Wie gehst Du mit Hass um?
Tessa Ganserer sagt von sich selbst, dass sie mit Leib und Seele Politikerin ist – das merke ich in unserem Gespräch schnell. Tessa ist aber nicht nur Politikerin bei den Grünen, sie ist auch studierte Forstwirtin. Aufgewachsen im tiefsten Bayern wurde ihr die Liebe zum Wald in die Wiege gelegt. An der Natur fasziniert sie besonders, dass sie einfach sie selbst sein kann und sich nicht rechtfertigen muss. Denn das erlebt Tessa ständig – als erste Bundestagsabgeordnete, die ihre Transgeschlechtlichkeit publik machte, ist sie für viele Menschen ein wichtiges Vorbild. Doch diese tägliche Akzeptanzarbeit hat ihre Schattenseite. Tessa erzählt mir, wie sie mit dem Hass umgeht, was sich für trans Menschen politisch ändern muss und warum das Selbstbestimmungsgesetz so wichtig ist. Wir sprechen aber auch darüber, warum wir alle nicht frei von Diskriminierung sind. Ein Gespräch über Akzeptanz, Politik und Wälder.
Aufzugtür auf für Tessa Ganserer.
Transkription von der Oberstein Media UG (haftungsbeschränkt).
00:00:00 – 00:01:49
Raul Krauthausen:
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Diese Woche geht der Dank also an die Unterstützer*innen Kathrin, Linda, Sarah und Martin. Und los gehts mit der Folge. Tessa Ganserer sagt von sich selbst, dass sie mit Leib und Seele Politikerin ist. Das merke ich in unserem Gespräch auf jeden Fall schnell. Tessa ist aber nicht nur Politikerin bei den Grünen, sie ist auch studierte Forstwirtin. Aufgewachsen im tiefsten Bayern, wurde ihr die Liebe zum Wald in die Wiege gelegt.
An der Natur fasziniert sie besonders, dass sie einfach sie selbst sein kann und sich nicht rechtfertigen muss. Denn das erlebt Tessa ständig. Als erste Bundestagsabgeordnete ihre Transgeschlechtlichkeit publik machte, ist sie für viele Menschen ein wichtiges Vorbild. Doch diese tägliche Akzeptanz-Arbeit hat auch ihre Schattenseite. Tessa erzählt mir, wie sie mit dem Hass umgeht, was sich für Transmenschen politisch ändern muss und warum das Selbstbestimmungsgesetz so wichtig ist.
Wir sprechen aber auch darüber, warum wir alle nicht frei von Diskriminierung sind. Ein Gespräch über Akzeptanz, Politik und Wälder.
Die Tür geht auf und wer kommt rein? Tessa Ganserer! Oh mein Gott, auf dich habe ich mich ganz besonders gefreut.
00:01:50 – 00:02:06
Tessa Ganserer:
Ja, es geht mir genauso. Wir haben uns ja ein paar Mal bei Veranstaltungen knapp verpasst, wo wir beide Gäste waren. Aber du am Samstag und ich erst am Sonntag da war und deswegen freut es mich, hier Gast sein zu dürfen und dich auch mal persönlich kennenzulernen.
00:02:06 – 00:02:10
Raul Krauthausen:
Gab es schon mal eine absurde Situation, die du in einem Aufzug erlebt hast?
00:02:10:21 – 00:02:36:08
Tessa Ganserer:
Eine absurde Situation, in einen Aufzug? Ähm. Also ich finde es immer amüsant, so, weil egal wie klein oder wie groß der Aufzug ist. Ich habe noch nie Situationen erlebt, wo wirklich so viele Menschen in einem Aufzug waren, die nach Angaben auch wirklich Platz hätten. Meistens ist ja schon bei der Hälfte der Personenzahl schon wirklich alles dicht.
00:02:36 – 00:02:38
Raul Krauthausen:
Ab dem wievielten Stockwerk nimmst du den Aufzug?
00:02:39 – 00:03:01
Tessa Ganserer:
Ab dem wievielten? Ich glaube, das ist situationsabhängig, also runterwärts dürfens auch ein paar Stockwerke mehr sein. Aufwärts, je nachdem, ob ich Gepäck dabei habe. Ich würde sagen, so meistens. Ab dem zweiten fange ich an zu überlegen. Beim dritten, vierten eher standardmäßig.
00:03:01 – 00:03:21
Raul Krauthausen:
Du bist ein Bundestagsabgeordnete und da verbringst du wahrscheinlich auch viel Zeit im Aufzug. Überhaupt. Ich hatte ein Gespräch mit Kevin Kühnert und der hat erzählt, dass das schon manchmal ein bisschen gruselig ist, wenn man dann plötzlich mit AfD Mitgliedern im Aufzug ist, weil die da auch irgendwie nach oben müssen oder nach unten.
00:03:22 – 00:04:29
Tessa Ganserer:
Ja, man ist aber nicht selten mit einer Person alleine und, ähm oh Gott, man ist im Deutschen Bundestag ja, mit so vielen Menschen. Also, es sind ja Tausende. Ich weiß nicht – glaube ich 6000, die im Deutschen Bundestag arbeiten? Mit allen Angestellten in der Verwaltung und den persönlichen Mitarbeitern und Fraktionsreferent*innen und Sicherheitspersonal, sodass man ganz viele zwar schon irgendwann einmal gesehen hat oder immer wieder sieht, aber keine zuordnen kann.
Also es sind ja nicht nur die AfD Abgeordneten, sondern auch Mitarbeiter*innen, denen man begegnet und wo man sich dann nicht immer sicher ist, von welcher Fraktion ist der jetzt? Manchmal glaubt man, das sind dann immer so diese eigenen Vorurteile. Also da überrasche ich mich immer selber, wenn ich merke, so versuche ich anhand von äußeren oder so Menschen irgendwie einer Fraktion zuzuordnen.
Genau. Und dann merke ich immer daran, dass ich das besser sein lasse.
00:04:30 – 00:04:33
Raul Krauthausen:
Und deine Schwerpunktthemen sind Umwelt und Klima?
00:04:33:19 – 00:04:41:24
Tessa Ganserer:
Ja, als Mitglied im Umweltausschuss, also im Ausschuss für Umwelt, Verbraucherschutz und nukleare Sicherheit.
00:04:41 – 00:04:45
Raul Krauthausen:
Nukleare Sicherheit? Ist alles so in einen Topf geworfen?!
00:04:45 – 00:05:28
Tessa Ganserer:
Ja, also die ganze Atomaufsicht ist im Umweltministerium angesiedelt und deswegen werden diese Themen auch im Umweltausschuss behandelt. Also Endlager suchen und das Ganze und daneben bin ich – darf ich für meine Fraktion auch im parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung mitarbeiten, wo ich finde, das ist ein riesen Themenfeld, aber eine umso wichtigere Aufgabe. Es geht, denke ich, so vereinfacht gesagt beim Thema nachhaltige Entwicklung darum, allen Menschen ein gutes Leben in Würde zu ermöglichen und das auch für kommende Generationen sicherzustellen.
00:05:28 – 00:05:34
Raul Krauthausen:
Das heißt, Nachhaltigkeit bezieht sich nicht nur auf Umweltfragen, sondern auch auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit?
00:05:34 – 00:05:49
Tessa Ganserer:
Natürlich. Genau. Also es gibt von der UN die 17 Entwicklungsziele, was soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit – neben den Umweltthemen genauso wichtige Dinge sind.
00:05:50 – 00:06:13
Raul Krauthausen:
Was ich mich manchmal so frage, wenn man so große Wörter schwingt wie UN Konvention oder das Grundgesetz und so, wenn das doch eigentlich alles seit Jahren oder Jahrzehnten im Papier festgeschrieben wurde, warum dauert das dann so lange? Zum Beispiel auch in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit, dass sowas dann implementiert wird in den Ländern, Staaten, die das schon vor Jahrzehnten unterschrieben haben?
00:06:14 – 00:09:28
Tessa Ganserer:
Das ist eine gute Frage. Also, wenn du die Antwort findest, verrat sie mir bitte. Weil dann glaube ich, wären wir schneller fertig mit unserer parlamentarischen Arbeit, dann bräuchte es eben auch nicht mehr die Masse an politischen Engagement, wenn das so wäre. Ich glaube so, das ist halt die Sache, die mir… Ähm… Es gibt ja dieses buddhistische Sprichwort: Den Mut und Entschlossenheit haben, die Dinge zu ändern, die man ändern kann.
Die Gelassenheit, Dinge, die man nicht ändern kann, hinzunehmen und die Weisheit zwischen beiden zu unterscheiden. Und ich glaube, es ist halt so, dass wir feststellen müssen, dass die Gesellschaft und die Politik – es wird immer so sehr schnell verallgemeinert, die Politik, und die sind ja alle gleich. Das ist mitnichten der Fall ist, ja?! Dass es schon einen Unterschied macht, wer gerade regiert, wer die Entscheidungen trifft.
Und ich habe Achtung vor allen demokratischen Parlamentarier*innen und würde niemanden unterstellen, dass er von vornherein, also Nicht-Demokrat*innen, dass er irgendwelche Dinge zum Schlechteren ändern möchte. Aber die Ziele sind nicht immer deckungsgleich und vor allem die Wege, wo Menschen hinwollen oder wie sie dort hinkommen wollen. Da verfolgen manche vielleicht unterschiedliche Ziele. Und es gibt halt so viele verschiedene Interessen.
Es sind nicht nur Sozialverbände, Umweltorganisationen, sondern natürlich auch Wirtschaftsunternehmen, die ihre Interessen vertreten … ähm versuchen so diese Interessen dann auch irgendwo politisch irgendwo Unterstütze*innen zu finden. Und es ist eine gewisse Gleichzeitigkeit, die stattfindet, die Maße, wie wir uns soziale Gerechtigkeit bemühen für gutes gesellschaftliches und diskriminierungsfreie Miteinander. Gibt es dann halt in dieser Gesellschaft auch Menschen mit regelrechtem Hass und die, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit propagieren.
Oder Wirtschaftsverbände, die versuchen, für sich möglichst viel rauszuholen. Und das, glaube ich, macht es deswegen so schwierig. Deswegen, glaube ich, brauchen manche Dinge heut so lange, wie sie brauchen. Das heißt nicht, dass ich mich damit zufriedengebe und damit abfinde, sondern ich glaube, das braucht halt so dieses Erkennen, damit man bei seiner ganzen Arbeit nicht verzweifelt, weil manchmal ists zum Haareraufen.
Also ich habe das Gefühl, dass seit ich jetzt im Deutschen Bundestag bin, regelmäßig so Déjà-vus erlebe, weil wir jetzt gerade Dinge verhandeln, Dinge entscheiden, die vor 20 Jahren – als ich bei den Grünen Mitglied geworden bin, schon Thema waren. Aber da waren die Grünen, zwischen denen 16 Jahren Opposition und die Dinge sind heute nicht angegangen worden und sind heute noch nicht gelöst.
Und wir fordern hier und jetzt heute Entscheidungen, obwohl wir schon seit 20 Jahren wissen, dass es notwendig ist.
00:09:29 – 00:10:22
Raul Krauthausen:
Ich habe mal in der Schule noch – da hatten wir einen sehr guten Politik Lehrer und er hat mal gesagt: dass das Tragische an der deutschen Politik ist, dass wenn man die Ungerechtigkeit in einem Land so groß sind, dann gibt es in der Regel einen Wechsel der Regierung. Die Konservativen verlieren. Dann kommen die Sozialdemokraten mit den Grünen oder mit den Linken oder der FDP zusammen.
Die machen dann die Politik, machen aber die unliebsamen Entscheidungen, die gemacht werden müssen, weil das war ja das Land quasi den Bach runtergegangen – siehe Gerhard Schröder, SPD und Hartz IV, dann verlieren sie deswegen die Wahlen, weil sie haben ja das Gegenteil gemacht, was Sozialdemokratie oder die Linke Politik macht. Und dann kommen wieder, die Konservativen, und zerstören weiter.
Gibt es da bei dir dann auch so eine Beobachtung, dass man denkt: Ach, wir waren eigentlich schon auch ideell weiter als Partei?
00:10:23 – 00:12:38
Tessa Ganserer:
Ich glaube net, wir waren ideell weiter – sondern es ist definitiv so, dass ich, dass wir als Partei, als Fraktion weiter möchten, wie wir es in diesem Koalitionsvertrag vereinbaren konnten. Dass uns natürlich, wie du sagst, so Unvorhergesehenes wie der Ukraine-Krieg noch mal vor ganz neue Herausforderungen stellt, auf die man Lösungen finden muss. Aber es halt zum Regieren jetzt momentan eben ein Dreierbündnis benötigt und es eben nicht so ist, dass wir uns in allen Dingen hundertprozentig einig sind.
Und dann kann man sagen: So nee. Ich lege die Messlatte extrem hoch und ich will alles oder gar nichts. Oder man versucht halt so seinen Zielen ein Stück weit nahezukommen. Und ich meine halt schon, dass es einen Unterschied macht, wer gerade regiert. Also nur als Beispiel. Ich könnte dir ganz vieles nennen. Es würde den Rahmen jetzt für einen Podcast sprengen.
Das Thema Paragraph 219 a, also das Werbeverbot für Abtreibung. Es sind ja keine Werbung, sondern es geht darum, Informationen verbreiten zu dürfen als Arzt und über Abtreibung aufklären zu dürfen. Das war jahrelang verboten. Menschen, Ärzt*innen, die Abtreibungen angeboten haben, standen damit immer mit einem Bein im Gefängnis. Das war jahrelang über viele Jahre lang ein Riesenthema mit der Union.
In der Bundesregierung ging das nicht. Und ich glaube, wir konnten das in Deutschland – diesen politischen Erfolg, diesen Schritt, diesen Paragraphen zu streichen, gar nicht richtig feiern. Weil am gleichen Tag, am Nachmittag dann, nachdem die Abstimmung im Deutschen Bundestag war, die Nachrichten aus den USA kamen, wonach dann Abtreibungen wieder verboten werden durften. Also ähm das Urteil – Gerichtsurteil, wonach einzelne Bundesstaaten, das Recht haben, Abtreibungen zu verbieten und das finde ich, zeigt heute schon, was für einen Unterschied es ist.
Das ist nicht das einzige Problem, es gibt zu viele Probleme. Manchmal dauert es halt ewig lange.
00:12:38 – 00:12:40
Raul Krauthausen:
Wo nimmst du diese Geduld her?
00:12:40:20 – 00:13:30:24
Tessa Ganserer:
Ich bin mal gefragt worden, was meine positive Eigenschaft von mir wäre – was ich glaube. Und damals habe ich gesagt, meine Ungeduld. Also, ich habe nicht die Gelassenheit, Sachen einfach hinzunehmen. Sondern wenn ich Sachen sehe, gesellschaftliche Zustände, die mich wirklich wütend machen, die ich ungerecht finde, die ich besser machen möchte, dann kann ich da nicht gelassen da stehen und mit den Achseln zucken, sondern das treibt mich um.
Und da habe ich für mich das Bedürfnis, aktiv zu werden, die Geduld. Ich weiß es nicht. Ich habe gemerkt, dass es dafür einen sehr, sehr langen Atem braucht und ganz, ganz viele Menschen, die zusammenwirken.
00:13:31 – 00:13:39
Raul Krauthausen:
Ich habe auch öfter mal die Frage gehört, warum ich nicht in die Politik gegangen sei. Und ich habe das begründet, weil ich zu ungeduldig bin.
00:13:39 – 00:13:39
Tessa Ganserer:
Okay.
00:13:40:05 – 00:14:04:20
Raul Krauthausen:
Weiß aber auch, dass wir natürlich Politik brauchen und Politiker*innen brauchen, die natürlich auf der gleichen Seite stehen, ideell – mit den gleichen Werten. Um Dinge dann auch nachhaltig zu erreichen. Weil ein Aktivist, wie ich vielleicht einer bin, von außen ja vielleicht eher Impulse geben kann. Aber ich mache ja keine Gesetze und nur Gesetze können überhaupt nachhaltig etwas ändern.
00:14:04 – 00:14:08
Tessa Ganserer:
Ja, ich finde, das ist dann das Zusammenspiel der verschiedenen Kräfte.
00:14:09 – 00:14:09
Raul Krauthausen:
Genau.
00:14:10 – 00:15:02
Tessa Ganserer:
Die, die einfach notwendig sind. Es braucht Aktivisten, wie dich. Es braucht gesellschaftlich relevante Organisationen. Manchmal sind diese großen Organisationen, die zwar gesellschaftlich ein großes Gewicht haben, auch wieder sehr strukturkonservativ, aber die benötigt es heute im Zusammenspiel, um wirklich dann auch so den Handlungsdruck zu erzeugen. Aktivisten, die frei sind, die wirklich schonungslos den Finger in die Wunde legen können, die keine Kompromisse machen müssen und die wirklich Missstände schonungslos ansprechen und dann eben auch den Druck erzeugen, dass die Politik dann auch entsprechend handelt. Es braucht dann auch die parlamentarischen Mehrheiten, die dazu bereit sind, genau das zu unternehmen.
00:15:02 – 00:15:16
Raul Krauthausen:
Kommen wir dann noch mal kurz zurück zu deiner früheren Zeit? Du bist im tiefsten Bayerischen Wald aufgewachsen. Kommt daher deine Leidenschaft für Umweltschutz und Klima?
00:15:16 – 00:15:42
Tessa Ganserer:
Ich denke ja. Also ich würde es so beschreiben, dass mir die Liebe zum Wald förmlich in die Wiege gelegt wurde. Also meine beiden Großväter haben schon im Wald gearbeitet. Mein Vater hat bis zur Geburt meiner älteren Schwester im Wald gearbeitet. Später ist er dann als Schichtarbeiter in die Glasfabrik gegangen, um so die Familie zu ernähren.
00:15:42 – 00:15:44
Raul Krauthausen:
Was hat er im Wald gemacht?
00:15:45:01 – 00:16:04:08
Tessa Ganserer:
Im Wald? Also er hat damals also nicht nur, mit Unterbrechungen, aber die meiste Zeit als Pferderücker gearbeitet, also mit Pferden damals noch. Das war so in den 60er, 70er Jahren, also bis Mitte der 70er Jahre, dass er mit Pferden das Holz aus dem Wald zur Straße gerückt hat.
00:16:04 – 00:16:09
Raul Krauthausen:
Was zeichnet für dich einen Wald aus? Also, was fasziniert dich an Wäldern?
00:16:10 – 00:18:32
Tessa Ganserer:
Was mich an Wäldern fasziniert? Ich denke mir manchmal – so in meiner parlamentarischen Arbeit: Wäre ich nur draußen bei den Bäumen geblieben, müsste ich mich nicht zu viel ärgern. Was mich fasziniert, ist, dass die Natur, Tiere und Pflanzen keine Meinung über uns haben – dass ich da für mich selber draußen in der Natur und ich liebe es vor allem alleine zu sein, dass ich nicht infrage gestellt werd, mich nicht rechtfertigen und erklären muss, sondern dass ich einfach sein kann und dass das in Ruhe, in Ruhe, es ist ja nicht Ruhe.
Also wenn man sich da mal bewusst sich irgendwo raus sitzt, jetzt im Frühjahr, dass das Konzert der Singvögel, dass das Rauschen des Windes in den Bäumen, also in der Natur ist es ja nicht still. Ja, ich glaube, wir kommen eher zur Ruhe und das fasziniert mich so an der Natur und dann einfach so wie genial die Evolution, wie perfekt alles ist und trotzdem alles sein kann.
Also in den richtigen Urwald, da spielt es keine Rolle, ob der Baum krumm ist oder gerade wächst. Und die wertet ja auch nicht. Also ist da in der Natur, keiner draußen, der sagt, der Baum ist schlecht oder ähm Großereignis Käfer-Kalamität, wo große Flächen an Wäldern, an Bäumen kahl gefressen werden. Deswegen ist ja nicht alles tot. Es beginnt Neues, es ändert sich was.
Und es ist ja nichts, irgendwo im Stillstand. Es ist immer irgendwo eine Dynamik, manchmal gewaltige Dynamiken. Das sind Veränderungen, das sind Prozesse. Eine Katastrophe wird immer dann daraus, wenn wir das aus unserem menschlichen Blick betrachten, weil dann natürlich ein enormer wirtschaftlicher Schaden entsteht. Deswegen ist eine Katastrophe. Für die Natur ist es nur Großereignis, die zum Ablaufen in der Evolution ganz normal sind.
00:18:33 – 00:18:51
Raul Krauthausen:
Als ich Kind war, da gab es ein großes Thema, das nannte sich Waldsterben. Das war irgendwie ein Wort geworden, das sogar international gebraucht wurde in anderen Ländern. Und jetzt reden wir wieder vom Waldsterben, haben wir nichts gelernt? Es hieß doch immer, dass Deutschland auf gutem Weg war, als Waldsterben Thema war.
00:18:51 – 00:19:00
Tessa Ganserer:
Doch wir haben – also wir könnten daraus lernen. Wir könnten daraus lernen – die Situationen in den Achtzigern. Ich war damals noch ein ganz kleines Kind.
00:19:00 – 00:19:01
Raul Krauthausen:
Ja. Ich auch.
00:19:01 – 00:21:01
Tessa Ganserer:
Ich bin Baujahr 77, ist ja kein Geheimnis. Und als es losging, Anfang der 80er, da habe ich das noch gar nicht so richtig bewusst wahrgenommen, aber dass das Thema waberte ja dann auch noch durch die ganzen 80er. Es hat Jahre gedauert, aber die Politik hat dann reagiert. Ich glaube, das war 83, das war noch bevor die Grünen in den Bundestag eingezogen sind, hat die Politik die Großfeuerungsverordnung erlassen und dann wurden die großen Kohlekraftwerke,die wurden entschwefelt und wir haben innerhalb kurzer Zeit die Schwefelemissionen drastisch reduziert, durch entschlossenes Handeln der Politik.
Und es hat ein paar Jahre gedauert, bis wir die Erholung an den Bäumen sehen konnte. Aber das war deutlich und ohne diesen entschlossenen Handeln der Politik wäre es viel schlimmer geworden. Und das glaube ich. Und die Grünen sind damals stark geworden.
Das war nicht das einzige Thema, aber das Thema Waldsterben, bin ich mir sicher, hat dazu geführt, dass die Grünen nach und nach in alle Parlamente eingezogen sind und damit heute dann auch die Politik weiter angetrieben haben. Und heute sind es andere Herausforderungen. Wir haben mit anderen Luftschadstoffen zu tun, wir haben immer noch viel zu viel Stickstoffemissionen. Wir haben vor allem jetzt und darunter leiden momentan unsere Bäume und unsere Wälder am allermeisten, mit den ersten Folgen der Klimaerwärmung zu tun.
Dass wir in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Sommern hatten, die viel zu heiß und viel zu trocken sind und viele Waldbäume damit nicht mehr zurechtkommen bzw. dann manchmal so geschwächt sind, dass Insekten Massenvermehrung dazu führen, dass wie im Harz hunderte, tausende, also deutschlandweit sind es 500.000 Hektar Wälder ähm kahl gefressen worden.
00:21:01 – 00:21:08
Raul Krauthausen:
Können wir den Wald retten, so wie wir in den Achtzigern gerettet haben? Mit der Reduktion von Schwefel und so weiter?
00:21:08 – 00:23:35
Tessa Ganserer:
Die Frage ist, ob wir unseren Wohlstand retten können. Ja, also ich mache mir da echt Sorgen, weil es nicht nur unsere heimischen Waldbäume sind, sondern daran hängt ja ganzer Rattenschwanz an Tieren. Die Laubwälder – die Buchenwälder benötigen, weil sie sich auf die Buchenwälder spezialisiert haben, also alle Insekten, die in Buchenwälder vorkommen, die gibt es nur in Mitteleuropa, weil die Rotbuche heute nur bei uns beheimatet ist.
Wenn wir diese Arten verlieren, dann sind sie auf der ganzen Welt verloren. Ja, wir können in unseren deutschen Wäldern den Orang-Utan nicht retten, weil der hier nicht bei uns lebt. Aber wir tragen die internationale Verantwortung für die Pilze und die Insekten, die in unseren Wäldern vorkommen und mit jeder Art, die wir verlieren. Die Ökosysteme sind ja wie Spinnennetze, ganz intensiv und fein ineinander verwobene Verhältnisse, Beziehungen.
Wenn da ein Faden reißt im Netz, dann macht es gar nix. Aber irgendwann ist ein Faden zu viel gerissen und das Netz kracht zusammen und kann keine Last mehr tragen. Und so ist es auch mit unseren Ökosystemen. Und deswegen ist dieser massive, dieses massive Artensterben echt eine große Gefahr, weil damit die Stabilität der Ökosysteme verloren geht und diese Ökosysteme heute die Grundlage für unsere Ernährung und für unseren Wohlstand für unsere Gesellschaft sind.
Und deswegen mache ich da mir mehr Sorgen über die menschliche Zivilisation als über die Natur. Also irgendwas wird passieren, irgendwas wird zurückbleiben. Und in ein, zwei Millionen Jahren dann lässt sich die Natur was Neues, vielleicht was Vernünftigeres wie den Menschen einfallen. Keine Ahnung. Ja, sondern wirklich. Es ist dramatisch. Das sollte nicht zu Phlegmatismus verleiten, sondern wirklich eigentlich zu erkennen.
Es geht um uns. Es geht nicht mehr. Wir retten die … Wir müssen die Arten nicht retten, weil dann die Natur am Spiel steht, sondern letztendlich spielen wir mit unserem Wohlstand, mit unserer Zivilisation. Natürlich haben wir aber jede Art ein Eigenwert. Ja.
00:23:36 – 00:23:45
Raul Krauthausen:
Das finde ich total spannend, weil dieser Alarmismus, den wir seit keine Ahnung – seit ich lebe, in Bezug auf Klima, der wird ja immer lauter und immer …
00:23:45 – 00:23:45
Tessa Ganserer:
Aber zurecht!
00:23:45 – 00:23:46
Raul Krauthausen:
Zurecht natürlich.
00:23:46:08 – 00:24:58:20
Tessa Ganserer:
Also, es ist dramatisch. Wir sehen es ja bei uns in Deutschland. Die Trockenheit der Böden, Wasserknappheit, ja, dass Ernten vertrocknen, dass Wälder absterben. Ich kann das in Geld berechnen. Deshalb der dramatische volkswirtschaftliche Schaden. Dafür kann ich ganz viel Naturschutz und Klimaschutzmaßnahmen finanzieren, wenn ich den volkswirtschaftlichen Schaden, den wir jetzt schon verursachen – und wir leben in der gemäßigten Zone, die Folgen der Erderhitzung, die wir jetzt schon verursacht haben. In Afrika, in der Sahelzone, wo ganze Landstriche unbewohnbar werden, wo in Zukunft die Wüste weiter fortschreitet, dort ist ja noch viel dramatischer.
Wo Menschen im Mekong Delta – Millionen von Menschen, die, die Heimat verlieren, weil der Boden, weil die Landschaft überschwemmt wird aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels. Das ist … und da müssen wir Antworten finden. Also ich finde die deutliche Warnung vor dem, was da kommt, das ist kein keine übertriebene Hysterie. Ja, weil es hier um uns Menschen geht.
00:24:59 – 00:25:25
Raul Krauthausen:
Genau. Da stimme ich dir total zu. Ich frage mich, ob man vielleicht von der Erzählung her auch es erzählen könnte, dass man sagt, wir müssen im Prinzip folgende Schritte machen und dann wäre das Problem gelöst. Wenn man jetzt sagt okay, eigentlich sind es vielleicht Milliarden, aber wir können mit vollen Schritten in der nächsten fünf Jahre folgende Probleme gelöst haben.
So ein Ansatz, der der Hoffnung gibt.
00:25:25 – 00:25:51
Tessa Ganserer:
Ja, es würde mir teilweise auch ein bisschen näher liegen als nur das Dramatische, weil ich finde es so, so dramatisch wie die Entwicklung ist, so wenig sehen wir also wir sind ja jetzt gerade erst die Spitze des Eisberges, da kommen ja noch viel Schlimmeres auf uns zu. Selbst wenn wir jetzt nur versuchen, die Kurve zu kriegen, wird es weiter schlimmer werden.
00:25:51 – 00:25:51
Raul Krauthausen:
Genau.
00:25:52 – 00:27:15:
Tessa Ganserer:
Und ich glaube, das ist ein grundsätzlich menschliches Problem, dass wir exponentielles Wachstum uns nicht vorstellen können. Ich glaube so, da könnten wir aus der Corona-Pandemie lernen. Da finde ich, haben wir ja auch gerade beim zweiten Lockdown der erste war dramatisch. Dann kam der Winter 19, äh 2021 und die Politik wollte so einen harten Lockdown vermeiden. Wir haben Schritt für Schritt Maßnahmen ergriffen, um Kontakte zu reduzieren und die haben nicht ausgereicht, weil wir uns immer nur hinter dem exponentiellen Wachstum bewegt haben.
Und deswegen kamen wir da so lange nicht aus dem Winter. Und das glaube ich, ist ein menschliches Problem, dass wir so exponentielle Entwicklungen unterschätzen und dass wir deswegen keine Vorstellung haben, was uns an Klimaveränderungen durch die Erderwärmung passieren wird und was das für Auswirkungen auf unser Leben haben wird. Und ja, wie dramatisch waren die Bilder der Überschwemmungen, der Hochwässer?
Wie, wie schlimm ist es für Menschen heute noch dort, wo noch nicht alles wieder aufgebaut ist. Die meisten Menschen sind davon nicht betroffen.
00:27:15 – 00:27:16
Raul Krauthausen:
Wir machen einfach weiter.
00:27:16:19 – 00:27:32
Tessa Ganserer:
Machen weiter wie bisher. Genau. Und da eine Erzählung zu finden, die wirklich allen Menschen deutlich macht, worum es eigentlich geht und alle Menschen auch mitnimmt. Ja, das glaube ich, ist die große Herausforderung.
00:27:39 – 00:28:13
*Bing*.
Raul Krauthausen:
Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du aktuelle Folgen vorab hören und du wirst, sofern du das möchtest, hier im Podcast auch namentlich genannt. Alle Infos findest du auf raul.de/aufzug. Ende der Service Durchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge. *Bing* Geräusche eines sich öffnenden Fahrstuhls.
Raul Krauthausen: Ist das der Grund, warum du Politikerin geworden bist?
00:28:13:23 – 00:29:54:01
Tessa Ganserer:
Politikerin geworden? Oh, wenn das so einfach wär?! Ich hatte keinen Businessplan. In 25 Jahren möchte ich da im Deutschen Bundestag sitzen, sondern ich war 98, schon 21 Jahre und es war die erste Bundestagswahl, bei der ich mitwählen durfte. Und damals hatten wir halt 16 Jahre Helmut Kohl, und ich dachte, das ist mehr als genug. Und ich mache in der Tat, seit ich bei den Grünen bin, bearbeite ich Umwelt / Naturschutz Themen.
Aber das ist nicht der Grund, warum ich Mitglied geworden bin. Ich wollte eine Politik, die – Ja, ich wollte einen gesellschaftspolitischen Aufbruch, der so diese verstaubte Bonner Republik hinter sich lässt für ein besseres gesellschaftliches Miteinander, auch sozial gerechter. Es ist nicht alles so rosig geworden und rot-grün, wie ich es mir vorgestellt hätte. Und wir haben bei weitem nicht alles erreicht.
Aber das war für mich auch so, der ganz große Antrieb, auch politisch aktiv zu werden. Ich hatte Anfang der 90er diese Bilder gesehen, wo in den neuen Bundesländern Geflüchtetenheime brannten. Und das fand ich schrecklich. Und das waren somit die Impulse, die mich politisch aktiv haben werden lassen.
00:29:54 – 00:29:59
Raul Krauthausen:
Kannst du dich an das Gefühl erinnern, als du das erste Mal dann im Bundestag gesessen hast?
00:29:59 – 00:30:02
Tessa Ganserer:
Ja, ja, kann ich noch.
00:30:02 – 00:30:06
Raul Krauthausen:
Was war das für ein Gefühl? Aufbruch, oder jetzt fängt die Arbeit erst an?
00:30:06:15 – 00:31:31:16
Tessa Ganserer:
War sehr, sehr gemischt, sehr, sehr gemischt, weil ich zum einen ja schon acht Jahre im bayerischen Landtag war und ich sozusagen meinen ersten Schultag schon im Bayerischen Landtag erlebt habe. Und weil nach der Bundestagswahl es einen riesigen Medienwirbel gab, weil mit Nyke Slavik und mir das erste Mal zwei offen lebende transgeschlechtliche Menschen in den Deutschen Bundestag gewählt wurden.
Und es war ein riesen Medienwirbel, bevor die parlamentarische Arbeit so richtig losging. Der große Medienzirkus und die großen Medienanfragen waren die ersten Wochen schon rum, bevor so die erste konstituierende Sitzung im Deutschen Bundestag war. Es war ja erst vier Wochen später und ich mich da einfach gefreut hab. So, jetzt gehts los. Und vor allem mich gefreut habe auf die Aufgaben, die da kommen und vor allem, dass ein großes Anliegen von mir schon gelungen ist.
Ich habe ja für den Deutschen Bundestag kandidiert, um zunächst erst einmal für andere politische Mehrheiten zu werben. Und das ist ja schon am Wahlsonntag erreicht worden. Deswegen war es schon ein sehr freudiges Ereignis.
00:31:31 – 00:32:00
Raul Krauthausen:
Du hast gerade Nyke Slavik genannt. Ihr bildet quasi eine kleine Gemeinschaft von Transfrauen im Bundestag. Organisiert ihr euch? Was diese Thematik angeht, teilt euch die Berichterstattung über dieses Thema auf? Weil ich kann mir auch vorstellen, ihr habt eigentlich auch andere Themen, über die ihr reden müsst und wollt. Jetzt ständig dann der vorzeige Transmensch zu sein, ist vielleicht auch ein bisschen anstrengend?
Also ich kenn das zumindest aus der Dimension Behinderung.
00:32:00 – 00:32:12
Tessa Ganserer:
Ja. Es ist eine Akzeptanzarbeit. Und da sprichst du genau den Punkt an, ja. Akzeptanzarbeit zu leisten ist enorme emotionale Anstrengung.
00:32:12 – 00:32:16
Raul Krauthausen:
Man macht ständig so einen Seelenstriptease, ungefragt. Ob man das überhaupt machen will.
00:32:17 – 00:32:26
Tessa Ganserer:
Ja. Und es sind Diskriminierungserfahrungen, Ungerechtigkeiten, die einem persönlich auch betreffen.
00:32:26 – 00:32:31
Raul Krauthausen:
Genau. Man muss jedes Mal die Frage beantworten: Wann wurden Sie zuletzt diskriminiert?
00:32:31 – 00:33:54
Tessa Ganserer:
Zum Beispiel. Und das ist anstrengend. Es ist emotional auf eine andere Weise und intensiver anstrengend, wie für andere politische Themen einzutreten, die einem persönlich nicht so sehr betreffen. Aber ich finde, diese Akzeptanzarbeit ist absolut notwendig. Es ist es notwendig, dass Menschen diesen Erfahrungshorizont in den öffentlichen Diskurs einbringen, weil andere Menschen diese Erfahrungen einfach nicht erleben. Und damit vielleicht nicht aus Böswilligkeit, sondern aufgrund der, ich mag diesen Begriff Betroffenheit nicht, aufgrund dass Sie diese Erfahrung, diese Diskriminierungen nicht erleben, keine Vorstellung haben, wie schlimm das ist. Keine Vorstellung haben, wie viel Barrieren wir anderen Menschen in den Weg stellen.
Nicht weil wir böse sind, sondern weil keiner ein Auge dafür hat. Weil keiner, der zwei gesunde Füße hat, da Auge dafür hat, wo schon die kleinste Schwelle jemanden die Teilhabe verwehrt. Und deswegen, glaube ich, ist es wichtig, dass Menschen gibt, die genau da den Finger in die Wunde legen. Und das können dann nur die Menschen, die genau diese Erfahrungen machen.
00:33:55 – 00:33:58
Raul Krauthausen:
Ärgert dich es, dass das ausgerechnet du bist?
00:33:59 – 00:34:36
Tessa Ganserer:
Ärgern? Hmm, was möchte ich? Was soll ich denn machen? Ich bin so geboren. Ich habe diese gesellschaftliche Transfeindlichkeit selbst so sehr verinnerlicht, dass ich zunächst mal selber verdammt lange gebraucht habe, um mich selbst zu akzeptieren. Ich bin mit Leib und Seele Politikerin. Und ich möchte […] Also manchmal. Manchmal denke ich mir schon So lasst mich doch alle in Ruhe. Ja.
00:34:36 – 00:34:36
Raul Krauthausen:
Genau.
00:34:37 – 00:36:08
Tessa Ganserer:
Aber ich möchte mich. Ja, ich möchte mich nicht verstecken. Ich konnte mich nicht mehr länger verstecken und verleumden. Ich musste endlich mein Leben führen. Ich wollte mich auch nicht aus der Politik drängen lassen. Ja, und jetzt bin ich da. Scheinbar ist es halt mein Schicksal. So wie ich als transgeschlechtlicher Mensch geboren wurde, ist es mein Schicksal, dass ich jetzt eine der ersten bin im Deutschen Bundestag.
Dass ich die erste war, die sich während ihrer aktiven Amtszeit als Politikerin geoutet habe und ja, dann heißt es so, dieses Schicksal anzunehmen. Und ich denke, das wird dir auch gehen, dass deine Arbeit gesehen und geschätzt wird, dass es dir, egal wie. Wie ermüdend diese Ebenen sind, durch die man da schreitet, bis man zum Gipfel kommt. Oder manchmal einfach das Gefühl hat, es nimmt kein Ende, dass einen Menschen doch immer wieder spiegeln, wie wichtig es ist, dass es dich gibt. Ja, dass du da bist und dass du dich nicht zurückziehst und das ja lebe ich heute auch. Also ich weiß, dass da ganz, ganz viele Menschen das heute sehen und dass sie froh sind, dass es Menschen wie mich in der Politik gibt.
00:36:08 – 00:36:31
Raul Krauthausen:
Das Selbstbestimmungsgesetz soll ja in dieser Legislatur rauskommen. Es wird ja schon länger angekündigt. Angeblich ist es jetzt wirklich bald so weit. So ähnlich wie mit der Kindergrundsicherung wurde es ja lange versprochen. Dann war der Entwurf da und jetzt rudert die FDP zumindest wieder zurück. Wird es beim Selbstbestimmungsgesetz ähnlich ablaufen? Hast du da Angst?
00:36:31 – 00:37:40
Tessa Ganserer:
Nein, es grämt mich. Dass es jetzt die letzten Monate Verzögerungen gab, weil aufgrund dieses Gesetzes Menschen draußen leiden. Ja, weil. Weil sie entweder, so wie ich, keine amtliche Personstandsänderung vornehmen haben lassen und sich deswegen im Alltag immer wieder erklären und rechtfertigen müssen und demütigende Situationen erleben. Oder weil sie sich einem demütigenden, entwürdigenden Verfahren unterziehen müssen, damit es endlich ein Ende hat mit der ständigen Erklärung und Rechtfertigung.
Und es grämt mich sehr, dass es da jetzt so lange gedauert hat. Aber ich bin mir da sicher, dass das am Ende ein wirklich gutes Gesetz wird und dass wir dieses Gesetz, das entwürdigende Transsexuellengesetz, das von Anfang an Unrecht war, endlich beerdigen.
00:37:40 – 00:37:42
Raul Krauthausen:
Allein der Name ja ist ja schon problematisch.
00:37:43 – 00:38:52
Tessa Ganserer:
Genau. Aber es ist dieses ganze Verfahren. Es ist nicht nur problematisch. Ist es entwürdigend, dass ein Richter darüber entscheidet, ob ein Mensch von diesem Staat so anerkannt und akzeptiert wird, wie er ist! Dass man sich dafür wirklich in psychologischen Gutachten psychisch nackig machen muss, dass man sich übergriffige Fragen gefallen lassen muss. Das ist einfach so, gegen die Menschenwürde.
Und deswegen ist es einfach so was an der Zeit, dieses Gesetz durch das Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. So wie es um uns herum zahlreiche europäische Länder ja bereits längst beschlossen haben. Also wir sind da nicht die Vorreiter, was die Menschenrechte von queeren, von transgeschlechtlichen Menschen anbelangt. Wir haben hier in Deutschland 16 Jahre gesellschaftspolitischen Stillstand erlebt und holen das jetzt nach, was andere Länder bereits teilweise vor Jahren schon umgesetzt haben.
00:38:53 – 00:39:39
Raul Krauthausen:
Für viele bist du, wenn man so im Internet liest, auch ein Vorbild, eine Inspiration. Ich bin da auch über das Thema Gerechtigkeit von marginalisierten Menschen überhaupt darauf aufmerksam geworden, dass das gerade ein wichtiges Thema ist für Transmenschen. Gleichzeitig erlebst du es wahrscheinlich auch stärker als ich. Hass im Internet, also schlimmste Anfeindungen, die ich auch erlebe, aber wahrscheinlich in einem anderen Ausmaß.
Ich will gar nicht auf den einzelnen Fall jetzt eingehen, sondern ich will wissen, weil das ist etwas, was mich sehr stark beschäftigt. Bist du jemals juristisch durchgekommen bei einer Anzeige, einer Diffamierung im Netz?
00:39:40 – 00:40:00
Tessa Ganserer:
Ja, mehrmals. Und ich, äh ich kann es gar nicht mehr zählen, weil ich bei vielen Strafanträgen, die ich stelle. Letzte Woche waren es am Montag 32, die ich unterschrieben habe, diese Woche mit Sicherheit wieder ganze Stapel dazugekommen. Ich war heute noch nicht im Büro.
00:40:00 – 00:40:01
Raul Krauthausen:
Unfassbar.
00:40:01 – 00:40:59
Tessa Ganserer:
Und ich bekomme von ganz vielen dann auch keine Nachricht, ob das Verfahren eingestellt wurde. Ja, mittlerweile ja. Ganze Reihe, die teilweise, weil sie sich bisher noch nichts zuschulden kommen haben lassen. Weil sie die Tat eingestanden haben, das Verfahren dann gegen eine Bußgeldzahlung eingestellt wurde. Aber ich habe es nicht mehr gezählt. Ich habe da keinen Überblick mehr. Das, was bei mir aufschlägt und ich durchforste.
Ich komm nicht dazu. Ja, also ich musste und das schränkt halt echt ein. Ich muss auf Facebook zum Beispiel die Kommentarfunktion abstellen, weil ich sonst nicht mehr fertig werde. Also ich kann, ich kann ja wirklich teilweise volksverhetzende, menschenfeindliche Kommentare, persönlichen Beleidigungen, Drohungen, die kann nicht einfach stehen.
00:40:59 – 00:41:00
Raul Krauthausen:
Ne natürlich nicht.
00:41:00 – 00:42:31
Tessa Ganserer:
Die einfach nur zu löschen. Also das, das macht es ja nicht wieder gut. Ja, ich kann ja. Ich kann ja auch nicht rausgehen, auf die Straße, einen Menschen ins Gesicht schlagen und dann im über die Wange wischen und sagen: so, jetzt ists wieder ungeschehen. Ja, also löschen macht das nicht wieder gut. Sondern da hat jemand, der sich wirklich eindeutig, beleidigend, drohend und menschenverachtenden Hass äußert, der begeht da Unrecht.
Und ich? Ich möchte, dass solche Menschen dann halt auch belangt werden. Ja, und es macht halt Arbeit und dafür habe ich die Kapazitäten nicht. Deswegen muss ich zum Beispiel in Facebook die Kommentarfunktionen einschränken. Und ich kann, ich kann gar nicht alles verfolgen, was sonst noch auf anderen Plattformen stattfindet. Aber das, was bei mir direkt einschlägt und was offensichtlich strafrechtlich relevant ist, bringe ich konsequent zur Anzeige.
Das ist notwendig. Nicht weil ich irgendwie anderen Menschen was Böses möchte, sondern es, glaube ich, ist einfach Nein, ich bin der Überzeugung, dass es notwendig ist, egal ob die Täter*innen ermittelt werden können oder nicht. Es ist einfach notwendig, um gesellschaftlich dieses Ausmaß auch deutlich zu machen.
00:42:31 – 00:42:44
Raul Krauthausen:
Genau auf den Punkt will ich damit hinaus. Was macht das mit dir, deinem Glauben an den Rechtsstaat? Und was macht das mit den Täter*innen, die ziemlich sicher sein können, dass ihnen nichts passiert?
00:42:44 – 00:43:48
Tessa Ganserer:
Also nichts passiert? Nein, da darf sich keiner und keine sicher sein. Es passiert was. Ja, wir sind in keinen rechtsfreien Raum und auch das Internet ist kein rechtsfreier Raum und es soll und darf sich keiner sicher sein, dass ihm keine Strafe ereilt. Und ich habe durch diese Verfahren für mich und nicht nur für mich, sondern auch für andere Menschen sichtbar gemacht, dass Hass, Hetze, Beleidigungen, Bedrohungen Unrecht sind und dass wir den Rechtsstaat auf unserer Seite wissen.
Jetzt weiß ich um meine privilegierte Situation. Dass ich Mitarbeiter*innen habe, die mich damit unterstützen. Ich weiß, dass ich die Sachen auch bei der Bundespolizei im Deutschen Bundestag melden kann, die da ein anderes Bewusstsein haben. Ich, ich, ich …
00:43:48 – 00:43:51
Raul Krauthausen:
Aber fühlst du dich geschützt?
00:43:51 – 00:44:12
Tessa Ganserer:
Geschützt? Also geschützt würde ich mich finden, wenn wir in einer Gesellschaft leben würden, wo ich keinen solchen Hass erleben muss. Also, dass jemand im Nachgang für seine Beleidigungen und seine Drohungen bestraft wird, hat mich ja nicht geschützt in der Stunde. Das erzeugt Gerechtigkeit.
00:44:13 – 00:44:14
Raul Krauthausen:
Das stimmt. Oder fühlst du dich gerecht …
00:44:15 – 00:44:57
Tessa Ganserer:
Und ich finde ja diese Verfahren und wenn ich mitbekomme, dass jemand das der Täter ermittelt werden konnte und das der dann auch ein Urteil eine Strafe bekommt. Dann finde ich, ist für mich die Bestätigung, dass ich den Rechtsstaat auf meiner Seite weiß und dass Hass in dieser Gesellschaft nicht einfach hingenommen wird, dass man das nicht hinnehmen muss.
Ich weiß heute, dass es enorme Kraftaufwand kostet, das dann auch aufzuarbeiten, weil es im Prinzip ja von einem nochmal verlangt, dass man sich mit dem noch mal weiter beschäftigt.
00:44:58 – 00:44:58
Raul Krauthausen:
Ja klar.
00:44:59 – 00:45:56
Tessa Ganserer:
Trotzdem ich. Ich kann keinem verurteilen. Ich weiß um die drastische Situation, dass rund 90 % der Hasskriminalität gar nicht zur Anzeige gebracht wird. Und ich finde das furchtbar. Ich finde das furchtbar, dass Menschen damit alleine gelassen werden. Und ich weiß, wenn ich irgendwas dazu beitragen kann, Menschen zu ermutigen, dass sie das nicht runterschlucken, dass sie wirklich auch sich Hilfe und Unterstützung holen. Und dass sie hier dafür sorgen, dass der Rechtsstaat eben auch dafür sorgt, dass so was nicht ungestraft bleibt.
Ja, dann, glaube ich, hätte ich mit dem auch was erreicht, mit dem, was da an Hass und Hetze, mit der ich mich auseinandersetzen muss.
00:45:56 – 00:46:08
Raul Krauthausen:
Was muss politisch noch geschehen jenseits der Rechtsdurchsetzungsthematik, die wahrscheinlich auch immer noch zu gering ist, um die Situation für Transmenschen in Deutschland zu verbessern?
00:46:09 – 00:47:53
Tessa Ganserer:
Ich würde sagen, das sind vier Bereiche, vereinfacht gesagt die Diskriminierung in Recht und Gesetz abschaffen, also das Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Es muss das Abstammungsgesetz reformiert werden. Das ist so der Bereich Diskriminierungen im Recht abschaffen. Dann würde ich sagen, für gesellschaftliche Akzeptanz werben. Weil ich finde, so vieles beruht halt auf Vorurteilen, weil wir hier in dieser Gesellschaft so hineingeboren wurden, weil dieses Thema lange Zeit tabuisiert und stigmatisiert wurde und sich deswegen auch Vorurteile weit verbreiten konnten.
Und deswegen ist es nicht nur Aufgabe der Betroffenen alleine, sich gegen diese Benachteiligung, gegen den Hass zu wehren, sondern es ist eine Aufgabe, gesamtgesellschaftliche, für gutes, diskriminierungsfreies Miteinander zu sorgen. Das bezieht sich ja nicht nur auf Transmenschen, aber da ist eben dann die Aufgabe, auch finanzielle und personelle Mittel bereitzustellen, die diese Akzeptanzarbeit, die Aufklärung leisten. Dritter Punkt dort, wo fehlende Akzeptanz in Ausgrenzung, in Beleidigungen, in Bedrohungen, in körperliche Gewalt umschlagen.
Da muss der Staat sich schützend an die Seite der Betroffenen stellen. Und da müssen Täter eben auch wirklich zur Verantwortung gezogen werden. Und der vierte Punkt ist, dass wir auch eine bessere medizinische Versorgung benötigen.
00:47:54 – 00:48:05
Raul Krauthausen:
Und was kann jeder Einzelne tun? Du hast auch mal gesagt, dass wir auch in Schulen mehr dazu leisten sollten im Sinne der Aufklärung und vielleicht auch Repräsentation des Themas?
00:48:05 – 00:50:36
Tessa Ganserer:
Also ich glaube, dass wir alle an uns selber erst einmal anfangen müssen zu arbeiten. Ich glaube, ich bin auch nicht immer frei, wie ich für manche Sachen, für manche Formen der Diskriminierung einfach kein Bewusstsein habe. Dass wir heute alle in einer prinzipiell patriarchalen, rassistischen Gesellschaft aufgewachsen sind und Vorurteile und Ismen verinnerlicht haben. So subtil ja, die wir uns teilweise selber gar nicht bewusst sind.
Und dann muss, glaube ich, jeder an sich selber arbeiten, bereit sein, sich selber zu reflektieren, kritisch zu hinterfragen, dazuzulernen, auf andere Menschen einzugehen, denen zuzuhören und dann selber überprüfen: Wo bin ich denn noch nicht befreit? Und dort, wo ich die Möglichkeit habe, auch für andere Menschen einzustehen, das Wort zu ergreifen. Ja, nicht nur die Tür aufhalten, wenn jemand irgendwo Schwierigkeiten hat, eine Krücke benötigt oder mit dem Rollstuhl unterwegs ist, sondern auch das Wort ergreifen, wenn ich irgendwelche menschenfeindliche Bemerkungen irgendwo hör in mein Umfeld oder dort, wo ich als Arbeitgeber oder in einem Verein irgendwas tun kann für gutes Miteinander.
Und das, glaube ich, ist so die Gemeinsamkeit, die man lernen können. Also ich glaube so natürlich haben Menschen mit Behinderung dieser Gesellschaft noch mal ganz andere Herausforderungen, um Inklusion, um Barrieren im öffentlichen Raum, in Gebäuden abzubauen. Aber es ist so einfach ist es, diese Einstellung in der Gesellschaft, dass es uns egal ist, dass Menschen mit Behinderung in Behindertenwerkstätten wegsperren.
Ja, dass zunehmend auch Menschen mit einer gewissen genetischen Ausstattung gar nicht mehr geboren werden, weil die Kinder bei der Diagnose dann gleich abgetrieben werden. Ja, das finde ich furchtbar. Und ich finde es so – Das Grundproblem ist, dass wir in dieser Gesellschaft dazu neigen, dass wir ein gewisses Wir definieren und alle, die bestimmte Kriterien nicht erfüllen, automatisch abwerten und denen weniger Rechte zuordnen.
00:50:36 – 00:50:37
Raul Krauthausen:
Das sind dann die Anderen.
00:50:37 – 00:51:58
Tessa Ganserer:
Das sind die Anderen. Ja, und es geht schon los, dass in dieser Gesellschaft Frauen weniger, tendenziell weniger wert sind. Dass die, die kostenlose Care-Arbeit leisten müssen, dass es sich mit weniger Gehalt, mit weniger Rente zufriedengeben müssen, dass sie sich sexistische Sprüche gefallen lassen müssen, dass sie vor allem körperliche und sexualisierte Gewalt erfahren. Ja, das geht weiter. Menschen mit offensichtlichem Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung, queere Menschen.
Und dahinter steckt doch diese Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Dass sich manche Menschen herausnehmen, dass sie anderen aufgrund bestimmte Merkmale weniger wertschätzen und das als Rechtfertigung nehmen. Und diese Menschen dann auch noch schlecht zu behandeln oder, denen sogar Gewalt anzutun. Das ist so das Grundproblem, und das, glaube ich, ist die große Gemeinsamkeit, die wir erkennen können und wo ich glaube, wie stark wären wir, wie stark wären wir, wenn wir das erkennen?
Und wenn wir mal endlich alle zusammenhalten und das Gegenüber der Gesellschaft deutlich zu machen, dann ist es keine kleine Minderheit kein Randproblem mehr, sondern da geht es um was Grundsätzliches, wie gehen wir anständig miteinander um.
00:51:58 – 00:52:10
Raul Krauthausen:
Wie könnte denn da eine gute Aufklärungsarbeit in der Schule beispielsweise aussehen, ohne dass gesagt wird: “Guck mal, wir haben ja den Raul als Rollstuhlfahrer in der Klasse”? Jetzt gucken wir mal alle im Religionsunterricht ziemlich beste Freunde.
00:52:11:05 – 00:52:48:07
Tessa Ganserer:
Wie könnte das aussehen, dass es sich ich glaube, dass das muss so auf so vielen Ebenen gleichzeitig passieren. Also ich glaube so diese Inklusion, dass wir Menschen nicht wegen körperlichen Behinderungen gleich segregieren von klein auf, sondern dass wir die mitnehmen. Ja, und dass wir versuchen, diese Vielfalt auch wirklich zu leben. Ich glaube, es würde etwas bringen, wenn es uns echt gelingt, wirklich den Menschen aus den Behindertenwerkstätten rauszuholen und wirklich auf allen Ebenen in unsere Gesellschaft wirklich zu integrieren.
Dann wäre eben auch diese gesellschaftliche, menschliche Vielfalt plötzlich sichtbar und es wäre nichts Besonderes mehr. Na, es wäre was Besonderes, weil der Raul im Kindergarten und in der Schule, als Lehrer oder als Erzieher echt super dufte Typ ist, der mir keine Ahnung was beigebracht hat.
00:53:08 – 00:53:12
Raul Krauthausen:
Ja und das gleiche ja dann auch für Kinder mit Migrationshintergrund, oder Transkinder?
00:53:12 – 00:53:13
Tessa Ganserer:
Ja.
00:53:13 – 00:53:37
Raul Krauthausen:
Was macht ihr in all den ganzen Thematiken, die wir jetzt hier aufgemacht haben? Der Aufzug ist nämlich bald da. Was würdest du sagen, ist ein für dich ein Erfolg gewesen deiner Arbeit, seitdem du dich politisch engagierst? Du hast vorhin schon gesagt, alleine, dass du Mehrheiten mit organisieren konntest, dass es ein Regierungswechsel stattfand, könnte schon ein Erfolg gewesen sein.
00:53:37 – 00:57:34
Tessa Ganserer:
Ach, es ist ja. Ich glaube, das ist eine große Gefahr, dass man sich als Politikerin viel zu schnell viel zu wichtig nimmt. Es ist ja nie der Verdienst einer einzelnen Person, sondern trägt ja so viel dazu bei. Andererseits darf man diese Erfolge nicht gering schätzen, weil sonst, sonst verdirbt man sonst fragt man sich, wieso tut man sich diesen enormen Stress an?
Ich habe mich schon wahnsinnig gefreut, als ich damals im Bayerischen Landtag aus der Opposition erreichen konnte, dass die CSU Regierung endlich Geld bereitstellt, um in ganz Bayern Beratungsstellen für queere Menschen zu finanzieren. Ja, weil ja, für mich – ich mein ich. Ich möchte, dass wirklich alle ein gutes Leben führen, egal wo sie sind. Wenn wir feststellen, dass queere Menschen in besonderem Maße, wenn sie im ländlichen Raum geboren sind, ihre Heimat verlassen.
Natürlich in erster Linie wegen der Berufsausbildung oder wegen Studium. Aber wenn Sie als zweiten Grund angeben, sie sind in einer Großstadt gezogen, weil Sie sich zu Hause nicht ernst genommen, nicht wahrgenommen, nicht geschätzt fühlen, weil sie Angst hatten, dort Ablehnung zu erfahren, dann ist doch was nicht in Ordnung. Ja, und da muss man halt sehen, dass das Bayern bunter und vielfältiger ist und dass es deswegen flächendeckend Beratungsangebote.
Also das war für mich ja großer Erfolg, ohne dass ich jetzt sagen kann es wäre allein mir zu verdanken hier im Deutschen Bundestag. Nun gut, wir haben, wir haben den Aktionsplan für Akzeptanz von Vielfalt auf den Weg gebracht. Diese Aufgabe, das hat die Bundesregierung gemacht. Es wurde im Ministerium erarbeitet, aber dafür hat es die politische Mehrheit benötigt. Wir haben jetzt in diesem Jahr die Diskriminierung bei der Blutspende beendet.
Wir gehen jetzt, glaube ich, in ein queerpolitisch ereignisreiches Jahr, wo noch vieles weitere ansteht. Eben das Selbstbestimmungsgesetz. Ich habe jetzt am Freitag Fachgespräch zum Thema Operationsverbotsschutz von nicht zustimmungsfähigen Kleinkindern, also intergeschlechtliche Kinder, so dass bis in jüngste Vergangenheit intergeschlechtliche Kinder nach der Geburt oder im frühen Kindesalter operiert wurden. Obwohl es keine lebensnotwendige Maßnahme ist, operiert wurden, weil ihre Genitalien nicht aussahen wie im schulmedizinischen Lehrbuch und häufig mit sehr traumatischen – traumatisierenden Erfahrungen, die Menschen ein Leben lang prägen.
Diese Operationen wurden vor zwei Jahren verboten, aber noch kurz nach der Bundestagswahl wurde Deutschland im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen deswegen gerügt.
Also zwar anerkannt, dass es jetzt dieses Gesetz gibt, aber deutlich angemerkt, dass es hier noch Schutzlücken gibt, die geschlossen werden müssen. Ich weiß nicht, wann wir es schaffen, weil bisher nur Evaluierung aussteht. Aber das ist noch was, was ich vorhabe.
Dann natürlich, das Abstammungsrecht, wo auch lesbische Mütter diskriminiert werden. Was noch ansteht, das wären so Erfolge. Das ist noch nicht erreicht. Das haben wir alles noch vor. Aber wir sind ja auch erst noch nicht ganz bei der Mitte der Legislaturperiode.
00:57:34 – 00:57:39
Raul Krauthausen:
Was ist deine bisherige wichtigste Lektion in der politischen Arbeit?
00:57:39 – 00:58:11
Tessa Ganserer:
Meine wichtigste Lektion? Ich weiß noch nicht, ob ich die gelernt habe. Aber ich versuchs mir vorzunehmen. Mensch zu bleiben, Freunde zu haben und ein gewisses Maß an Privatleben. Weil ich bin mir sicher, dass irgendwann einmal das politische Leben, das Leben als Politikerin zu Ende ist. Und die Frage ist, ob danach noch Freunde und Bekannte da sind.
00:58:12 – 00:58:17
Raul Krauthausen:
Ja, da liest man viele traurige Geschichten von berühmten Politiker*innen.
00:58:18 – 00:58:56
Tessa Ganserer:
Ja, das erfordert den sehr hohen Preis, weil ich weiß es selber. Ich glaube, ich bin eine furchtbar schlechte Freundin, weil ich einfach so oft, weil Termine am Wochenende, egal wann einfach offenbar eine viel höhere Priorität in meinen Leben haben als irgendwelche Familienfeiern. Und deswegen, glaube ich, bin ich einfach keine gute Freundin, weil ich dann nicht da sein kann, wenn jemand gerade umzieht, weil ich an dem Wochenende dann doch irgendwo eine Sitzung oder Veranstaltung habe.
Und trotzdem ist mir das wichtig, das nicht zu vergessen.
00:58:56 – 00:59:03
Raul Krauthausen:
Wie schöpfst du denn Kraft für dich, also wo tankst du auf? Gehst du dafür in den Wald oder guckst du Netflix?
00:59:03 – 00:59:41
Tessa Ganserer:
Ach ja, ich guck ab und zu Netflix. Ja, aber auftanken tue ich wirklich so im Wald. Ich komm – Ich merke, dass ich viel zu selten rauskomme und schon wenige Minuten draußen in der Natur im Grünen zu sein, zeigt mir so, wie sehr ich das benötige, um wieder für mich ins Gleichgewicht zu kommen. Also draußen in der Natur, möglichst am liebsten dann ganz für mich alleine.
Das sind die Momente, wo ich wieder Kraft tanke.
00:59:42 – 00:59:57
Raul Krauthausen:
Eine Frage und damit auch die letzte Frage, die ich all den Gästen stelle. Was für eine Organisation kannst du empfehlen, die unsere Hörerinnen und Hörer vielleicht unterstützen könnten oder sich informieren könnten, die dir wichtig ist?
00:59:58 – 01:00:51
Tessa Ganserer:
Oh Gott, da bin ich jetzt schlecht vorbereitet. Das ist schwierig, weil es so viele tolle Organisationen gibt. Hm, dann sage ich jetzt sofort die nächsten Tage im schwulen Museum in Berlin. Da ist die Ausstellung zu Cripping the Queer. Die Verbindungen und Zusammenhänge, Gemeinsamkeiten zwischen Queerness und Menschen mit Behinderung. Und ich finde, das schwule Museum macht generell eine super tolle Arbeit, das unbedingt wert ist, die auch im Moment zu unterstützen. Und der Eintritt für diese Ausstellung momentan und diese Ausstellung, das ist das Geld allemal wert, und man unterstützt damit eine wichtige Organisation. Ja, wenn ich da eine empfehlen darf, dann wäre es jetzt gerade diese.
01:00:51 – 01:00:54
Raul Krauthausen:
Du darfst gerne noch eine empfehlen.
01:00:54 – 01:00:59
Tessa Ganserer:
Na lassen wir es mal, sonst werde ich nicht fertig, dann regen sich andere auf, warum ich sie nicht genannt habe.
01:00:59 – 01:01:05
Raul Krauthausen:
Das ist aber eine sehr schöne Empfehlung. Ich danke dir, liebe Tessa, dass du zu Gast im Aufzug warst.
01:01:05 – 01:01:06
Tessa Ganserer:
Danke für die Einladung.
01:01:07 – 01:01:13
Raul Krauthausen:
Ich habe sehr viel gelernt und mir sehr viel Spaß gemacht. Und ich hoffe, wir sehen uns wieder. Wenn die Tür jetzt aufgeht, wo geht es für dich weiter?
01:01:14 – 01:01:17
Tessa Ganserer:
Unbedingt. Sofort zurück zum Deutschen Bundestag.
01:01:17 – 01:01:21
Raul Krauthausen:
Die Arbeit wartet. Okay. Viel Erfolg.
01:01:21:13 – 01:01:21:24
Tessa Ganserer:
Danke.
01:01:25 – 01:01:52
Raul Krauthausen:
Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge. So wie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Shownotes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen.
01:01:52 – 01:02:09
Raul Krauthausen:
Mit einer Steady Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. Im Aufzug ist eine Produktion von Schønlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal hier im Aufzug.
Tessas Herzensangelegenheit:
Schwules Museum Berlin – Ausstellung: Queering the Crip, Cripping the Queer
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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann
Coverart: Amadeus Fronk