Im Aufzug mit Natalya Nepomnyashcha

Wie erreichen wir Chancengleichheit im Job?

Sie ist in Kyjiw geboren, Arbeiter*innenkind und hat es „trotzdem“ bis zur Unternehmensberaterin „geschafft“. Diese Heldenreise wollen jedenfalls alle hören – nicht aber, dass sie die Ausnahme ist. Ich möchte von ihr wissen, wie sie über das mehrgliedrige Schulsystem denkt, wie das Muttersein ihre Perspektiven verändert hat und ob wir eine Arbeiter*innenkindquote brauchen.

Denn Natalya setzt sich mit dem von ihr gegründeten Netzwerk Chancen dafür ein, dass soziale Herkunft als Diversity Faktor mehr Anerkennung findet. Wir sprechen darüber, welchen Einfluss dieser Faktor auf Karrierechancen hat und wie ihre Organisation Menschen konkret unterstützt, aber auch Unternehmen berät. Was Natalya in ihrer Arbeit am meisten überrascht hat, hörst du in dieser Folge.

Aufzugtür auf und viel Spaß bei dieser Fahrt mit Natalya Nepomnyashcha.

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Raúl Krauthausen: Eine spannende Aufzugsfahrt wartet auf dich. In der Popkultur spielen Aufzüge eine große Rolle, der kurze Flirt, eine unangenehme Begegnung oder doch der Elevatorpitch. Aber was machen wir in Aufzügen wirklich am liebsten? Das haben wir uns bei Schindler auch gefragt und dazu eine Studie gemacht. Denn wir arbeiten schon seit 150 Jahren daran, wie wir Aufzüge und die Fahrten darin für dich immer noch angenehmer machen können. Das spannende Ergebnis der Umfrage hörst du am Ende dieser Folge. Viel Spaß bei dieser Fahrt wünscht dir Schindler. 

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00:02:54.000 

Natalya Nepomnyashcha: Vielen, vielen Dank, Lieber Raul. Das ist für mich wirklich eine große Ehre, weil ich dir auf jeden Fall noch länger 

folge als du mir. Und das ist wirklich Wahnsinn, jetzt mal tatsächlich zum ersten Mal etwas länger mit dir sprechen zu dürfen. 

00:03:04.000 

Raúl Krauthausen: Oder? Also es ist der eigentliche Schande für uns beide, dass wir uns immer nur verpassen und jetzt erst nach Jahren es schaffen, in einem Podcast von einem von uns beiden sich zu treffen. 

00:03:16.000 

Natalya Nepomnyashcha: Das stimmt, obwohl wir beide in Berlin wohnen, glaube ich. 

00:03:19.000 

Raúl Krauthausen: Obwohl wir beide in Berlin wohnen und ich habe aber mitbekommen, bei dir ist auch viel los, dass es manchmal gar nicht so einfach ist. Ich kann das aus meinen Leben, dass man dann mal eben auf den Kaffee macht, man dann auch nur noch mit ausgewählten Leuten. 

00:03:32.000 

Natalya Nepomnyashcha: Du wärst so auf jeden Fall so eine sehr, sehr ausgewählte Person. 

00:03:35.000 

Raúl Krauthausen: Wir holen das auf jeden Fall nach, versprochen. 

00:03:38.000 

Natalya Nepomnyashcha: Sehr schön, das freut mich. 

00:03:39.000 

Raúl Krauthausen: Hattest du schon mal einen awkward Moment in einem Aufzug? 

00:03:43.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also ich bin noch nie stecken geblieben tatsächlich, finde es aber immer unglaublich unheimlich in diesen ganz alten Aufzügen. Ich habe mal in so einem Büro gearbeitet, in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte und da war so ein ganz alter Aufzug, wo man ja auch alles sieht, also der so halb offen ist. Und da hatte ich immer unglaubliche Angst, dass er irgendwann stehen bleibt. 

00:04: 04.000 

Raúl Krauthausen: Bist du dann mitgefahren oder lieber die Treppe genommen? 

00: 04:06.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ich bin sehr unsportlich, insofern bin ich schon damit gefahren, aber hatte immer Bammel auf jeden Fall. 

00: 04:12.000 

Raúl Krauthausen: So schön, dass jeder was zum Aufzug sagen kann, selbst die Menschen, die keinen Aufzug fahren. 

00: 04:21.000 

Natalya Nepomnyashcha: Aber jeder ist schon mal Aufzug gefahren. 

00: 04:23.000 

Raúl Krauthausen: Es gibt Menschen mit Aufzugphobie tatsächlich, die das möglichst meiden und dann ist einfach auch nichts im Aufzug passiert und dann haben sie auch nichts zu erzählen. Aber das wiederum ist die Geschichte und das ist halt wirklich total schön. 

00: 04:35.000 

Natalya Nepomnyashcha: Das ist wirklich sehr innovativ auch, weil ich nicht so oft auf das Thema Aufzug angesprochen werde tatsächlich. 

00: 04:42.000 

Raúl Krauthausen: Die Idee war, dass wir einen Aufzug nehmen, weil das ist halt der Ort, den ich brauche, immer als rollstuhlfahrender Mensch. Und es merkt man, dass es diese paar Minuten gibt, die man gemeinsam diesen Ort teilt mit Menschen ohne Behinderung und das einfach ein guter Gesprächs-Icebreaker ist, um dann darüber vielleicht auch oft Themen zu kommen. 

00:05:04.000 

Natalya Nepomnyashcha: Absolut, also zu diesem Thema fällt mir auf jeden Fall ein, dass ich ja Mutter bin seit Anfang des Jahres und dementsprechend bin im Kinderwagen ja sehr oft auf Barrierefreiheit angewiesen. Und irgendwie hat man natürlich schon sehr oft gehört, wie es für Menschen ist, die darauf angewiesen sind. Aber jetzt, wo man es selber lebt, wird es noch mal so offenkundiger und ich habe noch viel größeren Respekt als davor, weil wie oft ich irgendwo stehe und denke mir, wie zum Teufel komme ich da jetzt hin und dann gibt es ja doch irgendwie so eine halbe Treppe, die dann aber doch halb unüberwindbar wird. Also Wahnsinn. 

00: 05:38.000 

Raúl Krauthausen: Ja, diese halbe Treppe verstehe ich auch immer nicht. Also das ist ja nicht Fisch, nicht Fleisch. Das ist ja irgendwie, hat man sich nicht zu Ende durchgerungen, den Aufzug komplett zu bauen. 

00: 05:50.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, oder hat er keine guten Berater*innen, die da vielleicht in der Lage gewesen wären, darauf hinzuweisen, dass es für manche Menschen dann doch nicht ganz zugänglich sein wird? 

00: 06:00.000 

Raúl Krauthausen: Da müsste ich mal eine Architektin fragen, was der Grund ist, dass das so viel gebaut wurde. Wahrscheinlich hat das irgendwas mit Kosten zu tun. 

00: 06:10.000 

Natalya Nepomnyashcha: Kann sein, das weiß ich tatsächlich nicht. Aber wäre auch interessiert dran. 

00: 06:14.000 

Raúl Krauthausen: Wenn man sich deine Biografie anschaut, dann ist es relativ unvermeidlich, mit dir natürlich über all diese ganzen Themen zu sprechen. Du bist in Kiew geboren, Arbeiterkind, du hast ein Buch über das Thema geschrieben. Da kommen wir wahrscheinlich auch später noch drauf zurück. Aber was mich immer so fasziniert, ist ja dann auch so ein bisschen die Person dahinter. Also klar, einmal die Person, die sich da so durchgekämpft hat und dann das irgendwie in Anführungsstrichen „raus geschafft“ hat. Aber mir ist neulich etwas aufgefallen und da wollte ich dich fragen, ob du das auch so empfindest. Wenn du über all diese Themen sprichst, Interviews, Podcasts und so, hatte ich das letzte Mal das Gefühl, dass die Journalistinnen irgendwie immer die gleiche Geschichte auch von dir erwarten. Und ein Teil dieser Erwartung war dann die Erwartung, dass man doch jetzt aber auch dankbar sein könnte für Deutschland, das Land, in dem du jetzt lebst und das dir vielleicht viele Chancen ermöglicht hat und dass die Journalistinnen das besonders oft von dir hören wollten. Stimmt das oder ist es nur mein falscher Eindruck? 

00:07:32.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ist zumindest ehrlicherweise nicht meine Wahrnehmung. Meine Wahrnehmung ist viel eher, dass man tatsächlich hören will, dass ich es geschafft habe und dementsprechend kann es eigentlich jeder schaffen. Und jetzt verrate ich da zwei, drei, vier ultimative Tipps und dann hören sich das oder lesen die ganzen anderen Aufsteiger*innen und denken „ja wunderbar, das ist das Verteidigungsrezept und wenn ich mich ja nur ein bisschen anstrengen soll wie Natalya, dann schaffe ich das“. Und dass das Quatsch ist, ehrlicherweise, und dass ich die Ausnahme bin und es ist auf meinem Weg ungefähr 100 Situationen gegeben hat, wo ich kurz vor dem Aufgeben war 

und dass es nicht so schwierig sein darf, das glaube ich will man tatsächlich eher nicht hören und dass wir vor allen Dingen an den Strukturen rütteln müssen. Und was mich ja ehrlicherweise auch wahnsinnig stört und was ich auch im Buch beschreibe, dass natürlich Menschen wie ich so wahnsinnig oft porträtiert werden, was einerseits für mich natürlich gut ist, weil ich es so auf meine Messages unterbringen kann, aber gleichzeitig die Mehrheit, die im Schatten bleibt von den Menschen, die wahnsinnig hart kämpfen, aber trotzdem diesen sozialen Aufstieg nicht schaffen, über die kaum gesprochen wird, obwohl eigentlich 

sie dafür stehen, wie es eher läuft. Und ich glaube, dass man von ihnen sogar noch viel mehr lernen kann über diese Hürden und was man verändern muss, damit es bei ihnen vielleicht doch noch klappen würde. 

00:08:49.000 

Raúl Krauthausen: Genau, das ist mir auch aufgefallen, dass Journalistinnen das gar nicht so gerne, wenn die Tiefe dann einsteigen wollen, die strukturellen Probleme und worüber müsste man noch alles reingucken und hingucken, die suchen immer diese Heldengeschichten und dann hatte ich irgendwie das Gefühl, dass die Fragen auch teilweise gönnerhaft waren. Also so nach dem Motto „Ich bin jetzt die große Journalistin und stelle jetzt diese Fragen“, aber vielleicht ist es auch nur, wenn ich interviewt werde, empfinde ich das manchmal so, dass die einfach das Fragen, weil man das halt jetzt fragt, aber es hat sie nicht wirklich interessiert. Verstehst du was ich meine? 

00:09:27.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, ja, ich verstehe, was du meinst, aber das begegnet mir gefühlt tatsächlich eher selten, weil ich schon das Gefühl habe, dass gerade bei meinem Thema die Leute das freiwillig machen. Also ich bin ja nicht irgendeine Star-Politikerin, weil man sich denkt, auf die habe ich eigentlich gar keine Lust und werde jetzt irgendwie gezwungen, aber weil sie in der Bundespolitik eine Rolle spielt, muss ich sie jetzt unbedingt interviewen. So ist es ja in meinem Fall nicht, sondern ich glaube, die Leute wollen tatsächlich was zu dem Thema machen, finden das spannend, keiner verdonnert sie dazu. Ich glaube, es schwingt schon natürlich manchmal, auf jeden Fall nicht immer, aber manchmal schwingt schon so ein bisschen mit, okay, krass, weil sie alles geschafft hat, aber gleichzeitig natürlich auch so ein bisschen Mitgefühl für diese Struggles, die ich hatte und für die Herausforderungen. Aber mich persönlich stört das nicht, weil ich auch glaube, dass jeder anders sozialisiert wurde und gerade, weil man selbst privilegiert aufgewachsen ist und vielleicht nicht komplett alles nachempfinden kann, aber irgendwie Mitgefühl zeigen kann, 

Empathie zeigen kann, ist das für mich auf jeden Fall ein sehr guter erster Schritt. 

00:10:29.000 

Raúl Krauthausen: Wie gehst du denn mit dem Phänomen um, dass Aktivistinnen wie wir, wie du, immer auch mit der Lösung kommen müssen? Also dann ja, jetzt haben wir also die Problemlage beleuchtet, aber was brauchen wir denn? Was müssen wir denn jetzt tun? Wo ich dann manchmal denke, das ist Ehrenamt, was wir tun, dass wir jetzt auch noch die Lösung auf dem Silbertablett servieren müssen und wenn den Leuten die Lösung nicht gefällt, dann passiert halt nichts. Ärgert dich sowas? 

00:11:00.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also es ist ärgert mich, wenn ich ständig gefragt werde, wo das Geld herkommen soll. Weil das muss ich ehrlich sagen, sehe ich nicht originär als meine Aufgabe, dass ich jetzt irgendwie den Bundeshaushalt präsentieren soll, so wie ich ihn gerne hätte. Dafür bin ich halt keine Haushaltspolitikerin, aber für mich steht absolut fest, dass wir viel zu wenig für Bildung und Inklusion ausgeben und auch viel zu wenig für diskriminierungskritische Bildungsarbeit. Wenn wir ständig wiederholen, dass wir aus Deutschland ja keine Rohstoffe haben, dass unser wichtigster Rohstoff die Menschen sind, müssen wir natürlich auch viel mehr in sie investieren. Und was Lösungen anbetrifft, ich habe sie, ich habe sie auch in meinem Buch geschrieben, sowohl im Bildungsbereich als auch im Bereich Arbeitsleben. Insofern kann ich sie gerne darstellen, so wie sie mir vorschweben. Ich sehe es aber nicht unbedingt als meine Aufgabe, dass ich da gleich schon ein fertiges Gesetzespaket präsentieren muss. Dafür gibt es in der Tat andere Menschen. 

00:11:50.000 

Raúl Krauthausen: Zumal die dafür auch Geld bekommen, diese anderen Menschen, diese Zeit sich zu nehmen, vielleicht auch dich zu bezahlen, um zu diesem Wissen zu kommen. Aber das passiert ja leider. Also in meinem Bereich passiert das sehr selten. 

00:12:03.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also tatsächlich vom Staat muss ich überlegen, fällt mir gerade nicht ein, dass wir wirklich groß Geld bekommen hätten. Ist ja auch in der Tat sehr, sehr komplex und sehr bürokratisch. 

00:12:17.000 

Raúl Krauthausen: Dein Buch, wir haben schon zweimal kurz angedeutet, 

heißt „Wir von unten“, dieses Jahr erschienen. Hattest du jemals gedacht, dass du ein Buch schreibst? 

00: 12:27.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ich habe schon daran gedacht, dass ich mal ein Buch schreibe, aber natürlich nicht mein ganzes Leben lang. Als ich natürlich aufgewachsen bin am Anfang meiner Karriere, hätte ich mir das nicht träumen lassen können. Aber grundsätzlich ist das, ja das war noch vor Corona, also 2019 glaube ich, war das erste Mal, dass ich Berührung hatte mit einer Literaturagentur, die tatsächlich mich kontaktiert hat. Und das war dann tatsächlich so der erste Moment, wo ich mir dachte, okay vielleicht wird ja doch was möglich sein. Und das hat dann aus gewissen Gründen nicht gepasst und ich hatte dann auch Kontakt zu einem anderen Verlag, dann zu einem zweiten, zu einer anderen Literaturagentur. Und irgendwann tatsächlich über LinkedIn, du hast es schon erwähnt, mein Lieblingssoziales Netzwerk, hat tatsächlich meine Lektorin Silvie Horch mich einfach angeschrieben und gefragt, ob wir uns auf einen Kaffee treffen. Und so ist das ganze Projekt beim Ursteinverlag entstanden und ich bin auch sehr dankbar. 

00:13:17.000 

Raúl Krauthausen: In dem Buch beschreibst du ja deine Biografie und machst dann sehr gute Bezüge auch zur Gegenwart von Menschen, die, ja wie würdest du es beschreiben? 

00: 13:29.000 

Natalya Nepomnyashcha: Noch auf dem Weg sind? 

00: 13:31.000 

Raúl Krauthausen: Noch auf dem Weg sind sich zu entwickeln, aber vor allem die oft keine Chancen hatten und haben. Du bist in Kiew geboren, bist dann mit deinen Eltern in die Nähe von Augsburg gezogen. 

00: 13:42.000 

Natalya Nepomnyashcha: Nach Augsburg tatsächlich. 

00: 13:44.000 

Raúl Krauthausen: Nach Augsburg? 

00: 13:46.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, Augsburg Oberhausen. 

00: 13:46.000 

Raúl Krauthausen: Ich dachte es wäre daneben. Und hast dann dort quasi 

wiederholt realisiert, dass Klassismus, Armut große Themen für dich sind. Was magst du davon zusätzlich noch teilen? 

00: 14:02.000 

Natalya Nepomnyashcha: Tja, was möchte ich teilen, dass mir das sehr, sehr lange nicht klar war, dass ich wahrscheinlich von Klassismus betroffen bin. Ich habe wahnsinnig lange, viele, viele Jahre, wahrscheinlich sogar noch nach meinem Berufseinstieg wirklich gedacht, dass alles an mir liegt, dass ich das Problem bin. Auf jeden Fall zu meiner Schulzeit, als ich nicht aus Gymnasium durfte, habe ich total die Probleme bei mir gesucht. Ich dachte wirklich, ich wäre irgendwie nicht intelligent genug, hätte nicht genug drauf und das wäre der Grund, warum ich nicht aus Gymnasium darf. Als ich nicht studieren durfte, dachte ich das auch und keine Tour machen durfte. Und selbst dann beim Berufseinstieg, als ich gemerkt habe, ich konkurriere hier mit Menschen, die in Oxford, in Cambridge studiert haben, die ganz tolle Praktika gemacht haben. Ich wollte im politischen Bereich arbeiten, hatte aber ehrlicherweise keine relevanten Praktika, weil das gar nicht möglich war für mich vorher. Und einerseits habe ich sie dann irgendwann kennengelernt und auf diversen Netzwerkveranstaltungen und schon natürlich gehört, wer deren Eltern sind. Das waren Diplomatinnen, Ärztinnen, Managerinnen. Aber selbst da dämmert es mir irgendwie noch nicht so ganz, dass es vielleicht damit auch zu tun haben kann, strukturell gesehen, warum die so viel erfolgreicher sind beim Berufseinstieg als ich. Und tatsächlich erst, als ich Netzwerkchancen gegründet habe, 2016, schon im Berufsleben stand und mehr und mehr mit dem Thema beschäftigt habe, das fiel mir echt wie Schuppen von den Augen, dass ich wirklich dachte, boah, krass, vielleicht lag es doch nicht an mir, sondern am System, warum ich so, so lange, so, so hart kämpfen musste. 

00:15:31.000 

Raúl Krauthausen: Diese Reise, ich habe deinen Lebenslauf natürlich wahrscheinlich auch nur in Ansätzen verfolgt, aber was ich so interessant finde, dass du in jederlei Hinsicht des Vergleichs mit Leuten, die mich umgeben, überqualifiziert bist. Also ich meine, das ist positiv, dass du einfach sehr ehrgeizig gelernt hast, du hast Fremdsprachenkorrespondenten gemacht, du hast dich in dem Bereich auch international sehr weitergebildet und fortgebildet und das mit 22. Also das darf man einfach nicht vergessen. Und dann zu realisieren, dass das trotz all dieser ganzen Qualifikationen nicht funktioniert, das hat mich wirklich hart getroffen. Dieser Spruch „jeder ist seines Glückes Schmied“ 

oder „Smie-din“ einfach nicht nur im Bereich Behinderung nicht stimmt, sondern auch bei den Menschen, die wirklich alles gegeben haben. 

00:16:26.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ich glaube, dass ja tatsächlich sehr oft nicht stimmt, weil sehr viele Menschen Privilegien haben und die hat wahrscheinlich irgendwo jeder von uns, der in Deutschland aufwächst ehrlicherweise, wenn man uns wiederum mit Menschen vergleicht, vielleicht mit ähnlichen Geschichten, die aber in wirklichen Entwicklungsländern aufwachsen, ist es für sie wahrscheinlich noch schwieriger. Aber ich glaube, das Problem in Deutschland ist, dass wir so wenig über Privilegien sprechen. Das finde ich einfach schade und versuche, das zu ändern und bin da auch wirklich für deine absolut großartige Arbeit auch unglaublich dankbar, die auch mir sehr oft die Augen öffnet. Und ich glaube, dass wir das tatsächlich brauchen, auch für unsere Themen, dass wir das auf den Punkt bringen und auch sehr plastisch zeigen, wie eben in meinem Fall. Ich weiß nicht, wann dir klar wurde, dass du sehr viel drauf hast, aber vielleicht trotzdem nicht vorankommst, aber ich habe damals ich mit 22 diesen Master mit Auszeichnung hatte, ich dachte echt nicht, dass ich wahnsinnig gut bin. Ich war halt wirklich so, okay, aber ich war in keiner Elite-Uni. Ich habe nur so einen Master aus dem Ausland, ich habe kein Abi, kein Bachelor, ich habe keine relevanten Praktiken, es ist so klar, dass mich keiner haben will. Heute würde ich sagen, dass doch die Arbeitgebenden, bei denen ich mich damals beworben habe, ich habe mich 80 mal beworben, wurde natürlich meistens gar nicht eingeladen oder abgelehnt. Ich finde es eigentlich krass, dass sie diesen Lebenslauf nicht interessant fanden, dass sie jetzt nicht irgendwie sich gedacht haben, boah krass, wie hat sie es denn geschafft mit 22, ein Master und hat noch zwei Ausbildungen und hat wahrscheinlich voll hart gekämpft und das ist doch mega spannend, laden wir mal ein. So, dass sie dann eher nur gesehen haben, dass es irgendwie nicht linear und so unterschiedliche Sachen wie Sprachen und dann Politik und was soll das und keine coolen Praktika weg damit. Das kam wirklich alles viel, viel, viel später. 

00:18:06.000 

Raúl Krauthausen: Und da will man auch gar nicht nachfragen, ob das Sexismus, Rassismus oder Klassismus ist. 

00: 18:12.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, sicherlich irgendwo alles zusammen, aber ich glaube die Tatsache, dass mein Lebenslauf dann doch so ungerade 

war, hatte schon sehr, sehr viel mit meiner Herkunft aus einer Hartz IV Familie zu tun, weil meine Eltern natürlich auch eingewandert sind, natürlich nicht so gut Deutsch sprechen, aber ich glaube die Tatsache, dass sie eben keine Akademiker*innen sind, dass sie so eine tiefe soziale Scham schon sehr lange empfinden, schon aus der Zeit, als sie im Kiew gewohnt haben, Ende der 90er keine Jobs hatten und deshalb auch nie gelernt haben zu kämpfen oder für etwas einzustehen. Und vielleicht wäre das etwas anders gelaufen in Deutschland, hätten sie tatsächlich ein bisschen mehr für mich eingestanden. 

00:18:52.000 

Raúl Krauthausen: Wann hast du für dich zum ersten Mal realisiert, du möchtest nicht so weiterleben, wie du gelebt hast? 

00:18:59.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ach, das sehe ich, also ich habe glaube ich sehr, sehr früh mir gedacht, ich will nicht so leben wie meine Eltern. Ich kann mich noch sehr gut an Ethikunterricht erinnern, da hatten wir so einen ganz tollen Lehrer auf der Realschule und da hatten wir irgendwann die Frage gestellt, ihr müsst euch jetzt nicht melden, hat er gesagt, aber ich stelle euch die Frage, wer von euch möchte nicht so sein wie seine Eltern? Und ich bin mir sicher, dass es alle von euch wahrscheinlich denken. Ich dachte damals wirklich, ich wäre die Einzige, ich war wirklich so, also ich spüre es bestimmt viel mehr als die meisten, ich will da unbedingt weg aus diesem Ghetto, weil ich gespürt habe, dass meine Eltern kein glückliches Leben leben, dass sie ein Leben leben ohne gesellschaftliche, ohne kulturelle Teilhabe, irgendwo am Rand der Gesellschaft und dass ich da auf jeden Fall raus will. Also das war auf jeden Fall schon als Kind ein Gefühl, aber da hatte ich natürlich noch keinen großen Karriereplan. 

00:19:43.000 

Raúl Krauthausen: Und macht das irgendwas mit der Beziehung zwischen Kind und Eltern? 

00:19:47.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, ich glaube auf jeden Fall, dass die Entfremdung, die stattgefunden hat, eigentlich schon sehr früh begonnen hat, weil ich sehr viel nicht verstanden habe, zum Beispiel warum meine Eltern nicht härter für mich kämpfen, auch nicht vielleicht härter irgendwo für sich kämpfen. Sie haben zwar auch versucht, hier irgendwie Arbeit zu finden, waren auch bei sehr vielen Deutschkursen, aber ich dachte mir halt immer, da geht vielleicht noch mehr und warum ist das so, warum leben wir von Hartz IV, während andere doch irgendwie Jobs finden und 

vielleicht ihren Kindern ein besseres Leben ermöglichen. Also das waren die Fragen, die ich auf jeden Fall mir auch gestellt habe. 

00:20:25.000 

Raúl Krauthausen: Und das kann ja dann auch wieder mit Scham verknüpft sein? 

00:20:28.000 

Natalya Nepomnyashcha: Absolut, wobei ich mich tatsächlich auch sehr stark für mich selbst geschämt habe, also nicht nur für meine Eltern. Das hat irgendwie bei mir wahrscheinlich auch irgendwo unterbewusst, aber mit mir etwas gemacht, so aufzuwachsen in so einem Umfeld. 

00:20:43.000 

Raúl Krauthausen: Du bist jetzt selber Mutter, wie beeinflusst denn diese Erfahrung wiederum, die du als Mutter jetzt mit deinem Kind hast? 

00:20:50.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also ich versuche, obwohl ich wieder Vollzeit arbeite, seitdem sie sechs Monate alt ist, versuche ich auf jeden Fall möglichst viel Zeit mit ihr zu verbringen, „quality time“, wie man so schön Neudeutsch sagt. Gleichzeitig sehe ich natürlich auch, wie wahnsinnig privilegiert sie aufwächst. Also wir haben hier ein Haus mit fünf Zimmern und Garten. Sie hat im Prinzip viele Spielzeuge. Wir versuchen ihr wirklich, so gut es geht, sie ist erst acht Monate alt im Moment, aber irgendwie auf jeden Wunsch so von den Lippen abzulesen und ich denke auch oft, in ihrem Aufwachsen muss ich auf jeden Fall dafür sorgen, während sie aufwächst. Natürlich auch kindgerecht und dann altersgerecht, dass sie aber auf jeden Fall versteht, wie privilegiert sie aufwächst und dass es alles andere als irgendwie normal ist und ja, wenn es irgendwie möglich sein wird, hätte ich auf jeden Fall auch gern, dass sie auf eine Schule geht, wo sie mit Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten in Berührung kommt. Das fände ich auf jeden Fall sehr gut. 

00:21:46.000 

Raúl Krauthausen: Viele Textideen, die ich über dich gelesen habe, da gab es dann immer so diese Erzählung, du hast es geschafft. Du hast irgendwas geschafft. Du hast es geschafft, Deutsch zu lernen. Du hast es geschafft, Karriere zu machen. Fühlt sie das auch so, dass du etwas geschafft hast oder hast du dir eigentlich nur dein Recht genommen? 

00:22:05.000 

Natalya Nepomnyashcha: Doch, ich habe geschafft, diesem Elend zu entkommen, aus dem ich komme. Also so sehe ich das auf jeden Fall auch. Ich glaube, dieses Geschafft definiert irgendwie jeder anders. Also ich finde das umgangssprachlich, verstehe ich das so, dass es einfach heißt, sozioökonomisch gesehen weiter oben sich zu befinden, als wie man aufgewachsen ist. So würde ich es vielleicht versuchen zu beschreiben. Das wird natürlich auch sehr oft kritisiert, so gerade bei LinkedIn, wenn das irgendwo steht, kommt das gleich, was hat sie denn geschafft? Und natürlich kann man auch sehr viel schaffen, ohne dass man Geld hat, was ja absolut stimmt, wenn man Kinder hat, wenn man Angehörige pflegt, wenn man sich ehrenamtlich betätigt. Das ist natürlich ein Wort, das irgendwie jeder für sich anders definiert. Ich empfinde aber es auf jeden Fall so ganz für mich persönlich. Ich habe wahnsinnig hart gekämpft, bin mit sehr wenig Privileg ausgestattet gewesen, aber natürlich trotzdem auch mit ein paar. Zum Beispiel, dass ich nicht behindert bin. Aber natürlich trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich zumindest für mich persönlich etwas geschafft habe. 

00:23:07.000 

Raúl Krauthausen: Gibt es noch so eine andere Transformation, die du in dir beobachtest? Blick auf die Welt oder auch deine eigenen Erkenntnisse, die jetzt gar nicht so viel mit dem Thema Klassismus, Armut oder Zuwanderung zu tun haben. Also mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass ich als Mensch mit Behinderung, glaube ich, kreativer bin als viele andere, was Finden von Lösungen angeht. Einfach weil es nur notgedrungen so ist. Oder dass ich vielleicht leichter verstehe, und das spüre ich ja bei dir auch, was es bedeutet, wenn andere über allem entscheiden. 

00:23:52.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, es ist auf jeden Fall so, dass ich auf meinem Weg gelernt habe, da wo es vermeintlich keine Lösung gibt, auf jeden Fall trotzdem nach einer zu suchen und nicht aufzugeben. Also wenn zehn Türen irgendwie mir vor der Nase zugeknallt werden, versuche ich dann irgendwie in die Elfte zu klopfen. Und oft glaubt man bei den neunten Türen nicht, dass es noch irgendwas werden kann. Bei mir war das so, als ich einen guten Job gesucht habe, dass ich irgendwann wirklich dachte, muss ich jetzt vielleicht wirklich aufgeben und vielleicht tatsächlich von Arbeitslosengeld leben. Oder ich hatte auch so Gedanken, so ganz wild, ob ich es nicht reich heiraten soll und so Hausfrau werden soll und solche Sachen, weil ich einfach nicht mehr dran geglaubt habe. Und dann 

irgendwann hat man doch einen Job gefunden und dann auch den nächsten. Und ich glaube, diese Resilienz und dieses Durchhaltevermögen ist auf jeden Fall etwas, was vielen sozialen Aufsteiger*innen gemein ist. 

00:24:44.000 

Raúl Krauthausen: Gab es eine Person in deinem Leben, die dir irgendeine Tür geöffnet hat, zum Beispiel der erste Job oder so, wo du sagst, ohne diese Person hätte es länger gedauert oder wäre gar nicht gegangen? 

00:24:55.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, also mein bester Freund auf jeden Fall, den kenne ich schon sehr, sehr lange, 15 Jahre. Und bei ihm war das so, dass er, den kenne ich noch aus der Zeit, dass ich meine Ausbildungen gemacht habe in München und er war einfach immer da und er hat das eben alles mitbekommen, wie das war, als ich diese vielen, vielen Absagen oder gar keine Antwort bekommen habe, als ich wirklich nicht mehr dachte, dass ich jemals einen Job finden würde. Und der war für mich wirklich die ganzen Jahre da, auch, dass es mal vielleicht beruflich nicht ging, vielleicht schwierig war. Ich auch nicht mehr dran geglaubt habe, dass es noch irgendwie groß vorangeht, war einfach immer für mich da und dafür bin ich auch unglaublich dankbar. Und als ich das Bundesverdienstkreuz jetzt bekommen habe, habe ich ihn natürlich auch als eine der Begleitpersonen mitgenommen ins Schloss. 

00:25:38.000 

Raúl Krauthausen: Das finde ich tatsächlich total spannend. Meine Frau studiert Psychologie und die hat erzählt, dass manchmal eine Person im Leben reicht, die dem Leben eine Wende geben kann zum Guten. Also egal aus was für Bedingungen man herkommt, aber wenn man das Gefühl hat, da ist jemand, der oder die glaubt an allen, dass es so Kräfte freisetzen kann gemeinsam, dass das oft mehr Unterschied macht als jetzt sagen wir mal keine Ahnung, ein bisschen mehr Geld oder so. 

00:26:11.000 

Natalya Nepomnyashcha: Wir haben vor allen Dingen immer die Gespräche mit ihm sehr geholfen. Also wenn ich wirklich down war, dann hilft mir eigentlich immer reden und die Sachen vielleicht mal aufzudröseln, auszusprechen und dann zu gucken, wie man vielleicht trotzdem weitermachen kann. Und oft stellt man ja fest, so schlimm ist es vielleicht nicht und das ist eben kein Weltuntergang und eben dass jemand, der kein Sicherheitsnetz hat, wenn ich tatsächlich so, dass ich sehr oft dazu neige zu denken, oh Gott, jetzt geht hier alles die Welt unter und ich muss Bürgergeld beantragen. Und da hat er mich immer aufgefangen und immer 

gesagt, nein so schlimm ist es nicht, alles gut, ist eigentlich nichts passiert, wenn mir das passiert und das hat mir auf jeden Fall immer wieder sehr, sehr geholfen. 

00:26:53.000 

Raúl Krauthausen: Hast du das Gefühl, dass du jetzt entspannter sein kannst oder bleibt in dir noch so eine Art Ungeduld, Unrast, Angst vor der nächsten Gefahr? 

00:27:04.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, auf jeden Fall. Wir zahlen eine wahnsinnig hohe Miete und ich habe ehrlicherweise absolut Angst. Mir ist absolut klar, dass wir auf mein Gehalt angewiesen sind, dass es ungefähr so in dem Bereich aufbleibt, in dem es jetzt ist. Und natürlich habe ich Angst, dass ich aus welchen Gründen auch immer meinen Job vielleicht verliere. Vielleicht irgendwann mal, es muss ja nicht morgen sein, in zehn Jahren keinen guten Job auf einmal habe und dann frage ich mich schon, wenn wir bis dahin das nicht geschafft haben, auch eine Immobilie zu erwerben, ob wir noch eine Wohnung finden, in der wir zur Miete leben können oder auch selbst wenn wir bis dahin etwas gekauft haben, was wir absolut überlegen, ob wir dann noch irgendwie die Raten zahlen können. Das sind absolut so die Gedanken, die ich mir mache. 

00:27:46.000 

Raúl Krauthausen: Ich finde das total krass, wie sich überhaupt die Mietpreise entwickelt haben in Deutschland bei Armut, was glaube ich ein Thema werden, das viel, viel, viel mehr Leute betreffen wird in den nächsten Monaten und Jahren als die, die wir sonst so immer, sagen wir mal, im Kopf haben, wenn wir das bei Armut hören. 

00:28:06.000 

Natalya Nepomnyashcha: Absolut, dann sind einfach auch wahnsinnig viele Menschen, die arbeiten gehen. Also ich glaube, da fehlt mir tatsächlich auch, ehrlicherweise in den Medien, wenn ich das etwas pauschalisierend sagen kann, aber so etwas die Einordnung. Denn Armut heißt eben nicht, dass ich von Bürgergeld lebe. Es gibt sehr, sehr viele Menschen, die arbeiten gehen, die aufstocken, aus diversen Gründen oder die nicht mal aufstocken, aber trotzdem sehr wenig haben und deren Gehälter nicht reichen, um tatsächlich eine Wohnung zu finden, in der sie mit ihren Familien Platz haben und das ist schon wirklich sehr traurig. 

00:28:38.000 

Raúl Krauthausen: Was sind deiner Ansicht nach die größten Missverständnisse, die wir in Deutschland haben in Bezug auf Chancengleichheit? 

00:28:46.000 

Natalya Nepomnyashcha: Wenn ich das abstrakt sagen kann, für mich ist der Punkt eins, dass nur weil Bildung in Deutschland kostenlos ist, das bei weitem noch nicht heißt, dass wir Chancengleichheit haben, dann glaube ich sehr oft, dass die strukturellen Hürden viel zu wenig Beachtung finden im Diskurs. Damit meine ich zum Beispiel die Mehrgliedrigkeit unseres Schulsystems. Da ist es ja so, dass es Studien gibt, die zeigen, dass Nichtakademikerkinder bei gleichen oder vergleichbaren kognitiven Fähigkeiten 2,5 mal schlechtere Chancen auf eine Gymnasiallempfehlung haben. Das heißt, das sind zwei Kinder, die eigentlich kognitiv gesehen ähnliche Fähigkeiten haben. Der Unterschied ist die soziale Herkunft und das eine Kind hat dann so viel bessere Chancen aufs Gymnasium zu kommen. Das sind für mich Sachen, die absolut übersehen werden und wir verstecken uns so wahnsinnig oft hinter diesem, wenn wir da einem Kind doch ein bisschen Mentoring geben, ein bisschen Nachhilfe, dann hat sich das alles schon erledigt und wir packen das Problem in meinen Augen nicht an der Wurzel, dass wir sagen, wir müssen das Schulsystem präformieren. Kinder müssen viel mehr individuell gefördert werden, damit sie unabhängig ihrer Herkunft tatsächlich herausfinden, was ihre Stärken, was ihre Talente sind. Die Startnachteile, die sie eben haben, müssen dadurch auf jeden Fall in meinen Augen vom Start ausgeglichen werden. Denn wie es jemand mal gesagt hat, können uns die Eltern nicht backen, aber an der Schraube Lehrkräfte können wir drehen und da finde ich, dass wir viel zu wenig tun und dann natürlich diese Mehrgliedrigkeit. Also ehrlicherweise, wenn ich mir so Umfragen angucke, ist es tatsächlich so, dass die Mehrheit der Deutschen für diese Mehrgliedrigkeit ist, obwohl das nicht in ihrem Interesse ist. Das verstehe ich überhaupt nicht, denn die Mehrheit der Erwachsene in Deutschland hat ja keinen 

Hochschulabschluss. Das heißt, in ihrem Interesse und im Interesse ihrer Kinder ist eigentlich, dass wir keine Mehrgliedrigkeit haben. Das ist eben nachweislich so, dass diese Aufteilung sehr, sehr oft aufgrund der sozialen Herkunft geschieht. Das heißt, was wir eigentlich brauchen, sind sehr, sehr gute Gemeinschaftsschulen, in denen Kinder bis zum ersten Schulabschluss gemeinsam, wenn man so schon sagt, lernen, aber natürlich heißt das nicht, dass ja alle in dieselben Kurse gehen oder in die gleichen Kurse, sondern wer gut in Mathe ist, geht in einen stärkeren Mathekurs, wer gut in Deutsch ist, geht in einen stärkeren Deutschkurs und so weiter. Und 

daneben sollte auch noch musisch und anderweitig gefördert werden. Aber ich glaube, bis das kommt, dass wir uns von dieser Mehrgliedrigkeit verabschiedet haben, wird noch sehr, sehr lange dauern. Und vielleicht der letzte Punkt, weil ich weiß, ich stehe schon ziemlich lange so im Monolog, aber darüber wird tatsächlich viel zu wenig sprechen und das ist ja tatsächlich der Fokus von meinem Buch, wir von unten, ist die Tatsache, was für einen enormen Einfluss die soziale Herkunft auf die Karrierechancen hat. Denn bei uns ist es gefühlt so, wir wissen schon irgendwie, dass der Bildungsverfolg in Deutschland von der sozialen Herkunft abhängt. Aber ich höre wahnsinnig oft, sobald man einen Hochschulabschluss hat, gibt es keine Probleme mehr, dann ist ja schon alles erledigt. Und dass es leider, leider, leider Schwachsinn, den Studien zeigen sehr wohl, dass selbst mit Hochschulabschluss, wie auch in meinem Fall, das bei weitem nicht erledigt ist und Arbeiter*innen, Kinder viel schlechtere Chancen auf den Berufsanstieg haben, auf der Karriereleiter aufzusteigen und eben kaum sozialer Aufsteiger*innen oben in den Toppositionen zu finden sind. 

00:31:57.000 

Raúl Krauthausen: Ja und dass Arbeiter*innen, Kinder ja auch oft für die Eltern die Unterstützung nicht bekommen, aber nicht nur, weil sie es nicht wissen, wie es geht oder nicht können, sondern auch, weil sie ja manchmal dann so, also wir einfach dann das auch schlechtreden, das die Hochschulzugang oder das Studium und dann man sich dann auch doppelt wahrscheinlich noch mal gerechtfertigt rechtfertigen muss, warum man trotzdem studieren möchte. Ich kann jedenfalls einige Geschichten hier so in die Richtung geben, sodass ich schon nachvollziehen kann, warum es vielleicht so ist, dass, obwohl die Mehrheit der Deutschen keinen Hochschulzugang haben, dann auch nicht im Interesse ihrer Kinder handeln, weil sie das nicht glauben, dass es im Interesse ihrer Kinder ist, was falsch ist. 

00:32:42.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau, keinen Hochschulabschluss haben die meisten. 

00:32:44.000 

Raúl Krauthausen: Genau. Was ich aber noch ergänzen könnte, weil du gesagt hast, dass die Migrationsgeschichte auch einen großen Einfluss hat, die hat einen riesigen Einfluss auch auf Förderschulen. Es ist unfassbar interessant, wie viele Kinder mit Migrationshintergrund an Sonderschulen landen, weil sie die deutsche Sprache vielleicht nicht so gut sprechen wie 

ein deutsches Kind. Und das aber, sagen wir mal, für schwedische Kinder nicht gilt. Also bei schwedischen Kindern ist es alles ganz toll, dass die zweisprachig hier aufwachsen. Aber sobald es wahrscheinlich jetzt auch Russisch, Ukrainisch, Arabisch, Türkisch ist, wird dann eher gesagt, das hat eine Lernbehinderung. Und der Rassismus in diesem Bildungssystem, den finde ich gerade im Sonde- rund Förderschulbereich extrem auffällig. 

00:32:38.000 

Natalya Nepomnyashcha: Das ist wirklich sehr interessant. Ich muss ehrlich zugeben, ich kenne die Zahlen da jetzt nicht. Was ich tatsächlich sehr interessant finden würde, sich auch diese Zahlen im Hinblick auf soziale Herkunft anzugucken. Also ob das nicht auch so ist, dass man tendenziell eher auf Kinder, die aus diversen Gründen, aus sozial benachteiligten Familien kommt. Ob sie dann nicht auch, vielleicht eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, dass sie dann auf eine Förderschule müssen. Wobei, ich weiß ehrlicherweise nicht, wie dein Standpunkt dazu ist. Ich wäre für die Abschaffung solcher Schulen, dass es für mich wieder so eine Segregation ist. 

00:34:19.000 

Raúl Krauthausen: Genau. Also man spricht ja auch immer vom dreigliedigen Schulsystem, aber eigentlich ist es vielgliedrig, weil die Sonderschule nie mitgezählt wird. Das heißt immer Gymnasium, Realschule und Hauptschule. Und wenn wir eine Schule für alle wollen, dann bedeutet das auch die Abschaffung der Sonderschule. 

00:34:37.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, absolut. Und da finde ich zum Beispiel auch sehr, sehr schwierig, dass man da auch gewissermaßen Lehrkräfte ja gegen Systeme aufbringt, weil sie ja viel zu wenig Unterstützung bekommen, dann natürlicherweise oft überfordert sind und dann sagen, nee, dann lieber keine Inklusion, weil die kommen damit nicht zurecht. Und das Problem sind aber natürlich nicht die Lehrkräfte, sondern das System, was ihnen nicht genügend Unterstützung in die Hand gibt. Und das finde ich tatsächlich sehr, sehr schwierig. 

00:35:05.000 

Raúl Krauthausen: Auf der anderen Seite, als Aktivist, der sich in dem Bereich sehr viel auseinandersetzt, finde ich es auch manchmal gefährlich, immer zu sagen, das Schulsystem ist verantwortlich. Weil ich glaube, es gibt noch andere, die verantwortlich sind. Also klar, das Schulsystem zum großen Maß, aber allein die Tatsache, dass Menschen in Deutschland immer ärmer werden, ist glaube ich auch ein Problem. Das kann das 

Schulsystem nicht lösen. Die Tatsache, dass es super schwer ist, Kitaplätze zu finden, ist auch kein Schulproblem. Altersarmut. Also ich glaube, es gibt viele Dinge, an die man noch schrauben könnte und müsste, dass ich es manchmal zu einfach finde, immer nur auf das Schulsystem einzuschlagen. 

00:35:47.000 

Natalya Nepomnyashcha: Aber das machen ja die wenigsten. Also wenn du mich natürlich nach den anderen Themen fragst, würde ich natürlich auch sagen. 

00:35:52.000 

Raúl Krauthausen: darauf will ich hinaus. 

00:35:53.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau, frühkindliche Förderung müssen wir natürlich dafür sorgen, dass wir genügend und zwar sehr gute Plätze für frühkindliche Förderung haben. Also in meinem eigenen Fall war das so, dass ich 26 Kindertagespflege-Einrichtungen, heißt das ja so schön, angeschrieben habe. Davon haben wir sechs geantwortet und zwei haben uns dann eingeladen. Und das ist natürlich kein wahnsinnig toller Schnitt. Insofern, wenn du auch noch überlegst, dass es ja auch Zahlen dazu gibt, dass gerade Akademiker, Kinder sogar öfter noch diese Plätze bekommen, weil die Eltern dann wahrscheinlich irgendwie wissen, wie sie sich in diesem System zurechtfinden, wo sie vielleicht noch mal vorsprechen, wie sie sich geben und so weiter. Ich habe natürlich auch mein Bestes gegeben und versucht, möglichst sympathisch zu wirken und habe versucht, möglichst eloquent mich auszudrücken und solche Sachen. Und das ist natürlich absolut ein Problem. Also wir brauchen da in meinen Augen nicht nur mehr. Ich finde, das ist ein bisschen zu eindimensional, sondern die Qualität muss auch sehr hoch sein. Denn frühkindliche Förderung ist ja Bildung. Das ist ja kein Aufbewahrungsort. Und das, was ich sehr oft von befreundeten Eltern höre, dass sie das Gefühl haben, ihre Kinder werden dann mehr aufbewahrt. Insofern hängt das natürlich sehr stark miteinander zusammen, dass dann wiederum Kinder, die vielleicht bestimmte Fähigkeiten, Kompetenzen nicht erworben haben, gerade sprachlich gesehen, dann mit diesen Kompetenzen dann auch in die Grundschule gehen und auch in der Grundschule sind die Klassen vielleicht zu groß. Es gibt viele Ausfälle und so weiter. Es gibt nicht genug Sozialpädagog*innen, Psycholog*innen, Erzieher*innen und so weiter. Und da können dann diese Nachteile auch nicht ausgeglichen werden. Insofern ist es für mich absolut trotzdem ein systemisches Problem, auch 

von vielleicht natürlich nicht nur das Schulsystem verantwortlich ist, sondern dass absolut ein Kreislauf ist irgendwo. 

00:37:39.000 

Raúl Krauthausen: Was mich an Deutschland wirklich nervt, ist die Deutschen glauben, sie sind keine Ahnung Weltmeister. Die sind Weltmeister in fast allem. Aber wenn man sie dann darauf anspricht, dass sie viele Dinge im Agen sind, dann wollen die das oft nicht wahrhaben. Also wenn man denen sagt, das Gymnasium ist Teil des Problems, dann verteidigen die wie aufs bitterste ihr Gymnasium, obwohl sie gar nicht sehen, dass es bessere Lösungen gibt. 

00:38:06.000 

Natalya Nepomnyashcha: Soweit ich weiß, zeigen ja auch Untersuchungen, dass grundsätzlich die Gesellschaft bei uns relativ konservativ ist im Mittel, weil ja auch viele Menschen auf dem Land leben und grundsätzlich ja auch viele Menschen wertkonservativ sind. Also das heißt, dass wir sie bewahren und dass die Sachen ja wie du sagst nicht schlecht sind und wir müssen ständig was ändern. Dann kommt natürlich noch hinzu, dass wir ja eine statistisch gesehen relativ alte Gesellschaft sind. Das heißt, es hat sehr viele Menschen, die relativ alt sind und das führt natürlich dazu, ich kann das von meinen Eltern auch sagen, sie erzählen auch immer, wie toll ihre Jugend war und wie toll das alles zu ihrer Jugendzeit war. Aber das natürlich auch die Zeit war, in der sie sich am schönsten gefühlt haben, am kraftvollsten in ihrer Kraft waren, vielleicht auch am glücklichsten waren und deshalb haben sie das Gefühl, damals war irgendwie alles besser. Und das kann natürlich dazu führen, dass wir etwas veränderungsresistent sind. Ich glaube, was Gymnasien anbetrifft, ist es so, dass aus einem Grund, den ich nie verstehe, hat sich dieser Glaube hier etabliert, dass in diesen vier Schulformen, wahrscheinlich gibt es noch mehr und es gibt ja auch ein paar Gesamtschulen und Gemeinschaftsschulen, aber zur Vereinfachung sagen wir mal vier Schulformen, dass dort tatsächlich Kinder, Jugendliche entlang ihrer Fähigkeiten gefördert werden und aus irgendeinem Grund glauben das unglaublich viele, obwohl das nachweislich überhaupt nicht stimmt. Denn überlegen wir mal, es werden ja keine Fähigkeiten geprüft, also es ist ja nicht so, dass dann irgendwie zwei Tage lang krasse Kompetenz- und Fähigkeiten-Tests gemacht werden und dann verteilt man die Kinder, sondern sehr oft ist es ja irgendwie ein kurzer Test oder irgendwelche Notenspiegel, obwohl man auch da natürlich Untersuchungen hat, dass die Noten ja alles andere als objektiv sind. Und das finde ich auch wirklich komplett unverständlich, wie man anhand von 

diesen Datenpunkten solche Entscheidungen treffen kann, aber trotzdem stehen die meisten dahinter und glauben tatsächlich, ja es kann ja nicht jeder Abitur machen und dass es überhaupt nicht darum geht, dass jeder Abitur macht, sondern dass es nicht von der Herkunft und auch nicht von anderen Faktoren abhängt, da scheint irgendwie den meisten nicht einzuleuchten. 

00:40:21.000 

Raúl Krauthausen: Zumal wir auch viel zu wenig untersuchen, wie Kinder leiden am Gymnasium. Also Überforderung, Stress, Druck, das wäre ja in einer Gesamtschule vielleicht entspannter, wenn man die Kinder auch ein bisschen nach Leistung dann auch oder auch Talent einsortieren könnte. Dann gibt es halt den fortgeschrittenen Kurs, da gibt es den Kurs, wo man auf einem anderen Level lernt und das dann aber pro Kind, pro Fach unterscheidet. Also dass man dann sagen kann, in Bio sind wir alle zusammen, aber im deutschen Bericht machen wir das Leistungs differenziert. 

00:41:01.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja da würde ich mir auf jeden Fall wünschen, dass wir diese Diskussion um Gemeinschaftsschulen auf jeden Fall noch mal aufnehmen, dass wir uns auch tolle Modellprojekte angucken, wie die Universitätsschule Dresden, die wir auch im Buch porträtieren, die das wirklich anders macht und versucht tatsächlich die Kinder individuell zu fördern, was in meinen Augen jetzt in diesem mehrgliedrigen Schulsystem, das ist für mich eine pseudo individuelle Förderung. Also mich hat man in diese Schublade Realschule gesteckt und vielleicht sogar noch krasser, es gibt ja bestimmt irgendwelche Mathe-Genies, die aus welchen Gründen auch immer auf der Hauptschule landen und für mich ist die Frage, wie viele von denen werden nie erkennen, dass sie Mathe-Genies sind, weil sie nie in dem Bereich gefördert wurden und nie die entsprechenden Aufgaben bekommen haben oder nie entsprechend herausgefordert wurden, dass sie auch gesehen haben, was alles in ihnen steckt. 

00:41:53.000 

Raúl Krauthausen: Gleich geht es weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und du wirst, sofern du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos findest du unter www.im-aufzug.de. Ende der Service-Durchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge. 

00:42:22.000 

Raúl Krauthausen: Du hast das Netzwerk Chancen gegründet. Unter anderem habt ihr am Anfang gefordert, dass soziale Herkunft auch als Diversity Faktor in einem Unternehmen anerkannt wird. Und ihr habt es dann geschafft, weil es mit der Karte der Vielfalt dann auch als eine Dimension der Vielfalt aufgenommen wurde. Wie könnte das als Unternehmen konkret aussehen, was man als QuickWin sag ich mal sofort umsetzen könnte? 

00:42:54.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also Quick-Win finde ich bei einem Change Prozess tatsächlich nicht einfach. 

00:42:58.000 

Raúl Krauthausen: Oder ein guter Einstieg, sagen wir mal so. 

00:43:00.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau, also ich glaube grundsätzlich finde ich es wichtig, dass man eine Sensibilisierung schafft. Also man kann zum Beispiel natürlich mit einem Talk anfangen und Menschen dafür sensibilisieren im eigenen Unternehmen, dass die soziale Herkunft Einfluss auf die Karrierechancen hat. Dann kann man natürlich gerade Menschen die Personalentscheidungen treffen, dafür sensibilisieren, was unbewusste Vorurteile sie im Hinblick auf alle Dimensionen haben. Das ist natürlich sowieso das Allerbeste, wenn man das schafft. Aber in meiner Erfahrung, in vielen Diversity-Schulungen, die versuchen möglichst dimensionsübergreifend, intersektional zu „lehren“, da kommt Klassismus tatsächlich nicht vor. Und dabei ist es so, dass sie natürlich gerade wenn man konservativ und klassisch rekrutiert oder auch Entscheidungen über 

Beförderungen trifft, man ja durchaus auf solche Sachen wie Noten, Auslandserfahrung, Abschluss, Länge des Studiums usw. achtet. Und dann automatisch eben Menschen, die vielleicht nicht so gute Noten haben oder keinen Hochschulabschluss oder lange studiert haben, in dieser Kategorie faul, nicht leistungsfähig, nicht gut genug einteilt. Und da sehe ich, wenn man nicht sensibilisiert ist dafür, dass es auch damit zusammenhängen kann, dass die Person vielleicht zuerst eine Ausbildung gemacht hat, Kinder bekommen hat, er spät studiert hat, entsprechend vielleicht teils studiert hat, dass es deshalb lange dauern kann, dass die Person vielleicht Kehrverantwortung nebenbei noch hatte und deshalb vielleicht nicht die allerbesten Noten hat, aber was für Fähigkeiten dabei erworben wurden, indem man vielleicht fast Vollzeit gearbeitet hat, noch Kinder nebenbei betreut hat und das Studium abgeschlossen hat, dass das nicht gesehen 

wird, das finde ich schade und ich glaube, dass man dafür auf jeden Fall sensibilisieren kann. Und wenn man dann weitergehen möchte, kann man sich natürlich den gesamten Employee-Lifecycle angucken, also Employer Branding, Recruiting, Onboarding, Personalentwicklung und so weiter und sich eben jeweils in diesen Punkten angucken, wo da überall Barrieren sind, zum Beispiel in den Jobausschreibungen oder auch in den Kanälen, über die man rekrutiert oder auch wie man intern mit den Mitarbeitern umgeht, was für Safe Spaces man anbietet, also da kann man durchaus auch einiges machen. 

00:45:12.000 

Raúl Krauthausen: Bist du für ein anonymes Bewerbungsverfahren? 

00:45:16.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also für mich ist immer die erste Frage, was genau wird anonymisiert, denn das ist ja auch immer so super, super unterschiedlich, ist das jetzt nur mein Name oder Name und Geschlecht und Bild oder steht da zum Beispiel gar nicht auf welcher Uni ich war, was für einen Abschluss ich habe, also das kann ja hingehen bis zu, da steht gar nichts drin außer ich mache paar Tests und dann versucht man zu zeigen, in den Tests habe ich die und die Fähigkeiten bewiesen, das gibt es ja auch. Ich bin da ehrlicherweise hin und her gerissen, ich habe keine abschließende Meinung, ich glaube auf jeden Fall, wenn es um Namen geht, dass es im Bereich soziale Herkunft Einfluss haben kann, weil das tatsächlich so ist, dass Kevin Chantal und so weiter, da gibt es auch Untersuchungen, ihr Name sind, denen man vielleicht nicht ganz so viel zutraut, aber genauso natürlich vor allen Dingen im Bereich Migrationshintergrund, wenn das Namen sind, die nicht deutsch klingen, man auf jeden Fall Nachteile hat, das ist ja auch sehr, sehr gut erwiesen. Auch das Thema Bild, bin ich ehrlicherweise auch dafür, dass man nicht unbedingt Bilder anhängt. Ich verstehe auch diese Punkte und die erscheinen mir auch durchaus sinnvoll zu sagen, dass da gar nicht steht, auf welche Uni ich studiert habe oder solche Sachen. Soweit zu gehen, dass man nur anhand von einem Test Fähigkeiten abprüft, damit würde ich gerne mich noch ein bisschen mehr auseinandersetzen, vielleicht tatsächlich selber mal über so etwas rekrutieren, mir das mal genauer angucken, denn ich muss schon ehrlich sagen, dass ich das durchaus interessant finde, so ein CV zu lesen, weil ich glaube, dass man da schon einiges rauslesen kann. Also eben, wenn jemand Kehrverantwortung nebenbei hatte, wenn jemand neben dem Studium bei McDonalds gearbeitet hat, da siehst du ja auch irgendwie krasse Fähigkeiten. Ich finde das persönlich schon tatsächlich sehr interessant und in meinem Fall muss 

das überhaupt nichts krasses sein, natürlich, dass jemand in einer Eliteunternehmen war oder so etwas in der Tat für mich ist tatsächlich relevant. Wenn ich für eine Stelle rekrutiere, was für Fähigkeiten braucht man dafür und hat die Person in ihrem Lebenslauf gezeigt, dass sie entweder diese Fähigkeiten schon hat oder sie sich gut aneignen kann. Insofern keine so abschließende Antwort, aber grundsätzlich habe ich Sympathien dafür auf jeden Fall. 

00:47:20.000 

Raúl Krauthausen: Ich habe mich gerade gefragt, auch wenn das natürlich jetzt irgendwie doof ist, das in so eine Reihenfolge zu bringen. Die soziale Herkunft, das Geschlecht oder Migrationshintergrund, was ist der entscheidendere Faktor? 

00:47:36.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ich glaube, dass man das tatsächlich so nicht sagen kann. Ich glaube, dass diese Intersektion das ist tatsächlich das Entscheidende, wo es nachgewiesenermaßen schwieriger wird, wenn eben mehrere Dimensionen zusammenkommen. Wir haben in unserem Buch hier auf Studien zum Thema Class Pay Gap zitiert. Es gibt diesen berühmten Gender Pay Gap, dass Frauen auf vergleichbaren Positionen oder in vergleichbaren Positionen weniger verdienen als Männer und diesen gibt es eben auch in Bezug auf soziale Herkunft. Das haben sie in UK und in anderen Ländern sehr gut untersucht. Das heißt, es sind zwei Menschen, die den selben oder gleichen Job machen und die Person, die aus der Working Class kommt, verdient deutlich weniger als die Person, die aus der Mitte oder Aber Class kommt. Und weil sie da jedenfalls festgestellt haben, dass am allergrößten dieser Pay Gap tatsächlich ist bei schwarzen Frauen und der Working Class. Insofern ist es natürlich so, dass das auf jeden Fall reinspielt und ich glaube, dass man diese Punkte, sofern sie zutreffen, wie jetzt bei mir, nicht komplett voneinander trennen kann. Was ich aber auch sehr wichtig finde, dass soziale Herkunft auch als eigenständige Dimension ihre Daseinsberechtigung haben muss, denn natürlich auch, was ich auch wahnsinnig oft passiert, dass man sie in einen Topf packt mit sozialer Herkunft und dabei komplett überzieht, dass es einerseits Menschen ohne Migrationshintergrund gibt, die aber sehr 

wohl unterprivilegiert aufgewachsen sind, also in Armut aufgewachsen sind, in nichtakademischen Familien, entsprechend auch jährlicherweise weiße Männer, die alles anderes privilegiert aufgewachsen sind, wenn sie irgendwo bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen sind, die von Hartz IV gelebt hat vielleicht. Und genauso gibt es selbstverständlich auch Menschen mit Migrationshintergrund, ich habe auch in meinem 

Freundeskreis Menschen mit Migrationshintergrund, deren Eltern Akademiker*innen sind, die in sehr wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen sind und sie können ja sehr wohl oder sind ja auch sehr oft von Rassismus betroffen, von Fremdenfeindlichkeit betroffen, aber eben nicht von Klassismus und haben zum Beispiel auch nie Geldnot erlebt. Und deshalb finde ich es tatsächlich wichtig zu sehen, dass diese Dimensionen zusammenkommen können, aber nicht müssen. 

00:49:41.000 

Raúl Krauthausen: Genau, also ich vergleiche das immer ganz gerne, also in meiner Welt der Menschen mit Behinderung, da hat man herausgefunden zum Beispiel, dass Menschen mit Behinderung gleichen Geschlechts, da gibt es eine geringere Gehaltsdiskriminierung als anderen Geschlechts oder anders formuliert, die Behinderung ist ein geringerer Diskriminierungsfaktor, was Pay Gaps angeht, als das Geschlecht. Und das fand ich interessant. Und dann gibt es aber auch ganz viele Studien, da hatte ich auch schon einige Gäste hier, die davon berichtet haben, dass die soziale Herkunft, also der Klassismus, ja auch etwas ist, das alle betreffen kann. Es gibt arme Behinderte, es gibt arme Frauen, es gibt arme Männer, es gibt arme Weiße, arme Schwarze und das oft Armut einen sehr großen Einfluss darauf hat, wie stark dann die zweite Diskriminierung wirkt. Weil als behinderter Mensch reich zu werden oder reich zu sein, da kann ich mir alle Barrieren wegkaufen quasi oder viele oder auch als Mensch mit Migrationshintergrund reich zu sein, dann kann ich mich bestimmten Situationen leichter entziehen, die rassistisch konnotiert sind und da auch als reiche Frau wahrscheinlich auch leichter Sexismus entgehen kann. Nicht ganz, aber leichter. 

00:51:02.000 

Natalya Nepomnyashcha: Das glaube ich sofort, dass dem so ist, dass es eben natürlich dieser intersektionalen Aspekt hat, eben mehrere Dimensionen zusammenkommen, das ist gar keine Frage. Ich glaube aber eben genau wie du sagst, weil wenn soziale Herkunft auf seiner unteren sozialen Schicht, wenn sie mit einer anderen Dimension zusammenkommt, so eine starke Rolle spielt, muss man diese Dimension tatsächlich auch sehen. Denn wenn du dann eben tatsächlich nur Migrationshintergrund oder nur Geschlecht anguckst, kann es vielleicht sein, dass dir auch bestimmte Diskriminierungen dann auch tatsächlich entgehen. 

00:51:43.000 

Raúl Krauthausen: Und vielleicht macht es sogar Sinn, erst die soziale Herkunft sich anzuschauen, bevor wir auf andere Dimensionen gucken. 

00:51:49.000 

Natalya Nepomnyashcha: Das ist natürlich alles andere als leicht, denn soziale Herkunft ist eine Dimension, die einfach überhaupt nicht sichtbar ist und die man auch überhaupt nicht plastisch auf Bildern darstellen kann. Also bei Geschlecht ist es ja so, dass du tatsächlich meistens Daten hast, auch pro Rank im Unternehmen, wie viele Frauen wir auf Junior-Ranks haben und auch dann bis zum Vorstand. Und bei sozialer Herkunft hast du zumindest in Deutschland und eigentlich in vielen anderen Ländern diese Daten eben nicht. Und das ist durchaus nicht einfach. Und aus meiner Erfahrung bei dem Thema Behinderung ist es ja auch so, dass oft gerade geistige Behinderungen, die nicht sichtbar sind, übersehen werden, obwohl sie ja vielleicht das Leben oder das berufliche Fortkommen auch beeinträchtigen können. Ich kenne jemanden, sie hört nicht gut, das ist jetzt keine geistige Behinderung, aber man sieht es halt auf den ersten Blick nicht und deshalb geht man da vielleicht, berücksichtigt man gar nicht, was für Bedürfnisse sie vielleicht deshalb hat oder wo man sie auch unterstützen kann. 

00:52:50.000 

Raúl Krauthausen: Zumal man als Arbeitgeber ja auch gar nicht fragen kann, wer in unserer Belegschaft hat eine Behinderung, das darf man nicht fragen. Wir empfehlen dann immer den Firmen, die wir beraten, dass sie nach Barrieren fragen am Arbeitsplatz. Also was würde ihnen die Arbeit erleichtern oder das Kommen zur Arbeit oder der Arbeitsplatz, wie müsste der gestaltet sein und dann darüber auch ins Gespräch zu kommen, welche Barrieren könnte man vielleicht abbauen, die wir nicht gesehen haben. Du arbeitest als Unternehmensberaterin, habe ich gesehen, bei EY. Was genau hat deine eigene Biografie, deine Erfahrung, dein Thema Netzwerkchancen mit der Arbeit, mit der du dein Geld verdienst, Verbindung? 

00:53:38.000 

Natalya Nepomnyashcha: Dass ich sehr offen mit meiner Herkunft umgehen kann, das freut mich auf jeden Fall sehr, dass mir mein Arbeitgeber das ermöglicht, dass ich mich da absolut wohlfühle. Ich habe die Möglichkeit mich im Diversity, Equity, Inclusiveness Bereich bei uns auch einzubringen. Das ist auch eine Rolle, die ich bei uns innehabe und konnte zum Beispiel anregen, dass wir in vielen europäischen Ländern ein Netzwerk gegründet haben für soziale Aufsteiger*innen. Das ist ja auch ein Safe Space, wo man tatsächlich sich über die Themen, über die wir heute im Podcast so viel gesprochen haben, wie soziale Scham, wie 

Herausforderungen bei der Karriere fortkommen und so weiter. All die Themen, über die man sich da unterhalten kann. 

00:54:21.000 

Raúl Krauthausen: Aber dann innerhalb der Organisation EY oder auch außerhalb? 

00:54:24.000 

Natalya Nepomnyashcha: Innerhalb. Wir haben tatsächlich in einigen europäischen Ländern internen Netzwerke für soziale Aufsteiger*innen, was ich übrigens auch, das habe ich vorher nicht erwähnt, aber Unternehmen natürlich je nach Größe, wenn du jetzt fünf Mitarbeiter hast, ist vielleicht nicht so einfach, dein Netzwerk zu gründen. Aber für die größeren Unternehmen würde ich auf jeden Fall auch empfehlen, ein internes Netzwerk anzubieten für soziale Aufsteiger*innen. Denn es sind ja wirklich oft Themen, bei denen man Unsicherheiten hat, wo man sich vielleicht tatsächlich nicht traut, mit den Vorgesetzten darüber zu sprechen und dann tatsächlich so ein Netzwerk zu haben, was vielleicht bereichsübergreifend ist, wo Menschen unterschiedlichste Ranks drin sind, die unterschiedlichste Jobs, unterschiedlichste Positionen haben, die aber vielleicht eine ähnliche Herkunft haben. Das kann auf jeden Fall helfen, wenn man sich da offen austauschen kann. Und dann kann man natürlich, wenn man dann angekommen ist, auch selber versuchen, Barrieren abzubauen. Also zum Beispiel, dass man dann als so eine Art internes Berater*innen-Netzwerk fungiert für den eigenen Arbeitgeber zum Thema Jobausschreibungen, eben Kanäle. Das kann man vielleicht noch ändern, damit soziale Aufsteiger*innen im Unternehmen bessere Chancen haben. Das kann man auch immer sehr gut machen. 

00:55:33.000 

Raúl Krauthausen: Welchen Beitrag könnte denn eine Unternehmensberatung wie EY in der Gesellschaft in der Hinsicht leisten? 

00:55:40.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also natürlich erstmal mit gutem Beispiel voranzugehen. Und das freut mich ihm sehr, dass wir diese Netzwerke gegründet haben und dass sie auch so wahnsinnig unterstützt werden. Auch gerade von unserem CEO Henrik Ahlers. Ich glaube, kurz sogar nachdem dieses Netzwerk gegründet war, hatte die Gründungsvorstände, könnte man sagen, in den großen OPP Webcast geladen, tatsächlich den er einmal im Monat macht für die gesamte Überlegschaft in Deutschland. Und da durften sie das Thema vorstellen. Also das finde ich auf jeden Fall sehr gut. Und dann natürlich gibt es auch diverse 

Engagementmöglichkeiten. Also unsere Kolleginnen sind auch auf dem Bereich Mentoring extern tätig und Netzwerk Chancen hat vor kurzem auch die Social Diversity Awards ausgerichtet. Da haben wir Menschen und Unternehmen prämiert, die sich für sozialen Aufstieg einsetzen. Und da war EY auch einer der Hauptsponsoren und da war ich natürlich auch sehr stolz, dass sie das sofort zugesagt haben, als ich gefragt habe, ob sie sich das vorstellen können. Das ist in der Tat nicht so einfach, gerade bei so einem Thema, der soziale Herkunft, dass es ja nicht so sexy ist, ehrlich gesagt, bis jetzt. Wo wir es noch nicht geschafft haben, dass es irgendwie eine Bewegung entsteht. Und ich finde zum Beispiel die Pride-Bewegung einfach unglaublich großartig, wie toll und krass sie es geschafft haben, dass es verdammt sexy ist, sich diese anzuschließen. Und das ist beim Thema soziale Herkunft einfach noch nicht der Fall. Und dass es trotzdem Unternehmen gibt wie EY, aber auch wie Vemper oder Pfizer oder auch einige andere, die uns da unterstützen, die mitmachen und daran glauben, dass wir tatsächlich soziale Vielfalt schaffen müssen am Arbeitsplatz, das freut mich auf jeden Fall sehr. 

00:57:18.000 

Raúl Krauthausen: Macht es einen großen Unterschied, ob Führungspositionen ein Vielfaltmerkmal haben? 

00:57:22.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also in meinen Augen auf jeden Fall. In meinen Augen ist Diversity oder gelebte Diversität nun dann tatsächlich gelebt, wenn auf allen Unternehmesebenen Menschen mit verschiedenen Hintergründen oder verschiedenen Diversitätsmerkmalen vertreten sind. Das begegnet uns ehrlicherweise auch wahnsinnig oft als Netzwerkschancen, das Unternehmen, und sagen wir haben ja gar kein Problem mit dem Thema soziale Diversität, weil wir sind ja… 

00:57:48.000 

Raúl Krauthausen: Und alle sind unten. 

00:57:49.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau, wir sind ein produzierendes Unternehmen und deshalb haben wir Leute, die an der Werkbank sind und die kommen ja sehr häufig aus unteren sozialen Schichten und deshalb haben wir da gar kein Problem. Also das finde ich ehrlicherweise sehr, sehr schwierig, denn natürlich ist das ehrlicherweise nicht Diversität für mich oder zumindest nicht gelebte Diversität, wie ich es mir wünsche. Und ich glaube, wie es ja auch gut für Unternehmen ist, du hast gefragt, ob das gut ist, natürlich ist das gut, weil gerade die Menschen, die Impact haben, 

die Entscheidungen treffen, die Einfluss auf das gesamte Unternehmen haben, da ist es natürlich gut, wenn sie diverse Perspektiven einbeziehen können und am besten kannst du das natürlich einbeziehen, wenn du das selber durchlebt hast. Insofern glaube ich, muss es auf jeden Fall ein Ziel sein und das ist auch mit dem Grund, warum ich dazu aufrufe zu diskutieren erstmal noch, nicht einzuführen, aber über eine sogenannte Arbeiterkindquote zu diskutieren, ob wir das nicht brauchen, denn wir sehen tatsächlich, dass da oben gerade bei großen Unternehmen in der Wirtschaft, es gibt ein paar ganz wenige soziale Aufsteiger*innen, aber es sind tatsächlich nur ganz wenige. Und um nochmal darauf zurückzukommen zu diesem Thema, ob man sich das nicht angucken sollte, das erste Merkmal, man hat ja kaum die Zahlen, es gibt diese berühmte Studie von Michael Hartmann, also ich sage berühmt, ich glaube nicht, dass ihr das kennt, die ich aber ständig zitiere, aber das ist die einzige große, die es dazu gibt, dass eben 80 Prozent des CEOs der 100 größten deutschen Unternehmen aus sehr, sehr privilegiert Verhältnisse kommen. Und du siehst es halt nicht, du siehst es auf diesen Vorstellungsbildern nicht aus, aus was für Verhältnissen sie kommen und deshalb wird das Thema auch wenig angegangen. 

00:59:20.000 

Raúl Krauthausen: Also ich habe deswegen so ein bisschen provokant gefragt, weil eine Angela Merkel als Kanzlerin oder ein rollstuhlfahrenden Finanzminister oder Bundestagspräsidenten in meinen Augen für die Rechte von Frauen oder die Rechte von Menschen mit Behinderung relativ wenig Impact hatte und alle können sich jetzt ausruhen und sagen, aber wieso wir hatten doch einen Kanzlerin Aufstieg ist doch möglich. Verstehst du, was ich meine? 

00:59:49.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ich verstehe total, was du meinst. Es darf natürlich kein Tokenism sein. Also es bringt natürlich nichts, wenn du da eine Person hast und dann eben sagst, weißt du, genauso wie ehrlicherweise in sehr vielen Vorständen, wenn du die anguckst, es gibt eine sehr spannende Liste von Vorständen, ich glaube, Dax-Vorständen sind tatsächlich nach Geschlecht aufgeteilt und wenn du dir anguckst, welche Ressorts Frauen haben 

01:00:11.000 

Raúl Krauthausen: Das ist immer die Weichenfaktoren, Personal 

01:00:14.000 

Natalya Nepomnyashcha: HR, genau, das ist so gut wie immer HR. Klar ist es so, dass nicht jede Frau oder nicht jedes Mal, wenn ein Repräsentant, eine Repräsentantin eine Gruppe macht hat, dieser Mensch zwangsläufig alles besser macht für die gesamte Gruppe. Es gibt ja sehr, sehr viele unterschiedliche Menschen, es gibt sehr viele Frauen, die ich kenne, die sagen, ich will keine Qoutenfrau sein und ich habe es geschafft, also können es alle schaffen und genauso gibt es ja beim Thema sozialer Aufstieg auch. Natürlich gibt es auch da sehr viele soziale Aufsteige, die sagen, ich habe Scheiße gefressen, da sollen jetzt bitte alle Scheiße fressen und wenn man sich nur hart genug anstrengt, schafft man das. Natürlich gibt es das, aber nur weil es irgendwo Menschen gibt, die vielleicht in bestimmten Bereichen das nicht so machen würden, wie ich es machen würde, ist es ja trotzdem nicht falsch und natürlich gibt es auch Frauen, die vielleicht auch in DAX-Vorständen nicht wahnsinnig lange sind oder da auch von mir aus keinen so guten Job machen, aber wie viele Männer gibt es, die keinen so guten Job machen als DAXVorstände und darüber reden wir ja gar nicht, es wäre ja gar kein Problem, weil es gibt ein paar, die es gut machen, also klar, es gibt auch Frauen, die es sehr gut machen. 

01: 01:23.000 

Raúl Krauthausen: Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass wenn es in allen Hierarchien mehr Vielfalt gibt, dann letztendlich auch das Rollback viel, viel schwieriger wird. Aber so, wenn die Kanzlerin nicht mehr da ist, dann ist es halt auch ganz schnell wieder vergessen, dass das ein wichtiges Thema ist und dass es vielleicht zu wenig Frauen in der CDU/CSU gibt, die überhaupt diese Möglichkeit haben könnten. Versteht ihr, was ich meine? Wenn da nichts nachwächst quasi, dann ist es auch ganz schnell so eine Eintagsfliege. 

01: 01:54.000 

Natalya Nepomnyashcha: Naja, es gibt ja durchaus Frauen bei der Union. 

01:02:00.000 

Raúl Krauthausen: Wollte jetzt keine Werbung für die Union machen. War mir nur aufgefallen, dass da relativ wenig dann auch neue Bewerberinnen gab. 

01:02:09.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also ich glaube grundsätzlich fände ich es auf jeden Fall sehr gut, wenn wir in der Gesellschaft und natürlich auf allen in den Medien einfach viel mehr über die Vorteile von Diversität sprechen. 

Also vielleicht auch weniger unter diesem Aspekt, Raul und Natalya, das sind so arme Menschen, die Unterstützung brauchen. 

01:02:27.000 

Raúl Krauthausen: Ja, genau. 

01:02:28.000 

Natalya Nepomnyashcha: Sondern da sind einfach Leute, die wahnsinnig viel drauf haben und wenn man sie nur ließe und ihnen die Chance schaffen würde und die Wege, damit sie noch mehr Einfluss haben, würde es vielleicht auch allen besser gehen. Also ich würde das wahnsinnig gerne so unter diesem Gesichtspunkt tatsächlich sehr gerne lesen, denn mir persönlich immer im Herzen liegt auch zu sagen, ich bin Flüchtlingskind, aber ich setze mich natürlich auch trotzdem leidenschaftlich für Menschen ohne Migrationshintergrund ein, weil ich eben diese soziale Herkunft habe oder natürlich auch für Menschen, die vielleicht privilegiert aufgewachsen sind, sozioökonomisch gesehen, aber einen Migrationshintergrund haben. Und insofern gibt es da ja wirklich sehr viele diverse Konstellationen, die es haben kann und diese Erzählung, die fehlt mir tatsächlich zum Teil. Und wenn ich das noch ergänzen darf, ich finde die Migrationsdebatte derzeit unglaublich vergiftet. 

01:03:18.000 

Raúl Krauthausen: Es ist purer Rassismus, ich habe da gar keine Worte für. 

01:03:21.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ich finde das einfach krass, also ich habe irgendwie das Gefühl, wenn ich überhaupt keine Zahlen kennen würde, als wäre irgendwie jeder zweite Migrationshintergrund ein Straftäter oder Straftäterin und das finde ich wirklich wirklich schwierig. Natürlich, wenn du sagst, man erzählt doch Heldengeschichten über dich oder über mich, du hast ja glaube ich auch einen Migrationshintergrund, zumindest offiziell gesehen, ich würde mir tatsächlich wünschen, dass man das mehr einordnet, also dass es einfach ganz wenige sind und dass die überwiegende Mehrheit hier ganz normal unter uns lebt. Und was für einen Vorteil das auch hat. 

01:03:55.000 

Raúl Krauthausen: Ja, total. Und vor allem, was mich wirklich besorgt, wirklich zutiefst besorgt, ist ja, dass es niemanden mehr gibt, der vernünftig argumentiert. Also selbst die Grünen fangen ja jetzt an, irgendwelche Grenzen zuzumachen und irgendwie immer mehr nach rechts zu rücken, dass mir wirklich mal so eine alternative Erzählung fehlt, also 

eine positive alternative Erzählung, die nicht immer in Richtung Rassismus geht. Also bei Aladin El-Mafalani, sagt ja auch in all seinen Büchern, ohne Zuwanderung geht dieses Land wirklich im Dach runter. Zuwanderung bedeutet, dass wir auch Erzieher*innen mit Migrationserfahrung benötigen werden, weil es gar nicht genug Erzieher*innen gibt. Und wenn wir aber nach außen den Eindruck erwecken, wir wollen keine Ausländer in diesem Land, dann ist es ein Schuss ins eigene Knie. 

01:05:00.000 

Natalya Nepomnyashcha: Absolut. Aber darf ich dich was fragen, was ich zum Beispiel sehr sehr interessant finde. Du hast ja eigentlich, also passt auch sehr gut zu diesem Thema, du hast ja eigentlich einen Doppelnamen, also Raul Aguayo, oder Aguayo, ne? 

01: 05:12.000 

Raúl Krauthausen: Aguayo, ja. 

01: 05:13.000 

Natalya Nepomnyashcha: Aguayo Krauthausen, aber so bekannt bist du ja als Raul Krauthausen, was ja auch ein total deutscher Name sein könnte. 

01: 05:20.000 

Raúl Krauthausen: Deutscher geht’s gar nicht. 

01: 05:23.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau, also denkst du, wenn du als Raul Aguayo bekannt geworden wärst, dass du schlechte Chancen gehabt hättest? 

01: 05:29.000 

Raúl Krauthausen: Ja und nein. Also ich glaube, das hat auch viel mit meiner Biografie zu tun, dass ich schon sagen würde, ich bin deutsch sozialisiert worden. Ich bin seit meinem ersten Lebensjahr in Berlin. Meine Eltern haben mit mir Deutsch gesprochen. Ich hab schon ein bisschen Spanisch gelernt, weil ich auch lange in Südamerika gewohnt habe. Aber es war immer für mich eher wie Urlaub, wenn ich nach Südamerika fuhr. Und weil ich schon mit dem Namen Raul Probleme hatte, mich vorzustellen, die Leute dann den Namen immer falsch schreiben und so, war das bei Aguayo nochmal schlimmer. Und dann hab ich irgendwann wirklich aus Faulheit gesagt, ok, dann bin ich jetzt einfach Raul Krauthausen und dann ist mein Satz wie Paul nur mit R und dann gab es auch weniger Fragen. Aber eigentlich bin ich Raul Aguayo Krauthausen. 

01:06:29.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, ich hab wirklich auf lange gar nicht gewusst, dass du einen Migrationshintergrund hast und dann hab ich tatsächlich auch ein Interview mit dir gehört und fand es auf jeden Fall wahnsinnig spannend. Aber tatsächlich, mir wurde auch schon sehr oft gesagt, dass ich meinen Namen doch ändern soll, wenn ich heirate. Ich hab tatsächlich geheiratet, mein Mann hat einen absolut normalen, gängigen deutschen Namen und ich hab ihn natürlich nicht übernommen. Für mich war das irgendwie so, das ist ja nicht meine Identität und ich bin Natalya Nepomnyashcha

01:06:55.000 

Raúl Krauthausen: Aber er hätte ja deinen übernehmen können. 

01:06:56.000 

Natalya Nepomnyashcha: Nee, das hat er auch nicht gemacht, was ich auch in Ordnung finde, aber das es auch nicht seine Identität ist. Aber ich glaube, in meinem Fall ging es den Leuten wirklich darum, dass er ja so kompliziert ist und dass man ja sofort irgendwie merkt, dass ich einen Migrationshintergrund hab. Und ich finde, er sagt auch schon sehr viel über unsere Gesellschaft aus. Denn wahrscheinlich vielleicht in anderen Ländern, wo Einwanderung anders gesehen wird, wird er man vielleicht seltener auf solche Ratschläge kommen. 

01:07:21.000 

Raúl Krauthausen: Du hast in einem Interview im SWR 1, glaube ich, hab ich neulich gehört, gesagt, dass man zwei Wege hat. Man kann an das System schrauben und an den Menschen. Und ich fand das irgendwie eine schöne Perspektive auf die Sache, weil das eine bedeutet nicht, dass man das andere nicht macht und dass das beides wichtig ist, weil eben genau nicht jeder seines oder ihres Glückes schmied ist. Aber trotzdem kann man Menschen dabei helfen, sich zu entwickeln. Und genau das macht ihr mit den Netzwerkschancen. Wie genau oder was meint ihr mit ideeller Unterstützung? Das hab ich nicht ganz verstanden. Das ist keine finanzielle Unterstützung. 

01:08:00.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau. Also ideell heißt, dass man kein Geld bekommt, aber dafür eben Unterstützung in Form von Workshops, Coachings, Mentoring, Jobangeboten, einem starken Netzwerk. Also wir versuchen wirklich eine sehr breite Palette anzubieten, wobei bei uns die Devise ist, alles kann, nichts muss. Das heißt, du musst jetzt nicht in einem Jahr so viele Workshops machen, so viele Coachings, sondern es gibt 

Menschen, die sagen, ich brauch hier tatsächlich eine Mentorin am ehesten oder ich brauch wirklich Coachings. Wir haben sehr viel zum Thema eigene Stärken erkannt. Und das ist ja wirklich gerade das, was sozialen Aufsteiger*innen fehlt, dass sie oft, weil eben so lange eingeredet wurde, dass sie etwas nicht können oder nicht gut genug sind, dass sie oft gar nicht wissen, wo sie denn gut drin sind. Und das ist da, wo unsere Coaches, und das sind wirklich sehr oft sehr gut ausgebildete Coaches, oder eigentlich immer, denn die suchen wirklich sehr gut aus, die mit ihnen daran arbeiten. Und genauso gibt es Menschen, die sagen, ich interessiere mich nur für Workshops, irgendwelche Hardskills und für Jobangebote, weil ich eben gerade auf Suche bin oder weil ich auf Suche bin, interessiert mich nur das Karrierezentrum. Habe ich vorher vergessen, genau, das haben wir auch, ein Karrierezentrum, wo auch ein Coach, eine Coaching sich zusammensetzt und da auch nicht nur es um Bewerbungen geht, sondern auch Gehaltsverhandlungen oder grundsätzlich Entwicklungsgespräche, wie führe ich sie, wenn ich eine Beförderung möchte, da werden sie simuliert, da wird man darauf vorbereitet, wie man vielleicht argumentieren kann, warum man befördert werden sollte, solche Sachen. 

01:09:29.000 

Raúl Krauthausen: Gibt es da irgendwas, was dich an der Arbeit besonders überrascht hat? 

01:09:32.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also ich finde es krass, wie wahnsinnig viele tatsächlich oft nicht sehen, dass das Problem nicht bei ihnen liegt, sondern wirklich, wie ich am Anfang ja auch schon oft aus meiner Geschichte erzählt habe, sehr oft das Problem bei sich suchen und dann irgendwie bohren und bohren und bohren und auch daran irgendwie zersplittern innerlich, weil sie irgendwann das Gefühl haben, es wird einfach nichts mehr und irgendwann aufgeben und einfach auch nicht mehr dran glauben und das macht mich schon sehr traurig, dass diese systemische Komponente auch von Menschen, die eigentlich davon betroffen sind, tatsächlich oft nicht gesehen wird. Das finde ich tatsächlich sehr überraschend. 

01:10:18.000 

Raúl Krauthausen: Beratet ihr auch Unternehmen? 

01:10:20.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau, das machen wir auch, denn wie du ja gesagt hast, man muss eben an beiden Seiten ansetzen. Wir beraten 

Unternehmen zum gesamten Employee-Lifecycle, also wie sie rekrutieren können, wie sie ihre Jobausschreibungen verändern können, wie sie gerade auch ihre Führungskräfte, ihre Personalentscheideinnen schulen können, damit sie lernen, wo vielleicht klassistische Vorurteile lauern können, was man da vielleicht verändern kann. Das machen wir auf jeden Fall und was wir auch machen, ist ein Kooperationsprogramm, da kann man das Unternehmen sich beteiligen und zum Beispiel Mentoring anbieten für unsere Mitglieder von eigenen Führungskräften und das ist interessanterweise tatsächlich etwas, was auch sehr viel intern verändert, wenn so eine Führungskraft ein Jahr lang in einem Tandem, nennen wir das, mit so einer Aussteigerin, so einem Aussteiger zusammen arbeitet, du merkst, wie sie dann auf einmal tatsächlich sensibilisiert werden, indem sie hören, was tatsächlich diese Hürden sind. Das hilft auf jeden Fall, denn wir bekommen auch ganz oft so das Feedback am Anfang von diesen Mentor*innen, hey, die Person studiert doch, wozu braucht sie mich noch, sie hat es ja geschafft und dann merken sie erst auf dem Weg, okay, so einfach ist es nicht, es sind doch noch ganz viele Hürden, bei denen ich unterstützen kann. 

01:11:34.000 

Raúl Krauthausen: Und das dann bleibt das nachhaltige Element auch, ne? 

01:11:37.000 

Natalya Nepomnyashcha: Absolut, da bin ich auch sehr stolz drauf, da sind glaube ich sehr viele Freundschaften entstanden und das ist auch sehr oft so, dass die Mentor*innen dann Feuer und Flamme sind für das Thema und wirklich da erst erkennen, wo das eben überlauert. 

01:11:50.000 

Raúl Krauthausen: Beobachtest du eine Veränderung zum Guten in der Unternehmenswelt? 

01:11:54.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass mehr und mehr Unternehmen sich dem Thema Diversität öffnen. Es ist mir persönlich aber viel zu langsam und viel zu viele machen wirklich nur Gender. Also das heißt zwar irgendwie Diversity und wenn du es dir dann genauer anguckst, dann sagen sie, ja, wir sind noch ganz am Anfang, wir müssen uns das noch angucken und dann beschäftigen sie sich tatsächlich ehrlicherweise nur mit dem Thema Geschlecht meistens und das finde ich tatsächlich schade, dass die Strategien eben entweder sich nur mit dem Thema Gender beschäftigen oder sehr viel mit Marketing. Als ich angefangen habe, mich damit zu beschäftigen, hat es mich tatsächlich ein 

bisschen überrascht, mittlerweile nicht mehr, weil das ja wenigstens weh tut. Natürlich ist es viel einfacher, eine bunte Kampagne zu machen, als sich tatsächlich intern für Veränderungen einzusetzen und intern vielleicht auch Sachen zu tun, die eben wehtun, also der eigenen Führungskräfte dazu zu bringen, dass sie die eigenen Privilegien zu hinterfragen. Das ist natürlich etwas, was mühsam ist, was vielleicht wehtut, was auch Arbeitsressourcen bindet und da ist es doch viel einfacher, man engagiert eine Agentur und schaltet eine bunte Kampagne und hat noch was vorzuzeigen und alle fühlen sich wohl. 

01:13:06.000 

Raúl Krauthausen: Was ich immer so traurig finde, dass das oft auch an einer Person hängt in diesem Unternehmen und wenn diese Person dann nicht mehr da ist, dann hat das Unternehmen auch alles wieder vergessen oder ist wieder weit zurückgefallen. Also es braucht sehr lange, bis es dann auch in so Strukturen innerhalb des Unternehmens auch fest sitzt. 

01:13:25.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, deshalb fordere ich ja auch, dass Diversity in die Strategie gehört, das gehört für mich wirklich bei der Strategie beim Vorstand angehangen und nicht irgendwo in der fünften HR-Ebene von einer Person, die das irgendwie neben 100 anderen Themen noch macht. So wird es tatsächlich nicht vorangehen, das muss tatsächlich Chef*innen-Sache sein, aber das beobachte ich tatsächlich auch, gerade wenn es in der Führungsriege eine Person gab, die sich da mega engagiert hat und die Person dann nicht mehr da ist, dass auf einmal dann die Sachen tatsächlich verschwinden. 

01:13:57.000 

Raúl Krauthausen: Und so gesellschaftlich in Deutschland, was macht ihr Hoffnung? 

01:14:03.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also natürlich habe ich Hoffnung, ich habe noch nicht vor, morgen auszuwandern. Ich glaube aber auf jeden Fall, dass wir sehr große gesellschaftliche Spaltungen haben und dass wir das Thema viel zu wenig angehen, und das finde ich tatsächlich ziemlich tragisch, dass tatsächlich die Fronten sich gefühlt immer mehr verhärten. Ich habe da auch absolut eine perfekte Lösung, wie man das verändern kann. Ich glaube aber nicht, dass der Weg ist, irgendwie diese Diskussion um das Thema Migration dermaßen verhärtet zu führen. Das finde ich wirklich, also macht mich wirklich traurig, wie es derzeit einfach geführt wird und ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, woher das kommt, weil es einfach, 

also wir sind hier viele, je nachdem wie man Migrationshintergrund definiert, das sind jetzt 20 bis 30% der Deutschen, wir sind hier wahnsinnig viele und dass trotzdem diese Diskussion so geführt wird, wie sie derzeit geführt wird, das verstehe ich auch nicht ganz, wie es dazu kommen konnte. 

01:15:08.000 

Raúl Krauthausen: Ich habe vor ein paar Wochen im Deutschlandpunkt Marina Weisband gehört und da hat sie gesagt, was sie nicht versteht, warum die Parteien alle diese Narrative der Nazis kopieren, weil wenn die SPD jetzt sagen würde, wir machen auch Klimaschutz, dann werden ja trotzdem die Leute, die für Klimaschutz sind, die Grünen wählen und nicht die SPD, weil das einfach originär ihr Thema ist und wenn man das überträgt auf die Nazis und die anderen sagen, wir sind jetzt auch fast Nazis, dann wird man ja trotzdem das Original, wenn du selber Nazi bist. 

01:15:45.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, ich weiß nicht, ob es das selbe Interview ist, aber was ich sehr spannend fand, was sie auch so in Kreislauf erklärt hat, dass im Prinzip die Medien ein Thema groß machen, wie jetzt Migration in dem Fall, dann die Menschen, dass auf einmal anfangen sich da mega Sorgen zu machen, das wird bei den Menschen irgendwie wahnsinnig sichtbar und fühlbar und sie haben das Gefühl, das ist das Thema Nummer eins, dann berichten Medien noch mehr drüber, dann ist das bei noch mehr Menschen Thema Nummer eins und so geht es dann weiter und das finde ich tatsächlich auch, also dieses Narrativ, dass Migration das Thema ist, was hier absolut jeden so unglaublich krass in seinem Alltag beschäftigt und vor allen Dingen diese negativen oder besser gesagt die negativen Auswirkungen der Migration, das glaube ich nun wirklich nicht, dass das hier fast jeden so mega krass beschäftigt ist und ich glaube tatsächlich, dass die Leute viel eher beschäftigt, dass sie Angst vorm sozialen Abstieg haben, dass das Thema Bildung sie beschäftigt, viele andere Themen, aber ich glaube eben nicht, dass sie im Alltag so einen krassen negativen Einfluss auf sie hat, aber so ein Gefühl bekommt man tatsächlich manchmal. 

01:16:52.000 

Raúl Krauthausen: Und es wird auch kaum Medienkritik geübt, also ich finde die Verantwortung der Medien wird kaum ernsthaft besprochen. 

01:16:59.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ich bin seit Tag eins Übonenten von 

Übermedien von Stefan Niggemann und Boris Rosenkranz, die du wahrscheinlich auch kennst. 

01:17:07.000 

Raúl Krauthausen: Genau. 

01:17:07.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ich habe noch nie bereut, dass ich Übonentin geworden bin. Ich habe neulich vor ein paar Monaten so eine Mail bekommen von Boris Rosenkranz, vielen Dank, dass du das von Anfang an unterstützt. Dieses Abonnement, was du damals abgeschlossen hast, gibt es so gar nicht mehr. Wenn du Lust hast, vielleicht hast du jetzt Lust umzusteigen auf ein teures, habe ich natürlich gemacht, weil ich finde, sie das unglaublich gut und unglaublich fundiert machen. Ich muss jetzt nicht mit absolut jedem Artikel übereinstimmen, tue ich auch nicht, aber das fehlt mir tatsächlich, als ich gesagt habe, Einordnungen vorher. Dass man tatsächlich auch einordnet, wie ist es denn wirklich, wie sind die Zahlen tatsächlich. Also dass es nicht nur um Effekthascherei geht, sondern um die tatsächliche Einordnung bei Bildung, bei Migration, bei Gesundheitsthemen, vielleicht auch wirklich bei vielen Themen. 

01:17:51.000 

Raúl Krauthausen: Das führt mich zur letzten Frage, liebe Nathalie. Ich frage nämlich alle Gäste hier im Podcast, ob sie eine Organisation empfehlen würden, ob sie eine Organisation kennen, die nicht die eigene ist, die sich unsere Zuhörer*innen mal anschauen könnten. Also Übermedien, weiß ich nicht, ob es eine Non-Profit ist, aber ist eine gute Empfehlung, kann man sich mal anschauen. 

01:18:17.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau, Übermedien ist auf jeden Fall eine sehr gute Empfehlung. Doch, also einmal die Universitätsschule Dresden, würde ich allen Menschen empfehlen, die sich für das Schulsystem interessieren, sich anzugucken und dann auf jeden Fall das NRW Talentzentrum. Also die Talent-Scouts, denn ich bin echt der Meinung, dass es bundesweit solche Talent-Scouts braucht, die tatsächlich an Schulen gehen und da Kinder und Jugendliche, die vielleicht noch gar nicht irgendwie sich groß Gedanken gemacht haben oder gar nicht viele Möglichkeiten für sich gesehen haben, wie es nach der Schule weitergehen kann, ihnen da wirklich individuelle Beratungen angeboten wird und man sie länger begleitet, damit sie wirklich rausfinden, wo sie gut drin sind und dann auch ihren Hilf, den Weg einzuschlagen. Also das NRW Talentzentrum, die Talent-Scouts dort, die finde ich auch wirklich ganz 

toll. Und tut mir leid, ich habe bestimmt ganz viele tolle Organisationen vergessen. 

01:19:09.000 

Raúl Krauthausen: Ja, das ist leider immer das Dilemma. Ich werfe noch in den Ring arbeiterkind.de von Katja Urbatsch. 

01:19:15.000 

Natalya Nepomnyashcha: Ja, auch ganz toll, auf jeden Fall. 

01: 19:18.000 

Raúl Krauthausen: Von der habe ich auch ganz viel gelernt in dem Bereich. 

01: 19:20.000 

Natalya Nepomnyashcha: Das freut mich, Katja ist wunderbar, der habe ich auch sehr, sehr viel zu verdanken. 

01: 19:22.000 

Raúl Krauthausen: Natalya, ich habe immer noch umso mehr das Bedürfnis, dass wir mal einen Kaffee trinken gehen. 

01: 19:30.000 

Natalya Nepomnyashcha: Das machen wir auf jeden Fall. 

01: 19:31.000 

Raúl Krauthausen: Es gibt so viele Anknüpfungsspunkte und so viele Themen, die wir vertiefen können, vielleicht auch gemeinsam wandelschlagen. Weil eine Sache, die mir wirklich auffällt, ist, dass wir alle an sehr ähnlichen Themen kämpfen, aber jeder eben in seinem Silo, also Migration Geschlecht, Behinderung, soziale Herkunft und die Summe aber wirklich, wie du ja auch sagst, eine gute Schule für alle ist. Und wenn man eine gute Schule für alle hinbekommt, dann profitieren auch alle. Dann braucht man vielleicht diese ganzen Einzelorganisationen irgendwann nicht mehr. 

01:20:12.000 

Natalya Nepomnyashcha: Also, dass man es nicht braucht, ich weiß nicht, ob du und ich das noch erleben werden, wenn ich nicht ganz ehrlich bin. 

01: 20:17.000 

Raúl Krauthausen: Unwahrscheinlich. 

01: 20:19.000 

Natalya Nepomnyashcha: Genau, ich habe das Gefühl, dass es doch viele Kräfte gibt, die nicht unbedingt möchten, dass sich so wahnsinnig viel 

verändert. Aber ich glaube auf jeden Fall, dass es sehr dienlich wäre, wenn wir öfter zusammenarbeiten würden und vielleicht öfter für Veränderungen mit einer Stimme sprechen würden. Das fehlt tatsächlich so ein bisschen. Da ist die Karta der Vielfalt natürlich auch schon eine gute Anlaufstelle, auch wenn sie ja nicht wirklich aktivistisch unterwegs sind, weil das ja ein Unternehmensverband ist. Aber ja, da würde ich mir auf jeden Fall auch wünschen, dass man vielleicht zusammen für diese Themen einsteht. 

01:20:55.000 

Raúl Krauthausen: Das machen wir. Vielen Dank für deine Zeit. 

01: 20:57.000 

Natalya Nepomnyashcha: Danke dir, das hat unglaublich viel Spaß gemacht. 

01: 21:00.000 

Raúl Krauthausen: Das freut mich sehr. Gerne wieder. 

01: 21:03.000 

Natalya Nepomnyashcha: Auf jeden Fall. 

01: 21:04.000 

Raúl Krauthausen: Wenn die Tür jetzt aufgeht, wo geht es für dich weiter? 

01: 21:05.000 

Natalya Nepomnyashcha: Zu meinem Baby unten. Sie bekommt jetzt Abendbrei, das liebt sie. Und dann wird sie bettfertig gemacht und geht bald ins Bett. 

01: 21:14.000 

Raúl Krauthausen: Na dann, geruhsame Nacht. 

01: 21:15.000 

Natalya Nepomnyashcha: Auf jeden Fall. 

01: 21:16.000 

Raúl Krauthausen: Danke für deine Zeit. 

01: 21:17.000 

Natalya Nepomnyashcha: Danke dir sehr. 

01: 21:19.000 

Raúl Krauthausen: Bye bye. 

01: 21:23.000 

Raúl Krauthausen: Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewerbt diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, so wie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Show Notes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zwar noch im Jahr persönlich zu treffen. Im Aufzug ist eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal hier im Aufzug. Diese Folge von „Im Aufzug“ wurde dir präsentiert von Schindler. Bei dieser Fahrt in Raul’s Aufzug fahren wir doch alle gerne mit. Aber im Alltag ist das nicht die Regel. Besonders berufliche Gespräche sind gar nicht beliebt bei den Befragten unserer Schindler-Umfrage. Da ist schon eher ein Kuss, ein kleiner Flirt oder sogar eine neue Liebe kennenzulernen gefragt. Mal einen Prominenten zu treffen, finden auch manche spannend. Tatsächlich wollen die meisten Menschen aber einfach nur eines. In Ruhe Aufzug fahren. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren? Dann steig bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, um mit uns ganz nach oben zu fahren. 

Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler Aufzüge. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren und vielleicht mit uns ganz nach oben fahren, dann steig gern ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten für Einsteiger und Senkrechtstarter.

Dieser Podcast ist nur möglich durch die Unterstützung meiner Steady-Mitglieder.

Das Bild zeigt Natalya Nepomnyashcha in einem grünen Oberteil vor einem verschwommenen Hintergrund im Freien, wahrscheinlich vor Bäumen. Sie lächelt leicht in die Kamera. Links oben steht der Schriftzug „IM AUFZUG“ in Weiß. Darunter ist das Zitat eingeblendet: „Die Leute wollen hören, dass ich es geschafft habe. Dass ich die Ausnahme bin – das will niemand hören.“ Darunter stehen ihr Name und die Folgennummer: „NATALYA NEPOMNYASHCHA - FOLGE 65“. Am unteren rechten Rand steht „Finanziert durch Steady Mitglieder“. Das Foto wird mit „Foto: Daniel Hardge“ attribuiert.

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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann

Coverart: Amadeus Fronk

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