Ist Armut ein strukturelles Problem?
Wenn es um Arbeitslosigkeit geht, fällt schnell auch das Stichwort Faulheit. Das Stigma um Armut ist riesig. Helena Steinhaus hat selbst mehrmals von Hartz IV gelebt. Sie weiß, dass solche Klischees einfach nicht die Realität widerspiegeln und wie problematisch dieses Bild in unserer Gesellschaft ist. Um besonders den Sanktionen des Jobcenters entgegenzuwirken, die oft angedroht werden, hat sie „Sanktionsfrei” gegründet. Wir sprechen darüber, was sich seit der Einführung des Bürgergelds tatsächlich verändert hat, wie Helena mit Frust umgeht und warum sie von Politikern träumt. Aufzugtür auf für Helena Steinhaus.
Helenas Empfehlung: Freiheitsfonds
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Raúl Krauthausen: Bist du bereit für deine nächste Fahrt? Dann steig ein!
Diese spannende Aufzugsfahrt dauert eine gute Stunde. Wenn du wissen
willst, wie hoch du in einem normalen Aufzug dann gefahren wärst, dann
bleib bis zum Ende der Folge dran. Wir verraten es dir. Dieses Jahr feiern
wir bei Schindler unser 150-jähriges Bestehen. Und in dieser Zeit haben
wir viel spannendes Wissen angehäuft und bewegen jeden Tag zwei
Milliarden Menschen. Viel Spaß bei dieser Folge. Wünscht dir Schindler.
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Supporter*innen Reha und Sabrina. Danke für eure Unterstützung. Und
los geht’s mit der Folge.
Wenn es um Arbeitslosigkeit geht, fällt schnell auch das Stichwort
Faulheit. Das Stigma um Armut ist riesig. Helena Steinhaus hat selbst
mehrmals von Hartz IV heute Bürgergeld gelebt. Sie weiß, dass solche
Klischees einfach nicht die Realität widerspiegeln und wie problematisch
dieses Bild in unserer Gesellschaft ist. Um besonders den Sanktionen des
Jobcenters entgegenzuwirken, die oft angedroht werden, hat sie
Sanktionsfrei gegründet. Um herauszufinden, ob diese Straßen überhaupt
wirkungsvoll sind, haben sie sogar eine Studie geführt. Wir sprechen
darüber, was sich denn jetzt seit der Einführung des Bürgergeldes
tatsächlich verändert hat und wie diese Regelsätze berechnet werden.
Helena erzählt mir auch, wie sie mit ihrem eigenen Frustpunkt geht und
warum sie von Politiker*innen träumt. Aufzugtür auf für Helena Steinhaus.
Die Tür geht auf und wer kommt rein? Oh mein Gott, ich freue mich sehr.
Ich habe dich schon super lange auf den Schirm. Helena Steinhaus von der
Initiative Sanktionsfrei. Schön, dass du da bist.
00:02:31.000
Helena Steinhaus: Ja, ich freue mich auch total. Danke schön für die
Einladung.
00:02:35.000
Raúl Krauthausen: Sehr gerne. Ein Thema, das in diesem Podcast immer
wieder auftaucht, ist wirklich tatsächlich das Thema Klassismus, weil ich
finde, dass es eine der Themen ist, das am seltensten beleuchtet, betrachtetwird und auch die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Ich finde es
super spannend, dass wir da vielleicht ein bisschen Expertinnen Einblick
bekommen können von dir als Initiative der Initiative Sanktionsfrei komme
ich auch noch zu. Aber zu allererst die Frage, hattest du schon mal einen
Awkward Moment im Aufzug?
00:03:08.000
Helena Steinhaus: Ja, ich bin einmal als Kind stecken geblieben im Aufzug
und das war glaube ich, es war wirklich nicht so schlimm, aber es kam mir
total lang vor. Es war nur so eine Etage, die ich fahren musste und
irgendwann, ich war da auch ganz alleine drin und dann hat es einfach ein
bisschen gedauert, bis die Tür aufgegangen ist und ich konnte so wie so ein
Meter hoch krabbeln und dann kam ich raus.
00:03:32.000
Raúl Krauthausen: Ach krass. Aber hast du den Notrufknopf gedrückt?
00:03:35.000
Helena Steinhaus: Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, ehrlich gesagt.
Kann schon sein, weil das macht man dann ja, aber es war in so einem
Kaufhaus, also im Real oder so, so ein Supermarkt.
00:03:46.000
Raúl Krauthausen: Und hast du seitdem irgendwie keine Ahnung wie
Erinnerungen an diesen Moment, wenn du aufzugfährst?
00:03:51.000
Helena Steinhaus: Es war wirklich nicht so schlimm, dadurch, dass ich
wusste, es ist nur diese eine Etage. Ich glaube, wenn ich in so einem
Schlund quasi gesteckt hätte, hätte ich immer Angst gehabt, dass ich ganz
weit runterfalle oder so, aber ich glaube, ich hatte wie so oft Glück im
Unglück.
00:04:06.000
Raúl Krauthausen: Zum Glück, zum Glück ist nicht weiter, was vorgefallen
ist, auch keine Schäden hinterlassen. Ich habe viele Interviews mit dir jetzt
in den letzten Tagen gesehen und gelesen und mich hat einen Aspekt ganz
besonders interessiert, nämlich du hast Kulturwissenschaften studiert und
ich wollte dich fragen, was sagt eigentlich unser Sozialsystem über unsere
Kultur aus? Oder umgekehrt, was sagt unsere Kultur über unser
Sozialsystem aus?00:04:36.000
Helena Steinhaus: Wow, gute Frage, damit erwischt du mich kalt. Weiß ich
gar nicht, ob ich so ad hoc eine Antwort darauf geben kann. Ich muss
sagen, mir ist auch mein Studium so weit entfernt irgendwie. Ich habe das
gemacht und habe mich ganz unwohl gefühlt beim Studieren und habe
auch nie mein Zeugnis abgeholt oder das Gefühl gehabt, dass ich damit
irgendwie was mache, weil ich mich irgendwie in der Institution Uni nicht
gut gefühlt habe. So, deswegen kann ich es gerade vielleicht gar nicht auf
den ersten Moment so zusammenbringen. Ich habe ganz lange mich gar
nicht gesehen, als jemand die Kulturwissenschaften studiert hat.
00:05:17.000
Raúl Krauthausen: Und hast du, warst du die erste in der Familie, die
studiert hat oder kommst du aus einer Akademiker*innenfamilie?
00:05:22.000
Helena Steinhaus: Mütterlicherseits waren meine Schwester und ich die
ersten, die studiert haben. Väterlicherseits haben auch andere studiert,
aber da ist auch kein Kontakt hin.
00:05:34.000
Raúl Krauthausen: Das heißt, kommt das Unwohlsein daher, dass du in der
Uni empfunden hast?
00:05:38.000
Helena Steinhaus: Es kann schon sein. Das ist ja was viele berichten, die
jetzt nicht so heimisch sind in akademischen Kreisen, dass sie sich
irgendwie fremd fühlen da. Und ja, also wahrscheinlich ist es auch mir so
ergangen und das ist jetzt nicht unbedingt Zufall.
00:06:00.000
Raúl Krauthausen: Vielleicht finden wir ja eine Parallele zu
Kulturwissenschaften und unserem Sozialsystem. Ich habe nämlich eine
Mitbewohnerin gehabt, deren Bruder und deren Vater Polizisten sind. Und
sie hat in ihrem Seminar der Soziologie einen Seminar belegt „Cop
Culture“, also Polizeikulturen. Da wusste ich, dass es sowas gibt, aber
anscheinend hat man das erforscht. Und sie stellte plötzlich ganz viele
Sachen fest, die bei ihr in der Familie so laufen, die ein Phänomen
weltweit sind, wo Polizei existiert. Also zum Beispiel die Militarisierung
von Uniformen, von Fahrzeugen und dass das auch das Thema in der
Familie war. Es gab Kataloge, das wusste ich gar nicht, es gibt Kataloge
für Polizistinnen, wo du Sachen einkaufen kannst, die besser sind als das,
was man dir stellt vom Arbeitgeber, die du aber nur kaufen kannst, wenn
du ein Polizeiausweis hast.00:07:05.000
Helena Steinhaus: Das ist ja verrückt.
00:07:06.000
Raúl Krauthausen: Also das bessere Messer, die bessere Weste, was auch
immer. Und das fand ich krass, dass das erforscht wird quasi.
00:07:17.000
Helena Steinhaus: Ja, also ich meine, ehrlich gesagt, als erste grobe
Parallele fällt mir jetzt so wahrscheinlich auf, dass ich erinnere mich an
die Inhalte, die wir gemacht haben in der Uni. Das war ganz viel
tatsächlich eher von privilegierten Menschen, die geschrieben haben über
Kultur. Und am Ende werden ja auch die Gesetze und das Sozialsystem
ganz stark vom herrschenden Kanon geprägt und die die Fortschritte
werden erkämpft durch Klassenkämpfe. Genauso wie ja auch die Kultur
irgendwie schwierig von unten revolutioniert wird. Aber natürlich findet
das statt. Aber ganz am Anfang stehen irgendwie die alten weißen Männer,
die ganz viele schlaue Bücher geschrieben haben so ungefähr. Ich weiß
nicht, ob das so Sinn macht, aber das…
00:08:06.000
Raúl Krauthausen: Ja doch, genau darauf wollte ich hinaus. Ja, und vor
allem sind es dann eben amerikanische Polizeien, die erforscht wurden,
dass das immer mehr wie militär aussieht, die Fahrzeuge immer größer,
immer fetter werden, die Waffen immer gröber. Und in einem Land ist
Freiheit oben immer draufschreibt. Ja, ist auf jeden Fall ein interessantes
Phänomen. Nicht unser Hauptthema, aber ich fand es interessant, dass
man da so was erforschen kann und dass das vielleicht auch was über eine
Kultur aussagt, wenn es so was gibt. Und vielleicht auch über die
Sozialsysteme, über die wir heute sprechen wollen. Ich habe ein Buch
geschrieben, das heißt, wer Inklusion will, findet einen Weg und wer sie
nicht will, findet ausreden. Und ich werde super oft gefragt, gibt es ein
Land, in dem alles gut ist? Gibt es, jetzt frage ich dich diese Frage, gibt es
im Sinne der Sozialsysteme ein Land, wo man wirklich sagt, ja da gibt es
ein gerechtes soziales Sicherungsnetz im Sinne von Bürgergeld oder
vielleicht sogar Grundeinkommen, wo Armut wirklich sinnvoll aktiv
bekämpft wird?
00:09:16.000
Helena Steinhaus: Also wenn ich mich recht erinnere, sind zum Beispiel
Dänemark und Schweden da wesentlich besser aufgestellt als wir, aber ich
habe mich damit nicht so vergleichend beschäftigt. Ja, ich glaube es gibtda auch so Konzepte zu, dass eben weniger Wohnungslosigkeit auftritt und
so. Aber so ganz grundsätzlich glaube ich, es gibt nicht das Vorzeigeland.
Also nicht nach meinem Wissen.
00:09:54.000
Raúl Krauthausen: Das ist auch die Antwort, die ich immer gebe, wenn es
um das Thema Inklusion geht. Wahrscheinlich gibt es dann auch immer
Teilaspekte, wo ein Land da und da besser gemacht hat, in einem anderen
Land ist es da und da besser. Aber Skandinavien ist auch so ein Beispiel,
das dann immer fällt. Und ich finde das dann auch immer wieder
interessant zu gucken, auch für mich selbst im Bereich Inklusion, sagt man
das, weil man das immer so gehört hat und würde dann immer wieder
gerne da nochmal reinblicken, ob das wirklich noch so ist oder ob es
vielleicht sogar noch besser ist, als man so gehört hat. Kann halt in beide
Richtungen gehen. Aber ich habe bald mal das Gefühl, wir machen damit
in unseren aktivistischen Bewegungen auch zu einfach, wenn wir immer
sagen, ja in Skandinavien ist alles super.
00:10:43.000
Helena Steinhaus: Vielleicht mal rausfinden, was genau oder super ist und
dann die Forderungen aufstellen.
00:10:47.000
Raúl Krauthausen: Genau, da muss ich mir an meine eigene Nase fassen.
00:10:49.000
Helena Steinhaus: Ich habe tatsächlich mal so eine Einschreibung gelesen,
dass eben das Sozialsystem dort besser sein soll, weil die Gesellschaft
insgesamt homogener ist und man sich dadurch gegenseitig bisschen mehr
gönnt so ungefähr. Ich meine, hier passiert das ja auch überbordend, dass
das eben so hochgepeitscht wird, dass die ganzen bösen Flüchtlinge
kommen und uns die Sozialleistungen wegnehmen so ungefähr oder die
faulen Leute halt. Und deswegen wird immer so ein Ich und die anderen
konstruiert und diesen anderen faulen oder Ausländern, die nur unser Geld
wollen, dem gönnt man halt nichts. Und dass eben der gesellschaftliche
Zusammenhang in den betreffenden Ländern, wo es besser ist, tatsächlich
auch besser ist.
00:11:3.3000
Raúl Krauthausen: Weil sie halt auch weniger Migration haben.
00:11:35.000
Helena Steinhaus: Ja, das auch. Natürlich. Also insofern muss man das
sehr kritisch betrachten.00:11:42.000
Raúl Krauthausen: Super spannender Aspekt. Gibt es irgendeine Info, wenn
man die Videos mit dir sieht und die Podcasts wie die sieht, die
journalistischen Fragen, wahrscheinlich auch meine, sind ja alle relativ
ähnlich. Du erzählst ja dann, bist ja auch gut da drin, das dann irgendwie
zu erzählen und auch aufzubereiten, dass man es versteht als Laie. Aber
gibt es so eine Info, die du bis heute noch nicht durchgebracht bekommen
hast, die wo du sagst, das müsste man noch einfach mal jetzt begriffen
haben. Es ist wichtig zu wissen, um das Ganze einzuordnen. Aber es wurde
noch nicht gefragt quasi.
00:12:18.000
Helena Steinhaus: Ich habe den Eindruck, im Grunde wurde es schon
gefragt, aber es wird nicht verstanden, also so unsere Zentralbotschaften
eigentlich, dass Armut ein strukturelles Problem ist und dass die Menschen
gerne was tun, sage ich mal. Also das sind ja so die zwei Hauptdinger.
Und dann ja und dann auch noch, dass es eben kein gutes
Sicherungssystem gibt, nicht so wie immer behauptet. Also vielleicht sind
das so die drei Punkte, die kann ich hoch und runter beten, aber es kommt
bei vielen leider nicht an, beziehungsweise es wird ja auch hart daran
gearbeitet, dass sich die gegenteilige Botschaft verbreitet, also Stichwort
irgendwie CDU, FDP, AfD, die wirklich über Jahre jetzt Kampagnen
schon fahren, die das Bürgergeld immer weiter stigmatisieren bzw.
Sozialleistung. Also es ist schon echt schwierig dagegen anzukommen auf
eine Art.
00:13:18.000
Raúl Krauthausen: Aber jetzt mal emotional, wie hält sie das aus mit so
Dickköpfen wie Jens Spahn und Lindner, die ja wieder besseren Wissens
wahrscheinlich, weil die sind ja auch cleverer Leute, wieder besseren
Wissens das Gegenteil behaupten.
00:13:34.000
Helena Steinhaus: Genau, das ist Absicht. Die wissen ganz genau, dass sie
Fake News verbreiten von wegen Flüchtlinge nehmen uns die Termine
beim Zahnarzt weg und kommen her, um den teuren Zahnersatz zu
bekommen. Das wäre wirklich abstrus. Wie ich das aushalte, keine
Ahnung, in letzter Zeit träume ich immer öfter von Politikern bisher nur,
mit denen ich mich streite. Letzte Nacht war es Christian Lindner,
beziehungsweise wir haben uns nicht gestritten, sondern wir haben am
selben Ort irgendwie existiert und mussten miteinander interagieren und
ich wusste gar nicht, wie ich das eigentlich schaffe, ohne auszuflippen. Dasandere Mal war es Linnemann. Ich weiß nicht, also am Ende ist das ja eine
Frage, die muss man fast allen Aktivist*innen stellen, oder? Also wir
stehen vor so eigentlich unfassbaren Verhältnissen und Kampagnen, dass
man eigentlich den Glauben verlieren muss und genau da müssen wir dann
mit dem Kopf durch die Wand und weitermachen. Geht nicht anders.
00:14:36.000
Raúl Krauthausen: Hast du das Gefühl, also das ist ja so ein Grundproblem,
dass wir auch in diesen Talkshows haben, Markus Lanz und Co., dass es ja
nicht mehr darum geht, wirklich einander zuzuhören. Wahrscheinlich ging
es nie darum, sondern einfach nur jeder muss seine Punkte machen.
00:14:53.000
Helena Steinhaus: Ja, sogar noch schlimmer. Ich würde sagen, es ist eher
wie so ein Zirkus Maximus, der da inszeniert wird. Also die konträrsten
Positionen werden in den Ring geschmissen und dann sollen sie sich
gegenseitig zerfleischen. Da geht es nicht darum, wirklich in die Tiefe zu
gehen. Also das sind eher Formate, die tatsächlich, die tun so, als würden
sie breit gefächert etwas angucken, aber am Ende bedienen sie die
niederen Instinkte.
00:15:20.000
Raúl Krauthausen: Es gab ja noch nie eine Sendung, wo jemand gesagt hat,
ach so, Frau Steinhaus, ja, da haben Sie recht.
00:15:24.000
Helena Steinhaus: Nee, weil ich bin immer die, die ganz links außen
sozusagen und wenn ich Glück habe, ist da noch Saskia Esken dabei und
die soll dann quasi meine Verbündete sein. Dabei sind wir am Ende
Feindinnen. Also, ne? Ja, nee, nee.
00:15:40.000
Raúl Krauthausen: Oder auch, dass man jemand sagt, da muss ich noch mal
drüber nachdenken.
00:15:43.000
Helena Steinhaus: Ja, nee, nee, ich habe nicht recht. Ich bin irgendwie,
weiß ich auch nicht, eher verblendet oder so, naiv dann.
00:15:51.000
Raúl Krauthausen: Und umgekehrt hattest du mal so einen Moment, wo du
dachtest, oh, da hat die andere Seite mal einen Punkt?00:15:57.000
Helena Steinhaus: Naja, es gibt ja immer wieder so Sachen, wo ich dann
sage, natürlich gibt es diese Fälle, über die Sie sprechen. Also Menschen
verweigern in Fällen Arbeit oder betrügen auch das Sozialsystem. Aber es
sind eben Einzelfälle. Insofern haben Sie extrem begrenzt Recht, aber man
kann daraus nicht, ja, den Normalfall produzieren.
00:16:18.000
Raúl Krauthausen: Zumal ja die Superreichen auch nicht alle nicht kriminell
sind.
00:16:24.000
Helena Steinhaus: Oh, nicht alle, nee. Ja, beziehungsweise man lässt Sie
einfach das Recht auch viel stärker beugen, ne? Weil man, also das ist ja
diese Ungleichbehandlung, die stattfindet. Man geht davon aus, das ist
schon in Ordnung, was die so machen, weil die haben ja ganz viel Geld.
Das müssen sie sich irgendwie verdient haben und das verdienen, das tut
man als rechtschaffener Mensch. So und deswegen, weil die ja sowieso die
starken Schultern sind und alles tragen, gucken wir auch mal weg, wenn
man Millionen Milliarden Steuern hinterzieht oder
Steuervermeidungstaktiken betreibt.
00:16:58.000
Raúl Krauthausen: Ist ist so, dass wir das Thema Armut in Deutschland
grundsätzlich tabuisieren. Wir haben 13 Millionen Menschen, die in Armut
leben, also offiziell unter dieser Armutsgrenze fallen. Aber die haben ja so
gut wie keine Lobby. Ich meine, ja, wir können die Linke wählen, so. Aber
selbst die Linke erreicht die wahrscheinlich gar nicht.
00:17:21.000
Helena Steinhaus: Ja, das ist wahrscheinlich auch mit das größte Problem,
ne? Also wenn man davon ausgeht, dass in einer Demokratie jeder Mensch
das gleiche Stimmrecht hat, dann dürfte das nicht so ein großes Problem
sein, aber es ist ja de facto nicht der Fall. Ähm, deswegen…
00:17:39.000
Raúl Krauthausen: Frustrierend. Das ist über 10 Prozent.
00:17:42.000
Helena Steinhaus: Ja und ich denke, also… Ja, ich meine, am Ende sind es
ja sogar, ich glaube, die Armutsgefährdungsgrenze, die Menschen, die da
sich befinden, das sind sogar insgesamt gut 20 Millionen. Also jeder, jede
Fünfte. Und die Schere geht immer weiter auseinander, das hört man auchschon seit Jahren. Und irgendwie hat es lange auch bei mir gar nicht so
viel gemacht, aber ich habe das Gefühl, das spitzt sich derartig zu.
Beziehungsweise, ich habe nicht das Gefühl, sondern das sieht man ja.
Und die Möglichkeiten… Also ich meine, wenn man arm ist und wirklich so
einen Überlebenskampf betreibt und dann häufig ja auch noch mit
multiplen Problemen irgendwie konfrontiert ist, dann hat man eben auch
wenig Ressourcen, sich in das politische Geschehen irgendwie
einzuschmeißen, ne? Also eigentlich, ja, deswegen fallen dann natürlich
viele Leute hinten runter irgendwie, die eben nicht so gut dran sind wie
andere.
00:18:44.000
Raúl Krauthausen: Und dass die Reichen, die Millionäre, Milliardäre, quasi
mehr, obwohl sie anzahlmäßig weniger sind, mehr Repräsentation haben
in politischen Entscheidungen.
00:18:57.000
Helena Steinhaus: Genau, haben sie auf jeden Fall. Das fängt ja bei
Lobbyorganisationen an. Familienunternehmen oder so, das klingt so
harmlos, aber ist es halt nicht. Und die Lobbyorganisationen sind ja auch
ganz strategisch positioniert rund um den Bundestag und dann geht man
eben da ein und aus und muss das nicht mal mehr dokumentieren. Kann
Politiker*innen alle nahe so lang einladen, alles Mögliche vorbesprechen,
Gesetze quasi schreiben, auf jeden Fall sehr stark beeinflussen. Sowas
kann man nur, wenn irgendwo ganz viel Geld und auch zeitlich die
Ressourcen da sind, ne? Das schaffen können natürlich arme Menschen
gar nicht. Die haben dann Lobbyorganisationen wie die
Wohlfahrtsverbände oder so, die dann immer belächelt werden als klar,
jetzt muss der Wohlfahrtsverband hier auch noch was zu sagen, dass dies
und jenes Gesetz schlecht ist und so. Die haben ja immer was zu meckern.
Aber Geld haben die halt nicht zu bieten.
00:19:57.000
Raúl Krauthausen: Ja. Und was ich ja wirklich so frustrierend finde auch in
dem Themenbereich, in dem ich unterwegs bin, dann wählt man also mal
rot-grün oder dann hat man es irgendwie geschafft, mit viel Mühe eine
Ampelkoalition irgendwie hinzubekommen, um endlich die Konservativen
und die GroKo irgendwie abzuhölen. Und dann wird es auch nicht besser.
Im Gegenteil, die reproduzieren ja quasi das Eid weiter und führen noch
sowas wie Hartz IV ein oder so. Oder jetzt ganz aktuell das Bürgergeld.00:20:34.000
Helena Steinhaus: Ja, absolut. Ich sehe auch nicht, dass das irgendwie
Verbesserungen gebracht hätte jetzt mit der neuen Regierung. Ganz im
Gegenteil, eigentlich ist es also hoffnungslos so ein bisschen. Kommt einem
sofort.
00:20:48.000
Raúl Krauthausen: Hast du dann auch das Gefühl, wir betreten gerade das
Jammertal, hast du auch das Gefühl, dass man dadurch irgendwie so ein
bisschen erklären kann, warum Leute vielleicht auch sich entpolitisieren?
00:21:04.000
Helena Steinhaus: Klar, also das Thema Selbstwirksamkeit ist ja ein
großes, wenn man das Gefühl hat, man kann etwas bewirken, dann hat
man auch viel Motivation, würde ich sagen. Oder zumindest funktioniert
der Mensch ja so. Man braucht irgendwie Belohnung. Das ist ja auch
nachweisbar im Gehirn sozusagen, dass wenn man sich anstrengt und
Belohnung bekommt, dann kann man viel besser weitermachen, als wenn
man sich die ganze Zeit anstrengt und dafür eigentlich nur auf den Deckel
kriegt. Insofern, klar, findet eine Entpolitisierung statt, wenn man alle vier
Jahre ein Kreuzchen machen kann, maximal, aber die Lebensbedingungen
immer schlechter werden. Und ja auch gar nicht mit einbezogen werden in
die politische Debatte. Oder zumindest, wenn sie einbezogen werden, dann
auf eine Art und Weise, die mich schmälern. Ja, dann denke ich, ist das
gefährlich.
00:21:58.000
Raúl Krauthausen: Vielleicht damit wir uns ein Bild davon machen können.
Du sagst, die Lebensverhältnisse werden schlechter. Man denkt ja
irgendwie, der Staat gibt immer mehr Geld aus. Also das ist das, was in
den Medien ja uns erzählt wird. Jetzt gibt es das Bürgergeld und alles wird
noch gut. Und Kindergrundsicherung wird auch diskutiert. Ja, gut,
vielleicht hier und da ein bisschen anders. Und Kindergeld wurde auch
erhöht und so. Aber trotzdem, sagst du, verschlechtert sich die Situation.
Das glaube ich sofort. Das sollte keine kritische Frage sein im Sinne von
„Warum denn?“ Sondern „Wie wirkt sich das aus?“ Also woran machst du
das fest?
00:22:34.000
Helena Steinhaus: Also einmal daran, dass ja die Zahl der Menschen, die
von Armut betroffen sind, stetig wächst. Wie jetzt auch der neue Bericht
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wieder gezeigt hat. Es gab nureinen kleinen Sprung im Vergleich zu letztem Jahr, aber immer noch einen
Sprung. Und ich meine, das was du gerade angesprochen hast, das
Bürgergeld wird erhöht, Kindergeld wird erhöht, es soll die
Kindergrundsicherung kommen. All das lässt aus, dass das Bürgergeld
nicht erhöht, sondern es wurde der Inflation angepasst. Aber im
gesellschaftlichen Bild wurde das Bürgergeld erhöht und haben es die
Menschen ja jetzt ganz gut. Also sozusagen das Leid wird oder die
Probleme werden wegerzählt. Und als Person, die davon betroffen ist, hat
man sozusagen keine Berechtigung oder keinen Grund mehr, sich zu
beschweren. Dabei ist es ja keine Beschwerde, sondern es ist
Existenzkampf. Das Kindergeld wurde erhöht, aber Menschen in
Bürgergeld bekommen gar kein Kindergeld bzw. sie bekommen es. Aber es
wird mit dem Regelsatz verrechnet. Genauso ist die neue
Kindergrundsicherung wird für die Kinder in Bürgergeld überhaupt keine
Verbesserungen bringen. Also die Bottom Line ist, dass die Menschen, die
eh schon am Ärmsten sind, eigentlich nichts von den Verbesserungen
haben. Und sage ich mal als Hohn obendrauf wurde zum Beispiel jetzt
nach der Bürgergelderhöhung, wie sie immer genannt wird, es ist keine
Erhöhung, nur ein Ausgleich, wurde auch der steuerfreie Betrag
angehoben. Davon hat keiner berichtet in den Medien eigentlich. Dabei
bedeutet das für die Staatskasse wesentlich mehr als die
Bürgergelderhöhung. Und prozentual profitieren davon die am meisten,
die am meisten verdienen, aber es macht ihnen auch gar nichts aus, weil
sie das gar nicht merken, ob sie jetzt einen 100 mehr auf dem Konto haben
oder nicht. Also ja, es ist einfach so eine Doppelmoral, die jeden Tag
praktiziert wird. Und ja, die Preise steigen, noch dazu gibt es einen CO2-
Preis und die Preise steigen sozusagen relativ verdeckt. Man hat gar nicht
die Zeit, sich damit so auseinanderzusetzen, warum eigentlich alles so
teuer und so wenig händelbar wird. Und ja, insofern sind das so die zwei
Punkte. Einerseits steigt die Armut, andererseits ist es glaube ich
undurchsichtiger geworden, woher sie kommen sozusagen und warum
Menschen damit kämpfen.
00:25:16.000
Raúl Krauthausen: Zum einen der Inflationsausgleichs, die feiern das ja als
Geschenk.
00:25:21.000
Helena Steinhaus: Genau, das ist keiner.00:25:22.000
Raúl Krauthausen: Also, ich glaube, es ist ja recht. Also sonst würden Leute
ja noch ärmer werden von Mal zu Mal, weil die Preise steigen aber nicht
das Bürgergeld angehoben. Das ist der erste, sage ich mal, Asi-Move, den
die machen und den anderen Asi-Move, finde ich, dass die Inflation wirkt
sich ja auch unterschiedlich aus. Also, Lebensmittelpreise steigen ja
anders schnell bzw. in der Inflation anders. Und das ist ja nicht der
Ausgleich gewesen, dann ist der durchschnittliche Ausgleich, 5% glaube
ich war das, der Inflationsausgleich, aber Lebensmittel sind teilweise um
30% teurer geworden.
00:26:02.000
Helena Steinhaus: Tatsächlich haben die diesen Punkt berücksichtigt bei
der Regelsatzerhöhung, aber sage ich mal, die Krux am Regelsatz ist ja,
dass nur bestimmte Dinge für Menschen mit Bürgergeld vorgesehen sind.
Also, ich sage mal so, jemand der Bürgergeld bekommt, darf sich eine
Packung Käse in der Woche kaufen, das ist im Regelsatz berücksichtigt,
aber er oder sie darf kein Geld für Schnittblumen haben oder zu
Weihnachten ein Geschenk. Ja, also deswegen ist es so eine ganz grobe
Mischung mit, also die tatsächlich in, sage ich mal, Preismischung, die
tatsächlich in das Ausgabegefüge der Menschen reinspielt, weil in der
Realität kaufen natürlich auch Menschen im Bürgergeld vielleicht an
Weihnachten ein Geschenk oder wollen das machen.
00:26:53.000
Raúl Krauthausen: Ja, natürlich.
00:26:55.000
Helena Steinhaus: Und in der Realität geht auch mal eine Waschmaschine
kaputt, man kann aber im Monat dafür nur 2,34 Euro oder was es ist, es
können auch 2,57 Euro sein, egal, dafür gespart werden und ich kann also
was, weiß ich, alle sieben Jahre, wenn ich es schaffe, die 2,37 Euro zu
sparen, mal ein neues Gerät kaufen, falls es kaputt geht. So, deswegen, ja,
das wurde…
00:27:16.000
Raúl Krauthausen: Auch nur gebraucht.
00:27:0018000
Helena Steinhaus: Deswegen, ja, das wurde zwar berücksichtigt, aber das
macht es leider nicht besser, weil an allen Ecken und Enden ist es zu
wenig, wird abstrus rumgerechnet und gespart. Ja, von daher kannst du
eigentlich immer nur verlieren, sobald du länger als kurze Zeit im
Bürgergeld lebst und vielleicht eine nicht ganz so einfache Situation hast.00:27:40.000
Raúl Krauthausen: Die Frage habe ich mir aufgeschrieben, bei der ich
gestern erst verstanden habe und das hat mich wirklich vom Hocker
gehauen. Wenn man jetzt sagt, du hast ein Anrecht von 2,17 Euro für eine
Waschmaschine pro Monat oder keine Ahnung, 5 Euro für ein Trikot
deines Kindes beim Fußball, dass dann quasi das so niedrig ist, dass die
Leute das gar nicht erst beantragen und durch diese Nicht-Beantragung
das Amt sagt, ja, aber wir haben die Gelder ja und können es dann quasi
wieder als Gegenargument benutzen, dass die Gelder ja da sein, die
müssen wir nur beantragen.
00:28:18.000
Helena Steinhaus: Ja, und das ist so verrückt. Gut, dass du es erwähnst.
Also das beste Beispiel ist das Bildungs- und Teilhabegesetz. Das ist
wahrscheinlich, was du gerade auch meintest, wenn es irgendwie darum
geht, Sachen für die Kinder zu beantragen, Trikot, Klassenfahrt, was auch
immer. Dieses Gesetz wurde 2011 eingeführt von Ursula von der Leyen,
nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, die Regelsätze für
Kinder sind zu niedrig, die verstoßen gegen die Verfassung. Man wollte
jetzt aber alles tun, um zu verhindern, dass man den Eltern ein bisschen
mehr Geld für ihre Kinder überweist, weil damit kaufen sie dann ja nur
Zigaretten und Alkohol so ungefähr. Deswegen hat man das Bildungs- und
Teilhabegesetz entwickelt, was so sperrig ist und so schlecht verständlich,
dass die meisten es eben gar nicht abrufen. Die Abrufquote liegt bei, lass
mich nicht lügen, 20 Prozent oder so. Dafür wurde ein Etat veranschlagt,
die Nummer habe ich gerade nicht im Kopf, aber es ist natürlich viel Geld,
was mittlerweile gar nicht mehr etatisiert wird, also im Haushalt gar nicht
mehr vorgesehen ist.
00:29:18.000
Raúl Krauthausen: Weil es nicht abgerufen wurde?
00:29:19.000
Helena Steinhaus: Weil es nicht abgerufen wird.
00:29:20.000
Raúl Krauthausen: Oh Mann.
00:29:21.000
Helena Steinhaus: Und das ist 2011 gewesen. Wir haben jetzt 2024, die
hatten 13 Jahre lang Zeit festzustellen, oh das läuft nicht so gut, aber man
steckt sich lieber die Kohle wieder ein und verplant das anders und sagt
dann, aber wir haben doch eigentlich ein super System, was man einfachnur anzapfen müsste. Es ist schlimm. Also dieses Bildungs- und
Teilhabegesetz ist eine Katastrophe.
00:29:40.000
Raúl Krauthausen: Total. Und ich frage mich ja die ganze Zeit, wie sehen
diese Runden aus? Also da sitzt jemand im Arbeitsministerium,
meinetwegen konservativ geführt, schlimm genug, und dann gucken die
irgendwelche Studien und die Zahlen sagen es ja relativ klar. Ich auch, ich
unterscheide vielleicht welches Institut man beauftragt hat, um die Studien
zu erfassen, aber ich wette, dass selbst die konservativsten Studien zu
anderen Zahlen kommen als das, was politisch am Ende gemacht wird.
Das heißt, da muss ja jemand sitzen, ich neime das jetzt aus, McKenzie und
Co., die dann Empfehlungen aussprechen, die so vom hohen Ross herunter
gesprochen werden, dass ich mich frage, wie können diese Menschen
eigentlich noch ruhig schlafen?
00:30:28.000
Helena Steinhaus: Ja, die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Das ist
wirklich, weil ich hatte es ja gerade erwähnt, es gibt also diese Posten im
Regelsatz für die ganz kleinteilig, die aufgelistet sind, zum Beispiel Käse
oder so, aber keine Schnittblumen und auch kein Weihnachtsgeschenk,
kein Weihnachtsbaum und keine Versicherung, keine Haftpflicht, kein Geld
für Alkohol. Das wurde umgerechnet in Liter und Wasser, also sonst am
Ende irgendwie 3,15 Euro, die man dafür im Monat hat. Also man hat
sozusagen sich einfach hingesetzt und gesagt, das braucht jemand, der
arbeitslos ist, nicht und das braucht er schon. Und das ist auf jeden Fall
verrückt und so undurchsichtig natürlich auch und so schwer zu begreifen,
dass es auch wieder wenig angegriffen wird. Also der Einzige oder die
Einzigen, die das wirklich gut und fundiert gemacht haben, weil sie dafür
eine ganze Forschungsstelle haben, das ist der Paritätische
Gesamtverband. Die schlüsseln das auf und zeigen, welche Positionen wie
berücksichtigt sind und warum das falsch ist und warum der Regelsatz, der
aktuell bei 563 Euro liegt, er müsste bei 801 Euro oder so liegen plus
Strom. Derzeit sind es 563 inklusive Strom, also Strom muss daraus
bezahlt werden und das ist. eine wirklich hohe Diskrepanz. Und wenn man
aber die Berechnungsmethode so anwenden würde, wie sie eigentlich
angewendet werden müsste und auch vom Bundesverfassungsgericht so
vorgesehen ist, dann käme man eben auf einen ganz anderen Betrag.
00:32:10.000
Raúl Krauthausen: Vielleicht kannst Du uns nochmal abholen. Es gab ja
jetzt Anfang dieses Jahres quasi die Abschaffung von Hartz IV und dieEinführung des Bürgergeldes. Der Name klingt viel schöner. Klingt auch
besser als Kita-Gesetz oder so, weil er hat zwei furchtbare Namen für
Gesetze, die dann so eine Zeit lang gemacht wurden. Aber jetzt heißt es
Bürgergeld und unter Bürgergeld verstehe ich definitiv auskömmliches
Geld, wo man erst mal wenig Fragen und Sorgen hat. Man wird damit
nicht reich, aber man landet nicht in Altersarmut. Das wäre jetzt meine
Anforderung an ein Bürgergeld. Aber was hat sich denn jetzt konkret
verändert, inklusive Verbesserung und Verschlechterung vom Hartz IV auf
Bürgergeld?
00:32:59.000
Helena Steinhaus: Ganz kurz, weil ich das so interessant finde, dass Du
gesagt hast, aber man landet nicht in Altersarmut. Da fällt mir sofort ein,
ja, aber man landet ja sogar bei Mindestlohn. Wenn man das ganze Leben
zu Mindestlohn gearbeitet hat in Altersarmut, voll krass. Also wir haben es
noch nicht mal als Land geschafft, einen Mindestlohn zu etablieren, der
vor Altersarmut schützt. Und damit wird uns ein riesengroßes Problem,
sage ich mal, immer deutlicher werden in sehr naher Zukunft. Und auch
jetzt ist das natürlich schon groß.
00:33:28.000
Raúl Krauthausen: Weißt Du, wie hoch der Mindestlohn sein müsste? Ich
habe mal etwas von 18 Euro gehört.
00:33:33.000
Helena Steinhaus: Ja, ich glaube, die politische Forderung der Linken ist
ja gerade 14 Euro, aber es müssten glaube ich um die 18 oder 20 Euro
sein, damit man nicht in Altersarmut landet. Weil es geht ja auch dabei um
Brutto, das muss man auch immer klarmachen, das ist so verrückt. Brutto,
meine Güte.
00:33:54.000
Raúl Krauthausen: Okay, aber was hat sich jetzt von Hartz IV auf
Bürgergeld geändert?
00:33:58.000
Helena Steinhaus: Ja, das war tatsächlich ein ganz wildes Spektakel, was
Ende 2022 sich zugetragen hat und im Laufe des Jahres schon vorbereitet
wurde, der Übergang von Hartz IV zum Bürgergeld. Und da ist ja die
Regierung mit relativ hohen Zielen zumindest ihrer Ansicht nach
reingegangen. Und dann ist das ja aber ein zustimmungspflichtiges Gesetz,
also der Bundesrat musste zustimmen, das heißt auch die CDU hatte da
viel zu sagen. Und man wollte am Anfang das Bürgergeld sanktionsfreimachen, eine Karenzzeit von zwei Jahren einführen, sodass Menschen
nicht dazu gezwungen werden, in billigere Wohnungen zu ziehen, wenn sie
Bürgergeld bekommen, solche Sachen. Und natürlich den Regelsatz, wenn
auch nur minimal, aber ein bisschen anheben, das waren zumindest, war
das, was so jetzt vielleicht die zentralsten Punkte sind. Das fanden wir
damals schon viel, viel zu wenig, also eine verpasste Chance eigentlich
auszuformulieren, was das Sozialsystem eigentlich leisten müsste. Und was
dabei rumgekommen ist, ist einfach noch viel, viel weniger. Also die
Sanktionen wurden beibehalten, der Regelsatz wurde nicht erhöht, sondern
nur der Inflation angepasst. Es gibt vor allem einen neuen Namen und
dann gab es eine Sache oder zwei, die irgendwie vielversprechend klingen
oder zumindest am Anfang klang. Das ist die Abschaffung des sogenannten
Vermittlungsvorrang, also das nicht mehr per Gesetz die Menschen auf
Teufel kommen raus, in den nächstbesten Scheißjob gepresst werden,
sondern es darum geht, die Menschen zu qualifizieren, also Weiterbildung
stärker in den Fokus gerückt werden. Und dass es eine
Weiterbildungsprämie gibt, was man auch braucht, wenn man
Weiterbildung macht und dann irgendwie nicht zu Hause ist und vielleicht
Bus fahren muss und irgendwie Kosten für Essen und so weiter hat. Dieses
Geld wurde jetzt wieder einkassiert, nachdem es ein ganzes halbes Jahr
lang ausgezahlt wurde. Wow! Und der Vermittlungsvorrang dafür, ehrlich
gesagt, was das in der Praxis bedeutet, habe ich bis heute nicht so richtig
verstanden, zumal keine extra Mittel dafür vorgesehen wurden. Also im
Gegenteil, eigentlich sind die Jobcenter schlechter ausgestattet als vorher.
Also in der Praxis sieht eigentlich nichts danach aus, als würde man das
Bürgergeld tatsächlich menschenfreundlicher gestalten wollen oder als
hätte man das getan und in unserer Arbeit zeigt sich das auch zu 0,0
Prozent.
00:36:45.000
Raúl Krauthausen: Kommen wir doch mal zu eurer Arbeit. Du bist die
Mitgründerin von Sanktionsfrei.de, da gleicht dir quasi Sanktionen aus
über Spendengelder und Supporter*innen, die Menschen, die jetzt das
Bürgergeld beziehen, erleiden müssen, also die Sanktionen und dir gleicht
die Bedingungslos, wenn ich das richtig verstanden habe, aus. Kannst du,
also erzähl das vielleicht mal aus deinen Worten, du kannst es bestimmt
besser erklären als ich.
00:37:15.000
Helena Steinhaus: Genau, also wir setzen uns für eine menschenwürdige
und sanktionsfreie Grundsicherung ein und das heißt für uns ganz
praktisch, dass wir bei Sanktionen juristisch dagegen vorgehen, sobalddas, also wenn es eine Grundlage gibt und dass wir finanziell ausgleichen,
die Sanktionen aus einem spendenfinanzierten Solidartopf. Wenn man
sanktioniert wurde, kann man ganz einfach mit ein paar Klicks einen
rechtssicheren Widerspruch über unsere Plattform erstellen, der dann ans
Jobcenter weitergeleitet wird und wenn man möchte, kann man eben
unsere Anwältinnen einschalten, die sich dann den Widerspruch
anschließen, wenn es geht und als zweiter Schritt kommt das Geld.
00:37:55.000
Raúl Krauthausen: Und die Anwälte machen das ehrenamtlich oder
finanziert ihr die? Wie werden die finanziert?
00:37:58.000
Helena Steinhaus: Die werden nicht von uns bezahlt, sondern entweder es
gibt Prozesskostenhilfe oder wie sagt man das, also bis zum gewissen
Punkt findet man sich da in einer Grauzone. Wenn ich sage, sie werden
nicht von uns bezahlt, dann würden die Jobcenter im schlimmsten Fall
sagen, sie arbeiten dann ja erfolgsbasiert und müssten nicht bezahlen, aber
ich sage das nicht, sondern ich sage am Ende müssen die Jobcenter die
Anwälte bezahlen.
00:38:24.000
Raúl Krauthausen: Okay, verstehe. Das heißt bei der Prozesskostenhilfe hilft
ihr aber auch die Beantragung und so?
00:38:30.000
Helena Steinhaus: Das machen die Anwälte, genau. Also es machen nicht
der Verein, sondern das Büro, das Sekretariat, genau. Und im ersten
Moment braucht es ja keine Prozesskostenhilfe, sondern beim ersten
Widerspruch gegen das Jobcenter ist man ja noch nicht vor Gericht.
Normalerweise oder in den meisten Fällen wird ein Widerspruch
stattgegeben, wenn nicht, dann braucht man Prozesskostenhilfe. Dann geht
es vor Gericht.
00:38:53.000
Raúl Krauthausen: Erzähl mal, wie ist denn eure Konversion? Also wie
sinnvoll ist es euch zu benutzen?
00:38:58.000
Helena Steinhaus: Es ist total sinnvoll, ehrlich gesagt, monitor ich das gar
nicht mehr, das habe ich früher lange gemacht und da hatten wir so eine
Erfolgsquote von 90% tatsächlich. Das ist eine sehr hohe Erfolgsquote,
was natürlich auch damit zusammenhängt, dass wir nur gegen die
Sanktionen vorgehen, gegen die es auch möglich ist vorzugehen. Wirproduzieren nicht einfach nur Widersprüche, sondern die Anwälte machen
sich ja die Arbeit nicht umsonst, die gucken auch, ob es überhaupt möglich
ist, dagegen zu gewinnen. Mir wird immer gesagt, das ist gar nicht schlau,
dass ich diese Einschränkung gebe, aber ich finde es schon schlau, weil
dadurch machen wir auch qualitativ sehr hochwertige Arbeit und nicht nur
verursachen wir Verwaltungsaufwand den Gerichten. Und noch dazu
beurteilen wir ja nicht, ob jemand jetzt rechtmäßig sanktioniert wurde oder
nicht. Wir gleichen immer aus, also auch wenn die Anwälte keine
Möglichkeit sehen, gegen die Sanktionen zu gewinnen. Weil wir eben der
Auffassung sind, dass es bereits ein Existenzminimum ist und die Würde
des Menschen nicht verwirkt werden kann, weil man sich mal fehlverhalten
hat in den Augen anderer.
00:40:07.000
Raúl Krauthausen: Aber nachher zur Einordnung, 90% von 4 klagen oder
90% von 4.000 klagen?
00:40:15.000
Helena Steinhaus: Das waren damals zu dem Zeitpunkt 90% von 1.000
oder so. Und wie gesagt, ich mache es jetzt gar nicht mehr. Genau. Und
dann haben wir vor allem mittlerweile viele andere Fälle. Also wir gehen
gegen alle möglichen Bescheide vor, was sogar insgesamt mehr Arbeit,
also viel mehr beschäftigen wir uns mit anderen Fällen als mit Sanktionen
tatsächlich. Wir haben nach kurzer Zeit bemerkt, die Sanktionen sind
natürlich ein großer Knackpunkt, aber sie sind am Ende auch nur die
Spitze des Eisbergs. Es gibt Millionen Sachen, weswegen die Leute
Bürgergeld oder damals Hartz IV beziehen, akut existenzielle Notlagen
erfahren. Wir haben das Glück, dass wir, wenn die Leute uns schreiben, ja
wirklich dieses Mittel haben von „Okay, kein Problem, wir überweisen dir
jetzt sofort Geld“. Ich weiß manchmal gar nicht, wie wir das hätten
managen sollen. Also einfach mit dem Wissen, okay, da ist jetzt jemand
mit, die Person hat kein Geld, da sind Kinder im Haushalt und jetzt ist
gleich Wochenende so ungefähr. Und wenn so jemand sich an uns wendet,
können wir von jetzt auf gleich einfach Geld überweisen. Das ist total
hilfreich, wenn man, ich habe gehört, du hast mal ein Sorgentelefon,
glaube ich, gemacht.
00:41:36.000
Raúl Krauthausen: Ja, genau.
00:41:38.000
Helena Steinhaus: Und ich frage mich immer, das ist ja so krass, wie
hilflos man teilweise ist vor der Notlage anderer Menschen. Ich bin malganz froh, dass wir wenigstens dieses Mittel haben, dass es bei uns oft um
finanzielle Notlagen geht und wie die dann zumindest akut lindern können
im ersten Moment, sodass dann irgendwie die Person, die Support macht,
noch schlafen kann am Abend. Also schon krass, was für Notlagen häufig
auftauchen, die nicht nur durch Sanktionen bedingt sind.
00:42:13.000
Raúl Krauthausen: Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast
unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen
Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und du wirst,
sofern du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos
findest du unter www.im-aufzug.de. Ende der Servicedurchsage. Viel Spaß
beim zweiten Teil der Folge.
00:42:40.000
Raúl Krauthausen: Also in meinem Kopf ploppen gerade immer so viele
parallele Gedanken auf. Ich versuche das mal zu ordnen. Ich finde das
total krass. Also erstmal die Frage, die ich mir stelle, wie kann es
eigentlich sein, dass ihr von 1000, 90 Prozent der Fälle gewinnt? Weil das
bedeutet ja im Umkehrschluss, dass in den Behörden Leute sitzen, die
sagen, versuchen wir es doch mal.
00:43:06.000
Helena Steinhaus: Ja, das ist definitiv auch der Fall. Mir ist immer ganz
wichtig zu betonen, dass ich nicht alle Jobcenter-Mitarbeiter*innen über
einen Kamm schere. Ich habe auch viele Freundinnen, die im Jobcenter
arbeiten, die machen richtig gute Arbeit.
00:43:20.000
Raúl Krauthausen: Die oft selber ehemalige Empfänger*innen waren, habe
ich jetzt gehört.
00:43:24.000
Helena Steinhaus: Bei den dreien, die ich persönlich gut kenne, ist es nicht
so. Aber insgesamt.
00:43:29.000
Raúl Krauthausen: Ja, aber insgesamt von der Belegschaft soll das wohl so
sein.
00:43:34.000
Helena Steinhaus: Genau. Und die machen, viele machen wirklich gute
Arbeit und es ist auch ein herausfordernder Job, das ist klar. Aber es gibteben auch viele, die ihre Macht, die sie da haben, missbrauchen. Definitiv.
Die Bescheide ausstellen, die einfach komplett jeder Grundlage entbehren.
Und die für die Menschen am anderen Ende des Schreibtisches die totale
Bedrohung oder Existenzgefährdung, quasi den Gnadenschuss bedeuten.
00:44:04.000
Raúl Krauthausen: Wie reagieren denn die Jobcenter auf euch? Oder, keine
Ahnung, Frau Nahles, Herr Schäle.
00:44:12.000
Helena Steinhaus: Herr Schäle habe ich nicht getroffen, aber Herr Alt, der
vor Herr Schäle, der hat mich gefragt, ob ich auch noch einen richtigen
Job habe.
00:44:22.000
Raúl Krauthausen: Wow.
00:44:22.000
Helena Steinhaus: Das war nett, das war kurz vor meinem aller aller
ersten Fernsehaufschluss, ich bin eh schon beinahe gestorben. Und mir
wurde gesagt, ich soll auf keinen Fall mit irgendjemandem reden. Und er
guckt mich so von der Seite an und fragt, und haben Sie dann auch noch
einen richtigen Job?
00:44:38.000
Raúl Krauthausen: Ja, gegen Sie arbeiten ist mein Job.
00:44:42.000
Helena Steinhaus: Ja, wie reagieren die? Also eher nicht. Sie reagieren
nicht.
00:44:47.000
Raúl Krauthausen: Habt ihr es versucht?
00:44:49.000
Helena Steinhaus: Ja, klar. Also ich hatte sogar mal einen Termin mit
Hubertus Heil, weil wir zusammen auf einem Podium saßen und uns da
kennengelernt haben. Und er hatte mir das sogar angeboten. Den Termin
hat er dann vorher abgesagt und aber auch nicht, er hatte keine
Möglichkeit, den zu verschieben. Er hat also nie wieder darauf reagiert,
einen neuen Termin mit mir zu vereinbaren. Wir waren mal eingeladen bei
Frau Nahles und haben da fast zwei Stunden verbracht.
00:45:14.000
Raúl Krauthausen: Und wie war das?00:45:15.000
Helena Steinhaus: Ja, eher nüchtern, muss ich sagen. Also ehrlich gesagt
finde ich eh Gespräche mit Politiker*innen, Lobbygespräche, wie man das
nennt, sehr herausfordernd. Also ich habe immer das Gefühl, da
verschwende ich krass Energie und habe aber eigentlich nicht so viel
davon. Weil also in der Zeit, wo es um die Gesetzesänderungen ging, habe
ich das natürlich vermehrt gemacht. Aber jetzt gerade zum Beispiel habe
ich immer den einen, also sehe ich gar nicht, wo da überhaupt ein
Einfalltor sein könnte. Also ich brauche mich nicht mit der CDU treffen
oder so. Das ist komplett verschwendete Liebesmühe. Danach bin ich eine
Woche krank wahrscheinlich. Also irgendwie ist das nicht mein…
00:46:05.000
Raúl Krauthausen: Aber angenommen Hubertus Heil, es erinnert sich, dass
er dir noch einen Termin schuldet. Würdest du ihn wahrnehmen?
00:46:11.000
Helena Steinhaus: Na klar, sofort. Wie gesagt, also wenn es sich anbietet,
mache ich es eh. Und ich habe mich auch drum bemüht und bemühe mich
auch drum, wenn es mir sinnvoll erscheint.
00:46:20.000
Raúl Krauthausen: Aber gerade nicht.
00:46:22.000
Helena Steinhaus: Jetzt in dieser Sekunde nicht.
00:46:27.000
Raúl Krauthausen: Wahrscheinlich auch, weil das Fenster der
Möglichkeiten gerade zu ist. Bürgergeld ist ja jetzt beschlossen.
00:46:33.000
Helena Steinhaus: Genau. Also eigentlich hätte noch ein Änderungspaket
kommen sollen, bereits letztes Jahr. Aber da kräht ja auch wirklich kein
Hahn nach. Also das Bürgergeld, das war ja nicht damit eigentlich
beendet, dass irgendwie der Vermittlungsvorrang abgeschafft wurde,
sondern eigentlich sollte es noch eine Reform geben zum Wohnen und
welche Kosten da übernommen werden und andere Sachen. Aber es ist
einfach nichts mehr passiert.
00:47:00.000
Raúl Krauthausen: Strom wäre eine Maßnahme.00:47:01.000
Helena Steinhaus: Strom wäre eine Maßnahme, wird aber super schwierig.
Wir haben echt geguckt, ob es da irgendwie auch von wegen strategischer
Prozessführung, ob man da irgendwas erklagen kann. Aber leider sind da
die Gesetze mit Paragraphen in Ausnahmesituationen ausgestattet, dass es
da auch keinen Einfallstor gibt für strategische Prozessführung. Das ist
wirklich nicht leicht. Ja, und politisch, also wir haben ja zum Beispiel auch
diese Langzeitstudie gemacht zur Wirkung von Sanktionen. Eine
experimentelle Studie, wo wir eben geguckt haben, wie verhält sich die
Gruppe an, dass die sanktioniert wird und die, die nicht sanktioniert wird,
über drei Jahre, über den Zeitraum von drei Jahren. Und dann gab es kurz
vor der Gesetzesänderung zum Bürgergeld eine Übersichtsstudie des
Instituts für Arbeits- und Berufsforschung. Und die haben uns damit noch
nicht mal erwähnt darin. Dabei ist unsere Studie, als wir sie veröffentlicht
haben in der Bundespressekonferenz im September 2022, in allen Medien
gewesen. Also sie hat wirklich eine beachtliche Außenwirkung gehabt. Und
trotzdem sind wir in der Übersichtsstudie des EABs noch nicht einmal
benannt worden. Dabei haben wir mit Frau Nahles und dem Leitenden
Mitarbeiter des EABs zusammengesessen eineinhalb Stunden. Also das
meine ich mit Nichtbeachtung.
00:48:21.000
Raúl Krauthausen: Ja, genau. Wozu ist denn eure Studie gekommen?
00:48:25.000
Helena Steinhaus: Sanktionen bringen nichts. Also das
Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt, sie dürfen nur angewendet
werden, wenn im Einzelfall bewiesen werden kann, dass sie die Integration
in den Arbeitsmarkt beschleunigen. Schon auch eine perverse eigentlich,
Legitimation für eine Sanktion, aber ok, dann ist das wenigstens etwas,
wonach man sich richten kann. Unsere Studie kommt dazu, dass
Sanktionen keine Wirkung haben. Wenn man Menschen Sanktionen
androht oder sie auch ausspricht, sind die Menschen, die tatsächlich
sanktioniert werden, nicht stärker im Arbeitsmarkt integriert als die
anderen. Und das deckt sich auch mit Experimenten, die Jobcenter
teilweise gemacht haben. Also da gibt es zwei Jobcenter im Ostalbkreis
und noch irgendwo. Die haben über die Dauer von einem halben Jahr
Termineinladung en mit und ohne Sanktionsandrohungen verschickt. Und
sie haben festgestellt, genauso viele Leute kommen zu den Terminen. Das
macht überhaupt keinen Unterschied, ob man die Sanktion ausspricht oder
nicht oder androht oder nicht. Und dann könnte man ja auch sagen, ok,
dann ist ja auch nicht schlimm, wenn man sanktioniert, wenn es keinenUnterschied macht. Aber man muss ja eine legitime, also das ist ja der
falsche Umkehrschluss.
00:49:42.000
Raúl Krauthausen: Und man kann auch sagen, es gibt Gründe, warum
jemand nicht gekommen ist.
00:49:46.000
Helena Steinhaus: Genau. Letztendlich hilft das Druckmittel nicht. Und ich
fand auch ganz interessant, was die Jobcenter daraus geschlossen haben.
Die haben gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass wir für die Menschen ein
Ort sind, an den sie gerne kommen. Weil dann kommen sie auch.
00:50:01.000
Raúl Krauthausen: Kaffee und Kuchen oder was?
00:50:03.000
Helena Steinhaus: Nein, Leute, die, naja, vielleicht auch Kaffee und
Kuchen im Zweifel. Warum nicht? Aber im Sinne von, dass man als
Mensch betrachtet wird, dass man ja nicht Angst hat, sondern versteht,
was einen erwartet im Jobcenter und die individuelle Situation betrachtet
wird.
00:50:24.000
Raúl Krauthausen: Also keine Ahnung, wenn Jobcenter so aussehen und sich
so anfühlen wie der Gang zum Bürgerinnenamt, dann weiß ich nicht, was
man da noch… Also da gehe ich ja schon, ohne dass ich irgendwas betteln
will oder muss, ungern hin.
00:50:41.000
Helena Steinhaus: Aber Bürgerinnenamt finde ich noch angenehm im
Vergleich. Also warst du schon mal im Jobcenter?
00:50:46.000
Raúl Krauthausen: Noch nicht.
00:50:47.000
Helena Steinhaus: Ja, also ich fand das sehr unangenehm.
00:50:52.000
Raúl Krauthausen: Glaube ich sofort, so wie in der Flüchtlingsbehörde.
00:50:55.000
Helena Steinhaus: Wahrscheinlich ist da nochmal schlimmer. Da sorgt der
Klassismus dafür, dass man…00:51:00.000
Raúl Krauthausen: Es hat ja auch jemand designed.
00:51:01.000
Helena Steinhaus: Ja, genau. Ja, klar. Man soll sich da nicht wohlfühlen.
Also es ist von Anfang an so konzipiert, dass man… Also die Architektur,
die Inneneinrichtung, die Behandlung, wer einem da entgegentritt, dass
man teilweise beweisen muss, dass man einen Termin hat vor Security-
Mitarbeitern, dann steht man erstmal stundenlang in der Schlange. Ja.
00:51:23.000
Raúl Krauthausen: Jetzt habt ihr natürlich schon beachtliche Erfolge.
Zahlen kannst du gerne nennen. Ich hab die jetzt nicht im Kopf, aber ihr
macht das ja schon ein paar Jahre. Ihr gebt sehr viel Geld im Monat
weiter. Kannst du dazu was sagen?
00:51:36.000
Helena Steinhaus: Ja, also wir haben… Ich hab die Zahlen selber gar nicht
100 Prozent auf dem Schirm, aber ich glaube, wir haben mittlerweile 600,
700.000 Euro umverteilt. Wahrscheinlich eher 700.000. Und wir haben
Heartsbreaker, die uns monatlich mit einem Betrag unterstützen. Das
sind… In den Solidartopf gehen da mittlerweile knapp 13.000 Euro rein.
Und mit Einzelspenden und Rückzahlungen, die wir teilweise haben,
können wir mittlerweile gut 20.000 Euro mindestens im Monat
umverteilen. Und wenn wir dann noch so Extrakampagnen haben, wird es
immer mehr. Also jetzt zum Beispiel gerade zahlen wir 1.000 Menschen
das Klimageld aus. Also das, wovon wir der Meinung sind, das schuldet
die Regierung mindestens den Bürger*innen für die letzten drei Jahre. Und
das ist dann eine Extrakampagne, die wird nicht aus den monatlichen
Dauerspenden gezahlt.
00:52:32.000
Raúl Krauthausen: Und könnt ihr alle Bedarfe bedienen?
00:52:35.000
Helena Steinhaus: Nicht alle, dadurch, dass uns wirklich in den
unterschiedlichsten Situationen die Menschen mittlerweile schreiben, also
ganz viel zum Beispiel auch Menschen, die Stromnachzahlungen haben,
die sie nicht stemmen können und so. Also es ist wirklich sehr breit
gefächert, weswegen uns die Leute anschreiben. Und teilweise müssen wir
dann vor bestimmten Themen Riegel vorschieben, manchmal auch nach so
Kriterien wie „Sind da Kinder im Haushalt?“ oder nicht. Aber Sanktionen
haben zum Beispiel immer ganz klar Vortritt und dann auchLeistungseinstellungen oder eben wenn eine Stromsperre ansteht, solche
Sachen machen wir immer.
00:53:12.000
Raúl Krauthausen: Und wie lange kann so eine Sanktion ausgeglichen
werden? Drei Monate oder einmal?
00:53:19.000
Helena Steinhaus: Mittlerweile ist sie ja erst mal nur ein Monat wirksam
und wenn dann eine zweite Sanktion kommt, glaube ich auch öfter. Aber
das habe ich gar nicht so richtig im Überblick. Wir gleichen auf jeden Fall
andere. Also zum Beispiel wenn auf einmal der Mehrbedarf für spezielle
Ernährung, wenn jemand krank ist, nicht mehr gewährleistet wird oder so,
dann kann das richtig lange dauern, bis wir damit juristisch durch sind.
Und dann gleichen wir das auch mal acht Monate aus oder so. Oder wenn
die Miete nicht übernommen wird oder so. Also es gibt, wir haben keine
festgesetzten Kriterien oder Grenzen, sondern wir gucken da im Einzelfall
tatsächlich.
00:53:57.000
Raúl Krauthausen: Das ist ja sehr viel intensive Einzelarbeit dann auch.
Und wahrscheinlich hat das dann auch ganz viel zu tun mit Menschen, die
psychisch einfach da auch mitgenommen sind.
00:54:07.000
Helena Steinhaus: Auf jeden Fall.
00:54:08.000
Raúl Krauthausen: Wie verkraftet Ihr als Team das emotional?
00:54:13.000
Helena Steinhaus: Die Arbeit ist ja so ein bisschen aufgeteilt, dadurch dass
die Anwält*innen teilweise das mitmachen sozusagen. Und dann wir so im
Team ja. Ich habe es ja ganz lange selbst gemacht. Ich mache es jetzt so
seit anderthalb Jahren nicht mehr selbst, sondern nur noch teilweise. Oder
ich bin natürlich viel mit dabei, aber mache es nicht mehr komplett alleine.
Und dadurch weiß ich, was die Person im Support auszuhalten hat
irgendwie. Und ich bin selber erstaunt. Also ich mache mir da immer
wieder Gedanken drüber. Momentan geht alles gut. Ich weiß nicht, wie
lange das so bleibt.
00:54:57.000
Raúl Krauthausen: Wie viele seid Ihr im Team?00:54:58.000
Helena Steinhaus: Wir sind fest drei Personen und dann noch auf
Honorarbasis IT und Beratung zwei und dann haben wir drei
Anwält*innen, die angeschlossen sind.
00:55:12.000
Raúl Krauthausen: Also ein super schlankes, effizientes Team. Was sich an
Eurer Arbeit so beeindruckt. Und wirklich, ich muss sagen, ich bin
neidisch auf diese Genialität, diese Idee. Weil Ihr hackt ja das System. Und
das ist einfach so, Du hast ja vorhin so etwas gesagt, man fühlt sich so
ohnmächtig und auch politisch gibt es keine Lobby. Und also über die
klassischen Wege der Demokratie, Willensbildung wie auch immer
funktioniert es scheinbar nicht. Aber da ist ja irgendwie die Aktivistin in
Dir, die gesagt hat, wir müssen es trotzdem irgendwie machen. Und dann
diesen Hack zu bauen, war wahrscheinlich für Dich dann der eine Ansatz,
den man versuchen sollte. Die Gefahr da drin ist ja so ein bisschen, dass
Ihr ein paralleles Sozialsystem baut. Und Euer Erfolg misst sich daran,
dass Ihr immer größer werdet. So wie der Erfolg der Berliner Tafel, nicht
daran misst, dass Ihr immer größer werdet. Aber eigentlich ist es ja ein
Misserfolg, weil Ihr wollt ja gar nicht größer werden. Und die Tafeln ja
auch nicht. Wie gehst Du mit diesem Dilemma um?
00:56:28.000
Helena Steinhaus: Also wir sind ja immer auch juristisch aktiv, wenn es
geht. Das ist sozusagen das, wo wir sagen, wir machen es dem Jobcenter
nicht einfacher. Sondern wir verursachen denen eigentlich sehr viel Arbeit
und wir sorgen auch dafür, dass sie viele Beträge zurückzahlen müssen.
Was ja dann auch dazu führt, dass das Geld wieder zurück in unseren Soli
Topf fließt teilweise. Das ist sozusagen das, was uns dabei so ein bisschen
hilft. Wir haben zum Beispiel allein letztes Jahr rund 400 Rechtsfälle gegen
die Jobcenter eröffnet. Und dieses Jahr weiß ich noch nicht, wie viele es
sind. Und tatsächlich auch, wir werden nicht immer größer. Wir sind
schon sehr, sehr lange dieselbe Konstellation. Außer dass wir jetzt eine
dritte Person für Support haben seit langer Zeit und ich will nicht größer
werden. Also tatsächlich will ich auch die Einzelfallhilfe nicht ausbauen.
Die Frage kam oft und natürlich bewältigen wir was reinkommt und wir
ermutigen auch die Menschen, sich an uns zu wenden. Aber wir werden
keine Außenstellen aufmachen oder genau irgendwie ein Team aufstellen,
was jetzt dann zu Zehnt die Anfragen bearbeitet. Ich versuche das wirklich
stark ausbalanciert zu halten. Also die Einzelfallhilfe, Öffentlichkeitsarbeit
und Kampagnen. Aber bis zum gewissen Punkt können wir uns natürlichvon dem Vorwurf nicht frei machen oder von dem Dilemma, würde ich
vielleicht mal eher so sagen. Weil auch die Tafel macht die Arbeit, die
unwahrscheinlich wichtig ist und leider macht es natürlich genau das. Es
untermauert ein fehlerhaftes System. Aber gleichzeitig würde ich auch
niemals Markus Söder zu uns einladen und mit ihm ein Foto machen. Und
sagen, er hat heute geholfen bei sanktionsfrei, ja, weiß ich nicht, das finde
ich, das würde ich niemals tun oder sanktionsfrei niemals tun.
00:58:34.000
Raúl Krauthausen: In meinem Podcast hatte ich zu Gast Sabine Werth, das
ist die Gründerin der Berliner Tafel, die ja die Tafel nach Deutschland
gebracht hat. Also ihr Berliner Tafel war die erste Tafel und daraus ist
dann der Bundesverband der Tafeln und so weiter entstanden. Und Sabine
Werth ist eine so coole, reflektierte Aktivistin im Bereich Armut. Und sie
hat zum Beispiel gesagt, kennt ihr euch?
00:59:01.000
Helena Steinhaus: Nee, aber ich habe sie, meine ich schon, bei einem
Fernsehauftritt gesehen, fand sie echt gut.
00:59:08.000
Raúl Krauthausen: Die ist unfassbar gut. Und die hat zum Beispiel mir
erzählt, dass in Jobcentern oder Sozialämtern den Leuten gesagt wird, ja,
wenn sie sich kein Essen leisten können, gehen sie doch zu den Tafeln. Und
dass sie als Tafel sich vehement dagegen wehrt, weil sie sagt, das ist die
Privatisierung des sozialen Sektors, weil die Tafel zu 100 Prozent privat
finanziert und gespendet wird. Und dass sie sich sogar weigert, einen
Euro-Jobber*innen anzustellen, weil sie sich damit abhängig machen
würde vom System, das sie eigentlich kritisiert. Gibt es bei euch auch
Fälle, wo Jobcenter sagen, ja, dann geht doch zu Sanktionsfrei?
00:59:48.000
Helena Steinhaus: Ich weiß, dass manchmal Sachbearbeiter uns
weiterleiten. Ich hatte sogar schon mal einen Fall, wo es dann eine
Anhörung gab für den betreffenden Mitarbeiter oder die Mitarbeiterinnen,
weil das irgendwie der Teamleiter mitbekommen hatte. Ich persönlich
befürworte das, wenn jemand im Jobcenter uns kennt und uns weiterleitet,
sozusagen. Aber es würde natürlich niemals als interne Weisung
rausgegeben werden, sondern es ist dann sozusagen der persönliche
Beziehung.
01:00:23.000
Raúl Krauthausen: Also befürwortest du, weil den Menschen geholfen wird?01:00:25.000
Helena Steinhaus: Ja.
01:00:26.000
Raúl Krauthausen: Aber am Ende löst du ja das Problem des
Sachbearbeitens.
01:00:28.000
Helena Steinhaus: Nein. Letztendlich aber steht der Sachbearbeiter oder
die
Sachbearbeiterin ja auch bis zum gewissen Punkt unter der Beuge eines
Gesetzes, was ich für hoch problematisch halte. Also, oder wir.
01:00:44.000
Raúl Krauthausen: Gibt es in Ämtern Zielvorgaben?
01:00:47.000
Helena Steinhaus: Ja. Es ist allerdings schwierig, da schlau draus zu
werden. Es gab ja mal diesen Riesenskandal, glaube ich, 2011 oder 2012
über Zielvorgaben in Zusammenhang mit Sanktionen. Und da gibt es jetzt
seitdem irgendwie nicht mehr so gute Quellen zu. Also genau, selbst über
die Plattform „Frag den Staat“ habe ich da keine guten Unterlagen zu
gefunden.
01:01:12.000
Raúl Krauthausen: Was ja ein aktivistischer Ansatz sein könnte, wäre, dass
ihr es den Ämtern so teuer macht, dass sie von selber auf die Idee kommen,
dass es billiger ist, nicht zu sanktionieren.
01:01:26.000
Helena Steinhaus: Das war der Ursprungsgedanke. Das war der
Ursprungsgedanke. Wir fluten die Jobcenter mit Sanktionswidersprüchen
und dann hören die auf.
01:01:36.000
Raúl Krauthausen: Aber das geht wahrscheinlich nicht auf, weil die Logik
stärker ist.
01:01:40.000
Helena Steinhaus: Die Logik ist stärker und man braucht
unwahrscheinlich viele Ressourcen. Also wir sind ja am Ende wirklich ein
Mini-Verein irgendwie. Und auch wenn wir uns mittlerweile irgendwie
über Wasser heilen können, ist es jetzt nicht so, dass wir eine unendlich
große Taskforce bilden könnten. Dann wären wir wieder bei dem Problem,wir müssen immer größer werden. Ja, also das habe ich nicht als den
Hebel empfunden.
01:02:04.000
Raúl Krauthausen: Es gibt ein Phänomen, das habe ich jetzt vor ein paar
Monaten mal gelesen, der sogenannten versunkenen Kosten. Also wir
erhöhen hier was und wir erhöhen da so ein bisschen was. Und alle
Beteiligten im System wissen ja, die 5 Euro im Monat mehr, die helfen ja
niemandem. Also die helfen weder der Sachbearbeiterin noch den
Betroffenen. Und in der Summe kostet es aber unfassbar viel Geld. Und
jetzt will ich das nicht aufrechnen, was viel ist. Also warum geht es nicht
mehr nicht. Mir geht es halt darum, ist vielleicht, dass die Art, wie wir
Menschen in Armut helfen, die falsche. Also gibt es vielleicht bessere
Methoden, kostenlose ÖPNV, gute Bildung, die effizienter sind, um Armut
wirklich zu verhindern, anstatt Menschen immer mit Zuckerbrot und
Peitsche irgendwie zu dem zu bringen, wo das System sie haben will?
01:03:03.000
Helena Steinhaus: Ja, mit Sicherheit. Also viele Sachen. Einerseits glaube
ich zum Beispiel, ein guter ÖPNV ist ein super wichtiges Mittel, aber
gleichzeitig auch ein tatsächlich angemessener Regelsatz, also dass
Menschen nicht zu Bittsteller*innen werden. Und natürlich aber auch ein
armutsfester Mindestlohn. Und letztendlich geht dem voraus ein eklatanter
Kulturwandel, den wir eigentlich als Gesellschaft erstmal machen müssen.
Also indem wir Menschen betrachten als intrinsisch motivierte Wesen, die
das Beste aus sich rausholen, wenn sie denn dazu in die Position oder in
die Lage versetzt werden oder sich da rein versetzen können. Und dazu
braucht es eben bestimmte Bedingungen und die sind für viele zurzeit nicht
erfüllt. Also es kommt ja auch nicht von ungefähr, dass es mehrere
Generationen braucht, um Armut zu überwinden, dass es auch in
Deutschland nachgewiesen besonders schwer ist, also dass die Strukturen
es wirklich verhindern, dass man aus Armutssituationen rauskommt. Also
der Vertrauensvorschuss und ein Kulturwandel hin zu einem positiven
Menschenbild, ich glaube, das wäre ein erster Schritt, um Armut zu
begegnen. Und vielleicht aber auch ein Kulturwandel dahingehend zu
fragen, wo ist denn eigentlich Geld und warum ist es da? Und nicht
woanders. Also das ist eh was mich so total nervt, dass man immer
darüber geredet, manche Menschen haben wenig Geld und warum ist das
denn so? Oder was macht man denn mit denen, die so wenig haben? Ich
meine, wieso haben andere so viel Geld? Wieso? Das müsste wirklich
verboten sein.01:04:57.000
Raúl Krauthausen: Also es gibt ja auch diese Erzählung, die weit größer ist
als die Realität des sogenannten faulen Arbeitslosen. Also wenn du sagst,
dass man intrinsisch motiviert ist, sich auch arbeiten zu wollen, wo man
auch hinterfragen kann, warum müssen wir eigentlich überhaupt alle
arbeiten? Da gibt es auch spannende Theorien und Filme. Empfehle ich
immer wieder den Film „Frohes Schaffen“, ein Film zur Senkung der
Arbeitsmoral, wo die Leute die Frage stellen, wir haben ja arbeiten gehen
müssen wie eine Religion, wir hinterfragen das ja gar nicht mehr. Und
dazu sagen, wir müssen arbeiten, die Menschen finden Glück in Arbeit. Ja,
aber die Menschen finden auch Glück in Gesellschaft, Gemeinschaft, Spiel
und Kunst. und Sport? Warum muss es Arbeit sein? Dass es überhaupt
nicht mehr hinterfragt wird, ist ja der Kultur bei den Mitgliedern, die wir
wahrscheinlich brauchen. Und wenn wir immer von sogenannten Faulen
Arbeitslosen werden, warum reden wir nicht mehr über die Faulen-
Millionärinnen?
01:06:05.000
Helena Steinhaus: Weil die haben sich ja verdient.
01:06:10.000
Raúl Krauthausen: Ja oder auch nicht, wenn ich gehe abklappen
01:06:14.000
Helena Steinhaus: . Genau, haben sie nicht, würde ich jetzt einfach mal
behaupten.
01:06:18.000
Raúl Krauthausen: Genau, und wenn wir jetzt sagen, das ist ja so ein
bisschen wie bei dem Thema Bildung, wir brauchen viele Generationen,
bis das Thema Armut gelöst ist, brauchen wir wahrscheinlich auch
mindestens eine Generation, um das Bildungssystem zu retten. Also
gerechte Bildung oder gute Bildung. Das was ich jetzt als Politikerin
ausgebe, das soll so viel Geld sein, dass ich dafür garantiert abgewählt
werde. Und den Erfolg werde ich nie erleben, weil es zwei, drei
Legislaturen braucht, bis es überhaupt einen Effekt hat. Ist das vielleicht
Teil des Problems?
01:06:55.000
Helena Steinhaus: Dass sozusagen die momentane Regierung immer
versucht etwas zu machen, was auch einen sofortigen Effekt hat?
01:07:02.000
Raúl Krauthausen: Genau.01:07:03.000
Helena Steinhaus: Ja, kann schon sein.
01:07:05.000
Raúl Krauthausen: Also braucht es eine Struktur, die länger hält als eine
Legislatur, die solche Dinge einfach mal klärt, weil das Thema Armut seit
ich denken kann, ist das in Deutschland Thema, wahrscheinlich viel, viel
länger. Das Thema Bildung ist seit ich denken kann ein Thema. Und es
wird die ganze Zeit so an kleinen Rädchen gedreht, aber nicht am großen
Ganzen.
01:07:28.000
Helena Steinhaus: Ja, also auch da, ich habe das Gefühl, dadurch, dass
ich jetzt schon so lange darüber rede und es mich vielleicht auch fast ein
bisschen ermüdet auf eine Art diese Hoffnungslosigkeit, die sich dann ganz
schnell irgendwie einstellt, denke ich, vielleicht braucht es wirklich eine
Kultur, in der man mehr über Reichtum redet und warum der eigentlich
verteilt ist, wie er verteilt ist. Und dann im Umkehrschluss redet man
wieder über Armut. Also dass irgendwie die strukturelle
Ungleichbehandlung anhand von reichen Menschen vielleicht mal erzählt
wird, macht das irgendwie Sinn und dann ja, wahrscheinlich braucht es
auch Strukturen, wo irgendwie das, was politisch vorbereitet wird, dann
auch mal länger hält. Aber ich habe das Gefühl, die Ansätze, also das, was
man ja jetzt in den letzten zwei Jahren gesehen hat, was irgendwie
versucht wurde, Kindergrundsicherung, Bürgergeld, die Ansätze, die sind
so schwach. Das Einzige, was gut klingt, ist der Name. Also wirklich, das,
was da verhandelt wurde, ist wirklich lächerlich. Vor allem, wenn man
dann sich anguckt, dass irgendwie im Zuge einer Bürgergelderhöhung,
Inflationsausgleich in Klammern, der Steuerfreibetrag für alle erhöht
wurde und darüber nicht geredet wird. Also deswegen habe ich irgendwie
den Eindruck, man muss so, ich weiß nicht, erst mal komplett anders
angehen, damit überhaupt zugehört wird, wenn es um Ungleichverteilung
und Behandlung und Armut und so weiter geht, weil irgendwie kommt es
nicht an und haben so viele Leute das Gefühl, es hätte mit ihnen doch
nichts zu tun. Also ich bin so müde davon, also auch das, was du gerade
gesagt hast, dass es wie so eine Religion ist, arbeiten gehen zu müssen und
dass eigentlich jetzt auch das Thema Sanktionen wird ja gerade neu und
richtig derbe behandelt im öffentlichen Diskurs und auch gibt es jetzt
wieder ein neues Gesetz, was eben total Sanktionen wieder ermöglicht und
es ist so krass, dass es da eigentlich ganz viel um Leute geht, die am Ende
für Konzerne und dahinter für Menschen arbeiten werden müssen, nochmehr oder machen sie ja eh schon, die so viel haben, dass sie den Hals
einfach nur nicht voll kriegen können und die sich mit ihren
Lobbyorganisationen dafür einsetzen, dass auch der Mindestlohn schön
weit unten bleibt, damit sie die höchste Marge abkassieren können die
ganze Zeit.
01:09:47.000
Raúl Krauthausen: Ich merke diese Ermüdung, die schlägt bei mir über, also
das Gefühl irgendwie, meine Fresse, es kann doch alles nicht sein und
weißt du, vor acht Jahren oder so, sechs Jahren, hatte ich ein Gespräch
mit einer Hauptstadtstudio-Redakteurin, die für die Tagesschau arbeitet
und die hat mir gesagt, sie hat das Thema Soziales vor allem auf dem
Schirm immer und sie hat mir erzählt, immer dann, wenn Politiker*innen
von Senkung der Steuern für niedrige und mittlere Einkommen reden, dann
weiß man ganz genau, es betrifft nie die Menschen, die Sozialhilfe
bekommen oder Bürgergeld oder so, weil die zahlen bereits keine Steuern
und das ist quasi eine Nebelkerze, die geworfen wird und dann glaubt man
den Liberalen oder auch der SPD, dann glaubt man denen, wenn die das
sagen, oh ja, die wollen was mit den niedrigen und mittleren Einkommen
tun, aber es löst das Armutsproblem nicht, weil es zahlen nur die Steuern,
die arbeiten, es gibt noch Mehrwertsteuer und so, klar, aber es redet ja
niemand über die Senkung der Mehrwertsteuer und Freibeträge bringen
auch nur was wenn du Steuern zahlst. Und das alleine, man vielleicht mal
versuchen muss, viel klarer zu sagen, was gesagt wird, was gemeint ist,
dass das einfach völlig eine Nebelkerze war oder wenn gesagt wird, ja, die
Menschen, die Bürgergeld bekommen, die müssen immer weniger haben
als die, die arbeiten, was ist denn das für eine Logik, das ist eine Spirale
nach unten, warum macht man die Spirale nicht nach oben und es ist ja
auch nicht so, wenn du arbeitest und es ist nicht genug zum Leben, kannst
du ja aufstocken, das heißt, wenn ich das richtig verstehe, ist es immer
mehr.
01:11:42.000
Helena Steinhaus: Genau, also wenn man arbeitet, hat man theoretisch
immer mehr, trotzdem hat man häufig sehr, sehr wenig und dann ist der
natürliche Reflex…
01:11:50.000
Raúl Krauthausen: Ja klar, es ist immer noch zu wenig, keine Frage.
01:11:52.000
Helena Steinhaus: Genau, und dann ist aber der natürliche Reflex
irgendwie, zumindest hat sich das so eingebürgert, dass man dann sagt,wieso habe ich so wenig und haben die so viel, die da Bürgergeld
beziehen, anstatt dass man fragt, wieso habe ich so wenig, warum
bekomme ich nicht mehr und warum haben andere so unermesslich viel
und was hat das mit mir zu tun?
01:12:12.000
Raúl Krauthausen: Und dann, das ist mir jetzt neulich aufgefallen, du warst
bei 13 Fragen in diesem Videoformat, und dann gab es den Olaf, glaube
ich, der selber Bürgergeld bezieht und dann gab es einen Konservativen,
der gesagt hat, ja wir müssen das alles irgendwie streng regulieren und
sanktionieren und so, aber bei dir, da verstehe ich das. Und das würde
Jens Spahn ja auch machen, das heißt, diese Einzelfälle, die sind dann
plötzlich, achso, ja klar, das muss Ausdauer geben, bla bla bla, aber es
geht ja um die große Masse. Oh Gott, mich macht das so wütend.
01:12:50.000
Helena Steinhaus: Ja, es ist wirklich, also wie gesagt, ich finde, es hat sich
echt auch in den letzten zwei Jahren so krass ins Negative nochmal
verschärft. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, also im Laufe der
letzten Jahre oder als wir Sanktionsfrei gegründet haben, da war es ja
schon auch irgendwie übel, weil halt mitten im HartzIV Sanktionswahnsinn
und dann wurde es aber irgendwie so ein bisschen besser, hatte ich den
Eindruck, und dann zumindest mit diesem 2019
Bundesverfassungsgerichtsurteil. Aber das, was jetzt abgeht seit zwei
Jahren, ist wirklich unfassbar.
01:13:22.000
Raúl Krauthausen: Was macht dir denn Hoffnung? Oder was motiviert dich
jeden Morgen, diesen Job weiterzumachen?
01:13:28.000
Helena Steinhaus: Ja, schon irgendwie, dass ich das Gefühl habe, ich
arbeite an der richtigen Sache, die ja auch verwoben ist mit anderen
Sachen, Bereichen, was für mich mit Gerechtigkeit zu tun hat. Rassismus,
Klassismus, Armutungleichheit und so. Da irgendwie dran zu kratzen und
sei es auch nur in meinen beschränkten Möglichkeiten, das macht mich auf
jeden Fall viel glücklicher als es nicht zu tun. Ich habe ja auch was von
der Arbeit. Ich bin wahnsinnig froh, dass ich eine Aufgabe habe, die mir
das irgendwie ermöglicht.
01:14:09.000
Raúl Krauthausen: Und wo siehst du jetzt, sagen wir mal,
Entwicklungspotenzial? Ihr wollt ja nicht skalieren, weil das ist ja quasigenau das Problem. Aber wäre jetzt, sagen wir mal, so eine
Evolutionsstufe, Sanktionsfrei bei 3.0, 4.0, keine Ahnung, wo wir schon
sind, aber wäre jetzt der nächste Schritt Grundeinkommen oder
Altersarmut sichern? Also was könnte eine logische Fortsetzung sein?
01:14:33.000
Helena Steinhaus: Ja, ich glaube, wir stehen vor verschiedenen
Herausforderungen und da müssen wir gucken, wie wir die bearbeiten,
sage ich mal. Du hast sicher davon gehört, die Bezahlkarte,
die es jetzt für Asylbewerber gibt, wird es auch, ich sage es jetzt mal so
orakelmäßig, für Bürgergeldbeziehende geben. Da kann man stark von
ausgehen und auch so, wie sie jetzt bereits verwendet wird, also in die
Richtung, diese ganzen Verschlechterungen, die da gerade kommen, da
würde ich gerne irgendwie eine Antwort darauf finden. Also wie man damit
umgehen kann, schlau, vielleicht auch in Bündnissen.
01:15:17.000
Raúl Krauthausen: Richtig gruselig die Vorstellung, oder?
01:15:18.000
Helena Steinhaus: Gruselig, ja.
01:15:20.000
Raúl Krauthausen: Also ich habe das jetzt auch die letzten Tage, da habe ich
einen Podcast gehört vom Chaos Computer Club, wo die Geldkarte erklärt
wurde. Und wenn die einmal implementiert ist und das meint Bundesländer
übergreifend und so, dann kann man damit richtig drangsalieren. Und es
gibt auch gar keine Möglichkeit mehr da reinzublicken, weil das ja eine
Black Box ist. Und was ich richtig schlimm fand, war, dass die
Wechselwirkungen, die du gerade auch kurz angesprochen hast, zwischen
Armut und Rassismus. Also, da müssen wir auch drüber reden, auch
Alleinerziehende, diese Intersektionalitäten, die da drinstecken.
01:16:03.000
Helena Steinhaus: Ganz genau. Und da sehe ich leider wenig
Verbesserungspotenzial in den
nächsten Jahren, sondern eher im Gegenteil. Und deswegen glaube ich, ist
es wahnsinnig wichtig, eine starke Zivilgesellschaft zu haben,
Organisationen zu finden, die am selben Strang ziehen und sich
untereinander vernetzen. Auch ganz grundsätzlich Zivilcourage irgendwie
zu ermutigen und zu fördern. So in die Richtung. Keine Ahnung noch, wie
das aussehen soll, aber das vielleicht so als, also wir haben auf jeden Fall
zu tun.01:16:41.000
Raúl Krauthausen: Wie ist denn die Zusammenarbeit mit meinem
Grundeinkommen genau?
01:16:44.000
Helena Steinhaus: Im Grunde arbeiten wir gar nicht viel zusammen. Sie
waren jetzt mal Partner unserer jetzigen, unserer Kampagne zum
Klimageld, aber eher so stille Partner im Hintergrund. Und wir sitzen
schon immer im selben Büro, weil wir am Anfang uns auch quasi aus
denselben Strukturen gegründet haben. Aber wirklich zusammenarbeiten
tun wir in der Form nicht. Natürlich haben wir ähnliche Ziele, sage ich
mal, und sind wir irgendwie darüber verbunden.
01:17:18.000
Raúl Krauthausen: Gibt es noch irgendwie eine Nebelkerze, die die
Politikerinnen gerne werfen, die dir einfällt, die du gerne mal entkräften
würdest oder entzaubern würdest?
01:17:28.000
Helena Steinhaus: Gute Frage. Wahrscheinlich Millionen.
01:17:32.000
Raúl Krauthausen: Das war jetzt auch eine fiese Frage, die ich vorher vorab
schicken müssen, dass wir die mal aufzählen. Aber die Faulen Arbeitslosen
ist halt eine, gegen die du ständig arbeiten musst. Das ist ja das
Interessante. Du sitzt dann bei Lanz und Maishberger und Co. und musst
jedes Mal die gleichen Dinge wegschaffen. Kübra Gümüşay
ist ja die intellektuelle Putzkraft sein. Irgendjemand kann was behaupten
und du musst aufräumen. Und damit wurde ja deine Sendezeit geklaut.
01:18:04.000
Helena Steinhaus: Da reize ich noch gerne ein. Frau Steinhaus, finden Sie
denn nicht, dass jemand, der Sozialleistungen bezieht, auch was
zurückgeben muss?
01:18:12.000
Raúl Krauthausen: Oder was machen wir denn mit denen die?
01:18:14.000
Helena Steinhaus: Ja, genau. Oder kennen Sie Leute, die jetzt, weil das
Bürgergeld zu hoch ist, jetzt, sage ich mal, die dann in der Corona-Zeit
gemerkt haben, Ach, Service machen ist ja gar nicht so toll, die dann
deswegen jetzt nicht weiter im Restaurant arbeiten. Kennen Sie solche
Leute? Und dann ist es schon krass, wenn man sagt, ich kenne die nicht,aber ehrlich gesagt, hätte ich Verständnis für die. Und würde ich mich
freuen, wenn die dann, wenn die durchs Bürgergeld genug Geld hätten, um
eine Verhandlungsgrundlage zu haben und diesen Job dann nicht mehr zu
machen. Und dann ist man schon wild.
01:18:47.000
Raúl Krauthausen: Was wäre denn, wenn du sagen würdest, nein, kenne ich
nicht, gibt es nicht? Du könntest ja genauso Fake News verbreiten, wenn
es eine wäre.
01:18:54.000
Helena Steinhaus: Ich glaube, dann würde man sagen, das kann doch jetzt
nicht sein, sie wissen doch ganz genau
01:18:59.000
Raúl Krauthausen: Ja, aber dann muss die andere Seite den Beweis
erbringen.
01:19:02.000
Helena Steinhaus: Ja, kann schon sein. Ja, das ist das Ding. Also ich frage
es mich eh. Also ich bin schon wirklich ein sehr ehrlicher Mensch und ich
glaube, auch die ganzen, also die ganzen Organisationen, die halt so
aktivistische Arbeit machen, sind schon Leute, die haben Überzeugungen,
sind sehr ehrlich im Umgang. Und dann sitzt man so vor Leuten, die
einfach lügen.
01:19:25.000
Raúl Krauthausen: Muss man einfach so sagen, Jens Spahn lügt.
01:19:28.000
Helena Steinhaus: Ja, der lügt. Die lügen alle wie gedruckt und die wissen
das. Und das ist schon wirklich auch manchmal so meine Frage. Man muss
sich das doch eigentlich von denen abgucken. Einfach mal lügen. Vielleicht
hat man dann auch so viel Erfolg, keine Ahnung.
01:19:42.000
Raúl Krauthausen: Oh bitte, aber dann muss man dann natürlich der
werden, der oder die man nie werden wollte.
01:19:47.000
Helena Steinhaus: Ja, eigentlich genau eben. Das funktioniert eh nicht.
Aber du weißt, was ich meine. Es ist schon wirklich faszinierend, dass die
sich nicht schämen. So dass sie überhaupt noch, also ja, klar, die machen
das halt. Aber ich könnte das einfach nicht. Also so irgendwas behauptenund dann da vorne stehen und ja Kraft meiner Geburt quasi das Recht
einfordern, dass ich behaupten kann, was ich will.
01:20:10.000
Raúl Krauthausen: Ja, also ich habe gerade beschlossen, ich werde
„Hartzbreaker“ bei euch. Das musst du jetzt auch einen Namen für den.
01:20:17.000
Helena Steinhaus: Stimmt, „Hartzbreaker“. Also einen anderen Namen.
01:20:19.000
Raúl Krauthausen: Also einen anderen Namen „Hartzbreaker“ kann man ja
bestimmt nicht mehr sagen.
01:20:21.000
Helena Steinhaus: Doch, doch, wir haben das so gelassen. Weil wir finden
Bürgergeld ist auch nur Harz.
01:20:26.000
Raúl Krauthausen: Ja, das ist doch meine Aussage. Genau, also ich werde
jetzt „Hartzbreaker“. Gibt es eine Organisation, die jenseits eurer Arbeit
du empfehlen kannst, die sich unsere Zuhörerinnen und Zuhörer mal
anschauen könnten?
01:20:41.000
Helena Steinhaus: Unbedingt und das ist der Freiheitsfonds. Hast du
davon schon mal gehört?
01:20:47.000
Raúl Krauthausen: Noch nicht.
01:20:48.000
Helena Steinhaus: Die kaufen Gefangene aus dem Gefängnis frei, die
wegen Fahren ohne Ticket sitzen.
01:20:54.000
Raúl Krauthausen: Ach ja, doch, davon habe ich gehört.
01:20:56.000
Helena Steinhaus: Ja, das ist wirklich total verrückt. Da sitzen, sage ich
mal, um die 10.000 Menschen im Jahr, kommen in den Knast, weil sie kein
Geld hatten, sich ein Ticket zu kaufen. Und die haben dann, weiß ich nicht,
einen Schaden verursacht, in Höhe von drei Mal ohne Ticket fahren, 9
Euro. Dann müssen sie dafür ein erhöhtes Beförderungsentgelt bezahlen
und werden noch dazu angezeigt und strafrechtlich verfolgt. Das ist einStraftatbestand. Und dann müssen sie, weil sie das Geld natürlich nicht
bezahlen können, da geht es dann um, weiß ich nicht, zwischen 500 und
1.500 Euro oder so, teilweise bis zu anderthalb Jahre ins Gefängnis
fahren, ohne Ticket, weil man kein Geld hat. Also es ist ein sehr, sehr
klassistisches Gesetz, was Arme quasi aussortiert. Und diese Organisation
hat schon, ich weiß gar nicht wie viele, aber bestimmt 800 Gefangene
freigekauft. Morgen ist wieder Freedom Day, den gibt es alle drei Monate.
Da werden dann besonders viele Menschen freigekauft. Da reihen sich ja
Probleme an so einer Inhaftierung, also die Entlassung und wie die dann
wieder eingegliedert werden und so weiter. Und das betrifft dann teilweise
auch Mütter mit kleinen Kindern.
01:22:07.000
Raúl Krauthausen: Auch Jobverlust vielleicht, ne?
01:00:08.000
Helena Steinhaus: Ja. Und die sind wirklich super und auch schlank und
wahnsinnig effizient. Ja, das Geld und die Aufmerksamkeit ist da auf jeden
Fall sehr gut angelegt. Da gibt es tatsächlich gerade auch die Chance,
dass eine Entkriminalisierung tatsächlich stattfindet. Zumindest ist da
Bewegung drin. Aber dafür muss auch dahin Aufmerksamkeit gehen.
01:22:35.000
Raúl Krauthausen: Ja, das packen wir auf jeden Fall in die Shownotes. Mir
ist gerade noch eine Nebelkerze eingefallen. Wenn Jens Spahn oder
Lindner sagt, wir müssten verantwortungsvoll mit dem Steuergeld an der
Bürgerin und Bürger umgehen, deswegen können wir das Geld den
Menschen nur dann geben, wenn sie es auch wirklich benötigen.
Gleichzeitig sollen aber Millionäre Kindergeldzahlen.
01:23:00.000
Helena Steinhaus: Dieses verantwortungsvoll und so, das gilt ja immer nur
für Arme. Reiche dürfen ja machen, was sie wollen. Noch dazu bekommen
Millionärinnen den Steuerfreibetrag und damit mehr Geld als Menschen,
die Kindergeld bekommen. Also es ist sogar noch schlimmer, als du denkst.
01:23:18.000
Raúl Krauthausen: Das ist so krass. Das ist kein verantwortungsvoller
Umgang mit Steuergeldern.
01:23:22.000
Helena Steinhaus: Nein, es ist doch sowieso nicht. Also was soll man da
sagen? Volker Wissing oder so, was hat der denn gemacht mit unseren
Steuergeldern?01:23:32.000
Raúl Krauthausen: Oh man, liebe Helena, wir sind jetzt mit dem Fahrstuhl
angekommen. Wir hatten noch so viel zu besprechen gehabt. Das müssen
wir an anderer Stelle mal fortsetzen.
01:23:42.000
Helena Steinhaus: Ja, sehr gerne.
01:23:44.000
Raúl Krauthausen: Wenn die Aufzugtür hier aufgeht, wo geht es für dich jetzt
weiter?
01:23:47.000
Helena Steinhaus: Ich hole jetzt meine Kinder von der Kita ab. Ich habe ja
kleine Zwillinge.
01:23:52.000
Raúl Krauthausen: Und dann Feierabend.
01:23:54.000
Helena Steinhaus: Dann Feierabend. Heute gibt es, glaube ich, mal Eis,
weil die Sonne so rauskommt. Das ist wirklich was Besonderes.
01:24:02.000
Raúl Krauthausen: Ja, geil. Auch mal das Leben genießen, so weit man
kann. Sonne genießen, die gibts zum Glück noch umsonst.
01:24:09.000
Helena Steinhaus: Ja, das stimmt. Vielen, vielen Dank.
01:24:14.000
Raúl Krauthausen: Schön, dass du da warst. Das hat mir wirklich viele neue
Erkenntnisse beschert.
01:0024:17.000
Helena Steinhaus: Danke dir. Es war wirklich ein spannendes Gespräch.
Es ist auch für mich immer neu, obwohl es mehr oder weniger um dasselbe
Thema geht. Es ist immer spannend, die Seite des Fragestellenden.
01:24:29.000
Raúl Krauthausen: Ja, und es gibt so viele Parallelen zum Thema
Behinderung. Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Aber das
machen wir an anderer Stelle vielleicht mal.01:24:37.000
Helena Steinhaus: Ja, wirklich gerne. Sehr gerne.
01:24:40.000
Raúl Krauthausen: Schön, dass du da warst. Danke für deine Zeit.
01:24:42.000
Helena Steinhaus: Ich danke dir. Bis bald.
01:24:43.000
Raúl Krauthausen: Bis bald.
01:24:48.000
Raúl Krauthausen: Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese
Folge Spaß gemacht hat, bewerte diese Folge bei Apple Podcasts, Spotify
oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, so wie die Menschen,
die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Show Notes.
Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet,
würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-
Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die
Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. „Im Aufzug“ ist
eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal
hier im Aufzug.
Diese Folge von „Im Aufzug“ wurde dir präsentiert von Schindler.
Normale Aufzüge in beispielsweise Wohngebäuden sind mit
Geschwindigkeiten von 1 bis 1,5 Metern pro Sekunde unterwegs. Wenn
diese Aufzugfahrt knapp eine Stunde gedauert hat, dann bist du jetzt
mindestens fünfeinhalb Kilometer über dem Boden. Die schnellsten
Aufzüge der Welt fahren übrigens sogar mehr als 20 Meter pro Sekunde.
Ab diesen 70 km/h wird es dann aber langsam auch physisch unangenehm
für die Fahrgäste. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren, dann steig
bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, um
mit uns ganz nach oben zu fahren.
Dieser Podcast ist nur möglich durch die Unterstützung meiner Steady-Mitglieder.
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Hier findest du mehr über mich:
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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann
Coverart: Amadeus Fronk