben auch nicht wollte, dass das plötzlich wahrgenommen wird als Zankapfel, dass plötzlich das Thema ist „Oh, das könnte so und so viel kosten, das geht schon gar nicht“, sondern ich habe es auch bewusst ein bisschen unterm Radar gefahren, um es eben da hinzubekommen. Das ist tatsächlich ein Gesetz, das war eigentlich an dem Tag des Ampel-Auses, auf der Tagesordnung im Kabinett und ist auch eins von den Gesetzen, die wirklich in allerletzten Sekunde da irgendwie noch gescheitert ist. Klassischerweise muss sowas vor die Klammer, weil es eben so umfassend und so breit ist und klassischerweise kommt es aber ganz, ganz hinten als etwas, was dann noch zusätzlich kommt und wo dann aber alle schon sagen „Oh, das geht aber jetzt gar nicht mehr“. Das ist, das weiß ich nicht, wie man das kurzfristig ändern kann, ehrlich gesagt, weil es ja eben ein Thema ist, was eben nicht jeden Tag sozusagen auf der ersten Seite steht, überhaupt nicht. Es gibt noch andere Themen, das macht es jetzt nicht besser, aber um nochmal ein anderes Thema zu nennen, bei der Pflege ist es ja ähnlich. Auch da haben wir ein bisschen was gemacht jetzt in der Ampel, aber etliches ist sozusagen da auch liegen geblieben. Ich zum Beispiel hätte sehr, sehr gerne auch noch die Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige auf den Weg gebracht. Ganz, ganz wichtig, seit Jahren völlig klar, dass das dringend gebraucht wird. Trotzdem habe ich das auch nicht durchbekommen und habe dann aber trotzdem jede Woche

immer gelesen bei den Themen, wichtige Themen für die Bevölkerung und wo ist die Unzufriedenheit am größten? Weil die Pflege ziemlich weit oben und die Unzufriedenheit ganz, ganz oben. Es gibt eine riesige Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die Situation in der Pflege, aber es spielt öffentlich keine Rolle. 

01:25:04.000

Raul Krauthausen: Und selbst wenn man es lösen würde, gäbe es ja auch kein Danke, dann wäre dann eher so, ok der Druck ist raus, aber man bekommt dafür auch kein Lob wahrscheinlich. 

01:25:13.000

Lisa Paus: Eben, weil Lob kriegt man ja nur, wenn es eben vorher ganz vorne in der Zeit stand. Aber das ist eben so, dass gerade die besonders vulnerablen Gruppen und pflegende Angehörige wissen auch nicht wohin mit ihrer Situation und pflegende sowieso nicht. Und die haben nicht noch zusätzlich Zeit, Riesenkampagnen zu machen und so weiter. Und sind eben nicht so gut vernetzt mit weder regionaler Zeitung noch sonst irgendwie. Deswegen passiert das nicht. Und umgekehrt, wenn dann eben das Geld kommt oder andere gesetzliche Änderungen gemacht werden, die ihnen das Leben konkret verbessern. Dann sind die natürlich persönlich sehr, sehr froh, aber dann ist es trotzdem nicht so, dass sie dann noch eine große Demo organisieren oder so, die dann nochmal sagt, danke. Und das sind natürlich beides Dinge, die schlecht sind im politischen Prozess, weil Politik funktioniert darüber, dass eben Interessen vorgebracht werden, öffentlich wahrnehmbar sind und dann gelöst werden. 

01:26:18.000

Raul Krauthausen: Also ist im Prinzip Politik die ganze Zeit nur Feuerlöschen? 

01:26:19.000

Lisa Paus: Nein, Feuerlöschen heißt ja, wir haben ja schon darüber gesprochen, dass es sehr viel Sinn macht, eben auch vernünftig langfristig zu machen, Strukturen zu verbessern und so weiter. Damit eben Dinge grundsätzlich erstmal funktionieren. Die Leute wollen einen funktionierenden Start. Die sind es Leid, dass eben die

Dinge nicht funktionieren. Aber es ist schon ein bisschen so, tu nicht nur Gutes, sondern rede auch darüber. Die Leute kriegen nicht mit. Also wir haben zum Beispiel als Ampel ja doch, wir haben jetzt wieder darüber gesprochen, was bei der Ampel nicht funktioniert hat. Aber ich habe ja gesagt, viele Gesetze haben aber auch, wir haben viele Gesetze gemacht. Auch da galt, dass wir mehr darüber gesprochen haben, was nicht geklappt hat, als das, was geklappt hat. Und das ist wichtig für die Menschen. Die Menschen wollen verstehen sozusagen, da war das, da ist das Problem. Wir haben darüber geredet, da gibt es die Lösung. Aber wenn über das Problem nicht geredet wird, dann wartet auch keiner auf die Lösung. Und ja, es gibt so und so viele Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Trotzdem sind sie immer noch öffentlich nicht so stark sichtbar. Menschen im Rollstuhl sind stärker sichtbar. Andere Menschen mit anderen Behinderungen sind nicht so stark sichtbar. Ich glaube, Deutschland hat sich zum Glück daran gewöhnt, dass es eben jetzt auch viel Gebärdensprachdolmetschung gibt in den verschiedenen Sendungen. Aber darauf reduziert sich das dann ja auch schon ein bisschen. 

01:27:45.000

Raul Krauthausen: Ich finde es so interessant, weil ich habe mit Aladin auch darüber gesprochen, dass sein Thema ja Vielfaltsgesellschaft, Diversität, Bildung und so weiter ist. Und er aber jedes Mal die Dimension Behinderung nicht mitnimmt. Und er spricht von Superdiversität und so weiter. Und da habe ich ihn gefragt, woran liegt denn das eigentlich? Und er meinte, wenn ich ehrlich bin, erwischt du mich da. Also das habe ich wirklich nicht auf dem Schirm. Er ist nicht mehr ein Teil meiner Arbeit gewesen. Und da fühlt man sich natürlich als jemand, der, sagen wir mal, dieser Gruppe angehört, der Mensch mit Behinderung, dann auch von bestimmten Begriffen beraubt. Also das Wort Diversität, wenn jetzt alle gemeint sind außer Behinderte, das finde ich auch problematisch. Zumal wir aus Inklusionspädagogischer Sicht schon lange wissen, dass inklusive Strukturen für alle besser sind. Also kleine Klassen, mehr Pädagogen. Davon profitiert auch Karl Otto. Und nicht nur das behinderte Kind oder das Kind mit internationaler Erfahrung. 

01:28:52.000

Lisa Paus: Ja, genau. Obwohl, ich muss sagen, die Inklusionsdebatte rund um die Schulen, die war ja oder ist ja schon auch nach wie vor schwierig. 

01:29:00.000

Raul Krauthausen: Genau. Aber immer noch unter einem Kostenargument wird es wegdiskutiert oder dafür bin ich nicht ausgebildet, wird es dann wegdiskutiert. 

01:29:09.000

Lisa Paus: Ja, also manchmal ja auch tatsächlich in der Elternschaft. Ja, so es ist ja jetzt nicht so, dass… 

01:29:12.000

Raul Krauthausen: Aber da habe ich einen sehr harten Standpunkt, weil ich dann denke, Eltern haben einfach kein Mitspracherecht, dass wir Kinder in der Klasse sind. Hatten sie noch nie. Die würden das auch nicht über Rothaarige sagen oder Veganer*innen. Dann haben die auch nicht gesagt… 

01:29:27.000

Lisa Paus: Genau, pass auf, was du über Rothaarige sagst. 

01:29:29.000

Raul Krauthausen: Ja, wenn ein anderer Elternteil sagt, ich will nicht, dass rothaarige Kinder in der Klasse meines Kindes sind, dann haben die einfach nichts zu melden. Dann müssen wir einfach aushalten. 

01:29:38.000

Lisa Paus: Ja, nein. Ich rede jetzt gar nicht über Eltern von vermeintlich nicht behinderten Kindern, sondern tatsächlich auch sozusagen über Eltern… 

01:29:45.000

Raul Krauthausen: …von behinderten Kindern. …

01:29:47.000

Lisa Paus: von Kindern mit Behinderungen. 

01:29:48.000

Raul Krauthausen: Aber den wird ja… 

01:29:49.000

Lisa Paus: Ja, auch manche, die sagen doch, die Förderschule ist jetzt für mein Kind das richtige und ich finde das… 

01:29:55.000

Raul Krauthausen: Aber das wird ihnen ja auch eingeredet von der Struktur. Da bekommt man die Kredien bezahlt und so weiter. 

01:30:00.000

Lisa Paus: Genau, also ich sage nur, ich habe da auch verschiedenste Debatten geführt. Ich finde, in Berlin gibt es einige sehr, sehr tolle Integrationsschulen. 

01:30:07.000

Raul Krauthausen: Total. 

01:30:10.000

Lisa Paus: Zum Beispiel am Rüdesheimer Platz gibt es eine, schon seit vielen, vielen Jahren und so. 

01:30:12.000

Raul Krauthausen: Ich war in der Flemming-Schule. 

01:30:15.000

Lisa Paus: Ja, genau, auch eine gute. Dann sieht man, oder, also über viele Jahrzehnte sozusagen, dass das gut funktioniert, dass das gut funktionieren kann. Und was auch passiert, wenn es eben andersrum ist. Also ich zum Beispiel hatte mal eine Anfrage von einer, von einer gehörlosen Schülerin, die, wie alle Schüler, musste sie natürlich auch ihr Schülerpraktikum machen. So, die war aber auf einer Förderschule. Und hatte sich aber eben an mir beworben für ihr Schülerpraktikum im Bundestag. Und da habe ich gesagt, selbstverständlich. Und dann stellte sich eben mal raus, sie konnte es de facto nicht machen, weil eben die Gebärdensprachdolmetschung nicht vorgesehen war. 

01:30:59.000

Raul Krauthausen: Genau. 

01:30:59.000

Lisa Paus: Das kann ja jetzt nicht sein. Also der Deutsche Bundestag muss ja offen sein für alle. So, da braucht es eben, das kann nicht sein, dass es dafür jetzt kein Geld gibt. Und dann habe ich eben festgestellt, da musste ich wirklich von Pontius Pilatus, ich habe das alles schon wieder vergessen, aber, und am Ende habe ich natürlich das auch hinbekommen. Aber habe eben festgestellt, dass es eben nicht vorgesehen war. Und da ist auf dem Papier zwar stand, die können überall hingehen, aber die Förderschule gesagt hat ja nee. Aber alles, das was jetzt zusätzlich außerhalb Unterstützung, Assistenz kostet, passiert nicht. So. Und da war ich schon schwer geschockt. So. Und das geht natürlich nicht. Aber insgesamt, alle Schulen inklusiv auszustatten, da hat natürlich so eine Politik irgendwie hohen Respekt davor. Weil dann reden wir eben über verschiedene Dinge, die jedenfalls alle zusätzliches Geld kosten. Und ja, da ist es schon so, dass ich zumindest jetzt auch, als ich mit … gesprochen habe zu anderen Dingen, es schon von mehreren kam, dass es dieses Bundesteilhabegesetz, ja, doch gut funktioniert. Aus Sicht der Länder zu gut, weil es jetzt eben doch mehr Geld kosten würde, als sie ursprünglich mal geplant hätten und so weiter und so. Was brauchen sie irgendwie sozusagen nicht nochmal. Also das sind schon die Debatten, die sozusagen dann automatisch stattfinden. Dass man immer sofort sozusagen Halb 8 hat über das, was das an einen finanziellen Dingen nach sich zieht. 

01:32:23.000

Raul Krauthausen: Also ich verstehe es intellektuell. Ich finde es deswegen problematisch, weil behinderte Menschen ihrer Menschenrechte immer mit Kostenargumenten weg argumentiert werden. Aber dass eine Frauentoilette auch mehr Platz braucht als eine Männertoilette wird nicht diskutiert finanziell. 

01:32:43.000

Lisa Paus: Wieso braucht eine Frauentoilette mehr Platz? 

01:32:43.000

Raul Krauthausen: Also wenn sie jetzt ein Pissoir installieren würde im Vergleich zu einem Raum. 

01:32:49.000

Lisa Paus: Also meistens haben Männertoiletten ja beides. 

01:32:52.000

Raul Krauthausen: Genau, aber es war ein bisschen polemisch natürlich auch. Aber so dieses, es gibt bestimmte Dinge, die einfach nicht hinterfragt werden finanziell. Und andere Dinge, die ganze Zeit immer als Totschlagargument gebraucht werden. Und ja, so ein Aufzug kostet Geld, aber der bleibt ja in der Regel auch. Der Aufzug wird ja danach nicht wieder abgebaut. Und man muss halt in Infrastruktur investieren oder wie Aladin sagt in die Immobilien-Schule. Und nicht nur in die Struktur, sondern auch in Hardware. Davon würden ja alle profitieren. Aber gut, wir kommen wahrscheinlich jetzt auch schon langsam zum Ende unseres Gesprächs. 

01:33:32.000

Lisa Paus: Teilweise braucht es ja einfach nur das Mitdenken. Das würde ja schon viel helfen. Auch wenn ich jetzt schon über das Thema Frauenhäuser gesprochen habe, da haben wir natürlich auch jetzt welche. Viele Frauenhäuser sind ja entstanden aus der Frauenbewegung. Davon war ja praktisch keins barrierefrei. Aber natürlich gibt es eben auch, wie wir wissen, gerade behinderte Menschen sind ja nochmal ganz anders von Gewalt betroffen. 

01:33:57.000

Raul Krauthausen: Und die fahren ja auch nicht 100 Kilometer weit zum nächsten Frauenhaus. 

01:33:58.000

Lisa Paus: Die fahren auch keine 100 Kilometer weit. Von daher braucht es eben auch gerade für die entsprechende Angebote. Deswegen haben wir jetzt auch nochmal ein Investitionsprogramm gehabt, wo wir eben auch barrierefrei oder barrierearm umgebaut haben. Und auch wenn wir ansonsten über Wohnungen reden, dann muss es nicht alles den gleichen Standard haben. Aber dass man eben beim Bauen gleich Flexibilität mitdenkt, das ist ja, glaube ich, entscheidend. Und ja, da können wir mal ein bisschen flexibler werden in den Planungsköpfen unserer Republik. 

01:34:30.000

Raul Krauthausen: Ich habe Mitte der 2000er eine Ausbildung gemacht zum Telefonseelsorger. Und habe dann auch ein Jahr in dem Bereich ehrenamtlich gearbeitet. Kollidierte so ein bisschen mit meinem Lebensmodell, weil das immer Nachtschichten waren. Das dann doch schon körperlich auch sehr anstrengend für mich war. Aber was ich da gelernt habe, ist ein Thema, das wirklich kaum diskutiert wird in unserer Gesellschaft, das Thema Einsamkeit. Und dass sich das durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht, alle Geschlechter, alle Nationalitäten. Und dass das ein Thema ist, das überhaupt gar keine Erwähnung aktuell, finde ich, findet. Und es wirklich bedrückend ist zu merken, dass Menschen, vielen Menschen, die man fehlt, mit denen man einfach redet, reden kann. Das ist ganz einfach erstmal. 

01:35:29.000

Lisa Paus: Ich hoffe, auch wenn wir bisher noch nicht darüber geredet haben, dass es mir doch gelungen ist, dass inzwischen darüber geredet wird. 

01:35:36.000

Raul Krauthausen: Genau, das wollte ich nämlich gerade sagen. Kann man als Ministerin, die das Thema Einsamkeit sich auf die Fahne geschrieben hat, bewirken? 

01:35:44.000

Lisa Paus: Als Ministerin hat man Zugang zu Medien und damit kann man das Thema auf die Tagesordnung setzen. Und deswegen habe ich das gemacht. Und ich mache das auch immer wieder und ich mache das auch bewusst so, dass ich dann auch von mir persönlich da was erzähle, weil das ist so. Das räsoniert mit mir, das Thema. Und weit bevor ich Familienministerin war, hat ja in Großbritannien eine Regierung ein Ministerium umbenannt und hat gesagt, wir machen jetzt hier bewusst ein Ministerium gegen Einsamkeit. Und das zum Beispiel habe ich damals auch wahrgenommen und habe gesagt, genau so, das ist richtig, das muss man machen, weil das ist ein Riesenthema. Und zumal nach Corona nochmal wieder ein größeres Thema. 

01:36:34.000

Raul Krauthausen: Und was macht so ein Ministerium dann? 

01:36:35.000

Lisa Paus: Wir haben es erstmal auf die Tagesordnung gesetzt, dann klassisch fängt man mit einer Fachkonferenz an. So, dann kümmert man sich darum, wir sind die wissenschaftlichen Studien, gibt ihnen Auftrag und dann stellt man tatsächlich fest, was ich auch schon vorher sozusagen mehr anekdotisch gedacht habe, dass eben mitnichten so ist, dass nur ältere Menschen davon besonders betroffen sind. Betroffen sind alle, ja, aber insgesamt nach Corona ist es deutlich angestiegen. Inzwischen hat sich es wieder ein bisschen verändert, aber jedenfalls den Schnitt auch verdoppelt. Und ja, besonders alte Menschen sind oft einsam, da kommt es oft daher, dass sie eben allein sind und dann einsam werden, weil Partner, Freunde, Familie stirbt, weil sie mobilitätseingeschränkt sind und dann eben weniger an sonstigen Dingen teilnehmen können, einkaufen gehen können und so weiter. Aber es ist eben nicht nur ein Phänomen für Senioren. Tatsächlich, als ich kam, war das Thema Einsamkeit in der Seniorenabteilung angesiedelt und das hat auch weiterhin auch noch seine Berechtigung. Aber es ist eben so, dass leider inzwischen junge Menschen, insbesondere zwischen 18 und 27, sich genauso einsam fühlen wie besonders alte Menschen. Da hat Corona wirklich nochmal etwas verändert und auch ansonsten sozusagen Umbruchssituationen etwas verändert. Und ja, was die Ministerin machen kann, ist es zum Thema machen. Sie kann anfangen sozusagen das aufzuarbeiten, damit wir Zahlen haben, über die wir öffentlich reden können, weil Politik funktioniert nur darüber, dass man eben auch dann öffentlich darüber reden kann. Und dann hat die Ministerin eine ressortübergreifende Einsamkeitsstrategie auf den Weg gebracht, also gesagt, das ist ein Thema, was durch alle Ressorts geht, auch Länder und Kommunen. Das ist nichts nur sozusagen für ein Ministerium. Und ich möchte von euch allen wissen, was ihr tun könnt zu dem Thema Einsamkeit. Und natürlich gibt es zum Beispiel in direkten Bezug zum Thema Bau und Stadtentwicklung. Also mehr öffentliche Räume, Räume so schaffen, dass sie Aufenthaltsqualität haben, statt eben Räume zu schaffen, wo eben keine Aufenthaltsqualität da ist. Solche Dinge sind eben wichtig. Auch im Arbeits- und Sozialministerium gibt es einiges

sozusagen, was man für das Thema Einsamkeit tun kann. Auch gerade, wenn man sich eben anschaut, Menschen mit Handicaps oder anderen. Wir wissen, Einsam sein passiert jedem. Es ist ja erstmal nur die Aussage, dass zwischen dem, was ich gerade habe, an Freundschaften, an sozialen Beziehungen, an Wärme und Liebe und dem, was ich brauche, da ist eine Lücke. 

01:39:21.000

Raul Krauthausen: Also wir brauchen dritte Orte. 

01:39:22.000

Lisa Paus: Es ist unterschiedlich. Also manche Leute, die haben vielleicht Freunde oder so, aber die brauchen zum Beispiel auch mal Umarmung oder so. Das kann man jetzt noch einfach händisch herstellen. Wenn ich sage, Frau Raul, bitte umarm mich mal, dann könnte ich mir vorstellen, dann machst du das. 

01:39:41.000

Raul Krauthausen: Aber muss man erstmal immer auf Konsens beruhen. 

01:39:44.000

Lisa Paus: Ja, aber muss eben auch immer auf Konsens beruhen, genau. Es ist einfach so, ich merke zwischen dem, was ich brauche, ich bin traurig, ich brauche etwas anderes und dem, was ich gerade habe, da ist eine Differenz. Und dann ist eben die Frage, kriege ich das hin, das zu ändern. In der Tat muss es auf Konsens beruhen. Finde ich also Menschen, die mit mir zusammen Dinge tun wollen oder finde ich es eben nicht. Und da ist es eben so, dass natürlich arme Menschen oder ansonsten irgendwie eingeschränkte Menschen weniger Möglichkeiten haben, das dann zu ändern. Und dann, wenn man neu anstoppelt, also klassischerweise bei Umbrüchen, hat man Einsamkeit, muss man erstmal überwinden. Bei mir war es zum Beispiel auch so, als mein Partner auf dem Weg zum Sterben war und mein Kind irgendwie zwei Jahre alt war, da war ich zwar nicht allein, ich hatte jetzt so zwei weitere Menschen um mich herum, aber es war natürlich trotzdem so, dass jetzt meine Bedürfnisse nicht dran waren. Es waren einfach die Bedürfnisse der anderen dran. Und dann damit umzugehen, das ist eben sozusagen die Aufgabe, und dann eben Menschen zu finden oder was auch immer, das sozusagen hinzukriegen. Und dafür braucht es Angebote, weil sonst ist es eben so, das kann sich kronifizieren. Gerade wenn Menschen schüchtern sind, unsicher sind, dann ziehen sie sich zurück. Und das ist nicht gut. Einsamkeit, hat die WHO festgestellt, ist genauso lebensverkürzend wie Adipositas, also dick sein, also übergewichtig sein, ist genauso lebensverkürzend wie Rauchen. Das ist das, was Einsamkeit machen kann, wenn man da nicht rauskommt, sondern wenn es kronifiziert. Und dass das passieren kann, dass das alles noch heftiger werden kann, das zeigt uns zum Beispiel Japan. In Japan ist es so, die haben inzwischen Wörter für Menschen, die ein halbes Jahr lang ihre Wohnung nicht verlassen. Da sind die hikikimori. Und soweit, finde ich, sollte es Deutschland nicht kommen lassen. Deswegen, drüber sprechen, und Strategien entwickeln, wissenschaftlich begleiten. Und wir haben inzwischen einiges auf den Weg gebracht. Wir haben jetzt über 120 Maßnahmen, wir haben vor allen Dingen jetzt auch mit Ländern und Kommunen darüber einen Austausch. Es gibt jetzt auch schon verschiedene Länder, die auch Einsamkeitsbeauftragte initiiert haben. Und vor allen Dingen, es fühlt sich da gut, dass ich ja auch die Engagementministerin bin. Also in meinem Bereich ist auch das ganze Thema ehrenamtliches Engagement. Und das ist natürlich super wichtig, weil da findet ja eben soziales Miteinander, Geselligkeit und so weiter statt. Und da gibt es eben, da habe ich Kontakt zu den ganzen Vereinen, Initiativen und so weiter. Und die können natürlich nochmal schauen

oder tun es auch, was sie anbieten, inwieweit das schon so offen und inklusiv ist, wie es eben zum Beispiel einsame Menschen brauchen. Weil die wenigsten einsamen Menschen wollen es ja einfach mit einsamen Menschen sprechen und darüber sprechen, dass sie einsam sind. Sondern sie wollen ja das Gegenteil, sie wollen ja wieder Anschluss finden. Und da eben Möglichkeiten zu schaffen, das ist ganz entscheidend. Und bei älteren Menschen kann es zum Beispiel so sein, dass eine Rollatorenlaufgruppe schon ein gutes Angebot ist. 

01:43:18.000

Raul Krauthausen: Es braucht ein Thema. 

01:43:19.000

Lisa Paus: Genau, es braucht ein Thema, worüber man da zusammenkommen kann. Und es muss eben so niedrigschwellig sein, dass alle das machen können und ja, Möglichkeiten schaffen, dass man danach auch ins Gespräch kommt und gegebenenfalls Freundschaften neu schließen kann. 

01:43:33.000

Raul Krauthausen: Ich hatte mal eine Begegnung vor ein paar Monaten im Aufzug, tatsächlich, wo ein Mann im Aufzug anfing, seine Plastiktüten auszupacken und alle Bücher, die in den Plastiktüten waren, in einem Aufzug in einer Bibliothek aufstellte. Und ich fand das interessant. Er hat aber den Aufzug komplett blockiert und damit konnte ich damit erstmal nicht fahren. Und als er mich sah, war er so erschrocken, dass er die Sachen sofort wieder liebevoll in seine Tüten tat. Er mich fahren ließ und als ich aus dem Aufzug ausstieg, hat er wieder alles aufgebaut. 

01:44:10.000

Lisa Paus: Und warum? 

01:4400:10.000

Raul Krauthausen: Weiß ich nicht. Und dann sah ich aus dem Augenwinkel, wie dann Sicherheitspersonal von der BVG kam und das am Ende in der Schlägerei endete. Und ich war gerade auf dem Weg zu einer Freundin, die Stadtplanerin ist, und ich habe ihr das erzählt. Und sie meinte, ja, und genau das passiert, wenn es keine Orte mehr gibt für Menschen, wo man Bücher hat oder aufstellen kann. Und die einzige Antwort, die dann eine Stadt hat, ist Sicherheit. Polizei, Nachschutz. Und das ist auch das, was wir gerade politisch erleben. Wenn wir über Zustrom, Begrenzungsgesetze reden und so weiter. Es geht die ganze Zeit immer nur um den Aspekt der Sicherheit. Aber es geht gar nicht um den Aspekt der Hilfe, der Unterstützung, der Gemeinschaft. Und wenn das so weitergeht, dann lösen wir quasi jedes Problem in Zukunft mit Gefängnissen, Polizei einsetzen. Das kann es ja auch nicht sein, wenn jemand anders ist als wir. Oder einsam vielleicht auch. 

01:45:23.000

Lisa Paus: Genau, das ist ja das Absurde. 

01:45:25.000

Raul Krauthausen: Das ist ja auch eine Chronifizierung auf eine Art. 

01:45:26.000

Lisa Paus: Absolut. Das ist die Frage, wie gehen wir mit Angst um? 

01:45:30.000

Raul Krauthausen: Genau. 

01:45:32.000

Lisa Paus: Man kann eben positiv mit dir umgehen, indem man sie verarbeitet, indem man es besprechbar macht, indem man auch die Gründe für Angst senkt. Oder man geht eben mit Repression rein. Und dann ist das Kind eben schon in den Brunnen gefallen. Und es wird ja nicht besser. Also die Resozialisierungsteile von Leuten im Knast sind ja jetzt nicht so supergut. Und das Bittere ist aber, wenn man eben vorher mehr tut für das soziale Miteinander, dass man das ja sozusagen so schlecht sieht. Also soziale Beziehungen sind ja unsichtbar. 

01:46:06.000

Raul Krauthausen: Gibt es ja auch keinen Blumentopf zu gewinnen. 

01:46:07.000

Lisa Paus: Ja, also wenn wir das machen, dann als Gesellschaft profitieren wir wahnsinnig davon. Profitieren wir wahnsinnig davon. Und wenn wir mal zurückschauen, was hat rechtsextreme Bewegungen dann am Ende massentauglich gemacht, ist natürlich erstmal, dass sie Hass und Brutalität verbreiten. Aber natürlich ist es so im Nationalsozialismus, Hitler hat dann auch dafür gesorgt, dass es dann diese ganzen Massenbewegungen gab, dass es dieses Gemeinschaftsgefühl gab und so weiter. Warum sollten wir das irgendwie den Rechtsextremen überlassen? 

01:48:40.000

Raul Krauthausen: Ja, genau. 

01:48:40.000

Lisa Paus: Das ist absurd. Deswegen ist es so wichtig, diese sozialen Beziehungen zu unterstützen. Klassischerweise nennt man das auch Prävention. Und das Schicksal von Prävention ist ja, wenn sie wirkt, sieht es keiner. Aber wir können auch da mal ein bisschen darauf hören, was sagen uns denn die Experten. Und das ist nun mal evident. Es ist evident,

wie viel besser unser Leben ist, wenn wir eben mehr investieren sozusagen in das soziale Miteinander, in Prävention, in gute Beziehungen. Das macht uns nicht nur glücklicher, sondern die Gesellschaft friedlicher und insgesamt eine bessere Situation. Und deswegen versuche ich immer auch an Bildern stärker zu arbeiten, weil das Problem ist eben. Ein Haus steht da, ist gebaut, kannst du sehen, super. Investition in soziale Beziehungen ist schwieriger messbar. Aber man muss wirklich nur einen ganz kurzen Moment innehalten und mal in sich rein spüren, was ist für mich eigentlich das Wichtigste im Leben. Und das Wichtigste ist nicht, dass ich in einem schönen Haus wohne oder so. Das Wichtigste ist, dass ich gute Freunde habe, dass ich Familiennachbarn habe, auf die ich mich verlassen kann.

Und wie sehr spüre ich das, wenn das nicht da ist. Und deswegen ist es auch wichtig, nicht nur für die Individuen etwas gegen Einsamkeit zu tun, sondern auch für die Gesellschaft. Weil natürlich Menschen, die einsam sind, die haben ja auch ein bisschen das Vertrauen verloren. Die ziehen sich ja zurück. Und wenn eben immer mehr Menschen sich zurückziehen aus der Gesellschaft, dann sind da ja einfach riesige Lücken. Und dann zerbricht natürlich auch was in der Gesellschaft. Und dann fehlt das Vertrauen nicht nur in die direkte Umgebung, sondern natürlich auch insgesamt in die Gesellschaft und in die Demokratie. Und das ist natürlich massiv destabilisierend. Und wir alle brauchen das Gegenteil. Deswegen lasse ich mir von dir jetzt nicht aufzwingen, dass wir uns jeden treffen müssen. Sondern das merken wir auch. Soziale Beziehungen haben ja dadurch die Kraft, dass es eben ja wirklich direkt ankommt und dass man merkt, wir wollen das beide gegenseitig. Aber für jeden Topf gibt es einen Deckel. 

01:49:09.000

Raul Krauthausen: Auch für die Mieten. 

01:49:11.000

Lisa Paus: Und auch noch zwei Griffe dazu. Wir brauchen das alle und wir können es auch alle bekommen. Wir müssen nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das klappt. Eine wichtige Rahmenbedingung ist weniger Hass und Hetze. Weil dann ziehen sich erstmal alle Leute zurück. Und leider gewinnen dann die, die eben dann mit Aggression und Hass und Hetze sich da durchsetzen. Und das müssen wir auf jeden Fall mal als erstes zurückdrängen. 

01:49:42.000

Raul Krauthausen: Zwei Fragen, die ich meinen Gästen immer stelle. Eine Frage ist, aus deiner Erfahrung fürs Leben im Beruf als Ministerin oder auch sonst, gibt es eine Organisation, die du den Zuhörer*innen empfehlen kannst, die man sich mal anschauen könnte oder sollte, die unterstützenswert ist? 

01:50:02.000

Lisa Paus: Ja, so viele. Ich finde immer noch die Tafeln sind großartig. Was die aus dem Boden gestampft haben, wie top die organisiert sind. 

01:50:17.000

Raul Krauthausen: Die Gründerin der Berliner Tafel war mal zu Gast hier. Sabine Wert. 

01:50:20.000

Lisa Paus: Ja, genau. Großartige Frau. Bin großer Fan von Sabine Wert. Die finde ich unfassbar klasse. 

01:50:32.000

Raul Krauthausen: Ist ja auch eine Maßnahme zum Thema Einsamkeit. Also Menschen, die sich dann bei der Tafel treffen, kennenlernen, vernetzen, engagieren, muss ja nicht immer alles nur ums Essen gehen. Sondern es gibt ja auch Gemeinschaftsgefühl. 

01:50:45.000

Lisa Paus: Genau, überhaupt nicht. Und ich habe zum Beispiel im Rahmen meiner Tour da zum Thema Einsamkeit und Projekte anschauen usw. habe ich auch eine Frau getroffen, die ist neu in einen Ort gezogen und fühlte sich eben einsam. Und dann hat die eben da ein neues Café eröffnet, genau dafür. Hat was für sich getan, hat eben auch gleichzeitig was für andere Menschen getan. War großartig. Also sie hatte sozusagen die Eigenstärke, das zu machen und hat damit eben anderen Menschen geholfen, die vielleicht noch ein bisschen mehr Unterstützung brauchen. 

01:51:23.000

Raul Krauthausen: Die letzte Frage, die ich auch allen Gästen stelle. Kevin Kühnert hat da mal darauf geantwortet. Er hat sich hingefragt, gab es immer einen merkwürdigen Moment im Aufzug, an den du dich erinnerst? Und dann meinte er, ja es gibt sehr oft diesen unangenehmen Moment mit einem AfD-Politiker im Bundestagsaufzug zu fahren, weil man das spürt. 

01:51:45.000

Lisa Paus: Ja, das stimmt. Das stimmt, dass eben tatsächlich schon mit dem Einzug der AfD in den Bundestag sich was verändert hat. Das ist nicht nur im Aufzug so, sondern das ist natürlich auch so in der Kantine. Im Bundestag gibt es Kantinen. Früher war es so, dass man sich selbstverständlich auch dann an andere Tische gesetzt hat. Die Tische sind da irgendwie größer. Und deswegen sieht man nicht an 2-er oder 3-er Tischen, sondern die sind größer. Und dann hat man selbstverständlich fraktionsübergreifend da gesessen und dann auch ein bisschen quergequatscht. 

01:52:20.000

Raul Krauthausen: Jetzt gibt es einen AfD-Tischecke oder wie? 

01:52:24.000

Lisa Paus: Jetzt ist das eben anders. Jetzt weiß man ja nicht, wenn man sich an einen Tisch setzt, wer sitzt daneben einem. Also natürlich kennt man die Abgeordneten, aber nicht alle Mitarbeiter. Und dann kannst du auch de facto schon gar nicht mehr am Tisch sprechen über die entsprechenden Dinge. So ansonsten ist es so, dass ich im Bundestag mein Büro nicht im 5. Stock habe, sondern im 2. Stock. Und deswegen versuche ich immer nicht den Aufzug zu nehmen, sondern die Treppe. Deswegen habe ich da jetzt nicht so intensive Aufzugserfahrungen. 

01:52:52.000

Raul Krauthausen: Und außerhalb des Bundestags? 

01:0520:53.000

Lisa Paus: Und außerhalb des Bundestages. In meinen 20ern habe ich mal 3 Monate in New York verbracht. Da gibt es ja ziemlich viele ziemlich hohe Aufzüge. Und ich gebe zu, inzwischen fahre ich nicht mehr so gerne Aufzug. Weil man dann schon anfängt, Gedanken zu haben, wenn der mal nicht funktioniert, und dann bin ich hier im Aufzug. Und ich habe auch vielleicht zu viele Filme gesehen, wo Aufzüge stecken geblieben sind. Aber in solchen Aufzügen, zum Beispiel bei der UNO, das ist dann schon ganz nett, dann steht man im Aufzug und dann wird man natürlich auch immer mal von der Seite angesprochen. Dann steht man eben auch plötzlich entweder mit einer Ministerin aus Kanada oder sonst wie im Aufzug oder auch mit ganz normalen Leuten. Genau, das ist jetzt mal ein neues Aufzug erleben als Ministerin, dass wenn man dann im Aufzug steht, plötzlich Leute einen ansprechen. Und man auch dann schon spontan ins Gespräch kommt und auch nicht ausweichen kann, weil man fahrt ja Zusammen Aufzug. 

01:53:55.000

Raul Krauthausen: Mein letzter Aufzugmoment war in Düsseldorf in einem Hotel. Ich wusste nicht, dass es sowas gibt. Aber es gibt Hotels mit sogenannten Carloft. Das heißt, es ist ein Zimmer. 

01:54:09.000

Lisa Paus: Kann man das Auto mitrufen? 

01:54:10.000

Raul Krauthausen: Du kannst dein Auto mit auf dein Zimmer nehmen. 

01:54:11.000

Lisa Paus: Und das hast du gemacht? 

01:54:13.000

Raul Krauthausen:  Und deshalb, ich habe kein Auto. 

01:54:14.000

Lisa Paus: Warum haben Sie denn dann das Zimmer gegeben? 

01:54:15.000

Raul Krauthausen: 54 15kDie haben mir das irgendwie zugewiesen, keine Ahnung. Und es gibt einen Autoaufzug, wusste ich nicht. Ich konnte mein nicht fahrendes Auto, das war der einzige Zugang zum Zimmer, mit dem Autoaufzug in die zweite Etage neben mein Bett stellen. Ich denke so, wie weit sind wir mit dem Kapitalismus angekommen, dass die Leute jetzt ihr Auto neben ihrem Bett haben wollen? Aber das war mein letzter Awkward Moment. 

01:54:45.000

Lisa Paus: Sehr absurd. 

01:54:46.000

Raul Krauthausen: Vielen Dank, dass du da warst. 

01:54:47.000

Lisa Paus: Danke für die Einladung. 

01:54:49.000

Raul Krauthausen: Zwei Stunden haben wir jetzt fast gesprochen.  Wenn der Aufzug hier jetzt aufgeht, wo geht es für dich weiter? 

01:54:53.000

Lisa Paus: Ich gehe jetzt in den Mauerpark. Wahlkampf, Wahlkampf, Wahlkampf. 

01:54:56.000

Raul Krauthausen: Viel Erfolg. Schön dass du da warst.

01:54:59.000

Lisa Paus: Danke schön.

Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler Aufzüge. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren und vielleicht mit uns ganz nach oben fahren, dann steig gern ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten für Einsteiger und Senkrechtstarter.

Dieser Podcast ist nur möglich durch die Unterstützung meiner Steady-Mitglieder.

Das Bild zeigt ein Porträt von Lisa Paus, der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie lächelt freundlich in die Kamera und trägt eine hellblaue Bluse mit einer beigen Jacke sowie eine goldene Kette. Der Hintergrund zeigt eine verschwommene städtische Umgebung mit grünen Pflanzen. Links oben steht der Titel „IM AUFZUG“ in weißer, moderner Schrift. In der Mitte befindet sich ein Zitat von Lisa Paus in weißem Fettdruck: „Gerade jetzt kommt es darauf an, gegen Hass Liebe zu setzen. Und gegen Frust Zuversicht.“ Darunter steht in kleineren Buchstaben: „LISA PAUS BUNDESMINISTERIN FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND – FOLGE 72“ Unten rechts ist der Hinweis „Finanziert durch Steady Mitglieder“ abgebildet.

Hier findest du mehr über mich:

So kannst du meine Arbeit unterstützen!

Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann

Coverart: Amadeus Fronk

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen