Wie spricht man über den Tod?
Im Aufzug Folge 21 mit the one and only Ralph Caspers!
Ralph Caspers hat mit der Sendung mit der Maus und Wissen macht Ah die Kindheiten vieler geprägt wie kein anderer. Dabei vermittelt er auf seine unvergleichliche Ralph-Art Wissen an die großen und kleinen Kinder.
Wir reden darüber, wie man mit Kindern auf Augenhöhe redet und was man sagt, wenn es einem die Sprache verschlagen hat.
Denn Ralph ist Schirmherr der Traube e.V Köln, einem Verein für Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche. Das macht er aus eigener Erfahrung – sein Vater verstarb, als Ralph 15 Jahre alt war.
Ich muss gestehen: Ich war schon vor unserem Treffen ein Rießenfan – jetzt, nach unserer Aufzugfahrt, bin ich es noch mehr.
Im Aufzug mit Ralph Caspers, jetzt überall wo es Aufzüge…äh Podcasts gibt!
00:00:01
Raúl Krauthausen: Bevor der heutige Gast in meinen Aufzug steigt. Ein Hinweis in eigener Sache, denn „Im Aufzug“ hat jetzt eine eigene Website: im-aufzug.de. Dort findest du alle Folgen zum Nachhören, Transkripte der Folgen und Infos, wie du „Im Aufzug“ unterstützen kannst. Mit einem kleinen monatlichen Beitrag hilfst du nämlich mir, diesen Podcast noch lange weiter zu betreiben. Meinen heutigen Gast kennt ihr garantiert alle. Mit der „Sendung mit der Maus“ und „Wissen macht Ah!“ vermittelt er auf seine ganz eigene sympathische Art Wissen an die kleinen und großen Kinder. Die Rede ist natürlich von The One and only Ralph Caspers. Ralph hat mich absolut überrascht. Er sagt von sich selbst, dass er so der „Typ planlos“ ist und gerne einfach rumhängt. Warum das ein großer Vorteil für seine Arbeit ist, erzählt er euch gleich. Wir reden außerdem darüber, ob er wirklich auf Borneo geboren ist, wie man mit Kindern auf Augenhöhe redet und was man sagt, wenn es einem eigentlich die Sprache verschlagen hat. Denn Ralf ist Schirmherr der TrauBe e.V. Köln, einem Verein für Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche. Das macht er aus eigener Erfahrung. Sein Vater verstarb, als Ralph 15 Jahre alt war. Ich muss gestehen, ich war schon vor unserem Treffen ein Riesenfan. Jetzt nach unserer Aufzugsfahrt bin ich es noch mehr. Ihr auch? Aufzugstür auf für: Ralph Caspers.
Die Tür geht auf. Und wer kommt rein? Es ist unglaublich. Ich bin großer Fan. Ralph Caspers. Hallo, Ralph. Schön, dass du da bist.
00:01:47
Ralph Caspers: Hallo, Raúl. Das freut mich sehr. Gut, dass hier noch Platz ist im Fahrstuhl.
00:01:51
Raúl Krauthausen: Ja, der Aufzug ist geräumig genug. Ich hatte auch schon tolle Gelegenheiten mit tollen Menschen ungefähr eine Stunde, so lange fährt der Aufzug immer, zu quatschen. Hattest du schon mal einen awkward Aufzug Moment?
00:02:02
Ralph Caspers: Ständig. Ich provoziere die aber auch. Ich kann ja sehr gut auf Kommando furzen und das ist gerade in Aufzügen sehr praktisch. Also, ich mach dann so Geräusche. Ich kann das kann es jetzt zum Beispiel gerade mal zeigen. Achtung! [Furzgeräusch]
Raúl Krauthausen: Ah ja.
Ralph Caspers: Das kann ich einfach so.
00:02:19
Raúl Krauthausen: Ja, [Furzgeräusch] das war ein feuchter Furz jetzt.
00:02:23
Ralph Caspers: Hmmm. [Furzgeräusche gehen weiter] Und das kann ich auch, während ich rede. [Furzgeräusche stoppen] Und das ist sehr praktisch und gerne mache ich das in voll besetzten Aufzügen ein so ein Geräusch. Und dann gucke ich alle vorwurfsvoll an und frage: Muss das sein? Ich meine, es ist wirklich keine lange Fahrt hier. Kann man da nicht warten, bis wir alle wieder ausgestiegen sind? Und dann mach ich so ein paar Würgegeräusche und ja, meistens ist es sehr lustig für mich. Ich glaube, ich bin kein guter Aufzugmitfahrer.
00:02:53
Raúl Krauthausen: Hältst du das dann aus, wenn die Leute dann alle auch nicht genau wissen, wie man damit umgeht?
00:02:58
Ralph Caspers: Ja, total. Also awkward silence ist mein zweiter Vorname.
00:03:02
Raúl Krauthausen: Manchmal weiß man bei diesen Legenden, die du erzählst, nicht genau, wie viel davon wahr ist und wie viel nicht. Zum Beispiel liest man…
00:03:10
Ralph Caspers: Das geht mir genauso.
00:03:10
Raúl Krauthausen: … an unterschiedlichen Stellen, dass du in Borneo geboren wurdest. Stimmt das?
00:03:16
Ralph Caspers: Ja, wenn ich das wüsste. Also, ich war bei meiner Geburt dabei, aber ich kann mich an nichts mehr erinnern. Deshalb bin ich immer darauf angewiesen, was meine Mutter mir erzählt. Aber die, es liegt wohl in der Familie, erzählt auch sehr viel.
00:03:30
Raúl Krauthausen: Die erzählt jeden Tag was anderes, oder wie?
00:03:32
Ralph Caspers: Nö, nö, das ist schon, also Konsistenz ist da schon vorhanden. Aber sie sagt zum Beispiel, über diese Zeit redet sie nur noch mit ihrem Therapeuten und mit sonst niemandem mehr. Das ist natürlich für ein wissbegieriges Kind, wie ich es bin, nur schwer auszuhalten. Aber das muss man einfach akzeptieren.
00:03:53
Raúl Krauthausen: Aber liegt das daran, dass deine Eltern eine Affenzucht hatten, dass sie darüber nur noch mit Therapeuten sprechen? Oder ist das auch eine Legende?
00:04:01
Ralph Caspers: Die haben da wohl geholfen. Also meine Eltern waren eher so ganz entspannte Menschen.
00:04:09
Raúl Krauthausen: Das heißt, du kannst dich nicht daran erinnern beziehungsweise du warst nicht dabei.
00:04:12
Ralph Caspers: Ich kann mich, also ich muss dabei gewesen sein. Aber ich war so klein, dass ich nichts davon weiß.
00:04:18
Raúl Krauthausen: Und danach hat es dich auch noch weiter weg verschlagen mit der Familie. Und zwar an den exotischsten Ort überhaupt: Berlin Spandau.
00:04:28
Ralph Caspers: Ja, direkt an der Mauer. Unser Garten endete sozusagen an der Mauer, wenn man so will.
00:04:36
Raúl Krauthausen: Ja. Ich habe mit meinem Vater früher mal Snickers über die Mauer geworfen.
Ralph Caspers: Oh, echt?
Raúl Krauthausen: Also, ja. Mein Vater fand das irgendwie witzig.
00:04:43
Ralph Caspers: Was wir gemacht haben, wir waren aber auch echt ungezogene Kinder, wir haben immer schwere Steine genommen und die über die Mauer geworfen. Weil wir dachten, wir gucken mal, ob wir da die Tretminen treffen. Bescheuert eigentlich. Aber was man nicht alles macht, ne, in Westberlin, Zonenrandgebiet? Und Langeweile ist gerade unglaublich…
00:05:05
Raúl Krauthausen: Stell dir mal vor, das wäre wirklich passiert.
00:05:07
Ralph Caspers: Dass da eine hochgegangen wäre? Ja.
Raúl Krauthausen: Ja, genau.
Ralph Caspers: Da hätten wir richtig Ärger bekommen, glaube ich.
00:05:13
Raúl Krauthausen: Höchstwahrscheinlich, ja. Wenn man sich dein Werken, dein Schaffen so anschaut, dann habe ich den Eindruck, dass du ein unglaublich neugieriger Mensch bist? Die Neugier vielleicht sogar in so eine Art Abenteuerlust umschlägt bzw. extrem ist. Ist das so?
00:05:35
Ralph Caspers: Findest du? Ähm…
00:05:36
Raúl Krauthausen: Also du sagst auf jeden Fall zu nichts, nein, sondern machst.
00:05:40
Ralph Caspers: Nee, das stimmt. Ich probiere viel aus.
Raúl Krauthausen: Ja.
Ralph Caspers: Also, wo du recht hast, wenn wir zum Beispiel für die „Sendung mit der Maus“ in ferne Länder fahren, dann ist oft ein Teil dieser Maus-Sendungen, dass ich irgendwas ausprobiere, also zum Essen, was ich sonst niemals bekommen würde in Deutschland. Und ich esse ja, eigentlich esse ich kein Fleisch, ich esse nur Fleisch, was ich selbst geschossen habe und erlegt habe und zerlegt habe. Und trotzdem muss ich dann manchmal in Dinge beißen oder schlucken, die ich hier zu Hause niemals essen würde. Und das, ja, da gehört wahrscheinlich eine gewisse Art von Abenteuerlust dazu. Aber das ist auch, also es war immer schon so, dass wir immer so einen Probierklecks nehmen mussten, bevor wir sagen „Nee, das esse ich auf keinen Fall!“ Einmal musste man kurz probieren, um wirklich auch das begründen zu können, dass man das nicht gerne isst. Und das habe ich irgendwie verinnerlicht.
00:06:39
Raúl Krauthausen: Es ist ein bisschen wie so eine dauernde Klassenfahrt mit Mutproben mit der Maus, oder?
00:06:44
Ralph Caspers: Ja genau.Wobei wir nicht so viel kotzen bei der Maus. Es kam auch vor. Oh, das darf ich eigentlich gar nicht erzählen. Weil die Katja, mit der ich das immer gedreht habe, der ging es mal sehr, sehr schlecht bei einem Dreh, da hatte sie, ich weiß nicht, sich den Magen verdorben mit irgendwas. Und das tut mir so leid, aber ich muss immer lachen, wenn andere Leute sich übergeben. Also ich habe einerseits so einen sympathischen Würgereflex, das heißt, wenn jemand in meiner Nähe sich übergibt, muss ich mich auch oft übergeben. Vorher muss ich aber lachen, weil ich es irgendwie so lustig finde. Ich finde es auch lustig, wenn Leute in der Schule neben mir eingeschlafen sind und angefangen haben zu schnarchen. Da musste ich immer mich wegbrüllen vor Lachen, weil das irgendwie so eine ganz, ganz seltsame Situation ist. Und bei Übergeben ist es ganz ähnlich. Das kommt auch mal selten vor. Ich grüße Katja allerherzlichst. Wir haben ihr dann aber auch geholfen.
00:07:40
Raúl Krauthausen: Aber gut, so richtig krank nach einer Reise oder während einer Reise, waren wir wahrscheinlich alle mal, oder?
00:07:47
Ralph Caspers: Ja, das bleibt ja nicht aus irgendwie.
00:07:50
Raúl Krauthausen: Ich war mal in Bangladesch und die haben uns extra so UN-Nahrung gegeben. Irgendwie so Brausepulver, das man ins Flaschenwasser mischen sollte, mit irgendwelchen Nährstoffen drin, die man als, sagen wir mal Europäer braucht, um mit der Nahrung vor Ort klarzukommen. Sonst würde man zu schnell Durchfall kriegen.
00:08:15
Ralph Caspers: Und hat es funktioniert?
00:08:17
Raúl Krauthausen: Also ich war zumindest nicht krank. Ich weiß nicht, ob es ohne nicht auch geklappt hätte, aber ich wurde zumindest nicht krank.
00:08:23
Ralph Caspers: Durchfall ist so schlimm wie Kotzen eigentlich.
00:08:27
Raúl Krauthausen: Das ist richtig heftig. Das hört auch nicht auf und du weißt auch nicht, wann du das nächste Mal wieder musst. Ich finde an Durchfall ja eigentlich nicht das Schlimme, dass man Durchfall hat, sondern dass man nicht weiß, wie lange man jetzt zwischen zweimal Kacken Zeit hat.
00:08:40
Ralph Caspers: Ich finde, das schlimme beim Durchfall ist das Lachen. Also man versucht das krampfhaft innezuhalten und dann macht einer einen Witz, man muss lachen und dann macht es [Furzgeräusch]! Oh, nee…
00:08:52
Raúl Krauthausen: Womit wir wieder beim Furzgeräusch wären.
00:08:55
Ralph Caspers: Das habe ich jetzt mit dem Mund gemacht. Das ist ja auffällig im Aufzug.
00:08:59
Raúl Krauthausen: Was ich in meinem Kopf nicht ganz zusammenkriege: Du hast mal gesagt, dass du gerne rumhängst und eigentlich ambitionslos bist. Trotzdem wurde dir das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen und du bist Brillenträger des Jahres 2017 geworden. Für den Ambitionslosen, extrem viel Erfolg.
00:09:17
Ralph Caspers: Ja, aber es sind keine Sachen, für die ich mich beworben habe.
00:09:21
Raúl Krauthausen: Aber dir fallen die Dinge einfach so zu oder wie?
00:09:24
Ralph Caspers: Irgendwie. Ich rutsche immer vom einen ins nächste. Also ich habe wirklich keinen Plan für mein Leben, hatte ich noch nie. Früher fand ich das fürchterlich. Also als ich mit der Schule fertig war und ich hatte Abi, da war ich froh, dass ich erst mal Zivildienst machen konnte, weil ich überhaupt keine Ahnung hatte, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich war immer so ein bisschen, ich guckte immer so ein bisschen neidisch auf Freunde von mir, die wussten, die gehen jetzt zur Bundeswehr und machen dann Berufsakademie und fangen dann an ein Ingenieursstudium und arbeiten in einem großen Konzern und bauen Sachen. Das fand ich toll. Und ich dachte mir, sowas würde ich auch gern haben. Aber Maschinenbau hat mich zum Beispiel überhaupt nicht interessiert und ich wusste auch nicht, was mich interessiert. Ich war wirklich so richtig planlos und inzwischen habe ich mich dran gewöhnt und inzwischen bin ich ganz froh, dass ich so planlos bin, weil das dafür gesorgt hat, dass ich keinen Tunnelblick entwickelt habe. Oft ist es ja so, wenn du ein Ziel vor Augen hast und wenn du sagst: Okay, in fünf Jahren möchte, ich keine Ahnung, soundso viel 1.000 € im Jahr verdienen oder ich möchte, ich weiß nicht was, ein dickes Auto. Und du hast dieses Ziel vor Augen. Dann besteht die Gefahr, dass du so einen Tunnelblick entwickelst, weil du nur noch auf dieses Ziel guckst. Und ich? Da ich kein Ziel hatte, hatte ich selten so einen Tunnelblick und habe immer geguckt, was sich so rechts und links einfach so alles ergeben hat und bin offen geblieben für alle Möglichkeiten. Und das hat sich dann für mich eigentlich am Ende ganz gut angefühlt.
00:10:59
Raúl Krauthausen: Aber das ist, glaube ich, auch so eine Einstellungssache, ne? Also ist man dann auch, sagen wir mal, bereit für das Neue, für das Unentdeckte oder das mal auszuprobieren? Oder bleibt man die ganze Zeit auf der Couch.
00:11:10
Ralph Caspers: Ja.
00:11:11
Raúl Krauthausen: Ich habe für mich im Studium gelernt, da hatte ich Design Thinking als ein Jahr Ausbildung. Und bei Design Thinking hieß es: Das Schlimmste ist, sich nicht zu entscheiden, weil dann ist es einfach eher Stillstand. Aber wenn man sich entscheiden muss, dann sollte man zuversichtlich sein, dass man 90 % aller Entscheidungen auch wieder rückgängig machen kann. Und mit dieser Einstellung fahre ich total gut. Also Hauptsache ich entscheide mich und wenn es falsch war, dann mach ich‘s anders.
00:11:42
Ralph Caspers: Genau so mache ich es auch. Oft hat man so eine Situation, wo man nicht weiß, mach ich jetzt das oder das? Und dann gibt es Leute, klar, die machen erst mal so Pro-und-Kontra-Listen oder überlegen tagelang und ich mache das auch. Aber eigentlich am besten ist es für mich immer, ich entscheide mich dann für was, ohne groß drüber nachzudenken. Und dann merke ich ganz schnell, wenn ich mich entschieden habe, ob sich die Entscheidung gut anfühlt oder ob ich denke: Nee, das ist nicht das Richtige. Und dann entscheide ich mich um und dann, fühlt sich‘s gut an. Also ich entscheide mich sozusagen virtuell, wenn du so willst oder so für mich erst mal und merke dann, das ist gut oder das ist nicht gut. Und wenn sich es nicht gut anfühlt, dann entscheide ich mich anders. Und dann ist es so klar: Ja, hätte ich eigentlich direkt drauf kommen sollen.
00:12:29
Raúl Krauthausen: Man kann sich dabei auch helfen mit einer Münze. Also du wirfst eine Münze und du guckst aber nicht, was liegt, ob Kopf oder Zahl. Sondern du fühlst in dich rein, was du hoffst das liegt. Und das hat mir auch immer sehr geholfen.
00:12:43
Ralph Caspers: Ja, die gleiche Taktik eigentlich.
00:12:46
Raúl Krauthausen: Genau. Aber hilft es vielleicht dir, mit solchen Situationen umzugehen, weil du grundsätzlich ein neugieriger Mensch bist?
00:12:53
Ralph Caspers: Ja, also ich bin neugierig. Aber es ist ja auch so, dass ich, ich glaube, ich habe so eine bestimmte Art von Selbstvertrauen. Irgendwann habe ich halt gemerkt, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann. Also mir fällt immer was ein, was ich machen kann und das ist manchmal total idiotisch und manchmal ganz gehaltvoll. Aber es ist immer irgendwie was da. Und ich glaube, dass ich das weiß, dass ich das gelernt habe für mich, das hilft mir total. Also ich muss keine Bange davor haben, dass ich irgendwas falsch mache, weil ich gemerkt habe, selbst die Sachen, die ich falsch mache, haben am Ende oft was Gutes und was Richtiges und bringen mich weiter.
00:13:38
Raúl Krauthausen: Wenn man was gelernt hat, genau.
00:13:39
Ralph Caspers: Wenn man das mal so verstanden hat… oder mir geht es so, als ich das verstanden habe, das hat mich sehr entspannt irgendwie. Weil ich dachte, egal was ich mache, es geht irgendwie weiter. Meistens. Und wenn es nicht weiter geht, dann ist es auch gut. Dann genieße ich ein bisschen die Aussicht, bevor ich dann weitermarschiere.
00:13:57
Raúl Krauthausen: Super schöner Spruch. Du hast auf der re:publica 2022 einen sehr humorvollen, aber auch irgendwie ernsten Vortrag gehalten mit der Frage, ob alles sinnlos ist. Du sagst: Alles ist sinnlos, weil unser Gehirn darauf gepolt ist, einen Sinn in etwas zu suchen, was vielleicht gar kein Sinn ist. Sondern einfach wir auf Mustererkennung praktisch unterwegs sind. Und wenn das eigentlich nur ein Trick unseres Gehirns ist, kann man ja im Umkehrschluss sagen: Es ist alles sinnlos. Und mit dieser Leichtigkeit, dass alles sinnlos ist, kann man ganz gut durchs Leben gehen. Habe ich das richtig zusammengefasst?
00:14:40
Ralph Caspers: Ja, ungefähr. Ich habe irgendwann mal gemerkt, da waren wir in Portugal im Urlaub und wir haben so in den Wellen gespielt. Und das Spiel, was wir so gespielt haben, war Mensch gegen Naturgewalt und wir haben uns als Wellen, als menschliche Wellenbrecher ins Wasser reingestellt. Und immer wenn wir es geschafft haben, von den Wellen nicht umgeworfen zu werden, haben wir so richtig triumphiert. Wir hatten das Gefühl, dass wir unumwerfbar waren und irgendwann hatte ich keine Lust mehr oder weiß auch nicht, ich wollte auf jeden Fall raus, hab mich an Strand gesetzt und hab den anderen weiter zugeguckt, die sozusagen weiter Wellen gebrochen haben. Und da ist mir aufgefallen, dem Wasser war es total egal. Das ist egal, ob da ein Mensch drinstand, der das Gefühl hat, er hat gerade die Wellen bezwungen oder nicht. Das Wasser ist einfach trotzdem anders an den Strand weitergerollt und zurück, als wäre da keiner im Meer drin gewesen. Und da ist mir aufgefallen, es ist echt lustig. Wir, als wir da so gespielt haben, haben so dieses Gefühl gehabt, gewonnen zu haben. Aber eigentlich war da nicht mal ein Wettkampf. Es war einfach nur in unseren Köpfen und wir haben so getan, als wäre das ganz großartig. Aber dem Wasser war es voll egal. Da ist mir aufgefallen, eigentlich den Sinn, den wir in so einer Tätigkeit sehen, den gibt es von dem Ding eigentlich selbst gar nicht. Wir geben diesen Sinn und wenn wir den Sinn geben, habe ich mir gedacht, dann können wir eigentlich ja uns vielleicht auch mehr oder weniger frei entscheiden, welchen Sinn wir den Sachen geben, die uns begegnen. Das ist natürlich ganz oft, wenn du so mit Leuten zu tun hast. Ich hatte sehr oft das Problem, dass ich Sätze oder Situationen immer persönlich genommen habe und gedacht habe, da will mir jetzt jemand persönlich an den Karren fahren. Und das hat mir geholfen unter anderem zu sehen, dass Leute nicht persönlich mich meinen, wenn sie gerade irgendwie scheiße sind, sondern das ist einfach vielleicht eine Laune oder die haben gerade was selbst was Doofes erlebt. Und diese Sinnlosigkeit und dieses, dass es nicht immer sich alles auf mich bezieht, das fand ich ganz entspannend, ehrlich gesagt. Also ich bin mal in Berlin abends mit der U-Bahn gefahren und da stieg jemand ein, der guckte mich an und sagte die ganze Zeit „Du Arschloch, du Arschloch, Wichser!“ Und ich dachte: Was hab ich denn gemacht? Ich steh hier einfach nur. Bis ich dann irgendwann verstanden habe. Nee, der guckt mich zwar an und flucht wild rum und schimpft, aber der meint nicht mich. Es ist einfach nur, ich bin jetzt gerade hier, aber jeder andere würde genau die gleiche Salve abbekommen und da konnte ich dann irgendwie viel leichter damit umgehen.
00:17:31
Raúl Krauthausen: Meine Partnerin, die studiert Psychologie und die hatte irgendwann von dem Barnum-Effekt erzählt. Sagt dir das was, der Barnum-Effekt?
00:17:41
Ralph Caspers: Wie heißt der.
00:17:42
Raúl Krauthausen: Barnum-Effekt.
00:17:43
Ralph Caspers: Von P.T. Barnum?
00:17:44
Raúl Krauthausen: Ja. Da geht es quasi darum, dass Horoskope zum Beispiel oder Teebeutelsprüche oder so, so geschrieben sind, dass sie den psychologischen Effekt ausnutzen, dass wir als Menschen neigen, vage und allgemeingültige Aussagen über uns quasi so zu interpretieren, dass sie praktisch perfekt zutreffen. Ja, und das ist ja letztendlich ähnlich. Also man denkt dann, der Typ meint einen selbst, wenn er einen beschimpft, was auch eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich ist, aber trotzdem muss das nicht so sein.
00:18:20
Ralph Caspers: Richtig. Und das führt wieder zurück auf dieses, was wir gerade eben hatten mit dem Entscheiden. Es gibt ja ganz viele Menschen, die sich denken: Okay, ich weiß nicht, was ich tun soll, aber wenn jetzt das nächste Auto ein roter Golf ist, dann mache ich das so und so. Und dann warten die und dann kommt vielleicht ein roter Golf und die entscheiden sich so, wie sie sich eigentlich vorher schon entschieden hatten. Die brauchten nur noch mal so einen Stupser von außen. Es ist wie so ein Horoskop, dass du das liest, was du lesen möchtest, weil das irgendwie schon so als Entscheidung in deinem Kopf vielleicht drin ist und du nur so einen äußeren Impuls brauchst. Der aber gar nicht von außen unbedingt kommt, sondern das bist ja auch du, der das interpretiert und einordnet.
00:19:07
Raúl Krauthausen: Kommen wir zu deiner Arbeit. Ich muss gestehen, ich bin jetzt 42, das heißt, als du mit Kinderfernsehen angefangen hast, da war ich eigentlich schon volljährig.
00:19:18
Ralph Caspers: Da war es schon durch.
00:19:19
Raúl Krauthausen: Trotzdem bin ich von Anfang an ein großer Fan von dir, weil du eine natürlich gelebte Neugier ausstrahlst. Und es erinnert mich an meinen Kindheitsheld, nämlich Armin Maiwald, der auch mal in einem Interview gesagt hat, dass er von nichts Ahnung hat und deswegen alles wissen will. Ist das bei dir auch so?
00:19:42
Ralph Caspers: Absolut. Armin ist mein großer Lehrmeister. Wirklich. Ich dachte ja früher, dass ich total viel Ahnung habe. Aber je mehr ich mich mit allem Möglichen beschäftige, desto klarer wird mir: Ich habe von überhaupt nichts Ahnung. Und das ist das Schöne, wenn dann irgendwie eine Frage kommt, die ich beantworten muss für die Maus oder für „Wissen macht Ah!“ damals, dann muss ich mir erst mal die Sachen erklären und versuchen das zu verstehen. Und wenn man von nichts Ahnung hat, ist es insofern von Vorteil, weil man da so einen unverstellten Blick dann auf die Fragen und die Antworten hat. Und mit den ganzen Menschen, die Ahnung haben, mit denen ich mich unterhalte, denen kann ich dann genau die Fragen stellen, die ich brauche und die vielleicht auch andere Leute brauchen, die auch von dem Thema keine Ahnung haben, um das einigermaßen zu verstehen.
00:20:36
Raúl Krauthausen: Warum hast du dann bei „Wissen macht Ah!“ aufgehört?
00:20:38
Ralph Caspers: Ach, da gab es so ein paar… sagen wir mal so, wir hatten unterschiedliche kreative Vorstellungen, wie die Sendung weitergehen sollte. Ist wie bei allen großen Bands.
Raúl Krauthausen: Genau, du dachtest eine Singleauskopplung und bist jetzt quasi Solokünstler. Bist du in der Tat wirklich, du hast mehrere Bücher geschrieben, da kommen wir auch auf später noch zu. „Die Sendung mit der Maus“ und „Quarks und Co.“ Moderierst du aber noch.
Ralph Caspers: Ja.
Raúl Krauthausen: Spannend.
00:21:09
Ralph Caspers: Wobei es heißt ja schon seit langem nicht mehr „Quarks und Co.“, sondern nur noch Quarks.
00:21:13
Raúl Krauthausen: Wie hat sich denn deiner Meinung nach das Wissenschaftsfernsehen in den letzten 20 Jahren verändert? Haben sich Kinderfragen geändert oder sind das irgendwie immer die gleichen? Wie funktioniert die Feuerwehr? Was ist das Internet?
00:21:26
Ralph Caspers: Sowohl als auch. Also es gibt immer noch Fragen wie: Warum ist der Himmel blau? Und dann gibt es natürlich Fragen: Wie funktioniert eigentlich so ein Smart Speaker? Weil, das gab es vor 20 Jahren noch nicht und klar, ändern sich da auch die Fragen. Also es gibt immer noch die alten Fragen, aber es kommen neue dazu. Und das ist eigentlich auch ganz schön, weil uns die Fragen nie ausgehen.
00:21:50
Raúl Krauthausen: Hattest du einen Lehrer in der Schulzeit, der dich nachhaltig geprägt hat?
00:21:56
Ralph Caspers: Alle haben mich nachhaltig geprägt. [lacht]
00:21:59
Raúl Krauthausen: Es muss ja nicht nur der Stoff sein, den die unterrichtet haben, sondern es waren.
00:22:02
Ralph Caspers: Tatsächlich sind die Lehrer, die man am ätzendsten fand, ja die, deren Erlebnisse oder wo die Situation dann zu schönen Anekdoten geworden sind. Also wir hatten einen Mathelehrer, den hatten wir neu und der war sehr penibel. Man musste wirklich darauf achten, dass die S und die Fünf, dass S und Fünf nicht gleich aussehen. Und nach der ersten Klassenarbeit mussten wir ins Mathearbeitsheft Schreibübungen machen, damit N und U nicht ähnlich sind und so weiter. Und das Harte war, wir durften nicht mit Schwarz oder Blau die Schreibübung machen, weil das waren die Farben, die für die Arbeiten vorgesehen waren. Und wir durften auch nicht mit Rot, weil das war seine Korrekturfarbe. Also mussten wir uns irgendwelche Farben zusammensuchen, die sonst nie benutzt werden, Grün oder Lila, und mussten dann damit Schreibübungen machen. Alle haben wir uns an den Kopf gepackt und dachten, das darf nicht wahr sein, das ist Mathe, nicht Schönschreiben. Aber er war da sehr, sehr darauf bedacht. Wir fanden es alle ätzend, aber jetzt reden wir drüber. Das sind also die netten Anekdoten geworden.
00:23:09
Raúl Krauthausen: Aber auf der anderen Seite: Die Kinder hatten halt trotzdem recht, ne?
00:23:11
Ralph Caspers: Du meinst, er hatte recht?
00:23:13
Raúl Krauthausen: Nee, die Kinder. Also, das ist ja eine völlig absurde Übung.
00:23:16
Ralph Caspers: Absolut, ja.
00:23:17
Raúl Krauthausen: Kinder fühlen ja sowas sofort.
00:23:19
Ralph Caspers: Es gab auch keine Punkte. Also, er hat zwar bei den Arbeiten immer Punkte verteilt, aber er sagte: Nee, das sind keine Punkte, das sind Rohwerte. Und wir haben nie den Unterschied verstanden zwischen Punkte und Rohwerte, weil das Ergebnis das gleiche war. Aber er hat darauf bestanden. Nein, das sind keine Punkte, es sind Rohwerte und die machen irgendwie die Note aus, also praktisch wie Punkte.
00:23:44
Raúl Krauthausen: Ich habe früher jahrelang beim Radio gearbeitet, beim Jugendradio und bevor ich da gearbeitet habe, hatte ich selber sehr schräge Vorstellungen von jungen Menschen. Und zwar die Vorstellungen, die man sonst in der FAZ oder in Tageszeitungen liest. Von wegen die sind ja sowieso alle nur am Kiffen, am Saufen, gewalttätig oder was auch immer oder zappen nur. Und dann fiel mir auf, dass selbst wenn erwachsene Menschen versuchen, sich jungen Menschen anzunähern und dann so Wörter benutzen wie cool oder swag, dann ist das auch ganz schnell irgendwie cringey.
Ralph Caspers: Q.E.D.
Raúl Krauthausen: Genau. Worauf ich hinaus will, ist, dass die Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern wirklich gar nicht so einfach ist. Also man fragt dann schnell, wie war es in der Schule oder hast du Hausaufgaben oder so doofe Fragen. Aber wie glaubst du, kommt man mit Kindern oder Jugendlichen am besten ins Gespräch?
00:24:42
Ralph Caspers: Na ja, eine Grundvoraussetzung ist, dass man wirklich dran interessiert ist. Also so fragen wie „Na, wie war es in der Schule?“, das sind da eher so Fragen nach dem Motto „Ich muss was fragen. Ich weiß nicht, was ich fragen soll, also stelle ich einfach so eine Frage.“ Und währenddessen räumt man vielleicht gerade irgendwie die Spülmaschine aus und ist gar nicht wirklich dabei. Und das ist so das Allererste: Wenn man mit jemandem ins Gespräch kommen will, dann sollte man einfach andere Sachen weglegen, Telefon zum Beispiel oder so. Das finde ich schon mal am wichtigsten. Und dann: Keiner möchte ja auch ausgefragt werden oder verhört werden. Also es ist immer ganz gut, vielleicht irgendein Thema zu finden, was einen selbst auch interessiert, um da vielleicht die Gedanken von deinem Gegenüber rauszufinden, dass es so zu einem Gedankenaustausch kommt. Und sowas mag ich immer ganz gerne. Wir haben es bei uns immer so gemacht, wir haben immer so Spiele gespielt, wenn uns langweilig war im Stau oder an der Supermarktkasse und wir warten mussten und einfach nicht vorwärts oder rückwärts kamen. Und dann haben wir uns immer so Fragen gestellt, wie zum Beispiel: Welche Superkraft hättest du gerne? Oder warum stehen wir eigentlich immer an der falschen Schlange im Supermarkt, nie an der schnellsten? Und dann kann man so darüber überlegen und man hat ein Thema, was erst mal nichts persönlich mit dir oder dem anderen zu tun hat. Aber weil man über so ein Thema nachdenkt und darüber erzählt, gibst du ja indirekt ganz viel über dich preis oder erzählst über dich. Und das ist total schön. Das mag ich halt gern und das ist, finde ich, immer so ein guter Weg. Also nicht immer so der direkte, geradlinige Weg, sondern gerne einfach so ein bisschen seitlich verrückt auf so eine Sache draufzugucken. Und das finde ich immer gut. Das finde ich auch bei meiner Arbeit immer schön. Das macht mir am meisten Spaß.
00:26:32
Raúl Krauthausen: Und wenn du „wir“ sagst, wen meinst du da, deine Familie, du und deine Kinder, oder deine Eltern mit dir?
00:26:37
Ralph Caspers: Nein, meine Familie. Ich und meine Kinder oder Freunde von mir und ich oder Leute, die ich nicht kenne oder Menschen, die mich interviewen. Es ist oft so, dass sehr, sehr oft die gleichen Fragen gestellt werden. Und ich finde, dass das wissen die Interviewer natürlich nicht, aber ich finde es total langweilig.
00:26:58
Raúl Krauthausen: Aber das ist so geil, weil du bietest eine Antwort. Du hast zwei Bücher geschrieben, mindestens 99 Fragen. 99 harmlose Fragen an Kinder und 99 seichte Fragen.
00:27:12
Ralph Caspers: Und 99 einfache.
00:27:12
Raúl Krauthausen: Ich habe jetzt nicht ganz verstanden, was der Unterschied zwischen seicht und harmlos ist, aber ich zitiere mal ein paar. Zum Beispiel: Was ist für dich der beste Tag der Woche? Oder auch meine Lieblingsfrage: Was weißt du, was du nicht beweisen kannst?
00:27:29
Ralph Caspers: [lacht]Ja.
00:27:29
Raúl Krauthausen: Und dann sitzt du da und überlegst dir 99 Fragen, hast aber zufällig 103. Was machst du dann? Oder hast du 70 und dir fehlen noch 29?
00:27:39
Ralph Caspers: Ich glaube, das ist viel schwieriger. Ich habe 70 und mir fehlen noch welche. Dann, da muss ich weiterarbeiten. Das heißt, ich lege mich irgendwo hin und gucke an die Decke und überlege oft. Aber ich habe Glück, ehrlich gesagt, ich habe Glück. Mir geht es so, mein Gehirn wird immer mehr so, wie ich es benutze. Das heißt, wenn ich anfange, mir Fragen zu überlegen, dann merke ich, wie ich nach und nach, als würde mein Hirn so eine Art Knetmassenskulptur sein, das formt sich immer weiter in Richtung: Okay, wo gibt es da noch Fragen? Und ah, da habe ich was gesehen oder was gehört oder was gelesen. Da steckt ja auch eine Frage drin und das ist ganz toll. Dann läuft es im Grunde automatisch und ich muss nur fleißig genug sein, das alles aufzuschreiben und nicht zu vergessen. Und dann vielleicht auszusortieren, welche Fragen jetzt ein bisschen zu einfach sind oder doof. Wobei auch die einfachen Fragen gut sind. „Oben oder unten?“ beispielsweise ist auch so eine Frage.
00:28:42
Raúl Krauthausen: Muss man sich dafür in Kinder hineinversetzen? Oder ist genau diese Idee „Wir müssen uns in Kinder hineinversetzen, auf Augenhöhe begegnen, bla bla bla“ schon die Gefahr, dass es cringe wird?
00:28:54
Ralph Caspers: Das macht glaube ich, jeder anders. Ich mache es nicht. Also Augenhöhe finde ich super. Und es gibt zwei Möglichkeiten, auf Augenhöhe zu kommen: Entweder du gehst in die Knie und versuchst sozusagen dein Niveau zu verändern. Oder aber, und das mache ich gern, ich nehme lieber andere Leute auf den Arm und hebe die hoch und…
00:29:19
Raúl Krauthausen: … und zeigst ihnen deine Welt.
00:29:20
Ralph Caspers: Ja eigentlich eher so. Ich mache meine Späße mit denen [lacht] und dann das auf den Arm nehmen, aber das beinhaltet auch das…
00:29:29
Raúl Krauthausen: Ach so, okay, jetzt habe ich verstanden, sorry. [lacht]
00:29:31
Ralph Caspers: Das beinhaltet aber auch, also ich finde immer, wenn ich jemanden auf den Arm nehme oder wenn ich jemanden veräppele, im schlimmsten Fall ist es ja auch so eine Art von: Ja, ich nehme dich für voll. Ich glaube, dass du das auch vertragen kannst und ich pack dich nicht in Watte ein. Sondern ich nehme dich als Menschen, der sehr viel mehr von der Welt mitbekommt als vielleicht andere das vermuten. Kinder sind ja nicht doof, nur weil sie klein sind.
00:29:59
Raúl Krauthausen: Warum werden Kinder immer unterschätzt?
00:30:01
Ralph Caspers: Keine Ahnung. Also, ich weiß es echt nicht, weil die meisten Erwachsenen waren ja auch mal klein und…
00:30:08
Raúl Krauthausen: Wir vergessen das irgendwie.
00:30:09
Ralph Caspers: Anscheinend. Oder die haben so ein großes Schutzbedürfnis, dass sie möchten, dass den Kleinen nichts Schlimmes widerfährt und deshalb ist da so ein Gluckeninstinkt und Beschützerinstinkt und die wollen die in Watte einpacken. Aber ich habe ja ein Buch auch geschrieben über Trauerbegleitung bei Kindern und Jugendlichen. Und da ist es in der Situation, wo wirklich was echt Schlimmes passiert ist, dass jemand gestorben ist, der dir total viel bedeutet. Da ist natürlich der Impuls von vielen Erwachsenen: Oh Gott, das ist so schlimm, das kann man einfach keinem Kind zumuten, weil wie sollen die das schaffen? Die kleinen Seelchen werden zerbrechen. Da ist natürlich auch was dran und man muss gucken, dass man einen Raum schafft, wo Menschen sich gut fühlen und wo sie sich sicher aufgehoben fühlen. Aber trotzdem, wenn dein Vater gestorben ist, dann ist der gestorben. Und dann bringt es nichts, das einem Kind vorzuenthalten. Im Gegenteil, das macht es eigentlich noch schlimmer. Also eine der vielen Fragen ist: Wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt, meinem Kind zu sagen, dass sein Vater gestorben ist? Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt. Es ist einfach immer der falsche.
00:31:25
Raúl Krauthausen: Immer. Genau, ja.
00:31:26
Ralph Caspers: Und deshalb ist es am besten, so klar und einfach wie möglich zu sagen: Es ist was Schlimmes passiert, dein Papa ist tot. Beispielsweise. Das ist hart, aber viel härter ist, Geschichten zu erzählen, dass er nach Australien gefahren ist für eine Zeit oder gerade nicht nach Hause kommen kann. Kinder merken ja, wenn was nicht stimmt. Und dann merken sie, es stimmt was nicht und ich habe das Gefühl, ich werde angelogen. Und wenn sie dann irgendwann rausbekommen, dass Papa wirklich gestorben ist, und Mama hat mich angelogen, das ist ein unglaublicher Vertrauensverlust. Und da hat keiner was von. Also so hart es ist, manchmal muss man einfach in den sauren Apfel beißen und das behutsam machen, natürlich. Nicht mit der Holzkeule drauf einschlagen. Aber es bringt nichts, da Menschen in Watte zu packen.
00:32:21
Raúl Krauthausen: Ganz anders gelagert, aber doch verwandt, kenne ich dieses Thema „Mit Kindern ehrlich sein“, wenn es um das Thema Behinderung geht. Also auf der Straße werde ich natürlich sehr oft kommentiert von Kindern oder Kinder fragen dann ihre Eltern: Warum ist der so klein? Guck mal, ein Babymann. Also auch sehr witzige Beschreibung sind bei. Und ich finde es dann gar nicht so schlimm, wenn Kinder neugierig sind und das wissen wollen. Sondern ich finde viel, viel interessanter und manchmal auch viel, viel schlimmer. die Reaktionen der Eltern. Wenn die dann so Lügen erzählen, zum Beispiel „Der hat aber ein tolles Auto!“ sagen und nicht erklären, dass das ein Rollstuhl ist, weil es Menschen gibt, die können nicht laufen. Kinder vertragen ja die Wahrheit, ob es ein Rollstuhl ist oder ein Auto. Das macht es ja nicht schlimmer. Und dann hatte ich mal eine sehr schöne Begegnung im Zug, wo eine Familie neben mir saß, und das Kind wissen wollte, warum der Mann so klein ist. Und dann sagte der Vater: „Der Mann ist aus dem gleichen Grund so klein, warum du blonde und nicht dunkle Haare hast.“ Und ich fand, das war so eine schöne Antwort. Also sie war politisch korrekt, sie war irgendwie kindgerecht, sie war biologisch richtig und hat die Frage so zumindest zu 50 % für den Jungen beantwortet. Nämlich: Ich weiß es nicht. Und dann hatte er natürlich weitere Fragen, aber die konnte man dann quasi auf der Ebene klären, ohne dass es, sagen wir mal, was mit Leid zu tun hat, oder „Da guckt man nicht hin“. Was ich sehr schön fand. Dann kamen wir ins Gespräch mit dem Kind, dass der dann natürlich auch wissen wollte, ob ich nicht laufen kann und so weiter. Und dann habe ich ehrlich geantwortet und dann aber versucht, das Gespräch umzulenken und einfach darüber geredet, dass ich mir jetzt im Bordrestaurant ein Eis holen werde, was sein Lieblingseis ist. Und plötzlich war das auch gar kein Thema mehr, also die Behinderung, sondern einfach nur: Das war genug gefragt und jetzt reden wir über Eis.
00:34:26
Ralph Caspers: Es macht dann so was, so ein Gespräch lenkt das dann in normale Bahnen. Ich hatte auch total Angst, muss ich sagen, als ich angefangen habe als Zivildienstleistender. Ich habe ISB gemacht, das heißt individuelle schwerstbehinderte Betreuung. Und ich wusste auch nicht genau, was mache ich denn jetzt eigentlich? Also, wie gehe ich um mit den beiden Frauen, die ich betreue? Es waren Zwillinge und die hatten beide spinale Muskelatrophie und saßen auch im Rollstuhl, konnten sich kaum bewegen. Und ja, man hat natürlich, wenn man das nicht kennt, jeden Tag erst mal so dieses Gefühl. Angst.
Raúl Krauthausen: Voll.
Ralph Caspers: Was mache ich falsch und was kann ich richtig machen? Und lustigerweise, das war eine Sache von zwei Stunden. Dann war das gegessen. Es war halt so, wie es war. Und dieses ganze Gefühl von Hilflosigkeit, was ich hatte, das war einfach weg, weil wir haben uns unterhalten, die haben mir gesagt, was sie brauchen und ich habe gesagt, wie ich helfen kann und so. Und dann war diese Muskelatrophie eigentlich kein Thema mehr. Wir sind einfach normal, mehr oder weniger normal, miteinander umgegangen und das fand ich sehr erstaunlich. Da habe ich gemerkt, es fehlt einfach nur das Üben, das Training. Und Training kann einfach sein, dass du regelmäßig mit Menschen unterschiedlichster Art zusammen bist und merkst, das sind, wie der Vater sagte: Du hast blonde Haare und der trägt eine Brille und der eine sitzt im Rollstuhl und der andere hat Gehhilfen und das ist einfach so. Und wenn man aber da nie miteinander spricht oder was zu tun hat, dann fängt man an, wie wenn Leute gestorben sind, dann wird alles, was anders ist totgeschwiegen. Und das macht es ja nicht besser.
00:36:21
Raúl Krauthausen: Das hast du in einem Podcast gesagt, das fand ich total spannend, weil ich mich da so ein bisschen dabei ertappt gefühlt hab. Sinngemäß war es so: Man soll über Gefühle sprechen oder man soll irgendwie das auch fühlen, aber gleichzeitig weiß man manchmal gar nicht, was man fühlt. Oder man weiß gar nicht, was man will. Wie fühlt man Gefühle richtig? Gerade wenn es um das Thema Trauer geht, zum Beispiel. Da erzähltest du von einer Situation, wo auf der einen Seite das Thema Tod besprochen wurde, gerade ganz aktuell und dann in der nächsten Sekunde die Kinder auf dem Spielplatz spielen gingen.
00:37:00
Ralph Caspers: Ich weiß es nicht, wie man Gefühle richtig fühlt. Ich weiß nicht, ob es da überhaupt so einen ein goldenen Weg gibt. Und ich denke, dass es wahrscheinlich bei jedem Menschen unterschiedlich ist. Aber was glaube ich wichtig ist, ist einfach ehrlich zu sich zu sein. Das ist ja was man, was viele Trauerbegleiter*innen oft auch sagen, wenn sie gefragt werden: Was soll ich denn sagen, wenn ich jetzt bei einem Menschen bin, der gerade irgendwie einen Todesfall erlebt hat? Ich weiß nicht, was ich sagen soll, da sage ich doch lieber gar nichts, statt dass ich in irgendwelche Floskeln abrutsche und sage „Mensch, herzliches Beileid!“ Weil das ja immer komisch klingt. Und die hat gesagt: Also, nichts sagen ist mindestens genauso schlimm, wie irgendwelche Floskeln loszulassen, weil das einfach so eine Art von „Es ist mir im Grunde egal, was dir passiert ist“ signalisiert. Ehrlich ist, in sich reinzuhören und zu merken, ich bin zum Beispiel total leer, ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Und das dann zu sagen. Zu sagen: Es tut mir total leid, was dir passiert ist und ich bin absolut sprachlos. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das ist als Türöffner viel, viel hilfreicher, als stur geradeaus zu gucken und denjenigen zu ignorieren beispielsweise. Und das ist vielleicht ein Weg, wie man mit Gefühlen umgehen kann. Sie einfach zu benennen und für sich selbst auch zu spüren: Ist mir das irgendwie unwohl oder wie geht es mir damit gerade? Sich selbst zu beobachten und dann vielleicht zu artikulieren, wie es mir geht, um dann herauszufinden, wie kann ich dem anderen helfen? Oder wie kann ich da sein?
00:38:44
Raúl Krauthausen: Was ich mich bei diesem Thema immer frage, warum lernen wir diesen Umgang eigentlich nicht in der Schule? Über Gefühle sprechen, empathisch sein, trösten. Was ja im Laufe des Lebens uns alle treffen wird, und wir stehen jedes Mal wie der Ochse vorm Berg und wissen nicht, was wir sagen sollen in solchen Situationen. Natürlich kann man jetzt auch einen Spruch auswendig lernen, aber dass es irgendwie manchmal besser ist, einfach nur zuzuhören, als irgendwas zu sagen, musste ich auch erst mit 20 lernen und nicht in der Schule.
00:39:18
Ralph Caspers: Ich frage mich, ob die Schule der richtige Ort dafür ist, weil wie man richtig mit Gefühlen umgeht, lässt sich so schwer benoten.
00:39:28
Raúl Krauthausen: Da könnte man ein großes Thema aufmachen: Noten.
00:39:29
Ralph Caspers: Ja, das ist nochmal ein ganz anderes Thema. Aber ja, wie? Wie geht man damit um? Ich glaube, da ändert sich gerade relativ viel. So auch bei vielen jungen Menschen, die einfach merken, dass das wie ihre Eltern Gefühle vorgelebt haben oder ihre Großeltern, wie die damit umgegangen sind, dass das nicht so wirklich gesund ist. Und ich könnte mir vorstellen, dass das gerade so ein bisschen im Umbruch ist und dass viele Menschen einfach merken: Mir geht es besser, wenn ich mich so und so verhalte und nicht andersrum. Wenn du mit jemandem aneinandergeraten bist, gibt es ja viele Möglichkeiten, damit umzugehen. Rache ist eine Möglichkeit, dass man überlegt, okay, wie kann ich es dem heimzahlen, dass er mir das getan hat?
00:40:18
Raúl Krauthausen: Auch eine deiner Fragen: Vergebung oder Vergeltung?
00:40:21
Ralph Caspers: Ja, genau. Und ich habe für mich festgestellt, so reizvoll das ist, in so Eskalationsfantasien zu schwelgen und sich zu überlegen, wie ich Sachen heimzahlen kann, ich merke, mir geht es zum Beispiel besser, wenn ich einfach sage: Okay, das war’s jetzt so und das war scheiße. Aber wir müssen ja irgendwie weiterkommen und ich kann mich besser selbst im Spiegel anschauen, wenn ich weiß, ich kann da vergeben und muss nichts vergelten. Und das ist für mich natürlich auch der Weg des geringeren Widerstands, aber…
00:40:53
Raúl Krauthausen: Ja, ich wollte gerade sagen, es ist auch ein bisschen feige vielleicht manchmal.
00:40:56
Ralph Caspers: Aber ist es wirklich feige zu sagen: Weißt du was? Ich nehme deine Entschuldigung an oder auch nicht, aber ich kann dir vergeben. Eigentlich ist es nicht unbedingt feige.
00:41:07
Raúl Krauthausen: Genau, wenn sich entschuldigt wurde. Aber wenn es keine Entschuldigung gab und dann quasi man einfach alles in sich reinfrisst, was ich als behinderter Mensch auch manchmal erlebe und dann denke so…
00:41:18
Ralph Caspers: Du musst es ja nicht in dich reinfressen und du musst auch nicht als Konsequenz sagen: Okay, das darfst du natürlich immer so weitermachen.
Raúl Krauthausen: Genau.
Ralph Caspers: Du kannst ja für dich auch entscheiden, ich möchte damit so nichts mehr zu tun haben und kannst deinen Frieden machen. Also, ich mache lieber meinen Frieden, als dass ich weiter eskaliere.
00:41:35
Raúl Krauthausen: Da hast du recht. Nur manchmal frisst man dann so viel in sich rein und kommt dann schlecht gelaunt nach Hause an und weiß erst später, warum das so war.
00:41:43
Ralph Caspers: Ja, aber reinfressen ist glaube ich was anderes als vergeben, oder?
00:41:49
Raúl Krauthausen: Vergeben braucht länger bei mir zumindest. Aber vielleicht bin ich auch so ein impulsiver Mensch, der gerne schnell wütend wird.
00:41:56
Ralph Caspers: Und das ist ja auch super, wenn du rausfindest für dich: Ich kann nicht so leicht vergeben, weil ich mich echt gekränkt gefühlt habe. Dann ist es ja auch gut, einfach darüber nachzudenken. Und das ist ja auch, finde ich, kein Reinfressen, wenn du über so was nachdenkst und am Ende vielleicht rauskommt: Ich muss diesem Menschen einfach sagen, dass das nicht in Ordnung war. Und das ist vielleicht auch ein Weg zum Vergeben. Weil du kannst dann sagen: Das war nicht in Ordnung und ich möchte, dass du das weißt und dass du das nicht noch mal machst. Das heißt, du frisst es auch nicht in dich rein, du lässt es raus.
00:42:30
Raúl Krauthausen: Letztendlich die Verantwortung dem anderen zurückgeben. Zu sagen: Wenn du das noch mal machst, dann übernimmst du dafür die Verantwortung.
00:42:37
Ralph Caspers: Oder zu sagen, das passiert nicht ein zweites Mal, das werde ich nicht akzeptieren. Es war ganz lustig in der Grundschule von meinen Kindern, da gab es mal einen Elternabend und es war dann das Thema, wie gehen wir um mit Schimpfwörtern und so. Und die Grundschullehrerin meinte, die die war echt super, schimpfen ihre Kinder zu Hause? Und da haben die Eltern gesagt: Ja, die sagen oft so Arschloch und Scheiße. Wobei Scheiße gar nicht schlimm ist. Arschloch ist ja meistens so, dass wenn man andere Leute beschimpft. Und dann sagte die Grundschullehrerin, das war total super, das gibt es hier bei uns nicht. Und dann fragten die Eltern: Ja, aber, aber wenn die Kinder das sagen, was für Konsequenzen gibt es denn dann? Und dann meinte sie: Das gibt es hier nicht. Ich habe den ganz klar gesagt, wir reden so hier nicht und da gibt es keine Konsequenz, kein „Wenn, dann“. Es ist einfach so, wir reden hier so nicht und das ist ganz klar kommuniziert worden. Und für die Kinder war das dann okay: Wir reden hier so nicht. Und das war alles. Da waren alle derselben Meinung.
00:43:41
Raúl Krauthausen: Klingt ein bisschen nach Bullerbü, aber wenn die Kinder dann 14 werden und das dann erst recht deswegen sagen, für die Provokation.
00:43:50
Ralph Caspers: Ja, aber mit 14 ist ja was anderes als mit sechs. Mit sechs in der Grundschule, da werden so die Grundsteine gelegt. Es ist ja oft auch so, dass Leute sagen: Klar, wenn dein Kind in der Pubertät ist, alles was du bis dahin nicht mental erreicht hast, wird dann erst mal eine Zeit lang nicht möglich sein. Das heißt klar, in der Pubertät ist so einiges dann anders.
00:44:18
Raúl Krauthausen: Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du aktuelle Folgen vorab hören und du wirst, sofern du das möchtest, hier im Podcast auch namentlich genannt. Alle Infos findest du auf raul.de/aufzug. Ende der Servicedurchsage, viel Spaß beim zweiten Teil der Folge.
Ich habe beim Jugendradio gelernt, dass die Jugendsprache, also meinetwegen auch eine Beschimpfung auf dem Schulhof, irgendwie auch Zonen sind, in denen Erwachsenen nichts zu suchen haben, bis zu einem bestimmten Punkt. Also, dass das eine ganz bewusste Abgrenzung auch von der Erwachsenensprache ist. Und wenn man da jetzt als Erwachsener reingeht und sagt „Ey, das sagt man aber nicht!“, dann provoziert man eher, dass sie es erst recht sagen. Wenn man ihnen aber erklärt: Pass auf, es kann Situationen geben, da ist jenes oder dieses Wort eine große Verletzung für jemanden, deswegen möchte ich einfach nur, dass du das weißt. Was du zu deinen Buddies sagst, während ich nicht da bin, ist mir egal. Aber du musst einfach lernen, verantwortungsvoll mit diesen Wörtern umzugehen.
00:45:39
Ralph Caspers: Ja, das ist richtig.
00:45:41
Raúl Krauthausen: Aber das verstehen die dann auch.
00:45:43
Ralph Caspers: Und da sind wir wieder bei dem auf welches Niveau begibst du dich? Versuchst du sozusagen, dich auf die Höhe von anderen Menschen zu geben, indem du sozusagen deren Sprache sprichst? Oder versuchst du die hochzuheben und ihnen zu sage: Also das ist so die Situation und das musst du einfach wissen, ohne selbst gerade in so eine Jugendsprache vielleicht abzudriften. Und da signalisierst du denen aber, auch wenn du so mit denen sprichst, dass du die eben auch ernst nimmst und nicht als irgendwelche kleinen komischen Vollidioten.
00:46:14
Raúl Krauthausen: Ja. Du bist der Schirmherr des TrauBe e.V. in Köln. TrauBe steht für Trauerbegleitung und du machst das, wenn ich es richtig verstanden habe, aus eigener Erfahrung heraus. Was genau macht eine Trauerbegleitung?
00:46:29
Ralph Caspers: Also, wenn jemand in deiner Familie gestorben ist beispielsweise, dann ist das grausam. Es ist ein Erlebnis, was du keinem gönnst. Das soll keiner haben, keine erleben. Aber es passiert eben. Und Trauerbegleiter, die sind einfach da und können helfen, bestimmte Dinge einzuordnen oder zu sagen, dass es keinen eindeutigen Weg gibt, wie Menschen trauern, sondern dass jeder Mensch anders trauert. Konkret heißt das, es gibt da zum Beispiel Trauergruppen, die oft sehr viel lustiger sind als man meint. Da kommen dann die Kinder und Jugendlichen hin, weil TrauBe die machen das hauptsächlich für Kinder und Jugendliche, und sitzen meistens erst mal da, weil keiner will in eine Trauergruppe gehen. Und merken dann: Erstens gibt es ganz viele andere Menschen im ähnlichen Alter, denen auch so was passiert ist, dass die den Vater verloren haben oder dass die Mutter gestorben ist. Und dann kann man ja so die ersten Schritte machen in das Leben ohne diesen wichtigen Menschen. Der kommt ja nicht wieder. Und es geht ja nicht darum, jemanden loszulassen oder sich für immer und ewig an alles zu erinnern. Sondern es geht darum, diesen Verlust so in das eigene Leben zu integrieren, dass man einfach merkt: Okay, das ist jetzt ein Teil von mir und das gehört zu mir und ich mach jetzt das Beste draus, weil mein Leben geht weiter. Und bei Eltern ist es oft so, die haben zum Beispiel ganz klare Vorstellungen, wie das ist, wenn man trauert, und finden das zum Beispiel sehr irritierend, wenn junge Kinder gar nicht weinen und man sich fragt: Sag mal, hat der nicht gerafft das gerade irgendwie seine Mutter gestorben ist? Und die lieber spielen gehen wollen? Und für diese Irritationen und Missverständnisse sind Trauergruppen und Trauerbegleitungen einfach super, weil die können erklären: Nein, das ist einfach so. Bei Kindern beispielsweise, die haben so was, das nennt sich „Pfützentrauer“. Die springen rein in eine Pfütze und sind traurig und heulen. Und dann ruft ein Freund an und fragt, willst du spielen gehen und dann springen die raus aus der Pfütze und dann ist die Trauer erstmal abgehakt. Und dann gehen die spielen, konzentrieren sich darauf. Und das ist für Erwachsene sehr schwer nachzuvollziehen. Wenn man aber weiß, dass das normal ist, dass es bei ganz vielen Kindern so ist, dann muss man sich darüber keine Gedanken machen und sich nicht sorgen. Und das hilft dann auch.
00:48:47
Raúl Krauthausen: Ich habe mich an den Film „Halt auf freier Strecke“ erinnert, von Andreas Dresen. Kennst du den?
00:48:55
Ralph Caspers: Nee, den kenne ich nicht.
00:48:56
Raúl Krauthausen: Handelt von einem Familienvater, der die Diagnose Krebs bekommt, weil Gehirntumor oder so. Und Andreas Dresen hat beim Drehen des Films gesagt, was ihn nervt das ist, dass die Menschen im Film immer innerhalb von zehn Minuten sterben. Und er wollte immer einen Film machen, wo jemand 120 Minuten stirbt. Und der Film fängt quasi mit der Diagnose an und der Arzt sagt: Ja, sie haben einen Gehirntumor. Und dann begleitest du diesen Vater dabei, wie er ganz langsam stirbt. Und dieser Film ist ganz stark mit Impro-Elementen ausgestattet. Also dass genau diese Beklommenheit, was sagt der Arzt, was sagen die Angehörigen, was sagen die Freunde wirklich, möglichst authentisch und nah sein soll. Und da gibt es eine Schlüsselszene, ich glaube die ist auch im Trailer drin, wo dann die Kinder von dem Vater auch trauern. Und dann geht der Sohn ans Sterbebett und fragt: Darf ich dann dein iPhone haben? Als ich den Film im Kino gesehen habe, da sind die Leute in der Szene rausgegangen aus dem Saal…
Ralph Caspers: Echt?
Raúl Krauthausen: … weil es so bedrückend war, aber gleichzeitig auch so echt. Also es hat sich so authentisch angefühlt. Und in dem Pressegespräch erzählte dann der Andreas Dresen, dass das die Idee des Jungen war, das zu fragen.
00:50:21
Ralph Caspers: Ja, ich finde das total nachvollziehbar.
00:50:24
Raúl Krauthausen: Voll.Wir alle wollen das iPhone.
00:50:26
Ralph Caspers: Und es ist ja echt hart, auch gleichzeitig. Und es ist so unausweichlich. Diese ganze Situation ist einfach brutal. Aber wir müssen halt damit umgehen.
00:50:37
Raúl Krauthausen: Also den Film kann ich dir auf jeden Fall sehr empfehlen.
00:50:40
Ralph Caspers: Finde ich einen guten Tipp.
Raúl Krauthausen: Der geht sehr nah.
Ralph Caspers: Als ich da das erste Mal in den Gruppenräumen von TrauBe war und habe die die Wände gesehen, wo die Kinder ihre Bilder hingehangen haben, ihre Erinnerungsstücke von ihren Eltern, da habe ich echt so gemerkt, wie ich so einen richtig dicken Kloß im Hals hatte. Ich hätte am liebsten losheulen wollen. Und gleichzeitig wollte ich aber auch lachen, weil es so schön war, diese Art und Weise, wie sich die Kinder an ihre an ihre toten Eltern erinnern. Das hatte sowas ganz Liebevolles und natürlich auch Schmerzliches, weil das ein großer Verlust ist. Und diese unglaubliche Nähe von absolut traurig sein und total glücklich sein, weil es einfach so ein schönes Zeichen ist, das zerreißt mich fast und das finde ich aber das beste Gefühl, was ich kenne. Und manchmal habe ich das auch bei Filmen, dass ich gleichzeitig heulen und lachen möchte und dann weiß ich immer, das ist ein guter Film. Wenn er es schafft, solche Gefühle aufzubringen.
00:51:47
Raúl Krauthausen: Der Film ist genau das. Die Szenen sind alle so echt, wo du die ganze Zeit denkst, es könnte deine Nachbarin sein oder deine Angehörigen. Wirklich guter Film. Kannst du überhaupt zu den Gruppenräumen gehen von TrauBe, ohne dass du der Star bist?
00:52:05
Ralph Caspers: Ja, ich geh meistens wenn keiner da ist, dann gehe ich da hin.
00:52:08
Raúl Krauthausen: Also es gibt doch wahrscheinlich keinen Menschen, der dich doof findet.
00:52:12
Ralph Caspers: Ach, das würde ich so nicht denken. Mir fallen ein paar ein, die mich doof finden. Aber es ist ja so, wenn die gerade ihre Trauergruppen haben, dann bin ich da auch völlig fehl am Platz. Also da habe ich nichts zu suchen und da sind die ja für sich und sollen solche die Sachen machen, die sie da so machen. Ich sehe dann die Jugendlichen, die zum Beispiel, wenn wir so Jubiläen haben und Feste feiern oder eine Ausstellung, weil die vielleicht ein Fotoprojekt gemacht haben. Und ich komm da hin und dann unterhalte ich mich mit denen. Da sehen wir uns dann. Aber die wissen ja, dass ich da Schirmherr bin oder Botschafter und ich glaube, da ist die Aufregung nicht mehr ganz so groß.
00:52:57
Raúl Krauthausen: Du hast über das Thema ein Buch geschrieben, das heißt „Wenn Papa tot ist, muss er dann sterben? Wie wir Kindern in Trauer helfen können“. Ich habe da reingelesen, ich habe es nicht komplett gelesen, weil du schreibst so viele Bücher. Man kann die auch nicht alle lesen.
00:53:11
Ralph Caspers: Nee, kann man auch nicht [kichert].
00:53:12
Raúl Krauthausen: Aber das andere Buch, das ich wirklich gelesen habe da kommen wir gleich zu. Da gibst du quasi Tipps an Erwachsene, wie wir Kindern dabei helfen bei der Trauer zu begleiten. Was ist denn aber andersherum etwas, was viele Menschen falsch machen, wenn sie trauern? Was eher kontraproduktiv ist?
00:53:34
Ralph Caspers: Trauernde Menschen, was da kontraproduktiv ist?
00:53:36
Raúl Krauthausen: Gibt es da überhaupt etwas oder ist alles irgendwie richtig?
00:53:42
Ralph Caspers: Das ist eine gute Frage. Vielleicht eine Sache, die falsch ist. Das ist aber auch eine Art und Weise, wie man mit sich selbst umgeht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es nicht so gut ist, immer darauf zu achten, wie andere Menschen einen sehen und immer zu gucken, den Erwartungen von anderen zu entsprechen. Weil das geht immer nach hinten los. Wenn zum Beispiel man das Gefühl hat, ich muss jetzt ein halbes Jahr lang Schwarz tragen, damit alle sehen, dass ich Trauer habe. Aber ich selbst habe gar keine schwarzen Klamotten zu Hause oder will überhaupt gar nichts Schwarzes tragen. Oder mir ist nicht zum Weinen zumute, aber die Leute erwarten, dass ich weine, weil ich ja gerade einen Trauerfall erlebt habe. Aber ich möchte das gar nicht. Und dann mache ich es trotzdem. Und sich so zu verbiegen oder das Gefühl zu haben, ich muss da jetzt den Erwartungshaltungen der anderen Menschen entsprechen, ich glaube, das ist etwas, was man nicht tun muss. Also versuchen, bei sich zu bleiben, auch wenn es schwerfällt, ist glaube ich, das Beste. Klar, dir ist nicht immer nach Heulen zumute, wenn gerade dein liebster Mensch gestorben ist. Und manchmal ist dir in den unmöglichsten Situationen zum Heulen zumute. Und das macht Trauern einfach aus und damit zurechtzukommen, das ist echt schwierig. Und wenn man dann Leute hat, Freunde hat, die einen begleiten, dann ist es natürlich sehr hilfreich. Und da gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt einfach eine Zeit, um traurig zu sein. Und gleichzeitig gibt es eine Zeit, um fröhlich zu sein und Party zu machen. Und ich weiß noch, als mein Vater gestorben ist, da war ich 15, da war ich auch kurze Zeit später auf einer Party und da haben mich Leute gefragt: Was machst du denn hier? Ist dein Vater nicht gerade gestorben? Und es war so, als hätte ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben müssen, weil ich jetzt Spaß habe. Hatte ich auch, weil ich dachte, vielleicht ist es wirklich nicht richtig, wenn ich hier hingehe. Und es hat bei mir ein bisschen gedauert, bis ich verstanden habe, nein, es ist völlig in Ordnung. Mein Leben geht ja weiter. Es gibt einfach eine Zeit, um zu trauern und eine Zeit, um Party zu machen und das muss man einfach akzeptieren, ohne da ein schlechtes Gewissen zu haben.
00:55:55
Raúl Krauthausen: Du bist unglaublich talentiert darin, komplexe Themen verständlich zu machen. Und es gibt ein Buch, das du geschrieben hast, das heißt „Scheiße sagt man nicht. Die unbeliebtesten Elternregeln“. Schon ein bisschen älter, 2007 erschienen. Das ist eines der Bücher, das ich am häufigsten an Kinder schenke.
00:56:18
Ralph Caspers: Sehr gut.
00:56:19
Raúl Krauthausen: Weil ich es einfach so geil finde, sich mit Kindern zu verbünden gegen die Eltern. Und der Lieblingstipp, der da drinsteht, zumindest mein Lieblingstipp: Wenn Eltern sagen, mit nassen Haaren geht man nicht raus, sonst wirst du krank. Dass das wissenschaftlich nicht belegt ist.
00:56:36
Ralph Caspers: Ja, das stimmt.
00:56:38
Raúl Krauthausen: Und das finde ich halt so geil, weil ich habe das selber geglaubt. Dass man sich mit Kindern verbünden kann, ohne sie zu verletzen, aber die Eltern so ein bisschen zu ärgern. Ich sage Kindern immer, Popel kann man essen.
00:56:51
Ralph Caspers: Natürlich, ganz wichtig. Wir sind ja Trockennasenaffen. Wir müssen unsere Popel aus der Nase rausholen.
00:56:57
Raúl Krauthausen: Genau, aber da kriegst du richtig Ärgervon den Eltern, wenn du das gemacht hast. Aber ganz witzig.
00:57:02
Ralph Caspers: Also, es ist so bei den nassen Haaren, natürlich, du wirst krank durch Viren oder Bakterien oder Pilze oder was weiß ich und nicht durch Kälte. Aber klar, die Kälte kann dafür sorgen, dass deine Schleimhäute nicht so gut durchblutet sind und dann das Einfallstor für eben Krankheitserreger etwas weiter ist. Das kann natürlich schon sein. Aber grundsätzlich mit nassen Haaren rauszugehen, sorgt nicht dafür, dass du sofort krank wirst. Und dieses sich verbünden. Das war ja auch eine der Grundideen. Wir haben einmal eine „Wissen macht Ah!“-Sendung gemacht, wo wir einfach alle Elternregeln als das zeigen wollten, was sie sind, nämlich nur pure, reine Gängelei von Eltern, die das Leben der Kinder schwer machen wollen. Dummerweise ist dabei rausgekommen, dass viele Regeln schon einen wahren Hintergrund haben. Aber da ist einfach sehr viel aufgelaufen und da ist dann das Buch draus entstanden. Und ja, du hast total recht, ich mag das auch sehr gerne. Das war eins der Grundprinzipien eigentlich immer bei „Wissen macht Ah!“, dass wir so einen subtilen Keil treiben zwischen Eltern und Kinder. Also popeln ist ein super Beispiel. Ich finde auch, dass man Popel gut essen kann. Das finden die meisten Eltern eklig, vor allem, wenn ich das im Fernsehen mache. Und wenn Kinder sehen, die das sonst nur mit ihren Eltern gucken, dass die Eltern das eklig finden, dann ist es so: Ah okay, das ist also etwas, womit ich die so ein bisschen ärgern kann, im schlimmsten Fall. Es ist für den Ablösungsprozess sehr von Vorteil. Und wenn ich aber gleichzeitig etwas darüber erzähle, wie zum Beispiel die Nasenschleimhäute funktionieren und wie das Nasensekret trocken wird und wie Popel entstehen, wofür das eigentlich alles gut ist. Oder dass wir tatsächlich zu den Primaten gehören, deren Nasensekrete immer trocknen, die also manuell die Nase befreien müssen von den Popeln, damit die Nase weiter funktioniert. Dann ist es ganz toll, weil man bekommt so viel mehr Informationen, dass die meisten Eltern gar nicht mehr richtig böse sein können, weil sie gemerkt haben Ah, da steckt echt viel drin in so einer Nase. Mehr als man vielleicht auf den ersten Blick vermutet.
00:59:07
Raúl Krauthausen: Gibt es einen Ralph-Caspers-Trick im Umgang, bei Recherche oder mit Kindern, mit dem du immer wieder durchkommst?
00:59:15
Ralph Caspers: Ja. Ich zeige meine Fähigkeiten, die ich so habe. Ich kann zum Beispiel einhändig klatschen. Das ist immer ein großes Hallo.
00:59:21
Raúl Krauthausen: Einhändig klatschen?
00:59:23
Ralph Caspers: Soll ich dir mal zeigen? Also, ich meine, das ist ein Podcast, aber du kannst es ja sehen.
00:59:26
Raúl Krauthausen: Ja, man hört es ja. [Klatschgeräusch] [Raúl lacht] Okay, Bildbeschreibung wäre jetzt quasi, du entspannst deine Finger und schüttelst deine Hand so sehr, dass die Finger an den Rand dann schlagen.
00:59:41
Ralph Caspers: Ja, ich habe viel Zeit mit mir allein verbracht. Da erforscht man den Körper und findet raus, was man so alles machen kann. [lacht]
00:59:47
Raúl Krauthausen: Warum glaubst du haben Kinder in Deutschland eigentlich keine oder eine so schlechte Lobby? Also, ich bin ja politisch aktiv für Rechte behinderter Menschen und beschäftige mich viel mit Non-Profit-Sektor und so. Und natürlich gibt es so wie die Deutsche Kinder und Jugendstiftung und so weiter und so fort. Und es gibt die Kinderrechte. Aber ich habe manchmal das Gefühl, das ist alles so politisch, juristisch, akademisch und so weit weg von der Realität junger Menschen und als ich mit Tanja Haeusler von der TinCON gesprochen habem die kennst du ja wahrscheinlich auch, da meinte sie das Tragische in Deutschland ist eigentlich, dass wir Erwachsenen froh sind, wenn wir mit der Schule nichts mehr zu tun haben.
01:00:30
Ralph Caspers: Ja, das stimmt.
01:00:32
Raúl Krauthausen: Und dass da eigentlich schon das Problem liegt, dass es keine gute Lobby gibt für gute Schule, gute Kindergärten, außer Eltern, die momentan in der Situation sind.
01:00:44
Ralph Caspers: Also ich habe keine Ahnung, warum das so ist. Wenn ich es wüsste, würde ich es beheben.
01:00:49
Raúl Krauthausen: Und das Image der Kinder ist ja fragwürdig. Kinder sind so tolle Menschen, die meisten. Und trotzdem denkt man, wenn man die Zeitung aufschlägt, das sind alles marodierende Jugendbanden.
01:01:00
Ralph Caspers: Das. Und dann kosten sie auch echt viel Geld. Also spart man da am ehesten, weil die eben keine Lobby haben und das einfordern, weil „Ihr seid ja noch nicht so alt, ihr habt ja noch keine Ahnung, wie das Leben läuft“. Siehst du daran, ab wie viel Jahren darf man wählen? Ab 16. Wenn es hochkommt. Dabei ist es ja so, wir wählen ja, um zu entscheiden, wie unsere Zukunft gestaltet werden soll von den Politikern und Politikerinnen. Und alte Menschen verbringen für gewöhnlich viel weniger Zeit in der Zukunft als junge Menschen. Und trotzdem können die alten Menschen viel mehr entscheiden als die jungen Menschen. Und das ist irgendwie total widersinnig. Die jungen Menschen müssten viel mehr eingebunden werden und auch gefordert werden. Und die müssten auch wählen dürfen und entscheiden dürfen, in welche Richtung es gehen soll. Ich finde es so absurd, beispielsweise wenn man jetzt das, was in Berlin passiert ist, bei den Klimaprotesten, wo die eine Fahrradfahrerin gestorben ist, leider. Ja und das so in Zusammenhang gebracht wird und jetzt Leute von der CDU überlegen, dass man Menschen, die so auffällig geworden sind und den Verkehr behindern, vielleicht einfach für ein paar Tage wegsperrt, ja sagt. Und da frage ich mich: Ey, heißt es jetzt, dass ich alle Falschparker wegsperren darf? Oder gilt das nur für die, die unbequem sind?
01:02:23
Raúl Krauthausen: Ja nur die. Die, die kleben.
01:02:25
Ralph Caspers: Ja und das ist so absurd. Also ich fasse es einfach nicht, was für eine Weltsicht da manchmal herrscht.
01:02:35
Raúl Krauthausen: Das ist wirklich auch so eine alte Männerpolitik, hat man manchmal das Gefühl. Ein anderes Thema: Ich habe mal durch Zufall in der ZEIT ein Interview gelesen mit Maurice Sendak.
01:02:50
Ralph Caspers: „Wo die wilden Kerle wohnen“.
01:02:52
Raúl Krauthausen: Die wilden Kerle, genau. Ein zwölf Seiten dickes Kinderbuch, auch verfilmt worden von Jim Jarmusch, glaube ich. Großartige Verfilmung. In dem ZEIT-Interview, ich glaube es war eines der letzten Interviews, bevor er starb, da wurde er gefragt „Was ist der schönste Leserbrief, den du bekommen hast?“ Und da erzählt er, dass er alle Leserbriefe beantwortet hat, dass es manchmal eine Weile gedauert hat, bis er Zeit dafür hatte. Aber er hat sie alle beantwortet. Und eines Tages bekam er eine Antwort auf seine Antwort. Und zwar von der Mutter. Und die Mutter sagte, ihr Kind hat sich so über den Brief gefreut, dass er den Brief aufgegessen hat.
Ralph Caspers: [Ralph prustet lachend] Das ist super.
Raúl Krauthausen: Was ist dein schönstes Kinderfeedback?
01:03:41
Ralph Caspers: Ich habe mal Gutenachtgeschichten geschrieben und ich habe von einem Mädchen, die war vielleicht so sechs, sieben, die hat mir zusammen mit ihrer Oma, die fand es so toll, die Geschichten, dass sie so inspiriert war, dass sie selbst eine eigene Geschichte geschrieben hat. Und hat die von einer Bekannten von der Oma illustrieren lassen und hat mir ein kleines Heftchen zusammengetackert und das geschickt. Und das fand ich super, weil wenn man das schafft, wenn man mit etwas, was man selbst gemacht hat, andere Menschen dazu bringt, auch was zu tun und das zu teilen, ich finde es einfach toll, dass das möglich ist. Und ich habe mich super bedankt und fand das ganz großartig. Und dann hat sie sogar auch beim nächsten Buch wieder weitergeschrieben und das ist einfach, sowas finde ich super.
01:04:45
Raúl Krauthausen: Man müsste eine Kollabo machen, wie man so schön sagt, zusammen schreiben. Eine dieser Gutenachtgeschichten heißt, wenn ich mich nicht irre „Wenn Glühwürmchen morsen“.
01:04:58
Ralph Caspers: Genau.
01:04:58
Raúl Krauthausen: Du hast einfach auch so geile Büchertitel.
01:05:01
Ralph Caspers: Danke.
01:05:01
Raúl Krauthausen: Muss man einfach sagen.
01:05:03
Ralph Caspers: Eigentlich wollte ich einen Krimi schreiben. Das sollte eigentlich heißen „Wenn Glühwürmchen morden“. [Raúl lacht] Dann habe ich bei der Recherche festgestellt, dass Glühwürmchen sehr freundliche Wesen sind, die das nicht tun würden. Und dann musste ich da kurzerhand umdisponieren.
01:05:18
Raúl Krauthausen: Letzte Frage oder vorletzte Frage von mir, ist eine Einladung. Ich habe eine Kinderbuchidee, und zwar nenne ich es einen Lebensratgeber, Survival Kit für Kinder. Also wie überlebst du in einer Welt, in der Erwachsene alles bestimmen? Es gibt doch diese Life Hacks, da kam auch voll der Trend. Life Hacks für Kinder und ich sammele gerade Life Hacks. Also der Life Hack meiner Partnerin ist, wenn du wissen willst, dass die Zeit schneller vergeht, dann schlaf.
Ralph Caspers: Stimmt.
Raúl Krauthausen: Was für ein geiler Tipp.
01:05:55
Ralph Caspers: Mache ich auch immer.
01:05:57
Raúl Krauthausen: Ich habe von meiner Cousine gelernt, die ist drei Jahre jünger als ich und wir waren sechs und sie war drei, also ich fand das sehr klein und sie meinte zu mir: Raúl, wenn du Spinat nicht magst, dann musst du einfach nicht durch die Nase atmen, dann kannst du alles essen.
01:06:17
Ralph Caspers: [kichert]Stimmt, habe ich auch schon festgestellt.
01:06:19
Raúl Krauthausen: Ich fand, das war so ein geiler Tipp und seitdem kann ich alles essen.
01:06:22
Ralph Caspers: Na ja, manche Sachen funktionieren trotzdem nicht. Rosenkohl zum Beispiel bleibt bitter. Bleibt bitter, auch wenn du die Nase zu hältst. Das ist einfach so penetrant.
01:06:32
Raúl Krauthausen: Oder Zwiebeln. Aber das meiste geht irgendwie. Und ich finde das so spannend. Das wissen Kinder einfach oft nicht, aber ich glaube, man kann ihnen wirklich das Leben erleichtern und den Frust ersparen. In vielerlei Hinsicht.
01:06:45
Ralph Caspers: Stimmt.
01:06:45
Raúl Krauthausen: Leider fehlen mir 99 Life Hacks. Es sind momentan zehn, glaub ich.
01:06:52
Ralph Caspers: Du, das dauert ein bisschen. Irgendwann verselbstständigt sich das. Dann wirst du merken, dass du viel mehr Tipps hast, als du im Buch unterbringen kannst.
01:07:02
Raúl Krauthausen: Das ist ja der berühmte Muskel im Gehirn, den man dann praktisch trainieren und weiten muss.
01:07:07
Ralph Caspers: Genau.
01:07:08
Raúl Krauthausen: Gibt es ein Thema, das dich gerade umtreibt, an dem du jetzt gerade arbeitest?
01:07:13
Ralph Caspers: Viele Themen. Wir starten ja, ich glaube Anfang Dezember oder Ende November mit einem neuen Quarks-YouTube Kanal. Der nennt sich „Dimension Ralph“ und da sind sehr viele Themen. Da geht es zum Beispiel um Bewusstsein oder haben wir einen freien Willen? Oder was passiert eigentlich, wenn wir sterben, also mit uns? Tut sterben weh oder merken wir das gar nicht? Ist es eher so wie in Ohnmacht fallen und plötzlich bist du weg? Und welcher Sinn verabschiedet sich?
01:07:45
Raúl Krauthausen: So ein bisschen wie die „Kurz gesagt“-Videoreihe von funk?
01:07:47
Ralph Caspers: Ja, so in der Art, aber halt nicht so schön grafisch aufwendig. Sondern wir machen das ein bisschen einfacher. Aber von den Themen teilweise gibt es da bestimmt Überschneidungen.
01:08:02
Raúl Krauthausen: Was ich zum Beispiel wirklich mal eine spannende Frage finde, wenn ihr die These aufstellt, dass Langeweile etwas Tolles ist. Das könnte man auch mal als Format machen.
01:08:12
Ralph Caspers: Ja, also ich dachte immer, es wäre ganz toll YouTube-Filme zu machen, in denen ich einfach sozusagen so eine Challenge mache mit denen, die es sehen. Und ich versuche zu dokumentieren, wie lange es mir gelingt, an nichts zu denken, während die Kamera läuft. Und dann einfach gucken, wer kann länger an nichts denken. Das ist sehr schwierig. Also probier einfach mal wirklich an nichts zu denken und guck, was der erste Gedanke ist, der dir dann wieder im Kopf auftaucht. Ich mache das manchmal beim Hundespaziergang, dass ich denke: Kann ich jetzt komplett meinen Kopf leer machen? Das ist schwieriger, als es sich anhört.
01:08:55
Raúl Krauthausen: Andere machen jahrelang Yoga oder gehen in Schweigeseminare. Du gehst mit deinem Hund spazieren und trainierst deinen Hirnmuskel im Nichtsdenken.
01:09:05
Ralph Caspers: Ja, nichts denken, nichts tun. Ist manchmal ganz erholsam.
01:09:10
Raúl Krauthausen: Letzte Frage, à propos Nichtstun. Es gibt Menschen, die tun aber sehr wichtige Dinge, die gesellschaftlich einfach relevant sind. Gibt es einen Verein oder eine Organisation, vielleicht ist es TrauB e.V. aus Köln, die du für besonders unterstützenswert hältst?
01:09:27
Ralph Caspers: Ja, auf jeden Fall. Also zum Beispiel auch der Deutsche Kinderhospiz Verein. Den finde ich auch total unterstützenswert. Die kümmern sich um Familien, die ein Kind haben oder mehrere, die eine lebensverkürzende Krankheit haben. Das ist nämlich auch echt eine harte Situation für alle Beteiligten. Und da jemanden zu haben, der sich, der sich auskennt oder der auch da ist, das kann total helfen. Und das ist auch so ein Thema, damit möchten sich die meisten Menschen nicht beschäftigen, weil da weinen welche oder die sind irgendwie krank oder so und ja, das ist noch nicht so richtig angekommen. Ich finde alles gut, wo sich Menschen dafür einsetzen, dass zum Beispiel Jugendliche auch wählen dürfen. Also die U18-Wahl beispielsweise. Das ist so eine Aktion, die vor vielen Wahlen stattfindet, wo dann alle, die noch nicht 18 sind, für sich wählen, um einfach darauf aufmerksam zu machen, dass es wichtig ist, dass man eben auch jungen Menschen eine Stimme gibt. Weil wenn die das Gefühl haben, sie haben keine Stimme, dann werden die sich niemals zu Wort melden und das bringt keinem was. Also da gibt es jede Menge. Das sind so die, die mir spontan einfallen.
01:10:41
Raúl Krauthausen: Ja, das sind sehr, sehr gute.
01:10:42
Ralph Caspers: Und wenn ich länger drüber nachdenken würde, würde ich wahrscheinlich noch mehr aufzählen können.
01:10:48
Raúl Krauthausen: Wahrscheinlich ist das so, aber es waren doch schonmal sehr gute Tipps. Es gäbe auch noch jede Menge weitere Fragen, die ich noch bitte gerne zu besprechen hätte. Aber wir fahren jetzt schon über eine Stunde Aufzug auf.
01:10:59
Ralph Caspers: Hör auf!Das ist doch nicht wahr.
01:11:01
Raúl Krauthausen: Ja und deswegen allerletzte Frage, die Aufzugtür geht gleich auf. Wo musst du raus?
01:11:08
Ralph Caspers: Kennst du den Film „Being John Malkovich“?
Raúl Krauthausen: Ja.
Ralph Caspers: Ja, das ist die Etage, die ich. Die ich jetzt betreten werde. Ich muss den Kopf einziehen.
01:11:15
Raúl Krauthausen: Sehr gut. Lieber Ralph, vielen Dank für deine Zeit.
01:11:18
Ralph Caspers: Danke dir, Raúl.
01:11:19
Raúl Krauthausen: Ich bleibe großer Fan.
01:11:21
Ralph Caspers: Gleichfalls. Ich auch. Ich verfolge alles, was du machst. Aber jetzt habe ich wohl als Stalker geoutet. [beide lachen]
01:11:29
Raúl Krauthausen: Ja, super cool. Vielen Dank für deine Zeit.
01:11:31
Ralph Caspers: Danke dir. Mach’s gut.
01:11:32
Raúl Krauthausen: Auf bald.
01:11:34
Ralph Caspers: Tschüss.
01:11:38
Raúl Krauthausen: Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat. Bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge sowie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Shownotes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. „Im Aufzug“ ist eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal hier im Aufzug.
Erwähnte Links:
99 seichte Fragen (Buch)
99 harmlose Fragen (Buch)
Wenn Papa stirbt, ist er dann tot? (Buch)
Ralphs Herzensangelegenheit:
Podcast abonnieren
Hier findest du mehr über mich:
So kannst du meine Arbeit unterstützen!
Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann
Coverart: Amadeus Fronk