Braucht es Schmerz für gute Songs?
Ob Depressionen, Dad Jokes oder Udo Lindenberg: Diese Aufzugsfahrt mit Enno Bunger wird nicht langweilig. Wir sprechen über seinen Karrierestart im Supermarkt, dass er und H.P. Baxxter denselben Musiklehrer hatten und warum er eigentlich gegen seine Heimat Ostfriesland allergisch ist. Seine Lieder entstehen oft aus einem Schmerz heraus und so singt er darin auch von seinen Depressionen. Genauso ehrlich legt er bei unserer Fahrt auch Zahlen auf den Tisch, was von einer Tour eigentlich hängenbleibt und warum Konzerttickets teurer geworden sind. Er erzählt mir auch, wie er seine Tour ein bisschen ökologischer gestaltet – und warum er beim Fußballschauen eher Enno Boomer ist.
Los geht die Aufzugfahrt mit Enno Bunger!
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Ob Depressionen, Dad jokes oder Udo Lindenberg, diese Aufzugsfahrt mit
Enno Bunger wird nicht langweilig. Wir sprechen über seinen
Karrierestaat im Supermarkt, dass er und H.P. Baxter denselben
Musiklehrer hatten und warum er eigentlich gegen seine Heimat
Ostfriesland allergisch ist. Seine Lieder entstehen oft aus einem Schmerz
heraus und so singt er darin auch von seinen Depressionen. Er nur möchte
Musik machen, zu der man weinen kann. Und ich glaube, das schafft er.
Genauso ehrlich legt er bei unserer Fahrt auch Zahlen auf den Tisch, was
von einer Tour eigentlich hängen bleibt und warum Konzerttickets teurer
geworden sind. Er erzählt mir auch, wie er seine Tour ein bisschen
ökologischer gestaltet und warum er beim Fußballschauen eher Enno
Boomer ist. Aufzug, Tür auf, für Enno. Die Tür geht auf und wer kommt
rein? Ich freue mich sehr, ich folge ihm seit Jahren im Internet und
entdecke immer mehr Kanäle, die er betreibt. Heute erst habe ich seinen
YouTube-Kanal identifiziert. Dabei folgte ich ihm ursprünglich auf Twitter
und zwar Enno Bunger. Herzlich willkommen.
00:02:00.000
Enno Bunger: Hallo Moin Raul, ich freue mich sehr. Ich bin auch ein
bisschen aufgeregt, muss ich sagen.
00:02:03.000
Raul Krauthausen: Schön, dass du da bist. Hattest du schon mal einen
awkward moment in einem Aufzug?
00:02:09.000
Enno Bunger: Ja, meistens, aber ich bin meistens derjenige, der das Eis
bricht und sagt, wenn jemand was sagt im Fahrstuhl, du darfst im Aufzug
nicht reden. Das ist ja so ein Gesetz in Deutschland, dass man im Aufzug
nicht reden darf und dann sage ich das.00:02:19.000
Raul Krauthausen: Todesstrafe.
00:02:20.000
Enno Bunger: Und das ist aber wahrscheinlich jedes Mal ein awkward
Moment für den, der selber Sorge hat. Darum wahrscheinlich jeder
Mensch, der mit mir Fahrstuhl gefahren ist, denkt so, oh Gott halt die
Fresse.
00:02:30.000
Raul Krauthausen: Und was sagst du dann? Herzlich willkommen in
meinem Aufzug oder kann ich sie mitnehmen?
00:02:35.000
Enno Bunger: Ne, ich sage nur so, wir dürfen nicht reden, wir sind im
Aufzug. Und dann gucke ich an die Wand, dreh mich so weg.
00:02:42.000
Raul Krauthausen: Wenn man dich kennt, dann weiß man, dass du aus
Ostfriesland kommst und wenn ich an Ostfriesland denke, dann denke ich
immer an Otto Walkes.
00:02:52.000
Enno Bunger: Ja, das tun sehr viele, da hat Otto auch viel für getan. Also
dass man Ostfriesland überhaupt kennt, glaube ich. Also klar, es gibt
keinen berühmteren Ostfries, es wird niemals einen berühmteren
Ostfriesen geben können als Otto Walkes.
00:03:04.000
Raul Krauthausen: Aber woher kommt denn dieses sich über die Ostfriesen
lustig machen? Hat er das geprägt, weißt du das?
00:03:11.000
Enno Bunger: Er hat das auf jeden Fall berühmt gemacht, glaube ich. Und
es ist aber ja natürlich so ein bisschen so, dass das immer so ein
eigenständiges, eigenbrötlerisches, also eine sehr zurückgezogene
Gesellschaft ist. Und es ist ja auch so ein bisschen so, ich glaube, ich hoffe
ich erzähle keinen absoluten Bullshit, aber es war ja früher so, dass Leute,
die Verbrechen begangen haben, ins Moor geschickt wurden als Strafe.
Also das war so das Gefängnis. Also die wurden einfach zum Sterben ins
Moor geschickt.00:03:40.000
Raul Krauthausen: Und das ist Ostfriesland, oder wie?
00:03:43.000
Enno Bunger: Das ist Ostfriesland. Und irgendwann haben die sich halt so
ein bisschen dann ja verselbstständigt und eigenständig gemacht. Und
ganz lange war so Ostfriesland ja auch so ein bisschen so was wie so
Gallien. Also wie so Astrix und Obelix, so die Leute, die sich die ganze Zeit
wehren gegen irgendwie Bevormundung und so. Und es gab auch
tatsächlich meinen, also ich heiße ja Enno mit Vornamen. Und ich glaube,
wenn ich es jetzt richtig in Erinnerung habe, dann ist Enno der Zweite so
ein Häuptling gewesen, der der erste Typ war in Ostfriesland, der
demokratische Zustände in Europa eingeführt hat. Also wo er gesagt hat,
wir sollten hier mal abstimmen und nicht einfach irgendwas beschließen,
dass der Stärkere das entscheidet, sondern dass hier das Volk das
entscheidet. Und das finde ich eigentlich ganz geil. Und dafür stehe ich
auch heute noch mit meinem Namen für Demokratie und sage Schande
über die, die da irgendwie da was anderes gerade wollen.
00:04:40.000
Raul Krauthausen: Also ich glaube Otto Walkes war großartig als ich Kind
war, war auch mit ganzen Ostfriesen Witze und so. Und ich finde, das hat
einen anderen Humor, als wenn man Ossi Witze macht. Also das ist
irgendwie legitimierter oder fühlt man sich als Ostfriesen diskriminiert?
00:04:55.000
Enno Bunger: Nee, ich habe mich noch nie diskriminiert für das
Ostfriesen, weil ich, wir lachen ja total gerne selber über diese Witze und
erzählen sie auch selber. Und wenn ich manchmal auf der Bühne stehe und
es gibt eine technische Panne oder so oder irgendwas fällt aus und ich
habe dann selber vielleicht gerade ausnahmsweise mal nichts zu blubbern,
dann frage ich manchmal, möchte jemand einen Ostfriesen Witze erzählen
oder so.
00:05:18.000
Raul Krauthausen: Und jeder andere hat einen Parat.
00:05:19.000
Enno Bunger: Und jeder Mensch kennt irgendwie immer einen Ostfriesen
Witze. Das sind natürlich immer sehr schlechte Witze, aber da bin ich ja
durchaus empfänglich für.00:05:25.000
Raul Krauthausen: Wie war denn deine Kindheit in Ostfriesland, um genau
zu sein, aus Leer kommst du?
00:05:30.000
Enno Bunger: Ja, um ganz genau zu sein, aus einem kleinen Dorf in der
Nähe von Leer. Also ich habe mich immer natürlich mehr so der Stadt
verbunden gefühlt, weil da war kulturell mehr los und ich war immer
schon irgendwie so ein kulturell interessierter Mensch. Und aber der
einzige kulturelle Ort im Dorf war immer die Kirche. Deswegen habe ich
da dann sehr viel rumgehangen und dann irgendwie schon früher am
Klavier und in der Orgel rum in die Tasten gekloppt. Und dort auch so
eine Art, ja, meine erste musikalische Förderung gefunden. Aber ich
komme von einem ganz kleinen familiären Bauernhof und habe da neben
einem Fußballplatz gewohnt und durfte da aber nicht hin.
00:06:04.000
Raul Krauthausen: Warum?
00:06:06.000
Enno Bunger: Ja, weil meine Mutter nicht wollte, dass ich fußballmäßig so
werde, weil ihre Opa vereingegrennt hat und die haben immer sehr viel
Alkohol getrunken. Das habe ich aber bei Arnd Zeigler neu schon
ausführlich erzählt, müsst ihr da mal reinhören. Also um jetzt nicht jedes
Mal dieselbe Geschichte zu erzählen.
00:06:21.000
Raul Krauthausen: Ich verstehe, was du meinst.
00:06:22.000
Enno Bunger: Aber das war auf jeden Fall hatte ich eigentlich insgesamt
würde ich sagen eine schöne Kinder. Das war nur bei mir so, dass ich
Allergien hatte gegen genau die Dinge, die bei uns zu Hause sehr viel da
waren, eben naturgegeben durch den Bauernhof, nämlich gegen
Rinderhaare, gegen Schimmelpilze, also was sich ja im Heu irgendwie
dann oder im Stroh so bildet und gegen Hausstaub. Ich meine, wir haben
auch viel geputzt und so. Aber ich war als Kind sehr, sehr viel krank und
immer vor allem, wenn ich dann, ich hatte eigentlich Bock mitzuhelfen. Ich
war sehr gerne immer draußen und auch bei den Tieren und so, aber ich
war dann immer auch krank. Und dann irgendwann haben wir festgestellt,
dass ich gegen den ganzen Kram Allergisch bin und habe dann natürlichumso mehr in der Bude gehockt und dann am Klavier gesessen. Also mein
Körper hat quasi entschieden, dass ich nicht in die Landwirtschaft gehen
kann, sondern weißt du, eher so mit so anderen Dingen zu tun haben sollte
oder so. Ganz witzig.
00:07:12.000
Raul Krauthausen: Das heißt, du hast gerade gesagt, dass du kulturell dann
doch lieber in Leer warst als in einem kleinen Dorf im Bauernhof, in dem
du aufgewachsen bist. Wie bist du denn zum Kirchenorganisten geworden?
Also das ist wohl das Instrument, das du gelernt hast ursprünglich.
00:07:28.000
Enno Bunger: Ja, das kam so. Ich hatte einen holländischen Klavierlehrer
und der hat mich immer eiskalt angelogen, als ich dann mit sechs, sieben,
acht Jahren irgendwie da angefangen hatte, Klavierinterricht zu
bekommen. Ich wollte unbedingt die ganze internationale Musik spielen.
Was weiß ich? Bruce Springsteen, Michael Jackson, Elton John und so.
Und er hat gesagt, das kenne ich nicht, musst du nach Gehör nachspiele.
Hat mich einfach angelogen.
00:07:49.000
Raul Krauthausen: Ach krass.
00:07:52.000
Enno Bunger: Und ich habe das dann geglaubt, ja in Holland, das kennen
die bestimmt nicht. Warum sollten sie auch?
00:07:55.000
Raul Krauthausen: Das kennen die nur aus Ostfriesland.
00:07:59.000
Enno Bunger: Genau. Und dann habe ich das nach Gehör auf dem Klavier
nachgespielt und konnte dann relativ früh alle Sachen, die im Radio liefen,
dann so nachspielen, schon mal die Melodien. Und dann irgendwann mit
Harmonielehre mich auseinandergesetzt und dann irgendwie so
Arrangements dafür gebaut und hatte dann einen riesen Katalog an Songs,
den ich spielen konnte schon so mit zehn, elf, zwölf. Und das haben dann
Leute mitbekommen und ich war dann schon sehr früh mit 13 hatte ich so
die ersten Engagements als Barpianist bei so, in so Cafés, in Hotelbars, in
Autohauseröffnungen und so Supermärkte und so. Also ich habe quasi
meine Karriere da begonnen, wo andere sie später beenden werden. Weißt
du, wie ich meine?00:08:33.000
Raul Krauthausen: Ja, ja. Da gibt es ja so einen Song von, wie heißt der
doch gleich? Ab und zu gibt es eine Strophe, wo Achim Menzel ein
Autohaus eröffnet. Achja, Reinhold Klebe.
00:08:42.000
Enno Bunger: Ja geil. Ich liebe Achim Menzel und ich liebe auch.
00:08:46.000
Raul Krauthausen: Auf jeden Fall. Genau. Reinhold Klebe singt das in
Brandenburg, wo Achim Menzel ein Autohaus eröffnet.
00:08:53.000
Enno Bunger: Ich muss immer bei so Leuten, Achim Menzel, muss ich
immer lachen, wenn ich mir ihn vorstelle.
00:08:58.000
Raul Krauthausen: Auf jeden Fall.
00:09:00.000
Enno Bunger: Dafür ist er ja auch bekannt, dass er einfach ein Lächeln ins
Gesicht legt.
00:09:03.000
Raul Krauthausen: Aber ich glaube, der lebt leider nicht mehr unter uns.
00:09:05.000
Enno Bunger: Nee, der lebt leider nicht mehr, naja.
00:09:06.000
Raul Krauthausen: Aber der war auf jeden Fall eine Figur. Also wenn ich
das richtig verstehe, ich bin wirklich totaler Banause, was
Musikinstrumenten angeht. Aber ein Kirchenorganist spielt Kirchenorgan,
richtig?
00:09:19.000
Enno Bunger: Das ist richtig. Genau. Und es war dann so, ich habe dann
tatsächlich so, es gibt in Ostfriesland, warst du schon mal da? Warst du in
Leer schon mal zufällig?
00:09:25.000
Raul Krauthausen: Nee, leider nicht.00:09:26.000
Enno Bunger: Hast du jetzt auch, das ist ein schönes kleines Städtchen,
aber es ist jetzt auch nicht so viel los, aber kann man mal machen. Und
jedenfalls in Leer ist es auch so, also das ist dann jetzt auch so eine Art
Ostfriesenwitz, es gibt in Leer einen Supermarkt. Also es gibt halt auch,
natürlich gibt es mittlerweile auch größere Sachen und so, aber damals in
den 70er, 80ern war halt ein Geschäftsmann, der hat halt da quasi so als,
mit als erstes so eine Shopping-Mall dahin geknallt und das ist halt Multi.
Und die Globalisierung ist in Ostfriesland mittlerweile auch angekommen.
Es gibt jetzt schon eine Kette von Multi, nämlich es gibt Multi Nord und
Multi Süd. Und bei 50 Jahre Multi wurde mir, wurde ich beauftragt dann,
dass ich, da wurde ein Flügel in die Gemüseabteilung geschoben und da
sollte ich dann Bar Piano spielen. Das habe ich dann den ganzen Tag
gemacht, hatte einen super Stundenlohn und das war auf jeden Fall ein
spannender Tag so. Und ich hatte dann mit dem Chef von Multi
ausgemacht, dass ich mich aber nicht wiederholen darf. Also ich hatte
einen hohen Satz, aber er meinte so, du darfst jetzt sechs, sieben Stunden
oder so was hier spielen, aber du darfst kein Lied zweimal spielen. Und
dann irgendwann war das dann so, dass ich am Ende immer nicht mehr
wusste, was ich spielen soll. Das Niveau der Songs, die ich spielte, sank
und irgendwann kam aber die Rettung in Form eines Einkaufswagens so
vorgeschoben. Da waren dann ganz viele Produkte, sondern dann konnte
ich dann, weiß ich nicht, Merci, Landliebe und Zottsahne, Joghurt und so,
dann irgendwie die Jingles alle spielen. Und dann haben mich da später
dann auch Pastoren beim Einkaufen gesehen, die dann meinten, ey, du
kannst ja alles spielen, hast du nicht Bock, uns sterben die ganzen
Organisten weg. Wir würden dir eine Orgelausbildung finanzieren, eine
Organistenausbildung.
00:10:58.000
Raul Krauthausen: Das heißt, du bist gar nicht über die Religion zu dem
Thema gekommen, sondern über die Musik?
00:11:02.000
Enno Bunger: Beides. Ich bin auch, ich kannte die Leute auch schon, die
kannten mich auch schon, ich war auch konfirmiert und so, aber die haben
dann da nochmal gemerkt, dass ich da so, ja, dann irgendwie da eine
Fähigkeit habe. Und dann konnte ich da so eine Ausbildung machen.
00:11:20.000
Raul Krauthausen: Und was für Instrumente beherrschst du noch?00:11:22.000
Enno Bunger: Standpauke? Nee, eigentlich nicht so viel. Also ich habe in
meiner Kindheit habe ich noch im Orchester Horn gespielt, also so
Waldhorn. Und dabei gibt es in Ostfriesland gar keinen Wald, da gibt es
nur noch Felder. Aber das habe ich gerne gespielt. Das ist ja so das
Instrument, was dann so bei den wichtigen entscheidenden Stellen bei Herr
der Ringe oder Harry Potter oder so, oder bei Star Wars oder so, wenn,
weißt du, das ist das Waldhorn meistens, was so diese superschöne, große,
weiche Melodie spielt.
00:11:51.000
Raul Krauthausen: Ja, ja.
00:11:52.000
Enno Bunger: Und das fand ich immer total toll. Aber bei mir klang das
leider, ich habe nicht genug geübt, bei mir klang das immer wie so ein
sterbender Elefant, wenn ich darauf gespielt habe.
00:11:59.000
Raul Krauthausen: Klang nicht wie bei Harry Potter.
00:12:02.000
Enno Bunger: Ja, das klang irgendwie wie Dumbo. Und ich habe ja dann
relativ, da so vier Jahre damit aufgehört, bin halt nicht weitergekommen
irgendwie damit. Aber ich habe so, genau Klavier und so ein ganz bisschen
Gitarre spiele ich noch. Ich übe auch gerade wieder jetzt für die Tour, weil
ich da auch ein bisschen Gitarre spielen möchte, ein bisschen E-Gitarre
und eigentlich auch sehr viel mehr Rockmusik höre selber als jetzt so
Klaviermusik. Also ich komme eher so aus dem Indie und Rock, so von
dem, was ich selber mag. Und ja, wie ist das bei dir? Was hörst du so
eigentlich hauptsächlich? Was sind so deine Lieblings, hast du
Lieblingsbands? Was ist so bei dir?
00:12:31.000
Raul Krauthausen: Ich glaube, ich bin der einzige Mensch auf diesem
Planeten, der keine Musik hört.
00:12:33.000
Enno Bunger: Wirklich?
00:12:35.000
Raul Krauthausen: Ja, also ich weiß auch nicht, was mit mir da passiert ist.
Ich höre auf jeden Fall Radio und ich höre Musik, aber nicht aktiv, nichtim Sinne von, ich habe eine Lieblingsband oder ich habe unbedingt ein
Album oder so. Ich habe als Spotify und dann drücke ich irgendwie
Playlist an und dann läuft irgendwas rumgedudelt.
00:12:54.000
Enno Bunger: Ja.
00:12:55.000
Raul Krauthausen: Manchmal höre ich, warst du im Deutschlandfunk,
zuletzt bin ich auf Elif gestoßen, die ich ganz cool fand und dann habe ich
mich da einmal so durchgehört. Und manchmal höre ich das nochmal,
aber ich bin jetzt kein Fan von irgendeinem großem oder großen
Musikerinnen.
00:13:10.000
Enno Bunger: Krass und wirst du nicht sagen, dass du irgendwie einen
Song hast, der dich irgendwie berührt oder wo du dir vielleicht mal
geholfen hast? Bei mir ist es so, ich kann ohne Musik fast nicht weinen,
aber wenn ich Musik höre oder mache, dann kommt alles raus und dann
werde ich emotional. Und deswegen, um das zu können, nur deswegen
mache ich das alles, um mir selber näher zu sein.
00:13:29.000
Raul Krauthausen: Ich glaube, ich habe früher vier Jahre beim Radio
gearbeitet und da lief permanent Musik. Und vielleicht habe ich mir das da
eigentlich abtrainiert, weil es einmal die ganze Zeit Musik lief und ich froh
war, zu Hause keine Musik zu hören.
00:13:42.000
Enno Bunger: Was für ein Radio war das?
00:13:44.000
Raul Krauthausen: Das Radio Fritz.
00:13:45.000
Enno Bunger: Achso, ja.
00:13:46.000
Raul Krauthausen: Ich habe aber eben auch alles gehört, was man so hörte
zu der Zeit und kannte dann irgendwie auch alles und war dann auch, ich
weiß nicht, das war dann auch so… Ich habe nie die Gelegenheit gehabt,
irgendwie dann so Fan von etwas zu werden. Bevor ich beim Radio war,
habe ich viel Funny Van Dannen gehört, den ich einfach sehr witzig finde,immer noch finde. Es gibt ein großartiges Theaterstück im deutschen
Theater mit seinen Songs, kann ich dir empfehlen, wo Jürgen Kuttner die
Hauptrolle spielt. Ich weiß nicht, ob du den kennst, Berliner Radio
Legende.
00:14:16.000
Enno Bunger: Ja, ja.
00:14:17.000
Raul Krauthausen: Und das ist sehr witzig und da habe ich mich auf jeden
Fall wieder zurückerinnert gefühlt an meine Jugendzeit.
00:14:23.000
Enno Bunger: Cool.
00:14:24.000
Raul Krauthausen: Aber sonst, das heißt nicht, dass ich Musik nicht mag,
sondern das heißt einfach, dass ich kann alles hören und ich kann allem
etwas Schönes finden. Ich kann auch Helene Fischer total abfeiern, weil
ich einfach denke so, was für…
00:14:38.000
Enno Bunger: Das können viele.
00:14:39.000
Raul Krauthausen: Ja, natürlich. Aber ich habe im Studium Gesellschaft
und Wirtschaftskommunikation studiert und ich glaube, da hat man uns
beigebracht, Kunst von Handwerk zu trennen. Also du kannst Respekt bei
dem Handwerk haben, ohne die Kunst zu mögen und so ist es bei Helene
Fischer.
00:14:56.000
Enno Bunger: Voll, sehe ich auch so. Natürlich gibt es so Sachen, die ich
absolut geschmacklos finde, aber handwerklich muss man ja immer
erstmal auf diese Dinge so kommen und es ist bei mir auch so, ich mache
das so nebenbei, so aus Spaß manchmal, dass ich auch selber so nur aus
Spaß und nur aus so Gag und auch niemals, weil ich irgendwas davon
veröffentlichen möchte, aber so manchmal so irgendwelche wirklich
schlechten Schlager schreibe, also so mit ganz miesen Texten und dann
auch so mir vorstelle, ich wäre jetzt der und der. Also ich stelle mir dann
vor, ich bin jetzt, keine Ahnung, ich sage jetzt also nicht, dass ich das
gemacht hätte, aber ich bin jetzt Teil der Kastelruther Spatzen oder der
Flippers oder ich bin jetzt Bernhard Brink oder ich bin jetzt Peter Maffayund singe dann so und so. Und irgendwie manchmal macht das Spaß und
dann habe ich auch wieder so die Freude daran, auch so ein bisschen
ironisch Musik zu interpretieren. So und das ist auch so ein Spielplatz, den
ich dann ja früher auch als Barpianist so ein bisschen gemacht habe.
00:15:56.000
Raul Krauthausen: Ja, das doch super.
00:15:57.000
Enno Bunger: Ja und so bin ich ja auch zur Musik eigentlich gekommen,
dass ich einfach eine Freude hatte an allem. Ich habe früher als Kind
Prinzen, Scooter und so weiter alles auf dem Klavier gespielt, was ich halt
auf dem Bravo Hits dann, was dann da so drauf war und was ich halt
mochte irgendwie so mit sechs, sieben Jahren.
00:16:10.000
Raul Krauthausen: Ja.
00:16:11.000
Enno Bunger: Und das war auch total witzig, weil ich habe vor ein paar
Jahren mal HP getroffen und auch den Keyboarder Rick, der damals dann
dabei war. Der HP kommt ja auch aus Leer, aus Ostfriesland.
00:16:20.000
Raul Krauthausen: Okay.
00:16:21.000
Enno Bunger: Wir hatten sogar denselben Musiklehrer. Nur bei ihm war
der sehr jung, bei mir war der kurz vorm Renteneintrittsalter und ich habe
gehört, ich weiß nicht, ob das stimmt, aber man sagt, dass HP damals die
Schule wechseln musste oder sitzen geblieben ist, weil er eine Fünf in
Englisch und in Musik hatte. Und dann sage ich so heute, ja, scheiße, dass
ich nicht Bio und Chemie hauptberuflich irgendwas mitgemacht habe, weil
da kommen halt spannende Sachen bei raus. Vielleicht, wenn man dann
etwas laut Schule nicht so gut vielleicht ist, aber es ist ja gerade total
interessant, wie man dann, was man selber so für Ideen hat.
00:16:55.000
Raul Krauthausen: Stell dir mal vor, du bist der Musiklehrer und du bringst
dann so viele prominente Leute hervor. Ist doch auch geil, oder?00:17:00.000
Enno Bunger: Ja, wobei, es war bei ihm ja nur kurz, also der war nur ein
halbes Jahr, glaube ich, in der Klasse bei ihm. Aber soweit ich weiß,
stehen die immer noch in Verbindung.
00:17:08.000
Raul Krauthausen: Ist doch eine tolle Geschichte, wenn man sagen kann, ja,
Enno Bunger, HP Baxter, die sind bei mir zur Lehre gegangen.
00:17:15.000
Enno Bunger: Grüße an Albrecht an der Stelle, falls er hört.
00:17:18.000
Raul Krauthausen: Meine Frau, die ist jünger als ich und die hört viel Hip-
Hop. Und Hip-Hop ist, glaube ich, so ein Genre, dass ich kaum, also
deutscher Hip-Hop vor allem.
00:17:29.000
Enno Bunger: Aber es gibt ja verschiedene Abstufungen im deutschen Hip-
Hop. Es gibt so diesen Gangsta Rap, so, und ich hab die geilsten
Klamotten und ich hab super viel Geld und ich nehme so viele Drogen und
ich bin so hart und ich bin so super. Und dann gibt es aber den
intelligenten Hip-Hop und was hört sie davon?
00:17:42.000
Raul Krauthausen: Alligatoah oder so, ne, genau.
00:17:44.000
Enno Bunger: Ja, das würde ich sagen, intelligenter Hip-Hop, weil das ist
ja eine großartige, also ist ja ein Genie.
00:17:48.000
Raul Krauthausen: Voll, aber es gibt eben auch Bushido und Sido und Kool
Savas und wie sie alle heißen. Und wenn man sich die Texte anhört, das
geht ja eigentlich alles gar nicht. Aber mir ist ja neulich aufgefallen, bei
Udo Lindenberg, der ist jetzt, keine Ahnung, gestern auch fast 200 Jahre
alt oder so.
00:18:08.000
Enno Bunger: Ja, ich glaub, der ist doch unsterblich.00:18:19.000
Raul Krauthausen: Ich glaub auch, ja. Und um jung zu bleiben, machen ja
immer so Kollabos mit, also zum Beispiel Apache 207.
00:18:19.000
Enno Bunger: Ja.
00:18:20.000
Raul Krauthausen: Und das find ich auch wieder irgendwie clever.
00:18:22.000
Enno Bunger: Es ist natürlich wirtschaftlich absolut clever, unbedingt. Hat
Otto ja auch gerade gemacht mit Shi Agu.
00:18:27.000
Raul Krauthausen: Genau, und wer es aber überhaupt nicht macht, ist
Nena.
00:18:29.000
Enno Bunger: Ja.
00:18:31.000
Raul Krauthausen: Die ja wahrscheinlich auch 170 Jahre alt ist. Und die
singt immer noch in der Helene Fischer Show 99 Luftballons.
00:18:41.000
Enno Bunger: Nena hat ja, ja, die hat aber ja den Trick, das müssten wir
vielleicht alle machen. Nena trinkt Mondwasser. Also sie hat auf dem
Catering Rider, soweit ich weiß, stehen, dass das Wasser, was sie trinkt,
bei Vollmond abgefüllt ist.
00:18:54.000
Raul Krauthausen: Okay.
00:18:55.000
Enno Bunger: Und ich glaube, das ist der Trick, wie man dann so jung
bleibt. Also das muss ich dann auch bald ausprobieren, weil bei mir geht
es auch so ein bisschen los, mit so Alterungserscheinungen äußerlich und
vielleicht ist das der Trick.
00:19:03.000
Raul Krauthausen: Ich find es irgendwie tragisch, wenn man noch so eine
Vergangenheit hinterher trauert und versucht, sie zurückzuspielen, indemman immer noch die Hits von damals spielt, anstatt sich versuchen neu zu
entwickeln.
00:19:17.000
Enno Bunger: Ja. Aber da würd ich, also auch wenn ich ansonsten so, in
der Corona-Phase gab es ja so ein paar Äußerungen von Nena, wo ich
überhaupt nicht mit konform bin.
00:19:25.000
Raul Krauthausen: Ja.
00:19:26.000
Enno Bunger: Aber ansonsten hab ich eigentlich, ich war selber durfte
einmal eröffnen für sie in einem Abend und hab sie unfassbar nett und
herzlich in Erinnerung und fand das total…
00:19:40.000
Raul Krauthausen: Das stieß damit aus.
00:19:41.000
Enno Bunger: Wir haben danach noch zusammen irgendwie eine Stunde
irgendwie im Black Stage zusammen rumgesessen. Die war unfassbar nett
und das hieß davor, die wäre unglaublich schwierig und sie war das
absolute Gegenteil. Ich glaub, das Management um sie herum ist
irgendwie so ein bisschen schwierig. Aber ich finde so, es gibt
wahrscheinlich keine, also aus Deutschland fast niemanden, der
erfolgreicher war international als sie. Und ich glaube, wenn du so ein
Hit, ich mein, ich spiel jetzt ja auch, ich mach es jetzt seit 2007, bin ich
Musiker. Ich war gestern bei Radio 1, hab so ein kleines Radiokonzert, so
vier Songs gespielt. Und ich hab auch ganz bewusst einfach um auch die
Leute, die mich vielleicht noch nicht kennen oder auch die, die nur ein Lied
von mir kennen, das bekannteste Lied von mir als erstes gespielt, um zu
sagen hier, das bin ich, da ist er wieder. So weil ich auch dann, manchmal
ist es auch schön, mit so einem alten Lied erst mal so reinzukommen, sich
so eine Sicherheit zu erspielen, wie so eine Aufwärmübung so ein bisschen.
Wobei es eigentlich ein Trauma ist, worüber ich da singe, aber für mich ist
das so eine Aufwärmübung. Und dann kann ich jetzt in die neuen Sachen
reingehen, die natürlich noch nicht so durchchoreografiert sind, wo ich
noch ein bisschen wackeliger, unsicherer und auch emotionaler bin. Weil
es noch neu ist und weil ich da ja auch über sehr persönliche oder sehr
emotionale Dinge singe und die noch nicht perfekt beherrsche wie jetzt ein
zehn, elf, zwölf Jahre altes Lied. Ich bin auch manchmal so, ich denke auchimmer so, ja wer will denn oder man ist vielleicht glaube ich auch sehr
genervt, wenn man auf eine alte Sache reduziert wird, immer wieder. Aber
so ist leider der Lauf der Dinge und gleichzeitig ist es dann auch so, wenn
man einmal so einen Hit hatte, dann ist das ja auch das Ding, das einen
dahin gebracht hat, dass man überhaupt von der Musik irgendwie leben
kann und das überhaupt machen darf. So es ist halt immer ein Fluch und
ein Segen so einen Hit zu haben. Ich habe zum Glück nicht so einen super
Hit, aber das heißt bei mir auch, es ist weiterhin ein Kampf. Also ich habe
es noch nicht geschafft, ich muss es immer wieder, jedes Mal wieder
schaffen. Ich weiß noch nicht, ob ich in fünf Jahren immer noch von
meiner Musik leben kann. Aktuell kann ich das, aber das ist noch lange
nicht gesagt, dass ich das in drei, vier, fünf Jahren noch kann.
00:21:37.000
Raul Krauthausen: Ich finde das so geil. Genau solche Fragen hatte ich mir
aufgeschrieben und im Gespräch beantwortest du quasi einen Großteil
davon. Und dann, finde ich, entsteht erst so dieses Gespräch, Gespräch.
Wenn du auf der Bühne stehst, hast du manchmal diesen Moment, wo du
denkst so, oh Gott, den Song kann ich eigentlich gar nicht mehr spielen.
Also habe ich keinen Bock mehr drauf, langweilt mich.
00:21:57.000
Enno Bunger: Wenig. Weil meistens ist es so, dass ich so eine
Grundmotivation habe, also erst mal ist das allerliebste, was ich tue im
Leben, Konzerte spielen und auf der Bühne zu sein, dass wenn ich etwas
kann, ich würde nicht sagen, dass ich viel kann, aber wenn ich was kann,
dann das. Das ist meine Fähigkeit, mein Talent oder so, weiß nicht.
Jedenfalls da fühle ich mich zu Hause, da fühle ich mich wohl. Deswegen
passiert es manchmal auch, dass ich vielleicht zu lang spiele, so in letzter
Zeit. Das ist aber auch vielleicht so ein bisschen ähnlich, wie Kurt Krömer
mal erzählt hat, dass er in Phasen seiner depressiven Episoden viel zu lang
auf der Bühne war, weil er das einfach so sehr liebt und danach keinen
Bock hatte, wieder zurück in die Einsamkeit oder so zu gehen. Das geht
mir auch manchmal so, aber es ist dann auch glücklicherweise so, dass bis
jetzt das Publikum noch nicht weggerannt ist, sondern die bleiben dann
auch da und manchmal ist es auch so, dass wenn ich dann so einen
Soloabend am Klavier mache und ich bin, dann will ich manchmal
zweieinhalb Stunden auf der Bühne erzählen, Geschichten und singen die
Songs und dann kommen noch irgendwelche Wünsche dazu, dass manche
Leute dann sagen, das war das schönste Konzert, da wo du so unfassbar
lange und wir einfach so voll die Zeit, man hat gar nicht gemerkt, wie dieZeit vergangen ist und irgendwie wir waren so voll drin. Deswegen ist es
meistens nicht so, dass es mir irgendwie unangenehm ist. Es kann nur
manchmal sein, ich mache ja relativ melancholische, nachdenkliche,
zeitweilig traurige Musik. Das ist so irgendwie Musik, der ich mich von
Anfang an schon immer, seitdem ich auf der Welt bin, eher verbunden
fühle als der fröhlichen, tanzbaren Musik. Und ich habe aber selber auch
manche Songs, die sind eher fröhlich und tanzbar und manchmal fällt es
mir schwerer, die zu singen, weil ich es vielleicht selber gerade nicht so
sehr fühle. Es gibt lustigerweise, es ist auch witzig, dass wir heute im
Aufzug sind, es gibt ein Lied, es ist ein Liebeslied, ein fröhliches, völlig
übertriebenes, lustiges Augenzwinklein, das heißt „Heimlich“, da singe ich,
das hat so ein 80s Baywatch Vibe, das war so 2015, dachte ich, ich
überzeichne das alles mal. Und das ist auch so ein bisschen kitschig und
bescheuert eigentlich, also lustig gemeint, aber irgendwie auch trotzdem
ernst gemeint. Da singe ich heimlich, jetzt weiß ich den Text nicht mehr,
heimlich fühle ich mich bei dir zu Hause, heimlich will ich ständig bei dir
sein, mit dir will ich im Fahrstuhl stecken bleiben, mit dir bin ich weniger
allein. Also deswegen musste ich gerade daran denken, weil wir jetzt im
Aufzug sind und mit dir bin ich auch im Fahrstuhl stecken.
00:24:18.000
Raul Krauthausen: Aber eigentlich ist es doch viel cooler, wenn die
Künstlerin auf der Bühne einfach ewig weiterspielt, als so nach 90 Minuten
aufhört.
00:24:27.000
Enno Bunger: Finde ich auch, aber jetzt sind wir ja in so einem Alter
gerade, ich merke das auch immer mehr so in meinem Umfeld, in meinem
Freundeskreis, die Leute haben immer weniger Zeit, wir sind alle so in
diesem Momo-Modus, so dass alle so hustlen und rennen, weil sie jetzt
irgendwie gerade Familien haben oder dies oder das und irgendwie alle,
keine Ahnung, alles wird teurer, man muss immer mehr arbeiten, um
überhaupt irgendwie sich das leisten zu können und so.
00:24:50.000
Raul Krauthausen: Ja, das stimmt.
00:24:51.000
Enno Bunger: Manche Leute sind halt tatsächlich überarbeitet und haben
manchmal nicht mehr die Ruhe, sich ein Zwei-Stunden-Konzert
anzugucken, es sei denn, das ist Bruce Springsteen, da kann das dann
natürlich jeder, ich auch, aber ja, manche Leute sind dann vielleicht,sagen, ja, nö, eine Stunde reicht auch, mehr muss ich dann gar nicht sehen.
Aber das sind meistens, glaube ich, auch die Leute, die eher hauptberuflich
auch Kultur machen, dass die halt so schon ein bisschen uübersättigt sind,
weil sie zu viele Konzerte und zu viel Zeug sehen.
00:25:16.000
Raul Krauthausen: Aber die Konzerte mag ich wirklich am liebsten, wo der
Künstler dann auch völlig frei dreht und nicht so, dass die Settlist abspielt,
die er vorbereitet hatte oder sie, sondern einfach man merkt, er oder sie
genießt den Moment jetzt gerade wirklich und interagiert mit dem
Publikum. Funny Van Dannen hat früher zwei Flaschen Wein auf der
Bühne getrunken.
00:25:36.000
Enno Bunger: Wow.
00:25:37.000
Raul Krauthausen: Das musste er auch erst mal schaffen.
00:25:38.000
Enno Bunger: Ja, stabil.
00:25:40.000
Raul Krauthausen: Dann wird er am Ende einfach auch wirklich lustig.
00:25:41.000
Enno Bunger: Ja, geil.
00:25:42.000
Raul Krauthausen: Zum Glück wird er lustig.
00:25:44.000
Enno Bunger: Ja, weiß ich nicht, ob ich das könnte. Also ich werde, glaube
ich, auch lustiger durch Alkohol, aber man glaubt, man wird besser, wenn
man sich dann die Aufnahme anhört, dann wird man, nee.
00:25:56.000
Raul Krauthausen: Aber bei Fanny Van Dannen ist ja der Witz, dass es halt
irgendwie okay genug ist, es reicht schon. Und dann den Humor
rauszugeben. In diesem Theaterstück, von dem ich vorhin erzählt habe, im
Deutschen Theater, da gab es eine Szene, wo die Schauspielerinnen so
lachen mussten, aber ungeplant lachen mussten, weil die Texte halt auch
so absurd sind, die sie da singen. Und das ist einfach so schön. Ich magsolche Momente, wo das so aus dem Skript fällt und das ganze Publikum
mitlacht, weil das einfach wirklich absurd ist. Das kann ich sehr
empfehlen. Also wenn das noch läuft und du Funny Van Dannen Fan bist,
dann auf jeden Fall machen.
00:26:31.000
Enno Bunger: Geil, das schreib ich mir direkt auf.
00:26:33.000
Raul Krauthausen: Du hast gerade gesagt, da wollte ich doch mal darauf
eingehen. Manchmal sitzt du da und schreibst gerne Schlagerlieder aus
Spaß und Freude. Und erinnere mich an ein Radiointerview, das Phil
Collins mal gegeben hat, der ja auch so wahrscheinlich der Meister in
stolzigen Liebessongs ist. Und der sagte mal, da gab es gerade so eine
Chorl-In-Sendung und da konnten die Leute anrufen und Tipps von ihm
bekommen, wie man Songs schreibt. Und dann meint er irgendwann, dass
er erst den Text hat und dann die Melodie drumherum baut oder
andersrum, ich weiß nicht genau. Auf jeden Fall immer dann, wenn du
denkst, das kannst du nicht machen, das ist so kitschig, immer dann musst
du weitermachen. Also auf die 12, jedes Mal so richtig krass, dass wenn du
das als reinen Text liest, das unausstehlich ist.
00:27:19.000
Enno Bunger: Und da habe ich dann immer das Gefühl, dass es im
Englischen genau richtig ist und funktioniert.
00:27:25.000
Raul Krauthausen: Im Deutschen geht es nicht.
00:27:28.000
Enno Bunger: Irgendwie nicht. Also im Deutschen hast du dann nämlich
genau das, dann hast du Schlager und dann kriegst du… Ich meine, es gibt
ja nicht mehr viel Musikpresse, da kann man auch sagen, Fluch und Segen,
weil ich habe immer… Mein erstes Album ist vielleicht ein bisschen so, ich
habe da echt einfach nur aufgeschrieben, was ich gerade fühle und denke.
Gar nicht so viel in Metaphern und so. Ich war da auch 19, 20 Jahre alt,
als ich das geschrieben habe, also wirklich irgendwie noch ein bisschen
emotionaler, als ich vielleicht heute bin. Also in dem Sinne, dass ich nicht
so verkopft war. Also jetzt bin ich auch immer noch emotional, aber ich
denke und reflektiere auch sehr viel und habe vielleicht an den Sprachen
sehr viel höheren Anspruch als damals. Und kenne auch mehr Worte
mittlerweile als damals. Aber es wäre dann so, wenn ich so arbeitenwürde, dann wäre es wahrscheinlich automatisch Schlager und dann
würde man direkt so von der Musikkritikerpresse aufs Maul bekommen für
die flachen, stumpfen Texte.
00:28:20.000
Raul Krauthausen: Gibt es irgendeinen Genre, das dir schwerer fällt?
00:28:21.000
Enno Bunger: Zu hören oder zu machen?
00:28:22.000
Raul Krauthausen: Zu machen.
00:28:24.000
Enno Bunger: Ja nun ist es ja so, ich spiele Klavier und ich beherrsche,
würde ich sagen, eher so diese melancholische balladenhafte Stimmung
irgendwie. Eher so mit Tempo als Abtempo auf der jetzigen Platte, die jetzt
gerade rauskommt, die heißt „Der beste Verlierer“, da mache ich das
gerade gar nicht mehr. Ich singe da nur noch bzw. ich habe so eine
Mischung aus Sprechgesang und Singen, aber ich habe auf den letzten
beiden Platten mich so ein bisschen noch mehr im Sprechgesang
ausgetobt. Also man könnte sagen, es ist Rap, aber es ist bei mir relativ
langsamer Rap. Also es ist ein bisschen ja nicht so schnell. Und da habe
ich so gemerkt, als ich die Sachen im Studio eingesungen habe, ob es jetzt
ein Lied ist wie „Rennen“ oder wie „Wo bleiben die Beschwerden“, was ja
so ein Song ist gegen rechts oder ob es jetzt „Ponyhof“ ist oder so, dass ich
mittlerweile diese Lieder viel besser singen kann, weil ich im Studio das
Timing, also dieses „Late-Back-Gefühl“ und so was noch nicht so konnte,
was man im Rap unbedingt braucht, so diese Entspanntheit irgendwie. Ich
bin da zu sehr, sage ich mal, mucker gewesen, weil ich so eine
musikalische Ausbildung habe, dass ich dachte, die Worte müssen auf den
Zählzeiten sein. Also das macht man so automatisch, wenn man
musikalisch ist und auch so durch diese Organistenausbildung so, bin ich
da manchmal zu spießig und zu korrekt. Und dann ist es irgendwie so ein
bisschen, dann hat es diese Coolness nicht, die es eigentlich braucht. Und
das kriege ich jetzt live hin, aber auf den Platten finde ich im Nachhinein
ist mir das nicht so gut gelungen. Aber ich kann froh sein, dass es trotzdem
irgendwie noch Leute gehört haben und immer noch hören. Und die
scheinbar nicht stört, aber mich stört es. Also ich kann mir das nicht mehr
anhören tatsächlich.00:29:59.000
Raul Krauthausen: Bei so modernen Pop-Songs, keine Ahnung, Nina Chuba
oder Shirin David oder so, da ist mir aufgefallen, da wird mit Absicht
scheinbar der letzte Buchstabe, meint man so, weggeschnitten. Also dann
wird das D oder das T weggelassen oder es wird statt „meinen“ nennen,
wird „mein“ gesagt, obwohl es grammatikalisch falsch ist. Hat das was
damit zu tun, dass man in diesem Takt bleiben will?
00:30:24.000
Enno Bunger: Ich glaube ja, es hängt da viel mit der Rhythmik zusammen,
dass das Deutsche, das Überkorrekte in der Aussprache manchmal auch
ein bisschen spießig wirkt. Gerade wenn man so eher so eine
Verwandtschaft zum Hip-Hop hat oder sowas, das ist eher versucht,
umgangssprachlich und direkter und dadurch auch so ein bisschen
glaubwürdiger zu sein, glaube ich.
00:30:41.000
Raul Krauthausen: Aber lässt du auch manchmal Silben weg?
00:30:43.000
Enno Bunger: Ja. Für den Sprachrhythmus. Also so „meinen“ mache ich
auch meistens, dass es „mein“ ist oder so. Also gerade so diese letzten
Silben kann auch bei mir durchaus passieren. Also ich würde jetzt ja auch,
wenn ich jetzt gerade zum Beispiel sage „kann auch passiernn“, ich sage
nicht „kann auch passieren“. Weißt du, also ich versuche immer irgendwie
schon die deutsche Sprache in ihrer Schönheit irgendwie so abzubilden
und auch in ihrer Korrektheit so. Aber was ich nie machen würde, was
mich total triggert immer, ist, wenn ich Fußball gucke, ich gucke sehr
gerne Fußball. Und das ist irgendwie seit zwei, drei Jahren total, sag ich
mal, in Mode, wie man als Ostfriese sagen würde, dass man sagt „was ein
Tor“. Und das macht mich so wütend. Es heißt „was für ein Tor“. Und
jedes Mal kann ich mich da nicht mehr freuen, weil der beschissene
Moderator immer dann sagt „was ein Tor“ und ich „alaa“. Und dann
denke ich immer „oh nee, das ist irgendwie“. Und das finde ich ist, auf
mich wird das gekünstelt cool. Aber das ist, da habe ich wahrscheinlich
den Stock im Arsch und kann nicht.
00:31:44.000
Raul Krauthausen: Sprache ändert sich.
00:31:46.000
Enno Bunger: Da bin ich da wahrscheinlich, da werde ich jetzt alt.00:31:37.000
Raul Krauthausen: Der Boomer.
00:31:38.000
Enno Bunger: Genau.
00:31:40.000
Raul Krauthausen: Enno Boomer.
00:31:41.000
Enno Bunger: Was ich dich noch fragen wollte, wir haben gerade über
Konzerte gesprochen. Was waren so, hast du so drei Top-Konzerte, die dir
einfallen, die dich umgehauen haben, so die du zuletzt gesehen hast oder
irgendwann in deinem Leben, wo du sagst „oh ich bin so froh da gewesen
zu sein, das erlebt zu haben“, was war das so?
00:32:08.000
Raul Krauthausen: Super Frage. Also ich war immer bei Herbert Grönemey
im Olympiastadion in Berlin.
00:32:13.000
Enno Bunger: Weißt du welches Jahr?
00:32:15.000
Raul Krauthausen: Das war halt das Menschalbum, ich weiß nicht mehr
genau.
00:32:19.000
Enno Bunger: Oh wow, ja. Das kam ja so 2001 oder so glaube ich raus.
00:32:22.000
Raul Krauthausen: Irgendwie so in dem Dreh, genau. Und ich muss sagen,
so ein Olympiastadion zum Beben zu bringen, das muss er auch erstmal
können. Und dann auch zu unterhalten und auch zu sehen, dass da keine
Ahnung, dass es da so eine Dynamik gibt. Natürlich sind die Fans auch dir
super wohlgesonnen, aber diese Dynamik, dass du damit auch interagiert
und spielst und dich selbst nicht zu ernst nimmst. Und dann auch sagt, dass
er überhaupt nicht tanzen kann, aber jetzt eine riesige Bühne hat und tanzt
los und so. Also das ist halt sehr witzig. Das hat mich sehr beeindruckt
damals schon, aber man sitzt halt als Rollstuhlfahrer ganz hinten und dann
siehst du halt nichts.00:32:57.000
Enno Bunger: Ach scheiße.
00:32:59.000
Raul Krauthausen: Das war ein bisschen ärgerlich.
00:33:00.000
Enno Bunger: Aber das ist ja nicht immer so oder? Es gibt ja auch
Konzerte, also bei mir zum Beispiel gibt es immer auch, wenn ich bestuhlte
Konzerte spiele, dann ist es eigentlich immer so, dass es zumindest da die
vordere Reihe immer für Rollstuhlfahrer reserviert ist und wir auch darauf
achten, dass es so ist.
00:33:14.000
Raul Krauthausen: Aber im Olympiastadion wird vorne halt gepogut oder
gepogt oder wie man sagt. Und da ist dann für Rollstuhlfahrer eher
ungünstig. Deswegen sitzen sie meistens hinten. Aber ich war jetzt zuletzt
nach Corona, das erste Konzert, auf dem ich war, das war tatsächlich in
der Max Schmeling Halle bei Alligatoah.
00:33:28.000
Enno Bunger: Ach krass.
00:33:34.000
Raul Krauthausen: Und da muss ich schon sagen, also ich war in der
gleichen Halle vor der Corona Pandemie bei David Hasselhoff. Einfach
so, weil es geht.
00:33:40.000
Enno Bunger: Geile Mischung, ja. Aber das hätte ich auch alles sehr gerne
gesehen. Also alle drei Konzerte war ich nicht, das hätte ich alles sehr
gerne gesehen. Aber natürlich, David Hasselhoff war für mich so ein
Kindheitsidol natürlich.
00:33:51.000
Raul Krauthausen: Ja und das verrückte ist aber, David Hasselhoff, das war
ja nur Cringe und du gehst ja hin, um dich lustig zu machen, was
eigentlich auch super tragisch ist. Über so einen alten Mann, der nicht
weiß, wann er aufhören soll. Und dafür aber war er wirklich auch, hat sich
selbst auch sehr auf die Schippe genommen und auch damit gespielt, dass
er vielleicht zu spät den Absprung gefunden hat. Hat auch viel über seine
Alkoholkrankheit gesprochen und so, ziemlich interessant. Und da warenhalt Fans, die wirkliche Fans waren. Also so Night Rider Fans, Baywatch
Fans, die auch in der Kutte rumliefen, wie in dem Film. Das waren echte
Fans und das war auch schön zu sehen, dass die irgendwie irgendwie
Helden noch einmal sehen wollen. Aber der hat die Halle halt nicht voll
bekommen und dann hat man die oberen Ränge mit Mollton abgehangen,
damit es nicht so leer aussieht. Und dann Jahre später bei Alligatoah in
der gleichen Halle zu sein und zu sehen, wie die aussehen, wenn die
ausverkauft ist, das ist einfach echt nochmal eine ganz andere Dynamik.
Der hatte so eine geile Bühne, wo so Förderbänder waren und auf den
Förderbändern liefen immer Pakete von links nach rechts. Und manchmal
auch die Musiker von links nach rechts. Und das Thema war die ganze Zeit
irgendwie Baustelle oder Logistik oder irgendwie so. Alligatoah versteht es
halt auch, die ganze Halle zu unterhalten und einfach abzufackeln. Und es
gab so eine Vorband, so ein Typ, ich habe seinen Namen vergessen,
ärgerlich, Hermann, kann das sein, der Künstler der Hermann heißt. Und
der war so sehr melancholischer als Singer, Songwriter und da war ich
schon beeindruckt. Okay, ja, 4000 Leute unterhalten, war nett, so. Aber
dann kommt Alligatoah und auf einmal sind 3000 Leute mehr in der Halle,
weil das war halt das Vorprogramm. Und der fackelt das richtig ab. Diese
Steigerung fand ich einfach schön zu sehen. Und ich mag das, wenn dann
so eine Gruppeneuphorie quasi entsteht und alle feiern, weil alle feiern.
00:35:35.000
Enno Bunger: Ja, das war ja auch, wenn es nach der Pandemie war, habe
ich damals auch, wenn ich da auf Konzerten war, so eine extreme
Ausgelassenheit empfunden und gespürt, als ich nach der Pandemie zum
ersten Mal auf dem ersten Hurricane Festival nach der Pandemie war.
00:36:09.000
Raul Krauthausen: Als Zuschauer oder als Künstler?
00:36:11.000
Enno Bunger: Als Zuschauer. Ich war 2019, habe ich selber spielen dürfen
und dieses Jahr werde ich wieder spielen dürfen. Und ich bin dann aber
selber so 22, letzten Sommer, glaube ich, war das? Ne, vorletzten, genau,
22 im Sommer. Ich habe so einen kleinen Camper und bin dann damit
dahin gefahren, habe dann da auch gecampt und war das ganze
Wochenende da. Und das war so geil. Also wir sind da alle so, wir waren
alle so verbunden irgendwie für die Musik dort und haben sehr
ausgelassen gefeiert. Ich habe jetzt auch nicht nur so stumpf gesoffen,
sondern es waren sehr viele, was mich immer freut, wenn Menschen auch
nüchtern sich freuen und Spaß haben können. Was nicht heißt, als ichnichts getrunken hätte. Aber, weißte nicht mehr so, wie das früher war, als
ich so 17, 18 da war, dass man halt sich so einfach so drei Bierrutschen da
irgendwie rein knallt und dann einfach nichts vom Fest über mitbekommt
und denkt, das wäre jetzt toll. Also maximal dumm einfach nur. Ja, das
fand ich sehr, sehr schön zu spüren, dass die Kultur wieder da ist und
Leute so Bock haben darauf, auf die Konzerte.
00:37:08.000
Raul Krauthausen: Was ich ein bisschen krass finde, ist, wie krass die
Konzertticketpreise angezogen haben im Vergleich zu früher. Ist es da,
liegt es unter anderem daran, weil man mit Spotify und Co. kaum noch
Geld verdient?
00:37:22.000
Enno Bunger: Das hat ganz viele Gründe. Also bei mir ist es auch so, wenn
ich jetzt von meiner Tour mal spreche, 2019 waren wir, glaube ich, habe
ich noch, ich habe ein Konzert in der Großen Freiheit gespielt. Das waren
da irgendwie, glaube ich, in Hamburg 1200 Leute. Das war mein bis dahin
größtes eigenes Headline-Konzert, kann man so sagen. Und da kam
danach der lokale Veranstalter auf mich zu von FKP Scorpio, der meinte,
herzlichen Glückwunsch, Enno, du warst in diesem Jahr mit Abstand und
zwar um vier Euro. Das günstigste Konzert in der Großen Freiheit. Du
warst viel zu billig. Also wir hatten, glaube ich, einen Konzertkartenpreis
von, ich glaube, Abendkasse 22 Euro oder so was. Ich glaube, im
Vorverkauf, 19 Euro, Abendkasse 22, 23. Und das Problem ist, das muss
ich auch mal irgendwie lernen. Ich weiß auch bis heute gar nicht so ganz
genau, warum das so ist. Aber je größer der Raum ist, in dem man spielt,
je größer die Halle ist, desto größer sind die Kosten, die du erst mal hast,
um überhaupt dort zu spielen. Wahrscheinlich, weil da mehr Personal ist
und so. Aber irgendwie, es wird, die größer dein Konzert wird, desto teurer
wird es, weil immer mehr Leute dafür dann arbeiten, dafür bezahlt werden
müssen, weil die Promo mehr kostet und so weiter. Und ja, nun haben wir
gerade Inflation und Energiepreise sind gestiegen und so weiter. Und es ist
gerade jetzt so, einerseits sind die Kosten explodiert. Andererseits sind in
der Corona-Pandemie haben wir viele Leute viel Personal verloren, viele
Techniker*innen, die nicht mehr ihren Job nachgehen. Das heißt, da ist
eine höhere Nachfrage. Dadurch sind die alle teurer geworden, was aber
auch okay ist, weil das sind alles Experten auf ihrem Gebiet. Aber das
muss man sich leisten können. Und aber was auch so ein Ding ist, kann ich
jetzt nochmal für mich sprechen von meiner Tour. 2019 hatten wir zum
ersten Mal, das war auch so mein Kindheitstraum wurde dort, war zumersten Mal eine Tour, wo wir einen eigenen Nightliner hatten. Also diesen
Bus, wo man dann auch drin pennen kann und abends nachts fährt nach
der Show zur nächsten Venue. Und das haben wir bei der nächsten Tour
auch wieder. Und ich habe damals 2019 800 Euro für einen Nightliner
bezahlt pro Konzert. Also inklusive Fahrer 800 Euro. Und das war der
günstigste Nightliner, den es gibt. Was anderes wäre auch absolut nicht
drin gewesen. Ich habe bei der Tour auch nicht, ist jetzt nicht so viel
hängen geblieben. Ich glaube, ich haue es jetzt einfach mal raus, es waren
glaube ich irgendwie 95.000 Euro Umsatz und ich glaube 5.000 Euro
Gewinn oder so. Das heißt, ich habe am Ende von dieser Tour, ich glaube
22 Konzerte, ich habe am Ende der Tour so viel verdient, wie alle anderen
Leute, die auch beteiligt waren. Das war dann aber auch okay, weil es ist
für mich immer eine Investition in die Sache und es war toll, diese Show
abzubilden. Wir haben bei der Tour, ich glaube 9.000 Karten verkauft, das
größte war bisher, was ich geschafft habe. Und es ist jetzt so nach der
Pandemie, es ist gerade alles auf der Straße, alle sind am Tour und alle
müssen auch, wollen auch. Aber über die Tour ist es eigentlich so, dass wir
hauptsächlich über die Konzerte Geld verdienen. Und jetzt touren aber
gerade alle möglichen Bands und alle Leute auch über den Teich
irgendwie in Deutschland und so. Und wir wollen alles sehen, aber wir
können natürlich jetzt nicht im Monat irgendwie 3, 4, 5 Konzerte gucken,
sondern vielleicht nur 2. Weil auch die Konzertkarten teurer geworden
sind und das hat wiederum damit zu tun, dass wir auch die Preise gerade
anheben müssen, weil für uns alles teurer wird. Also der Nightliner, den
ich 2019 für 800 Euro bekommen habe, kostet jetzt 1,6.
00:40:36.000
Raul Krauthausen: Krass.
00:40:37.000
Enno Bunger: Ja und ich bin jetzt bei meinen Karten.
00:40:39.000
Raul Krauthausen: Das doppelte.
00:40:42.000
Enno Bunger: Das doppelte und meine Ticketpreise habe ich nicht
verdoppelt. Also wenn man jetzt sagt, ich war große Freiheit letztes Mal
22, 23 Euro, wir nehmen jetzt glaube ich an der Abendkasse 37 oder
irgendwie sowas.00:40:51.000
Raul Krauthausen: Okay. Aber das ist ja was anderes als irgendwie, keine
Ahnung, 800 Euro bei Taylor Swift oder so.
00:40:59.000
Enno Bunger: Jaja, aber das ist natürlich nochmal was anderes. Das ist
dann so ein, das ist ja eine Riesenshow, was die dann da machen. Ich habe
letztes Jahr das teuerste, was ich gekauft hatte, war eine Karte für Bruce
Springsteen, den ich schon immer mal sehen wollte. Das habe ich glaube
ich 130 Euro bezahlt. Gleichzeitig habe ich dann gedacht, ich war, das
war so das schönste Konzert letztes Jahr und das zweit tollste war für 45
Euro in der Max Schmeling Halle, The National, die ich über alles liebe.
Und da denke ich auch so, ja das ist für mich eine Band, die ist genauso
großartig wie Bruce Springsteen und die kostet aber nur ein Drittel.
00:41:30.000
Raul Krauthausen: Ja krass. Und das, obwohl sie eine Band sind.
00:41:32.000
Enno Bunger: Ja, wobei Bruce natürlich auch eine Band dabei hat.
00:41:34.000
Raul Krauthausen: Ja gut, aber anders bezahlt. Wie viele Leute sind, wenn
du unterwegs bist auf der Bühne?
00:41:40.000
Enno Bunger: Also jetzt bei, im März, wenn wir die Tour machen, ist es
jetzt auch zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder, dass ich eine Tour mit
Band spiele und spielen kann und das mir auch so gönne, weil das ist
erstmal wie gesagt nur mit dem Bus und dann auch Personalkosten sind
sehr hoch. Aber das ist was, was ich am allerliebsten mag, was ich so so
liebe und wo ich mich so drauf freue und so sehr hoffe, dass da Leute alle
hinkommen. Weil das auch so dann, dadurch, dass es so jetzt teuer
geworden ist, werde ich das auch nicht immer machen können. Das heißt,
das ist dann so einmal alle zwei Jahre oder so was, wenn überhaupt
möglich für mich. Und da sind wir auf der Bühne zu viert und ich habe
noch einen Soundmenschen dabei und also ich habe eine Bassistin, ich
habe einen Gitarristen, einen Schlagzeuger und ich spiele Klavier und
Keyboard und so und singe. Und dann haben wir noch einen Soundmann
dabei und einen Lichtdesigner und Tourmanagement und vielleicht noch
Fotograf, Fotografin und vielleicht sonst noch irgendwie ein, zwei Leute,
die noch mitkommen, vielleicht noch eine Vorband, wissen wir noch nichtgenau. Also wir werden da als Reisegruppe auch so irgendwas zwischen
sieben und zwölf Personen sein.
00:42:45.000
Raul Krauthausen: Reisegruppe Bunger. Aber so einen Tonmenschen und
einen Lichtmenschen mitzubringen, das machst du, damit die Qualität
stimmt, weil oft sind ja Leute schon vor Ort.
00:42:55.000
Enno Bunger: Ja, also wenn ich jetzt ein Solo, ich mache ja beides, ich
mache Bandkonzerte und ich mache aber auch Solo-Abende, wo ich nur
am Klavier bin und dann meistens irgendwie in einem Theater oder so was
oder in Kirchen oder so was, wo die Leute dann sitzen und dann auch
wirklich die Schnauze halten, weil ich dann sehr leise, sehr ruhige, sehr
intime Songs mache. Und bei den Bandkonzerten natürlich können Leute
dann auch da rumgrülen und stehen und tanzen und ein Bierchen trinken
oder so. Und ich versuche da so ein bisschen beides dann zu verbinden.
Enno Bunger: Also bei meinen Konzerten mit Band ist es so, ich mache ja
nun mal sehr melancholisch auch manchmal wirklich sehr traurige Songs.
Ich singe über Tod, über Depressionen und über Erkrankungen und alles
Mögliche. Und für mich ist das auch so, in erster Linie mache ich Musik,
damit ich selber und dann andere Menschen, die das hören, weinen
können. Und weil man das aber glaube ich auch gut kann bei meinen
Konzerten, finde ich dann mit Band auch geil, wenn ich dann wiederum
auch Songs habe, wo danach sehr ausgelassen wird und sehr groß wird
und sehr eskaliert und wir ausarten im wahrsten Sinne des Wortes so. Und
wo es dann auch halt richtig abgeht, also von dem ganz kleinen
Stecknadelmoment bis hin zur absoluten Eskalation das so zu treiben, das
finde ich immer total krass. Und da ist es dann eben so, das ist dann schon
so schwer auch abzumischen vom Sound her. Da musst du die Songs
wirklich genau, du musst jeden Song kennen, du musst genau wissen, was
wann wo passiert und wo die Highlights sind. Und genauso ist es auch mit
dem Licht. Also das ist wirklich ein, wir haben jetzt das ganze Konzert
schon vorab aufgezeichnet und jetzt gerade schon aufgenommen in der
Reihenfolge, wie wir es spielen werden, auch die Übergänge und sowas.
Und natürlich werden wir dann auf der Bühne auch darauf improvisieren,
aber der Rahmen steht, die Abläufe stehen und jetzt gerade wird auch
schon das Licht designt. Das macht ein ganz grandioser Lichtmann, der
jetzt gerade, also der ist sehr viel jünger als ich und der hat 2016 zum
ersten Mal ein Konzert von mir gemacht in Weimar. Und der ist
mittlerweile so gesehen worden von den Großen und die haben den jetzt soabgeworben. Der ist jetzt mit Parcels auf Welttournee und hat dann aber,
also programmiert das Licht jetzt vorab und dann gibt es eine Vertretung
vorher und er hat das aber alles schon designt und die letzten zwei Wochen
der Tour ist er dann noch mit dabei.
00:45:18.000
Raul Krauthausen: Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast
unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen
Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und du wirst,
sofern du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos
findest du unter www.im-aufzug.de. Ende der Service-Durchsage. Viel
Spaß beim zweiten Teil der Folge.
00:45:46.000
Raul Krauthausen: Das heißt, du hast eine Art Rider, wo dann drin steht, du
brauchst diese Beleuchtung auf der Bühne und dann wird die halt…
00:45:55.000
Enno Bunger: Ja.
00:45:58.000
Raul Krauthausen: Okay.
00:45:59.000
Enno Bunger: Genau, also wir bringen auch viel mit, wir bringen ein
eigenes Tonmischpult mit, wir bringen ein eigenes Lichtmischpult mit, also
dass man auch genau diese Sachen… Also es ist ja wie ein Instrument. Also
ich bringe ja auch meine eigenen Instrumente mit oder der Gitarrist bringt
seine Gitarre mit, die er kennt und genauso bringen diese Leute, die
Techniker, ihre Geräte mit, die sie dann beherrschen und wo dann auch
das Setup eben steht und sie dann damit geil arbeiten können.
00:46:16.000
Raul Krauthausen: Ich bin immer so beeindruckt von dieser ganzen
Logistik, die man als Konsument wahrscheinlich gar nicht so mitbekommt.
Also ich gucke ja gerne so Künstler-Edit-Dokus, also Musiker, die ja auf
Tour sind oder so, zeigen sie halt, wie, keine Ahnung, Taylor Swift
irgendwie zwei, drei Bühnen hat, die quer durch die Welt fahren und
voraufbauen und abbauen, weil die sonst nicht hinterherkommen. Das
musst du erst mal hinkriegen.00:46:42.000
Enno Bunger: Ja, es ist eine riesen Logistik und gleichzeitig ist es auch so
ein bisschen, auch die Fragen, die ich mir jetzt gerade so stelle und auch
bei mir die kognitive Dissonanz natürlich, es ist der absolute Traum, das
machen zu dürfen und gleichzeitig weiß ich auch, es verbraucht natürlich
Ressourcen.
00:46:59.000
Raul Krauthausen: Ja, der ökologische Fußabdruck.
00:47:01.000
Enno Bunger: Musiker zu sein ist ökologisch nicht so geil und dann
versuche ich natürlich im Rahmen meiner Möglichkeiten irgendwie, wenn
ich jetzt so privat lebe, da auf gewisse Sachen zu verzichten und irgendwie,
ich bin seit 2019 jetzt nicht mehr geflogen, seitdem ich irgendwie für
Fridays for Future auf der Bühne bin und versuche irgendwie anders zu
reisen, wenn ich reisen möchte, meistens mit der Bahn so. Und ja, so bei
den Solokonzerten versuche ich dann halt das wieder reinzuholen, indem
ich dann manchmal auch per Bahn reise und dann versuche dafür zu
sorgen, dass dann ich nicht mein Stage-Piano, warte, das steht hier hinter
mir, kannst du sehen, so ein rotes Keyboard, wo so sehr viele Sounds und
Knöpfe so vorprogrammiert sind und dass ich dann aber manchmal sage,
okay, wenn ich jetzt irgendwie nur einen Kurzauftritt habe, wo ich drei,
vier Songs spiele, muss ich nicht unbedingt mein eigenes Instrument
spielen, weil ein guter Song auf jedem Instrument, auf jedem Klavier, will
nicht rüberkommen, weil es geht um den Text, es geht um die Message, es
geht darum, dass ich das gut transportiere und singe und wenn das Klavier
jetzt nicht den perfekten Sound hat, kann man dafür auch mal dann sagen,
okay, ich spar aber jetzt ein paar Ressourcen ein hier. Und das ist gerade
so ein Ding, was ich versuche, so ein bisschen zu vermitteln in unserer
Szene, dass wir ja auch so unserer Verantwortung so ein bisschen
gerechter werden.
00:48:13.000
Raul Krauthausen: Die Schauspielerin Filina Rogan war auch zu Gast im
Podcast und die macht was Ähnliches, dass sie sich dafür einsetzt, dass
man an Filmsets versucht, weniger Ressourcen zu verbrauchen, weil das ja
auch unfassbar logistisch aufwendig ist und dann einfach jeder seinen
eigenen Fahrer bekommt und Essen weggeschmissen wird und so.00:48:34.000
Enno Bunger: Ja.
00:48:36.000
Raul Krauthausen: Und das muss ja auch alles nicht sein.
00:48:37.000
Enno Bunger: Ich hatte neulich so was ganz, also es hat mich echt fettig
gemacht. Ich war zu Gast bei meiner lieben Freundin und Songwriter-
Kollegin Lina Mali im Heimathafen hier in Neukölln, hat sie gespielt, hatte
mich eingeladen, weil wir haben einen Song zusammen geschrieben, dann
war ich als Gast auf der Bühne, habe gespielt und die waren auf Tour. Und
dann hast du ja immer so im Backstage, im Catering, hast du dann immer
so ein bisschen Essen, irgendwie was weiß ich, Bananen, Brot, Brötchen,
irgendwas, was halt so da ist und dann meistens hat man ein bisschen zu
viel und ich hatte an dem Tag gerade, ich kam gerade, war an dem Tag
angereist aus Ostfriesland oder aus Hamburg oder so, weiß nicht mehr
und mein Kühlschrank war noch nicht voll. Ich hatte noch nicht eingekauft
und dachte so, ey Lina, was ist mit dem Essen, kann ich das vielleicht
mitnehmen, schmeißt ihr das weg oder wie ist der Plan? Und dann ja, also
wir haben auch ein Auto genug und nehmen gerne mit, was du brauchst.
Und dann habe ich so eine Tüte mitgenommen, so irgendwie Brötchen,
Banane, ein paar Schokoriegel, irgendwas, so Zeugs, weil ich das selber so
kenne und das ist halt leider manchmal Sachen so weggeschmissen werden
und ich da immer darauf aufpasse, dass es bei uns halt nicht passiert. Und
bin dann mit den zwei Tüten irgendwie dann in die Bahn und dann kam
halt ein obdachloser Mensch, hat so gefragt, hat irgendjemand ein
bisschen Geld oder irgendwas zu essen? Und ich hab gesagt, ey guck mal
hier, die Tüte ist voll, nimm dir was du möchtest. So und dann sind sieben,
also ich lüge nicht, es sind sieben andere Menschen aufgestanden in der
Bahn und auch so eine sehr alte Frau, die war so 82, kommt zu mir und
kann fast nicht mehr laufen. Darf ich auch ein Brötchen? Und ich so, ja
natürlich. Und hab die ganzen Sachen so verteilt und hab mich einfach,
also leider hab ich mich so gefreut, dass ich ihnen was Gutes tun konnte,
aber ich hab mich so geschämt. Also es war so fuck. Also die sind sonst
unsichtbar, wenn du in der Bahn sitzt. Weil glaube ich viele Menschen
einfach, also ich glaube in dem Moment, wo jemand fragt, kennt man ja
selber, wie viel Überwindung kostet es dich zu fragen jemandem nach
irgendwas. Mir geht das immer so. Also manchmal auch, wenn es mir
scheiße geht, wenn ich in so einer depressiven Episode bin, schaffe ich es
meistens nicht, jemanden anzurufen. Kostet mich extra, weil ich denke
dann, oh nein du Idiot, du bist scheiße, du nervst jetzt und willst anderenMenschen auch nicht runterziehen, vielleicht haben die gerade eine gute
Zeit und dann hab ich keine Lust jetzt. Weißt du, dann sag ich, okay, mach
ich das mit mir selber aus und versuche irgendwie mich zu beschäftigen
oder höre einen Podcast. Was ja auch hilft. Aber ja, es ist mir dann
nochmal klar geworden, als dann diese anderen Menschen, die nicht
gefragt hatten, alle auf mich zukamen und am Ende die zwei Tüten waren
leer. Die haben alles mitgenommen und ich hab mich einfach nur gefreut,
dass die das mitgenommen haben und hab dann nächsten Tag wieder
einkaufen gegangen und hatte ja auch schon gegessen.
00:51:17.000
Raul Krauthausen: Ja klar.
00:51:18.000
Enno Bunger: Ja sowas fand ich sehr bewegend, wieder mal.
00:51:24.000
Raul Krauthausen: Aki Bosse hat im Podcast erzählt, dass er keine Lust
mehr hat, so diese klassischen Liebesongs „Ich vermisse dich“ Lieder zu
schreiben und er jetzt auch ernsthafter Songs schreibt. Ich hab den
Eindruck, dass du das auch machst, also dass die Songs ernster werden.
00:51:41.000
Enno Bunger: Noch ernster.
00:51:43.000
Raul Krauthausen: Ja oder irgendwie, also ich weiß nicht, das wird ja
natürlich nicht objektiv, aber sie sind tiefer, sie gehen tiefer und das muss
man ja auch irgendwie können. Also das ist, nicht jeder kann tief, tiefe
Gedanken schreiben und einen Satz, der wirklich bei mir Gänsehaut
ausgelöst hat, das ist in dem Song „Ich sehe was, was du nicht siehst“, da
singst du, vielleicht siehst du was, was ich nicht sehe, lass mich nicht
raten, zeig es mir, denn verlass dich drauf, dass ich nicht gehe, ich halte
das aus mit dir.
00:52:15.000
Enno Bunger: Ja.
00:52:26.000
Raul Krauthausen: Und da singst du über Depressionen, über deine
Depression, du sagst auch ganz klar, singst du die Aussage „Ich habe
Depressionen“, was ja so auf Songs bisher noch nicht zu hören war, immer
eher so verklausuliert.00:52:32.000
Enno Bunger: Bei mir auf jeden Fall immer klausuliert und ich glaube bei
anderen auch, also es ist ja auch immer so die Herausforderung oder der
Reiz, etwas künstlerisch metaphorisch zu umschreiben, dass es dann
kreativ ist und so was. Und ich habe dann so gedacht, ja das habe ich jetzt
ja schon dreimal gemacht, also ich habe irgendwie glaube ich ein Lied
geschrieben, das hieß „Ein Astronaut“ auf meinem zweiten Album, hinten
da geht es so darum, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr will und
irgendwie mich verloren fühle. Und einfach nur eine Sehnsucht danach
habe, maximal weit weg von allem zu sein und das maximal weit wegste,
was ich mir vorstellen konnte und was das glaube ich auch ist, ist einfach
der Weltraum und dass ich sagte, ich bin einfach, ich flieg hier im
Weltraum, in der Luft, hänge ich irgendwie rum. So und das war im
Grunde auch schon eine Depression, die ich da besinge. Dann gibt es das
Lied „Klumpen“, in dem ich darüber singe, dass ich irgendwie nichts mehr
fühlen kann und so gerne wieder was fühlen würde, aber mein scheiß Herz
einfach nur so ein scheiß Klumpen ist. Und dann gab es auf der letzten
Platte „Was berührt es bleibt“, da habe ich ein Lied, das heißt „Wofür“ und
da geht es darum, dass ja, dass ich auch nicht weiß, wofür lebe ich
eigentlich, also wofür hältst du dich am Leben fest, war da so die Zeit. Und
das ist auch ein Depressionslied, aber genau und dann gab es noch ein
anderes Lied, das heißt „Wolken aus Betons“ auch, aber da geht es nicht
um mich, sondern um eine Person in meinem Umfeld bzw. um auch das
Gemeinsame füreinander da zu sein und ja da durchzukommen. So wie
Udo sagen würde „Wenn du durchhängst“, so ne?
00:54:00.000
Raul Krauthausen: Ja.
00:54:01.000
Enno Bunger: Genau und ich habe aber so gedacht, ja es gibt schon viele
Lieder über Trauigkeit, über auch Depressionen, aber immer
verklausuliert und dieses Mal hatte ich das Bedürfnis ganz klar zu sagen,
ja es geht hier um mich und ich wollte da zeigen, dass ich das bin, weil mir
umgekehrt in meiner Depression oder in meiner Behandlung des Ganzen
es sehr geholfen hat, Menschen zu sehen, die sich äußern und die sich
zeigen und sagen „Ich hab das, ich hab das auch so“ und das hat mir
geholfen meine Erkrankung selber ernster zu nehmen und dann dachte ich,
ja dann hilft es, wenn ich das mache, vielleicht auch an, also Leute, die
vielleicht sowieso meine Musik hören oder sowas, dass es ihnen vielleicht
auch hilft, ihre Erkrankung ernster zu nehmen und ich habe dann bewusstentschieden, darüber zu singen, auch weil ich dann in irgendwelchen
Interviews oder Podcasts oder auch wenn ich auf der dass ich mir
gewöhnisch die immer wieder diesen Satz singe, nicht dass ich dann sage
ok ich bin per se permanent depressiv, sondern dass ich dann sage oder
dass ich immer wieder damit konfrontiert werde, dass ich das vielleicht
mal hatte oder vielleicht gerade auch wieder habe und versuche mich
darum zu kümmern um meine mentale Gesundheit und das ernst zu
nehmen, so wie man auch eine körperliche Verletzung ernst nimmt und
versucht zu behandeln.
00:55:15.000
Raul Krauthausen: Also ich hatte es deswegen so beeindruckt, weil ich habe
manchmal das Gefühl bei so verklausulierten Songs, jetzt nicht unbedingt
bei dir, sondern bei Pop-Songs, man ist deswegen so verklausuliert, weil es
könnte ja auch einfach um Liebeskummer gehen oder um jemanden
vermissen oder so, also sagen wir mal eine leichte Missstimmung ja.
00:55:36.000
Enno Bunger: Ja.
00:55:37.000
Raul Krauthausen: Und man will sich bloß nicht zu sehr preisgeben, aber
dass du einfach so auf die 12 gehst und sagst ich habe Depression, das
fand ich schon wirklich bemerkenswert einzigartig. Ich sage jetzt bewusst
nicht stark oder inspirierend oder so, sondern wirklich bemerkenswert
einzigartig und dadurch richtig gut.
00:55:53.000
Enno Bunger: Dankeschön.
00:55:53.000
Raul Krauthausen: Das fand ich wirklich gut, dass mal jemand Tacheles
gildet. Und bei der dritten Strophe, da singst du eben „Verlass dich drauf,
dass ich nicht gehe, ich halte das aus mit dir“. Ist das quasi das, was man
Menschen, die man kennt, die Depressionen haben, am besten helfen
kann?
00:56:12.000
Enno Bunger: Ist so meine Erfahrung, das zu hören von Leuten, die mir
das gesagt haben, also dass sie halt nicht nur sagen, ich kann mich
jederzeit melden, sondern dass sie einem wirklich das Gefühl geben, dass
sie da sind, dass sie also nicht auch warten, dass man sich meldet, sonderndass sie sich zwischendurch melden. Das ist das, was mir geholfen hat zu
hören, ich glaube, was jeder Mensch in so einer Phase gerne, also glaube
ich, hören mag auch so oder was vielleicht hilfreich ist. Und auch zu
sagen, dass es okay ist auch zu sagen, dass es einem gerade nicht gut geht
und dass man das aushalten kann und nicht dann nur so floskemäßig
irgendwie so „Ja, lach doch mal“ oder was weiß ich.
00:56:58.000
Raul Krauthausen: Was mir in solchen Phasen hilft, wenn es mir täglich
geht, wenn jemand einfach so random irgendwas ganz anderes mit mir
macht. Also jetzt nicht, wir müssen ja nicht die ganze Zeit über Schmerzen
oder Gefühle reden, aber einfach so anrufen und sagen, ich habe eine neue
Serie gesehen, schau da mal an, ist witzig. Irgendwie so.
00:57:16000
Enno Bunger: Ja, oder mit einem Brettspiel vorbeikommt oder was weiß
ich. Also irgendwie so Zeug, so irgendwie, dass man, bei mir ist es auch
so, ich bin ein sehr verspielter, ein sehr spielerischer Mensch irgendwie
und lieb das total irgendwie so Quatsch zu machen und ja, das mache ich
dann auch ganz gern mit anderen Menschen. Und das ist ja auch das
Interessante. Ich kenne sehr viele Menschen, die sind Humoristen oder
Comedians oder so und davon haben das, weiß ich nicht, 70, 80 Prozent
davon haben immer wieder so depressive Episoden. Also du merkst richtig,
die lachen ja hauptberuflich, vielleicht auch so als Superkraft, weil sie so
es besser einen besseren Umgang damit finden und weil ja auch das rein
physische Lachen schon hilfreich ist. Und weil sie vielleicht selber wissen,
wie schmerzvoll gewisse Dinge oder Phasen im Leben sein können, dass
sie selber automatisch sehr glücklich sind, wenn sie lachen können und es
für sie selber vielleicht einfach das Schönste ist, wenn sie andere
Menschen, wenn sie anderen Menschen das Geschenk machen können, sie
zum Lachen zu bringen. Und deswegen ist es bei mir auch so, dass ich
einerseits ja sage, ich möchte Musik machen, zu der man weinen kann,
gleichzeitig aber auch auf der Bühne irgendwie oder generell unfassbar
super gerne und ich weiß, sie sind unfassbar kacke und schlecht, aber ich
liebe Dead Jokes, ich mache so gerne schlechte Witze, sodass manchmal
sogar Leute sich nach dem Konzert bei mir beschweren, also wenige, aber
manchmal sagen, sei doch nicht immer so albern. Ich liebe das aber total,
auch so eine Stimmung absolut kaputt zu machen und auch selbst ironisch
zu sein und mich über mich selber und die Trauigkeit in meiner Musik
lustig zu machen. Das heißt ja nicht, dass ich mich selber oder das nicht
ernst nehme.00:59:06.000
Raul Krauthausen: Steckt in dir ein Comedian?
00:59:07.000
Enno Bunger: Ein bisschen schon, ich war früher schon so würde ich
sagen so der Typ Klassenclown, ja auf jeden Fall. Also ich habe früher in
der Grundschule, in der Orientierungsstufe habe ich Sketche, damals war
ich Fan von hier, also immer noch, mein Leben lang, Bastian Pasevka,
Anke Enkel, liebe ich.
00:59:21.000
Raul Krauthausen: Oh ja, großartig.
00:59:22.000
Enno Bunger: Ich habe damals Sketche von denen aus der Wochenshow
damals nachgespielt.
00:59:25.000
Raul Krauthausen: Ja, ja.
00:59:26.000
Enno Bunger: Und fand das damals von Otto und so. Ich habe damals
auch das erste Gedicht, ich habe neulich Oliver Kalkofe getroffen, also
neulich vor zwei Jahren. Ich sage so oft neulich. Und das erste Gedicht bei
so einer Veranstaltung, da warst du glaube ich, warst du nicht auch da,
wir haben noch nicht gesprochen, warst du beim Sound of Peace damals
beim Brandenburger Tor?
00:59:46.000
Raul Krauthausen: Ja genau, genau.
00:59:49.000
Enno Bunger: Ja und da habe ich danach waren wir noch so irgendwie
kurz was trinken mit so ein paar Leuten und da war Oliver Kalkofe da und
da meinte ich so, ey das ist so toll, dass du hier bist. Weil das erste
Gedicht, was ich auswendig konnte in meinem Leben, war mit sechs
Jahren „Die Nacht mit Weih davor“. Das war so damals irgendwie so ein
Weihnachtsgedicht, das ist super lang und es ist so ein Gedicht, wo ja die
Mutter alle Leute um sich herum umbringt, damit endlich Ruhe ist. Und
das fand ich als Kind unfassbar witzig und das habe ich immer aufgesagt.
Das war so meine erste Berührung wahrscheinlich mit Lyrik und so. Also
daher, ich mag gerne auch sagen wir mal schwarzen Humor.01:00:30.000
Raul Krauthausen: Also Oliver Kalkofe, ich habe den auch zwei, dreimal
persönlich getroffen, der ist ja auch ein Urgestein auch in Wortakrobatik,
also Leute zu beschreiben, Situationen zu beschreiben, das macht den auch
wirklich phänomenal. Daher kenne ich auch Achim Menzel übrigens.
01:00:46.000
Enno Bunger: Ach krass.
01:00:49.000
Raul Krauthausen: Achim Menzel ist ja quasi mit ihm.
01:00:50.000
Enno Bunger: Oder immer von ihm.
01:00:51.000
Raul Krauthausen: Genau. Auf jeden Fall hat Oliver Kalkofe mir auch den
Zugang zu deutscher Sprache als Kunstform auf jeden Fall erleichtert.
Und dann, ich weiß nicht, ob du gut im Deutschunterricht warst in der
Schule oder ob du das gerne gemacht hast.
01:01:07.000
Enno Bunger: Eigentlich ja, aber ich wurde immer als schlecht beurteilt.
Also ich habe es nie verstanden. Ich fand mich eigentlich gut, aber ich
hatte maximal eine zwei Minus oder so. Also nie mehr als neun bis zehn
Punkte in Deutsch. Irgendwie weiß ich nicht, was los war.
01:01:18.000
Raul Krauthausen: Also ich hatte irgendwie, man muss dann Gedichte
analysieren und interpretieren und ich fand das furchtbar. Und
irgendwann kam unser Deutschlehrer mit Joachim Ringelnatz. Und kennst
du Joachim Ringelnatz?
01:01:31.000
Enno Bunger: Ein bisschen, aber auch jetzt, mir fällt jetzt gerade scheiße,
mir fällt gerade kein Werk.
01:01:34.000
Raul Krauthausen: Es war einmal ein Bumerang, war ein wenig zu lang.
Publikum noch stundenlang wartete auf Bumerang. Und so völlig banale
Witze oder ein männlicher Briefmark erlebte was Schönes bevor er klebte.
Der wurde von einer Prinzessin belecktt und das hat in ihm die Liebe
erweckt. Er wollte sie wieder küssen, doch da hat er reisen müssen. Soliebt er sie vergebens und das ist die Tragik des Lebens. Und Joachim
Ringelnatz hat mir wirklich meine halbe Gedichtsanalysephase erleichtert,
weil ich einfach Spaß hatte, irgendein random Gedicht von ihm zu
analysieren.
01:02:10.000
Enno Bunger: Voll gut.
01:02:11.000
Raul Krauthausen: Du brauchst glaube ich den Einstieg in etwas was dir
gefällt, was bei dir resoniert. Und das kann einmalig sein. Im
Englischunterricht haben wir „Der Fänger im Roggen“ gelesen. „The
Catcher in the Rye“.
01:02:24.000
Enno Bunger: Ja.
01:02:25.000
Raul Krauthausen: Ich hab mich gefühlt wie der Junge in dem Buch. Und
ich war der Junge. Also das war, ich hab nie wieder so eine tiefe Bindung
zu einem Buch aufbauen können oder zu einem Text wie bei „Der Fänger
im Roggen“.
01:02:36.000
Enno Bunger: Bei mir waren es so in der Jugend glaube ich so drei
Bücher. Also ein Buch, was ich absolut gefressen habe, was ich am
öftesten glaube ich gelesen habe, was ich immer noch höre, wenn ich nicht
schlafen kann, nicht zur Ruhe komme. „Michel N. ist die unendliche
Geschichte“ habe ich so, weil ich so in der Schule selber so ein bisschen so
pummelig war und auch so ein bisschen gemobbt wurde deswegen. Ich hab
mich absolut identifiziert mit Bastian und wollte natürlich auch wie
Bastian eigentlich lieber Atrejo sein. Und eigentlich hätte ich auch gerne
ein Musikvideo gemacht, wo wir tatsächlich, wo Emma wird und so.
Deswegen habe ich gerade so ein Plakat gemacht.
01:03:09.000
Raul Krauthausen: Oh, das wäre toll.
01:03:09.000
Enno Bunger: Genau, aber ich habe leider das Budget nicht dafür. Aber
vielleicht irgendwann mache ich das nochmal. Und dann war es aber auch
so Identifikation mit, also mit Antifaschismus. Ich habe in der Schule
haben wir die Schachnowelle von Stefan Zweig gelesen und wir habenauch in der vierten oder fünften Klasse ein Buch gelesen. Ich glaube, heißt
er Peter Herdlein? Damals war es Friedrich. War auch total wichtig für
mich so für eine Empathiebildung mit den Opfern des Nationalsozialismus.
Die haben mich unfassbar berührt und sehr geprägt diese Bücher. Und
dann war es noch, was ich lyrisch toll fand, war Max Frisch „Homo
Faber“ damals irgendwie, weil es mich irgendwie so eingesogen hat, wie
es geschrieben war. Und aber, und da wollte ich nämlich mit dir noch so
gerne drüber sprechen. Ich bin so ein großer Fan von Roger Wilhelmsen.
01:03:55.000
Raul Krauthausen: Oh ja.
01:03:56.000
Enno Bunger: Und ich liebe den so sehr für alles, was er getan hat und für
alles, was er geschrieben hat. Ich habe glaube ich mittlerweile jedes Buch
gelesen von ihm und du hast ihn ja kennenlernen dürfen. Wie hast du ihn in
Erinnerung? Wie sehr vermisst du ihn heute auch als Stimme der
Öffentlichkeit, der Gesellschaft? Was würde er gerade sagen? Da frage ich
mich ganz oft, was würde Roger do actually?
01:04:17.000
Raul Krauthausen: Ja, also Roger Wilhelmsen, der war eine
Ausnahmeerscheinung. Jemand, den es glaube ich so super vielleicht alle
100 Jahre gibt und so eine Intelligenz, so eine Tiefe, so eine große Gabe
sich auch zu erinnern. Also ich habe den nicht oft gesehen, aber schon alle
paar Jahre mal und er erinnerte sich noch an Namen meiner
Klassenkameradinnen.
01:04:40.000
Enno Bunger: Alter, wow.
01:04:41.000
Raul Krauthausen: Ja, und das ist halt wirklich krass.
01:04:44.000
Enno Bunger: Also war er nicht nur körperlich groß, sondern auch großes
Elefantengedächtnis.
01:04:45.000
Raul Krauthausen: Ja, unfassbar. Und er hat ja auch irgendwie jeden Promi
in seinem Studio gehabt und er hatte so eine Aura. Die ganze Zeit. Alle, die
ich kannte, waren mega Fans von ihm. Und der betritt Raum oder betrat
Raum und alles war anders. Also das ist wirklich, sowas habe ich danachnie wieder erlebt. Und das vermisse ich ihn sehr, gerade in Zeiten wie
diesen einfach auch mal Tacheles zu reden oder vielleicht auch mal eine
Einordnung zu machen. Im Moment hat ja jeder eine Meinung oder sagt
jeder irgendwas. Aber ich tue mich gerade wirklich schwer mit der
aktuellen Zeit überhaupt die Worte zu finden oder vielleicht mich
berechtigt zu fühlen, was zu sagen. Ich denke aber, wir müssen alle was
sagen. Aber es wurde auch schon alles gesagt und irgendwie ist es dann,
was mich frustriert, sehr schnell so, dass nach 12, 24 Stunden auch wieder
vergessen ist, was gesagt wurde.
01:05:38.000
Enno Bunger: Ja.
01:05:39.000
Raul Krauthausen: Glaube so einen Wilhelmsen, noch mehr als so einen
Bundespräsident, der mal was sagen würde. Das würde einfach
nachhalten. Das würde eine Woche diskutiert werden. Und so was
brauchen wir mehr.
01:05:51000
Enno Bunger: Ja. Ja, ich habe durch ihn, also natürlich gab es mehrere
Menschen, aber ich würde sagen, er ist einer der Top 5 Menschen, über
die ich die Liebe zur deutschen Sprache gefunden habe. So die
Detailverliebtheit und dieses Spiel mit Metaphern und seine Bildsprache,
seine Wortverliebtheit, seine
Wortgewandtheit.
01:06:12.000
Raul Krauthausen: Aber auch sein Wissen.
01:06:14.000
Enno Bunger: Auch voll, ja. Also da denke ich immer so, ok, es gibt Dinge,
die kann man vielleicht so ein bisschen sich aneignen und lernen und ich
hoffe, dass das mit so Sprache möglich ist. Aber was so sein Wissen
betrifft, denke ich so, wow.
00:06:30.000
Raul Krauthausen: Ja, ich glaube, er hat mehr seines Gehirns benutzt als
die meisten Menschen zum Abspeichern. Aber kommen wir mal wieder
zurück zu deiner Kunst. Was sind denn schöne Kritiken, die du über dich
gelesen hast?01:06:42.000
Enno Bunger: Es sind selten die Dinge, die geschrieben werden, so in der
Beurteilung von Leuten, die das hauptberuflich machen. Es ist eigentlich,
was mich am meisten freut, ist eine Nachricht von Leuten, die ein Lied von
mir gehört haben und dann sagen, was es in ihnen ausgelöst hat. Was mich
am meisten freut, ist, es gibt ja nun mal ein paar traurige Lieder bei mir.
Es ist, also jetzt gerade mit diesen Liedern über Depressionen, dass viele
Menschen gerade schreiben, ey, ich bin gerade in Therapie oder ich bin
wegen deines Liedes gerade, habe ich erkannt, dass ich da was machen
muss und begebe mich jetzt in Therapie. Oder Leute, die schreiben gerade
aus der Klinik und sagen, sie hören jeden Tag ein Lied, das heißt „Heute
nicht“, wo es eben genau darum geht, dass man am Leben bleibt und nicht
springt. Und ja, also sowas. Dann weiß ich, okay, es hat wirklich einen,
wenn es nur zwei Menschen sind oder sowas, die das im Monat mir
schreiben, dann weiß ich, es ist gut, dass ich das gemacht habe, es ist
richtig, dass ich gerade Musik tue. Und ich habe nämlich oft so diesen, ich
würde sagen, vielleicht so eine Art Tobi-Schlägel-Moment, dass ich mich
frage, ist es sinnvoll, dass ich Kulturschaffender bin? Oder sollte ich
vielleicht eher in die Praktik nach vorne gehen, da, wo Menschen gerade
gebraucht werden als für die Formen?
01:07:59.000
Raul Krauthausen: Was würdest du dann machen?
01:18:00.000
Enno Bunger: Weiß ich nicht, weil ich kann ja auch eigentlich sonst nichts.
Das ist ja so ein bisschen das Ding. Also ich habe mein Leben lang immer
Musik gemacht und kann mit Musik, mit Tönen, mit Worten umgehen. Und
ansonsten aber, weißt du, es ist so ein bisschen vielleicht, ja, ich
unterschätze mich vielleicht auch, aber ich sollte nicht eingeschult werden,
weil ich grob motorisch bin. Und dann haben, aber, weißt du so, keine
Ahnung, also ich bin so ein bisschen, manchmal vielleicht ein bisschen
körperklausmäßig und so, ein bisschen längere Leitung, ein bisschen
blockiert und so. Ich habe auch ein bisschen so ADHS und so was und
brauche manchmal ein bisschen länger, um so reinzukommen in so Sachen,
die so Leute, die so, weißt du so praktisch begabt sind, sofort checken. Und
dann stehe ich so davor und bin irgendwie überfordert manchmal mit so
Dingen.
01:08:42.000
Raul Krauthausen: Kannst du denn deine Erfolge feiern?01:08:44.000
Enno Bunger: Ja, schon. Aber gleichzeitig ist es immer so, es ist immer die
Angst da, dass das natürlich nicht von Dauer ist und immer so eine Sorge
da, ob es reicht. So, also auch so meistens so eine grundexistentielle
künstlerische Sorge da bei mir. Eigentlich schon immer, seitdem ich das
mache, was manche Menschen auch so ein bisschen nervt, aber.
01:09:15.000
Raul Krauthausen: Aber die ist doch der Motor wahrscheinlich, oder?
01:09:18.000
Enno Bunger: Wahrscheinlich auch, ja. Vielleicht ist es auch wichtig, dass
sie da ist. Man sagt ja immer so, voller Bauch studiert nicht gern oder so.
War das so? Ist das ein Satz? Weiß ich nicht.
01:09:27.000
Raul Krauthausen: Ich habe keine Ahnung, kann ich nicht, aber kann gut
sein.
01:09:29.000
Enno Bunger: Nee, Lehrerbauch studiert nicht gern, glaube ich. Ich weiß
es nicht mehr, scheiße.
01:09:36.000
Raul Krauthausen: Wahrscheinlich ja. Wahrscheinlich nicht gesunder
Körper, gesunder Geist. Also Lehrerbauch studiert nicht gern.
01:09:40.000
Enno Bunger: Wahrscheinlich war das absoluter Bullshit, was ich gerade
erzählen wollte. Aber so, dass man als Künstler wird ja oft gesagt, so ein
bisschen, dass auf jeden Fall irgendwas passieren muss. Also ich will nicht
sagen, dass man leiden muss, um kreativ zu sein. Aber es muss natürlich
immer ein bisschen was los sein, worüber man dann so schreiben kann.
Das Ding bei mir gerade ist so, und wenn man jetzt so in die Gesellschaft
guckt, es ist ja so viel los, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll.
Und da muss man natürlich trotzdem irgendwo anfangen. Das heißt, es
gibt gerade genug Themen in der Welt und es ist genug los, um zu
schreiben. Gleichzeitig aber, was mich so ein bisschen überfordert gerade,
ist, dass im Internet so viel los ist und so viele Menschen es gibt, die
irgendwas machen, was ja toll ist. Aber gleichzeitig denke ich dann so
manchmal, ja, lohnt es sich dann überhaupt noch irgendwas zu tun? Wird
das noch gehört? Kriegt das noch eine Aufmerksamkeit? Und ich merke
eben gerade, da kommen wir jetzt wieder so ein bisschen zu dem, was ichvorhin kurz angerissen habe, alles wird teurer und so in der
Kulturindustrie. Ich erlebe gerade die Kulturszene in einer Krise, weil sie
gerade wirtschaftlich sehr zu kämpfen hatten, alle zu kämpfen haben mit so
dafür, dass sie irgendwie eine Aufmerksamkeit bekommen für das, was sie
machen. Gerade so in meiner Größenordnung, im Indie-Bereich ist es sehr
schwer. Es gibt leider auch immer weniger Flächen für Musik in der
Öffentlichkeit.
01:10:57.000
Raul Krauthausen: Das Radio ist komplett tot, ne?
01:10:59.000
Enno Bunger: Radio hat so auch, ich weiß nicht, es gab eine Statistik,
glaube ich, aus dem Jahr 2022, da gab es zwei deutschsprachige Songs in
den Top 100 Radiocharts. Also ich bin jetzt kein Fan von der Deutschquote
oder so ein Quatsch. Aber es wird halt sehr viel, würde ich sagen mal, so
Musik gespielt, die eher so im Fitnessstudio laufen würde in den großen
Radiostationen.
01:11:16.000
Raul Krauthausen: Oder im Fahrstuhl.
01:11:17.000
Enno Bunger: Ja, genau. Und was ich dann so ein bisschen traurig finde,
ist, dass dadurch die neue Kultur nicht gefördert wird, weil sie keine
Räume bekommt, dort stattzufinden, dort nicht abgebildet wird. Und was
ich ganz tragisch finde, ist, dass ich liebe die öffentlich-rechtlichen
Medien. Ich finde es ganz toll, dass es die gibt. Man kann vieles kritisieren,
aber erstmal grundsätzlich ist es unfassbar wichtig und der Größe ist ein
sehr großer Schatz, dass wir die haben. Nur auch dort ist es so, sie werden
ihrer Verantwortung nicht so richtig gerechnet. Insofern ist das sie Kultur
zu wenig abbilden und es gibt immer weniger Flächen für Musik. Das mag
im privaten Bereich so sein, in privaten Medien, die sind werbefinanziert,
die müssen die ganze Zeit auf die Quote schielen. Aber ich finde es so
scheiße, dass es in öffentlichrechtlichen Medien gerade so eine Art
Einfallsquote gibt, dass nur noch Sachen, die wirklich schon bekannt sind,
eine Chance haben aufzutreten. Und ganz viele Sachen, die so toll sind. Ich
will das nur mal hier sagen, es gibt so geile, so tolle, so super gute,
großartige Künstler und Künstlerinnen. Junge Leute, die gerade so gut
sind, Maria Basel, Kat, wollt Fiebel Rich sagen, Feline Sonny, Brockhoff,
es sind so großartige Künstlerinnen alles. Und die haben es so verdient,
noch viel mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, weil die so großartigeMusik machen. Und das passiert aber irgendwie nicht so richtig und das
ärgert mich. Das macht mir große Sorge. Also ich bin jetzt ja schon, ich
bin schon länger dabei. Man könnte fast sagen, ich bin so mehr oder
weniger etabliert irgendwie. Komme ja klar, aber ich wüsste nicht, ob ich
klarkommen würde, wenn ich jetzt gerade erst anfangen würde, ob das
reichen würde. Ich meine, damals hat es bei mir auch noch nicht gereicht.
Es ist immer so ein Prozess, man muss erst mal fünf, sechs, sieben, acht
Jahre da reinbuttern und investieren. Man verdient einen Scheiß und muss
nebenher noch irgendwie arbeiten und gucken, dass man irgendwie Geld
verdient. Aber man hat quasi zwei Vollzeitjobs, um das machen zu können.
Aber heute ist es halt noch schwerer als 2007, als ich so angefangen bin,
finde ich gerade.
01:13:10.000
Raul Krauthausen: Und kollidiert das vielleicht dann irgendwie auch mit
deiner Veranlagung zur Depression? Also dass dann quasi sich dann
aufzuraffen oder irgendwie dann nochmal den Sinn zu sehen in etwas
nochmal schwieriger ist?
01:13:24.000
Enno Bunger: Das kann natürlich sein. Ich versuche ja immer konstruktiv
zu sein und irgendwie auch mit dem Scheitern gut umzugehen, dass man da
was Positives rauszieht. Aber natürlich in so einer Phase, wo es einem eh
schon scheiße geht, ist es natürlich umso schwerer. Bei mir war das immer
so, deswegen habe ich jetzt mein neues Album gerade, um da kurz drauf zu
kommen, „Der beste Verlierer“ genannt, weil das so sich durch mein Leben
durchgezogen hat, immer wieder. Dass ich immer wieder so richtig aufs
Maul bekommen habe oder selber mir aufs Maul gehauen habe und dann
so am Boden war und verloren habe. Und dann aber erst kam aus diesem
Schmerz heraus, daraus Kunst zu verwandeln oder irgendwie damit
musikalisch oder generell umzugehen. Dann kam immer der Erfolg, also
immer aus einem Schmerz heraus. Also um mal so Beispiele zu nennen,
meine allererste Beziehung, ich war so, ich glaube 17 oder so, die ging so
wenige Wochen und ich war so komplett am Boden zerstört. Und ich habe
das auch geäußert in meinem Umfeld, aber niemand hat mich so wirklich
ernst genommen. Alle haben mich belächelt, ja, nach ein paar Wochen und
so. Vor allem auch Erwachsene waren so, hör auf zu heulen und so. Und
ich war aber völlig fertig, ich war am Boden zerstört und konnte nicht
mehr. Und mir geht es einfach darum, deswegen habe ich dieses Lied heute
nicht geschrieben, dass wir Menschen, wenn sie gerade leiden, also nicht
zu ernst nehmen, aber einfach erstmal ernst nehmen und ihnen zuhörenund versuchen für sie da zu sein. Und das war bei mir in der Phase eben
nicht so. Und ja, das ist total wichtig, dass man einen Schmerz ernst
nimmt, weil wenn es sich für jemanden in dem Moment anfühlt wie 100
Prozent Schmerz, dann ist das so. Dann kannst du von außen nicht sagen,
ja, du hast aber gar keinen Grund dich jetzt so zu fühlen, sondern dann
muss man diesen Schmerz erstmal ernst nehmen. Und genau, und dadurch
aber, dass ich dann an diesem Punkt war, habe ich danach angefangen,
erst mein erstes Lied zu schreiben. Nach dieser Schmerzerfahrung. Dann
kam das. Also ich hatte verloren, habe dann mein erstes Lied geschrieben
und dann daraus gewonnen. So, dann war der nächste Tiefpunkt in meinem
Leben, war so, ich wollte unbedingt schon immer, seitdem ich irgendwie
acht Jahre alt bin, wusste ich, ich werde Musiker. Hab das auch immer mit
allen kommuniziert, habe damals erst in der Schule gegangen und gesagt,
ich gehe noch nebenbei zur Schule, ich werde Musiker. War noch alle so,
es wird auf jeden Fall, das machst du, das ist klar. Stand auch so in der
Abi-Zeitung, wer wird hier Musiker? War ich da irgendwie abgebildet und
so. Und dann habe ich mich beworben an der Uni, wo ich unbedingt hin
wollte und bin so mit so einer Erwartungssanierung, ja, auf jeden Fall,
klar, ich werde Musiker, also die werden mich natürlich nehmen. Wurde
ich nicht. Wurde nicht mal zum Vorspielen eingeladen. Ich bin unfassbar
auf die Fresse geflogen da, es war ganz schlimm. Und dann habe ich erst
mal geguckt, ja, was hast du da abgegeben? Und das war halt auch
Schrott, das war nicht gut genug, das war nicht gut produziert, das war
nicht gut geschrieben, das war nicht gut gesungen, das war alles einfach
nicht gut genug. Und ich konnte es dann auch verstehen und habe dann
gesagt, okay, dann musst du halt an der Scheiße jetzt arbeiten und da
dranbleiben. Und dann erst angefangen überhaupt so richtig auf Deutsch
Songs zu schreiben und zu gucken, wo ist denn der Nische, was sind meine
Fähigkeiten, wo ist meine Stimmlage, wo kann ich singen? Was kann ich?
Wo sehe ich einen Bedarf in, also sozusagen klingt ein bisschen doof, aber
auch am Markt, was mag ich, aber wo gibt es am Markt vielleicht einen
Bedarf, gerade was könnte funktionieren so? Und das dann gemacht und
dann auf einmal kamen so die ersten Erfolge, kamen Anfragen von
Plattenfirmen, gab es irgendwie einen Preis bei so einem Radiosender bei
Enjoy, so einen Nachwuchspreis habe ich da gewonnen und durfte dann
auftreten da bei so einem großen Festival. Und dann gab es so kleine
Erfolge immer wieder und dann aber natürlich immer wieder auch so,
keine Ahnung, es gab die große Plattenfirma, die was wollte und dann
waren die beim Showcase und dann ist der damalige A&R nach dem ersten
Song wohl gegangen und hat gesagt, ja ein Klavierspieler darf keine
Chucks tragen. Ja irgendwie, keine Ahnung, wahrscheinlich, er fand eseinfach scheiße oder mochte mich nicht oder whatever, kein Plan, auf
jeden Fall haben wir uns viele davon versprochen, wir sind extra von
Ostfriesland nach Berlin gefahren um dieses Konzert zu spielen und dann
ist der Typ halt nach einem Song gegangen und ich war so richtig das
Arschloch, so ne? Und naja, aber es wird nicht an den Chucks gelegen
haben, sondern es war einfach dann wahrscheinlich irgendwas war nicht
geil oder whatever.
01:17:50.000
Raul Krauthausen: An dem Manager lags, weil der einfach arroganter
Arsch ist.
01:17:54.000
Enno Bunger: Aber es war auch so, man muss auch sagen, ich konnte da
auch und das ist dann, man versucht immer so und dann habe ich aber
auch Kritiken bekommen auch von anderen Leuten, die dann fragten, ja
kannst du, du schreibst tolle Songs, aber kannst du dir vorstellen diese
Songs für andere Leute zu schreiben? Und dann habe ich mich persönlich
angegriffen gefühlt und habe ich gesagt, ne, aber ich kann mir vorstellen
dir eins auf die Fresse zu hauen. Ich war so ein bisschen, manchmal habe
ich so einen kleinen Rabauken in mir und ich habe noch niemals mich
geprügelt, würde ich nie machen, aber ich war einfach, das hat mich
getriggert, weil ich dachte ey, das sind meine Songs, meine Babys, das ist
mein Seelenleid und so. Also diese Sachen, die ich jetzt gerade singe, die
so verfickt nochmal kein anderer Mensch singt. Genau und dann habe ich
gemerkt, ja, ich muss an meinem Gesang arbeiten, das ist noch nicht gut
genug, habe das gemacht und dann so langsam wurde es besser und dann
kam erste Platte raus, gab es erste Erfolge, wir waren bei Ina’s Nacht und
so was. Und dann aber ist im Zuge dieser ganzen, weil ich nur noch für die
Musik gelebt habe, meine damalige Beziehung in die Brüche gegangen,
weil ich wieder am Boden zerstört. Also es war so einerseits beruflich
maximaler Erfolg und aber meine Beziehung, meine große Liebe ist in die
Brüche gegangen. Ich war völlig fertig mit der Welt und habe dann aber
darüber geschrieben und dann kam dieses zweite Album, das
Trennungsalbum raus. Also habe dann aus dieser Niederlage, aus dieser
Abweisung und aus meinem eigenen Scheitern, es war nicht ihre Schuld,
sondern meine, weil ich habe nichts mehr in die Beziehung irgendwie nicht
genug gegeben, war nicht genug da. Und dann sind eben so Sachen
passiert, die dann passieren, wenn man nicht da ist und habe daraus aus
meinem Schmerz und diesem Verlust ein Album gemacht, was dann absolut
mein größter Erfolg war bis heute. Da ist ein Lied drauf, das heißt Regen,das ist bis heute mein Hit, kann man so sagen. Das ist natürlich kein
großer Hit, aber es ist ein kleiner Hit so und da eben auch gemerkt, ok, ja,
ich habe wieder aus der Scheiße gerade was verwandeln können. Und das
ist eben auch was, was ich so toll finde, was mich geprägt hat, was Roger
Wilhelmsen sagte. Wir können das Leben nicht verlängern, aber wir
können es verdichten. Und genauso ist es ja auch so mit so einem Moment,
wo man scheitert und du kannst manche Dinge, du kannst Menschen nicht
festhalten, du kannst auch Momente nicht festhalten, aber das habe ich für
mich so gelernt. Du kannst die intensivsten Momente versuchen, als
Geschichte festzuhalten. Du kannst sie verdichten und daraus Kunst
machen und das ist das, was ich versuche. Also ich versuche, extreme
Momente meines Lebens zu konservieren. Natürlich, es wird auch ein
bisschen idealisiert, aber daraus kann man was machen. Und das finde ich
total spannend. Und das ist das, was ich eben, was quasi mein Beruf ist,
was ich für mich so gemerkt habe, was für mich so funktioniert. Einerseits,
dass es andere Menschen bewegt, andererseits, dass ich dann besser mit
diesen krassen Momenten und diesen Zurückweisungen oder diesen
Schmerz-Erfahrungen, mit diesem Leid klarkomme. Das war dann später
auch so, dass ich über Krebserkrankungen eines geliebten Menschen
geschrieben habe und auch über den Tod eines anderen geliebten
Menschen geschrieben habe auf meiner letzten Platte „Was berührt das
bleibt?“, was dann auch mir und anderen Menschen irgendwie Halt und
Hoffnung und Trost gegeben hat. Und ja, also es passiert unfassbar viel
Scheiße auf der Welt, aber Kunst ist halt toll, dass es das gibt und dass
man da reingehen kann und dort sich so auslassen kann und dann auch
irgendwie den Schmerz, dass man Ventil hat dafür.
01:21:14.000
Raul Krauthausen: Ich habe gerade so Bock, auf dein Konzert zu kommen.
01:21:16.000
Enno Bunger: Herzlich Willkommen, komm vorbei. Und erste Reihe,
verspreche ich dir, da gibt es einen Sonderplatz.
01:21:20.000
Raul Krauthausen: Sehr gerne, mache ich auf jeden Fall.
01:21:23.000
Enno Bunger: Ich muss dir dann nur noch eine Box hinstellen, weil das ist
meistens so, das will ich noch kurz sagen, bei Konzerten in der ersten
Reihe, viele stellen sich da so hin und beschweren sich dann über den
Sound, weil die Boxen schallen meistens an ihnen vorbei, weil dienatürlich nach hinten ausgestrahlt sind. Und dann müssen wir natürlich
dafür sorgen, entweder lege ich dir da ein Kopfhörer hin oder wir stellen
da noch eine Sonderbox für dich auf oder so, weil es ist immer in der
ersten Reihe, du siehst gut, aber hast meistens einen Scheiß-Sound.
01:21:47.000
Raul Krauthausen: Ich habe da so Bock drauf und also diese Intensität, die
würde ich erst gerne mal live sehen. Ich habe wirklich Gänsehaut
bekommen gerade, dass du das alles beschrieben hast und dass aus
Tiefpunkten Kunst entsteht. Vielleicht sogar mehr als aus Höhepunkten
Kunst entsteht.
01:22:04.000
Enno Bunger: Irgendwie schon, ja. Also bei mir ist es so.
01:22:07.000
Raul Krauthausen: Ja, das habe ich auch schon öfter gehört, dass das
irgendwie auch, wenn man das wertschätzen kann in der Tiefe, dass das
wahrscheinlich dann die große Kunst ist. Manchmal geht das glaube ich
nicht, wenn man gerade in der Depression steckt, aber danach vielleicht.
01:22:23.000
Enno Bunger: Genau, also ich kann auch nie schreiben, wenn es mir
richtig scheiße geht, geht gar nicht. Ich kann immer nur dann kurz
irgendwie, mache ich so Stichpunkte in meinem Tagebuch, was gerade los
ist, um zu, weißt du, so chronologisch, aber es ist nicht so, dass mir dann
irgendwie, also ich werde oft gefragt, so es gibt in dem Lied Regen diesen
Satz, wenn man die Augen zu macht, klingt der Regen wie Applaus, so,
dann werde ich oft gefragt, hast du das direkt geschrieben, als du dann in
dem Schmerz warst? Und ich so nein, Alter, Monate später, das ist nicht
entstanden in dem Moment, dass man dann sowas, ne, also das kommt
dann eher so über die Verarbeitung meistens bei mir.
01:23:00.000
Raul Krauthausen: Was war der Grund, warum du dann von Hamburg nach
Berlin gezogen bist?
01:23:05.000
Enno Bunger: Das ist ja erst gerade passiert, das ist noch nicht mal ein
halbes Jahr her, ich bin im Juli hierhergezogen. Was lustig war, ist, dass
Friedrich Merz eine Woche später, als ich in Kreuzberg dann lebte, hat ergesagt, Kreuzberg gehört nicht mehr zu Deutschland, das nehme ich jetzt
persönlich.
01:23:19.000
Raul Krauthausen: Ja, willkommen.
01:23:20.000
Enno Bunger: Aber ich freue mich, dass ich jetzt endlich mal im Ausland
lebe, das stand auch auf meiner Liste, dass ich noch mal im Ausland leben
möchte.
01:23:24.000
Raul Krauthausen: Ja.
01:23:26.000
Enno Bunger: Wie nennt man einen Mann ohne Herz übrigens?
01:23:27.000
Raul Krauthausen: Herz, keine Ahnung.
01:23:30.000
Enno Bunger: Oh, ja, das war der Witz.
01:23:32.000
Raul Krauthausen: Ja.
01:23:32.000
Enno Bunger: Ja, ich wollte nochmal, also es stand immer auf meiner
Liste, ich habe 2011 das zweite Album habe ich in Berlin aufgenommen,
das dritte und das vierte auch in Berlin aufgenommen bei Tobias Siebert,
sehr guter Freund, toller Produzent hier in Kreuzberg, das sehe ich in der
Schlesischen Straße, also sehr viel Zeit verbracht, so insgesamt
wahrscheinlich zwei Jahre oder so da gewesen durch diese drei Alben,
Produktionsphasen. Und immer gesagt, ich finde es so geil hier, ich
möchte hier nochmal wohnen. Und das war aber dann auch hier zu
wohnen, das ist keine Entscheidung gegen Hamburg gewesen, weil ich
liebe Hamburg, ich bin so gerne da und das ist eine meiner absoluten
Lieblingsstädte überhaupt. Aber ich dachte nochmal, ja, bevor ich jetzt
irgendwie so einroste, nochmal eine neue Herausforderung mehr zu
suchen, so nochmal hier zu sein und auch so ein ganz bisschen, was ja nun
mal in Berlin so ein bisschen ist, das ist natürlich auch eine absolute
Überforderung. Aber es ist natürlich eine größere Stadt und es ist kulturellnatürlich dann deswegen auch ein bisschen mehr noch los hier und noch
mehr Kulturschaffende wohnen hier. Und irgendwie mag ich gerne mich
umgeben mit Menschen, die was ähnliches tun wie ich und die irgendwie
so ein bisschen ja ein Verständnis haben für den Struggle, den man so hat
und die Sorgen und diesen Wahnsinn, den man so, also auch diesen
Quatsch im Kopf, den man so hat. Das ist ja eigentlich oft voll bescheuert
irgendwie, also es ist ja alles irgendwie sehr, ist ja schon irre, dass man
das so als Beruf macht.
01:24:51.000
Raul Krauthausen: Ich könnte doch, ich habe noch so viele Fragen hier auf
dem Zettel, ich könnte noch ewig weiterfragen. Wir sind nur schon fast
zwei Stunden unterwegs im Aufzug, wir blockieren den quasi jetzt.
01:25:00.000
Enno Bunger: Das ist natürlich ganz schön lang. Das kam mir nicht so
vor.
01:25:05.000
Raul Krauthausen: Mir auch nicht. Ich bin ja gerade auch erschrocken, als
ich auf die Uhr geguckt habe. Aber eine Frage, die mir wirklich noch unter
den Nägeln brennt und ich frage jeden Gast oder Gästin, gibt es eine
Organisation, die du gut findest, die du persönlich vielleicht auch
supportest, hast vorhin Fridays for Future genannt, wo du manchmal
auftrittst auf der Bühne. Aber gibt es eine Organisation, die du unseren
Hörer*innen empfehlen möchtest, dass man sich damit vielleicht nochmal
mehr auseinandersetzt?
01:25:33.000
Enno Bunger: Es gibt so viele tolle Organisationen und ich möchte einfach
nochmal eine Lanze brechen für Greenpeace. Die machen seit Jahren so
tolle, so wichtige Arbeit. Ich weiß, sie sind eine der bekanntesten
Organisationen, aber ich unterstütze alles, was sie tun, alles, was sie
jemals gesagt haben, alles, was sie machen in jeder Form. Ich bin so
großer Fan von denen und ich bin so froh, dass es die gibt und dass es
Menschen gibt, die sich dafür engagieren und jeder Send an Greenpeace
ist richtig angelegt. Und das Ding ist so, es gibt gerade so viele Krisen auf
der Welt, aber für mich ist einfach so, weißt du selbst, ich komme aus
Ostfriesland und dieses Land ist laut IPCC Bericht, dieses Land ist kein
eigenes Land, aber wenn man den IPCC-Bericht liest und irgendwelche
Studien und Simulationen über steigenden Meeresspiegel und so, dann ist
es einfach vom Aussterben bedroht sozusagen. Natürlich jetzt nichtmittelbar, aber in einigen Jahrzehnten. Und wir müssen viel mehr tun
gegen die Klimakrise und da ist Greenpeace ganz vorne mit dabei und
deswegen ist das eigentlich das Wichtigste, finde ich gerade.
01:26:36.000
Raul Krauthausen: Packen wir auf jeden Fall in die Show Notes, kennt
jeder, ist trotzdem wichtig und guter Punkt. Ich danke dir sehr, dass du zu
Gast im Aufzug warst. Es schreit irgendwie nach meiner zweiten Folge,
vielleicht nachdem ich auf dem Konzert bei dir war, damit man ein
bisschen quatschen kann über wie war das so oder wie war die Tour, die
jetzt gerade losgeht. Ich bin auf jeden Fall sehr, sehr gespannt und ich
wünsche dir für die Tour ganz, ganz viel Erfolg.
01:27:01.000
Enno Bunger: Dankeschön.
01:27:03.000
Raul Krauthausen: Und kann jedem empfehlen deine Kunst zu kaufen, wenn
es geht.
01:27:07.000
Enno Bunger: Was ich noch frage, dein Kinderbuch kommt raus, ne?
01:27:09.000
Raul Krauthausen: Genau, am 26. Februar.
01:27:11.000
Enno Bunger: Magst du dazu noch was sagen? Ich bin total gespannt
drauf. Das sieht so toll aus von aus. Ich habe aber noch nicht gelesen,
worum es geht. Worum geht es?
01:27:17.000
Raul Krauthausen: Es geht um ein Mädchen, die Astronautin werden
möchte mit ihrem besten Freund und sie setzt zum Rollstuhl, er nicht und
die überlegen sich halt, wie das gehen könnte und keine Ahnung, probieren
die ganzen Experimente aus, die man ausprobieren muss, wenn man
Astronaut werden will oder Astronautin. Und die Umwelt zweifelt aber, ob
das überhaupt geht. Aber die beiden glauben daran und am Ende geht es
darum, dass zwei Kinder einen Traum haben, so wie wir damals auch als
achtjährige Kinder Ideen hatten, was wir werden wollen. Du wusstes es
schon, aber ich wusste es damals noch nicht. Und meine Kollegin, mit der
ich zusammen das Buch gemacht habe, die hat auch eine Behinderung und
wir wollten eigentlich ein Kinderbuch schreiben, das wir damals alsKinder selber gerne gelesen hätten. Ohne Leid und ohne Schmerz oder so,
aber schon auch mit Anerkennung, dass es Behinderungen gibt. Ich hoffe,
es ist uns gelungen. Das müssen dann die Leser*innen beurteilen, vor
allem die Kinder.
01:28:18.000
Enno Bunger: Schön, ich freue mich vorhin drauf. Ich werde mir das
bestellen gleich.
01:28:21.000
Raul Krauthausen: Ich schicke dir ein Exemplar, wenn es draußen ist.
01:28:23.000
Enno Bunger: Ne, ich bestelle das.
01:28:25.000
Raul Krauthausen: Okay, dann ich komme auf dein Konzert und zahle das
Ticket.
01:28:26.000
Enno Bunger: Gut.
01:28:27.000
Raul Krauthausen: Cool. Dann vielen Dank. Danke, dass du da warst.
01:28:33.000
Enno Bunger: Vielen Dank für die Einladung. Ich habe mich so gefreut.
Das ist so toll. Es ist eine große Ehre. Ich habe auch selber schon früher
gehört, deinen Podcast, seitdem es den gibt. Und ich war so ganz
überrascht, dass du uns auch gefreut hast. Ich bin einfach so Fan von allen
Leuten, die schon hier waren und finde, wir alle sind schon karrieremäßig
so viel weiter, als ich es bin. Und ich konnte es gar nicht so wirklich
glauben, dass ich jetzt auch hier ein Teil davon sein darf. Deswegen vielen,
vielen Dank.
01:28:57.000
Raul Krauthausen: Sehr gerne. Schönen Tag noch.
01:28:59.000
Enno Bunger: Dir auch.01:29:03.000
Raul Krauthausen: Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese
Folge Spaß gemacht hat, bewerte diese Folge bei Apple Podcasts, Spotify
oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, sowie die Menschen,
die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Show Notes.
Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet,
würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-
Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die
Gelegenheit, mich zwei Millionen Jahre persönlich zu treffen. Im Aufzug ist
eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal
hier im Aufzug.
Ennos Herzensangelegenheit:
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So kannst du meine Arbeit unterstützen!
Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann
Coverart: Amadeus Fronk