Warum passiert in Sachen Inklusion in Deutschland so wenig?
Jürgen Dusel ist der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Eine Position, die vieles bewirken kann. Oder? Darüber will ich mit ihm sprechen: über seine Arbeit, das politische System und auch seine Grenzen. Ich will ihm auf den Zahn fühlen, wann sich denn endlich mal was ändert und was wir bisher erreicht haben. Mich interessiert seine Perspektive auf unser Schulsystem, wie seine Kindheit mit einer starken Sehbehinderung war und ob er manchmal frustriert ist. Denn ganz ehrlich: Ich bin es oft. Wir sprechen über die Morde in Potsdam, Politikverdrossenheit und sogenannte Förderschulen. Aufzugtür auf für Jürgen Dusel.
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Es wartet wieder eine spannende Fahrt mit Raul in seinem Aufzug auf dich. Und die Frage, hattest du schon mal einen awkward moment in einem Aufzug? Wir bei Schindler beschäftigen uns schon seit 150 Jahren mit Aufzügen und kennen uns daher mit merkwürdigen Situationen bestens aus. Vielleicht hast du dich auch schon mal gefragt, warum Starren in Aufzügen eigentlich alle immer in die gleiche Richtung? Die Antwort gibt’s am Ende dieser Folge. Jetzt viel Spaß im Aufzug, wünscht Schindler.
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Auf diese Fahrt war ich schon lange gespannt. Jürgen Dusel ist der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. So sein offizieller Titel. Eine Position, die vieles bewirken kann. Oder? Darüber will ich mit ihm sprechen. Über seine Arbeit, das politische System und auch seine Grenzen. Ich will ihm auf den Zahn fühlen. Wann sich denn endlich mal was ändert und was wir vielleicht auch schon erreicht haben. Mich interessiert seine Perspektive auf unser Schulsystem. Wie seine eigene Kindheit mit einer starken Sehbehinderung war und ob er manchmal frustriert ist. Denn ganz ehrlich, ich bin es oft. Wir sprechen über die Morde in Potsdam, Politikverdrossenheit und sogenannte Förderschulen. Aufzugtür auf für Jürgen Dusel. Die Tür geht auf und wer kommt rein? Ach ich freue mich sehr. Jürgen Dusel, seines Zeichen Bundesbehindertenbeauftragter oder der Bundesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen. Wie ist es richtig?
00:02:34.000
Jürgen Dusel: Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung sage ich. Es ist keine leichte Sprache. Meistens sagen die Leute nur Behindertenbeauftragte.
00:02:41.000
Raúl Krauthausen: Ihr habt doch auf Twitter so eine geile Abkürzung B.
00:02:44.000
Jürgen Dusel: Ja wir hatten das mal. Wir sind jetzt nicht mehr so aktiv. Aber wir hatten das mal B.
00:02:50.000
Raúl Krauthausen: Oder man kommt durcheinander.
00:02:52.000
Jürgen Dusel: Man kann durcheinander kommen. Das ist einfach der Gesetzestext und ich werde meistens als der Behindertenbeauftragte genannt.
00:02:58.000
Raúl Krauthausen: Manchmal nenne ich dich spaßeshalber den König der Behinderten.
00:03:02.000
Jürgen Dusel: Das bin ich ja eigentlich nicht. Weil ich bin ja eher dafür da, dass der Bund seine Verpflichtungen erfüllt. Und mir hat auch mal Wolfgang Schäuble gesagt, ich sei der oberste Repräsentant der Menschen mit Behinderung. Das bin ich eigentlich nicht. Sondern ich bin was anderes.
00:03:16.000
Raúl Krauthausen: Dazu kommen wir später zu deiner beruflichen Laufbahn. Was mich interessieren würde, hattest du schon mal einen awkward moment in einem Aufzug?
00:03:24.000
Jürgen Dusel: Na klar, also wenn du nix siehst oder schlecht siehst, dann passiert es ja ganz oft, dass wenn du in den Aufzug reinkommst und du kommst zum Beispiel in einen Aufzug rein, wo es einen Touchscreen gibt. Das sieht super schick aus. Es war sogar in, glaube ich, einer Augenarztpraxis. Aber ich kann da ja überhaupt nichts fühlen. Und dann bist du ziemlich lost in der Situation. Du kannst aber auch, das passiert mir auch oft, kommst in den Aufzug, im Hotel rein, musst irgendwo deine Karte irgendwie hinhalten, damit du das Ding bedienen kannst, dann geht die Tür zu, dann passiert nichts. Dann kommt wieder jemand rein, es passiert nichts. Das kann, wenn du guten Humor hast, ist es ganz lustig. Wenn du genervt bist, ist es stressig und wenn du nicht so gut drauf bist, kannst du fast demütigend sein. Also ich erlebe da ganz unterschiedliche Dinge.
00:04:04.000
Raúl Krauthausen: Und auch schon was sehr, wie soll ich sagen, witziges, tragisches. Weil das sind ja so klassische Situationen, die man als behinderte Mensch einfach hat.
00:04:12.000
Jürgen Dusel: Ja, witzig eigentlich, eher nicht tragisch auch nicht, aber einfach nervig. Und das kann einem aber auch wirklich dann die Laune verderben.
00:04:21.000
Raúl Krauthausen: Das kann ich total nachvollziehen. Ich finde es manchmal, dass ich dann dreimal überlege, ob ich jetzt nochmal Aufzug fahre oder ob ich einfach so lange warte, bis es nicht mehr anders geht. Versteht du was ich meine? Ja klar. Andere würden halt sagen, ich gehe nochmal kurz runter oder mach nochmal kurz was, aber wenn du im Hotel bist, dann überlegt man sich das wirklich zweimal.
00:04:41.000
Jürgen Dusel: Hab ich mir jetzt auch gerade überlegt, aber nachdem ich mitbekommen habe, dass du im Aufzug bist, habe ich gedacht, gehe ich rein.
00:04:46.000
Raúl Krauthausen: Ja, dieser Aufzug hier ist voll barrierefrei. 00:04:48.000
Jürgen Dusel: Total, wunderbar.
00:04:50.000
Raúl Krauthausen: Er hat sogar Untertitel bzw. Transkription. 00:04:52.000
Jürgen Dusel: Ich bin beeindruckt, ja super. Deswegen bin ich hier.
00:04:58.000
Raúl Krauthausen: Was viele Leute ja gar nicht wissen, du bist in Bayern aufgewachsen, in den 60ern.
00:05:04.000
Jürgen Dusel: Nicht ganz. Ich bin in, also erstmal würde ich das sofort ablehnen und würde sagen, ich bin in Franken geboren, also in Würzburg geboren, aber ich bin mit wenigen Monaten dann in die Region Mannheim Heidelberg quasi mit meinen Eltern umgezogen und bin dann tatsächlich in der Kurpfalz groß geworden und fühle mich da auch sehr zu Hause. Ich mag die Franken immer noch sehr, habe auch noch einen Teil meiner Familie in der Nähe von Würzburg, aber meine eigentliche Heimat ist tatsächlich die Region Heidelberg.
00:05:30.000
Raúl Krauthausen: Und womit verbindest du Heimat? Also was macht für dich Heimat aus?
00:05:34.000
Jürgen Dusel: Landschaft, der Klang der Sprache und Freunde und mit dem Klang der Sprache, also der Dialekt und auch die Art und Weise, wie Leute da in der Region drauf sind, ein bisschen extrovertierter. Ich meine, die Pfalz ist nicht weit, da gibt es viel Wein, was ich auch gut finde. Die Leute sind eigentlich ein bisschen sonnenverwöhnt auch im Südwesten und sind eigentlich eher positiv gestimmt. Ich erlebe manchmal in Berlin mit allem Respekt, das hat das nicht Richard von Weizsäcker einmal gesagt, der Berliner muss meckern, nett sein kann jeder. Also so ist es nicht, aber ich mag schon sehr den Südwesten und bin da groß geworden, ein paar Mal umgezogen, das hat auch mit Schule zu tun, das können wir vielleicht nachher noch besprechen und fühle mich da zu Hause.
00:06:21.000
Raúl Krauthausen: Fangen wir doch gleich an, wie war denn deine Kinder, deine Jugend?
00:06:24.000
Jürgen Dusel: Naja, ich war als Kind in einer Förderschule für sehbehinderte Kinder in der Grundschule, ich bin also mit einer starken Sehbehinderung auf die Welt gekommen und bin jetzt mittlerweile schwerbehindert rechtlich blind, wie man so schön sagt, also ich habe einen Sehrest so zwischen 1 und 2 Prozent, damals war es noch ein bisschen mehr und wollte dann nach dieser Förderschulerfahrung auf eine Regelschule wechseln. Ich mag den Begriff nicht so gerne Regelschule, weil was wird da geregelt, was ist die Regel, was ist die Ausnahme, auf jeden Fall war in der Schule, dann waren dann vor allem Kinder ohne Behinderung, war ja bei dir so ähnlich und mich wollte aber dann kein Gymnasium in Mannheim-Heidelberg aufnehmen, also meine Eltern, die dann suchten, haben immer gehört, was ein sehbehindertes Kind, das kann man den Lehrern nicht zumuten, dafür gibt es doch die Blister, die Blindenstudienanstalt in Marburg und das war für mich aber keine Option, weil ich hätte, wenn ich in die Blister gegangen wäre, hätte ich meine Familie verlassen müssen, ich wäre im Internat gewesen und das wollte ich auf keinen Fall, es ging gar nicht so sehr um die Blister an sich, also dass ich nicht in eine Förderschule wollte, sondern ich wollte schlichtweg das machen, was die meisten Kinder machen, nämlich in die Schule gehen und zu Hause wohnen, bei den Eltern wohnen und deswegen sind meine Eltern dann mit mir nach Südhessen gezogen, kurz hinter die Grenze zu Baden-
Württemberg, weil da gab es eine Gesamtschule, die wirklich den sehbehinderten Jürgen aufgenommen haben.
00:07:40.000
Raúl Krauthausen: Das ist ja total krass, ne? Ich meine, was für einen Einsatz Eltern dann bringen, was Eltern von nichtbehinderten Kindern erst mal nicht bringen.
00:07:49.000
Jürgen Dusel: Genau und die Denke sozusagen, also meine Eltern haben immer gesagt bekommen, was tun sie dem Kind an? Also gehen sie doch in die, weiß nicht, in die Blindenstudienanstalt, da gibt es kleine Klassen, da gibt es, weiß nicht was, sehr gut ausgebildete Förderschullehrerinnen und Förderschullehrer, da gibt es auch die Schulmaterialien in Großschrift und da wird das Kind auch sicherlich nicht gehänselt, hat man damals gesagt, also gemobbt und für mich war es aber wirklich keine Option, weil ich wollte als zehnjähriger Junge eben nicht meine Familie verlassen.
00:08:18.000
Raúl Krauthausen: Natürlich nicht.
00:08:20.000
Jürgen Dusel: Das will ja keiner, oder? Und das vergisst man auch ganz oft, finde ich, wenn es um Schule geht. Also was mutet man den Kindern zu in so einer Situation? Und nebenbei war das für mich natürlich toll, weil ich dann in der Gesamtschule eben auf Klassenkameradinnen und Klassenkameraden traf, die überhaupt kein Problem mit mehr hatten. Also ich wurde mir in der ganzen Schulzeit irgendwie nicht blöd angemacht, zumindest nicht von den Schülerinnen und Schülern und ich konnte halt mit denen auch das machen, was man auch macht. Also man lernt natürlich ein bisschen was in der Schule, aber eigentlich geht es ja so um, modern gesagt, soziale Interaktion, also um die Häuser ziehen, ins Schwimmbad gehen, ich war bei den Pfadfindern,
00:09:00.000
Raúl Krauthausen: Kiffen
00:09:01.000
Jürgen Dusel: Das war damals nicht erlaubt und zwar auch nicht mein Ding, aber Rotwein trinken und ich war dann irgendwie halt auch bei den Pfadfindern, was ja ziemlich gagger ist, wenn du schlecht ziehst und Pferde finden willst, aber das war einfach so und das war für mich gut.
00:09:15.000
Raúl Krauthausen: Aber nochmal zurück zu deinen Eltern, das bedeutet ja, dass das ja ein gewisses Privileg voraus ist, dass man einfach sagen kann, wir ziehen um.
00:09:24.000
Jürgen Dusel: Ja klar. Das war von unserer Familienplanung damals schon so ein bisschen, aber es war tatsächlich der Aspekt, also er hat eine große Rolle gespielt und meine Eltern leben da jetzt immer noch, aber für mich war es der richtige Weg und ich bin denen auch sehr dankbar und zwar nicht, weil ich was gegen die Blindenstudienanstalt habe, sondern weil es für mich der richtige Weg war und für meine Klassenkameradinnen und Klassenkameraden war es auch ganz gut, weil die hatten mal eine Chance einen kennenzulernen, mit dem man zwar nicht so gut Fußball spielen konnte, aber der halt andere Kompetenzen hatte und ich treff die ja ab und zu mal und war jetzt gerade irgendwie, ich weiß nicht wie viele Jahre, ich habe 85 Abi gemacht, also schon ewig lange her und wir haben uns irgendwo getroffen in einer Kneipe und ich kam da rein und es war total selbstverständlich, dass einer rief, hey Jürgen wir sitzen hier und der nächste sagte soll ich dir die Speisekarte vorlesen, also das war für die noch völlig normal und eingeübt. Ich habe mich da sehr, sehr wohl gefühlt.
00:10:18.000
Raúl Krauthausen: Und das heißt, du bist der Promi unter den Klassenabgängerinnen?
00:10:21.000
Jürgen Dusel: Ich fühle mich nicht so. Also ja klar, ich meine, klar wenn du in so einer Position bist, dann fragen dich natürlich alle, wie ist es denn mit Hubertus Heil oder wie ist es denn mit dem und dem.
00:10:31.000
Raúl Krauthausen: Wie ist denn der Olaf so? 00:10:32.000
Jürgen Dusel: Ach toll.
00:10:33.000
Raúl Krauthausen: Ja ja, aber das fragen die dann wahrscheinlich.
00:10:36.000
Jürgen Dusel: Die fragen alles Mögliche und ich kriege es dann natürlich auch hautnah mit, aber ich bin dann irgendwie dann wieder im Klassenverbund und das tut mir gut. Also ich bin dann gar nichts
Besonderes, sondern ich gehöre einfach dazu und man quatscht dann einfach über auch ganz andere Dinge und das ist schön.
00:10:50.000
Raúl Krauthausen: Aber wenn du das jetzt so erzählst, was haben wir denn in der Inklusion, was Bildung angeht, in Hessen erreicht?
00:10:58.000
Jürgen Dusel: Na ja, also nicht so viel. Also ich stelle fest, das ist ja, das ist 15 Jahre nach der UN-Behindertenrechtskonvention, ist das eigentlich ein bitterer Befund, dass wir am Anfang, finde ich schon, so ein bisschen auch enthusiastisch unterwegs waren und mittlerweile tatsächlich, und das beziehe ich jetzt nicht auf Hessen, sondern auch auf andere Bundesländer, ein Rollback erleben. Also dass das sozusagen aufgrund dieser Unterfinanzierung vom Schulsystem, dass nicht genug Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, Themen wie Inklusion fast gegen die Wand gefahren werden und die Leute Recht bekommen, in Anführungsstrichen, die schon immer gesagt haben, das klappt ja sowieso nicht. Wir leisten uns zwei Strukturen parallel und ich finde, es macht mich wirklich wütend, wenn ich halt sehe, dass wir im Regelschulsystem ja generell in Deutschland nicht gut aufgestellt sind. Wir kriegen es ja immer wieder gesagt, auch international, PISA-Studie und so weiter. Und jetzt soll angeblich die Inklusion schuld sein, dass es nicht gut läuft, sondern ich sage halt, der Job der Kultusministerinnen und Kultusminister ist, die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit es gelingen kann. Es ist nämlich nicht nur irgendwie was reformpädagogisches, sondern es ist ein Menschenrecht. Also in dem Moment, in dem Inklusion nicht gewährt wird, verstößt man nicht nur gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, sondern man verweigert ein Menschenrecht und dass das Ganze jetzt wieder diskussionsmäßig in Richtung geht, die ich ja für fast undenkbar hielt noch in den letzten Jahren, das macht mich schon sehr unruhig.
00:12:31.000
Raúl Krauthausen: Aber wenn du sagst „Rollback“, dann meinst du ja nicht nur ein Rollback von vor 15 Jahren, sondern von vor deiner Schulzeit.
00:12:38.000
Jürgen Dusel: Naja, man erinnert sich ja vielleicht noch an ein Sommerinterview eines thüringischen Landtagsabgeordneten, der gesagt hat, man müsse jetzt das Bildungssystem von dem Ideologiekonzept der Inklusion befreien, das sei nicht gut für unsere Kinder. Ich frag mich dann immer, wen meint der mit unseren Kindern, also auch Kinder mit Behinderung. Und meine Antwort darauf ist, wer Inklusion infrage stellt
oder wer Inklusion abschaffen will, der greift zentrale Werte unserer Demokratie an. Das geht nämlich darum, dass Inklusion und Demokratie zwei Seiten derselben Medaille sind. Und die Leute, die mit Demokratie ein Problem haben, haben meistens dann auch mit Inklusion ein Problem.
00:13:11.000
Raúl Krauthausen: Aber jetzt sind wir ja beide, also man hört richtig den Politiker in dir.
00:13:15.000
Jürgen Dusel: Danke.
00:13:16.000
Raúl Krauthausen: Und dann ist dann irgendwie das alles auch schon so aufbereitest, dass man total gut nachvollziehen kann. Aber jetzt stecken ja beide in diesem Metier einigermaßen drin und kennen die ganzen Argumente und so. Und ich würde jetzt gerne mal von dir als Profi erfahren, wie gehst du eigentlich mit diesen Leuten um, die jetzt unbedingt nochmal differenzieren wollen? Also die dann sowas sagen wie, ja bei dir Jürgen, da ist es ja kein Problem. Natürlich kannst du das Abitur an der Regelschule machen oder bei dir Raul, du sitzt ja nur im Rollstuhl. Natürlich kannst du an der Regelschule das Abitur machen. Aber was machen wir denn mit XY?
00:13:52.000
Jürgen Dusel: Den sage ich, dass Sie vielleicht mal Ihre Bilder in den Köpfen überprüfen sollten und nicht so defizitär drauf sein sollten. Also nach dem Motto, man sucht sich dann irgendwie immer das Allerschwierigste aus, von dem man meint, dass es das Allerschwierigste ist.
00:14:06.000
Raúl Krauthausen: Ich dachte immer, dass war ein Wachkoma Kind.
00:14:07.000
Jürgen Dusel: Und dann sagt man, wenn das da nicht klappt, dann klappt es überall nicht. Und ich finde, man muss dann schon irgendwie die Fähigkeit haben, die Heterogenität der Gruppe im Blick zu haben. Und man weiß ja jetzt auch sozusagen aus Erfahrungen, also wenn du dir anschaust, welche Optionen blinde Menschen noch vor 50, 60 Jahren hatten in der Bildung und dann auch im Beruf und man schaut sich das jetzt an, hat sich ja deutlich was entwickelt. Also auch damals haben bestimmt die Leute gesagt, naja für so einen blinden Menschen ist es vielleicht am besten, Kopfschlächter zu werden oder Masseur zu werden.
Meine Oma zum Beispiel war der Meinung, ich könnte doch Masseur werden. Also jetzt nichts gegen meine Oma und nichts gegen Masseure, aber manche wollten nicht Dachdecker werden und ich wollte nicht Masseur werden. Und ich glaube, da muss sich tatsächlich was in der Denke der Leute ändern. Aber das ist das eine und das andere ist, dass es die rechtlichen Rahmenbedingungen braucht. Das ist nicht Politik, sondern das ist meine tiefe Überzeugung, also auf Freiwilligkeit zu setzen oder auf bessere Einsicht, dann können wir es auch lassen.
00:15:00.000
Raúl Krauthausen: Und selbst auch ein Wachkoma Kind kann in einer Klasse dabei sein?
00:15:06.000
Jürgen Dusel: Natürlich.
00:15:07.000
Raúl Krauthausen: Ohne dass den Unterricht aufhalten würde? 00:15:09.000
Jürgen Dusel: Selbstverständlich.
00:15:10.000
Raúl Krauthausen: Und die anderen würden davon ja ganz viel mitnehmen und lernen. Und ich glaube aber, dass wir uns selber auch in die eigene Tasche lügen in der Inklusionsbewegung, wenn wir immer nur die positiven Seiten hervorheben. Also wenn wir immer nur sagen, ja und davon profitieren alle und es macht irgendwie die Klassengemeinschaft so schön und man kann Freunde treffen und so. Aber es gibt ja auch Konflikte, es gibt ja auch Herausforderungen.
00:15:33.000
Jürgen Dusel: Und dafür haben dann die Leute hoffentlich Pädagogik studiert, um mit diesen Konflikten umgehen zu können. Und wenn es doch gut läuft, dann muss du doch eigentlich, also wenn es rein um Unterricht und Wesensvermittlung geht, das ist doch nicht die große Challenge.
00:15:45.000
Raúl Krauthausen: Richtig.
00:15:46.000
Jürgen Dusel: Sondern ich meine, du studierst ja Pädagogik, um vielleicht dann auch ein Konzept zu entwickeln, wenn es mal schwierig wird.
00:15:50.000
Raúl Krauthausen: Bzw. es wurde auch schon mal alles entwickelt, man muss es nur finden.
00:15:53.000
Jürgen Dusel: Genau und ich kann halt einfach nur sagen, es ist entscheidend für unser Land, dass wir keine exklusiven Strukturen haben. Und ich merke halt zurzeit, dass es politische Kräfte gibt, die da wirklich wieder mit Volldampf zurückfahren und das ist nicht gut.
00:16:11.000
Raúl Krauthausen: Es ist so und ich glaube, das ist ein Teil des Problems, dass wir so lange Leute Dinge sagen lassen, also Lehrer*innen, die dann sagen, ja dafür bin ich nicht ausgebildet oder Eltern, die halt so lange Sorgen äußern, dass ihre nicht behinderten Kinder langsamer lernen könnten, soweit Kinder mit Behinderung in der Klasse sind, dass dann das überschlägt auf die Lehrer*innen, auf die Rektor*innen und das geht dann hoch bis zur Schulleitung, bis hin zur Schulbehörde, bis hin zur Politik, dass dann Dinge plötzlich sagbar wurden, obwohl diese Menschen noch nie das man beitraten, das zu entscheiden.
00:16:49.000
Jürgen Dusel: Genau, man redet mit allen nur nicht mit den Kindern und ich würde gerne mit den Kindern mehr reden, wir werden da wahrscheinlich jetzt auch das stärker machen. Ich könnte mich ja zurücklehnen und könnte sagen Bildung, super, ist doch Ländersache, hat auch der Bund mit nichts zu tun, aber so einfach ist es nicht und ich glaube, das ist ganz oft so, dass man immer mit den Expert*innen und Experten, mit den vermeintlich Expert*innen und Experten redet und nicht die zu Wort kommen lässt, die einfach sagen, es kann doch jetzt nicht sein, dass ich jeden Tag 40, 50, 60, 70 Kilometer mit dem Fahrdienst durchs Land gefahren werde, nur weil die neu gebaute Schule nicht barrierefrei ist
00:17:26.000
Raúl Krauthausen: Oder weil du ins Internat muss.
00:17:28.000
Jürgen Dusel: Ja oder keine Willkommenskultur da ist, das gehört ja auch noch dazu, also neben diesen ganzen harten Fakten wie jetzt räumliche Ausstattung, Frage der Barrierefreiheit, Frage natürlich der Expertise und so weiter, ist es auch eine Frage der Willkommenskultur und ehrlich gesagt, also ich hatte jetzt nicht den Eindruck, dass meine Lehrerinnen und Lehrer überfordert waren, obwohl sie jetzt nicht Förderpädagogik studiert
hatten, sondern es war die Bereitschaft sich darauf einzulassen und du sagst das ja auch ganz oft, auch Eltern haben vorher keine Ausbildung gemacht, wenn dann plötzlich ein Kind mit Behinderung in die Familie reinkommt. Ich glaube da müssen wir ein bisschen pragmatischer werden. Auf der anderen Seite ist es halt so, dass unser Schulsystem eben wirklich unterfinanziert ist aus meiner Sicht und dann sozusagen, wenn die Klasse dann noch heterogener wird, ist natürlich die Bereitschaft von Lehrerinnen und Lehrern auch nicht besonders groß, also es muss sich tatsächlich da auch was ändern, aber das ist ja nur ein Aspekt von der Inklusion.
00:18:19.000
Raúl Krauthausen: Ja und diese Unterfinanzierung, die wie gesagt, das nennt sich, die gilt ja für alle Kinder. Also das geht nicht nur um die Behinderten.
00:18:27.000
Jürgen Dusel: Na klar und Eltern mit behinderten Kindern haben jetzt zurzeit die Wahl, finde ich zumindest, zwischen einer relativ schlechten Regelschulsystematik und einer etwas weniger schlechten Förderschulsystematik und entscheiden sich dann
00:18:38.000
Raúl Krauthausen: Und das nennt man dann Wunsch und Wahlrecht 00:18:41.000
Jürgen Dusel: Genau und So ist es. Genau und deswegen.
00:18:42.000
Raúl Krauthausen: Aber jetzt bist Du ja Jurist. 00:18:43.000
Jürgen Dusel: Ja, danke.
00:18:44.000
Raúl Krauthausen: Jetzt bist Du ja Jurist und jetzt haben wir also herausgefunden, die Leute, die sich beschweren, haben eigentlich gar nicht das Mandat. Jetzt ist aber mal eine ketzerische Frage, inwieweit helfen denn Gesetze, wenn sich aber trotzdem keiner dran hält?
00:19:01.000
Jürgen Dusel: Also der erste Punkt, Du hast schon recht, ein Gesetz hilft natürlich nicht, wenn es nur irgendwie auf dem Papier steht und nicht mit Leben gelebt wird. Das erleben wir ja ganz oft, also Assistenz im Krankenhaus ist wieder so ein klassischer Fall oder auch andere Dinge, aber es schafft zumindest mal den Einstieg und mein Punkt ist ja immer zu
sagen, dass es Aufgabe des Staates ist und damit meinen ich halt Bund, Länder und Kommunen nicht nur so lockerflockig mal Gesetze zu schreiben und einen UN-BAK irgendwie zu ratifizieren, sondern es ist vor allem Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass die Rechte bei den Menschen ankommen. Also dass die Leute sich auch darauf verlassen können, dass ich nicht irgendwo nur im Schulgesetz was lesen kann oder in einer Behindertengleichstellung, sondern dass ich es leben kann. Und da haben wir tatsächlich zwischen Anspruch und Wirklichkeit öfters mal ein Gap und das ist nicht gut, weil das nämlich unserer Demokratie schadet. Weil die Leute, wenn sie das Gefühl haben, da steht nur was im Gesetz oder auf dem Papier, das kann ich aber nicht leben, dann fühlen die sich zum Teil dann auch vom Staat abgehängt und auch vom Sozialstaat abgehängt und im schlimmsten Verlauf sind dann irgendwelche politischen Kräften hinterher, die wieder die einfachen Antworten auf die schwierigen Fragen geben. Und deswegen ist es mir so wichtig, dass wir gerade auch jetzt, wenn es sozusagen um einen weiteren Aspekt, nämlich die Verpflichtung von privaten Anbietern, von Gütern und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit, dass wir das nicht nur ins Gesetz schreiben, sondern dass es auch wirklich gelebt werden kann, weil sonst, ja, wird das unglaubwürdig.
00:20:24.000
Raúl Krauthausen: Hast du mal den Begriff ruinöse Empathie gehört? 00:20:27.000
Jürgen Dusel: Jetzt zum ersten Mal?
00:20:29.000
Raúl Krauthausen: Also fällt mir gerade in dem Zusammenhang ein. Ich glaube, was zu der Politikverdrossenheit führt ist auch, dass Politiker*innen dann sagen, ja, ja, das ist alles schlimm und man müsste mal was tun, aber die Wähler*innen dann denken, ja, aber warum tut ihr da nichts?
00:20:44.000
Jürgen Dusel: Genau.
00:20:46.000
Raúl Krauthausen: Das ist quasi diese ruinöse Empathie.
00:20:48.000
Jürgen Dusel: Das ist aber genau das, was ich meine. Dass man gefordert ist und damit meine ich wirklich alle, selbst die Kommunen, also Schulträger sind die Kommunen, nicht nur so was zu versprechen, sondern
auch irgendwie zu halten. Und wenn dann beispielsweise eine neue Schule wiedergebaut wird, die für Leute im Rollstuhl nicht zugänglich ist, dann fragt man sich wirklich, was das soll.
00:21:10.000
Raúl Krauthausen: Und warum wird da nicht sanktioniert? Also warum wird der Architekt, die Architektin dafür nicht belangt oder die Person, die es freigegeben hat?
00:21:15.000
Jürgen Dusel: Ja, ich wünsche mir das, dass wir jetzt bei der Novellierung zum Behinderten-Gleichstellungsgesetz, dass wir tatsächlich Sanktionen wirklich auch verabreden und sagen, okay, wenn da was eben nicht barrierefrei ist, haben Leute einen Schadensatzersatzanspruch, weil sonst wirkt es nicht. Wenn es nicht wehtut, dann wirkt es auch in der Regel nicht.
00:21:30.000
Raúl Krauthausen: Und ist das vielleicht auch der Unterschied zwischen einem Beauftragten und einem Minister oder Ministerin? Also dass du quasi eher wie der Papst vielleicht, so ein Mahner bist, aber quasi nicht derjenige bist, der die Regeln machen kann.
00:21:45.000
Jürgen Dusel: Das ist der Punkt. Also nach dem Gesetz bin ich darauf oder ist mein Job darauf hinzuwirken, dass der Bund seine Verpflichtungen auch wahrnimmt. Der Bund ist mehr als die Bundesregierung. Aber ich kann jetzt nicht mit der Kavallerie in irgendein Ministerium einreiten und kann die zwingen, was zu tun. Ich kann einerseits nicht angewiesen werden, also nach dem Motto, wie ich meinen Job machen soll. Ich muss mich natürlich an Gesetz und Recht halten, aber man kann mich nicht anweisen. Das finde ich gut. Was ich nicht so toll finde, ist, dass ich natürlich nicht andere anweisen kann, auch wenn ich es gerne würde, sondern ich bin tatsächlich darauf angewiesen, mit guten Argumenten, mit Beharrlichkeit, auch mit Nerven und vielleicht auch mit guten Vorschlägen, Leute zu überzeugen.
00:22:24.000
Raúl Krauthausen: Aber kann man dich ablehnen? 00:22:25.000
Jürgen Dusel: Wie meinst du mich ablehnen?
00:22:27.000
Raúl Krauthausen: Na im Sinne von …
00:22:28.000
Jürgen Dusel: Ich habe kein Vetorecht, meinst du das?
00:22:30.000
Raúl Krauthausen: Oder … Nein, ablehnen meine ich so was wie … Man ist nicht gezwungen, dich einzuladen als Minister oder dich anzuhören.
00:22:36.000
Jürgen Dusel: Ach so, doch, das ist man schon. Und zwar nach offenbehinderten Gleichstellungsgesetz muss ich bei allen Gesetzen, bei allen Verordnungen, bei allen wichtigen Vorhaben, whatever this means, der Bundesregierung, die die Belange von Menschen mit Behinderung berühren könnten und das sind 95 Prozent der Gesetze, würde ich sagen, weil Gesetze sind für Menschen da und Menschen mit Behinderung sind Menschen. Da muss ich beteiligt werden. Also mein Team und ich müssen beteiligt werden. Und das ist nämlich sozusagen die gesetzliche Grundlage. Das klappt manchmal gut und manchmal klappt es nicht so gut, weil manche Ministerien das noch nicht so richtig auf dem Schirm haben, aber die haben es jetzt auf dem Schirm.
00:23:09.000
Raúl Krauthausen: Aber so ein Völker Wiersing, der jetzt irgendwie, keine Ahnung, tausend neue Ladesäulen baut
00:23:16.000
Jürgen Dusel: Der beteiligt uns. Ja und das ist echt bitter, weil wir das so natürlich vortragen und das ist genau der Punkt. Man kann das vortragen, kann sagen, liebe Leute, wenn wir jetzt neue Infrastruktur bauen und wir bauen das mit Barrieren, dann ist das schlichtweg unprofessionell. Aber das ist nicht, ich habe nicht die Möglichkeit, dann was anzuweisen. Ich kann dann nochmal im parlamentarischen Verfahren nochmal was machen und das gelingt, aber die Möglichkeiten des Beauftragten sind begrenzt und auch jetzt wäre das Behindertengleichstellungsgesetz, also die Novelle dazu, die Möglichkeit, die Position des Beauftragten oder der Beauftragten Person nochmal zu stärken.
00:23:50.000
Raúl Krauthausen: In mir kommen jetzt zwei Gefühle gleichzeitig hoch. Und zwar einmal dieses Gefühl, ah ja, da kommt jetzt also bald das Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes und dann kommt aber auch Wut in mir hoch, weil ich denke so, ja, das höre ich seit drei Legislaturen. Und seit drei Legislaturen wird mir gesagt, ja jetzt mit der neuen AGG Reform, mit der neuen BGG Reform, mit dem neuen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz,
mit dem neuen Teilhabegesetz, da werden Dinge besser. Und dann heißt es, ja, nee, doch nicht, bei, keine Ahnung, Klimakrise, Corona, whatever. Und dann heißt es wieder so eine Nebelkerze, die geworfen wird, ja, das Gesetz, also kein Gesetz betritt das Parlament, so wie es es verlässt. Und dann ist es aber jedes Mal eine Verschlechterung.
00:24:38.000
Jürgen Dusel: Naja, und der Punkt ist, wenn dann Gesetze durchgehen, dann haben andere eine Wut. Also wir haben jetzt die vierte Stufe der Ausgleichsabgabe eingeführt. Ich bin damit nicht glücklich, dass wir gleichzeitig dann einen bestimmten Ordnungswidrigkeitstatbestand, nicht wir, sondern der Gesetzgeber ausgenommen hat. Und das war für viele schon so ein bisschen wutauslösend. Also ich verstehe das. Ich bin auch teilweise manchmal wütend, weil ich mir denke, Mensch, das muss man doch jetzt mal verstehen, um was es eigentlich geht. Aber es ist halt so, dass es ganz unterschiedliche Interessen gibt. Und das merken wir jetzt auch beim Behindertengleichstellungsgesetz.
00:25:11.000
Raúl Krauthausen: Aber es gibt doch kein Interesse, behinderten Menschen zu schaden.
00:25:13.000
Jürgen Dusel: Natürlich nicht. Aber es ist die Frage, ob es Interessen gibt, durch die Wirtschaft angeblich zu belasten. Und dann hat man so Bilder in den Kopf, dass wenn wir jetzt die Privaten verpflichten, zur Barriere frei, dass dann hier der Untergang des Abendlandes droht.
00:25:26.000
Raúl Krauthausen: Also wie man Brandschutz eingeführt hat.
00:25:27.000
Jürgen Dusel: Irrational im wahrsten Sinne des Wortes. Genau, bei Brandschutz würde keiner diskutieren. Und da merkt man einfach eine Unterschiedlichkeit von der Behandlung. Das macht mich eben auch wütend teilweise. Und deswegen wird so wichtig sein jetzt bei der Novelle, dass sozusagen die Leute, die das wollen, sich auch laut zu Wort melden.
00:25:45.000
Raúl Krauthausen: Aber jetzt mal ganz ehrlich. Wir haben jetzt einen Christian Lindner, der sagt, ja, also wir haben kein Geld und wir müssen alles sparen, das wird alles immer schlimmer. Dann haben wir Sonderausgaben Militär. Und dann gibt es das ungeschriebene Gesetz, das
in der zweiten Hälfte der Legislatur man sowieso nichts Großes mehr anfasst. Glaubst du da ehrlich noch dran?
00:26:10.000
Jürgen Dusel: Also ans BGG glaube ich wirklich, dass da was kommt. Also nicht nur, weil Hubertus Heil nicht wirklich mag, das mehrfach gesagt und versprochen hat. Die Frage ist natürlich, was kommt dann letztlich bei raus? Genau, und da wird es eben darum geht, dafür zu kämpfen, dass es möglichst gut wird. Es wird sicherlich eine diverse Debatte geben. Also die einen werden sagen, das reicht uns auf keinen Fall. Und das werden so Leute sein wie ich, gehe ich mal von aus. Und dann wird es Leute geben, die werden sagen, das ist schon viel zu viel. Also wenn ihr das macht, also wenn ihr jetzt zum Beispiel dafür sorgt, dass die Privaten jetzt Barrierefreiheit herstellen müssen, dann bitte nur mit möglichst langen Übergangsfristen oder so. Und das wird dann ein richtiger heftiger Diskurs sein. Das ist leider Gottes auch in anderen Bereichen so, das macht es nicht besser. Aber es ist tatsächlich so, dass da ganz unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen. Und mein Team und ich, wir sind halt total auf Krawall gebürstet und wollen möglichst viel erreichen.
00:27:00.000
Raúl Krauthausen: Aber wie gehst du mit diesem Frust um? Also als Mensch, als Jürgen?
00:27:05.000
Jürgen Dusel: Indem ich mich abends manchmal ans Klavier setze und Musik mache.
00:27:08.000
Raúl Krauthausen: Ja das klingt mir zu romantisch. Aber haust du jetzt auch mal mit der Faust gegen die Wand oder so? Oder hast du Bock irgendwie den Briefbeschwerer durchs Büro zu werfen?
00:27:17.000
Jürgen Dusel: Also es ist schon so, dass ich manchmal ziemlich wütend bin, natürlich klar. Und manchmal auch enttäuscht bin. Und dann denke ich mir, okay, versuche jetzt mal professionell damit umzugehen. Und wenn ich jetzt irgendwie alles hinschmeißen würde, würde es ja auch wahrscheinlich nicht besser werden. Also insofern muss ich irgendwie auch damit umgehen. Also die Frustrationstoleranz um es mal so zu sagen, muss dann schon relativ hoch sein. Aber ich versuche dann manchmal mich mit ein paar Sachen auch wieder hochzuziehen, die gelaufen sind, die
gut gelaufen sind. Und die gibt es ja auch. Also Wahlrechtsausschlüsse zum Beispiel.
00:27:47.000
Raúl Krauthausen: Ja das war bei der letzten Legislatur.
00:27:48.000
Jürgen Dusel: Richtig. Diese Legislatur, die vierte Stufe der Ausgleichsabgabe.
00:27:51.000
Raúl Krauthausen: Die aber eigentlich verschlechtert ist.
00:27:53.000
Jürgen Dusel: Ja die zumindest dann erkauft wurde, da habe ich so das Gefühl mit dem Streichen des Ordnungswidrigkeitstatbestandes. Ich finde das auch nicht richtig, klar. Deswegen diese Legislatur ist noch nicht viel gelaufen und das obwohl im Koalitionsvertrag echt viel drin steht.
00:28:09.000
Raúl Krauthausen: Und das führt zu dieser Politikverdrossenheit. Weil jetzt haben wir ja schon eine Ampel gewählt. Also eine GroKo, da hatte man ja schon gar keine Erwartungen mehr.
00:28:17.000
Jürgen Dusel: Tja. Deswegen müssen die jetzt liefern.
00:28:21.000
Raúl Krauthausen: Die müssen jetzt mit Freiheit immer kommen.
00:28:23.000
Jürgen Dusel: Ja ich glaube am Ende der Legislatur, also klar, man muss natürlich fairerweise sagen, als es dann losging, der Vertrag geschrieben wurde, gab es noch keinen Krieg in der Ukraine, aber das hilft alles nicht.
00:28:32.000
Raúl Krauthausen: Ja aber irgendwas ist ja immer. Also das ist das Ding.
00:28:34.000
Jürgen Dusel: Ja und deswegen am Ende, am Ende wird man sich daran messen lassen müssen, was man verabredet hat. Und ich glaube einfach, dass jetzt auch die Regierungen oder die Fraktionen wirklich liefern müssen. Das ist ganz wichtig. Das wird beim BGG so sein, das wird aber auch beim Bereich der Werkstätten so sein. Da habe ich auch das Gefühl, dass man da eher zaghaft ist. Und es ist aber noch in anderen
Themenfeldern, die wichtig sind. Also ganz besonders geht es mir natürlich auch um das Thema Gesundheit und Zugang zum Gesundheitssystem. Also Stichwort Aktionsplan, Karl Lauterbach. Auch da muss geliefert werden und es wird ziemlich anstrengend werden jetzt die nächsten 14 Monate.
00:29:10.000
Raúl Krauthausen: Also ich meine, ich will ja nicht den Teufel an die Wand malen, aber stehst Du Dich darauf ein, dass in der kommenden Legislatur eher Arschlöcher in der Macht sind?
00:29:18.000
Jürgen Dusel: Kann ich Dir nicht sagen. Ich würde auch den Begriff so nicht verwenden.
00:29:22.000
Raúl Krauthausen: Natürlich nicht.
00:29:23.000
Jürgen Dusel: Natürlich nicht, aber ich glaube wir haben jetzt eine Chance noch was zu wuppen. Also mir geht es zum Beispiel darum, dass die fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie jetzt nicht mehr blockiert wird. Das ist wirklich peinlich, um es mal wirklich so zu sagen. Ich empfinde das als peinlich, wenn Deutschland mittlerweile das einzige europäische Land ist, also in der EU, die da Bedenken hat. Das ist ein Menschenrechtsthema und da setzen wir uns zurzeit ziemlich intensiv miteinander. Und was nächste Legislatur ist, muss man natürlich sehen. Ich halte mich an den Koalitionsvertrag. Da steht halt drin, dass wir wollen, dass Deutschland in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens mehr Barrierefreiheit erfährt. Und ich finde es schön, wenn man so was verabredet, aber besser, wenn man dafür sorgt, dass es dann auch gemacht wird. Und wer Fortschritt wagen will, so steht es ja im Koalitionsvertrag, der muss auch was wagen. Also da muss man dann auch tatsächlich Gestaltungswillen haben. Man muss auch Mut haben. Ja, man muss zumindest auch den Mut haben, dann vielleicht zu scheitern. Also es kann ja sein, dass man dann in irgendeiner Weise in einem Bundesrat mal bestimmte Dinge nicht durchkriegt. Wir sind halt im föderalen System und dann muss man halt sagen, okay, es lag jetzt am Bundesrat an den Ländern, aber wenn ich mit der Schere im Kopf, mit dem Empfinden, das kriege ich sowieso nicht durch, wenn ich da sozusagen damit schon starte, dann lande ich irgendwo viel zu kurz gesprungen. Und das ist genau der Punkt, der mich zurzeit umtreibt. Ich wünsche mir mehr Mut sozusagen in dem Bereich und ich verstehe, dass man versucht, alle mitzunehmen. Ich verstehe auch, dass man viele Gespräche führt, aber am Ende des Tages muss man eigentlich
mit einer klaren Vorstellung dann auch in den Ring gehen. Und da, finde ich, könnte dann auch die Bundesregierung mehr tun.
00:31:12.000
Raúl Krauthausen: Gleich geht es weiter. Wenn Du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst Du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst Du alle Folgen vorab hören und Du wirst, sofern Du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos findest Du unter www.im-aufzug.de. Ende der Service-Durchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge.
00:31:40.000
Raúl Krauthausen: Diese Legislatur wird ja der Krieg, den Russland begonnen hat, als Argument gerne benutzt, um jetzt nicht noch weitere Maßnahmen machen zu können. Wir haben kein Geld, keine Ressourcen und wir müssen alle jetzt uns mit wichtigeren Dingen in Anführungsstrichen beschäftigen. Letzte Legislatur war es die Corona- Pandemie. Das ist ja immer irgendwas, das war das, was ich vorhin meinte. Und bei der Corona-Pandemie frage ich mich so ein bisschen, was haben wir denn daraus mitgenommen, auch vielleicht im Sinne von Menschen mit Behinderung. Also Homeoffice oder jetzt, sagen wir mal, machbar und sagbar. Ich glaube auch das Thema der überhaupt Gesundheitsversorgung ist irgendwie auf die Agenda gekommen, was ja für viele Menschen mit Behinderung auch Alltag ist. Ich habe aber auch zum ersten Mal in der Corona-Pandemie von Long Covid gehört und auch von Erkrankungen wie MECFS. Aber da scheint sich nicht so viel zu tun.
00:32:38.000
Jürgen Dusel: Also wir versuchen jetzt gerade, das ist jetzt wirklich sehr juristisch, es gibt sozusagen eine sogenannte Versorgungsmedizin- Verordnung. So was kann sich auch nur ein Jurist ausdenken, so ein Wort. Und da sind sozusagen bestimmte in Anführungsstrichen Krankheitsbilder aufgezählt. Und unser Ziel ist es jetzt, gerade wenn es dann auch um die Feststellung von Schwerbehinderteneigenschaften geht, das Thema Long Covid da reinzukriegen, aber auch FASD. Und also auch da machen wir gerade was.
00:33:04.000
Raúl Krauthausen: Auch MECFS?
00:33:05.000
Jürgen Dusel: Das weiß ich jetzt aus dem Kopf nicht. Aber zumindest für die zwei Dinge kann ich sagen und für den Bereich der Postpolio-Situation
oder Long Polio. Postpolio heißt das für Leute, die eben an Kinderlähmung erkrankt waren oder sind. Und dass dann sozusagen im Alter dann wesentliche Behinderungen noch dazu kommen. Also da passiert schon ein bisschen was. Aber was mich halt in der Pandemie besonders umgetrieben hat, war die Situation, dass eben viele Menschen mit Behinderungen komplett isoliert waren. Und ich finde, darüber muss man dann auch nochmal reden, ob wirklich dann immer die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. Also diese Balance zwischen Schutz auf der einen Seite und Freiheit auf der anderen Seite, ob die tatsächlich richtig ausgeübt wurden. Ich glaube, dass sie eben in vielen Fällen nicht richtig ausgeübt wurden und dass Menschen mit Behinderungen eben besonders leidtragend waren, weil man die dann, ich will nicht sagen, weggesperrt hat. Aber wenn ich gerade an so Einrichtungen denke, dann waren die zu. Und Werkstätten waren zu, Wohneinrichtungen gab es kaum irgendwie die Möglichkeit, rein und rauszukommen. Und das war für viele traumatisch. Und auch das finde ich ist notwendig, dass man das neben anderen Dingen auch aufarbeitet. Ich will ja nicht hoffen, dass jetzt die nächste Pandemie gleich vor der Tür steht, aber dass man sozusagen daraus lernt, dass man zum einen natürlich weiß, ok, das war die Situation, in der wir uns bewegt haben. Und dann wurden Entscheidungen getroffen und da kann man auch falsche Entscheidungen treffen. Aber dass man diese falschen Entscheidungen bitte nicht wiederholt.
00:34:30.000
Raúl Krauthausen: Ich bin ja als Mensch mit Behinderungen, der ohne die ganze Wohlfahrtsindustrie davon abhängig zu sein, also davon abhängig zu sein, gerade ein bisschen skeptisch, weil du als Beauftragter ja wahrscheinlich sehr viel mit diesen Werkstattleitungen, Einleitungen am Wohlfahrtsverband, Chef*innen zu tun hast, die dann ja was anderes sagen, als sie machen.
00:35:00.000
Jürgen Dusel: Ich habe aber auch mit ganz, ganz vielen Leuten zu tun, die in Werkstätten arbeiten, Werkstatträte, aber auch Beschäftigte. Ich habe ganz viel zu tun mit Leuten, die in Einrichtungen leben.
00:35:11.000
Raúl Krauthausen: Aber wie, also ich will ja dir gar nicht unterstellen, dass du mit der einen Seite redest, aber wie findest du die Differenzierung? Also wie schaffst du es für dich, das Maß zu finden, was ist jetzt wirklich das, was gemacht wird und gesagt wird und was es einfach eher so, wie sagen wir es mal, erflunkert?
00:35:29.000
Jürgen Dusel: Also ich komme ja aus dem Bereich, ich habe ja eine ganz langweilige Vita. Ich habe, nachdem ich so Jura studiert habe, nachdem ich lange überlegt habe, ob ich nicht Musiker werden soll, habe ich ja verschiedene Jobs gemacht. Also ich hatte ein Leben, bevor ich Beauftragter der Bundesregierung wurde. Ich hoffe, ich habe auch ein Leben danach. Und bevor ich dann Beauftragter der Bundesregierung wurde, habe ich in Brandenburg zum Beispiel, war ich verantwortlich für die Heimaufsicht. Ich hatte sieben Jahre lang mit dem Integrationsamt, ich war Leiter des Integrationsamtes des Landes Brandenburg. Ich hatte als Verantwortlicher mit der forensischen Psychiatrie zu tun. Also ich habe immer in dem Bereich gearbeitet und da habe ich schon, glaube ich, so ein gewisses Wissen erarbeitet und kann, glaube ich, schon unterscheiden zwischen den Interessen der Betreiber von Einrichtungen, nämlich Einrichtungen zu betreiben und den Interessen von Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben. Und für mich sind entscheidend die Menschen mit Behinderungen. Also ich weiß, das glaubt man vielleicht nicht, aber dieser Satz „Nichts über uns, ohne uns“ ist für mich tatsächlich wichtig, total wichtig. Und der bestimmt auch unsere Arbeit. Und na klar, ich meine, haben natürlich Einrichtungsträger Interesse, dass Strukturen erhalten bleiben, weil die ja wiederum verantwortlich sind für Beschäftigte in diesen Einrichtungen. Aber die Einrichtungen sind ja nicht für die Einrichtungen da oder die Menschen mit Behinderung sind ja nicht zum Erhalt der Einrichtungen da, sondern die Einrichtungen sind da, um Menschen mit Behinderungen möglichst gut zu rehabilitieren. Und das findet halt gerade im Werkstattbereich nicht statt. Also die Übergänge kennen wir ja alle.
00:37:57.000
Raúl Krauthausen: Aber ja, ich versteh das Problem, aber ich hab manchmal zum Beispiel das Gefühl, dass selbst Werkstatträte oft auch von Amts wegen her gar nicht genug Mandat haben. Weil sie sind eben keine Personalbetriebsräte, sind keine Gewerkschaften, sondern das sind eben so was anderes. Und es ist immer eher so die Leitversion von etwas. Und die erzählen dann oft auch eher die Narrative, die die Werkstattleitung erzählt.
00:37:30.000
Jürgen Dusel: Also die Beschäftigten in Werkstätten
00:37:32.000
Raúl Krauthausen: und dann sagen, wir wollen aber das Basisgeld. Und
dann fragen sie, was ist denn das Basisgeld? Und dann wissen die das selber nicht.
00:37:39.000
Jürgen Dusel: Deswegen ist für mich zum Beispiel wichtig, Menschen zuerst zu hören. Also die zum Beispiel.
00:37:43.000
Raúl Krauthausen: Also Unabhängige.
00:37:44.000
Jürgen Dusel: Unabhängige, ganz genau. Und natürlich habe ich auch mit den Werkstatträten zu tun, weil ich finde, das ist auch eine Frage des Respekts. Wer sie wählt und man muss halt einfach auch so die Heterogenität der Gruppe sehen. Also es gibt halt Leute, die aus der Förderschule dann so in die Werkstatt kommen. Das ist so der eine Weg in die Werkstatt. Der andere Weg ist Menschen, die im Arbeitsprozess psychisch erkranken oder erschöpft sind und dann dadurch in die Werkstatt kommen. Das sind zwei unterschiedliche Gruppen sozusagen, die auch ganz unterschiedliche vielleicht Interessen haben oder Erfahrungen mit sich bringen. Das heißt also auch da muss man einfach sagen, die Gruppe ist ja heterogen. Man muss allen gerecht werden. Nur wenn wir eine Situation haben, dass wir im SGB IX ein sogenanntes Wunsch- und Wahlrecht haben und ich aber keine Wahl habe zwischen verschiedenen Optionen, weil ich schon am Ende der Förderschule meine Berufspraktikas in der Werkstatt mache. Und wenn ich mit allem Respekt im Eingangsbereich und im Berufsbildungsbereich der Werkstatt schon eigentlich gebildet werde für den Arbeitsbereich der Werkstatt. Also wenn ich tatsächlich dieses Versprechen des SGB IX nicht einlösen kann, auch mal Alternativen zu haben, ich finde dann muss tatsächlich was geschehen. Und auf der anderen Seite will ich auch sagen, dass sozusagen der Job den Werkstätten machen müssen. Also ohne die jetzt zu zu unterstützen, sondern einfach mal klar zu machen, was eine Werkstatt nach dem Gesetz machen muss. Die müssen im Grunde drei Aufgaben erfüllen. Die müssen erstens gut rehabilitieren. Die müssen zum Zweiten Übergänge schaffen und wir wissen 0,3 Prozent schaffen es dann. Und sie müssen zum Dritten und das ist das Wesentliche, wirtschaftlich sein. Das passt einfach nicht zusammen. Also wenn ich ein Unternehmen habe und ich will wirtschaftlich sein, dann will ich am wenigsten Fluktuation haben.
00:39:30.000
Raúl Krauthausen: Ja klar, du willst nicht deine besten Mitarbeiter….
00:39:33.000
Jürgen Dusel: So sieht es nämlich aus und deswegen muss man auch darüber nochmal nachdenken. Also es ist nicht trivial, aber nochmal die Bundesrepublik Deutschland hat die UNBehindertenrechtskonvention ratifiziert. Artikel 27 sagt, dass Menschen mit Behinderungen aus ihrer Arbeit heraus ihren Lebensunterhalt finanzieren können müssen. Das können die nicht in der Werkstatt. Und wir wurden deswegen natürlich auch kritisiert bei der Startenprüfung und ich finde, das muss jetzt eine Konsequenz haben. Klar.
00:39:57.000
Raúl Krauthausen: Ein anderes sehr sensibles Thema sind ja die Morde in Potsdam, wo vor einigen Jahren eine Pflegerin vier Bewohner*innen getötet hat. Und das war kurz vor der Wahl oder nicht kurz, aber es war in dem Jahr der Wahl. Und ich dachte ja ganz ehrlich, ich habe mich gefragt, warum haut jetzt Jürgen Dusel nicht auf die Kacke und verbindet sein Amt mit Maßnahmen, dass sich sowas nicht wiederholt.
00:40:28.000
Jürgen Dusel: Also wir haben natürlich was gemacht zum Thema zusammen im Deutschen Institut für Menschenrechte zum Thema Gewaltschutz. Du kennst sicher, dass dann irgendwann auch dieser aus meiner Sicht auch noch nicht ausreichende § 37a SGB IX eingeführt wurde, also Gewaltschutzkonzepte in Einrichtungen. Ja, das ist der Punkt. Das ist tatsächlich so. Das war natürlich eine schreckliche Situation. Das war aber auch nicht die erste Situation, die wir erkennen und vor allem, das war natürlich jetzt eine Gewalt schrecklich in der Einrichtung. Wir haben aber natürlich erleben Menschen mit Behinderungen, gerade Frauen mit Behinderungen auch in der Häuslichkeit, also auch nicht in Einrichtungen Gewalt und sind nicht ausreichend geschützt, haben keinen Zugang, nicht ausreichend Zugang zu Hilfestrukturen. Man glaubt ihnen oftmals nicht, wenn es Frauen mit intellektuellen Beeinträchtigungen sind. Wir haben deswegen, ich sage das gar nicht um mich zu rechtfertigen, sondern nur um zu sagen, dass wir so arbeiten. Wir haben dazu natürlich jetzt Teilhabeempfehlungen der Bundesregierung gegeben. Da wird auch tatsächlich was passieren. Also auch Hubertus Heil hat gesagt, der 37a wird nochmal angefasst, weil es zwar geregelt ist, dass Leute, also dass Einrichtungen sowas haben müssen, ist aber nicht geregelt, was passiert, wenn sie es nicht haben. Das geht natürlich nicht.
00:41:42.000
Raúl Krauthausen: Aber die Behindertenbewegung ist radikaler. Die fordert unabhängige, unangemeldete Kontrollen.
00:41:48.000
Jürgen Dusel: Ja, das kann man jetzt schon machen, wenn man es will. Die Heimaufsicht kann unangemeldet rein. Ich habe selbst die Heimaufsicht geleitet. Wir haben teilweise…
00:41:55.000
Raúl Krauthausen: Sie waren ein Tag vor den Morden waren sie da und haben nach Aktenlagen beschieden. Alles ist super.
00:42:01.000
Jürgen Dusel: Ich weiß, was jetzt in Potsdam, ich weiß das auch nur aus Berichten und so, man kann natürlich bestimmten Leuten auch nicht hinter die Stirn gucken, aber man kann natürlich schauen, was sozusagen strukturell falsch läuft und ob da Überlastungssituationen sind. Jetzt will ich die Heimaufsicht gar nicht bewerten, aber natürlich ist es so, dass man bei unangemeldeten Überwachungen, die ja zulässig sind und wo eigentlich auch kein Einrichtungsträger was dagegen haben kann, außer er hat ein Problem, kann man deutlich mehr erreichen. Aber auch da ist es so, Raul, wenn die Heimaufsicht richtig aktiv ist, dann gehen die einmal im Jahr. Aber das ist schon das Maximale in jeder Einrichtung. Das heißt, du gehst dann, sagen wir mal, Anfang Februar rein und dann Mitte Februar passiert irgendwie sowas. Es braucht mehr als nur sozusagen die Überwachung, sondern es braucht tatsächlich eine sozialräumliche Öffnung von Einrichtungen. Es muss klar sein, dass die Menschen mit Behinderungen, wie du sagst, niederschwellige Beschwerdemöglichkeiten haben und zwar nicht in der Einrichtung, sondern draußen. Und dass sich auch das soziale Umfeld verantwortlich fühlt für die Einrichtung, also dass es nicht heißt, naja, also Präventivgeschichten, das machen die schon selber in der Einrichtung. Dass Frauen mit Behinderungen beispielsweise aus Einrichtungen auch dann Beratungen kriegen bei Pro Familia, dass sie barrierefrei sind, dass es leichte Sprache gibt und so weiter und so fort.
00:43:18.000
Raúl Krauthausen: Wir haben ja damals von der Seite des Beauftragten oder auch der Regierung, die das Gefühl hatten, so wenig passiert, wir haben ja dann mit Ableismus tötet bzw. abelismus.de eine selbst recherchierte Online-Plattform ins Internet gestellt, wo wir dokumentiert haben, dass es quasi nicht Einzelfälle sind, von denen ja immer die Rede war. Und was dann passierte war ungeheuerlich, muss ich dir ganz ehrlich sagen, weil dann der Chef des O-berlin-Hauses in irgendeinem Interview bei den Potsdamer neuesten Nachrichten, quasi Aktivistinnen wie uns, den Mund verbarrt mit der Aussage, ja, jetzt sei mal Zeit zum Trauern und aufgearbeitet wird später. Und wenn man jetzt drei Jahre später guckt,
was wurde denn aufgearbeitet? Und da bin ich schon ein bisschen entsetzt, bis hin zu Recherchen, die wir gemacht haben, mit Abmahnung belegt wurden, jetzt nicht von Potsdam, aber von anderen Einrichtungen und quasi uns dann mit Anwälten gedroht wurde, anstatt das Geld für die Anwälte zu sparen und mal vernünftige Arbeit zu machen.
00:44:38.000
Jürgen Dusel: Es ist tatsächlich so, wir wissen, dass Menschen mit Behinderungen deutlich höheres Gewaltrisiko haben, gerade Frauen. Und ich finde, es ist halt zentral für den Staat da was dagegen zu tun. Jetzt könnte man sich wieder zurücklehnen, könnte sagen, ja, Heimrecht ist wieder Ländersache, also wendet euch bitte an Brandenburg in dem Falle und nicht an den Bundesbeauftragten. Aber das löst ja das Problem nicht, sondern wir haben halt einfach gesagt, wir machen zusammen mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte Handreichungen dafür und wir haben jetzt auch gerade für die Leute mit sogenannter intellektueller Beeinträchtigung, sehr spannendes Thema, wie man das überhaupt nennt, Teilhabeempfehlungen zum Gewaltschutz gemacht. Das ist meine Antwort darauf. Aber klar, natürlich ist die Heimaufsichtsbehörde gefordert, der Sozialhilfeträger ist natürlich gefordert und die Einrichtung selbst auch.
00:45:14.000
Raúl Krauthausen: Aber hast du nicht in Erwägung gezogen, das mit deinem Amt zu verknüpfen, also zu sagen, Leute, ich bin derjenige, der für diese Themen spricht, das ist so schlimm, auch das Schweigen war so schlimm, da muss man was tun?
00:45:27.000
Jürgen Dusel: Nein, ich habe ja gesprochen. Also ich habe tatsächlich dann auch bei der Trauerveranstaltung in der Kirche, in der Nikolaikirche in Potsdam gesprochen und habe eben auch von diesen strukturellen Abhängigkeiten gesprochen. Das hat auch nicht jedem gefallen, davon kannst du ausgehen und das gehört aber auch dazu. Wichtig ist für mich nur, dass das sozusagen nicht unter den Teppich gekehrt wird und wir haben tatsächlich ein Problem in ganz Deutschland, aber nicht nur in ganz Deutschland, was Gewalt betrifft für Menschen mit Behinderungen und das ist einerseits schrecklich, weil Gewalt zu erleben ist furchtbar und andererseits tolerieren wir auch noch viel zu viel in dem Bereich.
00:46:04.000
Raúl Krauthausen: Ok, aber jetzt wurden Papiere geschrieben, Gesetze geändert.
00:46:08.000
Jürgen Dusel: Es müssen noch Gesetze geändert werden. Also es muss tatsächlich aus meiner Sicht klar sein, dass nur die Einrichtung tatsächlich einen Vertrag bekommt, ich versuche es mal untechnisch zu sagen, mit der Eingliedungshilfe, die auch über solche Gewaltkonzepte nicht nur verfügt, sondern die sozusagen erarbeitet wurden mit den Bewohnerinnen und Bewohnern und die auch gelebt werden und auch dann wird man wahrscheinlich bestimmte Dinge nicht verhindern können, aber dann wird es unwahrscheinlicher.
00:46:37.000
Raúl Krauthausen: Genau und dass man das quasi koppelt mit den Geldern, die bezahlt werden und nicht erst in fünf Jahren, sondern sofort rückwirkend.
00:46:44.000
Jürgen Dusel: Also es gibt einen Träger der Eingliedungshilfe, das ist der Landschaftsverband Rheinland, der das jetzt schon macht, also die koppeln das tatsächlich, also ohne diese Konzepte gibt es dann tatsächlich auch keine Kostensatzvereinbarung, aber das ist nur der erste Schritt, also mir geht es wirklich darum, dass sich da tatsächlich substanziell was ändert.
00:47:03.000
Raúl Krauthausen: Was ist denn für dich in dieser Legislatur dein bisher größter Erfolg?
00:47:10.000
Jürgen Dusel: Ich glaube, das ist tatsächlich die Teilhabe am Arbeitsleben und das ist noch nicht viel. Also ich habe dir ja gesagt, vierte Stufe der Ausgleichsabgabe ist für mich ein Aspekt. Ein großer Erfolg aus meiner Sicht war auch, dass wir es geschafft haben Teilhabeempfehlungen jetzt für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen hinzukriegen. Die müssen jetzt natürlich umgesetzt werden, aber zumindest ist es ja mein Job. Ich kann ja nicht die Gesetze selbst dann machen und was ich unbedingt noch erreichen will, das ist tatsächlich, dass wir jetzt die privaten Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit verpflichten und es ist sehr interessant. Also ich verbinde das ja immer mit dem Thema der Arztpraxen und ich merke, dass ich offensichtlich damit einige Leute aufschrecke, weil ich erlebe von der Kassenärztlichen Vereinigung, dass man mir dann Populismus vorwirft, wenn ich sowas fordere, aber das weckt meinen sportlichen Ehrgeiz.
00:48:07.000
Raúl Krauthausen: Also über Ärzte können einen eigenen Podcast machen.
00:48:09.000
Jürgen Dusel: Gerne.
00:48:10.000
Raúl Krauthausen: Das ist nochmal wirklich ganz erschreckend, was da die KVen teilweise anbieten, was barrierefreie Arztpraxen angeht, irgendwelche PDFs, die nicht mehr aktuell sind. Ich bin gerade ganz aktuell auf der Suche nach einem Augenarzt in Berlin, der barrierefrei ist und Termine noch in diesem Jahrhundert hat für gesetzlich Versicherte.
00:48:29.000
Jürgen Dusel: Viel Erfolg.
00:48:30.000
Raúl Krauthausen: Und das ist unmöglich. Also teilweise bin ich zu jung. Dann heißt es, ich wäre gesetzlich versichert, ich meine nur privat neue Patienten und das Kriterium, das eigentlich immer der Killer ist, ist die Barrierefreiheit.
00:38:43.000
Jürgen Dusel: Genau und das ist aus meiner Sicht nicht haltbar, weil du zahlst ja glaube ich auch in die gesetzliche Krankenversicherung ein, gehe ich mal von aus. Und unabhängig davon bist du Patient und musst behandelt werden wie alle anderen auch und ich verstehe auch nicht, warum man das nicht rechtlich regeln kann angeblich. Wir versuchen das ja jetzt übers BGG zu machen. Und ich finde, das ist Standard, das muss Standard sein.
00:49:10.000
Raúl Krauthausen: Es darf gar keine Zulassung geben.
00:49:11.000
Jürgen Dusel: Genau, aus meiner Sicht darf man nur eine Zulassung kriegen, wenn man barrierefrei ist und das geht, weil die deutsche gesetzliche Unfallversicherung macht das bei den sogenannten D-Ärzten, Durchgangsärzten. Da kriegst du nur eine Zulassung, wenn du in barrierefreien Räumen praktizierst.
00:49:23.000
Raúl Krauthausen: Was auch Sinn macht?
00:49:25.000
Jürgen Dusel: Ja natürlich macht das Sinn und es ist ja absurd. Und wir geben unglaublich viel Geld aus für unser Gesundheitssystem in Deutschland, wir haben nicht unbedingt das allerbeste in Europa und ich
finde, es ist jetzt wirklich Zeit, dass wir das ändern. Auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und vor allem, weil Menschen mit Behinderungen nach Artikel 25 UN-BAK den Anspruch drauf haben. Und es ärgert mich einfach, dass man da so auf Widerstände stößt. Also es müsste doch wirklich jedem klar sein, dass wenn ich eine orthopädische Praxis habe, die nicht mit dem Aufzug erreichbar ist, dann stimmt doch irgendwas nicht.
00:50:02.000
Raúl Krauthausen: Was war denn deine größte Niederlage?
00:50:05.000
Jürgen Dusel: Meine größte Niederlage? Du, da muss ich jetzt mal nachdenken. Von Niederlagen, ich denke gar nicht in solchen Kategorien.
00:50:12.000
Raúl Krauthausen: Oder deine größte Enttäuschung?
00:50:14.000
Jürgen Dusel: Meine größte Enttäuschung war, dass wir tatsächlich aus meiner Sicht im Gesetz zur Stärkung des inklusiven Arbeitsmarktes nicht alles gemacht haben, was hätte notwendig sein müssen. Also das war mir schon für mich schon schwer erträglich sozusagen, dass wir einen Ordnungswidrigkeits-Tatbestand ohne Not gestrichen haben oder dass der gestrichen wurde. Wir haben es ja nicht gemacht, das macht ja dann das Parlament, dass wir auch im Bereich sozusagen des betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht weit genug kamen. Und was mich halt zurzeit wirklich aufregt, also das meine ich wirklich, ist die Blockadehaltung Deutschlands als einziges EU-Land bei der Antidiskriminierungsrichtlinie. Also ich rede jetzt gar nicht vom AGG, auch das muss angepackt werden, auch da merke ich einfach Widerstände. Aber dass wir als einziges Land in Europa eine Richtlinie blockieren, die Menschenrechtsaspekte beherrscht.
00:51:10.000
Raúl Krauthausen: Aber nennen wir doch mal Ross und Reiter, das ist doch alles Herr Buschmann oder nicht?
00:51:13.000
Jürgen Dusel: Das weiß ich ehrlich gesagt nicht, ich will es auch gar nicht auf Herrn Buschmann fokussieren. Aber klar, es geht um, aber es geht tatsächlich natürlich auch um Fragen der sozialen Sicherung und so weiter. Aber das ist mir alles egal, sondern mir geht es darum, dass wir gerade mit unserer Vergangenheit und unserer Geschichte verstehen, dass
es nicht sein kann, dass wir uns gegen das Verbot und Sanktionierung von Diskriminierungen verwenden.
00:51:43.000
Raúl Krauthausen: Vor allem wenn wir uns weltweit wie so eine Moralpolizei ständig aufführen.
00:51:47.000
Jürgen Dusel: Na zumindest wenn wir sehen, dass es andere europäische Länder gibt, von denen wir ja manchmal sagen, die wären eher im rechten Bereich, die plötzlich dann das akzeptieren. Und nochmal, also das ist ein Aspekt, der mich wirklich umtreibt. Ich war jetzt gerade in Brüssel gewesen, ich habe mir das wirklich anhören müssen. Ich war in einer anderen Funktion nicht als Beauftragter dort, sondern ich habe tatsächlich in dem Falle dann eher das BMAS oder die Bundesregierung vertreten. Und dann versteht man auf der Brüsseler Seite dann schlecht, warum ausgerechnet Deutschland ein Problem hat. Sei es jetzt im Bereich des Lieferkettengesetzes, was wirklich nicht mit Hubertus Heil nach Hause geht, dass wir da ein Problem haben. Und sei es jetzt im Bereich der Antidiskriminierungsrichtlinie, also das muss tatsächlich jetzt irgendwann mal vom Tisch, das ist peinlich, um es mal ganz klar zu sagen.
00:52:33.000
Raúl Krauthausen: Und was war deine größte Überraschung?
00:52:35.000
Jürgen Dusel: Meine größte Überraschung, ich bin ja jetzt schon so lange dabei, aber meine größte Überraschung war, dass wir tatsächlich jetzt bei der Follow-Up-Konferenz, das meine ich ernsthaft, zum Staatenprüfungsbericht, dass wir da so wahnsinnig viele Leute dabei hatten. Das war eine große Überraschung. Ich habe das erwartet, vielleicht erwartet, aber dass wir dann mit 800 Leuten unterwegs waren, das fand ich schon toll. Und dass tatsächlich die Leute sich da engagiert haben und eingebracht haben, das fand ich toll und hat mich in gewisser Hinsicht auch überrascht. Weil ich erlebe ja ganz oft manchmal auch so eine Müdigkeit in dieser Diskussion, dass manche sagen, komm, ich kann jetzt nicht mehr und ich will jetzt auch nicht mehr, das dauert mir alles zu lange und dass wirklich dann im BCC 500 Leute waren und noch ein paar hundert zugeschaltet, das war schon verdammt cool.
00:53:23.000
Raúl Krauthausen: Das war, also dieses Jahr ist sowieso das Jahr der Festlichkeiten, wir haben 75 Jahre Grundgesetz, dann haben wir
Inklusionstage, haben wir auch noch. Also das ist jetzt auch alles irgendwie relativ bald, wo ich mich dann schon auch frage, so okay, ist das wirklich der Rahmen, in dem wir die Inklusion zelebrieren sollten, wenn ich eigentlich erstmal unsere Hausaufgaben zu machen, also das wäre eine Konferenz nach der anderen, uns immer wieder neu sagen, ja, wir haben noch viel vor.
00:53:49.000
Jürgen Dusel: Na, wir haben erst mal zumindest die Empfehlungen des Fachausschusses aus Genf abzuarbeiten und das ist auch, finde ich, eine Frage des Respekts gegenüber den Vereinten Nationen, dass wir das tun, also dass wir das jetzt nicht einfach so hinnehmen und sagen, ah, okay, zum zweiten Mal, das haben wir wieder gesagt bekommen im Bereich der Bildung, im Bereich der Deinstitutionalisierung läuft es nicht gut in Deutschland, das legen wir jetzt wieder weg, in Anführungsstrichen, sondern dass wir es abarbeiten. Und deswegen haben wir zumindest gesagt, okay, jetzt machen wir diese Konferenz und schreiben mal auf, was aus unserer Sicht passieren muss und das ist mein Aspekt. Auf der anderen Seite finde ich schon, 75 Jahre Grundgesetz ist schon ein Grund zu feiern, finde ich. Das ist aus meiner Sicht wirklich ein Punkt. Man muss auch manchmal ein bisschen feiern, damit man die anderen Dinge erträgt, aber arbeiten musst du trotzdem.
00:54:33.000
Raúl Krauthausen: Du hast es vorhin kurz angesprochen, es gibt ja, du hattest eingeladen zu einer Diskussionsrunde über wie sagt man das denn nun, wie nennt, also ich würde jetzt sagen, Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, da gab es ein Treffen bei euch im Hause, wo verschiedene Menschen mit psychischen Erkrankungen, mit sogenannten geistigen Behinderungen nicht getroffen haben, um mal das Wording festzumachen. Kam da was bei raus?
00:55:03.000
Jürgen Dusel: Ja, finde ich schon. Also zumindest haben wir Menschen zuerst und das waren für mich wirklich diejenigen, die dann auch die Experten waren, gesagt, wir wollen es nicht so genannt werden. Wir empfinden den Begriff geistig behindert als diskriminierend, als abwertend, als stigmatisierend und ich meine, wir merken es doch Raul, wenn wir dann so ein bisschen rumeiern und sagen dann so genannt, dann wird doch deutlich, dass wir eigentlich auch nicht so glücklich sind.
00:55:25.000
Raúl Krauthausen: Aber was war das Ergebnis, also was kann ich jetzt
mitnehmen?
00:55:27.000
Jürgen Dusel: Also die Menschen von Mensch zuerst haben gesagt, wir möchten ganz gerne Menschen mit Lernschwierigkeiten genannt werden, ich benutze das nicht, ich benutze den Begriff Lernbeeinträchtigung, ich erkläre auch gleich warum und wir haben aber für unsere Teilhabeempfehlungen noch den UN-Behindertenrechtsbegriff genommen, also in der UN-BAK steht Intellectual Disability, Intellectual Impairment und wir haben es dann mit Intellectual Beeinträchtigung übersetzt in den Teilhaberempfehlungen deswegen, weil wir das sozusagen den Empfängerhorizont im Blick hatten, also nach dem Motto, wer kriegt die Teilhaberempfehlungen und gerade beim Thema Lernschwierigkeiten musst du dann wirklich starke Abgrenzungen hinkriegen zum Thema Legasthenie und Dyskalkulie, also du musst ja sozusagen die Nachteilsausgleiche, die auch geknüpft sind an bestimmte Situationen, die musst du im Blick haben und deswegen, ich benutze den Begriff Lernbeeinträchtigung und das akzeptieren die Menschen auch, jedenfalls nur der Begriff geistig behindert finde ich, geht nicht, weil wenn mir die Leute sagen, die so genannt werden, dass sie das nicht wollen, dann finde ich hat dieses Wort auch nichts in deutschen Gesetzen zu tun.
00:56:34.000
Raúl Krauthausen: Aber Leute gibt es ja immer nach, scheinbar.
00:56:36.000
Jürgen Dusel: Ja sicher, also wir haben immer noch im Gesetz den Begriff geistige Behinderung und mein Petitum ist jetzt das sozusagen zu ändern und ich bin der Meinung,
00:56:46.000
Raúl Krauthausen: Ich meine es gibt Leute, die jetzt mit dem neuen Begriff nicht zufrieden sind.
00:56:49.000
Jürgen Dusel: Ja es gibt immer Leute, die mit manchen Sachen nicht zufrieden sind, klar, aber ich finde zum einen, wir sagen ja immer nichts über uns ohne uns und wenn die Leute sagen, das erleben wir ja auch in anderen Diversity-Debatten, bestimmte Begriffe gehen einfach nicht, dann muss man das akzeptieren und so blöd wie das vielleicht klingt oder so profan wie das klingt, wenn die Leute sagen, wir möchten das nicht, dann finde ich, ist das vollkommen klar, dass man es auch nicht macht und jetzt muss man halt nur einen Begriff finden und dann sind die Juristen dann
wieder gefordert, der sozusagen auch die Nachteilsausgleiche auslöst und da muss man dann abgrenzen, aber das kann man tun, wenn man das will und ich persönlich bin der Meinung, der Begriff der Lernbeeinträchtigung ist da ganz gut.
00:57:32.000
Raúl Krauthausen: Das würde aber Menschen mit einer sogenannten psychischen Erkrankung vielleicht nicht abholen.
00:57:37.000
Jürgen Dusel: Genau, weil wir reden sozusagen über Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, also wir haben ja sozusagen im SGB IX Begriffe dann wie die Sinnesbeeinträchtigung, die körperliche Beeinträchtigung, komischerweise dann die geistige Behinderung und ich bin der Meinung, das wird dem UN-Behinderungsbegriff, also diese Wechselwirkung nicht gerecht und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, auch das ist sehr heterogene, es gibt viele, die mir sagen, ich bin psychisch krank, aber ich bin nicht behindert, ich will nicht als behindert bezeichnet werden und so weiter und es ist…
00:58:07.000
Raúl Krauthausen: Sind aber auch in den Werkstätten für behinderte Menschen.
00:58:10.000
Jürgen Dusel: Zum Teil auch, ja das ist richtig, ja genau.
00:58:12.000
Raúl Krauthausen: Wir merken, die Zeit rast und gleichzeitig haben wir jedes einzelne Thema nur kurz anpieksen können, wir hätten einen ganzen Podcast zum Thema Gesundheit machen können, zum Thema Bildung.
00:58:25.000
Jürgen Dusel: Zum Thema Wohnen.
00:58:26.000
Raúl Krauthausen: Zum Thema Wohnen, zum Thema Barrierefreiheit und zum Thema Musik.
00:58:28.000
Jürgen Dusel: Ja.
00:58:29.000
Raúl Krauthausen: Und ich würde dich gerne einladen, dass wir das fortsetzen.
00:58:34.000
Jürgen Dusel: Gerne zur Musik.
00:58:34.000
Raúl Krauthausen: Ja genau, zu einem Thema deiner Wahl vielleicht auch. Um dann sagen wir mal eine runde Sache daraus zu machen und erlaube mir, dir noch eine letzte Frage zu stellen. Und zwar frage ich einmal meine Podcast-Gästinnen, ob sie eine Organisation kennen, die sie selber unterstützen, unterstützen würden oder weiterempfehlen würden. Jetzt ist es Kraft deines Amtes wahrscheinlich gar nicht so einfach, eine Organisation hervorzuheben.
00:59:00.000
Jürgen Dusel: Ganz schwer.
00:59:05.000
Raúl Krauthausen: Aber trotzdem stelle ich dir diese Frage. Mein Ding ist es ein Buch, ist auch okay. Aber irgendetwas, was unsere Hörer*innen mitnehmen können.
00:59:12.000
Jürgen Dusel: Also ich glaube, ich kann natürlich jetzt nicht eine hervorheben, aber was ich wirklich wichtig finde, dass man sozusagen sich vernetzt und kontaktet mit Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen. Und tatsächlich dann auch die Expertise, die da ist einholt. Das mache ich immer und das ist für mich eigentlich auch ganz hilfreich. Und beim nächsten Mal reden wir dann über Musik und Kunst und Kultur.
00:59:40.000
Raúl Krauthausen: Hast du da einen Tipp?
00:59:41.000
Jürgen Dusel: Och du, ich habe heute Morgen ziemlich viel über Ray Charles geredet und über seine Art, wie er Musik gemacht hat und warum er Musik gemacht hat. Ich habe dir ja gesagt, ich habe lange überlegt, ob ich nicht was Gescheites studiere, nämlich Musik. Und deswegen, weil ich Jurist geworden bin, weiß ich, nur die kreativen Juristen sind die guten Juristen. Man erlebt ja manchmal so die Situation, dass man sagt, einen guten Manager erkennt man daran, dass er für jedes Problem eine Lösung hat und einen guten Juristen, dass er für jede Lösung ein Problem hat. Und wir versuchen halt Lösungen zu finden.
01:00:09.000
Raúl Krauthausen: Ich habe mal den Spruch gehört, der mir auch sehr gefallen hat, wenn das die Lösung ist, hätte ich gerne mein Problem zu sein.
01:00:15.000
Jürgen Dusel: Genau, wir versuchen halt Lösungen zu finden und das ist der Job und der macht sehr viel Arbeit, aber auch sehr viel Spaß. Das ist wie in der Kunst.
01:00:22.000
Raúl Krauthausen: Lieber Jürgen, vielen Dank, dass du da warst. 01:00:24.000
Jürgen Dusel: Gerne. Jetzt sind wir mit dem Aufzug angekommen.
01:00:26.000
Raúl Krauthausen: Genau. Wenn die Tür jetzt aufgeht, wo geht es für dich weiter?
01:00:29.000
Jürgen Dusel: Du, ich werde mich jetzt wieder wahrscheinlich mehr in den Westen von Berlin begeben und werde noch was zum Thema Menschen mit Autismus machen und…
01:00:38.000
Raúl Krauthausen: Wir haben ja gerade Autism Awareness.
01:00:40.000
Jürgen Dusel: Ja, vor zwei Tagen war da dann auch das. Genau. Und es geht weiter. Aber es war jetzt sehr schön bei dir und mit dir fahre ich gerne Aufzug.
01:00:48.000
Raúl Krauthausen: Sehr gerne wieder. Auf bald. 01:00:50.000
Jürgen Dusel: Ciao.
01:00:51.000
Raúl Krauthausen: Ciao.
01:00:54.000
Raúl Krauthausen: Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcasts, Spotify
oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, sowie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Show Notes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady- Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. Im Aufzug ist eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal hier im Aufzug.
Die Folge wurde dir präsentiert von Schindler. Manchmal kann Aufzug fahren unangenehm sein, denn wir müssen mit unbekannten Menschen in einem kleinen geschlossenen Raum Zeit verbringen. Deshalb versuchen viele, möglichst keinen Blickkontakt zu halten oder sich zu nahe zu kommen. Das Ergebnis? Wir neigen dazu, uns mit Blickrichtung zur Aufzugtür zu positionieren. Oft schauen wir dabei gemeinsam auf die Etagenanzeige. Aus diesem Grund gibt es mittlerweile auch vermehrt Screens in Aufzügen, um mit Infotainment diesen Awkward Moment zu verkürzen. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren? Dann steig bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, um mit uns ganz nach oben zu fahren.
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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann
Coverart: Amadeus Fronk