Im Aufzug mit Ronen Steinke

Gilt Gerechtigkeit nur für die, die sie sich leisten können?

Ronen Steinke ist Jurist, Journalist, Autor – und jemand, der mit seinen klugen Analysen immer wieder den Finger in die Wunde unseres Rechtsstaates legt. Wir sprechen über absurde Paternosterfahrten, verstaubte Amtsgerichte und warum Fairtrade-Siegel oft nur bis zur deutschen Werkstatttür reichen.

Doch es wird auch ernst: Ronen erklärt mir, wie soziale Ungleichheit vor Gericht fortgeschrieben wird, warum Ersatzfreiheitsstrafen oft Armut bestrafen, und wie sehr Inklusion noch immer als Sahnehäubchen behandelt wird, statt als Teilhabe-Recht für alle. Wir diskutieren die unsichtbaren Flecken der UN-Behindertenrechtskonvention, strukturelle Benachteiligung und warum der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form mehr Problem als Lösung ist.

Am Ende geht es aber auch um Zuversicht: Ronen glaubt an die Kraft der nächsten Generation, an strategische Prozessführung und an eine Gesellschaft, die sich ihre Gerechtigkeit immer wieder neu erkämpfen muss. Aufzugtür auf für Ronen Steinke!

Ronens Empfehlungen: Freiheitsfonds, Filme über Ruth Bader-Ginsburg

00:00:04,079 –> 00:00:20,920 [Schinder Aufzüge]
In Filmen klettern Helden oft durch eine Dachluke aus dem Aufzug. Aber gibt es diese Luke wirklich oder ist das nur ein Hollywood-Mythos? Die Antwort gibt es am Ende dieser Folge. Jetzt erst mal viel Spaß mit Raoul im Aufzug wünscht Schindler.

00:00:20,920 –> 00:02:04,839 [Raul Krauthausen]
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00:02:04,839 –> 00:02:23,959 [Raul Krauthausen]
Die Tür geht auf und der kommt rein. Ich freue mich tatsächlich wirklich sehr, weil ich Ronen Steinke schon sehr, sehr lange auf Instagram folge und mich sehr positiv überrascht hat, dass er als Jurist, als Autor irgendwann über Inklusion sprach.

00:02:23,959 –> 00:02:39,739 [Raul Krauthausen]
Aber ich folgte ihm damals aus anderen Gründen, weil er nämlich sehr kluge Sachen sagt über unseren Rechtsstaat und die Probleme, die wir haben. Herzlichen Glückwunsch, Entschuldigung. [lachen] Herzlich willkommen. Herzlich willkommen, Ronen Steinke.

00:02:39,739 –> 00:02:41,999 [Ronen Steinke]
Dir auch herzlichen Glückwunsch. Danke dir.

00:02:41,999 –> 00:02:42,379 [Raul Krauthausen]
Danke.

00:02:42,379 –> 00:02:44,879 [Ronen Steinke]
Danke für die Einladung. Freue mich sehr.

00:02:44,879 –> 00:02:51,779 [Raul Krauthausen]
Ich bin ein bisschen aufgeregt, habe ich ja vorhin schon gesagt, weil ein bisschen Starstruck bin ich dann doch.

00:02:51,779 –> 00:02:55,039 [Raul Krauthausen]
Hattest du schon mal einen Awkward-Moment in einem Aufzug?

00:02:55,039 –> 00:03:01,079 [Ronen Steinke]
Ich habe mit Aufzug immer so die Verbindung zu Pater Nostern. Also ich

00:03:01,079 –> 00:03:23,599 [Ronen Steinke]
habe mit Pater Nostern ganz viele emotionale Erlebnisse und das ist ja irgendwie die Fortentwicklung des Pater Nosters, also die sicherere, verlässlichere, auch barrierefreie Fortsetzung. Und Pater Noster, das waren ja früher diese Holzkisten, die einfach starre hoch-und runter fuhren und man konnte das nicht steuern, man konnte da auch keine Knöpfe drücken oder irgendwas und man musste halt es schaffen, da reinzuspringen und rauszuspringen.

00:03:23,599 –> 00:03:25,119 [Raul Krauthausen]
Wo gab es die denn in deinem Leben?

00:03:25,119 –> 00:03:34,419 [Ronen Steinke]
Also in der Süddeutschen Zeitung, wo ich ja hauptsächlich arbeite, die ist vor ein paar Jahren umgezogen. Im alten Gebäude gab es einen Pater Noster, zwar nur auf fünf Etagen, aber das war schon auch lustig genug.

00:03:34,419 –> 00:03:35,479 [Raul Krauthausen]
Und war der noch aktiv?

00:03:35,479 –> 00:04:08,939 [Ronen Steinke]
Der war noch aktiv und dem wurde auch sehr nachgetrauert, weil jetzt ist die SZ in so einem bisschen Hightech-Hightech, genau, so ein beatmungsaktives Glasgebäude, was natürlich top alle Werte hat, aber vielleicht nicht diese Seele von dem alten Gebäude. Und dann habe ich vor ein paar Jahren eine Zeit an der Uni Frankfurt geforscht, in einem uralten Gebäude, was mal der IG Farben gehörte, diesem Chemiekonzern. Und da fahren heute auch noch Pater Noster und das ist jedes Mal ein Thrill. Bisher ist mir noch nichts passiert, aber ja.

00:04:08,939 –> 00:04:12,979 [Raul Krauthausen]
Also ich kenne nur zwei Pater-Noster-Aktiv.

00:04:12,979 –> 00:04:21,319 [Raul Krauthausen]
Zumindest erinnere ich mich aktiv an sie im Schöneberger Rathaus und beim Rundfunkgebäude vom rbb, da waren wir noch lebend.

00:04:21,319 –> 00:04:23,719 [Ronen Steinke]
Genau, das ist eh ein tolles Gebäude.

00:04:23,719 –> 00:04:26,319 [Raul Krauthausen]
Aber ich glaube, die sind beide deaktiviert.

00:04:26,319 –> 00:04:36,779 [Ronen Steinke]
Ich bin im rbb, glaube ich, auch mal, Pater Noster, gefahren. Ja, kann man schon noch, ja. Cool. Aber da hat man zumindest die Wahl. Man muss nicht Paternoster, die haben jetzt aufgerüstet, man kann auch Aufzug fahren.

00:04:36,779 –> 00:04:45,279 [Ronen Steinke]
Das Schönerer am Aufzug ist ja, du kannst Leuten die Tür aufhalten. Du kannst sagen: „Komm doch rein, wir halten den kurz. Das stimmt, ja, ja, ja.Diese ganzen Dinge, die kannst du in so einem starren Pater Noster natürlich nicht.

00:04:45,279 –> 00:05:03,019 [Raul Krauthausen]
Aber hast du jetzt nicht auch manchmal dieses beklemmende Gefühl, weil da, wo Pater Noster sind, die sind ja oft so Verwaltungsgebäude. Ja. Du bist wahrscheinlich sehr viel in Verwaltungsgebäuden als Jurist. Ja. Dass diese Schuhkartons, in denen die Menschen dann arbeiten…

00:05:03,019 –> 00:05:12,159 [Raul Krauthausen]
Also ich bekomme da wirklich Depressionen. Also wenn ich nur im Bürgeramt bin, irgendwas zu beantragen, ja und mir dann dieses Büro angucke, da habe ich Mitleid.

00:05:12,159 –> 00:05:14,019 [Ronen Steinke]
Du meinst, es war lieblos und klein, oder?

00:05:14,019 –> 00:05:23,259 [Raul Krauthausen]
Lieblos, klein, schlecht eingerichtet, die Möbel sind uralt, die Geräte sind uralt, die sie benutzen. Jede Firma hat moderneres Equipment.

00:05:23,259 –> 00:05:38,059 [Ronen Steinke]
Das stimmt. Wird beklagt von Leuten, die zum Beispiel als Richter oder Richterin arbeiten. Ich weiß aber nicht, ob das nicht auch ein Klagen auf hohem Niveau ist. Die klagen dann, dass, wie du sagst, der Putz bröckelt von der Wand und die Tische sind irgendwie nicht der neuste Standard.

00:05:38,059 –> 00:05:49,399 [Ronen Steinke]
Dafür sollte man es ja auch nicht machen. Man sollte ja nicht wegen dem Komfort und weil man da ständig gepampert wird, sondern man soll es ja wegen dem Inhalt machen, der einem wichtig ist und irgendwie Sinn stiftet. Aber ja, das…

00:05:49,399 –> 00:05:51,519 [Raul Krauthausen]
Aber die Hardware könnte einen ja unterstützen dabei.

00:05:51,519 –> 00:05:53,039 [Ronen Steinke]
Das stimmt. Das stimmt, ja.

00:05:53,039 –> 00:06:05,172 [Raul Krauthausen]
Auf jeden Fall, es gibt ja sehr wenige moderne, neue Ämter, wo ich denke, jede Bahnlounge ist schicker.Oder Barmen Schalter, sogar ist schicker als Bürgeramt.

00:06:05,172 –> 00:06:11,211 [Ronen Steinke]
Es sollte auf jeden Fall nicht so unwirtlich sein, dass man da keine Lust hat zu arbeiten. Das schlägt ja dann auf die Qualität durch. Das wäre nicht gut.

00:06:11,211 –> 00:06:13,531 [Raul Krauthausen]
Wie kam es, dass du Jurist wurdest?

00:06:13,531 –> 00:06:34,012 [Ronen Steinke]
Ich war so ein politischer Teenager und war jetzt auch nicht total festgelegt, dass es unbedingt Jura sein muss, aber es sollte auf jeden Fall so in die Richtung Politik und Gesellschaft gehen. Und ich habe so Schülerzeitung gemacht und irgendwie in der Schule ganz aktiv. Und dann war auch eigentlich erst mal die Idee, Politik zu studieren und dann irgendwie war

00:06:34,012 –> 00:06:37,411 [Ronen Steinke]
Jura auch noch eine Idee und dann habe ich das mal ausprobiert

00:06:37,411 –> 00:06:59,111 [Ronen Steinke]
und hätte auch schiefgehen können, ehrlich gesagt. Also im ersten Jahr habe ich auch ganz schön gestrauchelt und auch ganz schön gezweifelt, bis das so eine gute Idee war. Aber dann, so im zweiten, dritten Jahr, hat sich das dann als eine goldrichtige Entscheidung herausgestellt. Und gerade wenn man so ein politisches Interesse hat, wenn man verstehen will, wie die Gesellschaft, oder besser gesagt, wie der Staat funktioniert und wie Regeln

00:06:59,111 –> 00:07:13,991 [Ronen Steinke]
gemacht werden, wie sie umgangen werden, wie sie gedehnt werden, wie sie begründet werden, wie man sie auch aushebeln kann. Also all diese Sachen, die ja sehr wichtig sind für unser Zusammenleben, dann ist das schon sehr gut, wenn man da so ein Handwerkszeug lernt. Und da ist Jura eigentlich sehr gut für.

00:07:13,991 –> 00:07:19,411 [Raul Krauthausen]
Was war denn da im zweiten, dritten Jahr für eine Erkenntnis bei dir, dass du sagtest, jetzt ist es richtig?

00:07:19,411 –> 00:07:41,211 [Ronen Steinke]
Ja, ich habe angefangen, also mit diesem, wie gesagt, so überschäumend politischen Idealismus. Und ich dachte, Jura, da geht es ja Gerechtigkeit. Das war dann nicht unbedingt so. Es ging ganz stark auch so technische Sachen, wie ein Mietvertrag aufgesetzt wird und in welcher Sekunde ein Vertrag in Kraft tritt und was man da alles. Also

00:07:41,211 –> 00:08:02,051 [Ronen Steinke]
mehr mathematische Fragestellungen eigentlich als jetzt so ethische. Und das fand ich ziemlich kümmerlich und ziemlich unansprechend und war auch schon fast in der Tür, mir was anderes zu suchen. Und dann habe ich durch Zufall in der Bibliothek eine Geschichte gelesen, eine Anekdote entdeckt in einer Zeitschrift, nämlich über den

00:08:02,051 –> 00:08:16,231 [Ronen Steinke]
früheren Generalschatzanwalt Fritz Bauer, der in den Sechzigerjahren in Deutschland gewirkt hat. Und die Anekdote war sehr kurz, sondern so vielleicht fünf Sätze. Da ging es darum, dass Adolf Eichmann, der NS-Verbrecher, der den Holocaust organisiert hat,

00:08:16,231 –> 00:08:22,191 [Ronen Steinke]
im Versteck in Argentinien war und dass jemand entdeckte, wo er ist, also sozusagen sein

00:08:22,191 –> 00:08:23,791 [Ronen Steinke]
Versteck

00:08:23,791 –> 00:09:18,711 [Ronen Steinke]
entdeckte und diese Information dann nach Frankfurt schickte. Und das landete auf dem Schreibtisch von Fritz Bauer, von diesem Generalschanzwald, und der hat dann sich letztlich die Frage stellen müssen: „Was mache ich damit Weil, wenn ich da jetzt einfach den normalen Dienstweg mit beschreite und meine Kollegen mit befasse und da ein Verfahren einleite, dann ist es völlig klar, was passiert. Nämlich, es werden undichte Stellen sein, es werden Leute aus dem Apparat Verrat üben und werden den NS-Verbrecher warnen, damit man den nicht verhaftet. Und dann hat er stattdessen entschieden: „Nein, ich mache es nicht nach den Buchstaben des Gesetzes, sondern ich umgehe das. Und stattdessen hat er sich dann an einen israelischen Geheimdienst gewendet und hat dann gemeinsam mit denen diese weltberühmt gewordene Aktion eingefädelt, Eichmann in Argentinien zu kidnappen und ihn vor Gericht zu stellen. So, und das las ich als, was weiß ich, 20- oder 21-Jähriger. Und das war genau die Art von Mut und die Art von „Reden wir mal über das Große Ganze, die mir so gefehlt hat. Und da war Das war gut.

00:09:18,711 –> 00:09:22,471 [Raul Krauthausen]
Aber ist so was legal, jemanden… Nein, das ist total illegal.

00:09:22,471 –> 00:09:30,851 [Ronen Steinke]
Es ist mindestens illegal, wenn nicht sogar strafbar, weil das ist ja letztlich eine Entführung mit Gewalt eines deutschen Staatsbürgers.

00:09:30,851 –> 00:09:32,671 [Raul Krauthausen]
Mit dem ausländischen Geheimdienst.

00:09:32,671 –> 00:10:04,011 [Ronen Steinke]
Geht also. Also rechtlich ist das total verboten. Aber man muss natürlich den Kontext sehen. Es ist genauso auch verboten, solche Verfahren in Deutschland zu sabotieren, wie es damals verständlich der Fall war. Also Fritz Baur war umgeben von lauter Altnazis, die in seinem Justizapparat saßen, die jeden Tag auch das Gesetz gebrochen haben, indem sie diese Verfahren boykottiert haben, sabotiert haben. Das ist auch verboten. Und er hat dann sozusagen sich nicht anders zu helfen gewusst, wie so eine Art Notwehr. Er sagt: „Da muss ich halt auch eine Regel brechen, damit ihr nicht mit euren Regelbrüchen am Ende das letzte Wort habt.

00:10:04,011 –> 00:10:06,671 [Raul Krauthausen]
Also nur unter dem Kontext. Er hat auch ernthaltend können, nichts zu machen.

00:10:06,671 –> 00:10:11,511 [Ronen Steinke]
Das wäre die Alternative gewesen. Einfach die Hände in den Schoß legen und dann haben halt die anderen gewonnen.

00:10:11,511 –> 00:10:24,371 [Raul Krauthausen]
Hast du aber eigentlich immer so dieses Gefühl, also jetzt in meinem Kopf super stark, dieses Gefühl von: „Oh mein Gott, bei diesem Gespräch wäre ich gerne dabei, wie er den Geheimdienst anruft und sagt: „Was machen wir denn jetzt?

00:10:24,371 –> 00:10:30,691 [Ronen Steinke]
Ja, also ich habe dann nur mit der Fantasie die Möglichkeit, das irgendwie auszumalen. Und oft ist es ja so, dass die Fantasie…

00:10:30,691 –> 00:10:33,311 [Raul Krauthausen]
Also finde mal eine Telefonnummer vom Geheimdienst.

00:10:33,311 –> 00:10:36,631 [Ronen Steinke]
Ja, ich glaube, es war damals so:

00:10:36,631 –> 00:10:56,891 [Ronen Steinke]
Mit dem Staat Israel gab es noch keine offiziellen Beziehungen. Das heißt, man konnte nicht einfach in die Botschaft reinspassieren oder anrufen. Es gab aber in Köln so eine Art Vorstufe zu einer Botschaft, also so eine Anlaufstelle. Und mit denen hatte er vorher schon mal Kontakt gehabt und da hat er da angerufen. Also es ging sozusagen zwei Ecken zum Geheimdienst. Ja, abgefahren.

00:10:56,891 –> 00:11:00,091 [Raul Krauthausen]
Ja. Und das hat dich dann motiviert,…

00:11:00,091 –> 00:11:04,571 [Ronen Steinke]
An der Stange zu bleiben. Ja, dann dachte ich mir: „Okay, das ist doch das Richtige. Und

00:11:04,571 –> 00:11:17,631 [Ronen Steinke]
dann habe ich auch mit der Zeit dann natürlich festgestellt, ich war doch nicht so alleine. Es gab auch viele andere, die auch Jura nicht studiert haben, in Papas Fußstapfen zu treten und irgendwie die Kanzlei zu übernehmen oder, unternehmensberater zu werden,

00:11:17,631 –> 00:11:19,351 [Ronen Steinke]
sondern,

00:11:19,351 –> 00:11:27,751 [Ronen Steinke]
die Welt zu verändern auf die eine oder andere Weise. Und habe auch viele Leute gefunden dann im Jura-Studium, die mit mir zusammen da

00:11:27,751 –> 00:11:34,111 [Ronen Steinke]
sind. Und wenn es nur in Form von Diskussionen, aber irgendwie so an diesen Themen zu arbeiten, an den großen gesellschaftlichen.

00:11:34,111 –> 00:11:40,891 [Ronen Steinke]
Und habe mich dann da sehr gut aufgehoben gefühlt und rückblickend: Ja, es ist jetzt nicht alles spaßig gewesen, aber

00:11:40,891 –> 00:11:58,811 [Ronen Steinke]
es ist halt wichtig, dass man nicht sagt, dieses wichtige Handwerkszeug – und es ist so eine Art Machttechnik – so ein Handwerkszeug, mit dem in unserer Gesellschaft wahnsinnig viel bewegt wird – dieses nicht anderen zu überlassen, sondern zu sagen: „Wenn ich finde, es läuft nicht alles richtig in der Gesellschaft, dann muss ich auch früh aufstehen und

00:11:58,811 –> 00:12:02,551 [Ronen Steinke]
zu Not auch unter Schmerzen sind wir antun. Unkonventionelle Wegen. Ja, muss ich auch hin und was machen.

00:12:03,963 –> 00:12:07,003 [Raul Krauthausen]
Hast du Kanzleierfahrung? Hast du in der Kanzlei gearbeitet?

00:12:07,003 –> 00:12:16,824 [Ronen Steinke]
Kurz nur. Also ich hatte im Jurastudium immer so begleitend als studentischer Mitarbeiter in einer Strafverteidiger Kanzlei gearbeitet und dann danach auch während der Doktorarbeit so ein bisschen.

00:12:16,824 –> 00:12:22,443 [Ronen Steinke]
Das hätte ich mir auch gut vorstellen können. Also Strafverteidigung ist schon ein sehr ehrenwerter und sehr interessanter Beruf.

00:12:22,443 –> 00:12:24,343 [Raul Krauthausen]
Was ich

00:12:24,343 –> 00:12:40,943 [Raul Krauthausen]
so schön finde, dass du als Journalist ja quasi nicht nur Journalist bist, sondern auch Experte in Rechtssprechung, Rechtsfragen, juristische Fragen. Und manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich Artikel lese, egal wie,

00:12:40,943 –> 00:12:53,983 [Raul Krauthausen]
ich mich dann schon frage: Hat der Journalist, die Journalistin eigentlich Ahnung von dem Thema, worüber er sie schreibt? Weil bei dir in dem Thema würde ich dir quasi viel mehr vertrauen,

00:12:53,983 –> 00:13:00,663 [Raul Krauthausen]
wenn du was über, keine Ahnung, Urteile schreibst oder so, als wenn es jemand nach Gefühl schreibt.

00:13:00,663 –> 00:13:08,003 [Ronen Steinke]
Ja, das ist nett von dir. Das wird natürlich auch anders gesehen. Also das ist ja immer Ansichtssache. Was heißt Ahnung?

00:13:08,003 –> 00:13:22,963 [Ronen Steinke]
Ja, ich nehme das mal so als Kompliment, aber ich glaube, das ist immer total vom eigenen Standpunkt abhängig, ob man jetzt findet, der eine reimt sich was zusammen oder der hat genau den Kern der Sache erfasst. Das kann man nicht objektiv sagen, glaube ich.

00:13:22,963 –> 00:13:25,643 [Raul Krauthausen]
Ein Thema, das dir

00:13:25,643 –> 00:13:31,203 [Raul Krauthausen]
die ganze Zeit, über das du viel redest, ist das Thema Klassenjustiz.

00:13:31,203 –> 00:13:39,783 [Raul Krauthausen]
Da kommen wir auch gleich noch mal drauf zu sprechen. Aber du hast auch noch viele andere Themen, nämlich Außenpolitik war lange dein Thema,

00:13:39,783 –> 00:14:01,323 [Raul Krauthausen]
Antisemitismus, vielleicht auch wegen deiner Biografie, Rechtsextremismus, Sicherheitsbehörden, Verfassungsschutz sind deine Themen. Alles spannend. Wir hätten da super viele Podcasts drumherum bauen können. Ich versuche, mich ein bisschen zu konzentrieren auf, was könnten Gemeinsamkeiten sein

00:14:01,323 –> 00:14:08,603 [Raul Krauthausen]
und wollte dich eingangs fragen: Was

00:14:08,603 –> 00:14:14,243 [Raul Krauthausen]
beeinflusst deine Arbeit mehr, die juristische Perspektive oder die journalistische Perspektive?

00:14:14,243 –> 00:14:22,543 [Ronen Steinke]
Also ich glaube, dass die juristische Perspektive steht schon am Anfang. Also das ist irgendwie so eine Prägung

00:14:22,543 –> 00:14:59,223 [Ronen Steinke]
oder Deformation oder ich weiß nicht, das ist aber vielleicht auch nicht schlimm ist, dass ich auf jeden Fall auf Themen immer mit so einer Linse schaue, was ist daran gerecht oder was ist daran ungerecht? Man könnte ja auch mit so einer ökonomischen Linse draufschauen: Ist das effizient? Mein Blickwinkel ist immer dieses Gerechtigkeitsthema. Und dann das Journalistische ist dann eher die Öffnung, also die Art der Umsetzung, dass ich finde, das kann man auch machen, dass man dann da juristisch kämpft und dann wie so ein Anwalt, was sozusagen im nächsten Leben vielleicht, oder wenn mein Leben ein bisschen anders verlaufen wäre, was auch sehr ehrenwert ist. Oder man öffnet sich und sagt: „Wir

00:14:59,223 –> 00:15:08,683 [Ronen Steinke]
diskutieren es. Wir stellen es zur Diskussion, und zwar so, dass wir möglichst viele Leute mit reinholen, dass es viele Leute verstehen. Und dann entstehen da ja oft ganz tolle Diskussionen.

00:15:08,683 –> 00:15:13,983 [Raul Krauthausen]
Wie bist du denn auf das Thema Klassenjustiz gestoßen? Und was ist das vor allem?

00:15:13,983 –> 00:15:33,223 [Ronen Steinke]
Also kurz gesagt, geht’s darum, dass Menschen, die nicht viel Geld haben, nicht so viel Gerechtigkeit bekommen vom unserem Justizsystem, was eigentlich nicht das ist, wie es laufen soll. Also das Versprechen ist ja eigentlich von dem Gesetz: Sind alle gleich, egal ob du reich oder arm bist. Die Gesetze sind für alle oder die Rechte sind für alle gleich gut.

00:15:33,223 –> 00:15:37,463 [Ronen Steinke]
Ich bin so darauf gekommen, dass ich als Journalist

00:15:37,463 –> 00:15:54,743 [Ronen Steinke]
viel zu Prozessen gegangen bin am Anfang, als Beobachter, über kurze Prozesse geschrieben habe. Und ich bin immer zu den Prozessen hingegangen, die aus meiner Sicht spektakulär waren. Also entweder Kriegsverbrecherprozesse oder riesige Korruptionsfälle oder Gewalt.

00:15:54,743 –> 00:16:34,763 [Ronen Steinke]
Und ich war dann immer nicht alleine, sondern ich saß da mit einem Pulk von anderen Journalisten, weil alle zu diesen vermeintlich großen Fällen hingehen. Vielleicht war ich dann irgendwann, als ich bei einer basilitischen Zeitung war, vielleicht auch mit Verursacher dieses Herdeneffekts, dass ich da vielleicht auch alle mitgezogen habe. Auf jeden Fall saßen wir da immer alle und das Gerichtsgebäude ist aber viel größer und rundherum sind überall Sitze, wo niemand saß, weil es niemand interessiert hat. Und ich habe mich dann irgendwann ertappt und jetzt im Rückblick schäme ich mich fast, dass es so lange gedauert hat, dass ich da diese Sichtweise einfach so unhinterfragt übernommen habe, dass das ja keine aufregenden Geschichten sind, wenn es da kleine Summen geht, also Diebstahl von

00:16:34,763 –> 00:17:59,983 [Ronen Steinke]
Mohrrüben und einer Packung Gummibärchen. So was wird jeden Tag in Deutschland vor Gericht verhandelt, jeden Tag. Also gibt’s hunderte solche Prozesse jeden Tag. Oder eine Zahnpastatube beim Druckermarkt. Oder eine Packung Kerzen. So was wird jeden Tag angezeigt, vor Gericht gebracht. Vielleicht nicht beim ersten, zweiten, dritten Mal, weil dann wird erst mal noch eingestellt. Aber solche Prozesse laufen ganz, ganz häufig. Und das ist eigentlich die Masse dessen, womit sich unsere Strafe beschäftigt. Also wir haben ja Amtsgerichte, so flächendeckend in Deutschland, in jedem kleinen Ort. Dann haben wir darüber die Landgerichte, die sich dann so ein bisschen die größeren Fragen herauspicken, wo es dann schon auch ein bisschen die wichtigere Geschichten sind. Aber eigentlich die Masse spielt bei den Amtsgerichten und die Masse sind Diebstähle. Das ist das häufigste Delikt in Deutschland. Und als mir das dann klar wurde, dass das eigentlich die große Geschichte ist unserer Justiz in unserer heutigen Zeit, Habe ich angefangen, diese Prozesse ganz bewusst aufzusuchen. Und die Dramen, die man da erlebt, die sind noch viel beunruhigender als die Dramen, die man in den vermeintlich spektakulären Prozessen sieht, weil man da sich auch die Frage stellen muss, was wir als Gesellschaft für eine Rolle spielen. Also wenn jemand wegen zwei Mohrrüben oder einer Packung Gummibärchen verknackt wird, kann man sich ja ausmalen, dass dahinter nicht auf Jux und Dollerei steht oder Sadismus, sondern dass da eine persönliche Tragik, ein Unvermögen, eine Krankheit sehr oft,

00:17:59,983 –> 00:18:08,563 [Ronen Steinke]
Armut und oft Depression oder so was dahinter steckt. Und wenn dann der Staat diese Probleme nicht lindert, sondern in dem Moment einfach nur mit dem

00:18:08,787 –> 00:18:09,307 [Ronen Steinke]
Läuft, ja.

00:18:09,307 –> 00:18:15,807 [Ronen Steinke]
Ja, so Vergeltungsgedanken auf das Thema draufhaut und das Problem eigentlich noch vergrößert,

00:18:15,807 –> 00:18:22,467 [Ronen Steinke]
dann hab ich ’n, also hab ich Fragen, wenn das dann am Ende Urteile im Namen des Volkes sind, ob ich das dann wirklich so mittragen will.

00:18:22,467 –> 00:18:26,007 [Raul Krauthausen]
Zumal ja auch nicht jeder sich ’n Anwalt, Anwältin leisten kann.

00:18:26,007 –> 00:19:11,747 [Ronen Steinke]
Das kommt hinzu, genau. Also das denken ja auch viele in Deutschland, dass man so, wenn man arm ist, automatisch ’n Recht auf’n Pflichtverteidiger hat und dann sozusagen weichfällt. Aber es ist auch nicht so, sondern wir haben da ’n sehr viel kapitalistischeres System eigentlich. Nur, wenn du wegen einer wirklich gewichtigen Tat beschuldigt bist, also sagen wir mal Mord oder Vergewaltigung, diese diese Größenordnung, dann hast du das Recht darauf, dass dir der Staat zur Not unter die Arme greift und eine Anwältin, ’n Anwalt zur Seite stellt. Das ist aber selten. Und die Masse der Fälle, wo’s nur diese kleinen Diebstähle geht oder auch kleine Prügeleien oder betrunken Auto gefahren. Diese Masse der Fälle, neunzig Prozent der Fälle, da hast Du kein Recht auf ’n Anwalt. Und da hockst Du dann, je nachdem, wie Du’s Dir leisten kannst, entweder mit ’nem Anwalt, den Selbe bezahlst oder halt in allermeisten Fällen hockst Du da alleine.

00:19:11,747 –> 00:19:16,727 [Raul Krauthausen]
Und die Anwälte, die eingestellt werden, sind wahrscheinlich auch nicht die Bestbezahlten.

00:19:16,727 –> 00:19:21,927 [Ronen Steinke]
Genau. Und denn ich will denen gar nicht unterstellen, dass sie sich weniger Mühe geben, aber die haben natürlich dann auch weniger Ressourcen, weil

00:19:21,927 –> 00:19:24,067 [Raul Krauthausen]
die wissen’s nicht. Ja, viele Fälle gleichzeitig. Genau.

00:19:24,067 –> 00:19:37,147 [Ronen Steinke]
Du musst halt, dann deine Kanzlei finanzieren zu können, am Tag drei Fälle machen oder so. Das ist natürlich dann nicht darstellbar, dass Du dich da so ins Zeug legst, wie wenn Du privat bezahlter Anwalt bist, der dann so zwei, drei Prozesstage sich nur auf eine Sache konzentriert.

00:19:37,147 –> 00:19:49,827 [Raul Krauthausen]
’ne Bekannte von mir ist, ähm, Familienanwältin und, ähm, setzt sich aber auch stark für Geflüchtete ein. Und die Verfahren dauern ewig.

00:19:49,827 –> 00:20:03,867 [Raul Krauthausen]
Nicht jeder hat den Zugang zu ’ner Anwältin, sie hat auch gar nicht unendlich viel Kapazitäten. Also das ist, das– Wenn man wirklich in ’ner prekären Lage ist und ich würd jetzt mal sagen, ähm, Asylbeantragung und dann das Amt zweifelt das an und so.

00:20:03,867 –> 00:20:04,147 [Ronen Steinke]
Ja.

00:20:04,147 –> 00:20:08,487 [Raul Krauthausen]
Das sind ja, das sind so fundamental essentielle Fragen,

00:20:08,487 –> 00:20:15,727 [Raul Krauthausen]
dass ich mir die gar nicht ausmalen kann, was für’n Stress und Ungerechtigkeit da auch im System stecken.

00:20:15,727 –> 00:20:16,247 [Ronen Steinke]
Total.

00:20:16,247 –> 00:20:21,107 [Raul Krauthausen]
Wie viele Leute abgeschoben werden, bevor er verurteilt wurde oder bevor ein Urteil gesprochen wurde.

00:20:21,107 –> 00:20:52,947 [Ronen Steinke]
Also da gibt’s ja manchmal Anwälte, grade bei Abschiebungen, die sich das dann so, ähm, ja, auf die Fahne schreiben, pro bono reinzugehen und diese Fälle, einfach weil sie’s wichtig finden, zu machen. Und tatsächlich, also die entdecken dann, dass ganz viele, äh, Abschiebeentscheidungen rechtswidrig sind. Also wenn man’s einmal mit der Lupe anschaut, ist da eine ganze Menge Ungerechtigkeit. Und ich find, am Ende, das klingt manchmal so kleinlich mit diesen Anwälten, ja. Es klingt so, ach ja, komm, da geht’s doch nur Geld und da geht’s Geschäfte und so. Nein, da geht’s die Frage: Hast Du Rechte, die aufm Papier stehen oder sind die auch wirklich was wert?

00:20:52,947 –> 00:20:53,407 [Raul Krauthausen]
Mhm.

00:20:53,407 –> 00:21:01,147 [Ronen Steinke]
Und wenn Du nur im Gesetz irgendwelche Rechte hast, aber niemand, der das dann für dich erkämpft vor Gericht, dann ist das nichts wert.

00:21:01,147 –> 00:21:17,707 [Raul Krauthausen]
Super Stichpunkt. Ähm, ich bin vor einigen Jahren auf Gary Haugen gestoßen, ähm, der lange in der UN gearbeitet hat und, ähm, der ein TEDx Talk hält oder einen TED Talk hält über die Frage, ähm,

00:21:17,707 –> 00:21:30,787 [Raul Krauthausen]
wie wir in der Entwicklungszusammenarbeit, äh, oft auch Fehler machen, ne. Also dann gibt’s zum Beispiel, äh, grade in, in sogenannten, äh, Ländern des globalen Südens, ähm,

00:21:30,787 –> 00:21:35,887 [Raul Krauthausen]
keine Ahnung, stellt man halt fest, die Brunnen, äh, sind, äh–

00:21:35,887 –> 00:22:16,087 [Raul Krauthausen]
Also die, das Dorf braucht einen Brunnen und dann baut man den Brunnen in die Stadt und dann haben halt die Kinder das Wasser geholt und stellt halt fest, dass die Mädchen misshandelt wurden auf dem Weg oder entführt wurden, missbraucht wurden, was auch immer. Ähm, und dann die einzige Antwort, die dann viele NGOs haben auf dieses Problem, den Brunnen noch näher zu bauen, noch näher ans Haus oder an, ans Viertel oder auch die Schule. Aber es passiert trotzdem, dass die Kinder entführt oder vergewaltigt werden. Und das führt dann über die Jahre dazu, dass die Kinder nicht mehr Wasser holen oder nicht mehr zur Schule gehen.

00:22:16,087 –> 00:22:34,447 [Raul Krauthausen]
Und, ähm, er erzählte das so und er meinte, er versucht, in seiner Arbeit diesen NGOs dabei zu helfen, nicht nur diese Recht auf Bildung oder Recht auf Wasser zu behandeln, sondern auch das Problem dahinter, nämlich dass Kinder entführt und vergewaltigt werden-

00:22:34,447 –> 00:22:34,467 [Ronen Steinke]
Ja.

00:22:34,467 –> 00:22:41,347 [Raul Krauthausen]
-und das konsequenzlos bleibt, ähm, mit in die Betrachtung mit einzubeziehen, ähm, warum wird das nicht besser dann?

00:22:41,347 –> 00:22:42,207 [Ronen Steinke]
Ja.

00:22:42,207 –> 00:23:22,827 [Raul Krauthausen]
Und, ähm, dann erzählt er diesen Ted Talk wirklich sehr gut aufgebaut und sagt dann, „Ja, und wir sitzen jetzt hier alle im Kinosaal in unseren Stühlen und glauben, das kann uns nicht passieren. Wir können froh sein, dass wir ein funktionierendes Rechtssystem haben und so.“ Und dann spielt er, es ist in den USA, dann spielt er ’n, äh, Telefonanruf ab von einer Frau, die beim Sheriff anruft und sagt, „Ähm, ja, ähm, da ist jemand an meiner Tür und droht mich umzubringen.“ Und, ähm, die Frau im Callcenter vom Sheriff sagt, „Ähm, ja, verbarrikadieren Sie sich am Bad. Wir haben gerade kein Benzin im Tank. Rufen Sie Montag wieder an.“

00:23:22,827 –> 00:23:24,827 [Raul Krauthausen]
Und die Frau war am nächsten Tag tot.

00:23:24,827 –> 00:23:25,327 [Ronen Steinke]
Mhm.

00:23:25,327 –> 00:23:43,647 [Raul Krauthausen]
Und die Geschichte ist quasi, dass er sagt, wenn wir Recht nur noch denen zugestehen, die in städtischen Räumen wohnen, die Geld haben und, und Rechtsdurchsetzung, ähm, aber nicht den Armen in ländlichen Gebieten, dann weiß irgendwann der Täter das auch.

00:23:43,647 –> 00:23:53,367 [Ronen Steinke]
Ja, ich find, das ist total wichtig. Äh, genau, es gibt ’ne, ’ne, ähm, ’ne, ’ne Verbindung zwischen sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit.

00:23:53,367 –> 00:23:53,627 [Raul Krauthausen]
Mhm.

00:23:53,627 –> 00:24:22,167 [Ronen Steinke]
Und das wird, äh, find ich gut, dass Du das aber ansprichst, weil das wird oft so, ähm, das wird oft gar nicht gesehen. Ähm, das, das, ähm, Sicherheit nur für manche ist schon per se ein Gerechtigkeitsproblem. Und also auch diese Frage mit, mit Anwälten, also unser System, so kapitalistisch es ist, ja, aus meiner Analyse, also unser, unser Justizsystem, ist für mich mit meiner ökonomischen Lage okay. Ja, also ich komm schon klar. Ich, [lacht] ich kann, also ich kann auch die Briefe lesen, die sind ja-

00:24:22,167 –> 00:24:23,247 [Raul Krauthausen]
Als reicher Mann.

00:24:23,247 –> 00:24:34,443 [Ronen Steinke]
Ja, einfach auf, mit meinem Einkommen, ja. Also ich kann mir auch einen Anwalt leisten, wenn’s sein muss.Und auch wenn nicht, ich bin Muttersprachler. Ich kann mich da auch irgendwie präsentieren vor dem Richter oder der Richterin.

00:24:34,443 –> 00:24:52,603 [Ronen Steinke]
Aber man muss sich immer klarmachen, das ist ja nicht der Maßstab. Und ich bin ja in keiner Weise stellvertretend für die Masse Leute, die vor Gericht stehen. Und wenn du da mit Problemen stehst, nicht Muttersprachler bist, dir eben keine Hilfe leisten kannst, auch vielleicht nicht die formale Bildung hast, bei dieser Sprache mitzukommen, dann ist es nicht in Ordnung, das System.

00:24:52,603 –> 00:25:10,264 [Raul Krauthausen]
Also ich glaube, viele wollen das auch gar nicht wahrhaben, wenn man länger darüber nachdenkt. Ich kenne das oft so, dass man sagt: „Aber eigentlich geht es uns ja ganz gut. Ja, aber es gibt vielen, vielen Menschen, denen geht es nicht gut. Und da schauen wir zu wenig und zu selten hin. Was wären denn deiner Ansicht nach

00:25:10,264 –> 00:25:16,723 [Raul Krauthausen]
so große Hebel, die wir unbedingt bewegen müssten, um zu mehr Gerechtigkeit zu sagen?

00:25:16,723 –> 00:25:25,424 [Ronen Steinke]
Also das mit den Anwälten, wie gesagt, ich gebe immer zu, das klingt so ein bisschen kleinlich, da hab ich mehr Geld für Anwälte und so, aber das ist schon ganz wichtig. Also

00:25:25,424 –> 00:25:31,443 [Ronen Steinke]
die Vorstellung, dass man zu Leuten sagt, du kannst dich ja selber verteidigen, ist ein wirklich zynischer Witz.

00:25:31,443 –> 00:25:33,223 [Raul Krauthausen]
Ja, wir haben Traue mich ja gar nicht.

00:25:33,223 –> 00:25:37,863 [Ronen Steinke]
Ja, natürlich. Du hast ja auch Angst, was Falsches zu sagen. Das geht ja nach hinten los.

00:25:37,863 –> 00:26:18,263 [Ronen Steinke]
Und selbst wenn du sehr gebildet bist, das ist eine Kunstwelt, dieses Juristische, da musst du echt… Nicht umsonst muss man das ein paar Jahre studieren. Also man kann nicht ernsthaft erwarten, dass Leute sich selbst verteidigen können, sondern die sitzen dann da, verständlicherweise eingeschüchtert, kriegen den Mund nicht auf und am Ende werden sie vielleicht verurteilt, ohne dass ihre entlastende Seite der Geschichte gehört wird. Also das ist total unerlässlich, dass man da was ändert. Ansonsten finde ich ziemlich empörend in Deutschland, dass wir ganz viele Menschen einsperren, nur weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können. Das wäre, glaube ich, so das Zweite, was auf jeden Fall auch noch mal ein Thema ist.

00:26:18,263 –> 00:26:21,623 [Raul Krauthausen]
Aber wie könnte man das lösen, ohne zu sagen,

00:26:21,623 –> 00:26:25,223 [Raul Krauthausen]
Gelddelikte werden nicht bestraft? Weil das ist ja auch nicht in Ordnung.

00:26:25,223 –> 00:26:28,663 [Ronen Steinke]
Das stimmt. Man kann es jetzt nicht komplett einfach

00:26:28,663 –> 00:26:36,863 [Ronen Steinke]
freistellen, ob man das bezahlen möchte oder nicht. Aber man könnte, wenn Leute nicht bezahlen, was ja sehr oft passiert,

00:26:36,863 –> 00:26:53,443 [Ronen Steinke]
mehr Mühe aufwenden, zu forschen, warum die es denn nicht bezahlen. Und zurzeit haben wir ein System, was da gar nicht groß nachfragt, sondern da kommt kein Geld, ja, das geht ja wohl nicht. Und dann gibt es sofort eins auf den Deckel und dann gibt es sehr schnell auch schon die Reaktion, dass man vorgeladen wird, in Haft zu gehen, die Tage abzusetzen.

00:26:53,443 –> 00:26:56,303 [Raul Krauthausen]
Sei mal illegal ÖPNV gefahren und dann…

00:26:56,303 –> 00:27:46,243 [Ronen Steinke]
Dann kriegst du eine Geldstrafe von, was weiß ich, fünfhundert Euro oder weniger oder mehr. Und dann wird das übersetzt in soundso viel Tage Haft und die musst du dann antreten. Aber wenn man sich die Mühe machen würde, mal nachzugucken, woran liegt es denn eigentlich? Und mal zu differenzieren zwischen Leuten, die wirklich einfach dreist sind und halt keinen Bock haben zu zahlen und bei denen, wenn du mich fragst, muss man auch da nicht dann die große Geduld mit denen haben. Das ist dann auch schon in Ordnung, wenn die dann eingesperrt werden. Aber ganz oft wird man ja dann feststellen, dass es Krankheit, Unvermögen, also dass es Leute sind, die es beim besten Willen nicht bezahlen können. Und da bringt es auch nichts, wenn man denen droht und sie einsperrt. Das ändert auch nichts an deren Lage. Und da muss es dann die Gesellschaft, finde ich, schon irgendwie drauf haben, die Größe zu haben, dann denen eher mal zu helfen.

00:27:46,243 –> 00:27:52,643 [Raul Krauthausen]
Das heißt, Initiativen wie den Freiheitsfonds, die die Leute quasi freikaufen,

00:27:52,643 –> 00:27:53,343 [Raul Krauthausen]
findest du gut?

00:27:53,343 –> 00:28:11,463 [Ronen Steinke]
Finde ich großartig. Also falls, ich weiß nicht, ob das alle kennen. Das ist ein privater Verein, die sammeln Spenden und gehen dann damit zu den Gefängnissen hin und sagen: „Hier, ihr habt doch bestimmt Leute bei euch in der Haftanstalt, die nur wegen Fahren ohne Fahrschein, also in der U-Bahn, im Bus sitzen.

00:28:11,463 –> 00:28:31,323 [Ronen Steinke]
Wir möchten gerne deren Strafe bezahlen.“ Das darf man. Jeder darf in Deutschland für jeden die Geldstrafen bezahlen, ist völlig frei. Und die Anstalten sind sogar ganz happy darüber, weil die sehen auch keinen großen Sinn darin, Leute einzusperren, die eigentlich keine gewichtige Straftat begangen haben. Und dann spazieren da nach so einer Zahlung einfach mal zwölf Leute raus, die dann frei sind.

00:28:31,323 –> 00:28:38,683 [Raul Krauthausen]
Also sehr krass, dass es dann private Initiativen braucht, da wieder eine gewisse Gerechtigkeit herzustellen.

00:28:38,683 –> 00:28:39,083 [Ronen Steinke]
Total.

00:28:39,083 –> 00:28:41,303 [Raul Krauthausen]
Das Problem ist ja hausgemacht.

00:28:41,303 –> 00:28:49,243 [Ronen Steinke]
Ich finde es besonders absurd, dass es die Haftanstalten so freut, dass die inzwischen schon sich selber an diesen privaten Verein wenden.

00:28:49,243 –> 00:28:50,243 [Raul Krauthausen]
Hier haben wir wieder einen.

00:28:50,243 –> 00:28:52,443 [Ronen Steinke]
Wahnsinn.

00:28:52,443 –> 00:28:55,203 [Raul Krauthausen]
Wie kam es denn, dass du dann

00:28:55,203 –> 00:29:01,383 [Raul Krauthausen]
in deiner Arbeit auf das Thema Inklusion und Behinderung gestoßen bist?

00:29:01,383 –> 00:29:20,003 [Ronen Steinke]
Also ich bin da nur ein bisschen oberflächlich eigentlich. Ich würde mir jetzt nicht anmaßen, dass ich das schon so tief durchdrungen habe bislang, aber ich habe mich letztes Jahr zusammen mit einer Kollegin, Nora Markard, einer Buchprojekt gemacht. Wir haben verschiedene Bereiche des Rechts versucht,

00:29:20,003 –> 00:29:20,923 [Ronen Steinke]
verständlich zu machen.

00:29:20,923 –> 00:29:24,223 [Raul Krauthausen]
Das Buch heißt „Jura not alone“. Genau. Ein großartiger Titel.

00:29:24,223 –> 00:29:49,223 [Ronen Steinke]
Die Idee ist so eine Einladung. Man muss also niedrigschwellig, man muss da nicht schon irgendwelche Semester gemacht haben, sondern man kann das einfach so lesen und hoffentlich einfach so weglesen wie ein normales politisches Buch. Und wir werfen auf zwölf Bereiche son jeweiliges Schlaglicht und einer ist auch das Sozialrecht. Und ich glaube, was ein bisschen das Problem ist bei Inklusion in der politischen

00:29:49,223 –> 00:29:56,383 [Ronen Steinke]
Verkaufe oder so in unserem politischen System, warum das so wenige Leute interessiert, ist, dass es so ganz stark über

00:29:56,383 –> 00:30:07,823 [Ronen Steinke]
Empathie und Mitleid wahrgenommen wird. Ja, da geht es irgendwie um Almosen für Arme. Das ist überhaupt ein Problem unseres ganzen Sozialrechts. Das Sozialrecht, da geht es ja immer darum,

00:30:07,823 –> 00:30:15,423 [Ronen Steinke]
Leute bekommen irgendwie einen Zuschuss für eine Rampe, damit das Haus barrierefrei wird oder Leute bekommen einen Zuschuss, damit sie irgendwie

00:30:15,423 –> 00:30:28,523 [Ronen Steinke]
Pflege zu Hause bekommen. All diese Dinge werden wahrgenommen, glaube ich, von der Politik und von vielen Leuten als: „Na ja, das sind so Almosen. Wenn man Geld übrig hat, dann kann man es geben. Wenn nicht, dann nicht. Und wann hat man schon mal Geld übrig? [lacht leise] Actually, eigentlich nie.

00:30:28,523 –> 00:30:29,383 [Raul Krauthausen]
Ja, genau.

00:30:29,383 –> 00:31:08,203 [Ronen Steinke]
Und ich glaube, das ist eigentlich falsch. Eigentlich muss man es ganz anders auftreiben, weil eigentlich geht es eine Frage der Freiheit. Also eigentlich, wenn ich es richtig verstehe,Corrigiere mich, geht es doch darum: Wir alle haben das Recht auf Teilhabe. Wir alle haben das Recht, irgendwie am Leben teilzunehmen. Und ja, es geht eigentlich darum, also mit einem Rollstuhl, mit einem barrierefreien Umbau der Wohnung und so weiter oder mit einer Pflegebetreuung, uns die Freiheit zu geben, uns da zu entfesseln, dass wir das auch wirklich machen können, dass wir von diesen Barrieren befreit sind. Und ich glaube, wenn man das so positiv dreht, dann können sich da viel mehr auch Menschen mit identifizieren, die nicht selber betroffen sind. Und dann könnte man das, also so müsste man es eigentlich sehen, glaube ich.

00:31:08,203 –> 00:31:09,783 [Raul Krauthausen]
Also wenn ich jetzt die FDP wäre-

00:31:09,783 –> 00:31:10,803 [Ronen Steinke]
Ja, ein tolles, freies Thema.

00:31:10,803 –> 00:31:44,603 [Raul Krauthausen]
Wäre das doch ein super Thema, aber haben sie auch nicht hinbekommen, weil die, was mir auffällt, in dem ganzen Kontext Inklusion, ist doch, wie du sagst, das ist so das Sahnehäubchen auf der Torte, solange wir es uns leisten können. Die Torte schmeckt auch ohne Sahnehäubchen. Ähm Das ist das Erste, was gestrichen wird, wenn kein Geld mehr da ist. Das Letzte, was installiert wird, wenn gerade Geld da ist. Ähm Und vor allem so dieses, ähm es bleibt so ein Charity. Es ist nicht tief in der DNA, es ist nicht der Teig von der Torte.

00:31:44,603 –> 00:32:24,103 [Ronen Steinke]
Und wenn du jetzt FDP ansprichst, also ich greife das mal auf, weil gerade wenn man in so einer Leistungsdenke jetzt wäre und es geht einem um irgendwie Potenziale und Talente und wer kann, wer ist leistungsfähig und leistungswillig? Also es gibt ja auch ganz viel Forschung darüber, dass Leute, wenn du sie in so einem, wenn du ihn nur einen ganz kleinen Radius lässt, wenn du ihn nur ganz wenige Möglichkeiten gibst, dich zu entfalten, na ja gut, dann passt man sich halt um. Also wenn du in der Werkstatt bist und dir wird irgendwie nur angeboten, irgendwelche Kleiderbügel zu biegen, ja, okay, dann wirst du halt nie darüber hinauswachsen. Wenn man dir aber die Chance gibt, genau wie andere, the sky is the limit, ähm deine Sachen zu verwirklichen, ja, staunt man.

00:32:24,103 –> 00:32:26,683 [Raul Krauthausen]
Und das heißt ja nicht, dass wir jetzt alle Astronauten werden.

00:32:26,683 –> 00:32:31,723 [Ronen Steinke]
Ja, aber leistungsfähig und willig sind also verdammt viel mehr Menschen, als man es ihnen ermöglicht.

00:32:31,723 –> 00:32:41,403 [Raul Krauthausen]
Ich sage immer, dass CDU, FDP, SPD inzwischen auch, ehrlich gesagt, Inklusion nur solange gut finden, wie es kein Geld kostet.

00:32:41,403 –> 00:32:41,763 [Ronen Steinke]
Tja.

00:32:41,763 –> 00:32:46,583 [Raul Krauthausen]
Also man zeigt sich auch gern mit Behinderten auf dem ganzen Foto

00:32:46,583 –> 00:32:50,583 [Raul Krauthausen]
und so, aber das ist jetzt nicht… Verantwortung dafür will man nicht haben.

00:32:50,583 –> 00:33:25,303 [Ronen Steinke]
Ich weiß noch nicht mal, ob man selbst da, wo es nichts kostet, in der Schule beispielsweise. Ähm Klar, es kostet irgendwie Geld, die Aufzüge – da sind wir schon wieder beim Thema – einzubauen. Ähm Und manchmal kostet es irgendwie auch Aufwand, da mehr pädagogische Betreuung zu haben. Ähm Aber am Ende, wenn du es so auf Lebenszeiten betrachtest, also jetzt mal wieder rein ökonomisch, ähm jemanden zu haben, der autonom ist, der sein Leben im Griff hat, das hat so viele positive Effekte auf das gesamte Umfeld. Mich würde es wundern, wenn die Rechnung nicht eigentlich aufgeht.

00:33:25,303 –> 00:33:47,303 [Raul Krauthausen]
Aber so ein bisschen wie beim Klima. Du willst, du müsstest jetzt super teure, viele Maßnahmen machen, wovon man als Umweltminister:in niemals profitieren würde in der eigenen Legislatur ähm und wird dann sogar abgewählt, weil alles so teuer wurde und alle müssen sparen und keine Ahnung was. Ähm Aber der Effekt zahlt sich erst Jahre später aus.

00:33:47,303 –> 00:34:01,383 [Ronen Steinke]
Das ist wahrscheinlich in ganz vielen Bereichen so. Also auch bei Kriminalprävention sagt man das immer. Also die beste Möglichkeit zu verhindern, dass Menschen Opfer von Kriminalität sind, ist ja eigentlich mit den Tätern zu arbeiten, also denen irgendwie zu einem Job zu verhelfen, zum Beispiel, damit sie nicht so rückfällig werden.

00:34:01,383 –> 00:34:29,523 [Raul Krauthausen]
Was mir auffällt, ähm ich habe jetzt neulich ein Video mit dir gesehen, dann ging es um Diskriminierung und dann meintest du, ja, irgendwie aufgrund von Geschlecht, aufgrund von Ethnie, aufgrund von Glaube. Ähm Und du hast Behinderungen nicht genannt. Das ist jetzt nicht nur bei dir, sondern das ist ganz oft so, dass ähm wir reden über Vielfalt und Diversität und Gerechtigkeit und die Dimension Behinderung ist die Letzte, die genannt wird, oder die Erste, die vergessen wird.

00:34:29,523 –> 00:34:30,803 [Ronen Steinke]
Ja, da hast du recht. Ja.

00:34:30,803 –> 00:34:33,083 [Raul Krauthausen]
Woran glaubst du, liegt so was?

00:34:33,083 –> 00:34:40,923 [Ronen Steinke]
Also rein formalistisch, im Grundgesetz ist das ja so ein bisschen nicht in dieser Artikel drei ist ja unser Gleichheitsrecht. Ist es nicht in dieser Aufzählung der Eigenschaften.

00:34:40,923 –> 00:34:42,683 [Raul Krauthausen]
Das ist ein extra Absatz.

00:34:42,683 –> 00:34:53,623 [Ronen Steinke]
Ja, so ein Satz, der am Ende angehängt wird, aus eigentlich ganz grammatisch ganz verständlichen Gründen, aber dadurch ist es sozusagen nicht ganz im zentralen Fokus. Aber ich glaube, du

00:34:53,623 –> 00:35:00,583 [Ronen Steinke]
sprichst ja was viel Größeres an. Also es ist wirklich eine, eine… Es ist nicht so auf dem Schirm und das ist nicht richtig.

00:35:00,583 –> 00:35:33,983 [Raul Krauthausen]
Also mir fällt es einfach immer wieder auf und ich bin es auch sehr dankbar, weil man das dann eben immer wieder ansprechen kann und die Leute das ja auch sofort verstehen, dass das nicht richtig ist. Es gibt ja gar keine Leute, also es gibt sehr wenige Leute, die sagen: „Nee, ist richtig so.“ Ähm Das heißt, mir als Aktivist, das ist immer ein schönes Einfallstor, um dann noch mal anders ah ähm mit den Leuten ähm zu diskutieren. Ähm Wenn du jetzt aber von Klassenjustiz sprichst, dann, und Geld natürlich ein großes Thema dann immer ist, auch:

00:35:33,983 –> 00:35:38,303 [Raul Krauthausen]
Sind behinderte Menschen aber wirklich

00:35:38,303 –> 00:35:43,943 [Raul Krauthausen]
nicht auch noch anders diskriminiert, selbst wenn sie Geld hätten?

00:35:43,943 –> 00:35:54,203 [Ronen Steinke]
Ja, also bestimmt. Also das ist ja eh so eine Binse, dass man so in verschiedenen Dimensionen gleichzeitig mal, dass man privilegiert in einer anderen Eigenschaft ist man mal benachteiligt.

00:35:54,203 –> 00:35:55,163 [Ronen Steinke]
Ähm Ja.

00:35:55,163 –> 00:36:03,823 [Raul Krauthausen]
Also, dass Anwältinnen, dass Richter:innen einem das nicht zutrauen, ist ja erst mal keine Geldfrage.

00:36:03,823 –> 00:36:04,383 [Ronen Steinke]
Ja.

00:36:04,383 –> 00:36:08,923 [Raul Krauthausen]
Oder dass man Milde walten lässt, weil er ist ja eh schon behindert. Oder sie?

00:36:08,923 –> 00:36:13,143 [Ronen Steinke]
Ja. [Lachen] Ist das eine Diskriminierung? Schon irgendwie, ne?

00:36:13,143 –> 00:36:14,043 [Raul Krauthausen]
Ja, positive Diskriminierung.

00:36:14,043 –> 00:36:35,943 [Ronen Steinke]
Positive, ja. Nee, ich hab– Also was ich so als Beispiel total plastisch finde, ähm da gibt es einen großartigen Fernsehspot. Ab und zu wird mir der so in Social Media entgegen gespült, von einer Frau mit Down-Syndrom, die an der Bar ein alkoholisches Getränk bestellen will und dann wird ihr irgendwie nur so ein Kindersarg hingestellt.

00:36:35,943 –> 00:36:36,483 [Raul Krauthausen]
Ah ja, der Reader.

00:36:36,483 –> 00:36:43,423 [Ronen Steinke]
Ja. Und dann sagt sie: „Wenn ihr es mir nie zutraut, werde ich nie irgendwie wachsen.“ Auch ihren Eltern sagt sie es und in der Schule und im Job und so weiter.

00:36:44,075 –> 00:36:59,375 [Raul Krauthausen]
Ich habe jetzt gerade milde Balken lassen, gesagt, positive Diskriminierung. Aber viel ernster und viel schlimmer ist ja auch, das gab es jetzt auch gerade vor kurzem den Fall in Berlin, wo eine Frau mit Behinderung

00:36:59,375 –> 00:37:26,275 [Raul Krauthausen]
gewonnen hat vor Gericht, dass sie von einer Pflegerin misshandelt wurde und die Richterin das einfach nicht glaubte am Anfang. Oder überhaupt die ja das System ihr nicht glaubte, weil sie sehr behindert war. Und dass dann sich eine Anwältin dem annahm und das nochmal klar gesagt hat, na ja, also nur weil sie vielleicht anders spricht, heißt ja nicht, dass das falsch ist.

00:37:26,275 –> 00:37:27,855 [Ronen Steinke]
Ja, völlig richtig.

00:37:27,855 –> 00:37:35,995 [Raul Krauthausen]
Und ich glaube, davon gibt es so viele Fälle. Wir hatten, kannst du ja bestimmt mitbekommen, diese Morde in Potsdam im Oberlin Haus. Ja.

00:37:35,995 –> 00:37:52,875 [Raul Krauthausen]
Ich fand es super erschreckend, wie schnell dann Leute auch in den Medien sich äußerten und Verständnis zeigten für die Täterin. Ja. Nach dem Motto, jetzt ist ja auch ein anstrengender Beruf mit den Behinderten.

00:37:52,875 –> 00:37:58,895 [Raul Krauthausen]
Und dass da auch, das nicht mal klar eingeordnet wird vom Journalismus oder auch von Anwälten.

00:37:58,895 –> 00:38:53,115 [Ronen Steinke]
Also ich fürchte auch, dass da, wenn man mal ganz ehrlich ist, auch so dieses menschenverachtende Denken in lebensunwertem Leben vielleicht auch weiter verbreitet ist, als man als man ah verstehe denken würde. Und dass es vielleicht auch bei manchen deswegen so eine Art klammheimlicher Mitleid mit der Täterin gibt, genau nach dem Motto, man kann es ja irgendwo auch verstehen. Das ist natürlich das Allerschlimmste, wenn es also bei so einer Gelegenheit von so einem grauenhaften Verbrechen dann eher noch affirmiert wird in der Gesellschaft. Ich finde auch übrigens, ähm ich habe mich viel beschäftigt mit der Debatte den Abtreibungsparagrafen in Deutschland, zwei hundert achtzehn. Ich finde auch das eigentlich ein unterbelichtetes Thema. Es ist in Deutschland ja immer noch so, wenn das ungeborene Leben, der Fötus, wenn da festgestellt wird, dass es eine Behinderung geben wird, mhm aller Wahrscheinlichkeit nach, dann gibt es in Deutschland Regeln, wonach du bis zum Tag der Geburt mhm abtreiben darfst. Und was heißt abtreiben bei einem acht Monate alten Fötusen?

00:38:53,115 –> 00:38:56,775 [Raul Krauthausen]
Neun von zehn diagnostizierten Trisomien wurden dann abgetrieben.

00:38:56,775 –> 00:39:02,795 [Ronen Steinke]
Ja. Oder inzwischen gibt es ja auch so die Möglichkeit, dass man so screent und dann schon von vornherein irgendwie

00:39:02,795 –> 00:39:07,815 [Ronen Steinke]
ähm oder bei künstlicher Befruchtung wird das dann auch immer schon vermieden.

00:39:07,815 –> 00:39:09,215 [Ronen Steinke]
Also

00:39:09,215 –> 00:39:38,755 [Ronen Steinke]
das finde ich wirklich ’ne Debatte, die fehlt mir. Die müssten wir eigentlich mal. Und gerade von Menschen, die gegen Diskriminierung und die ähm sehr stark ihr Herz erwärmen können für die reproduktiven Rechte von Frauen und für eine gerechtere Gesellschaft, dass man da nicht trotzdem auch dazu bereit ist zu sagen, es geht aber nicht, dass wir weiterhin es erleichtern, eine Abreibung zur Verhinderung letztlich, dass jemand mit Behinderung auf die Welt kommt im Vergleich zu jemand anderem.

00:39:38,755 –> 00:40:07,535 [Raul Krauthausen]
Da gibt es ja tolle Initiativen, No-nipt-Initiative beispielsweise, mhm die sich da stark für einsetzen. Ähm Ich habe meinen ah YouTube-Beitrag gedreht für so ein Funkformat. Ähm Und da haben wir uns aus verschiedenen Perspektiven mit diesem Thema auseinandergesetzt. Und was ich tatsächlich so interessant fand, war, dass nach dem dritten Monat die Schwangerschaft abzubrechen,

00:40:07,535 –> 00:40:40,275 [Raul Krauthausen]
das ist ja nicht, ich nehme eine Pille, ja sondern das ist ja operativ, ein richtiger operativer Eingriff und ganz, also schlimm. Und es wird ganz oft argumentiert, dass ähm gesagt wird, na ja, Paare, die ein behindertes Kind haben, trennen sich mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als Paare, die kein behindertes Kind haben. Aber es gibt keine Untersuchungen darüber, wie viele Paare sich nach einer Abtreibung getrennt haben. Mmm Das heißt, wir vergleichen auch Dinge, die vielleicht gar nicht, also dass es nicht funktioniert als Vergleich.

00:40:40,275 –> 00:40:46,255 [Ronen Steinke]
Ja, und was ist denn das für ein Argument? Also die Chance, dass sich das Paar trennt, steigt. Ja, um Gottes willen.

00:40:46,255 –> 00:40:46,355 [Raul Krauthausen]
Ja.

00:40:46,355 –> 00:40:52,455 [Ronen Steinke]
Da kriegen wir Tränen vor den Augen. Das ist doch jetzt nicht ernsthaft ein Argument dafür, dass das Lebensrecht weniger gewichtig ist.

00:40:52,455 –> 00:41:03,695 [Raul Krauthausen]
Exakt. Und es gibt auch so was wie als Extremform natürlich, wenn du wirklich nicht in der Lage bist, das Kind zu erziehen, mhm dann gibt es ja Babyklappe.

00:41:03,695 –> 00:41:04,115 [Ronen Steinke]
Genau.

00:41:04,115 –> 00:41:11,175 [Raul Krauthausen]
Also es muss nicht immer eine Abtreibung sein. Und ich kenne so viele Menschen mit Trisomie,

00:41:11,175 –> 00:41:37,495 [Raul Krauthausen]
die sind glücklich. Ähm Und das ist nicht, also Wenn ich sehe, dass die glücklich sind, ja oder müssen auch nicht übertrieben glücklich sein, aber einfach zufrieden und das nicht infrage stellen, ihr Leben, das muss doch schon wertvoll genug sein. Absolut. Und der Kompromiss, den wir dann rausarbeiteten in dieser Videobeiteportage, war: Ähm Behinderung darf einfach kein Merkmal sein, länger abzutreiben.

00:41:37,495 –> 00:42:05,515 [Ronen Steinke]
Also genau, inzwischen ist es auch ein bisschen schamhaft, nur noch im Gesetz. Also früher war das ganz offiziell einfach so die Linie des Gesetzes. Heute ist dann die Rede davon, dass es eine psychische Belastung für die Mutter sein könnte. Und da kommen dann so Argumente rein wie: Ja, Trennungsrisiko steigt oder es ist Challenging oder wie auch immer. Ähm Aber am Ende läuft es weiterhin genau auf das raus, was du anprangerst und was ich finde echt, ähm also wo mir noch zu wenig Kritik geübt wird in der Gesellschaft. Ja.

00:42:05,515 –> 00:42:31,555 [Raul Krauthausen]
Ja, oder ich meine, das ist mir egal, warum du bis zum dritten Monat dich gegen ein Kind entscheidest. Mhm Also das würde ich jetzt ja den Frauen dann natürlich auch Jetzt nicht mehr Verantwortung geben, weil du es behindert bist oder nicht, sondern einfach bis zum dritten Monat ist der Grund egal. Ja ähm Aber danach soll es keine Ausnahmen geben. Äh Und die psychische Belastung der Eltern ist unfair. Ich finde es einfach unfair.

00:42:31,555 –> 00:43:18,807 [Ronen Steinke]
Ja, also ich bin da, wie gesagt, in diesen Debatten ähm sehr äh auf Seiten der Liberalisierung. Also wegen mir muss nicht nach dem dritten Monat dieser magische Moment sein. Man kann auch zum fünften oder sechsten, das ist dann eine medizinische Frage, genau aber wann der Fötus so weit fortgeschritten ist. Ähm Und natürlich gibt es da auch später, ne, also auch wenn es, wenn es ähm schon weiter fortgeschritten ist, immer noch Argumente, Notfallargumente, ja also das Vergewaltigung oder die Gefahr für das Leben der Mutter. Klar, dass du da in schwierigen ethischen Abwägungen steckst und dann auch sagen kannst: „Okay, dann… Aber die reine Tatsache.Ich ekle mich oder ich habe Angst davor, dass mein Kind behindert sein könnte. Und ich habe keinen Bock auf die Debatten, die das dann in meinem sozialen Umfeld geben könnte.

00:43:18,807 –> 00:43:26,267 [Ronen Steinke]
Also ich sag es jetzt ein bisschen flapsig. Ja, also das ist ja auch wirklich vielleicht Angst, dass man da überfordert ist. Aber das, finde ich, kann gar kein Argument sein.

00:43:26,267 –> 00:43:42,127 [Raul Krauthausen]
Ja, und wir müssen die Frage stellen: Wo kommt denn die Überforderung her? Was sind denn die Überforderungen? Ist es das einfach immer alle sagen: „Hast du es nicht vorher gewusst? Wie stellst du dir das vor?“ Das ist ja alles schlimm, verstehe ich auch total. Aber das ist ja das Problem.

00:43:42,127 –> 00:43:44,927 [Raul Krauthausen]
Genau Das Problem ist ja nicht ein behindertes Kind.

00:43:44,927 –> 00:43:45,927 [Ronen Steinke]
Genau richtig, ja.

00:43:45,927 –> 00:43:54,407 [Raul Krauthausen]
Gut, aber ich meine, wir beide als Männer. Ich fühle mich oft auf rohen Eiern, wenn ich dann so hart über so was spreche.

00:43:54,407 –> 00:44:34,027 [Ronen Steinke]
Ja, ich meine, es muss halt klar sein, in welchem Kontext. Also wir, also ich habe dich jetzt auch so verstanden, äh sind ja für das Recht auf Abtreibung und auf freie Entscheidung und eigentlich auch auf viel mehr als derzeit. Also ich kritisiere immer wieder, dass diese komische Kriminalisierung, die wir in Deutschland haben, dass das alles im Strafgesetzbuch ist und frei will ich das. Und das ist eine straffrei gerade. Da muss man unbedingt ähm mehr dahin kommen, dass das einfach eine Gesundheitsdienstleistung ist, die man so einfach in Anspruch nehmen kann. Aber kann nicht sein, dass es da unterschiedliche Maßstäbe gibt, je nachdem, ob das ähm das zukünftige Kind oder das werdende Leben behindert ist oder nicht.

00:44:34,027 –> 00:44:36,487 [Raul Krauthausen]
Bleiben wir doch beim Thema

00:44:36,487 –> 00:45:03,607 [Raul Krauthausen]
Behinderung noch mal kurz jetzt nicht zum Abtreibung, aber danach. Ähm Ich bin seit fünfundzwanzig Jahren in dem Bereich unterwegs und ähm ich höre sehr oft immer wieder die gleichen Floskeln, auch in der Community ne. Da wird halt gesagt, „Niemand darf benachteiligt werden, so Grundgesetz wird dann zitiert. Oder Artikel drei, Absatz drei, ähm wird dann auch zitiert.

00:45:03,607 –> 00:45:10,227 [Raul Krauthausen]
Oder jetzt relativ neu, äh äh wir haben ja die UN-BRK. Das ist doch jetzt alles ein Menschenrecht.

00:45:10,227 –> 00:45:11,427 [Ronen Steinke]
Also die Behindertenrechtskonvention.

00:45:11,427 –> 00:45:15,787 [Raul Krauthausen]
Genau. Und das stimmt auch alles,

00:45:15,787 –> 00:45:19,767 [Raul Krauthausen]
aber warum fühlt sich das trotzdem

00:45:19,767 –> 00:45:24,107 [Raul Krauthausen]
so träge an, dass sich eigentlich nichts verändert hat?

00:45:24,107 –> 00:45:51,047 [Ronen Steinke]
Ja, also da muss ich als Jurist leider unser großes Geheimnis verraten. Das sind alles nur wie eine Art Werbeprospekte. Ja, ne? Also das heißt noch lange nicht, dass du die Ware bekommst, die da im Projekt in dem Prospekt drin ist. Das ist ein Versprechen, also dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, so steht es im Grundgesetz. Also schon seit Beginn dieser Republik ist ja noch lange nicht eingelöst. Da fallen uns tausend Beispiele ein, die das widerlegen. Das sind halt Ziele oder Versprechen oder Ansprüche, die wir an einen Staat haben.

00:45:51,047 –> 00:45:57,767 [Ronen Steinke]
Und jetzt geht es darum, das zu erkämpfen. Und das ist ganz viel eine Frage von Macht in der Gesellschaft, von Ressourcen.

00:45:57,767 –> 00:46:14,827 [Raul Krauthausen]
Ich kann ja auch ein Land wie Deutschland nicht ins Gefängnis stecken. Richtig. [lachen] Also versuche ich das immer zu erklären, dass es ganz viele einzelne Schritte sind, die es braucht, dass man Deutschland wahrscheinlich, wenn es die UMBRK geht, ähm

00:46:14,827 –> 00:46:24,967 [Raul Krauthausen]
äh nur an der Ehre packen kann. Also zu sagen, ihr führt euch weltweit auch wie die Moralpolizei, aber bei den Behinderten, der nimmt es nicht so ernst. Das kann ja auch nicht sein.

00:46:24,967 –> 00:46:38,327 [Ronen Steinke]
Ein konkretes Beispiel: Inklusion in der Schule. Genau. Wir sind gesetzlich, also laut der Behindertenrechtskonvention, verpflichtet, dass es vollkommen offen ist für Menschen mit Behinderung, auf eine in Anführungszeichen normale, also auf eine Regelschule zu gehen, wenn man das möchte.

00:46:38,327 –> 00:46:41,187 [Raul Krauthausen]
Da sagst du in deinem Buch, dass es eine große Errungenschaft sogar ist.

00:46:41,187 –> 00:47:10,227 [Ronen Steinke]
Das finde ich auch total richtig und trotzdem wird es ja nicht umgesetzt. Mhm Da haben Leute dafür gekämpft, dass es auf Papier steht, aber damit ist halt noch nicht viel erreicht, sondern da muss man dafür kämpfen, dass es auch in der Realität umgesetzt wird. Und ja, genau wie du sagst, man müsste halt irgendwie den Dreh finden, dass das der Bundesrepublik peinlich wird. Mhm Ich weiß nicht, ob man da mit Sanktionen, wahrscheinlich kommt man da nicht so weit, äh aber ja, man muss das politisch peinlich machen. Es steht uns als dieses reiche Land sollte sich ein bisschen schämen. Das ist der Punkt.

00:47:10,227 –> 00:47:25,967 [Raul Krauthausen]
Meine aktuelle Theorie ist, die ändern sich ja auch über die Jahre, aber meine aktuelle Theorie ist, dass immer dann, wenn wir von Inklusion und Barrierefreiheit sprechen, ähm irgendjemand daherkommt, der sagt: „Wir müssen die Barrieren in den Köpfen senken, was nichts kostet.

00:47:25,967 –> 00:47:26,987 [Ronen Steinke]
Genau, was nichts kostet.

00:47:26,987 –> 00:47:37,627 [Raul Krauthausen]
Das ist so eine Floskel. Markus Söder sagt solche Sachen. Ja super. Olaf Scholz sagt so was ne. Ähm Oder auch wahrscheinlich die kommenden Politikerinnen sagen das. Ähm Und das ist ja

00:47:37,627 –> 00:47:45,867 [Raul Krauthausen]
ruinöse Empathie, weil es stimmt. Ja Alle klatschen, alle nicken. Ja Aber es ist konsequenzlos.

00:47:45,867 –> 00:47:46,507 [Raul Krauthausen]
Perfekt.

00:47:46,507 –> 00:47:47,647 [Ronen Steinke]
Politiker reden.

00:47:47,647 –> 00:48:09,427 [Raul Krauthausen]
Genau, wenn ich dann Markus Söder fragen würde, was heißt es, wenn wir jetzt das Studio verlassen? Was soll ich tun? Ja Dann hat er darauf keine Antwort. Ja Und dann gibt es Spezialistinnen, selbsternannte Spezialistinnen aus Wohlfahrtsverbänden, Soziallotterien und so weiter, die dann auf die Frage: „Was heißt das? Sagen: „Wir müssen aufklären.

00:48:09,427 –> 00:48:29,167 [Raul Krauthausen]
Und dann kleben die Plakate, machen Werbespots und so weiter und so fort. Aber wenn man sich die Kommunikationserzeugnisse anschaut, die sie produzieren, dann sind das immer Binsenweisheiten, die sie erzählen. Ja Also was die Kinder mit Behinderungen an meinen Recht auf Spielplätze, auf Schule, auf Freizeit, wo man denkt wie: „Ja,

00:48:29,167 –> 00:48:31,607 [Raul Krauthausen]
zeig mir das Arschloch, dass das nicht so sieht.

00:48:31,607 –> 00:48:35,347 [Ronen Steinke]
Aber sind alle schon so weit, meinst du? Also hat das nicht doch noch irgendwo eine Wirkung?

00:48:35,347 –> 00:49:07,387 [Raul Krauthausen]
Na ja, also das Arschloch, das das nicht so sieht. Gibt es da nicht eingegriffen. Wird von dem Plakat nicht umgestimmt werden, sondern das, was wirklich die Veränderung bringen würde, wäre die Begegnung. Ja Und die setzt doch Barrierefreiheit im Bau oder in den Medien voraus. Ja Also es ist andersherum. Es wird niemals der König der Behinderten auf den Balkon schreiten und sagen: „Halleluja, wir haben genug aufgeklärt, lassen wir jetzt Aufzüge bauen. Ja Sondern wir brauchen erst die Aufzüge, damit überhaupt die Vorteile sinken können.

00:49:07,387 –> 00:49:11,687 [Ronen Steinke]
Ja, du überzeugst mich total. Also eigentlich beginnt es mit der Inklusion in der Schule am besten, ne?

00:49:11,687 –> 00:49:23,971 [Raul Krauthausen]
Ja, im Kindergarten oder auf dem Spielplatz ist dann egal. Aber wenn wir sagen, wir müssen die Barrieren in den Köpfen senken.[Leise Musik im Hintergrund] Dann kommt auch superschnell irgendein Pädagoge Pädagogin daher und sagt: „Oh, für Behinderte bin ich nicht ausgebildet“.

00:49:23,971 –> 00:49:28,331 [Ronen Steinke]
Was ja okay ist. Also je nachdem. Und da muss man halt dann einfach anderes Personal noch hinzuholen.

00:49:28,331 –> 00:49:33,791 [Raul Krauthausen]
Ja, oder einfach mal sagen, das ist meine These: Eltern hatten vorher auch keine Ausbildung.

00:49:33,791 –> 00:49:35,072 [Ronen Steinke]
Ja, auch guter Punkt.

00:49:35,072 –> 00:49:39,351 [Raul Krauthausen]
Da muss man es halt lernen. So, das ist kein Rosinen picken.

00:49:39,351 –> 00:49:44,331 [Ronen Steinke]
Oder man muss dann die Ansprüche auch runterschrauben. Ist dann auch nicht verlangt, dass das alles tipptopp immer läuft.

00:49:44,331 –> 00:49:57,592 [Raul Krauthausen]
Inklusion ist immer die Auseinandersetzung von Verschiedenheit. Kompromisse finden, Streit, das [übersprechen 00:00:35] zu glauben, dass es irgendwie, wir müssen alle Freunde werden, ist auch in die eigene Tasche gelogen, ehrlich gesagt.

00:49:57,592 –> 00:50:07,291 [Ronen Steinke]
Mir fällt jetzt auch ein, die Parallele könnte man ja auch machen: Ähm, Willkommensklassen, ne? Oder überhaupt, äh, Schüler, Schülerinnen, die aus anderen Ländern herkommen, kein Wort Deutsch können.

00:50:07,291 –> 00:50:08,171 [Raul Krauthausen]
Ja.

00:50:08,171 –> 00:50:10,051 [Ronen Steinke]
Natürlich ist das auch super herausfordernd. [übersprechen 00:00:53]

00:50:10,051 –> 00:50:13,531 [Raul Krauthausen]
Es macht aber keinen Sinn, alle, die kein Deutsch können, in einen Raum zu stecken.

00:50:13,531 –> 00:50:14,271 [Ronen Steinke]
Ja, genau.

00:50:14,271 –> 00:50:15,392 [Raul Krauthausen]
Weil sie dann auch kein Deutsch lernen.

00:50:15,392 –> 00:50:32,251 [Ronen Steinke]
Also es leuchtet trotzdem ein, dass die Schulen das irgendwie handeln. Und dann erwartet man auch nicht von Tag eins an, dass alles tiptop läuft. Aber dass man das als Herausforderung annimmt, erwartet man schon. Und ich glaube, wenn das geht mit Leuten, die gar kein Deutsch können, dann, ja, fallen mir auch nicht viele Gründe ein, warum nicht auch Inklusion…

00:50:32,251 –> 00:50:45,851 [Raul Krauthausen]
Die Antwort ist der Schlüssel. Also wie hoch ist der Schlüssel von Kindern, die kein Deutsch können, eine Behinderung haben? Und da gibt es großartige Literatur, unter anderem von Jutta Schöler beispielsweise,

00:50:45,851 –> 00:50:53,771 [Raul Krauthausen]
ähm, die sagt, dass, ähm, kleine Klassen und mehr Pädagogen neunzig Prozent aller Inklusionsherausforderungen lösen würden.

00:50:53,771 –> 00:50:54,871 [Ronen Steinke]
Was heißt Kleinklasse?

00:50:54,871 –> 00:51:18,611 [Raul Krauthausen]
Fünfundzwanzig Kinder bei zwei Lehrerinnen. Das ist der ideale Schlüssel, weil man auch nicht vergessen darf, und sie ist Lehrerin, ne, weil man nicht vergessen darf, dass Kinder auch untereinander sich was beibringen. Und wenn es zu wenige sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Grüppchen bilden, größer. Ähm, und wenn Lehrer die Schülernnen als Ressource einsetzen: „Erklär dem das doch noch mal oder setz dich mal neben den oder so“, ähm,

00:51:18,611 –> 00:51:28,211 [Raul Krauthausen]
dann kann das funktionieren. Und vor allem würden von kleinen Klassen und mehr Pädagogen, vor allem die Nichtbehinderten, profitieren, weil sie die Mehrheit sind.

00:51:28,211 –> 00:51:28,711 [Ronen Steinke]
Ja.

00:51:28,711 –> 00:51:37,011 [Raul Krauthausen]
Und niemand will in ’ner Klasse unterrichten oder sein mit einunddreißig Schüler*innen alleine als Lehrer *hin.

00:51:37,011 –> 00:51:54,951 [Raul Krauthausen]
Und dann hast du auch Zeit, um das Wissen, was du brauchst, weil das Kind, keine Ahnung, blind ist und du nicht weißt, wie du Mathe unterrichtest, dieses Wissen halt aufzuschaffen. Aber eben im Jahr ein Kind und nicht vorauseilend vorher alles gelernt haben wollen.

00:51:54,951 –> 00:51:57,231 [Raul Krauthausen]
Weil das haben Sonderschullehrer*innen auch nicht.

00:51:57,231 –> 00:52:00,991 [Ronen Steinke]
Und wie viele Kinder mit Behinderung pro Klasse ist so empfohlen?

00:52:00,991 –> 00:52:44,831 [Raul Krauthausen]
Da wird gesagt, zwei bis drei. Auch nicht, also… Da ist der Schlüssel interessant, ähm, weil sonst gibt es wie an Sonderschulen auch so was wie eine Abwärtsspirale oder eben auch, man spricht dann von sogenannten Schonraumpfaden. Da wird dann so sehr geschont, dass dann auch keine Forderung mehr stattfindet oder Inspiration von anderen, etwas auch zu versuchen, die Grenze zu verschieben, ähm, so wie wir vorhin als Thema hatten. Und vor allem, und das ist tatsächlich das, was auch wieder wahrscheinlich uns zusammenbringt: Ähm, wie hoch ist eigentlich der Schüler*innen mit Migrationshintergrundanteil an Sonderschulen?

00:52:44,831 –> 00:52:53,311 [Raul Krauthausen]
Ähm, da gab es ja auch interessante Fälle in Nordrhein-Westfalen. Der Fall Lenart beispielsweise, der sich seine ganze Schullaufbahn

00:52:53,311 –> 00:53:04,091 [Raul Krauthausen]
gegen die Beschulung in der Sonderschule, äh, ähm, geklagt hat und am Ende seiner Schullaufbahn recht bekam, dass er falsch beschult wurde,

00:53:04,091 –> 00:53:10,371 [Raul Krauthausen]
äh, und dann Schmerzensgeld bekam für unterlassene Lebenschancen oder versagte Lebenschancen.

00:53:10,371 –> 00:53:22,371 [Raul Krauthausen]
Ähm, und wenn man mal schaut, und das ist immer das, was ich Sonderpädagoginnen sage, wenn sie gerade in der Ausbildung sind: Schaut mal wirklich, wie hoch ist eigentlich der

00:53:22,371 –> 00:53:28,651 [Raul Krauthausen]
Anteil von Kindern mit Migrationserfahrungen aus nicht europäischem Ausland?

00:53:28,651 –> 00:53:34,671 [Raul Krauthausen]
Und warum klatschen wir bei dem französischen Kind, das zweisprachig aufwächst-

00:53:34,671 –> 00:53:35,771 [Ronen Steinke]
Ja. [Lachen]

00:53:35,771 –> 00:53:37,331 [Raul Krauthausen]
Aber nicht beim syrischen Kind?

00:53:37,331 –> 00:53:46,791 [Ronen Steinke]
Das ist eine schöne Sprache oder eine gebildete Sprache. Genau, da gibt es jede Menge so Vorurteile gegen gute und schlechte und vermeintlich schlechte Sprachen.

00:53:46,791 –> 00:53:59,911 [Ronen Steinke]
Mir fällt ein, weil du das Beispiel mit dem Menschen in Nordrheinwestfalen gestellt hast, der das durchgeklagt hat. In dem Buch „Jura Not Alone“ schildern wir auch eine Jura Professorin, Theresia Degener, die sich unheimlich für Disability Rights stark gemacht hat, die, ähm-

00:53:59,911 –> 00:54:01,211 [Raul Krauthausen]
Die UN-BRK mitschrieb.

00:54:01,211 –> 00:54:23,951 [Ronen Steinke]
Ja, die wahnsinnig viel bewegt. Und die wäre überhaupt nicht Professorin, die hätte nicht studiert, die hätte kein Abitur gemacht und nichts, wenn es nach dem Schulsystem gegangen wäre. Ihr Vater hat damals sozusagen mit der Brechstange die Schule gezwungen, also den Lehrer mehr oder weniger, ja, ich sag’s jetzt mal so, also, er presst letztlich, du musst mein Kind nehmen sonst. Und

00:54:23,951 –> 00:54:32,771 [Ronen Steinke]
deswegen hat sie all diese Chancen gehabt und hat immer es abgelehnt, irgendwo so eingekastelt zu werden, in so einen Schonraum.

00:54:32,771 –> 00:54:49,931 [Raul Krauthausen]
Ich war jetzt vor ein paar Monaten in Spanien im Urlaub und hab da ein bisschen Zeitung gelesen und, äh, sah dann, das ist, keine Ahnung, war Zufall, da gab es dann irgendwie ein Porträt über eine junge Frau, ähm, die Down Syndrom hat und studiert.

00:54:49,931 –> 00:54:57,271 [Raul Krauthausen]
Und da fiel mir ein: „Wow.“ (Lachen] Ich kenn in Deutschland niemanden mit Trisomie einundzwanzig, der oder die überhaupt ein Abitur geschafft hat.

00:54:57,271 –> 00:54:58,431 [Ronen Steinke]
Ja.

00:54:58,431 –> 00:55:06,451 [Raul Krauthausen]
Also vielleicht gibt es das. Also meldet euch gerne [Kichern]. Ich hätte viele Fragen. Ähm, aber so dieses, ähm,

00:55:06,451 –> 00:55:10,831 [Raul Krauthausen]
wie kann es denn sein, dass es in Spanien offensichtlich

00:55:10,831 –> 00:55:18,331 [Raul Krauthausen]
in der Zeitung steht und in Deutschland, als jemand wie ich, der sich sehr viel mit dem Thema auseinandersetzt, das noch nicht gefunden habe?

00:55:19,823 –> 00:55:26,243 [Ronen Steinke]
Also ein Thema, wo wir auch im internationalen Vergleich echt keine gute Figur machen, selbst im europäischen Vergleich.

00:55:26,243 –> 00:55:32,423 [Raul Krauthausen]
Die Frage, die ich mir aufgeschrieben habe, weil das glaube ich auch etwas ist, das

00:55:32,423 –> 00:55:44,103 [Raul Krauthausen]
auch ein Teil des Problems sein könnte: Wer bildet eigentlich die Richterinnen fort in Bezug auf UN-Behindertenrechtskonvention und so weiter und so fort?

00:55:44,103 –> 00:55:47,904 [Ronen Steinke]
Das Problem ist, dass Richter und Richterinnen

00:55:47,904 –> 00:55:55,723 [Ronen Steinke]
nicht zwangsweise irgendwie Fortbildungen bekommen, sondern die bekommen so ein Angebot, so ein Menü und suchen sich dann aus, was sie wollen. Mhhhm

00:55:55,723 –> 00:56:15,004 [Ronen Steinke]
Das ist als Teil der richterlichen Unabhängigkeit, dass sie das frei entscheiden dürfen, dass man die nicht irgendwie in eine Richtung stupsen darf. Und ja, dann hast du halt das Ergebnis, dass sie dann meistens das wählen, was irgendwie einfach aufgrund so allgemeinen Interesses gerade interessant ist oder vielleicht politisch gerade interessant ist.

00:56:15,004 –> 00:56:18,144 [Ronen Steinke]
Und wahrscheinlich gehen da recht wenige zu solchen Angeboten.

00:56:18,144 –> 00:56:34,283 [Raul Krauthausen]
Ja, und dann stelle ich mir, die haben dann wahrscheinlich auch ältere Vorstellungen, antike Vorstellungen über Behinderungen und so, dass es dann vielleicht auch oft schnell Charity ist oder auch der Glaube, das Kind hat es an der Förderschule besser als an der Regelschule.

00:56:34,283 –> 00:56:41,543 [Ronen Steinke]
Richter, Richterinnen sind da Teil der Gesellschaft und wahrscheinlich gibt es da genau dieselben Vorteile wie auch sonst.

00:56:41,543 –> 00:56:43,623 [Raul Krauthausen]
Benutzt du viel künstliche Intelligenz?

00:56:43,623 –> 00:56:45,123 [Ronen Steinke]
Gar nicht bislang.

00:56:45,123 –> 00:56:55,503 [Raul Krauthausen]
Könntest du dir so was vorstellen? KI Anwälte oder so? Dass es das irgendwann mal gibt?

00:56:55,503 –> 00:57:23,703 [Raul Krauthausen]
Gleich geht es weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und wirst, wenn du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos findest du auf im-aufzug.de. Ende der Servicedurchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge. [Soundeffekt und Siegel der Serivce Durchsage]

00:57:23,703 –> 00:57:27,843 [Ronen Steinke]
Ja, ich kann mir schon vorstellen, dass so ganz viele

00:57:27,843 –> 00:57:37,883 [Ronen Steinke]
technische Handgriffe, die allgemeinen Geschäftsbedingungen schreiben oder durchsuchen oder irgendwelche Verträge aufsetzen, dass man so was,

00:57:37,883 –> 00:57:41,703 [Ronen Steinke]
ja, dass das so mit Prompts irgendwann funktioniert.

00:57:41,703 –> 00:57:46,503 [Ronen Steinke]
Die große Sorge, die man ja immer hat, ist, ob das bei

00:57:46,503 –> 00:57:48,883 [Ronen Steinke]
Lebensentscheidungen

00:57:48,883 –> 00:59:00,143 [Ronen Steinke]
eher ein Fortschritt an Rationalität ist oder eher nur ein Scheinfortschritt. Also wir haben ja heute auch so Entscheidungen, Prognoseentscheidungen, KI ist ja immer Prognose, wird der Mensch wieder straffällig werden? Also Richterinnen und Richter müssen sich fragen: „Lasse ich den jetzt vorzeitig aus dem Gefängnis raus oder nicht?“ Und die entscheidende Frage, die sie beantworten müssen, ist: „Wie hoch schätze ich das Risiko ein, dass der wieder rückfällig wird? Kann kein Mensch beantworten. Das ist die Zukunft. Ja, aber so, dann haben wir da so ein Bauchgefühl plus wir haben so ein paar Daumenregeln, was so dafür spricht, was dagegen spricht, dass jemand rückfällig wird. Ja klar, wenn er in einer festen Beziehung ist, ist es immer gut, das ist eher stabilisierend. Wenn er eine Sucht hat, dann ist es eher schlecht. Aber am Ende, tja. Jetzt ist die Frage, wenn wir eine KI hätten, die all diese Faktoren – und vielleicht sind es dann am Ende nicht drei oder fünf, sondern 100 – einberechnet, ob das dann wie so eine Art Superbrain zu der perfekten Prognose kommt. Das ist so die Utopie und die Sorge, die ich hätte und viele andere auch, dass man sich das nur einredet, dass das zu super wissenschaftlich präzise ist. Und in Wirklichkeit wären dann nur dieselben Bauchentscheidungen und vielleicht auch Vorurteile mhhhm ein bisschen geadelt durch die vermeintliche technische Versiertheit.

00:59:00,143 –> 00:59:24,903 [Raul Krauthausen]
Warum ich das frage? Weil ich habe ähm gesehen, dass du ja nicht nur das Thema Schule und Inklusion als Thema hast, sondern auch das Thema Arbeit und Menschen mit Behinderungen und Werkstätten, da schon viele Sachen zu gesagt hast. Und ich habe dann Chat GPT gefragt: Ähm Wie kann es eigentlich sein, dass Menschen, die in Werkstätten arbeiten, für weniger als den Mindestlohn,

00:59:24,903 –> 00:59:30,203 [Raul Krauthausen]
ähm von Fair Trade beauftragt werden, Kaffee zu verpacken?

00:59:30,203 –> 00:59:32,743 [Ronen Steinke]
Fair Trade, ja. Mmm

00:59:32,743 –> 00:59:35,803 [Raul Krauthausen]
Und dann hieß es, dass ähm

00:59:35,803 –> 00:59:40,903 [Raul Krauthausen]
ich weiß nicht, ob das stimmt, aber das war jetzt für mich die schnelle Antwort, dass dann

00:59:40,903 –> 01:00:02,623 [Raul Krauthausen]
die KI geantwortet hat, dass Fair Trade vor allem für im Ausland produzierte Sachen zählt und nicht für in Deutschland dann ahhhm produzierte Dinge. Aha Und das fand ich tatsächlich ganz interessant. Also klang plausibel, weiß nicht, ob das stimmt, ja aber so das ist ja eigentlich Fair Trade nicht zu Ende gedacht.

01:00:02,623 –> 01:00:09,063 [Ronen Steinke]
Also der Kaffeebauer in Kolumbien bekommt einen Mindestlohn und ja dann die Verpackung hier wird von Leuten unterm Mindestlohn genau gemacht, geschuftet ja.

01:00:09,063 –> 01:00:20,243 [Raul Krauthausen]
Ja. Und das, finde ich, wird auch viel zu wenig diskutiert, dass ähm ähm Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten weniger als den Mindestlohn verdienen. Ähm

01:00:20,243 –> 01:00:30,803 [Raul Krauthausen]
also dass das die einzige Gruppe ist der Menschen, die arbeiten, die weniger als den Mindestlohn verdienen dürfen. Selbst Praktikantinnen verdienen Mindestlohn.

01:00:30,803 –> 01:00:32,243 [Ronen Steinke]
Ja, wobei ähm.

01:00:32,243 –> 01:00:34,003 [Raul Krauthausen]
Die gelten nicht als angestellt.

01:00:34,003 –> 01:00:37,163 [Ronen Steinke]
Ja, ähm mir fallen noch die Strafgefangenen ein.

01:00:37,163 –> 01:00:39,943 [Raul Krauthausen]
Aber die haben ja jetzt vor Gericht Recht bekommen.

01:00:39,943 –> 01:00:50,603 [Ronen Steinke]
Genau, die haben jetzt ein bisschen mehr Geld, aber ist immer noch unter dem Mindestlohn. Ja ähm Ja, aber gut, bei den Gefangenen, kann man sagen, ist auch ein bisschen Teil der Strafe. Ich weiß nicht, was man bei Menschen mit Behinderung sagen kann.

01:00:50,603 –> 01:00:57,023 [Raul Krauthausen]
Na, da wird immer gesagt, das ist Rehabilitation. [lachen] Und die sind ja auch nicht angestellt, sondern beschäftigt.

01:00:57,023 –> 01:01:18,323 [Ronen Steinke]
Ja, und da haben wir dann genau das Problem, dass das dann die Haltung ist, mit der die Leute behandelt werden ja und dann, wie sagtest du, Schonraum. Und ähm ja, wenn das keinen Wert für euch hat, dann gibt es eben keinen Job. Also irgendwie muss man schon auch als Unternehmer, wenn man ’n Fair Trade Cafe zum Beispiel verpacken lässt, muss man auch sagen: „Entweder ist mir die Arbeit das Geld wert oder nicht.

01:01:18,323 –> 01:01:22,323 [Raul Krauthausen]
Ja, oder auch Fair Trade. Könnt ihr dann die Frage stellen: „Vergeb ich das Siegel dann oder nicht?

01:01:22,772 –> 01:01:26,031 [Ronen Steinke]
Wer macht das eigentlich? Da gibt es bestimmt ein deutsches Institut, das das irgendwie beaufsichtigt.

01:01:26,031 –> 01:01:26,352 [Raul Krauthausen]
Ja genau.

01:01:26,352 –> 01:01:28,092 [Ronen Steinke]
Könnte man denen mal sagen.

01:01:28,092 –> 01:01:46,972 [Raul Krauthausen]
Ja, also, das, ähm, die reden sich dann eben raus, weil, ähm, das ist halt in Deutschland so Gesetz. Und alle zeigen immer mit dem Finger auf den anderen. Das ist, glaube ich, auch so ein Grundproblem, ähm, was mich zur nächsten Frage führt, ähm, dass

01:01:46,972 –> 01:02:00,771 [Raul Krauthausen]
ich selber als Person, die in der Öffentlichkeit steht, sehr viele Mails bekomme von Menschen, die Hilfe suchen und Hilfe brauchen und ich selber viel zu oft mit leeren Händen dastehe,

01:02:00,771 –> 01:02:05,411 [Raul Krauthausen]
den Menschen zu helfen. Also viele Fragen, kann ich nicht

01:02:05,411 –> 01:02:27,191 [Raul Krauthausen]
helfen, weil ich bin kein Anwalt, bin kein Jurist, ich habe keine Zeit dafür. Ich kenne super wenige Anwälte, ähm, die sich diesem Thema widmen, wahrscheinlich auch, weil es gar nicht so viele gibt. Und dann weist man immer, oft verweist man immer auf die gleichen Organisationen hin. Und ich habe dann schon Bauchschmerzen, weil ich weiß, die werden denen auch nicht helfen.

01:02:27,191 –> 01:02:27,831 [Ronen Steinke]
Ja.

01:02:27,831 –> 01:02:34,751 [Raul Krauthausen]
Was würdest du jetzt sagen, wenn jemand sagt, er sieht in der Einrichtung nebenan, ähm,

01:02:34,751 –> 01:02:41,411 [Raul Krauthausen]
Misshandlungen, er ist selber aber nicht betroffen oder hat jetzt nicht die Kapazitäten, ähm, wo er oder sie hingehen kann?

01:02:41,411 –> 01:04:17,651 [Ronen Steinke]
Ja, also wirklich eine sehr, sehr große Frage und sehr schwierige Frage, weil, ähm, also ich stecke auch oft in der Situation, dass mich Leute mit Hilferufen anschreiben. Und nicht immer sind das dann Emails, die so in perfektem Deutsch sind und manchmal wirken die ein bisschen wirr und so, aber das ist ja eigentlich alles kein Grund, den nicht zu glauben, sondern das kann ja auch eigentlich Teil der Glaubwürdigkeit sein. Also allein aufgrund der Menge, ähm, kann man dann nicht vielen gerecht, nicht allen gerecht werden oder vielen nicht gerecht werden. Aber ich denke immer an einen Kollegen von mir, der hat in diesem, auch immer solche viele Mails bekommen und der hat einmal einer Mail richtig konsequent nachgegangen. Der hatte aus der Psychiatrie, ähm, ’n Brief bekommen, wo jemand also gesagt hat, der sei zu Unrecht eingesperrt. Und solche Briefe bekommen viele Journalisten, aber der ist dem mal nachgegangen und das war dann am Ende der Fall Gustl Mollath. Das war ein riesen Justizskandal und also im Landtag gab es da Riesenanhörungen und so weiter und stellt sich wirklich heraus, eine Verschwörung. Dieser Mensch war pathologisiert worden. Dem war also aufgrund von verschiedenen Verstrickungen, ähm, gerichtlich zu Unrecht bescheinigt worden, dass der eine Gefahr für sich oder andere darstellt. Und er wurde gegen seinen Willen eingesperrt. Und, ähm, nur weil dieser Journalist, ja, weiß nicht, zufällig oder weil er mal, sozusagen das Herz sich gefasst hat, dem mal richtig nachzugehen, dem Menschen erst mal zu glauben, nur deswegen ist der dann freigekommen, also weil sich da ein Journalist für eingesetzt hat. Und ich weiß nicht, wie viele solcher Waren und irgendwie Geschichten, die es wert sind, aufgedeckt zu werden, in unserem-

01:04:17,651 –> 01:04:18,091 [Raul Krauthausen]
In Dunkel zu verharren.

01:04:18,091 –> 01:04:28,351 [Ronen Steinke]
Ja, in unseren Posteingängen und vielleicht nicht ernst genommen werden. Also ich, ich schaffe es auch oft nicht und ich lege auch die Briefe oft weg, aber immer mit so nem nagenden schlechten Gewissen eigentlich.

01:04:28,351 –> 01:04:34,631 [Raul Krauthausen]
Und da, also, gibt es so was wie ne Gilde der guten Anwälte, Anwältinnen?

01:04:34,631 –> 01:04:38,731 [Ronen Steinke]
Nee, also weil gut er auch Ansichtssache ist, ne, gibt es nicht. Also es gibt, ähm-

01:04:38,731 –> 01:04:40,111 [Raul Krauthausen]
Der progressiven Linken.

01:04:40,111 –> 01:05:04,971 [Ronen Steinke]
Das gibt es schon. Es gibt so einen republikanischer Anwaltverein. Also früher gab es ja mal diese rechtsradikale Partei, die Republikaner. Damit hat es also gar nichts zu tun, sondern das knüpft an an die Weimarer Zeit und republikanisch im Versus kaisertreu. Republikanische Anwaltsverein machen vor allem sehr viel so Strafverteidigung, politische Sachen, ja, irgendwelche Demo-Straftaten oder, ähm, Streitigkeiten mit der Polizei.

01:05:04,971 –> 01:05:15,331 [Ronen Steinke]
Und sozusagen, wenn man in dieser Richtung jemanden sucht, ist das aber auch in anderen Punkten, ist das sicherlich eine gute Anlaufstelle. Das sind auf jeden Fall so progressive politische Anwälte.

01:05:15,331 –> 01:05:26,331 [Raul Krauthausen]
Ein anderes Thema, mit dem du dich sehr viel auseinandersetzt, ist das Thema Verfassungsschutz. Ähm, eine Frage, die mir jetzt spontan in den Sinn kam, als ich das las: Kennst du Spione?

01:05:26,331 –> 01:05:28,831 [Ronen Steinke]
Ja, also beruflich kenne ich schon einige, ja.

01:05:28,831 –> 01:05:32,051 [Raul Krauthausen]
Stellt man sich hier so vor wie bei James Bond? Nee, wahrscheinlich nicht.

01:05:32,051 –> 01:05:42,451 [Ronen Steinke]
Nee. Ähm, also der Verfassungsschutz ist ja der Inlandsgeheimdienst in Deutschland, also der Auslandsgeheimdienst, James Bond mäßig, das ist bei uns der Bundesnachrichtendienst.

01:05:42,451 –> 01:05:49,951 [Ronen Steinke]
Und, ähm, der Verfassungsschutz ist überall in unseren Städten. Also in jeder großen Stadt gibt es ein Büro des Verfassungsschutzes.

01:05:49,951 –> 01:05:50,891 [Raul Krauthausen]
Mhm.

01:05:50,891 –> 01:06:13,871 [Ronen Steinke]
In den Landeshauptstädten haben die ihre Zentralen. Es gibt sechzehn Landesämter. Die sehen aber auch oft unspektakulär aus. Also sie sind dann in irgendwelchen, entweder in so so, ähm, Behördengebäuden mit son Parkplatz davor und sieht also, oder manchmal steht auch nur dran Außenstelle des Innenministeriums. Und in unseren Städten sind es oft so getarnte Büros, die einfach aussehen wie irgendeine Softwareklitsche.

01:06:13,871 –> 01:06:14,431 [Raul Krauthausen]
[Mhm]

01:06:14,431 –> 01:06:47,511 [Ronen Steinke]
Und da gehen die dann ein und aus mit irgendwie Karohemd und Jeans und gehen mittags zum, zum Restaurant wie alle anderen, essen da Business Lunch für fünf Euro neunzig. Und die Nachbarn links und rechts ahnen gar nicht, dass das Spione sind. Und Spione auch nicht, die gehen dann nicht, äh, in irgendwelche Atomkraftwerke und, äh, klauen irgendwelche Chips, sondern, ähm, die gehen auf politische Treffen, ähm, von irgendwelchen politischen Gruppen, Bürgerinitiativen, äh, oder auch virtuell versuchen sie, in diese Gruppen reinzukommen und n bisschen zu lauschen, was da, ähm, politisch gedacht und gemacht wird.

01:06:47,511 –> 01:06:53,071 [Raul Krauthausen]
Und dein Kritikpunkt ist, dass das quasi ohne jede Kontrolle passiert.

01:06:53,071 –> 01:07:12,531 [Ronen Steinke]
Ein noch größerer Kritikpunkt ist eigentlich, dass das sich gegen legales politisches Agieren richtet, richten darf in Deutschland. Also in allen Ländern der westlichen Welt gibt’s das, dass natürlich die Polizei auch mal in Karohemd und Jeans unauffällig rumläuft, um Kriminalität, äh, zu bekämpfen. Du musst auch mal dich anschleichen können und mal irgendwie undercover.

01:07:12,531 –> 01:07:13,711 [Raul Krauthausen]
Der Polizist in Zivil.

01:07:13,711 –> 01:07:55,087 [Ronen Steinke]
Ja, das ist also völlig okay, da habe ich kein Problem mit. Und ich, also auch sich ein, äh, nisten in so Gruppen und undercover, da versuchen, das Vertrauen… Alles okay. Aber das Besondere in Deutschland ist-Dir kann als Bürger, als Bürgerin sowas passieren, dass du so ausspioniert wirst, selbst wenn du dich an alle Gesetze hältst, selbst wenn du der allerbravste Politaktivist bist, der also sagt, ich möchte hier ganz schön brav meine Flugblätter drucken und meine Einladungen zu Diskussionsabenden oder möchte ich kommunalpolitisch kandidieren. Alles legal. Mit Gewalt habe ich nichts am Hut. Und trotzdem kann der Staat, und das ist eine deutsche Besonderheit, das gibt es auch in Europa nirgends, kann der Staat trotzdem sagen, das ist uns zu gefährlich, das gucken wir uns mal genau an.

01:07:55,087 –> 01:08:00,567 [Raul Krauthausen]
Aber ist dann bei all der Merkwürdigkeit mit den

01:08:00,567 –> 01:08:03,107 [Raul Krauthausen]
Schwurblern

01:08:03,107 –> 01:08:19,287 [Raul Krauthausen]
Königreich Deutschland extrem abgedrehten Menschen dann ein Versagen des Verfassungsschutzes, wenn man gleichzeitig denkt, wie die mit Klimakleber innen umgegangen sind oder Leute, die gegen die a 100 kämpfen?

01:08:19,287 –> 01:08:31,727 [Ronen Steinke]
Also von den Leuten, die keine Gesetze brechen, also viele von den Königreich Deutschland Leuten sind ja selber eher Opfer von Gehirnwäsche oder sonst was.

01:08:31,727 –> 01:09:26,167 [Ronen Steinke]
Da muss man sich klarmachen, ja, es gibt auch eine ganze Menge Leute, die politisch vielleicht sogar ganz wertvolle Sachen machen und die trotzdem ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Also ich habe für mein Buch um Verfassungsschutz einen Abgeordneten der Linkspartei interviewt, der war 12 Jahre im Bundestag. Der hatte ein tiptop sauberes Strafregister. Der ist aus dem Bundestag ausgeschieden und hat dann Jura zu Ende gemacht, also Referendariat gemacht und in dem Rahmen bei der Polizei auch hospitiert. Also den haben sie wirklich durchleuchtet. Der hat null Straftaten in seinem Leben begangen und trotzdem ist er seit teenager Zeiten beim Verfassungsschutz aktenkundig. Hat er mal Akteneinsicht genommen und hat dann rausgefunden, es lag daran, dass sie festgestellt haben, er hat als glaube ich 16, 17 jähriger in einer Schülerzeitung gefordert, man solle Schulnoten abschaffen.

01:09:26,167 –> 01:09:26,967 [Raul Krauthausen]
Wow.

01:09:26,967 –> 01:09:28,407 [Ronen Steinke]
Und Cannabis legalisieren.

01:09:28,407 –> 01:09:29,867 [Raul Krauthausen]
Habe ich auch gefordert.

01:09:29,867 –> 01:09:36,247 [Ronen Steinke]
Also Schulnoten abschaffen haben wir glaube ich alle mal gefordert und ist auch weird, wenn man das nie sich gewünscht hat.

01:09:36,247 –> 01:10:07,927 [Ronen Steinke]
Und was war das dritte? Ja und die Wehrpflicht abschaffen, die damals noch aktiv war. So und das sind alles Forderungen. Also Cannabis legalisieren hat ja die Ampel unter dem Revolutionär Olaf Scholz am Ende gemacht. Wehrpflicht abschaffen hat der Freiherr zu Guttenberg gemacht von der CSU. Also ist jetzt auch nicht gerade linksextrem. Und trotzdem haben diese Vorwürfe genügt, dass dieser Mensch vom Geheimdienst ausspioniert und da wurden Akten angelegt und er sich eingeschüchtert wurde.

01:10:07,927 –> 01:10:09,267 [Raul Krauthausen]
Wie hat er das rausgefunden?

01:10:09,267 –> 01:10:12,047 [Ronen Steinke]
Der hat dann Jahre später Akten an sich genommen. Das kann man.

01:10:12,047 –> 01:10:14,387 [Raul Krauthausen]
Ich könnte jetzt anrufen. Wen ruf ich denn an?

01:10:14,387 –> 01:10:24,147 [Ronen Steinke]
Du kannst einen Brief hinschreiben, du hast ein Recht darauf. Du kannst dich auf diesen Paragrafen berufen und kannst sagen, ich möchte bitte, dass sie mir sagen, was sie über mich haben. Und dann kriegst du das auch.

01:10:24,147 –> 01:10:27,207 [Raul Krauthausen]
Interessant. Und das müssen die geben? Oder gibt es dann auch.

01:10:27,207 –> 01:11:23,767 [Ronen Steinke]
Manchmal winden sie sich dann und dann musst du dir vielleicht einen Anwalt nehmen oder eine Anwältin, die dir dann hilft. Und gut, der war Bundestagsabgeordnete, bei dem hat er sich vielleicht auch nicht getraut, da irgendwelche Spielchen zu spielen. Aber im Prinzip hast du den Anspruch. Und das Beispiel finde ich halt nur so eindrucksvoll, weil sobald du einmal die Tür öffnest und sagst, unser Staat darf uns ausspionieren, wenn er einfach unsere Politik, unsere politischen Forderungen suspekt findet, dann mag das sein, dass sich das dann zehn Mal gegen Leute richtet, deren politische Meinungen du und ich wirklich übel finden, aber die halt egal, aber trotzdem wir übel finden. Aber es wird sich am elften, zwölften Mal auch gegen Leute wie den besagten Linkspartei Abgeordneten richten. Und diese Tür haben wir geöffnet und da ist mir nicht wohl mit. Zumal wenn ich nicht weiß, wer in fünf oder 10 Jahren Innenminister ist. Der Innenminister gibt ja die Kommandos unter Verfassungsschutz. Möchte ich, dass ein Staat so eine Macht hat? Also in Frankreich, in England, in anderen europäischen Ländern ist die Antwort Nein, wollen wir nicht.

01:11:23,767 –> 01:11:26,347 [Raul Krauthausen]
Verstehe ich.

01:11:26,347 –> 01:11:44,707 [Raul Krauthausen]
Und doch. Doch. Also was mich überzeugt hat am Ende, als du gesagt hast, es ist egal welche Partei an der Macht ist, auch wenn sie es im Wahlkampf versprochen haben, dass sie das regeln wollen, wurde das nicht gemacht. Weil wahrscheinlich, wenn man an der Macht ist, man davon auch irgendwie profitiert.

01:11:44,707 –> 01:11:45,867 [Ronen Steinke]
Ja.

01:11:45,867 –> 01:11:54,867 [Raul Krauthausen]
Das hat mich überzeugt. Und wenn ich dann ein AfD Politiker bin und Innenminister werde, dann wird das gegen, also werde ich das natürlich auch nutzen.

01:11:54,867 –> 01:11:57,227 [Ronen Steinke]
Dann werden die Grünen beobachtet.

01:11:57,227 –> 01:12:08,527 [Raul Krauthausen]
Das hat mich überzeugt. Aber auf der anderen Seite, wenn es jetzt darum geht, die AfD verfassungsschutzmäßig zu beobachten, wenn es das nicht gäbe, wer würde es denn dann tun?

01:12:08,527 –> 01:12:32,567 [Ronen Steinke]
Ja, also ich glaube in der Antipathie gegen die AfD, da nehmen wir uns nichts untereinander. Ja, aber der Punkt ist doch, profitieren wir so sehr davon, dass der Verfassungsschutz uns da jetzt Dinge aufschreibt? Also weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Alles, was ich über die AfD weiß, weiß ich auch schon aus der Zeitung von klugen Menschen an Unis oder die Bücher schreiben. Der Verfassungsschutz kommt da eher so hinterher, hinter der Welle,

01:12:32,567 –> 01:13:01,827 [Ronen Steinke]
mit ziemlichen Jahren Verspätung oder wie auch immer. Auf jeden Fall ist er nicht da vorne weg, sondern eher hinterher und schreibt das alles behördenmäßig sauber zusammen. Wenn man wollte, also warum braucht man das? Warum will man sowas? Ich will das schon, weil ich. Weil ich finde, man muss gucken, ob es nicht Zeit für ein Verbotsverfahren ist. Aber wenn man will, kann man das jederzeit bei drei Professoren und Professorinnen in Auftrag geben. Man muss da eigentlich nicht ein stehendes Heer von Spionen in allen deutschen Städten haben, und zwar 8000.

01:13:01,827 –> 01:13:40,611 [Raul Krauthausen]
Ja, guter Punkt. Du hast in dem Gespräch aber auch gesagt, dass du findest, dass bestimmte Sachen diskutiert werden sollten, also auch gesellschaftlich öffentlich diskutiert werden sollten. Wie gehen wir mit A, B oder C um? Und ich habe manchmal aber das Gefühl, dass in einer so polarisierten Gesellschaft, in der wir uns auch immer mehr polarisieren, Debatten kaum noch möglich sind. Ja, also.[Stimme wird hochgefegt] Ich bin tatsächlich verunsichert, ich bin verunsichert, dass ich denke, wenn wir alles diskutieren, dann werden Dinge sagbar. Dann kommt da plötzlich ein Höcke und sagt: „Inklusion ist doof.

01:13:40,611 –> 01:13:46,071 [Raul Krauthausen]
Und dann wird es genauso verbreitet wie andere Meldungen und

01:13:46,071 –> 01:13:51,891 [Raul Krauthausen]
fällt dann auf fruchtbaren Boden bei Leuten. Und dann auf einmal werden Dinge sagbar, die vor zehn Jahren nicht sagbar waren.

01:13:51,891 –> 01:14:17,951 [Ronen Steinke]
Ja, also ich bin da, glaube ich, für das offene Wort, ehrlich gesagt. Weil wenn diese Gedanken da sind, die gehen ja nicht weg, wenn man die nicht ausspricht, sondern die gehen. Dann kann man vielleicht Leute zu einer besseren Einsicht bewegen, wenn das mal auf den Tisch kommt. Also bei Höcke habe ich jetzt diese Hoffnung nicht, aber bei vielen anderen hätte ich die Hoffnung schon. Wenn man das mal offen ausspricht und wenn man von vornherein sagt: „Nein, das darf erst gar nicht ausgesprochen werden,

01:14:17,951 –> 01:14:19,971 [Ronen Steinke]
wird man als Gesellschaft dann nicht vorankommen.

01:14:19,971 –> 01:14:22,212 [Raul Krauthausen]
Welche Verantwortung haben die Medien deiner Ansicht nach?

01:14:22,212 –> 01:14:25,352 [Ronen Steinke]
’ne riesige. Also

01:14:25,352 –> 01:14:46,791 [Ronen Steinke]
vielleicht nicht mehr so sehr wie vor ’ner Generation noch, weil heute ist das die Zahl der Kanäle, über die die Leute irgendwas loswerden können, viel größer. Und das ist auch richtig so. Es gibt nicht mehr diese Gatekeeper-Funktion, die es früher mal gab. Wenn du jetzt unten durch bist bei allen großen Zeitungen, das hindert dich heute nicht daran, trotzdem ein Publikum zu finden.

01:14:46,791 –> 01:14:59,791 [Ronen Steinke]
Aber ich glaube trotzdem, dass es so eine Orientierungsfunktion gibt, dass viele sich auch danach orientieren, was die Großen in Anführungszeichen oder die etablierten Medien machen, auch was für ein Wording sie wählen.

01:14:59,791 –> 01:15:00,611 [Raul Krauthausen]
Mhm.

01:15:00,611 –> 01:15:05,771 [Ronen Steinke]
Das ist ja auch nicht einheitlich, das wird auch nicht abgesprochen. Aber natürlich gibt’s dann so ein bisschen, ähm,

01:15:05,771 –> 01:15:11,331 [Ronen Steinke]
da schleifen sich dann so Kondenser ein. Und ich glaube, dass man da schon so eine

01:15:11,331 –> 01:15:15,011 [Ronen Steinke]
Verantwortung hat, irgendwo, ähm, Vorbild zu sein.

01:15:15,011 –> 01:15:18,491 [Raul Krauthausen]
Ich finde tatsächlich erschreckend, wie

01:15:18,491 –> 01:15:30,371 [Raul Krauthausen]
sie über jedes Stöckchen springen, dass ihnen die AfD hinhält und dann Meldungen groß machen, die vielleicht gar nicht dem entsprechen, was sie groß sind.

01:15:30,371 –> 01:15:35,251 [Ronen Steinke]
Das ist aber besser geworden. Also, ich erinnere mich, ganz zu Beginn…

01:15:35,251 –> 01:16:30,831 [Ronen Steinke]
Oder so gedacht: Der erste Wahlkampf von Donald Trump war genau ein Beispiel für das, was du sagst. Donald Trump hat einfach sich komplett outrageous benommen, hat in einer Tour gepöbelt und alle haben gebannt und mit riesigen Augen draufgeschaut, haben das berichtet. Der hat überhaupt kein Geld ausgeben müssen für Wahlkampfwerbung, weil ständig alles so, äh, weitergetragen wurde. Man ist über sein Stöckchen gesprungen. Bei der AfD war es auch so. Die AfD hat Eklat provoziert. Die haben ganz bewusst, sind raus spaziert aus Talkshows, zum Beispiel, mittendrin, empört. Und du hast dann im Endeffekt genau gemerkt, sie haben eine Botschaft platziert und dann haben sie geschaut, dass sie in den zehn Sekunden, nachdem eine gute Botschaft platziert wurde, den Eklat suchen und rausstürmen, damit du nachher dann diese dreißig Sekunden spielen kannst und dann sowohl die Botschaft als auch diese Opfergehabe drin. Also kurz gesagt, man hat’s denen schon am Anfang leicht gemacht, man hat es denen durchgehen lassen. Man hat ihre Provokation auch immer so zum Thema gemacht. Das ist dann später nicht mehr so sehr der Fall gewesen. Ich glaube, es ist auch besser geworden jetzt.

01:16:30,831 –> 01:16:41,831 [Raul Krauthausen]
Zum AfD-Verbotsverfahren einzuladen, AfD-Politiker:innen in die Maischberger-Sendung oder was auch immer, ist das nicht genau das, was das Problem ist?

01:16:41,831 –> 01:16:45,491 [Ronen Steinke]
Auf der anderen Seite muss man jetzt Angst vor denen haben? Ich hätte jetzt da keine Angst vor denen, dass die…

01:16:45,491 –> 01:16:51,191 [Raul Krauthausen]
Also ich habe sehr wenige Interviews gesehen, wo ich das Gefühl hatte, der oder die Journalistin hat ihn oder sie entzaubert.

01:16:51,191 –> 01:17:09,551 [Ronen Steinke]
Das stimmt. Ähm, oder jedenfalls so, wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut, scheint das noch nicht zu funktionieren. Und es wäre natürlich auch absurd, wenn man dann drei AfD-Leute hätte, die dann unter sich das alles besprechen. Aber, ähm, das ist ’ne so große Partei und Teil der Gesellschaft.

01:17:09,551 –> 01:17:21,671 [Ronen Steinke]
Man muss sie auch schon mal zur Rede stellen und mit denen diskutieren. Und ich hätte keine Angst, dass wenn da jetzt fünf Leute sitzen und als Sechster ist noch ein AfD-Mensch dabei, dass dann irgendjemand, ähm, dass man sich das nicht trauen sollte.

01:17:21,671 –> 01:17:26,151 [Raul Krauthausen]
Hast du schon mal ’n Streitgespräch dich befunden in ’ner Talksendung über jemanden?

01:17:26,151 –> 01:17:39,311 [Ronen Steinke]
Mit nem Ex-AfDler, ja der war, der war sch– nicht mehr ganz dabei, weil er irgendwie eine Häutung vorher die AfD verlassen hat. [Lachen] Ich glaub, gemeinsam mit Meuthen oder so. Also nee, so ganz mit einem aktiven AfDler noch nicht.

01:17:39,311 –> 01:17:40,471 [Raul Krauthausen]
Würdest du?

01:17:40,471 –> 01:18:01,731 [Ronen Steinke]
Ja, ich finde, wenn man’s prinzipiell ablehnt, dann ist da die Botschaft eigentlich: „Ich traue mich nicht oder ich habe Angst, dass du deine magnetische, hypnotische Wirkung aufs Publikum hast und ich möchte dem nicht ’ne Bühne bieten. Also die Angst habe ich gar nicht. Ich glaube schon daran, dass, äh, dass die Gegenargumente und die rationale Blick auf, auf Themen wie Migration, äh, dass man damit auch gewinnen kann.

01:18:01,731 –> 01:18:06,711 [Raul Krauthausen]
Oder dass man sich vielleicht mit Themen konfrontiert, die nicht ihre Themen sind. Mietpreisbremsen.

01:18:06,711 –> 01:18:18,671 [Ronen Steinke]
Kann auch schiefgehen. Also ich, wie gesagt, du sagst ja zu Recht, das Entzaubern gelingt oft nicht. Aber, ähm, dann liegt’s an einem selbst. Also die Herausforderung muss man schon annehmen.

01:18:18,671 –> 01:18:31,771 [Raul Krauthausen]
Aber wir sehen ja jetzt an Ländern wie Frankreich oder Holland, die vielleicht den Verfassungsschutz so nicht haben, dass die Rechten da auch, ähm, sehr viel Aufmerksamkeit bekommen.

01:18:31,771 –> 01:18:32,111 [Ronen Steinke]
Ja.

01:18:32,111 –> 01:18:39,631 [Raul Krauthausen]
Und gewählt werden. Äh, was können wir denn von anderen Ländern lernen, wo,

01:18:39,631 –> 01:18:50,691 [Raul Krauthausen]
wo das besser funktioniert? Also keinen Verfassungsschutz zu haben, finde ich auch vielleicht nicht wichtig, aber auch aus Unwissenheit. Aber regulieren fände ich schon wichtig.

01:18:50,691 –> 01:19:21,271 [Ronen Steinke]
Also ich finde dieses Prinzip in Deutschland, dass wir sagen, wir verbieten eine Partei, die offen faschistisch auftritt oder antidemokratisch, finde ich schon richtig. Also was man so wehrhafte Demokratie nennt. Was kann man lernen aus den Ländern rund um uns herum? Also man kann aus vielen europäischen Ländern, du hast gerade Frankreich und Niederlande genannt, lernen, wie man es nicht macht, nämlich dass die Konservativen – und die sind da wirklich das Scharnier im Parteiensystem. Die hocken da in der Mitte und die Frage ist, in welche Richtung kippt deren Wählerschaft. Dass die Konservativen, wie es in Frankreich geschehen ist, selber versuchen, so’n Abklatsch der neuen Rechten zu werden.

01:19:21,271 –> 01:19:23,031 [Raul Krauthausen]
Was die CDU ja auch gemacht hat im Wahlkampf.

01:19:23,031 –> 01:20:06,103 [Ronen Steinke]
Die hat auf jeden Fall sehr in die Richtung, so sehr so ausgesehen, ’ne Zeit lang. Ja, das ist, glaube ich, noch nicht ausgemacht, in welche Richtung das am Ende läuft. Aber die Gefahr ist da auch groß. Und in den Niederlanden auch. Und in Italien gibt es praktisch keine Konservativen mehr. Die sind komplett, ähm, aufgesaugt worden vom, vom, äh, vom Rechtspopulismus. Also sobald die Konservativen meinen, da, ähm-Lieber sich überbieten zu können oder mit heulen zu können. Bei so einem rechtspopulistischen Sound gehen sie eigentlich unter, weil die Leute wählen ja das Original. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass die CDU und die CSU, dass die einfach mal sagen und die hätten dazu die Glaubwürdigkeit bei ihrer Wählerschaft, die vielleicht die SPD, die Grünen nicht haben,

01:20:06,103 –> 01:20:14,563 [Ronen Steinke]
die Ausländer sind nicht unser größtes Problem. Wir haben Probleme in Deutschland. Ja, Problem eins bis Problem zehn gibt es eine Menge.

01:20:14,563 –> 01:20:55,503 [Ronen Steinke]
Aber wenn wir einfach mal die Wirtschaft zum Laufen brächten und vielleicht den Wohnungsmarkt also besser aufstellen, dass Leute leichter zu einer Wohnung kommen, dann würden vielleicht nicht alle unsere Probleme weggehen, aber da würden schon mal sechs von zehn Problemen gelöst sein. Und so nüchtern und so pragmatisch die Sache anzuschauen und so konstruktiv, das könnten die, glaube ich. Und ich habe den Eindruck, z.B. Daniel Günther in Schleswig-Holstein, der macht das auch. Der rennt der AfD nicht hinterher. Das kann auch funktionieren. Und das muss aber von der Union kommen. Und derzeit, also mit Friedrich Merz… Jens Spahn im Hintergrund. Die wollen dann eher der AfD vermeintlich das Wasser abgraben, indem sie

01:20:55,503 –> 01:20:57,003 [Ronen Steinke]
so auf deren spuren wandeln.

01:20:57,003 –> 01:21:10,123 [Raul Krauthausen]
Aber wenn wir das schon wissen, also es gibt ja auch Studien, die das belegen, auch in anderen Ländern, dass wenn man so tut, als wäre man auch so, man lieber das Original wählt, warum kommen diese Menschen nicht zu der Erkenntnis?

01:21:10,123 –> 01:21:21,243 [Ronen Steinke]
Tja, ich verstehe es auch nicht. Also in der Tat gibt es überhaupt keine Belege dafür, dass es je funktioniert hätte, dieses den Rechten nachlaufen, nacheifern.

01:21:21,243 –> 01:21:41,403 [Ronen Steinke]
Es gibt auch natürlich, muss ich fairerweise sagen, auch nicht das Gegenbeispiel, gibt es auch keine tollen Belege dafür. Ich habe jetzt Daniel Günther genannt in Schleswig-Holstein. Das ist jetzt vielleicht auch nicht das riesen Politiklabor. Das ist ein sehr kleines Bundesland, ein sehr schönes, aber [lachen] zwei Millionen Einwohner. Und vielleicht gibt es ein paar Besonderheiten, die jetzt nicht vergleichbar machen mit Nordrhein-Westfalen oder Sachsen.

01:21:41,403 –> 01:21:54,683 [Ronen Steinke]
Aber ich glaube, du gewinnst am Ende nur, wenn du die Nerven bewahrst. Und ich glaube, es gibt in Deutschland ’ne große, große Gruppe, also die klassischen CDU-Wähler, die das auch zu schätzen wissen, dass da vorne jemand ist, der die Nerven bewahrt, der nicht Showman spielt.

01:21:54,683 –> 01:21:56,943 [Raul Krauthausen]
Das ist ja auch konservativ, die Nerven bewahren.

01:21:56,943 –> 01:21:56,963 [Ronen Steinke]
Genau.

01:21:56,963 –> 01:21:58,963 [Raul Krauthausen]
Das ist ja eigentlich was Schönes, was Gutes.

01:21:58,963 –> 01:21:59,963 [Ronen Steinke]
Ja, ja.

01:21:59,963 –> 01:22:01,463 [Raul Krauthausen]
Ähm

01:22:01,463 –> 01:22:11,863 [Raul Krauthausen]
Ich habe einen Artikel gelesen auf Heise online. Weiß gar nicht, warum das da stand, aber da hieß es, dass diese Idee, dass wir in Deutschland Koalition bilden,

01:22:11,863 –> 01:22:20,903 [Raul Krauthausen]
nicht im Grundgesetz steht. Also wir können auch anders regieren. Man könnte ’ne Minderheitenregierung machen, die sich thematisch,

01:22:20,903 –> 01:22:26,323 [Raul Krauthausen]
je nachdem, die Mehrheiten dann sucht und so. Könnte das vielleicht die Lösung sein? Oder ein Ansatz?

01:22:26,323 –> 01:22:47,483 [Ronen Steinke]
Minderheitenregierung bedeutet ja, man wählt einmal gemeinsam einen Regierungschef, eine Regierungschefin und danach geht man wieder auseinander. Und dann bekommen also nur manche, die da mitgestimmt haben, auch Ministerien, also z.B. nur eine von diesen drei, vier Parteien, die gemeinsam den Kanzler gewählt haben und die anderen hocken dann daneben.

01:22:47,483 –> 01:23:07,623 [Ronen Steinke]
Also das ist ein Deal, den machen eigentlich sehr ungern die Parteien. Das verstehe ich auch. Warum sollst du da jemandem zur Macht verhelfen, wenn er dir nicht ein Stück von der Macht abgibt? Also deswegen ist es ein Problem, klar. Eigentlich stellt sich deswegen die Frage nicht so richtig, weil eigentlich so die, das natürliche Bedürfnis aller Akteure ist, eigentlich Koalitionen zu bilden.

01:23:07,623 –> 01:23:19,663 [Ronen Steinke]
Und nur wenn man sich mal total Spinnefeind ist, so CDU und Linkspartei, dann kommt es mal zu Minderheits oder zu Tolerierungen. Aber das sollte eigentlich nicht die Regel sein.

01:23:19,663 –> 01:23:21,203 [Raul Krauthausen]
Also auch wieder instabiler.

01:23:21,203 –> 01:23:21,583 [Ronen Steinke]
Ja.

01:23:21,583 –> 01:23:25,783 [Raul Krauthausen]
Aber man könnte vielleicht, wenn es um so Fragen geht wie

01:23:25,783 –> 01:23:28,963 [Raul Krauthausen]
Mietpreisbremsen oder so,

01:23:28,963 –> 01:23:32,003 [Raul Krauthausen]
auch an diesen…

01:23:32,003 –> 01:23:44,183 [Raul Krauthausen]
Also es gibt ja auch so einen Fraktionszwang, der dann eben oft auch verhindert. Eigentlich finde ich es richtig, aber ich bin, keine Ahnung, in der CDU, ich kann da jetzt nicht so abstimmen, dass das eben auch ganz viel verhindert.

01:23:44,183 –> 01:23:45,543 [Ronen Steinke]
Ja,

01:23:45,543 –> 01:24:01,503 [Ronen Steinke]
oder Koalitionsvertrag. Ist ja so, man einigt sich halt auch mit der anderen Partei und dann z.B. SPD und CDU. Die einen wollen vielleicht Mietpreisbremse und höheren Mindestlohn, aber sie müssen halt irgendwo unterschreiben, dass sie es nicht machen werden [kichern], sonst

01:24:01,503 –> 01:24:16,643 [Ronen Steinke]
läuft das halt nicht. Ja, das ist das Kompromiss, ist aber jetzt auch nichts Schlimmes per se. Auch wenn es jetzt im einen Fall mir besser gefällt und im anderen weniger gut, aber das ist erstma jetzt auch nichts Verkehrtes.

01:24:16,643 –> 01:24:18,563 [Raul Krauthausen]
Sprache.

01:24:18,563 –> 01:24:28,643 [Raul Krauthausen]
Sowohl, wenn es Diskriminierung geht, ist natürlich als Journalist ein Thema, wo man viel Verantwortung hat. Aber auch als Jurist

01:24:28,643 –> 01:24:32,003 [Raul Krauthausen]
finde ich Sprache auch unfassbar spannend.

01:24:32,003 –> 01:24:36,723 [Raul Krauthausen]
Weil, was bedeutet denn hinreichend? [lachen] So als Wort?

01:24:36,723 –> 01:24:47,703 [Ronen Steinke]
Ja, da gibt es bestimmt so eine juristische Definition mit dreifacher Verneinung. Die würde ich dann nachreichen. [kichern] Ja, also genau, hinreichend. Ähm Und, ähm,

01:24:47,703 –> 01:24:50,463 [Ronen Steinke]
nicht unerheblich ist auch so eine schöne Formulierung.

01:24:50,463 –> 01:24:51,523 [Raul Krauthausen]
Angemessen.

01:24:51,523 –> 01:24:54,843 [Ronen Steinke]
Ja, nicht unangemessen. [lachen]

01:24:54,843 –> 01:25:04,043 [Ronen Steinke]
Ja, also wir haben im Bereich Recht, also die Kommunikation zwischen Gerichten und und

01:25:04,043 –> 01:25:25,043 [Ronen Steinke]
Rechtsunterworfenen oder auch zwischen Behörden und Bürger:innen, da haben wir ja eine Kommunikation, die offiziell dazu dient, dass du ja zu was aufgefordert wirst. Also, das ist eine sehr wichtige Kommunikation. Das ist dann nicht wie gerade im Theaterstück oder die Zeitung kommuniziert mit ihren Leserinnen. Da ist es auch nicht so schlimm, wenn man ein bisschen was nicht verstanden wird.

01:25:25,043 –> 01:25:25,443 [Raul Krauthausen]
Mhm.

01:25:25,443 –> 01:25:37,243 [Ronen Steinke]
Das gehört auch dazu. Ja, oder wie gesagt, Theaterkunst, das ist sogar erwünscht, dass man nicht alles verstehen soll. Aber wenn ein Gericht dir eine Ansage macht, pass auf, du bist verurteilt, weil

01:25:37,243 –> 01:25:42,423 [Ronen Steinke]
gibt es überhaupt gar keinen Grund, warum er da was nicht verstehen sollte. Und dass da aber sich unser

01:25:42,423 –> 01:25:50,516 [Ronen Steinke]
System das herausnimmt.Ich glaube, sehenden Auges Sachen zu sagen, die nicht verstanden werden, finde ich schon irritierend.

01:25:50,516 –> 01:25:57,015 [Raul Krauthausen]
Also wenn es zum Beispiel darum geht, Barrierefreiheit herzustellen, dann heißt es angemessene Vorkehrung.

01:25:57,015 –> 01:25:57,735 [Ronen Steinke]
Kann alles heißen.

01:25:57,735 –> 01:26:03,415 [Raul Krauthausen]
Genau. Und man denkt, man liest es so und hat erst mal ein gutes Gefühl.

01:26:03,415 –> 01:26:13,895 [Raul Krauthausen]
Aber dass das dann immer noch so viel Auslegungssache und Spielraum ist, ist das dann nicht auch ein Teil des Grundes, warum

01:26:13,895 –> 01:26:22,116 [Raul Krauthausen]
so viel Frustration auch entsteht? Also, dass die Leute halt sagen: „Na ja, hilft mir eh nicht“, oder „Ich traue dem System nicht.“

01:26:22,116 –> 01:26:26,335 [Ronen Steinke]
Ja, also es wird immer so Auslegungsspielräume geben. Das ist

01:26:26,335 –> 01:26:30,816 [Ronen Steinke]
auch okay. Das, glaube ich, ist nicht per se verkehrt.

01:26:30,816 –> 01:27:06,255 [Ronen Steinke]
Unsere Gesetze, weil die halt für eine Million verschiedene Situationen passen müssen und wir können jetzt nicht eine Million Paragrafen haben, sondern idealerweise haben wir es ein bisschen übersichtlich und deswegen musst du natürlich so ein bisschen allgemein formulieren. Das ist nichts Schlechtes und das ist auch nicht in anderen Ländern irgendwie besser. Ich finde eher ein Problem, wenn es dann den konkreten Einzelfall geht und alle Fragen sind geklärt und jetzt hat man eine Person vor sich und jetzt sagt eine Richterin zu dieser Person, die vor ihr sitzt, was das Urteil ist. Oder es kommt ein Brief von der Behörde und der hat dann irgendwie, ähm,

01:27:06,255 –> 01:27:12,035 [Ronen Steinke]
Bescheid über die Aufhebung der aufschiebenden Wirkungen, der

01:27:12,035 –> 01:27:31,015 [Ronen Steinke]
Vollziehbarkeit und so weiter. Und du weißt gar nicht, was dann am Ende von dir gewollt wird. So, das müsste ja nicht so sein. Da reden wir von einem Einzelfall, da könnte man es ja auch klar sagen. Und ich glaube, da verschanzen sich dann oft die juristischen Entscheider*innen hinter dieser Sprache, weil sie dann meinen, kriegen sie weniger Kontra.

01:27:31,015 –> 01:27:33,615 [Raul Krauthausen]
Es muss ja allgemeingültig bleiben können.

01:27:33,615 –> 01:27:41,716 [Ronen Steinke]
Na ja, es ist besser, ein bisschen wolkig zu bleiben, auch ein bisschen auf Abstand zu bleiben, auch so emotional, oder, ähm,

01:27:41,716 –> 01:27:49,635 [Ronen Steinke]
ja, dass dann die Leute… Wahrscheinlich kommt dann auch weniger Resonanz von den Leuten und weniger Gemecker, wenn du denen so von oben herab nur die Dinge sagst.

01:27:49,635 –> 01:27:52,175 [Raul Krauthausen]
Was sind denn so, ähm,

01:27:52,175 –> 01:28:21,175 [Raul Krauthausen]
Grundwissen, das man haben sollte, wenn man sich mit dem Thema Recht auseinandersetzt? Also, ich hab zum Beispiel wirklich mal von ner Tagesschau-Journalistin gelernt und die meinte, sie hat sich mit dem Thema Soziales beschäftigt. Und sie meinte, dass es ihr extrem geholfen hat, dass ihr mal jemand gesagt hat, dass, ähm, wenn Politiker innen von der Entlastung von niedrigeren und mittleren Einkommen sprechen, dann meinen sie nie Bürgergeldempfänger.

01:28:21,175 –> 01:28:22,535 [Ronen Steinke]
Ja. Mhm.

01:28:22,535 –> 01:28:30,815 [Raul Krauthausen]
Ne, und das ist bei Sprache eben auch… Man denkt immer, das ist was Gutes, aber eigentlich geht’s nie Transferleistung.

01:28:30,815 –> 01:28:31,575 [Ronen Steinke]
Ja.

01:28:31,575 –> 01:28:38,655 [Raul Krauthausen]
Und, äh, nur wenn Transferleistungen genannt werden, sind auch Transferleistungen gemeint. Alles andere ist halt Wortschworbelei.

01:28:38,655 –> 01:28:44,355 [Ronen Steinke]
So ähnlich wie mit Sozialbetrug. Wir reden ja ganz viel über Sozialbetrug, aber da wird es nie Steuerhinterziehung mit gemeint-

01:28:44,355 –> 01:28:44,515 [Raul Krauthausen]
Genau.

01:28:44,515 –> 01:28:48,135 [Ronen Steinke]
-wobei das im Grunde, also, die Definition total erfüllt.

01:28:48,135 –> 01:28:55,195 [Raul Krauthausen]
Oder wenn Politikerinnen sagen, sie möchten die Bürokratie abbauen, dann sind es ganz oft Kürzungen im Sozialen.

01:28:55,195 –> 01:28:57,875 [Ronen Steinke]
Ja, nicht die Schuldenbremse beispielsweise-

01:28:57,875 –> 01:28:57,895 [Raul Krauthausen]
Genau.

01:28:57,895 –> 01:28:59,795 [Ronen Steinke]
-die ein bürokratisches Monstrum eigentlich ist.

01:28:59,795 –> 01:29:01,875 [Raul Krauthausen]
Ja.

01:29:01,875 –> 01:29:08,535 [Raul Krauthausen]
Also, das habe ich mir selber erarbeitet, aber vielleicht hast du noch mehr, ähm, Tricks, die man kennen kann als Laie.

01:29:08,535 –> 01:29:35,395 [Ronen Steinke]
Ja, also, ähm, da bist du als Laie aber oft in ’ner schwierigen Lage, weil da Leute, ähm, dir Sand in die Augen streuen mit solchen Begriffen. Also es ist ja bewusst, dass man so ein Framing wählt, was dich so ein bisschen in die Irre führen soll, ähm, dass man jetzt alle Fälle, wo du durchblickst und weißt, was sie in Wirklichkeit meinen, dass du das dann dekonstruieren kannst. Ähm, ich glaube, man muss es einfach skandalisieren, dass Leute,

01:29:35,395 –> 01:29:42,375 [Ronen Steinke]
und besonders der Staat, sich die Freiheit herausnehmen, so mit dir zu reden, dass sie dich im Dunkeln lassen.

01:29:42,375 –> 01:29:43,155 [Raul Krauthausen]
Mhm.

01:29:43,155 –> 01:30:02,515 [Ronen Steinke]
Denn du wirst immer der Schwächere sein. Du wirst nie in allen Bereichen so kompetent sein, dass du davon selber durchblickst. Natürlich bist du darauf angewiesen, dass man dir sagt, wie die Dinge jetzt sind. Ähm, keine Ahnung, du bekommst einen Bescheid, wo es irgendwie um Baugenehmigung geht. Du kannst jetzt nicht anfangen, da noch ein Studium extra nur dafür zu machen. [Lachen]

01:30:02,515 –> 01:30:04,195 [Raul Krauthausen]
Allein die Steuererklärung zu machen.

01:30:04,195 –> 01:30:09,295 [Ronen Steinke]
Oder das, ja. Steuererklärung oder auch deine Gehaltsabrechnung, wenn da irgendwelche Details über– das versteht ja kein Mensch.

01:30:09,295 –> 01:30:10,535 [Raul Krauthausen]
Ja.

01:30:10,535 –> 01:30:38,035 [Ronen Steinke]
Ähm, und das ist eigentlich auch mal ganz grundlegend für das, wie du dich fühlst als Bürger oder als Bürgerin. Ich glaube, es gibt gute Intentionen, warum das alles so kompliziert ist. Oft hat man da um Dinge gerungen und dann muss man auch die eine Ausnahme bedenken und die. Aber am Ende führt es ganz oft dazu, wegen der Kompliziertheit der Dinge, dass du mit so einem Gefühl der Ohnmacht in wichtigen Situationen deines Lebens bist, gegenüber dem Staat.

01:30:38,035 –> 01:30:49,275 [Ronen Steinke]
Das nimmt, glaube ich, auch zu, ja, dass du überfordert bist. Ähm, wir beide sind jetzt hier mit unseren Smartphones, aber es gibt ja auch ganz viele Menschen, die haben das schon nicht mehr mitgemacht. Also ältere Generation vor allem.

01:30:49,275 –> 01:31:07,335 [Ronen Steinke]
Furchtbar, wenn du dir vorstellst, du bist da abgehängt und hast dann auch vielleicht die Angst oder Berührungsängste, dich da überhaupt noch ranzutasten ans Internet, wie sehr du da abgeschnitten bist von ganz vielen Dingen. Und, ähm, ich glaube, das ist die Aufgabe von der Politik, den Medien, da echt Leute mitzunehmen.

01:31:07,335 –> 01:31:24,635 [Raul Krauthausen]
Auch kulturell. Also, ähm, auch das akzeptiert, also, ich war mal in Japan und ich war, ähm, erstaunt, wie man neunzig-jährige Menschen in der U-Bahn sitzt, die auf ihrem Smartphone Manga-Comics gucken. So, warum sehen wir so was hier nicht? Ich glaub, das ist auch eine kulturelle Frage. Das ist nicht einfach nur eine Altersfrage.

01:31:24,635 –> 01:31:25,175 [Ronen Steinke]
Ja.

01:31:25,175 –> 01:31:29,335 [Raul Krauthausen]
Sondern auch so trauen wir alten Menschen überhaupt zu,

01:31:29,335 –> 01:31:38,455 [Raul Krauthausen]
ähm, Smartphones zu nutzen. Es gibt auch so ein unausgesprochenes Vorurteil: „Du bist zu alt, ich erkläre dir das nicht,“ oder-

01:31:38,455 –> 01:31:39,635 [Ronen Steinke]
Das stimmt, ja.

01:31:39,635 –> 01:31:41,855 [Raul Krauthausen]
Also, das ist beides so ein bisschen…

01:31:41,855 –> 01:31:59,175 [Ronen Steinke]
Und ich war kürzlich in USA und da ist mir aufgefallen, dass so Beschilderungen, also Schilder, die dir einfach sagen, im Straßenverkehr, was du darfst, was nicht, super simpel sind. Es gibt irgendwie nie mehr als zwei oder drei Wörter und du verstehst sofort, was Sache ist. Und in Deutschland ist es dann alles so korrekt und es gibt Hauptsatz und Nebensatz.

01:31:59,175 –> 01:31:59,555 [Raul Krauthausen]
Ja.

01:31:59,555 –> 01:32:03,295 [Ronen Steinke]
Und ich glaube, ähm, dass in Amerika verstehen einfach mehr Leute es besser.

01:32:03,295 –> 01:32:05,835 [Raul Krauthausen]
Ja, ja, das stimmt.

01:32:05,835 –> 01:32:18,684 [Raul Krauthausen]
Ähm.Was ich mir eigentlich auch dachte, als ich gefragt habe, was sollten Laien wissen, ist so ein bisschen so das: Was kann das Grundgesetz und was eben auch nicht? Oder was

01:32:18,684 –> 01:32:35,723 [Raul Krauthausen]
heißt eigentlich Sozialgesetz? Was heißt eigentlich Strafrecht? Also ich habe manchmal das Gefühl, dass wir auch aus Unwissenheit und in der Schule, finde ich, wird das auch nicht angemessen erklärt, wie unser Rechtsstaat funktioniert. Das nur weil das, wie du vorhin gesagt hast, da steht, es nicht heißt, dass du das bekommst.

01:32:35,723 –> 01:32:41,843 [Ronen Steinke]
Ja. Also ich habe jetzt da keine so eine knackige Einsatzantwort, weil

01:32:41,843 –> 01:33:16,503 [Ronen Steinke]
dafür gibt es einfach unter der Überschrift Recht zu vieles. Also alle unsere Politik wird ja am Ende in Form von Recht geregelt. Also wir, das ist ja auch gut, wir sind ein Rechtsstaat. Das entscheidet nicht irgendwie ein Monarch, der morgens aufwacht, sondern wir müssen uns immer diskutieren, auseinandersetzen und am Ende auf eine Regel einigen. Deswegen alle Politikbereiche schlagen sich am Ende in Recht nieder und es gibt es nicht für alles. Ich glaube, was man so generell sagen kann, ist genau dieses „Ich habe keine übertriebene Ehrfurcht. Das ist auch nur Politik. Da haben sich Leute

01:33:16,503 –> 01:33:29,763 [Ronen Steinke]
auf einen Kompromiss geeinigt und es kann auch sein, dass sie sich zwei Jahre später schon auf was anderes geeinigt hätten. Es ist nichts in Stein gemeißelt und wenn es dir nicht passt, ist es vielleicht überraschend, wie leicht du auch Verbündete finden kannst, dafür zu kämpfen, was du änderst.

01:33:29,763 –> 01:33:32,143 [Raul Krauthausen]
Würdest du eine Rechtsschutzversicherung empfehlen?

01:33:32,143 –> 01:33:46,563 [Ronen Steinke]
Muss man nicht, glaube ich. Die hilft ja bei so Sachen wie Nachbarschaftsstreit oder Mietklage oder so was. Ist allerdings auch nicht ganz billig. Ich weiß nicht, ob man das unbedingt machen muss.

01:33:46,563 –> 01:33:48,663 [Raul Krauthausen]
Würdest du sagen, du bist Aktivist?

01:33:48,663 –> 01:34:25,483 [Ronen Steinke]
Nee, das würde ich nicht sagen. Ich bin Journalist. Also ich bin, ahm schreibe schon mit dem Ziel, dass es nicht nur wie so eine Fahrstuhlmusik des Lebens, wenn wir bei den Aufzügen. [lachen] Also ich hoffe jetzt nicht, dass meine Artikel dekorativ nur sind, sondern schon, dass sie was auslösen. Ähm Und sei es nur im eigenen Herzen oder im eigenen Denken. Ähm Aber ich trete es nicht an und formuliere wie so ein Aktivist ein Ziel. Ich möchte bis 2027 dieses Gesetz weggeschossen haben. Ähm Und ich mache auch ganz viel einfach nur so eine Grundlagenaufklärung. Also es geht einfach nur darum,

01:34:25,483 –> 01:34:28,283 [Ronen Steinke]
Fakten ans Tageslicht zu bringen.

01:34:28,283 –> 01:34:33,243 [Raul Krauthausen]
Du sagst aber, dass Aktivismus und Politik beziehungsweise Rechtsprechung Hand in Hand gehen.

01:34:33,243 –> 01:34:43,263 [Ronen Steinke]
Ja, also man kann da nicht so eine genaue Abgrenzung machen. Das sind auch so ein bisschen, also in der Abgrenzung auch eher Kampfbegriffe. Da muss man auch sich nicht darauf einlassen. Also

01:34:43,263 –> 01:34:54,203 [Ronen Steinke]
Journalismus ist ja nicht dafür erfunden worden, dass er keine Wirkung hat, sondern ist dafür erfunden worden, die Mächtigen zu kontrollieren. Insofern ist es immer auf eine politische Wirkung aus

01:34:54,203 –> 01:34:59,443 [Ronen Steinke]
und man wird da auch gar nicht so ganz wahrscheinlich trennscharf abgrenzen können.

01:34:59,443 –> 01:35:29,283 [Raul Krauthausen]
Ich hatte hier zu Gast mal Aladdin El-Mafaalani und irgendwie begegnen wir uns, war ich bei einer Veranstaltung und so. Das ist irgendwie ’ne nette Freundschaft, die daraus auch entstanden ist. Und der sagt ja, prangert ja sehr viel an, was in diesem Land problematisch ist: Bildungsgerichtigkeit, Migration. Und der hat ja auch immer recht. [kichern] Sehr gut. Wenn man ihn dann fragt: „Was heißt denn das konkret? Was sind denn jetzt Lösungen? Was sollen wir denn jetzt tun? Dann sagt er: „Ich bin nur Wissenschaftler.

01:35:29,283 –> 01:35:34,723 [Raul Krauthausen]
Und ich verstehe das, aber ich finde es halt auch einfach.

01:35:34,723 –> 01:35:50,803 [Raul Krauthausen]
Also wir müssen ja was ändern und so geht es ja nicht weiter. Und ähm dann, finde ich, macht man sich vielleicht auch manchmal zu schnell einen schmalen Fuß, zu sagen: „Ich bin kein Aktivist, muss noch etwas anderes machen. Ich bin nur Journalist, wir berichten nur und sagen, was ist und so.

01:35:50,803 –> 01:36:16,943 [Ronen Steinke]
Ja, ja, ja. Also genau, ich will jetzt da nicht Aladdin El-Mafaalani bewerten, ähm aber ähm es gibt ja so verschiedene Schritte. Du musst Erkenntnis erst mal haben und da auch einfach Infos zu sammeln, zu analysieren, ah sozusagen bereitzustellen, ist schon eine Menge erreicht mit. Ja Ja. Und wenn das der Beitrag ist, den Leute leisten, ist überhaupt nicht irgendwie geringzuschätzen.

01:36:16,943 –> 01:36:17,983 [Raul Krauthausen]
Überhaupt nicht. Zumeinung gesagt.

01:36:17,983 –> 01:36:54,303 [Ronen Steinke]
Schlussfolgerungen daraus zu ziehen und Forderungen daraus zu entwickeln. Also ich mache das. Ich schreibe sehr gerne Kommentare in der Zeitung zum Beispiel und das ist für mich die anstrengendste Textform eigentlich, mhhhm weil du musst erst alle anderen es schon gemacht haben. Ja Also es ist sozusagen die nächste Verarbeitungsstufe oder die nächste Konzentrationsstufe der Gedanken. Aber das heißt nicht, dass die untere Stufe weniger wert ist, sondern – unter sage ich jetzt schon – die Vorstufe. Ähm Also ich respektiere das auch, wenn Leute sagen, sie machen einfach nur Tatsachenforschung und nicht so sehr normativ. Ahhh Ich mache es nicht. Ich mache es schon auch normativ.

01:36:54,303 –> 01:36:58,663 [Raul Krauthausen]
Also mich als Aktivist frustriert das manchmal, wenn ich dann

01:36:58,663 –> 01:37:11,903 [Raul Krauthausen]
dann vor lauter Problemen stehe und dann schon gerne diesen Hinweis hätte. [kichern] Ja Dahin könnte man mal denken und das muss er dann nicht machen oder jemand wie du oder so. Ja Das können ja dann andere machen, aber so einen leichten Hinweis.

01:37:11,903 –> 01:37:12,663 [Ronen Steinke]
Ja, das weiß ich ganz gut.

01:37:12,663 –> 01:37:16,983 [Raul Krauthausen]
Dann hat er eine Antwort gegeben. Da hat er gesagt: „Na ja,

01:37:16,983 –> 01:37:51,423 [Raul Krauthausen]
ob er es richtig findet oder nicht, das ist nicht seine Frage gewesen. Aber wenn wir uns so schwer tun mit Migration und Zuwanderung, wir aber ein implodierendes Schulsystem haben und dass es zu wenig Fachkräfte gibt und viel zu viel Bedarf, ja dann müssen wir überlegen: Wo sollen die Fachkräfte herkommen? Und er nennt es magisches Wunschdenken. Also dann zu sagen: „Wir brauchen mehr Fachkräfte, ist halt nicht die Antwort. Ja Weil, wo denn her? Oder wir brauchen mehr Geld. Ja, wo denn her? Klar kann man Schuldenbremse lockern und so, aber wo sollen die Fachkräfte herkommen?

01:37:51,423 –> 01:38:17,395 [Ronen Steinke]
Das ist vollkommen richtig und ich finde es auch die allergrößte Absurdität in Deutschland, dass wir ein Land sind, wo irgendwelche U-Bahnen nicht fahren und Restaurants geschlossen sind, weil nicht genug Leute arbeiten. Und gleichzeitig haben wir Unterkünfte für geflüchtete Leute, die das alles machen könnten, ja genau nichts lieber täten, als endlich mal raus zu dürfen und.Schaffen und Geld verdienen, auf eigenen Beinen stehen, davon haben die ja geträumt. Deswegen sind die über das Mittelmeer hergeschwommen, ja oder?

01:38:17,395 –> 01:38:28,255 [Raul Krauthausen]
Er geht sogar ein Schritt weiter: „Selbst wenn wir diese Menschen hier nicht haben wollen, wer soll’s denn dann machen?“ Und dann sagt er: „Eine Ansatz könnte sein, alte Menschen einzubeziehen.

01:38:28,255 –> 01:38:42,256 [Raul Krauthausen]
Es gibt so viele alte Menschen, die Zeit haben, die das nicht unbedingt wegen des Geldes tun würden. Aber dann dachte ich so: „Wow, das ist mal ein komplett neuer Gedanke, der auch politisch gar nicht diskutiert wird.

01:38:42,256 –> 01:38:56,095 [Raul Krauthausen]
Natürlich gibt es viele Probleme dann daraufhin ne. Also will ich auch jetzt nicht einfach sagen, dass es eine einfache Lösung ist, aber das ist mein Gedanke, der mich als Aktivist inspiriert, zu sagen: „Ach krass, ja, so habe ich noch gar nicht gedacht. Ja

01:38:56,095 –> 01:38:57,615 [Ronen Steinke]
Erst mal so.

01:38:57,615 –> 01:39:04,795 [Ronen Steinke]
Also da bin ich jetzt nicht in meinem Feld der Expertise, aber ich würde auch denken, so was wie die Vereinbarkeit von Karriere und Familie [übersprechen 00:00:52] setzt ja auch Kräfte frei.

01:39:04,795 –> 01:39:05,556 [Raul Krauthausen]
Ja.

01:39:05,556 –> 01:39:08,795 [Ronen Steinke]
Dass Leute dann in der Lage sind, nicht zwanzig, sondern plötzlich dreißig Stunden die Woche zu worken.

01:39:08,795 –> 01:39:09,995 [Raul Krauthausen]
Da

01:39:09,995 –> 01:39:11,615 [Raul Krauthausen]
brauchst du Personal und wer soll’s machen?

01:39:11,615 –> 01:39:15,875 [Ronen Steinke]
Also auch wenn man so rum denkt, kann man auch die, die, die Zahl der Leute, die arbeiten, erhöhen.

01:39:15,875 –> 01:39:38,255 [Raul Krauthausen]
Aber deswegen, also manchmal wünsche ich mir als Aktivist diesen Hinweis, auch von Juristinnen oder von, von, ähm, eben Forscher innen wie, wie Aladdin. Ähm, da könnte man mal hinschauen. Ich habe zum Beispiel die Frage, ähm, lohnt es sich mal mit Lobbycontrol zusammen zu schauen, wie die Verstrickung zwischen Politik und Wohlfahrt ist.

01:39:38,255 –> 01:39:38,935 [Ronen Steinke]
Wohlfahrt? Mhhhm.

01:39:38,935 –> 01:40:09,375 [Raul Krauthausen]
Also Lebenshilfe Diakonie Caritas. In deren Vorständen sitzen ganz oft Politiker und die sägen ja ungern am eigenen Ast, wenn’s um die Abschaffung von Werkstätten geht und so weiter. Es ist einfach so ’ne Frage, die ich– Ich trau mich nicht, das Fass aufzumachen, weil dafür habe ich zu wenig Rechtskenntnis. Aber ich glaube, und ich mein, allein, dass Ulla Schmidt, ehemalige SPD Gesundheitsministerin, äh, äh, äh, bei der Lebenshilfe ganz oben ist,

01:40:09,375 –> 01:40:12,455 [Raul Krauthausen]
ist zumindest mal einen Blick wert.

01:40:12,455 –> 01:40:21,115 [Ronen Steinke]
Ja, also es könnte natürlich auch so sein, dass das ganz gut ist für diese Organisation, wenn dann gewichtige Leute, die sich in der Politik gut auskennen –

01:40:21,115 –> 01:40:23,715 [Raul Krauthausen]
Ich würde erwarten, dass behinderte Menschen da oben sitzen, [lacht]

01:40:23,715 –> 01:40:24,515 [Ronen Steinke]
Ja.

01:40:24,515 –> 01:40:26,955 [Raul Krauthausen]
Und nicht Gesundheitsminister innen.

01:40:26,955 –> 01:40:28,895 [Ronen Steinke]
Verstehe, ja.

01:40:28,895 –> 01:41:51,415 [Raul Krauthausen]
Aber das führt zu weit. Also einfach nur so, diesen Hinweis würde ich mir freuen, ab und zu zu bekommen aus, aus der dem Bereich der, ähm, Forscher innen der Expertinnen. Ich habe in meinem Buch „Wie kann ich was bewegen?“ die Kraft des konstruktiven Aktivismus mit vielen anderen Aktivistinnen aus anderen Bereichen gesprochen. Tupoka Oget, Luisa Neubauer und so weiter. Weil ich hatte das Gefühl, ich muss mal raus aus meiner, aus meiner Bubble, äh, und mal gucken: Sind die Beobachtungen, die ich in Bezug auf Aktivismus mache, ähm, nicht auch Beobachtungen, die andere machen? Ne, also dieses Gefühl, dass Aktivist sehr schnell, ähm, diskreditiert wird als Wort, ne, dass die Politiker innen sagen: „Ja, das sind halt die Aktivisten.“ Aber dass Aktivistinnen auch Experten sind mit der Zeit, ähm, vielleicht sogar mehr wissen als Politiker innen, ähm, hat mich sehr bestärkt in meiner Arbeit, als ich das dann hörte, dass Tupoka Oget oder, oder Luisa Neubauer das auch sagten. Ähm, aber gleichzeitig finde ich’s hochproblematisch – und da schließt sich der Kreis –, dass von Aktivistinnen auch immer die Lösung erwartet wird. Und das ist ja das, was ich Wissenschaftlern vorwerfe, dass sie auch keine Lösung präsentieren, sondern immer nur darstellen, wie es ist.

01:41:51,415 –> 01:41:52,295 [Raul Krauthausen]
Und, ähm –

01:41:52,295 –> 01:41:55,395 [Ronen Steinke]
Da bist du ja genauso schlimm. Du verlangst auch von allen sogar.

01:41:55,395 –> 01:41:59,535 [Raul Krauthausen]
Ja, natürlich. Ich bin genauso schlimm. Ähm,

01:41:59,535 –> 01:42:16,195 [Raul Krauthausen]
und mein Anspruch wäre, dass die Politiker innen, die damit Geld verdienen, die Lösungen dann eben entwickeln müssen. Aber wenn die dann zurückzeigen, ja, was wollt ihr denn? Wie stellt ihr euch das denn vor? Kann ja nicht immer so sein und so, dann, dann,

01:42:16,195 –> 01:42:27,915 [Raul Krauthausen]
dann wird quasi– Das ist sowieso schon eine ungleiche Bewaffnung. Ehrenamtliche Aktivistinnen oder gering bezahlte Aktivistinnen kämpfen gegen einen Apparat von Politiker innen mit Staatssekretären.

01:42:27,915 –> 01:42:48,015 [Ronen Steinke]
Das ist wahr. Das fällt mir auch übrigens beim Bundestag auf. Wir haben ja offiziell ein Parlament, was die Gesetze macht, aber de facto machen das die Ministerien. Die schreiben das Gesetz, geben es in den Bundestag und da wird es dann ein bisschen noch frisier– schön frisiert und dann… [lacht] Aber die Substanz, da kann das Parlament überhaupt nicht mithalten mit, äh, unserem Staats-, also Exekutivapparat.

01:42:48,015 –> 01:42:50,895 [Raul Krauthausen]
Genau. Hast du da Verbesserungsvorschläge?

01:42:50,895 –> 01:43:00,175 [Ronen Steinke]
Ich weiß gar nicht. Ist denn deine Wahrnehmung, dass es so wenige Leute gibt, die Lösungsvorschläge haben? Oder ist es nicht eigentlich so, dass wir ganz schön viele konkurrierende Lösungsvorschläge haben?

01:43:00,175 –> 01:43:11,055 [Raul Krauthausen]
Also [stammelt] im Bereich Inklusion, glaube ich, sind es gar nicht so viele Konkurrierende. Sondern da gibt es schon Dinge, wo wir uns alle mehr oder weniger drauf einigen würden.

01:43:11,055 –> 01:43:24,535 [Raul Krauthausen]
Ähm, aber es, es scheitert dann eben, dass wir uns einlullen lassen von Politiker innen, die sagen: „Ja, wir müssen die Barrieren in den Köpfen senken.“ Und dann–

01:43:24,535 –> 01:43:26,435 [Raul Krauthausen]
Das ist halt konsequenzlos.

01:43:26,435 –> 01:43:27,195 [Ronen Steinke]
Ja.

01:43:27,195 –> 01:43:29,695 [Raul Krauthausen]
Und ich hab mich selber ewig einlullen lassen.

01:43:29,695 –> 01:43:30,435 [Ronen Steinke]
Mmh.

01:43:30,435 –> 01:43:38,575 [Raul Krauthausen]
Und der, die Bildungsministerin Frau Prien [leicht verstaucht] ist jetzt aber auch nicht zuständig für den Aufzug an meiner Grundschule. Das ist eine Ländersache.

01:43:38,575 –> 01:43:40,035 [Ronen Steinke]
Mmh.

01:43:40,035 –> 01:43:45,755 [Raul Krauthausen]
Also wir, wir werden so beschäftigt gehalten im System,

01:43:45,755 –> 01:43:54,675 [Raul Krauthausen]
anstatt– Ich kann es gar nicht genau beschreiben, aber es macht so ’n, so ’n Gefühl von Hilflosigkeit, ähm, weil am Ende niemand zuständig ist.

01:43:54,675 –> 01:44:03,875 [Ronen Steinke]
Tja, dass du einen schweren Kampf, äh, zu führen hast, spricht ja nicht gegen den Kampf. Ähm, das, ähm– Wenn es einfach wäre, könnte es jeder, also.

01:44:03,875 –> 01:44:27,151 [Raul Krauthausen]
Ähm, bist du im, im Bereich, ähm, äh, deiner Arbeit als, als Journalist und so… Ich genieße ja immer so Momente, wenn Leute sagen, ähm-Und dann irgendwann habe ich verstanden, dass so wie du vorhin gesagt hast, dass du nach drei Jahren Jura gemerkt hast ach krass, da ist ja richtig Musik. Gibt es sowas vergleichbares in der Gegenwart,

01:44:27,151 –> 01:44:29,731 [Raul Krauthausen]
wo du sagst wow,

01:44:29,731 –> 01:44:31,671 [Raul Krauthausen]
hab ich so noch nicht gesehen?

01:44:31,671 –> 01:44:37,732 [Ronen Steinke]
Wir haben ja vorhin über das Sagbare gesprochen und ich hab also

01:44:37,732 –> 01:44:49,491 [Ronen Steinke]
ich hab auch in den USA, wo es ja eine sehr starke Tradition gibt von Meinungsfreiheit und da kannst du ja Sachen sagen straflos, die bei uns überhaupt nicht gehen,

01:44:49,491 –> 01:44:57,351 [Ronen Steinke]
komme ich eigentlich also traditionell komme ich also auch aus einer deutschen Denke, dass es also gut ist, da so Leitplanken zu haben und Tabus und

01:44:57,351 –> 01:45:01,711 [Ronen Steinke]
da ändert sich meine Meinung schon sehr gerade. Und ich glaube, dass

01:45:01,711 –> 01:45:37,091 [Ronen Steinke]
schon auch eine Weisheit darin liegt zu sagen, lass doch alle Leute ihre wie auch immer rohen oder widerwärtigen Gedanken auf den Tisch legen. Die sind ja da, diese Gedanken, die werden nicht verschwinden, wenn wir uns das Gespräch verbitten. Also da liegt schon so eine gar nicht so blöde Erkenntnis zugrunde zu sagen, Meinungsfreiheit bringt uns alle weiter. Dann gibt es halt Debatten, die sind oft nicht schön, aber besser als keine Debatten. Also da glaube ich, sind bei mir zuletzt so ein paar, so ein paar Weichenstellungen gewesen oder so ein paar Erkenntnisse gekommen.

01:45:37,091 –> 01:45:45,711 [Raul Krauthausen]
Das ist interessant, weil das hört man dann oft von Politikerinnen, die

01:45:45,711 –> 01:45:48,491 [Raul Krauthausen]
einfach alles so lassen wollen, wie es ist.

01:45:48,491 –> 01:45:57,431 [Raul Krauthausen]
Aber das aus deinem Munde zu hören, aus dieser Erfahrung heraus, dass in anderen Ländern das ja auch irgendwie funktioniert. Aber in den USA ist es dann auch schon hart polarisiert.

01:45:57,431 –> 01:46:18,031 [Ronen Steinke]
Ja, ja, das ist alles in den USA auch nicht perfekt. Unter Donald Trump wird die Mannesfreiheit gerade mit den Füßen getreten. Also an Unis beispielsweise, wo es dafür Konsequenzen gibt für Leute, die demonstrieren. Aber so meine ich es nicht. Sondern auf so einer ganz hohen Ebene. Die amerikanische Gesetzgebung und die Ansprüche, die sie formulierte vom Verfassungsgericht in den USA, die sind,

01:46:18,031 –> 01:46:34,271 [Ronen Steinke]
dass du letztlich eigentlich alles sagen kannst. Solange du nicht zur Gewalt unmittelbar aufstachest, kannst du, du kannst ja im Ku-Klux-Klan Outfit rumlaufen, du kannst mit Hakenkreuzen rumlaufen. Du kannst also die wüsten Dinge sagen, wo bei uns schon längst das Strafrecht zuschnappen würde.

01:46:34,271 –> 01:46:37,531 [Ronen Steinke]
Und

01:46:37,531 –> 01:46:41,871 [Ronen Steinke]
wir haben auf der anderen Seite eben dieses gut gemeinte

01:46:41,871 –> 01:46:46,211 [Ronen Steinke]
frühzeitige Intervenieren des Staates und Sprachverbote.

01:46:46,211 –> 01:46:52,991 [Ronen Steinke]
Und gleichzeitig haben wir dann auch so Exzesse, wie das dann der Mensch, der Robert Habeck, als Schwachkopf bezeichnet. Hast du mitbekommen?

01:46:52,991 –> 01:46:54,451 [Raul Krauthausen]
Ja, das war merkwürdig.

01:46:54,451 –> 01:47:06,431 [Ronen Steinke]
Da steht dann morgens, die Polizei macht eine Razzia bei dem. Und das ist halt das Ding, wenn du einmal so die Tür aufmachst, dass der Staat festlegen darf, ja, das ist ein bisschen zu frech. Und

01:47:06,431 –> 01:47:25,851 [Ronen Steinke]
da ist das nicht fair. Und Robert Habeck ist vielleicht nicht der schlimmste, aber wenn er sich mir vorstellt, diese Paragraphen könnte Donald Trump nutzen. Also wenn Donald Trump solche Macht hätte wie mit den deutschen Gesetzen, wie viele Razzien könnte der machen, weil Leute im Internet irgendwelche Schwachkopf Kommentare über ihn gemacht haben?

01:47:25,851 –> 01:47:27,391 [Raul Krauthausen]
Also

01:47:27,391 –> 01:47:29,251 [Raul Krauthausen]
blickst du zuversichtlich in die Zukunft?

01:47:29,251 –> 01:47:35,411 [Ronen Steinke]
Ja, eigentlich schon. Also wenn ich so die junge Generation heute anschaue, die so die zwanzig ist,

01:47:35,411 –> 01:47:51,971 [Ronen Steinke]
da sehe ich sehr viel Fortschritt im Vergleich zu früher. Also ganz viele Dinge, die, als ich so angefangen habe zu studieren, noch überhaupt nicht selbstverständlich waren. Was zum Beispiel das Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit betrifft. Klima brauchen wir gar nicht drüber reden, sowieso ja. Also

01:47:51,971 –> 01:47:53,671 [Ronen Steinke]
ein

01:47:53,671 –> 01:47:56,731 [Ronen Steinke]
auch spätes Erwachen bei mir ehrlich gesagt.

01:47:56,731 –> 01:48:00,851 [Ronen Steinke]
Da glaube ich schon, dass die großen Linien eigentlich hoffnungsvoll machen.

01:48:00,851 –> 01:48:04,571 [Raul Krauthausen]
Gilt das dann auch für das Rechtssystem, dass du optimistisch bist?

01:48:04,571 –> 01:48:10,511 [Ronen Steinke]
Ja, also da kann man alles ändern. Und ich nehme es so wahr, es lohnt sich, da zu streiten, zu kämpfen.

01:48:10,511 –> 01:48:14,471 [Raul Krauthausen]
Hast mal den Begriff geprägt strategische Prozessführung?

01:48:14,471 –> 01:48:31,491 [Ronen Steinke]
Also es stammt nicht von mir. Das ist so letztlich Aktivismus mit juristischen Mitteln, also wie es ja so NGOs manchmal machen, dass sie sich sozusagen Präzedenzfälle suchen und dann mit Geld und mit guten Leuten in diese Prozesse reingehen, um Leiturteile zu erstreiten.

01:48:31,491 –> 01:48:33,511 [Raul Krauthausen]
Die deutsche Umwelthilfe genau.

01:48:33,511 –> 01:48:34,651 [Ronen Steinke]
Zum Beispiel.

01:48:34,651 –> 01:48:37,931 [Raul Krauthausen]
Das als Aktivist glaube ich auch daran.

01:48:37,931 –> 01:48:40,091 [Raul Krauthausen]
Ich habe nur kein

01:48:40,091 –> 01:48:44,751 [Raul Krauthausen]
Budget, um Anwältinnen zu bezahlen. Das ist tatsächlich

01:48:44,751 –> 01:48:49,591 [Raul Krauthausen]
aber auch der Hebel, an den ich am meisten glaube, viel mehr als an Aufklärung.

01:48:49,591 –> 01:49:06,871 [Ronen Steinke]
Also es gibt ja z.B. die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Das ist eine NGO, die das sozusagen als Dienstleister anbietet. Du kannst dich an die wenden mit einem Anliegen. Und ich glaube, im Umweltbereich gibt es da auch einige. Du hast jetzt eine genannt, wo man sich hinwenden kann und entweder die sagen, nee, ist nichts für uns, aber manchmal sagen sie auch ja, finden wir super.

01:49:06,871 –> 01:49:19,531 [Raul Krauthausen]
Du hast vorhin von dem republikanischen Anwaltsverein oder so gesprochen. Gibt es sonst eine Organisation oder NGO oder Literatur oder Personen, die du empfehlen würdest, die man sich noch mal anschauen kann?

01:49:19,531 –> 01:49:49,411 [Ronen Steinke]
Also wenn man Geld übrig hat. Ich finde, die Freiheitsform, wir haben es vorhin erwähnt, also die Verein, der Leute freikauft, die nur wegen in der U Bahn ohne Ticket erwischt werden, in einem Gefängnis sitzen. Damit schießt sich die Gesellschaft so sehr ins eigene Bein. Das kostet ein unfassbares Geld. Eine Nacht im Gefängnis kostet den Staat so viel wie eine Nacht im Nobelhotel, also hundertfünfzig bis zweihundert Euro.

01:49:49,411 –> 01:49:55,551 [Ronen Steinke]
Wofür? Dafür, dass jemand, der absolut nicht etwas gemacht hat, was so schwerwiegend ist,

01:49:55,551 –> 01:50:06,811 [Ronen Steinke]
dass der da eingesperrt wird, dass dessen Leben kaputt gemacht wird, dessen Sozialleben, dass er ein Stigma, so einen Stempel aufgedrückt bekommt. Also jeder Mensch, der frei gekauft wird, tun wir uns alle als Gesellschaft einen Gefallen.

01:50:06,811 –> 01:50:27,879 [Raul Krauthausen]
Helena Steinhaus von Sanktionsfrei hat Henry auch erwähnt als unterstützenswerte Organisation. Ich finde es auch großartige Arbeit, aber vielleicht fällt dir noch eine ein. Also als Literatur oder als Kunst?Wirklich gut. Als Medium, sagen wir mal, fällt mir noch ein, ähm, beide Filme über Ruth Bader Ginsburg.

01:50:27,879 –> 01:50:28,560 [Ronen Steinke]
Mhm.

01:50:28,560 –> 01:50:30,959 [Raul Krauthausen]
Ähm, einmal die Doku, RBG.

01:50:30,959 –> 01:50:31,419 [Ronen Steinke]
Ja.

01:50:31,419 –> 01:50:39,199 [Raul Krauthausen]
Und dann auch die Hollywood-Verfilmung fand ich tatsächlich ziemlich stark, äh, über die ehemalige US-Verfassungsrichterin.

01:50:39,199 –> 01:50:42,279 [Ronen Steinke]
Ja, Ikone der Frauenrechte in USA.

01:50:42,279 –> 01:50:46,119 [Raul Krauthausen]
Die aber erst dann gehört wurde, als sie auch die Rechte von Männern vertrat.

01:50:46,119 –> 01:50:47,139 [Ronen Steinke]

[lacht]

01:50:47,139 –> 01:50:52,599 [Raul Krauthausen]
Was ich ’nen super spannenden Move fand, auch so als strategische Prozessführung.

01:50:52,599 –> 01:51:02,659 [Raul Krauthausen]
Ihr Thema war ja Geschlechterdiskriminierung in der Verfassung. Und dann ist es eigentlich egal, welches Geschlecht. Ähm, es wurde halt lange als Männerhasserin verstehen.

01:51:02,659 –> 01:51:03,479 [Ronen Steinke]
Mhm.

01:51:03,479 –> 01:51:20,279 [Raul Krauthausen]
Aber dass sie dann plötzlich auch mal einen Mann vertreten hat, der vor Gericht irgendwie keine Unterstützung, äh, Quatsch, keine Unterstützung bekam vom Staat und vor Gericht musste, ähm, weil es irgendwie um, um– Er musste seine Mutter pflegen oder so. Und das stand aber nur Frauen zu damals.

01:51:20,279 –> 01:51:20,779 [Ronen Steinke]
Mhm.

01:51:20,779 –> 01:51:24,319 [Raul Krauthausen]
Und dann hat sie quasi für ihn das auch erkämpft.

01:51:24,319 –> 01:51:27,339 [Ronen Steinke]
Schlau, also hinten rum, ja [lacht].

01:51:27,339 –> 01:51:27,959 [Ronen Steinke]
Mhm.

01:51:27,959 –> 01:51:31,459 [Raul Krauthausen]
Wenn die Aufzucht jetzt aufgeht, wie geht es für dich weiter?

01:51:31,459 –> 01:51:42,379 [Ronen Steinke]
Ja, also ich, ähm, mach jetzt weiter Journalismus, ähm, bin gerade eine Weile weg gewesen. Kurze Zeit ’ne Auszeit gehabt in den USA und hab jetzt wieder richtig Lust.

01:51:42,379 –> 01:51:44,859 [Raul Krauthausen]
Bist du freischaffend oder bist du irgendwo angestellt?

01:51:44,859 –> 01:51:55,199 [Ronen Steinke]
Ich bin bei der Süddeutschen Zeitung angestellt, ähm, und, ähm, das ist toll, weil man da mit super Leuten zusammenarbeitet und, ähm, ein Publikum hat, was hohe Erwartungen hat, aber auch eine hohe Treue hat.

01:51:55,199 –> 01:51:56,119 [Raul Krauthausen]
Ja.

01:51:56,119 –> 01:52:14,299 [Ronen Steinke]
Und, ähm, ich glaube, wir kommen jetzt zu– Wir haben jetzt über AfD ja schon ganz viel gesprochen. Wir kommen jetzt in sehr unruhige Zeiten, wo es wichtig ist, irgendwie die Nerven zu bewahren und, ähm, sauber und, und irgendwie, ähm, ja, der Wahrheit verpflichtet, ah, und klar zu bleiben und da hab ich Lust drauf.

01:52:14,299 –> 01:52:40,539 [Raul Krauthausen]
Auf jeden Fall werden wir wahrscheinlich noch viel von dir hören. Da freue ich mich jetzt schon drauf. Ah, online, ähm, wirst du verlinkt werden in den Show Notes. Deine Bücher werden auch verlinkt sein. „You are not alone“. Ein großartiger Titel, äh, und ich, ähm, empfehle auch sehr dein Gespräch, ähm, bei Jung und Naiv. Ist schön lang. Ich mag lange, tiefe Gespräche. Sorry, dass wir jetzt zwei Stunden fast gequatscht haben, äh, aber ich bin sehr dankbar, dass du da warst.

01:52:40,539 –> 01:52:43,219 [Ronen Steinke]
Mir hat es sehr Spaß gemacht. Ich nehme ganz viel mit. Vielen Dank dir.

01:52:43,219 –> 01:52:55,679 [Raul Krauthausen]
Auf bald. Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört.

01:52:55,679 –> 01:53:02,879 [Raul Krauthausen]
Alle Links zur Folge, sowie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Show Notes.

01:53:02,879 –> 01:53:06,319 [Raul Krauthausen]
Schaut da gerne mal rein.

01:53:06,319 –> 01:53:28,019 [Raul Krauthausen]
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01:53:28,019 –> 01:53:38,619 [Speaker 4]
[Elevator-Ping] [rhythmische Musik]

01:53:38,619 –> 01:54:09,799 [Schinder Aufzüge]
Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler. Am Anfang der Folge haben wir uns gefragt, ob es in echten Aufzügen eine Dachluke gibt. Die Antwort: In normalen Personenaufzügen nicht. Das ist ein reines Filmklischee. Aber in speziellen Feuerwehraufzügen gibt es tatsächlich Deckenluken, um im Notfall Menschen zu retten. Willst du auch mehr über Aufzüge erfahren? Dann steig bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, um mit uns nach ganz oben zu fahren. [Elevator-Sound]

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Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
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Coverart: Amadeus Fronk

1 Kommentar zu „Im Aufzug mit Ronen Steinke“

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