Was hilft wirklich gegen Ungleichheit?
Martyna Linartas ist Politikwissenschaftlerin, Autorin und Dozentin – und sie beschäftigt sich mit einer der drängendsten Fragen unserer Zeit: Warum wird die Schere zwischen Arm und Überreich immer größer, und was bedeutet das für unsere Demokratie?
Wir sprechen über unverdiente Ungleichheit, Steuergerechtigkeit und über die Mythen des Neoliberalismus. Martyna erklärt mir, wie sich Vermögen in unserer Gesellschaft verteilt, warum Trickle-Down-Ökonomie ein leeres Versprechen ist – und was das alles mit Erbschaften, Ehegattensplitting und der Mutterstrafe zu tun hat.
Martyna erzählt, warum sie sich gegen den Politikbetrieb entschieden hat und wie sie stattdessen heute versucht, Dinge zu verändern – an der Uni, mit ihren Studierenden und durch ihre Forschung. Und zum Schluss wird’s dann doch noch mal persönlich: über Aufzüge im Bundestag, Christian Lindner – und das ewige Problem mit der richtigen Schlagferigkeit im entscheidenden Moment. Aufzugtür auf für Martyna Linartas!
Martynas Empfehlungen: Kein Land für Niemand, Sea Watch, Fiscal Future, #IchBinArmutsbetroffen
00:00:04,079 –> 00:00:25,059 [Schindler]
Aufzüge spielen in vielen Filmen eine große Rolle. Als Schauplatz für Action, Thriller oder sogar Horror. Aber welcher Film spielt fast komplett in einer Aufzugskabine? Die Antwort gibt’s am Ende dieser Folge. Jetzt viel Spaß mit „Raul im Aufzug, wünscht Schindler.
00:00:25,059 –> 00:01:09,120 [Raul Krauthausen]
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00:01:09,120 –> 00:01:25,799 [Raul Krauthausen]
Martyna Linartas ist Politikwissenschaftlerin, Autorin und Dozentin und sie beschäftigt sich mit einer der drängendsten Fragen unserer Zeit: Warum wird die Schere zwischen arm und überreich immer größer? Und was bedeutet das für unsere Demokratie?
00:01:25,799 –> 00:02:09,159 [Raul Krauthausen]
Wir sprechen über unverdiente Ungleichheit, Steuergerechtigkeit und über die Mythen des Neoliberalismus. Martyna erklärt mir, wie sich Vermögen in unserer Gesellschaft verteilt, warum Trickle down Ökonomie ein leeres Versprechen ist und was das alles mit Erbschaften, Ehegattensplitting und der Mutterstrafe zu tun hat. Und zum Schluss wird’s dann noch mal persönlich über Aufzüge im Bundestag, Christian Lindner und das ewige Problem mit der richtigen Schlagwertigkeit im entscheidenden Moment. Also aufzu Tier auf für Martyna Linartas.
00:02:09,159 –> 00:02:16,659 [Raul Krauthausen]
Die Tür geht auf und wer kommt rein? Ich freu mich auch diesmal wirklich sehr. Herzlich willkommen, Martyna Linartas.
00:02:16,659 –> 00:02:16,979 [Martyna Linartas]
Ja hallo.
00:02:16,979 –> 00:02:18,079 [Raul Krauthausen]
Vielen Dank, dass du da bist.
00:02:18,079 –> 00:02:19,519 [Martyna Linartas]
Ich freu mich auch.
00:02:19,519 –> 00:02:22,419 [Raul Krauthausen]
Hattest du schon mal einen Awkward Moment in nem Aufzug?
00:02:22,419 –> 00:02:24,059 [Martyna Linartas]
Äh Ja, hatt ich tatsächlich einiger.
00:02:24,059 –> 00:02:25,339 [Raul Krauthausen]
Erzähl.
00:02:25,339 –> 00:02:37,859 [Martyna Linartas]
Ich hab mal im Bundestag gearbeitet und da sitzt man dann plötzlich manchmal mit jemandem im Aufzug, mit dem man normalerweise nicht so gerne auch so eng warm sein will. [kichern] Kam ab und zu vor.
00:02:37,859 –> 00:02:41,159 [Raul Krauthausen]
Genau die gleiche Geschichte hat mir Kevin Kühnert auch erzählt.
00:02:41,159 –> 00:02:49,579 [Martyna Linartas]
Ach echt? Ja, wenn dann wenn dann plötzlich diese graue Wolke im Aufzug ist. Ja. Oder eben halt auch so.
00:02:49,579 –> 00:02:50,899 [Raul Krauthausen]
Und dass man das tatsächlich spürt.
00:02:50,899 –> 00:02:52,939 [Martyna Linartas]
Ja, ist es tatsächlich. Ja.
00:02:52,939 –> 00:02:55,379 [Raul Krauthausen]
Was spürt man da?
00:02:55,379 –> 00:03:04,759 [Martyna Linartas]
Also bei mir war’s nicht nur spüren, sondern auch hören. Also ich ich glaub, das Unangenehmste waren die zwei, drei Mal, die ich da Christian Lindner übern Weg gelaufen bin auch. Und wenn er so was
00:03:04,759 –> 00:03:08,299 [Raul Krauthausen]
Das wär ja noch harmlos. Sag dir jetzt an so AfD, oder?
00:03:08,299 –> 00:03:17,219 [Martyna Linartas]
Nee, die haben tatsächlich bei uns ganz auf der anderen Ecke gesessen. Ah, okay. Oder wenn Du als Frau irgendwie so schleimige Sprüche irgendwie bekommst, wenn Du einfach nur an jemandem vorbeigehen willst.
00:03:17,219 –> 00:03:20,259 [Raul Krauthausen]
So ’n Brüderle.
00:03:20,259 –> 00:03:23,179 [Martyna Linartas]
Ja, halt ’n Lindner, würd ich sagen. [lachen]
00:03:23,179 –> 00:03:25,819 [Raul Krauthausen]
Ja, okay. Das passiert, ja?
00:03:25,819 –> 00:03:34,439 [Martyna Linartas]
Das passiert und das Blöde ist ja, dass einem so im Moment dann immer nicht kecke, coole Antworten einfallen, sondern immer erst im Nachhinein.
00:03:34,439 –> 00:03:41,959 [Raul Krauthausen]
Wow, wow, wow. Und ich dachte, irgendwie grade da wissen die sich einigermaßen zu verhalten. Also unangenehm.
00:03:41,959 –> 00:03:59,839 [Martyna Linartas]
Also das ist nicht der Fall. Das sind dann ja auch immer nur so ganz subtile so Sachen, die man vielleicht einfach nicht so angenehm empfindet. Ich weiß nicht, ob Du das vielleicht eine Erinnerung hast. Das fand ich ’n total witziges Bild und ungefähr so hab ich mich auch gefühlt, als Kathrin Göring Eckardt mal vor Wolfgang Kubicki gestoßen ist und er einfach sich ihre Hand geschnattert und die knutschen wollte.
00:03:59,839 –> 00:04:00,759 [Raul Krauthausen]
Und sie hat
00:04:00,759 –> 00:04:06,479 [Martyna Linartas]
sich dann so weggezogen. Ja, genau so was. So, und das war’s im übertragenen Sinne auch in etwa.
00:04:06,479 –> 00:04:11,279 [Raul Krauthausen]
Ich hab gelesen, dass Du im Bundestag gearbeitet hast,
00:04:11,279 –> 00:04:16,159 [Raul Krauthausen]
an verschiedenen Stellen, zuletzt bei Annalena Baerbock im Bundestagsbüro.
00:04:16,159 –> 00:04:32,599 [Martyna Linartas]
Genau, also ich hab nur an einer Stelle gearbeitet. Ich hab mal ’n Praktikum auch noch dort gemacht. Mhm. Und ich habe tatsächlich drei Jahre parallel zu meiner Doktorarbeit noch einige Stunden die Woche bei Annalena im Bundestagsbüro gearbeitet
00:04:32,599 –> 00:04:36,259 [Martyna Linartas]
und da so ’n bisschen ihre Social Media Kanäle betreut.
00:04:36,259 –> 00:04:44,599 [Raul Krauthausen]
Hast Du da für dich entschieden, dass Politik vielleicht, also aktiv in der Politik zu arbeiten, Du forschst ja viel in dem Bereich,
00:04:44,599 –> 00:04:48,859 [Raul Krauthausen]
aber aktiv in ihr zu arbeiten, nicht ganz dein Ding ist?
00:04:48,859 –> 00:05:49,619 [Martyna Linartas]
Hat bestimmt auch dazu beigetragen. Kann ich nicht anders sagen. Inwieweit ich ja auch schon auch schon feststellen, zweitausendsiebzehn achtzehn, als ich im Bundesvorstand oder für den Bundesvorstand von den Grünen in ’ner Pressestelle dort gearbeitet habe, das war Bundestagswahlkampf damals. Und so mitzukriegen, also erst mal überhaupt, wie krass durchgetaktet auch schon der Kalender einer Pressereperatin ist, fand ich ganz schön heftig. Aber Politikerinnen, die ja dann einfach rund die Uhr wirklich performen müssen und wo ich auch gesehen habe, wie sehr da die Familie auch zurückstehen muss und wieder auch Beziehungen, familiäre Beziehungen, freundliche Beziehungen teils echt extrem drunter gelitten haben und so. Also ich muss ehrlich gestehen, ich steh ohnehin volle Kanne auf meinen Job. Ich find’s total toll, an der Uni zu sein. Und dass es dann auch wirklich Teil meines Jobs ist, extrem viel zu lesen, sich Gedanken zu machen, in Austausch zu gehen mit Leuten, die die zu ähnlichen Frage und Problemstellungen arbeiten, find ich einfach grandios.
00:05:49,619 –> 00:05:56,039 [Martyna Linartas]
Und dann ist aber eben auch das, dass in der Wissenschaft Du auf jeden Fall noch mehr Raum hast für Freunde und Familie.
00:05:56,039 –> 00:05:58,559 [Raul Krauthausen]
Wahrscheinlich trotzdem aber auch irgendwie stressig, ne?
00:05:58,559 –> 00:05:59,659 [Martyna Linartas]
In der Wissenschaft, meinst Du?
00:05:59,659 –> 00:05:59,879 [Raul Krauthausen]
Ja.
00:06:00,907 –> 00:06:32,687 [Martyna Linartas]
Es gibt solche Phasen, klar. Und gerade wenn man viele Deadlines hat oder wenn man weiß, okay, man wird demnächst geprüft. Das war zum Beispiel bei der Doktorarbeit der Fall. Wenn du weißt, okay, ich habe bald Abgabe und dann, ich weiß gar nicht, wie viele Monate am Stück ich im Tunnel war und ich einfach an sieben Tagen die Woche vom Aufstehen bis schlafen gingen habe. Solche Phasen gibt es durchaus, aber das durchzieht nicht den gesamten Alltag und man ist auch, ich würde sagen, relativ frei darin, sich aber auch zu überlegen, wie man Strukturen und Prozesse am besten taktet, um gut zu funktionieren.
00:06:32,687 –> 00:06:50,307 [Martyna Linartas]
Es gibt ja auch durchaus Leute, die da würde ich jetzt so einschätzen, volle Kanne auf Deadlines stehen, andere, die das ein bisschen mehr also aufweichen für sich. [kichern] Mal so, mal so. Aber ich mag meinen Job auch einfach sehr, sehr gerne. Ich arbeite wirklich sehr gern. Von daher,
00:06:50,307 –> 00:06:52,268 [Martyna Linartas]
ja, passt schon.
00:06:52,268 –> 00:07:01,027 [Raul Krauthausen]
Und wenn du Prüfungen machst, also du prüfst ja andere, ist das nicht auch stressig, wenn du dann, keine Ahnung, Doktorarbeiten lesen musst oder Hausarbeiten?
00:07:01,027 –> 00:07:08,967 [Martyna Linartas]
Doktorarbeiten, das darf ich noch gar nicht machen, weil ich selber erst noch äh, gar nicht habilitiert bin, wie man so schön sagt. Also das darfst du erst, wenn du so richtig Prof bist.
00:07:08,967 –> 00:07:10,507 [Raul Krauthausen]
Stimmt, ja.
00:07:10,507 –> 00:07:57,847 [Martyna Linartas]
Genau, und ich darf aber Hausarbeiten überprüfen und da muss ich ehrlich gestehen, kommt es sehr auf die Arbeit drauf an. Also ich habe manchmal so Projekte von meinen Studis, da freue ich mich einfach wahnsinnig und bin super stolz und finde es einfach nur geil, von Anfang bis Ende der Projekte mir so anzusehen und festzustellen: „Okay, krass, ihr habt es echt volle Kanne begriffen. Und dann gibt es aber Projekte, die so ein bisschen, na ja, einen auch runterziehen, weil man dann merkt: „Oh verdammt, irgendwie funktioniert es gerade nicht und man muss eine schlechte Note geben oder auch mal irgendwie überlegen. Auch jetzt gerade hatte ich jüngst den Fall, dass da auch offen drüber gesprochen wurde, dass auch inhaltlich ChatGPT verwendet wurde und solche Sachen, wo ich dann einfach mich an die Prüfungskommission wenden muss und fragen muss: „Hey, was machen wir dann in so einem Fall? Mhm Es ist ganz, ganz unterschiedlich.
00:07:57,847 –> 00:08:13,607 [Raul Krauthausen]
Ja, kann ich mir vorstellen. Ich stelle mir jetzt auch super spannend vor, wenn man dann auf so eine goldene Arbeit stößt, also die wirklich gut ist oder spannend oder vielleicht auch selber noch mal einen auf neue Gedanken bringt, ähm, dass es auch einen richtig beflügeln kann und dann auch zeitegal ist.
00:08:13,607 –> 00:09:07,267 [Martyna Linartas]
Voll. Vor allem, ich habe ja keinen Bock auf so eine klassischen Hausarbeiten, ne? Mhm Das heißt, ich lasse die Studierenden in meinen Seminaren nicht einfach nur fünfzehn Seiten runterschreiben. So, da habe ich nicht viel von. Das landet am Ende sowieso im Müll, äh, sondern ich bitte darum, dass die in Gruppen arbeiten, sich Projekte überlegen, die zum einen Wissen vermitteln zur Ungleichheit, aber die dann auch, wenn sie sehr gut benotet würden, also mit mindestens zweikommanull, sprich auch noch gut, ähm, dann würden wir sie auch auf Ungleichheitpunktinfo publizieren. Und da sind so klasse Ideen und die Studierenden sind in meinem Seminar auch wirklich offen, was auch so die Methoden anbelangt. Mhm Das heißt, die können sich auch überlegen: „Hey, ich habe noch nie gelernt eigentlich, was es bedeutet, ein Interview zu führen oder ich würde gerne mal mit Grafiken arbeiten oder Anekdoten erzählen oder, oder, oder. Ähm, und da kommen richtig tolle Sachen bei rum, wo ich dann echt fast vor Stolz platze. [kichern]
00:09:07,267 –> 00:09:20,707 [Raul Krauthausen]
Du forschst in der Politik, du bist ja Politikwissenschaftlerin, du hast selber im politischen Betrieb gearbeitet. Ist das, tun wir den Politikerinnen vielleicht auch zu viel an? Mut mir Ihnen zu viel zu?
00:09:20,707 –> 00:09:22,367 [Martyna Linartas]
Ja,
00:09:22,367 –> 00:10:48,567 [Martyna Linartas]
in jedem Fall. Ich habe jetzt natürlich nur den Einblick darauf, wie es aussah, ich sage mal, in der ersten Reihe der grünen Politiker*innen, ne? Mhm Ich weiß jetzt nicht, wie das ausschaut bei anderen Parteien, die vielleicht sehr, sehr viel größer sind und vielleicht dann auch einfach mehr Men and Women Power haben. Aber das, was ich da beobachtet habe und gesehen habe, das war schon heftig. Das war wirklich, wirklich heftig. Mhm Und ich finde es krass, weil man sich auch klarmachen muss, dass man in der Politik es niemals allen recht machen kann. Also es gehört quasi mhm zur Jobbeschreibung dazu, dass sowieso nur ein kleiner Teil der Bevölkerung am Ende gut heißen würde, was du da so von dir gibst [kichern] oder dir überlegt hast. Ähm Das heißt, du musst auch lernen, wirklich Erfolge ganz anders zu bemessen. Auch teilweise wirklich nur überhaupt eine Sache auf die Agenda zu setzen, ist dann schon was Großes und was Tolles. Und natürlich, ich meine, ich merke das jetzt, ich habe einfach nur ein Buch geschrieben und ich poste ab und zu mal was auf Instagram, aber ich kriege schon so viele Anfragen für alle möglichen Medien, Radios, Zeitungen und so weiter. Podcast podcast, genau. [kichern] Das macht ja auch Spaß. Aber wenn du dann auch eine Politikerin oder ein Politiker bist, der in der ersten Reihe steht, dann wird das alles fremd gesteuert von anderen. Das heißt, du hast ein ganzes Team an Leuten, an der Öffentlichkeitsarbeit, an der Pressearbeit, die für dich dann auch schauen und bestimmen, du machst dieses, jenes, dann. Und dann wird das auch wirklich durchgetaktet und teilweise in zehn, fünfzehn Minuten getaktet.
00:10:48,567 –> 00:10:51,127 [Raul Krauthausen]
Das ist so krass. Ich finde das so heftig.
00:10:51,127 –> 00:10:51,807 [Martyna Linartas]
Das ist voll der Völler Nervig.
00:10:51,807 –> 00:10:53,607 [Raul Krauthausen]
Das wünscht man niemandem.
00:10:53,607 –> 00:11:30,107 [Martyna Linartas]
Nein, wirklich nicht. Und deswegen, ich meine, wenn du mal schaust, wer so, also zumindest die Menschen, für die ich in den letzten Jahren gearbeitet habe oder mit denen ich zusammengearbeitet habe, bei vielen sind die Ehen in die Brüche gegangen mhm, und von vielen Krisen hat man dann auch mitbekommen und gehört. Und das ist, das, also das alles auch zu geben für einen Job, ich meine, jetzt halt wirklich ein gesundes, gutes Verhältnis zu Family und Friends, ähm, wäre für mich ein viel zu hoher Preis. So, egal wie sehr ich meine Arbeit liebe, aber am Ende des Tages ist es nicht das, was mich als Menschen dann noch ausmacht und nicht das, woran ich denken werde, wenn ich im Sterbebett liege, [kichern] sondern eben meine liebsten Menschen.
00:11:30,107 –> 00:11:31,947 [Raul Krauthausen]
Ja klar.
00:11:31,947 –> 00:11:34,927 [Raul Krauthausen]
Wie könnte man das lösen? Mit Doppelspitzen?
00:11:34,927 –> 00:11:38,407 [Martyna Linartas]
Na ja, die Grünen hatten ja eine Doppelspitze, ne? Ja, aber nur in der Partei.
00:11:38,407 –> 00:11:42,127 [Raul Krauthausen]
Aber Doppelspitze Minister hin.
00:11:42,127 –> 00:11:47,047 [Martyna Linartas]
Ich könnte, könnte eine Möglichkeit sein. Oder auch einfach, dass man,
00:11:47,047 –> 00:12:29,115 [Martyna Linartas]
ich weiß nicht, auch innerhalb der Strukturen von solchen Fraktionen oder Parteien. Ich meine, ich kann jetzt auch nicht für alle sprechen. Ich habe das jetzt ja auch nur bei einigen wenigen gesehen und vor allem dann auch in Hochphasen. Mhm Also in weiteren Hochphasen so.Mhm, [hörbare Einatmung] aber auch, dass man da ganz, ganz klar kommuniziert so: Ja, ich kann meinetwegen gerne als Nine-to-five-Job nachgehen. Schließlich trage ich sehr, sehr viel Verantwortung und möchte auch, dass– das Land ein Stück weit verbessern und nach vorne bringen. Aber trotzdem irgendwo zu sagen, es ist bis hierin und nicht weiter. Ich muss auch noch einmal durchatmen dürfen. [hörbare Einatmung] Das könnte durch Strukturanpassation– Anpassungen geschehen, ganz bestimmt, ähm, aber eben auch durch eine andere, ja, ich weiß nicht, andere Ansprüche-
00:12:29,115 –> 00:12:29,135 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:12:29,135 –> 00:12:33,836 [Martyna Linartas]
-die man anpassen könnte. Vielleicht sollte damit auch,
00:12:33,836 –> 00:12:38,075 [Martyna Linartas]
ja auch Menschen nicht komplett verbrennen dann in der Politik.
00:12:38,075 –> 00:12:46,095 [Raul Krauthausen]
Ich hab manchmal das Gefühl, wir erwarten auch als BürgerInnen so viel, dass es– dass wir eigentlich auch nur noch enttäuscht werden können-
00:12:46,095 –> 00:12:46,315 [Martyna Linartas]
Das stimmt.
00:12:46,315 –> 00:12:51,655 [Raul Krauthausen]
-weil sie eben nur zehn Minuten Zeitfenster haben, um überhaupt Aufmerksamkeit in etwas reinzustecken.
00:12:51,655 –> 00:13:02,755 [Martyna Linartas]
Mhm. Ja, das ist das eine. Und dass wir aber auch erwarten, also es gab ja letztens einmal so ’ner Situation, das ist jetzt auch schon paar Wochen her. Da war Heidi Reichnick bei Lanz in der Sendung.
00:13:02,755 –> 00:13:03,055 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:13:03,055 –> 00:13:40,415 [Martyna Linartas]
Und sie hat auch offen angesprochen, dass sie Migräne hat und darüber hat sie dann noch mal in einem anderen Podcast dann auch geredet. [hörbare Einatmung] Und dann hab ich, bin ich aber auch, als ich mir das anschauen wollte, noch mal die Sendung, weil ich die ganz spannend fand, auch so die Themen, die besprochen wurden, [hörbare Einatmung] bin ich dann bei Instagram darauf gestoßen, dass dann da von irgendwelchen anderen zwei Johnnys [hörbare Einatmung] das volle Kann in der Luft einfach zerrissen und kaputtgehetzt wurde. Wo ich dachte so, [hörbare Einatmung] okay Leute, was wollt ihr eigentlich? Also kein Mensch ist ’n Roboter, ist ’ne Maschine [hörbare Einatmung] und wir sollten uns auch Fehler eingestehen und einräumen, weil einerseits wollen wir, dass PolitikerInnen möglichst authentisch auftreten und gleichzeitig [übersprechen] erwarten wir aber, dass die fehlerfrei sind.
00:13:40,415 –> 00:13:40,735 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:13:40,735 –> 00:13:47,615 [Martyna Linartas]
So und das ist ’n Spannungsfeld, das das nicht aufrechtzuhalten ist und wo ich glaube auch, dass dann da viele einfach auf Dauer nicht mit klarkommen.
00:13:47,615 –> 00:14:00,335 [Raul Krauthausen]
Das heißt, wir reden ja nachher über Gleichheit und Ungleichheit und Ungerechtigkeit, vor allem im Finanzenbereich, im monetaren Bereich. Das heißt, die Diäten der PolitikerInnen
00:14:00,335 –> 00:14:04,255 [Raul Krauthausen]
sind vielleicht sogar gerechtfertigt für den Arbeitspensum, den sie haben.
00:14:04,255 –> 00:14:15,315 [Martyna Linartas]
[hörbare Einatmung] Ich glaube schon. [Lippenschmatzen] Das Ding ist ja aber auch, dass wir, hmm, also ich hab zumindest mir jetzt ja auch für meine Forschung auch angeschaut, wie viel verdienen eigentlich Menschen in der freien Wirtschaft.
00:14:15,315 –> 00:14:15,975 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:14:15,975 –> 00:14:30,435 [Martyna Linartas]
Und ich hab auch in meinem Bekannten- und Freundeskreis einige Leute, die in der freien Wirtschaft arbeiten und die ver-verdienen, mit Positionen, von denen ich jetzt sagen würde, [hörbare Einatmung] dass sie nicht ganz so viel Verantwortung auf den Schultern [Kichern] stemmen und tragen, so viel wie auch Abgeordnete im Bundestag-
00:14:30,435 –> 00:14:30,495 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:14:30,495 –> 00:15:02,315 [Martyna Linartas]
-die ja wirklich die VertreterInnen des Volkes sind. [hörbare Einatmung] Und natürlich ist es schon krass, wenn man so sieht, ich meine mittlerweile sind es ja, glaub ich, mehr als elftausend Euro pro Monat. [hörbare Einatmung] Das klingt für DurchschnittsverdienerInnen und für den Normalo als Bürger [hörbare Einatmung] nach extrem viel, aber wenn man sich dann anguckt, wie viel dann auch Menschen [hörbare Einatmung] einfach nur in einer Senior Position, Senior Manager oder sonst irgendwas, äh, verdienen können oder auch einfach nur, keine Ahnung, [lacht] äh, der Chef von der Deutschen Bahn irgendwie ’n x-Faches vom Kanzler verdient oder [hörbare Einatmung] der Chef von VW oder von irgendwelchen anderen Dax-Unternehmen.
00:15:02,315 –> 00:15:04,135 [Raul Krauthausen]
Oder Günther Jauch, ja.
00:15:04,135 –> 00:15:22,575 [Martyna Linartas]
Ja [lacht], und auch Markus Lanz und keine Ahnung, wer alles so, ne? Also es ist ja, wenn man sich das dann anschaut, wer dann so an der Spitze ist, dann sind das manchmal, glaube ich, schon ganz schön verrückte, äh, Zahlen, die wir, die wir uns da anschauen. So ’n DAX Vorstand verdient im Durchschnitt mehr als fünf Millionen Euro pro Jahr.
00:15:22,575 –> 00:15:23,615 [Raul Krauthausen]
Och Mensch.
00:15:23,615 –> 00:15:43,415 [Martyna Linartas]
Jo, [lachen] da kann man ganz gut von leben, so. [lacht] Und ich glaub, irgendwann hatte ich mal so was, äh, vernommen, dass da selbst, selbst einfach nur irgendwelche, ähm, Chefs von, von Sparkassen teilweise mehr verdienen als es der Kanzler tut oder Minister tut. Hab ich dann gedacht, hm, warte mal, [lacht] vielleicht nicht ganz gerechtfertigt.
00:15:43,415 –> 00:15:46,115 [Raul Krauthausen]
Würdest du dich als Aktivistin sehen oder-
00:15:46,115 –> 00:15:46,435 [Martyna Linartas]
Auch.
00:15:46,435 –> 00:15:48,555 [Raul Krauthausen]
-als Forscherin?
00:15:48,555 –> 00:16:05,615 [Martyna Linartas]
In erster Linie bin ich Wissenschaftlerin. In erster Linie [Hörbares Einatmen] ist mein Jobbezeichnung und das ist auch das, wo ich am meisten darin aufgebe, ist meine Forschung selbst. Und das würde ich auch auch nicht aufgeben wollen. Also ich bin mit Leib und Seele, bin ich Wissenschaftlerin. Es macht mir unfassbar viel Spaß zu forschen.
00:16:05,615 –> 00:16:06,475 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:16:06,475 –> 00:16:36,735 [Martyna Linartas]
Aber ich hab im Laufe meines Studiums auch gelernt und das hat aber sehr, sehr lange gedauert, [hörbare Einatmung] dass diese ganze Erzählung von [hörbare Einatmung] WissenschaftlerInnen seien ja dann immer so objektiv und hätten keine Werte und Normen, nach denen sie sich richten würden und das wäre ja alles– weißt du, gerade aus so den Politikwissenschaften, [hörbare Einatmung] wenn man dann ja auch, äh, vor allem mit Leuten zusammenarbeitet, die dann quantitativ arbeiten, also die mit vielen Daten und Zahlen und so weiter arbeiten. [hörbare Einatmung] Das sei ja alles wert und normfrei und deswegen dürfte man sich auch beispielsweise da gar nicht irgendwie groß positionieren und so, [hörbare Einatmung] dass das halt der reinste Quatsch ist, so.
00:16:36,735 –> 00:16:37,455 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:16:37,455 –> 00:17:01,195 [Martyna Linartas]
Ähm, was wir zunehmend beobachten, was ich ja auch wirklich klasse finde. Also selbst unter den [hörbare Einatmung] Wirtschaftswissenschaftlern mittlerweile, äh, sehen wir, dass es sehr ausgeprägte, starke Denkschulen gibt, die teilweise nicht mal auf einen Nenner kommen in Diskussion. Also wo die einfach nur komplett aneinander vorbeireden. [hörbare Einatmung] Ähm, und ich bin noch bevor ich Politikwissenschaftlerin bin, bin ich Demokratin.
00:17:01,195 –> 00:17:02,255 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:17:02,255 –> 00:17:56,015 [Martyna Linartas]
Und als Demokratin [klacksen] hab ich einfach Bammel um genau eben diesen Gesellschaftsvertrag, den wir alle teilen. [hörbare Einatmung] Ich sehe einfach, dass die Demokratie zunehmend ausgehöhlt wird, unter Druck gerät [hörbare Einatmung] und dass wir auch als PolitikwissenschaftlerInnen unseren Teil dazu beitragen sollten, dass das nicht geschieht. Genauso wie auch KlimawissenschaftlerInnen nicht einfach [hörbares Einatmen] Hände in die Höhe packen und sagen so, „Ja, okay, [Schnaufen] Erde erhitzt sich und Pariser Klimaziele, äh, rücken in unerreichbare Ferne, aber who cares? Wir sind ja Wissenschaftler, wir sind ja objektiv“. Nein, irgendwann merkt man ja auch, so warte mal, wenn wir jetzt hier nicht ’ne Warnung aussprechen, [hörbare Einatmung] und zwar auf Informationen, die wir wissenschaftlich erhoben haben, die wir erforscht haben, dann wird’s bremse, brenzlig, so dann kriegen wir ’n richtig krasses Problem. [hörbare Einatmung] Und das seh ich halt eben auch so gerade in puncto Demokratie. Und was eben die Demokratie extrem unter Druck bringt, ist eben diese auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Überreich.
00:17:56,015 –> 00:18:07,035 [Raul Krauthausen]
[hörbare Einatmung] Warum ich dich das gefragt hab mit, ob du Aktivistin bist oder Wissenschaftlerin oder Politikerin, [hörbare Einatmung] ist weil ich früher oft gefragt wurde, warum ich nicht in die Politik gehen würde.
00:18:07,035 –> 00:18:07,435 [Martyna Linartas]
Mhm.
00:18:08,135 –> 00:18:15,195 [Raul Krauthausen]
Mh-hmm. Und ich bin irgendwann zu der Erkenntnis gekommen, weil ich zu ungeduldig bin. [Lachen]
00:18:15,195 –> 00:18:50,695 [Raul Krauthausen]
Und weil, äh, diese Geduld, die man da aufbringen muss und die Kompromisse, die man treffen muss, ähm, wahrscheinlich mir dann doch zu wenig werden und ich dann da wahrscheinlich auch nicht die richtige Person bin, um da zu wirken und aus Angst, dieser klassische Politiker zu werden, der dann diese Politikersätze sagt, ähm, dachte ich wirklich, vielleicht mehr, wenn ich von außen nerve, ähm, ohne zu sagen, dass Politikerinnen nichts können oder doof sind, sondern einfach nur, dass meine Kraft wahrscheinlich am sinnvollsten außerhalb eingesetzt wird.
00:18:50,695 –> 00:18:53,736 [Raul Krauthausen]
Und so den Eindruck habe ich jetzt bei dir auch gerade.
00:18:53,736 –> 00:19:33,255 [Martyna Linartas]
Da triffst du, glaube ich, ganz, ganz gut den Punkt, so. Ich glaube auch, dass, also ich kann das, was du gerade gesagt hast, volle Kanne verstehen und deswegen habe ich auch den, zolle ich auch Politikerinnen in den allergrößten Respekt. Ich werde häufig gefragt auch, was soll ich machen, wenn ich die Gesellschaft ein bisschen, bisschen weiter gerecht gestalten möchte, wenn ich die Welt ein bisschen besser machen will? Und ich würde den Menschen immer sagen, da gibt es keine pauschale Antwort zu, sondern horche in dich hinein und schau, was deine Stärken sind und woran du am allermeisten, und dann wirklich am allermeisten Spaß hast. Denn du musst für die Sache brennen. Du musst für die Sache brennen, überhaupt auch, äh, damit dann von dir aus ein Funke auf andere überspringen kann.
00:19:33,255 –> 00:19:33,415 [Raul Krauthausen]
Ja.
00:19:33,415 –> 00:20:37,095 [Martyna Linartas]
Bei einigen Leuten ist es die Politik, ist es der Austausch, ist es dieses Ringen um das beste Argument, dicke Bretter bohren und auch diese strategischen Machtkalküle, die man dann da auch irgendwann einbringen muss, wenn man wirklich vorankommen will und so weiter und so fort. Und dann bist du ja, auch wenn du es wirklich schaffst, an einem Punkt, wo du konkret mitgestalten kannst. Bei anderen ist es vielleicht die Wissenschaft, weil sie, weiß ich nicht, vielleicht weniger extrovertiert sind, sondern einfach nerdig Bock haben auf sau viel Literatur und eben sich Gedanken machen, Texte zu texten [Lachen] und noch weitere schreiben. Und bei noch anderen ist es eben zu sagen, ich habe Bock, möglichst auch im Idealfall mit Gleichgesinnten an einem Strang zu ziehen und wirklich aus meiner tiefsten Überzeugung heraus für meine Werte einzutreten und, ähm, überhaupt auf Themen aufmerksam zu machen, die mir, die mir besonders am Herzen liegen. So, und ich konnte mich zwischen zwei Dingen nicht entscheiden. Ich konnte immerhin das eine, das eine ausschließen, was jetzt die Politik ist. Ähm, und das mit der Geduld, das ist bei mir nämlich auch so. [Lachen]
00:20:37,095 –> 00:20:38,535 [Martyna Linartas]
Keine meiner Tugenden.
00:20:38,535 –> 00:20:42,715 [Raul Krauthausen]
Ne, also das ist wirklich auch nicht meine.
00:20:42,715 –> 00:20:48,975 [Raul Krauthausen]
Gab es denn für dich in deinem Leben… Also wahrscheinlich, du
00:20:48,975 –> 00:21:18,055 [Raul Krauthausen]
hast, äh, äh, Wurzeln in Polen, ähm, du bist, äh, hast Bezugspunkte zu Südamerika, zu Mexiko. Ähm, ich bin selber in Peru geboren. Ähm, ich glaube, da haben wir so ein paar Ähnlichkeiten, zumindest was so diese Erfahrung angeht, zwischen arm und reich, wie krass das sein kann. Ähm, aber gab es für dich so ’n Aha-Moment, so ’n Erkenntnis-Moment, wo du gesagt hast, „Da muss ich, Martyna Linartas, jetzt was tun“?
00:21:18,055 –> 00:21:23,935 [Martyna Linartas]
Mmm, das ist nicht auf einen Schlag gekommen. Das kam sukzessive.
00:21:23,935 –> 00:22:52,955 [Martyna Linartas]
Und ich habe über die, die Jahre hinweg erst so gemerkt, was mich am allermeisten antreibt. Also als kleines Kind wollte ich mal Jura studieren, zum Beispiel. Ich hatte Bock, die Bösen hinter Gittern zu bringen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Irgendwann habe ich gemerkt, ach, das hat mit Jura gar nicht unbedingt in erster Linie so viel zu tun. [Lachen] Es musste nicht ausgelegt werden. Äh, dann war das wirklich dieses, okay, als ich in– ich war, ich war häufiger auch in Mexiko, auch als kleines Kind. Dann, dann war ich noch mal als junge Erwachsene auch in Chile in nem, in nem Waisenhaus, wo ich ehrenamtlich gearbeitet habe und habe da festgestellt, einfach auch als… Also ich habe an so vielen Punkten in meinem Leben immer wieder festgestellt, so wie, wie krass, wie krass die Ungleichheit ist. Ich habe es damals nicht Ungleichheit genannt, muss ich ehrlich gestehen, sondern einfach nur, wie anders es ist. Also allein schon der Unterschied, der Sprung von Polen nach Deutschland, aber von Polen oder Deutschland dann nach Mexiko, ist noch mal eine andere Hausnummer. In Mexiko habe ich oberflächlich mitbekommen, was Armut bedeutet, aber durch meine Familie, was Reichtum und Macht bedeutet. In Chile wieder noch mal eine ganz andere Sichtweise bekommen auf, auf extreme Armut und auch vor allem das Schicksal von, von armen Kindern eben in diesem Waisenhaus. Das heißt, es waren so viele Momente, wo ich immer wieder gedacht habe, „Boah, krass ey, das– wie kann es sein, dass es so anders ist? Wie kann diese Ungleichheit überhaupt bestehen und existieren?“ Und das wollte ich erst Mal verstehen. Das war der Punkt, wo ich dann gemerkt habe, okay, ich muss Politikwissenschaft studieren.
00:22:52,955 –> 00:23:03,215 [Martyna Linartas]
Politikwissenschaft studieren und dann das Ganze noch erken– äh, ergänzt durch Kunstgeschichte, so als Spiegel der Gesellschaft die Kunst. Und dass ich da jetzt irgendwie dann mittlerweile,
00:23:03,215 –> 00:23:17,035 [Martyna Linartas]
ja, dass das so gut geklappt hat, dass ich jetzt auch weiter in diesem Bereich sein darf, agieren darf als Wissenschaftlerin, aber auch als Aktivistin, Ungleichheit mit Info mit Gründe– mitgegründet habe. Ähm, ja, würde ich sagen, hat, war für mich so der
00:23:17,035 –> 00:23:20,155 [Martyna Linartas]
beste Weg. [Lachen]
00:23:20,155 –> 00:23:20,775 [Martyna Linartas]
Genau.
00:23:20,775 –> 00:23:32,815 [Raul Krauthausen]
Und Ungleichheit.info ist halt die Website, die du quasi, wahrscheinlich nicht alleine, sondern mit vielen anderen Kolleginnen, äh, pflegst und führst, wahrscheinlich auch aus deinem wissenschaftlichen Kontext heraus?
00:23:32,815 –> 00:24:04,575 [Martyna Linartas]
Mm, Ungleichheit.info waren zu Anfang nur meine Freundin Lucy und ich. Und Lucys Infografik-Designerin. Sie macht die gesamte Corporate Identity und alle Grafiken, die wir da haben. Und irgendwann kam dann noch jemand dazu, der uns geholfen hat mit der Webseite. Und mittlerweile ist auch Leah im Team, ähm, die sich auch mit uns Social Media kümmert. Viel mehr Menschen sind wir gar nicht. Das heißt, diese ganzen inhaltlichen Arbeiten, ähm, die stammen von mir und da habe ich einfach durch meine Ausbildung zur Pressereferentin, ich habe diese Ausbildung ja während meiner Master-Zeit noch absolviert-
00:24:04,575 –> 00:24:05,295 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:24:05,295 –> 00:24:26,843 [Martyna Linartas]
Ähm, habe ich gelernt, wie man akademische, wissenschaftliche Texte oder alles was Fachsimpelei ist, ähm-Wie man das übersetzt in eine allgemeinverständliche Sprache und das hat gefehlt zum Thema Ungleichheit. Mhhhm Luzie hat dann die gesamten Grafiken dazu beigesteuert und ich würde auch sagen, viel mehr als Texte, weil Texte schreiben können viele, aber so tolle Infografiken wie Luzie kann keiner basteln.
00:24:26,843 –> 00:24:28,203 [Raul Krauthausen]
Ja, die sind wirklich schön.
00:24:28,203 –> 00:24:41,783 [Martyna Linartas]
Die sind echt, ich liebe sie. Ja Ich liebe sie so sehr. Ich bin so dankbar. Ahhhm Von daher, wir sind ein sehr kleines Team und Lea packt da auch an. Im Alltag ist sie die ganze Zeit mit dabei auf Social Media. Ahhhm Genau.
00:24:41,783 –> 00:24:47,243 [Raul Krauthausen]
Weil Du vorhin gesagt hast, dass deine Studierenden dann auch manchmal da Inhalte veröffentlichen? Mhhhm
00:24:47,243 –> 00:25:17,603 [Martyna Linartas]
Genau, das ist jetzt eine Rubrik, die wir jetzt endlich mal etablieren wollen. Ich rede da schon seit einer ganzen Weile von. Ich habe mittlerweile auch sehr viele Studienprojekte. Auch hier auf meinem Laptop gibt es einen Ordner, der heißt „Studienprojekte, [kichern] ahhhm wo dann die ganzen sehr guten Projekte reinkommen. Und ahhh wir basteln gerade daran, noch mal einen Relaunch der Webseite dann auf die Beine zu stellen. Und sobald das geschieht, soll es auch die Kategorie Beiträge oder oder ahhhm Beiträge von Studierenden geben, Kooperationen geben und dann werden die da auch angeführt, die Sachen.
00:25:17,603 –> 00:25:32,643 [Raul Krauthausen]
Packen auf jeden Fall in die Show Notes dieser Folge. [kichern] Du hast ja auch ein Buch geschrieben, relativ aktuell. Unverdiente Ungleichheit heißt es. Ist das die papiergewordene Website oder ist das mehr? [lachen]
00:25:32,643 –> 00:25:41,603 [Martyna Linartas]
Nein, es ist vielmehr eine Übersetzung erst mal ins Deutsche, aber auch vor allem ins Allgemeinverständliche von meiner Doktorarbeit. Mhhhm Und das Ganze ist-
00:25:41,603 –> 00:25:43,704 [Raul Krauthausen]
In welcher Sprache hast du die veröffentlicht? Die Doktorarbeit?
00:25:43,704 –> 00:25:45,423 [Martyna Linartas]
Die Doktorarbeit? Ja Auf Englisch.
00:25:45,423 –> 00:25:46,443 [Raul Krauthausen]
Auf Englisch?
00:25:46,443 –> 00:26:08,023 [Martyna Linartas]
Genau, auf Englisch mit in Teilen spanischen und deutschen Elementen, weil ich mit der deutschen und mexikanischen Eliteinterviews geführt habe. Mhhhm Aber es ist ganz üblich, im in Politikwissenschaft auf Englisch auch zu schreiben. Mhhhm Und auch das Cluster, ich war in so einem Exzellenzcluster, das heißt Scripts, Contestations of the Liberal Scripts, haben immer nur auf Englisch gearbeit. Mhhhm Und
00:26:08,023 –> 00:27:05,503 [Martyna Linartas]
meine Doktorarbeit ist ziemlich fett. Das sind so vierhundertvierundvierzig DIN A4 Seiten [kichern] in kleiner Schrift und dann in Fachsprache. Wow Und ahhhm so was liest niemand. Mhhhm Zurecht. Warum sollte man auch? Und da dachte ich mir so: „Ey, aber da ist so viel Musik drin und da sind so viele interessante und spannende Sachen, die möchte ich unbedingt teilen. Die möchte ich auch so teilen, dass es eben nicht nur Menschen vom Fach verstehen, sondern auch meine Oma oder auch eine Sechzehnjährige oder auch Menschen, die einfach noch nie studiert haben und auch gar keinen Bock haben, überhaupt studieren zu gehen, sondern einfach nur alle Menschen, die sich für das Thema Ungleichheit interessieren. So und ahhhm dann habe ich die Doktorarbeit krass verkürzt, noch mal ergänzt den vierten Teil. Da gibt es noch eine neue Idee, ahhhm nämlich das Grunderbe. Und im ersten Teil habe ich noch mal ein bisschen grundsätzlicher das Ganze aufgebaut. Also warum überhaupt? Das heißt, das Buch heißt „Der unverdiente Ungleichheit. Warum ist Ungleichheit unverdient und warum ist Ungleichheit so extrem gefährlich für Demokratie und fürs Klima? Mhhhm Genau.
00:27:05,503 –> 00:27:31,443 [Raul Krauthausen]
Ich fand das Buch sehr stark. Ahhhm Und das sage ich jetzt nicht so, weil ich irgendwie Ahnung habe von der Materie, sondern es hat mich wirklich an vielen Stellen gepackt und auch überzeugt und auch deine deine Podcast ahhh Auftritte bei Hotel Matze oder Yogur Naiv, ahhhm dann tatsächlich sehr viel in mir resoniert, wie man heutzutage so schön sagt. Ahhhm Und ich habe mich dann irgendwann gefragt:
00:27:31,443 –> 00:27:37,063 [Raul Krauthausen]
Ich habe ja auch vier Bücher geschrieben. Können Bücher wirklich noch die Welt verändern?
00:27:37,063 –> 00:30:51,531 [Martyna Linartas]
Ich weiß nicht, ob sie das grundsätzlich können, aber einzelne schon. [lachen] Und ich will jetzt nicht mehr anmaßen zu sagen, ich bin so eine von den Autoren, ja die jetzt so ein leichtes Buch geschrieben hat Nein, aber ich meine jetzt auch gar nicht mit einzelne so hier ein Werk und da ein Werk und der Rest ist dann für die Tonne, sondern ahhhm ich glaube, solche Bücher, die einen bestimmten Anspruch haben und die es auch schaffen, von den richtigen Leuten zur richtigen Zeit gelesen zu werden. Mir fällt da spontan direkt die Anekdote ein von Margaret Thatcher. Mhhhm Ich hab die Anekdote auch im Buch angeführt. Als Margaret Thatcher Ende der siebziger Jahre, da war sie schon die ahhhm Parteichefin von ihrer Partei damals in Großbritannien. Ahhhm Und die hatten, Großbritannien war gerade durch zwei Ölpreiskrisen, durch zwei Preischocks wirklich wirtschaftlich in die Knie gezwungen worden. Und dann hatte jemand aus ihrer Partei dafür plädiert, dass man den ahhh vernünftigen Mittelweg gehen sollte. Und damals hat Margaret Thatcher das Buch von August von Hayek aus ihrer Aktentasche rausgeholt, das auf dem Tisch geklatscht und meinte: „Das ist woran wir glauben, wir gehen keinen Mittelweg. Mhhhm So. Ahhhm Und ich glaube auch am Ende des Tages, es ist durchaus so, dass man auch niemals ein Buch ganz für sich alleine verstehen muss, sondern als ein Teil von von von einem Konglomerat an verschiedenen Büchern, die insgesamt denselben Geist atmen, wenn du verstehst, was ich meine. Total Also wenn wir irgendwann auch verstehen, okay, krass, es gibt halt nicht nur… August von Hayek ist einer der Gründerväter des Neoliberalismus und in seine Kerbe haben sehr, sehr viele geschlagen. Und ja, er war einer der ganz, ganz Großen, aber drumherum ist auch sehr viel Literatur desselben Zeitgeistes und desselben Geistes generell, dessen Neoliberalismus entstanden. Und dann muss man jetzt dazu, wie ich finde und wie ich es mir wünsche und aber auch zunehmend beobachte, das andere Spektrum auffüllen und ein anderes neues Paradigma entwerfen. Und da reicht nie nur ein Buch, sondern du brauchst ganz, ganz viele Bücher, die genau diesen Geist auch atmen. Und deswegen ist es dann vielleicht mal ein vereinzeltes, was dann irgendwie von jemandem eher auch wahrgenommen, gelesen wird und was dann auch mit gewissen wichtigen Personen wieder, wie sagtest du gerade, resoniert? Mhhhm Genau. Ja. [kichern] Sehr schön. Ahhhm Aber du brauchst generell, glaube ich, auch eben diesen ganz, ganz großen breiten Fundus, weil auch niemals ein Buch alleine alles abdecken kann. So und-Für einen Paradigmenwechsel, wie ich mir wünschen würde. Also Neoliberalismus, Neoliberalismus ist ein solches Paradigma, ist ein, ist eine solche Theorie davon, wie Wirtschaft, Finanzen und Politik zusammenspielen sollten. Um den zu überwinden, brauchen wir eine neue Programmatik und eine neue Programmatik zeichnet sich aber eben nicht durch einen roten Faden alleine aus, sondern davon, dass wir alles einmal durchdrungen haben. Und zwar ganz viele verschiedene Themenbereiche. Und da finde ich, braucht es die Menschen, die sich auch mal hinsetzen, die Mühe machen, in die Tiefe gehen und ihre Gedanken dazu auch zu Papier bringen. Also ich bin ein großer, großer Fan von Sachbuch, Sachbuchliteratur. Ganz, ganz groß. Ähm, und freue mich immer wieder dann auch auf neue, auf neue kleine Schätze zu stoßen.
00:30:51,531 –> 00:31:23,632 [Raul Krauthausen]
Und diese Schätze und diese Menschen, die, äh, diese Literatur gerade schreiben, aus dem aktuellen Zeitgeist heraus, sind größtenteils Frauen. Ähm, was ich vielleicht auch genau das Richtige jetzt finde, weil bisher die Typen, die du bisher zitiert hast [lachen], außer Margaret Thatcher alles Typen waren. Und vielleicht ist es jetzt einfach auch mal an der Zeit. Machen klingt jetzt so klischee, aber muss das jetzt aus ’ner weiblichen feministischen Perspektive kommen?
00:31:23,632 –> 00:31:26,111 [Martyna Linartas]
Also definitiv brauchen wir die feministische Perspektive.
00:31:26,111 –> 00:31:27,792 [Raul Krauthausen]
Absolut ja.
00:31:27,792 –> 00:31:31,611 [Martyna Linartas]
Aber es darf auch gerne von den Männern nach vorne getragen und weiter ausgebaut werden. [lachen]
00:31:31,611 –> 00:31:32,691 [Raul Krauthausen]
Wird’s aber nicht.
00:31:32,691 –> 00:31:33,891 [Martyna Linartas]
Ja,
00:31:33,891 –> 00:31:44,191 [Martyna Linartas]
auch im– auch ich würde sagen, doch, da gibt’s auch die guten Männer, die das hinbekommen. Ja, aber- Wenn ich jetzt zum Beispiel an eins meiner absoluten Lieblingsbücher denke der jüngeren Jahre, das ist „Überreichtum“ von Martin Schürz.
00:31:44,191 –> 00:31:45,071 [Raul Krauthausen]
Ja.
00:31:45,071 –> 00:32:01,292 [Martyna Linartas]
Mann. Und der hat den Begriff des Überreichtums geprägt, den quasi wiederbelebt. Er wurde schon mal eingeführt, neunzehn einunddreißig, glaube ich, war das vom Papst Pius. Aber, ähm, es gibt auch ganz grandiose Literatur der Rockstar, der Ungleichheitsforschung ist Thomas Piketty, ist auch ’n Kerl.
00:32:01,292 –> 00:32:15,511 [Raul Krauthausen]
Ja, ja, klar. Aber wir sagen das jetzt, also du sagst es jetzt so, wie Männer das sagen über Frauen, dann finden ja zwei, drei Frauen. Aber ich finde es halt interessant, dass einfach die Bücher, die man jetzt findet, ähm, oft von Frauen kommen.
00:32:15,511 –> 00:32:29,751 [Martyna Linartas]
Das Gefühl, ich muss ehrlich gestehen, auch in den letzten Jahren hatte ich auch mehr und mehr das Gefühl, dass da auch immer mehr tolle Sachen und auch gerade so Sachen kommen, wo Frauen sich eher wagen, die großen Fragen zu stellen und eine ganz andere Perspektive darauf zu blicken.
00:32:29,751 –> 00:32:46,731 [Raul Krauthausen]
Und du hattest, glaube ich, ähm mit Matze Silber besprochen, dass das vielleicht auch daher liegt, weil Frauen diese Perspektive halt auch kennen. Das sind jetzt nicht unbedingt Betroffenheitsliteratur, die dann einfach diese Perspektive, die Frage überhaupt haben, die Männer einfach nicht hatten.
00:32:46,731 –> 00:33:00,171 [Martyna Linartas]
Zumindest bist du als Frau schon mal entlang einer Dimension in einer, ja, in einer, in einer, hm, Position, die nicht von Privilegien. Genau. Ähm, mit, mit Privilegien versehen ist.
00:33:00,171 –> 00:33:03,451 [Raul Krauthausen]
Was nicht bedeutet, dass man betroffen sein muss von Armut oder so.
00:33:03,451 –> 00:33:04,591 [Martyna Linartas]
Nee, gar nicht.
00:33:04,591 –> 00:33:05,431 [Raul Krauthausen]
Genau.
00:33:05,431 –> 00:33:57,391 [Martyna Linartas]
Genau, aber generell, wenn man sich so verschiedene Formen von Ungleichheiten anguckt, horizontale Ungleichheiten nennt man das dann ja auch ganz gerne. Dann gibt es eben auch die Frage nach Geschlechtern. Mhm. Und bei Fragen nach Geschlechter, wenn man das dann wieder intersektional begreift, also auch schaut, welche Rolle spielt das Geschlecht in Fragen dann zum Beispiel von vertikaler Ungleichheit, also Einkommen und Vermögen, dann ist es einfach so, dass statistisch gesehen Frauen geringere Einkommen und kleinere Vermögen aufbauen im Laufe ihres Lebens. Und wo ich dann auch als Frau immer wieder merke, so mich lässt das Thema nicht los und ich muss mich da auch anders mit, anders zu positionieren und anders darüber nachdenken, hm, und kann mich damit davon gar nicht dann überhaupt lösen. Und das bedeutet, dass ich qua meines Geschlechts einfach schon lerne, ah, okay, es gibt hier Diskriminierung und Privilegien, wohingegen jetzt eben ein weißer Mann vielleicht auch einfach nicht darüber nachdenken muss.
00:33:57,391 –> 00:33:58,531 [Raul Krauthausen]
Mhm, genau.
00:33:58,531 –> 00:34:01,931 [Martyna Linartas]
Ja, das kann schon sein. Ja, guter Punkt.
00:34:01,931 –> 00:34:12,111 [Raul Krauthausen]
Und vielleicht auch mal in den sogenannten weichen Wissenschaften vielleicht auch mehr Frauen studieren. Soziologie, Sozialwissenschaften?
00:34:12,111 –> 00:34:16,771 [Martyna Linartas]
Hmmm, das weiß ich gar nicht. Ich kenn‘ die Zahlen dazu nicht. Ähm…
00:34:16,771 –> 00:34:18,751 [Raul Krauthausen]
Ich auch nicht, um ehrlich zu sein, Theorie.
00:34:18,751 –> 00:34:31,011 [Martyna Linartas]
Ja, wenn ich, wenn ich jetzt so daran denke, also vielleicht mehr Menschen, die das studieren. Aber wenn ich jetzt zum Beispiel daran denke, wer sind so die Profs um mich herum, dann ist das immer noch ein ziemlich männerartiges Milieu. [lachen]
00:34:31,011 –> 00:34:36,351 [Raul Krauthausen]
Guter Punkt. Aber man muss ja auch nicht Prof sein, um ein Buch zu schreiben. Es reicht ja, Influencer zu sein.
00:34:36,351 –> 00:34:39,891 [Martyna Linartas]
Ja, aber da bin ich- [lachen]
00:34:39,891 –> 00:34:41,811 [Raul Krauthausen]
Ich bin kein Prof.
00:34:41,811 –> 00:35:32,491 [Martyna Linartas]
Ich bin auch keine Professorin. Ja. Aber ich würde ja auch sagen, dass ich schon, äh, ich hatte extrem viel Glück, einfach weil ich auch durch meine Jobs noch nebenher, äh, auch die richtigen Leute kennengelernt habe, die mir immer wieder an entscheidender Stelle auch geholfen haben. Ja So. Und, ähm, das ist aber nicht unbedingt üblich. Also du hast da manchmal Influencerinnen, das stimmt. Aber wenn du jetzt mal so an große, große Frauen denkst, die wirklich grandiose Bücher geschrieben haben, dann sind’s dann meistens doch dann wieder die Professorinnen. Also Eva von Redecker beispielsweise. Ich bin ein riesengroßer Fan von ihr. Oder Nancy Fraser, die, ähm, über den kannibalischen, ähm, Kapitalismus spricht, von der New School in New York. So, ähm, das sind dann schon auch, oder Ingrid Robains, auch grandios. Das sind sehr bekannte Professorinnen.
00:35:32,491 –> 00:35:45,391 [Raul Krauthausen]
Auf jeden Fall finde ich es gut, dass es jetzt mehr, äh, Literatur gibt, die diese Fragen stellt, auch mal aus einer anderen Perspektive. Und das Tabu Geld, ähm bearbeitet. Und ich frag mich so ein bisschen,
00:35:45,391 –> 00:35:51,871 [Raul Krauthausen]
man liest es dann oft, Geld und Scham und Geld und Tabu. Tabu ist ein Tabuthema.
00:35:51,871 –> 00:35:59,731 [Raul Krauthausen]
Auf der einen Seite stimmt das ja, aber auf der anderen Seite habe ich auch manchmal das Gefühl, reproduzieren wir das durch die Behauptung.
00:35:59,731 –> 00:36:04,791 [Martyna Linartas]
Ja, und es ist ’ne, es ist ’ne Norm, ne. Also, man, es gibt einfach diese Redewendung, über Geld spricht man nicht.
00:36:04,791 –> 00:36:08,651 [Raul Krauthausen]
Genau. Ist das Teil des Problems?
00:36:08,651 –> 00:36:19,719 [Martyna Linartas]
Definitiv.Ja, ich meine, Redewendungen haben ja an und für sich bereits eine Macht. Also es mag dann ja auch nicht stimmen und auch empirisch nicht evident sein, wie zum Beispiel die Aussage „Jeder ist seines Glückes Schmied.
00:36:19,719 –> 00:36:21,199 [Raul Krauthausen]
Da kommen wir ja noch drauf.
00:36:21,199 –> 00:36:25,219 [Martyna Linartas]
Genau, aber wenn so etwas, wenn überhaupt eine Redewendung
00:36:25,219 –> 00:36:44,920 [Martyna Linartas]
vielfach wiederholt wird in der Breite der Gesellschaft, dann in aller Regel deswegen, weil man an dieses Narrativ auch wirklich glaubt. Man wiederholt ja nicht einfach irgendeine Quatschfloskel, sondern etwas, was man glaubt, dass dann da ja auch so ein… Ja, das hat dann einen wahren Kern. Man sollte dann auch wirklich nicht über Geld sprechen.
00:36:44,920 –> 00:37:06,359 [Raul Krauthausen]
Ich finde auch, durch dieses Aufrechterhalten dieses Tabus entsteht eine Scham und dadurch gibt es Gruppen, die davon profitieren. Und das sind meistens die oben, die entscheiden, was mit Geld geschieht, weil die unten beschämt werden, darüber redet man ja nicht.
00:37:06,359 –> 00:37:22,759 [Martyna Linartas]
Ja, und das wirkt ja auch in beide Richtungen. Also die Menschen, die es nicht haben, die schämen sich und möchten das nicht anführen: „Hey, es ist zu wenig. Und die Menschen, die viel haben, sagen: „Hey, über Geld spricht man nicht, also muss ich dir ja auch nicht mitteilen, wie groß ja eigentlich mein Einkommen oder mein Vermögen ist, das ich besitze.
00:37:22,759 –> 00:37:34,799 [Raul Krauthausen]
Oder zum Beispiel in Deutschland, man seinen Reichtum auch versteckt, weil man ja nicht als der Reiche gelten will in seiner Nachbarschaft, was auch immer, schickt seine Kinder auf eine angeblich normale Schule,
00:37:34,799 –> 00:37:36,699 [Raul Krauthausen]
du bloß nicht reich zu wirken.
00:37:36,699 –> 00:37:47,399 [Martyna Linartas]
Das stimmt. Das ist auch eine ganz, ganz witzige Unterscheidung zwischen Mexiko und Deutschland oder Wirtschaftselite oder generell Eliten. Du könntest in Deutschland im Einkaufslagen neben einem Millionär stehen und du würdest es nicht merken.
00:37:47,399 –> 00:37:48,299 [Raul Krauthausen]
Genau.
00:37:48,299 –> 00:37:59,299 [Martyna Linartas]
Wenn du in Mexiko einkaufen gehst und im Millionär stehst, dann riechst du das, [lachen] weil er einfach ein ganz feines Parfum trägt. Und natürlich würde er sich auch
00:37:59,299 –> 00:38:13,799 [Martyna Linartas]
davon absetzen von dem Rest der Bevölkerung, weil man das einfach an der Kleidung wirklich sieht. Und das wird, das ist auch, glaube ich, kulturell in Teilen bedingt. Also es gibt Länder, in denen das protziger auch einfach nach vorne getragen wird und man
00:38:13,799 –> 00:38:22,799 [Martyna Linartas]
ist stolz drauf oder man zeigt sich, man präsentiert sich damit. In Deutschland tust du das nicht, was ich jetzt auch nicht per se schlecht finde, muss ich ehrlich gestehen.
00:38:22,799 –> 00:38:29,199 [Raul Krauthausen]
Nein, klar. Ich möchte jetzt auch nicht, dass die Leute das so wie so eine Monstranz vor sich ertragen, aber es ist meistens halt auch nicht ehrlich.
00:38:29,199 –> 00:38:35,359 [Martyna Linartas]
Genau, stell dir vor, alle reichen Leute würden jetzt wirklich halt hier den Sportwagen durch die Gegend cruisen
00:38:35,359 –> 00:38:37,619 [Martyna Linartas]
und das immer zur Schau tragen-.
00:38:37,619 –> 00:38:42,759 [Raul Krauthausen]
Das tun sie. Die größten Klima-Verpisser sind die Reichen.
00:38:42,759 –> 00:39:02,479 [Martyna Linartas]
Das stimmt definitiv auch, was die Zahlen so hergeben, aber wenn die das jetzt noch offener zu Tage tragen würden. Meinst du, wie Jeff Bezos in Venedig? Zum Beispiel. [kichern] Wobei, das finde ich ja auch krass, wenn man sich mal anschaut, so teuer im Verhältnis dazu, wie viel er eigentlich bis jetzt war, die Hochzeit am End des Tages.
00:39:02,479 –> 00:39:04,639 [Raul Krauthausen]
Es soll günstig gewesen sein, ne?
00:39:04,639 –> 00:39:06,999 [Martyna Linartas]
Ja, für sein Verhältnis auf jeden Fall.
00:39:06,999 –> 00:39:08,519 [Raul Krauthausen]
Meine Güte.
00:39:08,519 –> 00:39:17,939 [Martyna Linartas]
Er kann die ganze Stadt mieten, die gehört dann einfach mal ihm ein paar Tage lang. Kostet ein paar Millionen, vielleicht auch ein paar zig Millionen, aber für seine Verhältnisse ist es dann wieder irgendwo-
00:39:17,939 –> 00:39:20,879 [Raul Krauthausen]
23 € pro Gast, glaube ich, habe ich ihn gelesen.
00:39:20,879 –> 00:39:27,019 [Martyna Linartas]
Irre. Absurd. Ist das irre. [lachen]
00:39:27,019 –> 00:39:34,159 [Raul Krauthausen]
Inwiefern war denn Geld für dich ein Tabuthema, bevor du dich mit ihm beschäftigt hast?
00:39:34,159 –> 00:39:37,419 [Martyna Linartas]
Meinst du jetzt in meinem privaten Umfeld direkt? Oder wie meinst du das?
00:39:37,419 –> 00:39:41,659 [Raul Krauthausen]
Bevor du dich wissenschaftlich damit auseinandergesetzt hast. Ja, genau.
00:39:41,659 –> 00:39:51,179 [Martyna Linartas]
Also ich würde auch sagen, dass man auch in meiner Familie nicht wirklich darüber geredet hat, über Geld. Man hatte das, was man hatte. Man hat es nicht infrage gestellt.
00:39:51,179 –> 00:39:59,139 [Martyna Linartas]
Und ich habe es jetzt auch nicht thematisiert oder irgendwie mal gefragt: „Warum ist das eigentlich so, dass die einen mehr oder weniger haben?
00:39:59,139 –> 00:40:17,959 [Martyna Linartas]
Ähm, ja. Vielleicht dazu die eine kleine Anekdote: Äh, ich habe erst vor wenigen Jahren erfahren, dass zum Beispiel, als wir nach Deutschland gezogen sind damals von Polen, da war ich ja erst ein Jahr alt, dass wir erst mal im Obdachlosenheim gelebt haben, habe ich erst vor wenigen Jahren erfahren.
00:40:17,959 –> 00:40:20,919 [Raul Krauthausen]
Das heißt, es war so eine Art Tabu bei euch in der Familie?
00:40:20,919 –> 00:40:38,219 [Martyna Linartas]
Ja. Also ich weiß gar nicht, wie das gekommen ist. Ich weiß, ich war irgendwann… Irgendwann waren wir was essen und dann kam das plötzlich so auf und ich saß dann da und mir ist die Kinnhaare darunter gefallen, weil ich mit Ende 20 erst diese Geschichte über mein eigenes Leben, über den Beginn meines eigenen Lebens erfahren habe.
00:40:38,219 –> 00:40:44,439 [Martyna Linartas]
Und irgendwann, meine Eltern sind geschieden und das hat mir meine Mutter erst erzählt und dann habe ich meinen Papa gefragt: „Ja,
00:40:44,439 –> 00:41:05,059 [Martyna Linartas]
warum habt ihr niemals davon geredet? Warum habt ihr nicht davon gesprochen? Also ich glaube, auch da war eine gewisse Scham da, dass man überhaupt so begonnen hat und erst mit einigem zeitlichen Abstand und nachdem man auch sich daraus herausgearbeitet und weiterentwickelt hat, auch in seiner eigenen Biografie, haben die es wohl überhaupt geschafft, mit mir darüber zu sprechen.
00:41:05,059 –> 00:41:07,079 [Raul Krauthausen]
Krass. Mhm.
00:41:07,079 –> 00:41:10,899 [Martyna Linartas]
Fand ich auch sehr befremdlich, muss ich ehrlich gestehen.
00:41:10,899 –> 00:41:25,199 [Raul Krauthausen]
Jetzt haben wir gesprochen über Geschlecht als Faktor der Ungerechtigkeit, wie man in der Gesellschaft behandelt wird. Wir haben gesprochen über Geld, das Ungleichheit auch erzeugt, also ob man es hat oder nicht.
00:41:25,199 –> 00:41:29,179 [Raul Krauthausen]
Was gibt es noch für Formen der Ungleichheit, die wir oft übersehen?
00:41:29,179 –> 00:41:35,019 [Martyna Linartas]
Eine ganze Menge. Zum Beispiel die Frage von Hautfarbe.
00:41:35,019 –> 00:41:39,599 [Martyna Linartas]
Rassismus. Genau. Du und ich, wir sind beides weiße Menschen.
00:41:39,599 –> 00:41:54,899 [Martyna Linartas]
Oder auch wenn wir zwei woanders geboren wurden und so gesehen Migranten sind, man sieht es uns nicht an. Mhm Das ist auch von großem Vorteil. Ich hatte mal rassistische Deutschlehrer, aber die haben es mir erst angesehen, als sie dann den Namen gelesen haben. Vorher nicht. [kichern]
00:41:54,899 –> 00:42:04,419 [Martyna Linartas]
Da hatten zwei andere Klassen und Kameraden auf jeden Fall größeres Pech. Mmm Dann ist die Frage, ob man mit oder ohne Behinderung ist, auch elementar.
00:42:04,419 –> 00:42:09,339 [Martyna Linartas]
Die Frage von Religion, ethnischer Zugehörigkeit.
00:42:09,339 –> 00:42:26,055 [Martyna Linartas]
Also alles das, was du de facto in Artikel drei Grundgesetz findest.All diese Aspekte, die du dort findest im Gleichheitssatz, wonach ein Mensch keine Diskriminierung erfahren darf wegen Punkt, Punkt, Punkt. Alles das in Form von horizontalen Ungleichheiten.
00:42:26,055 –> 00:42:33,956 [Raul Krauthausen]
Und dann noch der Aspekt der Carearbeit, die ja oft auch geleistet wird und bezahlt.
00:42:33,956 –> 00:42:53,636 [Martyna Linartas]
Carearbeit. Ich habe auch noch gerade vergessen, sexuelle Orientierung. Also, wen liebst du? Ähm, auch das zählt da mit rein. Ja klar, Carearbeit ist auch sehr auf jeden Fall stark ausgerichtet danach. Also jetzt erstmal geschlechtermäßig nach, ähm, Frauen tragen viel, viel mehr zur Carearbeit bei.
00:42:53,636 –> 00:43:09,335 [Martyna Linartas]
Wenn du dann aber auch in Länder blickst, die sehr vermögend sind beziehungsweise sorry, nicht unbedingt nur vermögend sind, sondern auch einfach wo die Ungleichheit sehr krass ist, ähm, zum Beispiel Mexiko oder zum Beispiel auf den Philippinen oder so, wo man dann auch einfach Haus angestellt hat, dann ist es wieder eine Klassenfrage.
00:43:09,335 –> 00:43:23,355 [Martyna Linartas]
Eine Klassenfrage plus eine Geschlechtsfrage, weil zum Beispiel dann Frauen eher Carearbeit übernehmen, sich um die Kinder oder den Haushalt kümmern, wohingegen Männer, wenn sie angestellt sind, äh, häufiger als Chauffeur engagiert werden. Solche Sachen.
00:43:23,355 –> 00:43:28,115 [Raul Krauthausen]
Bei dem Thema Carearbeit, ähm, stelle ich mir immer häufiger die Frage:
00:43:28,115 –> 00:43:29,995 [Raul Krauthausen]
Wer,
00:43:29,995 –> 00:43:36,815 [Raul Krauthausen]
also, wer profitiert davon am Ende, wenn wir die Carearbeit bei den Familien belassen
00:43:36,815 –> 00:43:42,535 [Raul Krauthausen]
oder bei den Frauen größtenteils? Es ist ja am Ende geht’s ja um die Entlastung
00:43:42,535 –> 00:44:05,395 [Raul Krauthausen]
der Kassen, Rentenkassen, Pflegekassen, Krankenkassen, was auch immer für Kassen das dann sind. Und das wird dann irgendwie auch immer so politisch, auch rhetorisch sehr merkwürdig geframed. Ähm, ne, dass dann, ja, wir müssen das dann entlohnen in, am Ende in Rentenstunden und so, aber das ist ja niemals das, was es an Arbeit ist-
00:44:05,395 –> 00:44:06,055 [Martyna Linartas]
Nee, ist es auch nicht.
00:44:06,055 –> 00:44:07,315 [Raul Krauthausen]
-an Wert ist.
00:44:07,315 –> 00:45:09,495 [Martyna Linartas]
Ja, genau das. Das wird überhaupt nicht honoriert und es wird eben auch überhaupt nicht die monetäre Gegenleistung gebracht, die man erzielen könnte auf’m freien Arbeitsmarkt, wenn man dem halt nachgehen würde. Und das ist einfach nach wie vor so, dass eben Frauen einen ganz, ganz großen Teil dessen, dessen übernehmen. Und es gibt ja, und das finde ich auch total verrückt, es gibt ja auch beispielsweise Nachbarländer, wo das nicht so krass ausgeprägt ist wie in Deutschland. Also wo wir auch sehen, das hat nichts Natürliches. Es ist ’ne, also es ist eine Frage der Kultur und unserer gesellschaftlichen Normen und Werte. Und es gab eine wunderbare Studie, die gezeigt hat, welch, also da wurden sich verschiedene Länder angeguckt, ähm, wie der sogenannte Mother Penalty Gap ist. Also was für einen wirtschaftlichen Schaden trägst du davon, einfach nur als Frau, wenn du Mutter wirst, im Vergleich zu einem Mann, wenn du Vater wirst? Und da wurden sich verschiedene Länder angesehen, neben Deutschland noch andere Länder wie Dänemark, Spanien, also Länder, wo man sagen würde, wirtschaftlich sind wir ungefähr auf ein und demselben Level.
00:45:09,495 –> 00:46:53,775 [Martyna Linartas]
Und das Krasse war, dass Deutschland am schlechtesten abgeschnitten hat, dass also Frauen, die in Deutschland Mütter wurden von ein und erst recht, wenn sie mehr als zwei Kinder hatten, kamen in, ich glaube nur weniger als sechzig Prozent aller Fälle überhaupt zurück auf das Einkommen, was sie vor der Geburt erzielt haben. Auch wenn man dann geguckt hat, weit in die Zukunft hinaus, was dann nach zehn oder fünfzehn Jahren geschehen ist. Das heißt, eine Frau in Deutschland wird Mutter. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht mehr noch mal so ein hohes Einkommen erzielt, ist groß. Und warum? Weil erstens die Kinderbetreuung fehlt und zweitens auch steuerlich der, der Ansporn gegeben wird, der Anreiz geschaffen wird, weniger zu arbeiten, weil wir das Ehegattensplitting haben. Und in anderen Ländern, ich habe zum Beispiel einen Kumpel, der ist in Dänemark, ähm, der, er und seine Partnerin sind jetzt jüngst Eltern geworden und er kann zwölf Monate lang nicht zur Arbeit gehen bei voller Bezahlung. So, und das finde ich auch schon krass, weil wir in Deutschland haben wir zum Beispiel nur vierzehn Monate für, für beide Paare und man hat auch noch ein Anreiz, dass man nur ein Anteiljahr von, von Elterngeld bekommt, dass dann eher der Partner aufhört zu arbeiten, der das kleinere Einkommen auch erzielt. Also nicht nur rein biologisch, dass dann auf jeden Fall die Frau da ist, die dann irgendwie auch die Brust geben muss in den ersten Monaten, keine Frage. Aber auch dann in den Folgemonaten, wo man ja auch schon eine Umgewöhnung machen könnte oder wo auch beide Paare sich darauf einstellen und so weiter und so fort. Und wo auch der Mann durchaus mehr Verantwortung übernehmen könnte. Es ist ja häufig so, dass gerade in heterosexuellen Paaren, bei heterosexuellen Paaren häufig der, also jetzt statistisch gesehen im Durchschnitt, der Mann einen Ticken älter ist und ein Ticken mehr höheres Einkommen erzielt. Und dann wirst du steuerlich begünstigt, je größer dann auch der Abstand von diesen beiden Einkommen ist. So, und das ist natürlich etwas, was einen Anreiz schafft, dass die Frau dann eher zu Hause bleibt-
00:46:53,775 –> 00:46:54,375 [Raul Krauthausen]
Ja, natürlich.
00:46:54,375 –> 00:47:23,095 [Martyna Linartas]
-und dann Carearbeit betreibt. Was dann auch wieder Auswirkungen hat darauf, wie viel Rente du eines Tages erzielt. Und das sehen wir auch, wenn wir uns anschauen, wir haben ja, äh, mit, ja, über jetzt die letzten Jahre und Jahrzehnte werden die Scheidungsraten immer größer und das heißt auch Frauen oder, ja, Paare generell trennen sich. Aber es sind dann die Frauen vor allem, die die Leittragenden sind. Und es sind dann vor allem Frauen, die in Altersarmut landen. Das ist natürlich eine ganz, ganz gefährliche, ähm, Entwicklung auch, die wir beobachtet haben und beobachten müssen.
00:47:23,095 –> 00:48:09,395 [Raul Krauthausen]
Das bedeutet also, dass wir auch volkswirtschaftlich besser führen, wenn wir das von vorneherein gerechter gestalten würden, damit wir später nicht in Altersarmut landen. Nicht so ’ne, äh, ja, ich meine, Aladin El-Mafaiani, der hier auch zu Gast war, der sagt: „Frauen müssen arbeiten in Zukunft, weil wir einfach aufgrund des demografischen Wandels zu wenige Arbeitskräfte haben. Und wenn wir uns gesellschaftlich nun mal dooferweise gerade in die Richtung entwickeln, dass wir keine Zuwanderung wollen, äh, dann müssen wir das irgendwie lösen. Und das funktioniert nur, wenn auch Frauen arbeiten können, was Kinderbetreuung voraussetzt, was gute Betreuung voraussetzt und so weiter und so fort.
00:48:09,395 –> 00:48:10,775 [Raul Krauthausen]
Ähm,
00:48:10,775 –> 00:48:11,395 [Raul Krauthausen]
und-
00:48:11,395 –> 00:48:14,515 [Martyna Linartas]
Genau, ein riesiges Arbeitspotenzial, was da ungenutzt rumliegt.
00:48:14,847 –> 00:48:25,768 [Raul Krauthausen]
Mhm. Ja, und, und gleichzeitig aber eben auch, ähm, ein riesiges ökonomisches, ähm, Potenzial, auch im Sinne der Gerechtigkeit und der Gleichbehandlung.
00:48:25,768 –> 00:48:39,028 [Martyna Linartas]
Absolut, gar keine Frage. Wir haben’s ja auch einfach– wir schaffen es ja auch einfach nicht. Und das ist ja wirklich tragisch. Ich mein, eine Zahl, die mich auch immer wieder aufs Neue schockiert und wo ich auch Gänsehaut kriege, wenn ich darüber spreche, ist immer die Zahl der Alleinerziehenden.
00:48:39,028 –> 00:48:39,807 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:48:39,807 –> 00:48:50,968 [Martyna Linartas]
Wenn du dir das so anguckst, es gibt ja verschiedene Haushaltstypen: Es gibt Singles, es gibt Paare, es gibt Singles und Paare mit und ohne Kinder, und alle Singles mit Kindern sind eben diese Alleinerziehenden. Und in mehr als acht of zehn Fällen sind es Frauen-
00:48:50,968 –> 00:48:51,227 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:48:51,227 –> 00:48:59,907 [Martyna Linartas]
-und in mehr als dreiundvierzig Prozent aller Frauen– Fälle sind Alleinerziehende, sind Frauen, also von Armut bedroht, leben in Armut.
00:48:59,907 –> 00:49:00,487 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:49:00,487 –> 00:49:28,687 [Martyna Linartas]
Und das finde ich schon echt krass und heftig. Und das hat nicht damit zu tun, dass das alles dann irgendwelche faulen Leute sind, sondern das sind die tatsächlichen, die wahren Leistungsträgerinnen unseres Landes, die sich nämlich allein um die Erziehung von Kindern kümmern, die dann aber eben einfach strukturell nicht von der Gesellschaft derart dann auch unterstützt werden, dass die zum Beispiel einen Vollzeitjob machen können, ne? Oder dass sie dann auch mehrere kleinere Jobs machen müssen, weil, weil auch die Arbeitgeber nicht unbedingt alle Kompromisse eingehen, die halt einhergehen müssten-
00:49:28,687 –> 00:49:28,987 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:49:28,987 –> 00:50:05,367 [Martyna Linartas]
-wenn du weißt, das ist eine alleinerziehende Mutter. Wenn da das Kind dann krank ist, was ja auch häufiger geschieht und gerade zum Beispiel auch in den ersten Jahren, in Kindergarten und so weiter, ähm, dass da dann auch nicht alle Arbeitgeber mitgehen. Also es bräuchte so viel strukturelle Veränderungen, auch um dann solche Menschen überhaupt an den Arbeitsmarkt ranzuholen. Und genau hast du gerade gesagt, das ist eine Frage der Gerechtigkeit, also auch wirklich der Geschlechtergerechtigkeit. Es ist aber auch eine ökonomische Frage, weil es so viel günstiger wäre, eine Betreuung für die Kinder zu organisieren, eine Betreuerin auf mehrere Kinder und dafür dann aber auch mehrere Mütter die Möglichkeit zu geben, wieder an den Arbeitsmarkt ranzukommen.
00:50:05,367 –> 00:50:11,407 [Raul Krauthausen]
Jetzt ist es ja so, dass die Politiker:innen oder Minister:innen, die das jetzt ändern könnten,
00:50:11,407 –> 00:50:16,827 [Raul Krauthausen]
müssten so viel Geld in die Hand nehmen, sie müssten so viel verändern,
00:50:16,827 –> 00:50:20,527 [Raul Krauthausen]
ähm, dass sie wahrscheinlich abgewählt werden würden
00:50:20,527 –> 00:50:22,827 [Raul Krauthausen]
in der nächsten Legislatur.
00:50:22,827 –> 00:50:30,887 [Martyna Linartas]
Ja, nee, glaub ich ehrlicherweise nicht. Das Problem ist, hmmmm, nö, ich glaub, das ist ’ne Frage von Prioritätensetzung-
00:50:30,887 –> 00:50:31,127 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:50:31,127 –> 00:50:39,227 [Martyna Linartas]
-und wie du auch Ausgaben definierst, ne? Und wenn du sagst, weil das stimmt, natürlich würde das Geld kosten, aber es sind ja Investitionen. Es ist ja nicht so, dass das verpuffen würde.
00:50:39,227 –> 00:50:42,767 [Raul Krauthausen]
Von der du aber in deiner Legislatur wahrscheinlich nicht profitieren würdest.
00:50:42,767 –> 00:51:12,447 [Martyna Linartas]
Wenn du aber das hinbekommst, das klar zu kommunizieren und zu sagen: „So, das machen wir direkt zu Anfang unserer Legislatur“, dann hat man ja immerhin vier Jahre Zeit. Und wenn man dann sagt: „So, das sind jetzt die Prognosen, das ist das, worauf wir uns, äh, berufen und was wir sehen und was ja auch logisch und kohärent ist in der Überlegung, ähm, dann ist das jetzt, glaube ich, nicht so ein ganz langfristiges Ziel. Also es stimmt schon. Politik ist ganz, ganz häufig dann getrieben von solchen Zielen, die möglichst schnell zu erreichen sind, damit man sagen kann: „Hier haben wir ’nen Haken hinter gemacht, hier
00:51:12,447 –> 00:51:12,707 [Raul Krauthausen]
Mhm. [lacht leise] Ja.
00:51:12,707 –> 00:51:26,287 [Martyna Linartas]
-haben wir ’nen Haken hinter gemacht, wählt uns wieder. Aber gerade im Hinblick auch auf Frauen wieder die Möglichkeit zu bieten, an den Arbeitsmarkt zu gehen, da könnte man unfassbar schnell auch die Ziele direkt blicken. Das glaube ich schon.
00:51:26,287 –> 00:51:37,367 [Raul Krauthausen]
Mich hat das bei Aladin El-Mafaalani so ein bisschen schockiert, als er das erzählt hat, weil er, der hat das so erzählt, dass es gar nicht um die Kinder ging, sondern es geht wirklich darum, dass Frauen arbeiten sollen. Ähm.
00:51:37,367 –> 00:51:38,787 [Martyna Linartas]
[lacht]
00:51:38,787 –> 00:51:39,667 [Raul Krauthausen]
Und-
00:51:39,667 –> 00:51:40,827 [Martyna Linartas]
Ich würde sagen beides.
00:51:40,827 –> 00:51:50,187 [Raul Krauthausen]
Ja, natürlich beides. Also, aus seiner Perspektive muss es auf jeden Fall aus der Perspektive der Kinder gehen, na klar. Aber das Motiv-
00:51:50,187 –> 00:51:50,407 [Martyna Linartas]
Mhm.
00:51:50,407 –> 00:51:57,007 [Raul Krauthausen]
-der Politik ist, dass Frauen arbeiten sollen. Und das hat mich schon ganz schön desillusioniert.
00:51:57,007 –> 00:52:02,967 [Martyna Linartas]
Hmmmm, ich weiß nicht. Also, ich wa– ehrlicherweise hab ich, äh, jetzt mir das Gespräch von euch beiden nicht angehört.
00:52:02,967 –> 00:52:03,507 [Raul Krauthausen]
Kein Problem. [lacht leise]
00:52:03,507 –> 00:52:18,747 [Martyna Linartas]
Da müsste ich mal reinhören. Aber ich glaube, das ist nicht so eine Entweder-Oder-Geschichte, weil es stimmt schon, dass du dann die Frauen an den Arbeitsmarkt holen würdest. Aladin hat aber auch zum Beispiel in seinen Büchern, er hat das ja, ähm, er hat ja mehrere auch zu diesem Thema geschrieben, zum Migrationsparadox und
00:52:18,747 –> 00:52:19,687 [Raul Krauthausen]
Mhm, mhm, mhm.
00:52:19,687 –> 00:52:30,947 [Martyna Linartas]
zum Thema Kinder gearbeitet, ne? Und da auch ’n ganz, ganz tolles Buch geschrieben. Ähm, da sagt er ja auch beispielsweise, dass man besonders bei Kindern in die frühkindliche Bildung investieren sollte.
00:52:30,947 –> 00:52:31,427 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:52:31,427 –> 00:52:48,947 [Martyna Linartas]
Das heißt, ähm, er spricht ja sich auch dafür aus, beispielsweise, dass Kinder besonders früh schon auch in den Kindergärten kommen, dass es da zu einer Durchmischung kommt. Wenn nämlich dann am Ende die, äh, die Kinder auch möglichst früh und möglichst lange zusammen lernen, dann wird es auch nicht so eine krasse Segregation geben-
00:52:48,947 –> 00:52:48,967 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:52:48,967 –> 00:53:20,987 [Martyna Linartas]
-wird dann nicht so krasse Ungleichheit bei Kindern geben. Das heißt, die würden ja auch davon profitieren, wenn die Mütter sich mehr darauf verlassen dürften, dass ihre Kinder auch mit anderen Kindern zusammen lernen. Gerade Kinder aus Familien mit internationaler Geschichte, Flucht oder Migration, wo vielleicht die Sprachkenntnisse nicht so gut sind. Die würden zum Beispiel einen riesen, riesengroßen Mehrwert einfach nur davon mitnehmen, dass die mehr Zeit mit anderen Kindern verwenden, zusammen sein dürfen, während die Mutter arbeiten geht und sie dann vielleicht noch ’n bisschen besser Deutsch lernen, beispielsweise.
00:53:20,987 –> 00:53:26,387 [Raul Krauthausen]
Meine Kritik galt doch gar nicht Aladin. Meine Kritik galt den Politiker:innen, die-
00:53:26,387 –> 00:53:28,027 [Martyna Linartas]
Ach so. [lacht]
00:53:28,027 –> 00:53:50,627 [Raul Krauthausen]
Aladin hat total recht, wenn er sagt, ähm, dass “Die Kinder müssen im Zentrum stehen“. Die sind nur leider so wenige und ihre Familien sind so wenige, dass sie auch demokratisch gar nicht mehr die Macht hätten, wenn sie wählen würden. Das sagt ja auch in seinem Buch, ähm, dass, dass die Politik, wenn sie jetzt behaupten, ja, Ganztagsbetreuung und so weiter und so fort, es denen einfach nicht die Kinder geht.
00:53:50,627 –> 00:53:51,787 [Martyna Linartas]
Mhm.
00:53:51,787 –> 00:53:54,587 [Raul Krauthausen]
Und das ist das, was mich so desillusioniert hat.
00:53:54,587 –> 00:53:54,827 [Martyna Linartas]
Jaaa.
00:53:54,827 –> 00:54:05,827 [Raul Krauthausen]
Weil wie die Schulen dann sind, die ganztags betreuten, wie groß die Klassen sind, äh, wie wenig Geld im Bildungssystem steckt, äh, das, das ist ja gar nicht Thema.
00:54:05,827 –> 00:54:21,667 [Martyna Linartas]
Nee. Und das ist ja auch ein Paradox, denn meist reden sich ja Politiker:innen danach gefragt: „Was ist das wichtigste Instrument gegen Ungleichheit mit Bildung heraus?“ Und zugleich sehen wir aber, dass da nicht große Investitionen getätigt werden, sondern dass da eher dabei flach gehalten wird, ne? Und-
00:54:21,667 –> 00:54:28,332 [Raul Krauthausen]
Und du sagst ja auch, dass Bildung nicht der Ausweg aus Armut ist.Mhm. Also nicht der Alleinige.
00:54:28,332 –> 00:54:35,131 [Martyna Linartas]
Bildung ist nicht der aus, Bildung ist nicht die Lösung für die Schere zwischen Arm und Reich, zur Reduzierung von Ungleichheit.
00:54:35,131 –> 00:54:36,391 [Raul Krauthausen]
Genau, ja das meinte ich auch. Ja.
00:54:36,391 –> 00:54:41,451 [Raul Krauthausen]
Das ist aber das, was gerne uns erzählt wird von den PolitikerInnen. Yes. Und das ist krass.
00:54:41,451 –> 00:54:45,091 [Martyna Linartas]
Aber nicht falsch verstehen. Nicht in den falschen Hals kriegen, dass Bildung nicht wichtig sei.
00:54:45,091 –> 00:54:49,011 [Raul Krauthausen]
Nein, natürlich nicht. Nee, das hast du jedes Mal auch gut korrigiert.
00:54:49,011 –> 00:54:51,052 [Martyna Linartas]
Alle müssen ganz fleißig sein und alle müssen gut in der Schule lernen. [Lachen]
00:54:51,052 –> 00:55:00,931 [Raul Krauthausen]
Das stimmt, aber das ist eben genau diese Erzählung: Jeder ist seines Glückes Flieht. Du kannst noch so schlau sein, aber wenn du in den falschen Bedingungen aufwächst,
00:55:00,931 –> 00:55:04,212 [Raul Krauthausen]
dann bringt es nichts, wenn du schlau bist.
00:55:04,212 –> 00:55:12,651 [Martyna Linartas]
Das stimmt. Aber es ist auch, also ich glaube schon, dass wir, wenn es darum geht, jetzt die Schere zwischen Arm und Überreich weiter zu schließen-
00:55:12,651 –> 00:55:12,691 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:55:12,691 –> 00:55:23,851 [Martyna Linartas]
-dann bringt Bildung wirklich nichts. Und das ist ja auch etwas, was Aladin aufgezeigt hat, dieses Bildungsparadox, dass du doppelt so viel in Bildung investieren kannst, aber dann bleiben ja auch die Unterschiede zwischen den Kindern doppelt so groß.
00:55:23,851 –> 00:55:23,871 [Raul Krauthausen]
Genau.
00:55:23,871 –> 00:55:34,252 [Martyna Linartas]
Das ist mathematisch gar kein Paradox, aber man denkt sich eigentlich, man müsste einfach nur in Bildung investieren und dann würden irgendwie die Unterschiede oder die Ungleichheiten kleiner. Das ergibt einfach de facto keinen Sinn.
00:55:34,252 –> 00:55:34,931 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:55:34,931 –> 00:55:54,971 [Martyna Linartas]
Ähm, und trotzdem ist es aber auch so, dass wenn man, wenn man sich das mal anschauen würde, äh, dass zum Beispiel Kinder, Ganztagsschulen, in Ganztagsschulen besser betreut würden, länger miteinander lernen dürften, auch nicht so früh segregiert würden. Also diese Unterscheidung oder diese, ähm, diese verschiedenen Stufen, das ist ja vom Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
00:55:54,971 –> 00:55:54,991 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:55:54,991 –> 00:56:02,972 [Martyna Linartas]
Ich glaube, es gibt nur zwei Bundesländer in ganz Deutschland, wo Kinder überhaupt nur bis zur sechsten Klasse zusammenbleiben. Bei den meisten werden die schon nach der vierten Klasse getrennt.
00:56:02,972 –> 00:56:03,511 [Raul Krauthausen]
Furchtbar.
00:56:03,511 –> 00:56:05,271 [Martyna Linartas]
Und dann kriegen– Das ist schrecklich.
00:56:05,271 –> 00:56:05,632 [Raul Krauthausen]
Ja.
00:56:05,632 –> 00:56:08,312 [Martyna Linartas]
Und das ist auch im internationalen Vergleich extrem wenig.
00:56:08,312 –> 00:56:08,731 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:56:08,731 –> 00:56:19,451 [Martyna Linartas]
Und das ist ja auch ein altes Bildungssystem, das wir schon seit geraumer, langer, langer Zeit haben. Und ursprünglich hat man diese, diese verschiedenen Stufen mal eingeführt, um auch die Klassengesellschaften abzubilden.
00:56:19,451 –> 00:56:19,751 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:56:19,751 –> 00:56:24,871 [Martyna Linartas]
Und irgendwie möchten wir gerne eine klassenlose Gesellschaft sein, aber in der Schule kommen wir keinen Schritt voran-
00:56:24,871 –> 00:56:25,131 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:56:25,131 –> 00:56:29,151 [Martyna Linartas]
-in den Reformen. Das ist schon echt ein krasses Armutszeugnis für Deutschland.
00:56:29,151 –> 00:56:45,271 [Raul Krauthausen]
Ich bin sechs Jahre zur Grundschule gegangen, weil ich in Berlin, äh, aufgewachsen bin und ich fand es schon krass, nach der Sechsten entscheiden zu müssen. Äh, ich hatte das Glück, dass ich auf eine Gesamtschule kam, wo ich noch später mich entscheiden konnte, ob ich das Abitur mache oder nicht.
00:56:45,271 –> 00:56:45,291 [Martyna Linartas]
Mhm.
00:56:45,291 –> 00:56:51,551 [Raul Krauthausen]
Aber ich wäre nicht in der Lage gewesen, mit sechs so weit zu blicken, was das Beste für mich ist.
00:56:51,551 –> 00:56:55,671 [Martyna Linartas]
Ja. Und ganz häufig wird ja auch gar nicht den Kindern die Wahl überlassen.
00:56:55,671 –> 00:56:56,931 [Raul Krauthausen]
Ja, natürlich, genau, ja.
00:56:56,931 –> 00:57:01,311 [Martyna Linartas]
Sondern es wird dir einfach gesagt: „Hey, sorry, du hast es nicht auf dem Kasten. Hauptschule, bitte.“
00:57:01,311 –> 00:57:10,211 [Raul Krauthausen]
Inwieweit ist denn Inklusion ein Thema in deiner Arbeit? Du hast gerade gesagt, dass Behinderung ja auch ein Merkmal ist der Ungleichheit und Gerechtigkeit.
00:57:10,211 –> 00:57:11,711 [Martyna Linartas]
Mhm.
00:57:11,711 –> 00:57:24,531 [Martyna Linartas]
Ähm, tatsächlich nur am Rande. Und das ist jetzt auch nicht etwas, wo ich, äh, wo ich mit Stolz drauf blicke, sondern es ist einfach dem eher geschuldet, dass ich mich generell gar nicht mit den horizontalen Ungleichheiten befasse. Also ich forsche zum Beispiel auch gar nicht zu Gender-Fragen-
00:57:24,531 –> 00:57:24,911 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:57:24,911 –> 00:57:34,511 [Martyna Linartas]
-oder forsche auch nicht zum Thema Rassismus, sondern forsche vielmehr zu Fragen der vertikalen Ungleichheit, also nicht zu den horizontalen Ungleichheiten.
00:57:34,511 –> 00:57:36,771 [Raul Krauthausen]
Also Arm und Überreich.
00:57:36,771 –> 00:57:39,031 [Martyna Linartas]
Genau, Arm und Überreich, die Schere einfach.
00:57:39,031 –> 00:57:40,031 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:57:40,031 –> 00:57:57,911 [Martyna Linartas]
Und da unterscheidet man dann ganz häufig zwischen Einkommen und Vermögen und da gucke ich mir die besonders krasse Schere an, die von Vermögen. Das heißt aber, dass ich ehrlicherweise dann immer wieder, also wenn eine Studie rauskommt zu diesen horizontalen Ungleichheiten und die wird mir reingespült in meinen morgendlichen Alert: „Was kommt Neues zur Ungleichheit?“ Dann lese ich das auch.
00:57:57,911 –> 00:57:58,411 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:57:58,411 –> 00:58:04,311 [Martyna Linartas]
Aber es ist nicht etwas, wo ich jetzt mich dezidiert mit befasse oder Forschungsfragen zu beantworten versuche.
00:58:04,311 –> 00:58:11,311 [Raul Krauthausen]
Wenn du jetzt eine Forschungsfrage hättest, was wäre eine in dem Bereich, die du, die man sich stellen könnte?
00:58:11,311 –> 00:58:26,011 [Martyna Linartas]
Mich würde, ähm, mich würde mal interessieren, beziehungsweise, ich glaube, was, was, was ich noch nicht so ganz verstanden habe und wozu es, glaube ich, auch ganz, ganz wenig Forschung gibt, ist überhaupt die Chancen auf dem Arbeitsmarkt von Menschen auch mit Behinderungen-
00:58:26,011 –> 00:58:26,051 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:58:26,051 –> 00:58:30,871 [Martyna Linartas]
-diese unfassbare Unterbezahlung. Also ich arbeite normalerweise zum Thema Vermögen.
00:58:30,871 –> 00:58:30,971 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:58:30,971 –> 00:58:44,171 [Martyna Linartas]
Auch das würde ich mir gerne anschauen oder auch das würde mich interessieren, was das schlussendlich eigentlich bedeutet. Weil ab und zu wird darüber gesprochen, unter was für unwürdigen Verhältnissen Menschen mit Behinderungen arbeiten müssen und dann halt einfach fast gar nichts verdienen.
00:58:44,171 –> 00:58:45,911 [Raul Krauthausen]
Genau, in Werkstätten. Genau.
00:58:45,911 –> 00:58:47,391 [Martyna Linartas]
Richtig. Kleckerbeträge.
00:58:47,391 –> 00:58:47,591 [Raul Krauthausen]
Ja.
00:58:47,591 –> 00:58:54,371 [Martyna Linartas]
Also etwas, wo du auch einfach nicht von leben kannst und wo auch Menschen dann sagen: „Ich arbeite doch wirklich vierzig Stunden die Woche-
00:58:54,371 –> 00:58:54,511 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:58:54,511 –> 00:59:42,131 [Martyna Linartas]
-und trotzdem reicht es nicht mal für die Hälfte des Monats. Und ich kann gar nicht selbstständig und in Würde alleine, äh, arbeiten und leben, sondern ich bin weiterhin angewiesen. So und das ist ein absolutes Unding. Also da, äh, da noch weiter reinzugehen und sich da die Strukturen, die Prozesse anzuschauen, wie man das aufbrechen könnte und wie das Ganze legitimiert wird. Ich bin jemand, der sich sehr stark dafür interessiert, warum derartige, ähm, Strukturen und Prozesse überhaupt zustande kommen. Also wie wird so etwas im politischen Betrieb überhaupt legitimiert? Wann, warum sagen Politiker dann: „Ja, ist okay so.“ [Lachen] Oder warum bräuchte es eine Veränderung? Mit welchen Gerechtigkeits, ähm, -prinzipien beispielsweise könnte man auf die Dinge blicken und müsste das durchdringen? Und was ich aber überhaupt noch niemals gesehen habe, ist Forschung zum Thema Vermögen.
00:59:42,131 –> 00:59:42,251 [Raul Krauthausen]
Mhm.
00:59:42,251 –> 01:00:03,111 [Martyna Linartas]
Also was macht das schlussendlich auch? Weil Vermögen ja sehr viel mehr bedeutet, nur als man kann sich irgendwas Schickes leisten, äh, in vielen Fällen. In der oberen Mittelschicht bedeutet Vermögen dann so etwas wie die eigene Immobilie. Aber wie viele Menschen eigentlich, ähm, können überhaupt in diese verschiedenen Klassenstufen auch reinkommen, können ein eigenes Vermögen aufbauen?
01:00:03,111 –> 01:00:04,411 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:00:04,411 –> 01:00:06,871 [Martyna Linartas]
Also da auch die Vermögensverteilung wird mich sehr interessieren.
01:00:06,871 –> 01:00:10,911 [Raul Krauthausen]
Also abgesehen davon, dass man Vermögen ja sowieso schwer aufbaut heutzutage-
01:00:10,911 –> 01:00:11,311 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:00:11,311 –> 01:00:31,899 [Raul Krauthausen]
-und das immer schwieriger wird, äh, kann ich das, was ich weiß, ich bin jetzt auch kein Wissenschaftler, aber warum es in Werkstätten so anders ist und so unfair bezahlt, das sind ja offiziell, ist ja offiziell keine Arbeit, sondern offiziell ist das Beschäftigung.Und wird eher unter so einem Rehabilitationsgedanken gesehen.
01:00:31,899 –> 01:00:31,919 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:00:31,919 –> 01:00:45,580 [Raul Krauthausen]
Dass es darum geht, Menschen zu befähigen, später mal, irgendwann vielleicht am allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten zu können. Und dann wird mit Qualifikationen geworben, aber diese Qualifikationen werden selten erworben.
01:00:45,580 –> 01:00:45,600 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:00:45,600 –> 01:00:55,740 [Raul Krauthausen]
Also, man ist dann eher beschäftigt, weil’s halt günstig und attraktiv ist, ähm, aber qualifiziert quasi wenig. Und das
01:00:55,740 –> 01:01:06,079 [Raul Krauthausen]
kann man auch ablesen an den– an der Durchlässigkeit. Also wie viele Menschen verlassen die Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt? Und das sind unter ein Prozent.
01:01:06,079 –> 01:01:07,599 [Martyna Linartas]
Das ist krass unter ein Prozent.
01:01:07,599 –> 01:01:13,199 [Raul Krauthausen]
Ja, und jede Arbeitsagentur würde man zumachen, wenn du ’nen Effekt von ein Prozent hättest.
01:01:13,199 –> 01:01:20,340 [Martyna Linartas]
Keine Frage. Weißt du denn auch, wie’s international aussieht? Also gibt es Länder, in denen das, ich sag mal, einfach gerechter zugeht?
01:01:20,340 –> 01:01:34,619 [Raul Krauthausen]
Also das ist jetzt Küchenrecherche [lacht], ja. Aber, äh, die, die, ähm– Es gibt Länder, wie zum Beispiel in Schweden, soweit ich weiß, äh, ist es so, dass, ähm, Arbeitgeber:innen verpflichtet sind, behinderte Menschen zu beschäftigen.
01:01:34,619 –> 01:01:34,959 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:01:34,959 –> 01:01:39,719 [Raul Krauthausen]
Und selbst jene, die offiziell nicht arbeitsfähig sind,
01:01:39,719 –> 01:01:43,119 [Raul Krauthausen]
ähm, unter dem Aspekt des Rechts auf Teilhabe-
01:01:43,119 –> 01:01:43,379 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:01:43,379 –> 01:01:51,759 [Raul Krauthausen]
-dann quasi der Staat die nicht, ähm, erbrachte Arbeitsleistung quasi dem Arbeitgeber zahlt.
01:01:51,759 –> 01:01:52,259 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:01:52,259 –> 01:01:55,459 [Raul Krauthausen]
Aber es geht einfach um Teilhabe.
01:01:55,459 –> 01:01:59,759 [Raul Krauthausen]
Und da müssen halt Arbeitgeber:innen dafür Strukturen schaffen,
01:01:59,759 –> 01:02:19,459 [Raul Krauthausen]
ähm, auch im Sinne der sozialen Verantwortung oder gesellschaftlichen Verantwortung. Ähm, in Deutschland gibt’s ja nur diese Fünf-Prozent-Regel, also dass Unternehmen ab zwanzig Mitarbeitern fünf Prozent ihrer Belegschaft mit behinderten Menschen besetzen müssen. Ähm, und da haben sie oft auch Probleme, überhaupt Bewerber:innen zu finden,
01:02:19,459 –> 01:02:29,059 [Raul Krauthausen]
ähm, entweder, weil sie nicht richtig suchen oder weil auch die Qualifikationen oft nicht ausgebildet werden. Also, ne? Ein bin ich–
01:02:29,059 –> 01:02:54,699 [Raul Krauthausen]
Es gibt gar nicht so viele Möglichkeiten, als behinderter Mensch überhaupt eine Ausbildung zu machen, wenn du kein Abitur hast, ähm, die dann auch barrierefrei ist, weil dann auch da keine Verpflichtung der Ausbildungsstätten existiert und so weiter. Und da landen viele oft in Werkstätten. Und, äh, das ist tatsächlich ’n Problem. Und je länger sie in diesen Einrichtungen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sie nicht verlassen.
01:02:54,699 –> 01:02:55,299 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:02:55,299 –> 01:03:24,899 [Raul Krauthausen]
Und das Krasse finde ich, ehrlich gesagt, dass rhetorisch in Deutschland, die ganze Zeit, dass immer unter dem sogenannten Schutzargument machen. Ne? Also wird gesagt: „Ja, dann sind sie unter sich und dann können sie in ihrem Tempo lernen, damit sie nicht überfordert sind und dann können sie untereinander austauschen mit ihren Problemen.“ Und das– Oder „Sind sie vor Mobbing geschützt oder Überforderung.“ Aber in Wirklichkeit schützen wir die ganze Zeit die Mehrheitsgesellschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
01:03:24,899 –> 01:03:26,079 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:03:26,079 –> 01:03:33,899 [Raul Krauthausen]
Und es geht gar nicht so sehr den Schutz der, ähm, der, der Menschen mit Behinderung.
01:03:33,899 –> 01:03:44,979 [Raul Krauthausen]
Und wenn ich eine Forschungsfrage hätte, dann wäre sie: „Wie groß ist eigentlich die Verstrickung von Politik und Wohlfahrtsverbänden?“
01:03:44,979 –> 01:03:55,839 [Raul Krauthausen]
Weil die Werkstätten werden betrieben von Wohlfahrtsverbänden, Diakonie, Caritas, Lebenshilfe und Co. Und in deren Vorständen sitzen Politiker:innen.
01:03:55,839 –> 01:03:59,379 [Raul Krauthausen]
Und jetzt am eigenen Ast zu sägen,
01:03:59,379 –> 01:04:00,739 [Raul Krauthausen]
ist gar nicht so einfach.
01:04:00,739 –> 01:04:02,879 [Martyna Linartas]
Hmm. Guter Punkt.
01:04:02,879 –> 01:04:07,559 [Raul Krauthausen]
Und zum Thema Vermögen kann ich aus meiner Erfahrung sagen,
01:04:07,559 –> 01:04:17,899 [Raul Krauthausen]
ich, äh, bekomme Assistenz morgens und abends, Menschen, die mir in meinem Alltag helfen. Ähm, das bezahlt das, äh, Sozialamt.
01:04:17,899 –> 01:04:36,459 [Raul Krauthausen]
Und sobald man ja den ersten Cent vom Sozialamt bekommt, ähm, ist man quasi auch an diese Regeln gekoppelt, die sie einem auferlegen, dass man kein Vermögen aufbauen darf bis zu ’ner bestimmten Grenze, dass man kein Ver– ähm, Einkommen überschreiten darf bis zu ’ner bestimmten Grenze.
01:04:36,459 –> 01:04:40,479 [Raul Krauthausen]
Und ich kann es quasi drehen und wenden, wie ich will.
01:04:40,479 –> 01:04:47,279 [Raul Krauthausen]
Ich würde in Altersarmut leben. Ich darf auch nicht erben, weil das dann auch Vermögen ist.
01:04:47,279 –> 01:04:48,599 [Martyna Linartas]
Nicht dein Ernst.
01:04:48,599 –> 01:05:07,879 [Raul Krauthausen]
Und, äh, da gibt es auch inzwischen, ja, und vorsichtige Untersuchungen, die sagen: „Alleine der Aufwand, den die Politik macht, um zu prüfen, ob da jemand zu viel Geld hat, ähm, zu viel Verdienen, zu viel Vermögen, was auch immer, äh, ist teurer als das, was sie finden.
01:05:07,879 –> 01:05:09,799 [Martyna Linartas]
Ey, ich kann das grad schwer fassen.
01:05:09,799 –> 01:05:46,219 [Raul Krauthausen]
Ja. [Elevator-Ping] [Elevator-Openen] Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und wirst, wenn du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos findest du auf im minus Aufzug Punkt de. Ende der Servicedurchsage. [Elevator-Ping] Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge. [Elevator fährt ab]
01:05:46,219 –> 01:05:56,579 [Martyna Linartas]
Was man man versucht oder was heißt, man versucht… Offensichtlicher erfolgreich werden dann also Men– Menschen mit Behinderung einfach generell in Armut gedrückt und können aus dieser Situation nicht raus, ja?
01:05:56,579 –> 01:06:02,259 [Raul Krauthausen]
Also Armut ist es jetzt– Ich bin– lebe nicht in Armut, aber ich arbeite halt auch sechzig Stunden. [lacht leise]
01:06:02,259 –> 01:06:06,799 [Martyna Linartas]
Okay, gut, aber ich meine, weil du gesagt hattest, ja gerade auch mit dem jeder weitere Euro, da würde dir direkt-
01:06:06,799 –> 01:06:07,499 [Raul Krauthausen]
Genau.
01:06:07,499 –> 01:06:23,759 [Martyna Linartas]
Also das darfst du dann ja auch nicht. Und in aller Regel, ich mein, du bist jetzt auch ’ne Ausnahmeerscheinung, ne? Wenn du sagst, du arbeitest sechzig Stunden und du bist auch bekannt und du schreibst Bücher und so weiter und so fort. Aber wenn jetzt Menschen ganz normal in den, also „ganz normal“, in den Werkstätten arbeiten, dann reicht das ja nicht, um alleine über die Runden zu kommen. Das heißt-
01:06:23,759 –> 01:06:28,379 [Raul Krauthausen]
Also ich zahle jetzt tausendzweihundert Euro im Monat an das Amt zurück-
01:06:29,043 –> 01:06:29,163 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:06:29,163 –> 01:06:35,763 [Raul Krauthausen]
Als Anteil für die Assistenz, die das Amt mir bezahlt. Und das Geld muss ich auch erst mal erarbeiten.
01:06:35,763 –> 01:06:36,924 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:06:36,924 –> 01:06:47,443 [Raul Krauthausen]
Und das sind tausendzweihundert Euro, die du nicht bezahlen musst, für die gleiche Zeit, die du verbringst mit Arbeit. Also das jetzt kann man schwer vergleichen, aber-
01:06:47,443 –> 01:06:47,763 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:06:47,763 –> 01:06:54,243 [Raul Krauthausen]
-du verstehst, was ich meine. Und der Mehrheitsgesellschaft erzählen wir, das ist alles so teuer.
01:06:54,243 –> 01:07:03,244 [Raul Krauthausen]
Ähm, aber es ist ja genauso teuer, wenn ich nur RTL2 gucken würde. Also sie sollen ja froh sein, dass ich arbeite, weil dann zahle ich Steuern, was auch immer.
01:07:03,244 –> 01:07:07,243 [Martyna Linartas]
[lacht] Sollen sie, ja.
01:07:07,243 –> 01:07:15,503 [Martyna Linartas]
Weißt du, kennst du denn zufälligerweise auch den, den Anteil von Menschen mit Behinderung, die dann in Armut leben oder under– unter der Armutsgrenze sind?
01:07:15,503 –> 01:07:33,563 [Raul Krauthausen]
Also, nee, da kenne ich jetzt keine Zahlen, aber es ist ja auch nicht so, dass jeder arbeiten kann oder arbeitet überhaupt Arbeit findet. Ähm, die, also, ich kenne Leute, die schreiben hunderte Bewerbungen und werden noch nicht mal zum Bewerbungsgespräch eingeladen, was auch schon Diskriminierung ist.
01:07:33,563 –> 01:07:36,903 [Raul Krauthausen]
Ähm, ja, das ist ja auf jeden Fall noch viel zu tun.
01:07:36,903 –> 01:07:40,783 [Martyna Linartas]
Ja, umso wichtiger ist deine Arbeit. [lacht]
01:07:40,783 –> 01:07:43,843 [Raul Krauthausen]
Danke, das wollte ich jetzt nicht unbedingt hören wissen, aber danke.
01:07:43,843 –> 01:07:47,123 [Martyna Linartas]
Aber ich wollts unbedingt sagen. [lacht]
01:07:47,123 –> 01:08:08,863 [Raul Krauthausen]
Was mich zu der Frage führt, ob dieses, diese Austeritätspolitik, also dass uns ständig gesagt wird, wir müssen sparen, äh, das können wir uns nicht leisten, wir müssen den Gürtel enger schnallen und so. Das ist doch die gleiche Erzählung, wie wir sie seit zweitausendeins hören, die Angst vor Terror. Also ist quasi Austeritätspolitik nicht auch Terror?
01:08:08,863 –> 01:08:09,103 [Martyna Linartas]
Voll.
01:08:09,103 –> 01:08:10,523 [Raul Krauthausen]
Das ist meine These.
01:08:10,523 –> 01:08:12,883 [Martyna Linartas]
Austeritätspolitik ist Terror.
01:08:12,883 –> 01:08:25,843 [Raul Krauthausen]
Weil, das wird ja niemals die Kanzlerin oder der Bundespräsident auf dem Balkon schreiten und sagen: „Okay, Ende mit der Austeritätspolitik.“ Es wird auch niemals jemand sagen, Innenminister und Co. und sagen: „Ende mit Terror.“
01:08:25,843 –> 01:08:42,323 [Martyna Linartas]
Mhm, also lass es uns mal so sagen: Aktuell definitiv nicht. Und in den kommenden Jahren erwarte ich es auch nicht. Aber was ich definitiv gelernt habe aus der Analyse der Geschichte, ist, dass es darauf ankommt, was für ein Wirtschaftsparadigma du hast. Und wir hatten auch schon andere Wirtschaftsparadigmen.
01:08:42,323 –> 01:08:44,923 [Raul Krauthausen]
Du merkst jetzt, welches Theaterstück gerade aufgeführt wird?
01:08:44,923 –> 01:09:53,483 [Martyna Linartas]
Yes, genau das. In meinem Buch schreibe ich ja, spreche ich ja von den verschiedenen Theaterstücken. Also ich verwende ja die Allegorie des Theaters, um zu erklären, wie so ein Wirtschaftsparadigma funktioniert. Ähm, vielleicht dazu mal ganz kurz: Das aktuelle Theaterstück heißt Neoliberalismus und im Neoliberalismus haben wir die Austerität. Wir sagen, jeder ist seines Glückes Schmied. Das heißt, wir brauchen keinen Staat, denn jeder muss ja für sich selber sorgen. Entsprechend brauchen wir auch keine Steuern, die sollen möglichst runtergeschraubt werden. Ne, und wenn man keine Steuereinnahmen hat, dann muss der Staat auch einfach sparen, sparen, sparen. So, und der Bösewicht sind eben diese Steuern, vor allem Steuern auf Reiche und auf Unternehmen. Wir hatten aber vor diesem Theaterstück, ähm, nicht eins mit „Steuern sind Bösewicht und der Hauptakteur ist der freie Markt“, sondern „Steuern sind gut und wichtig und der starke Staat ist der Hauptakteur.“ Und da, mit Keynes gesprochen, weil das Theaterstück davor hieß Keynesianismus, hieß es: Alles, was wir tun können, können wir uns auch leisten. Und da war nicht Austeritätspolitik entscheidend, sondern man hat gesagt, man muss auch durchaus als Staat interventionistisch agieren, also mal eingreifen, mehr als nur die Spielregeln aufstellen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn wir-
01:09:53,483 –> 01:10:03,563 [Raul Krauthausen]
Es war diese Geschichte mit dem „Wir müssen Geld in Loch buddeln, zum Loch zu machen und wenn wir das Geld wieder brauchen, holen wir das da raus“, oder? Das hab ich in der Schule gelernt damals.
01:10:03,563 –> 01:10:05,263 [Martyna Linartas]
Das kenn ich nicht, das Bild. [lacht]
01:10:05,263 –> 01:10:12,103 [Raul Krauthausen]
Okay. [lacht] Also wenn’s der Wirtschaft gut geht, sollen wir das Geld in das Loch tun? Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, sollen wir es wieder rausholen.
01:10:12,103 –> 01:10:14,963 [Martyna Linartas]
Ah ja, antizyklisches Verhalten nennt man das.
01:10:14,963 –> 01:10:15,203 [Raul Krauthausen]
Ja, genau.
01:10:15,203 –> 01:11:04,523 [Martyna Linartas]
Genau, also wenn– Genau, genau das ist es. So, ähm, wenn’s uns nicht gut geht, Geld raus. Wenn’s uns gut geht, sparen wir das mal ’n bisschen an, packen’s auf die hohe Kante, so. Das ist antizyklisch. Und, ähm, von daher bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass wir auch wieder solche Zeiten erleben werden, weil der Neoliberalismus gefälligst auf den Scheiterhaufen der Geschichte gehört. Den finde ich richtig schlimm, richtig, richtig schlimm. Und, ähm, in dem ist es natürlich gang und gäbe zu sagen, wir müssen sparen, sparen, sparen. Das ist ja auch das, was wir aktuell sehen. Und wir sehen ja immer noch diese ganze neoliberale Kacke am Dampfen, ähm, zu der auch zum Beispiel dieser Mythos des Trickle-down zählt, dass man sagt, man muss das Unternehmen, man muss das Reichen besser machen, dann wird das irgendwann nicht nur oben an der Spitze mehr Wohlstand geben, sondern wird zum Rest der Gesellschaft runtersickern, was natürlich der reinste Bullshit ist. Aber okay, die Regierung glaubt daran-
01:11:04,523 –> 01:11:08,163 [Raul Krauthausen]
Das ist nicht deine Meinung, sondern das ist wissenschaftlich
01:11:08,163 –> 01:11:08,703 [Raul Krauthausen]
zahlreich mit arbeiten-
01:11:08,703 –> 01:11:17,503 [Martyna Linartas]
Das ist nicht meine Meinung. Genau. Das ist jetzt nicht, das ist jetzt– Ja, ich spreche nicht immer wie eine Wissenschaftlerin, aber das mache ich ganz bewusst nicht. [lacht]
01:11:17,503 –> 01:11:21,763 [Raul Krauthausen]
Ich wollte nur unterstreichen, dass das einfach wichtig ist, dass Trickle-down nicht funktioniert.
01:11:21,763 –> 01:11:55,823 [Martyna Linartas]
Es ist wissenschaftlicher, richtig. Es ist ’n wissenschaftlicher Konsens, wobei Konsens auch nicht bedeutet, dass alle ein und derselben Meinung sind. Wenn du einen Ökonom fragen würdest, der immer noch durch und durch neoliberal tickt, also jemanden, wie man in den Wirtschaftswissenschaften, spricht man dann von neoklassischer Theorie, das ist der Mainstream. Und wenn neoklassische Theorie übersetzt wird ins Politische, wird aus Neoklassik, wird dann Neoliberalismus. Und wenn du jetzt jemanden fragen würdest, wie zum Beispiel Lars Feld, die ehemalige rechte Hand von, ähm, unserem ehemaligen Finanzminister Christian Lindner,
01:11:55,823 –> 01:12:53,183 [Martyna Linartas]
dann würde der sagen: „Doch, doch, das stimmt schon, das passt.“ Und ich habe auch das Gefühl, dass leider nach wie vor die Bundesregierung durchaus auf Menschen hört, die immer noch diesen Punkt vertreten und sagen: „Nee, nee, das passt schon. Die Unternehmen, die müssen besser gestellt werden, die Reichen müssen besser gestellt werden.“ Andernfalls kannst du jemandem erklären, warum ein Finanzminister namens Klingbeil meint, irgendwie die Körperschaftsteuer senken zu müssen, was ne-Was eine Unternehmenssteuer ist und de facto nur dazu führt, dass mit Gießkanne die Unternehmen besser gestellt werden, aber wirtschaftlich Wachstum zu erwarten, ist da nicht. Selbst die OECD, also wirklich kein linker Verein, rügt die Bundesregierung für dieses Steuervorhaben und sagt: „Hey Leute, ihr seid ein Hochsteuerland für Einkommen, aber ein Niedrigsteuerland für Vermögen. Besser als die Unternehmenssteuer zu senken, wäre es, wenn ihr die Steuern auf Arbeitskommen senken würdet und das Ganze könnte gegenfinanziert werden durch Steuern auf Kapital. Das sagt die OECD,
01:12:53,183 –> 01:13:08,083 [Martyna Linartas]
also die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Kooperation. So, und die Bundesregierung, der ist das aber scheinbar ziemlich egal. Die macht einfach ihr altes Ding, macht immer wieder dasselbe, erwartet dabei andere Ergebnisse. Zitiere
01:13:08,083 –> 01:13:08,503 [Raul Krauthausen]
Aber ist das-
01:13:08,503 –> 01:13:10,044 [Martyna Linartas]
Einstein, nennt das Wahnsinn.
01:13:10,044 –> 01:13:18,563 [Raul Krauthausen]
Genau, aber ist das egal? Ist es denen wirklich egal? Oder ist es, [stammelt] ist es einfach träge, das System? Oder glauben die das wirklich?
01:13:18,563 –> 01:13:20,763 [Martyna Linartas]
Ich kann natürlich nicht in deren Köpfe blicken.
01:13:20,763 –> 01:13:21,383 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:13:21,383 –> 01:13:42,523 [Martyna Linartas]
Und ich kann dir auch nicht sagen, ob das jetzt ist, weil sie sich keines Besseren belehren lassen möchten, im Sinne von: Lesen Sie keine wissenschaftlichen Arbeiten oder haben Sie BeraterInnen, die aus einem Interesse heraus in diese Richtung agieren? Oder ist es, weil sie einfach diese Pfadabhängigkeiten haben,
01:13:42,523 –> 01:14:03,703 [Martyna Linartas]
kann ich dir nicht sagen. So, ich verstehe es nicht. Und das Krasse ist auch, wenn du dich umschaust, international verstehen das immer weniger. Und dann scheint es mittlerweile zunehmend zwei Lager zu geben. Einmal diejenigen, die sagen, wir müssen am Status quo festhalten uns festkrallen. Da haben wir so einen Backlash des Neoliberalismus, der wird noch mal wirklich richtig krass und groß gemacht-
01:14:03,703 –> 01:14:07,763 [Raul Krauthausen]
Nach dem Motto: Mach mir die Sintflut.
01:14:07,763 –> 01:14:21,443 [Martyna Linartas]
Jaaa, ich weiß jetzt nicht, ob das unbedingt, aber so im Sinne von: Na ja, der Neoliberalismus konnte ja auch noch nicht so gut funktionieren, weil so richtig entfesselt war der Markt ja noch nicht, ne? Der Staat hat sich immer noch zu sehr eingemischt und wir sind immer noch viel zu nett zu diesen ganzen faulen Arbeitslosen.
01:14:21,443 –> 01:14:21,943 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:14:21,943 –> 01:14:39,643 [Martyna Linartas]
Und zu all diesen Migranten, die auch an der Grenze einfach abgewiesen werden müssen. Und wenn wir die erst mal so richtig bluten lassen und die auch endlich mal wieder arbeiten und nicht mehr so faul sind. So, das ist ja das Sprech, den wir ganz, ganz viel hören, gerade von der Unionsseite. Und das ist auch das, was du drüben bei Donald Trump auch ganz, ganz stark vernimmst.
01:14:39,643 –> 01:14:41,843 [Raul Krauthausen]
Mhm. [übersprechen 00:02:06]
01:14:41,843 –> 01:14:43,143 [Raul Krauthausen]
Sorry. Erst du?
01:14:43,143 –> 01:14:43,943 [Martyna Linartas]
Nee, nee, ist okay.
01:14:43,943 –> 01:14:57,903 [Raul Krauthausen]
Ja, und auch das, was wir in Mexiko sehen, ne? Also in Mexiko hat man das ja weitestgehend alles aufgelöst und abgeschafft, die Unterstützung der Armen. Ähm, und das hat auch nicht zu mehr Gerechtigkeit geführt.
01:14:57,903 –> 01:16:29,523 [Martyna Linartas]
Also, wir hatten– Äh, Mexiko ist ein ganz spannender Fall, weil das eine Form des Retro-Neoliberalismus war über Jahrzehnte hinweg, äh, wo man quasi gesagt hat, man möchte… So ein bisschen hatten die das Phänomen [lacht leise] SPD, wie wir sie jetzt hier haben. Also, die glaubten irgendwie daran, dass wir möglichst niedrige Steuern haben sollten. Über Jahrzehnte hinweg hat Mexiko im lateinamerikanischen Vergleich die niedrigsten Steuerquoten gehabt, obwohl es aber eigentlich ein so ressourcenreiches Land ist und mit Nachbarn USA nebenan hätten die eigentlich noch viel, viel mehr Wirtschaftsleistung entfalten müssen, haben sie aber nicht so ganz hinbekommen. Und dann hatten wir aber jüngst, ähm, jetzt die Wiederwahl von oder die Wahl von Claudia Scheinbaum und davor von Amlo. Die beiden sind jetzt Vertreter von einer neuen Partei, die heißt Morena und die stehen jetzt für ein bisschen einen anderen Kurs. Und die haben es geschafft, mehr Geld da reinzustecken, tatsächlich auch in Menschen in Armut und die Arbeits– äh, die Armutszahlen ein bisschen nach oben zu bekommen und generell ein bisschen mehr Gerechtigkeit in dem Sinne zu etablieren, dass wenn du in der Breite der Gesellschaft nachfragst, von Menschen, denen es nicht ganz so gut geht, die sind begeistert von dieser neuen Partei, die sich neu gegründet hat. Aber trotzdem, gerade Amlo, also der erste Präsident von dieser Partei Morena, war immer noch ein Freund der Wirtschaftselite. Also der hat es immer noch nicht geschafft und auch nicht gesagt und glaubt, dass man die Reichen besonders besteuern müsste, sondern er hat davon gesprochen, dass man Steuerschlupflöcher schließen muss
01:16:29,523 –> 01:16:42,163 [Martyna Linartas]
und, ähm, Korruption bekämpfen muss und so weiter und so fort. Also er hat nicht so einen richtigen Paradigmenwechsel nach vorne geschoben. Trotzdem hat sich aber einiges, gerade für Menschen in Armut und in der Mitte der Gesellschaft, verbessert in den letzten Jahren.
01:16:42,163 –> 01:17:05,563 [Raul Krauthausen]
Okay, das heißt, man kann ja da jetzt beobachten, was man davon lernen kann. Hier wird auch gerne davon gesprochen, Steuerschlupflöcher zu schließen, aber Cum-Ex und Kum-Cum, Ex und wie die alle heißen, scheint ja auch nicht wirklich so zu passieren, äh, dass man dagegen, äh, ähm, steuert. Dass ich inzwischen auch schon von Absicht ausgehen würde.
01:17:05,563 –> 01:17:39,543 [Martyna Linartas]
Du, ich bin doch manchmal so wirklich am Rande der Verzweiflung, wenn ich mir so was anschaue [übersprechen] und ich check’s auch einfach nicht. Also ich frag mich wirklich, was passiert bei Menschen, die für sich beanspruchen und meinen, sozialdemokratisches Herz an der Brust zu tragen, wie zum Beispiel eine Bärbel Bas, die dann aber von mafiösen Strukturen bei Menschen im Bürgergeld spricht. Während zugleich ein Tausendfaches oder bis zu Zweitausendfaches an Steuerbetrug an der Spitze passiert eben durch, genau wie du sagst, Cum-Ex, Kum-Kum und so weiter. Und dann nicht im kleinen Millionenbereich, sondern im Milliardenbereich.
01:17:39,543 –> 01:17:40,463 [Raul Krauthausen]
Genau.
01:17:40,463 –> 01:18:09,503 [Martyna Linartas]
So, und das ist etwas, was mich absolut aufregt und wo ich auch einfach nicht verstehe, warum denn bitte schön eine Sozialdemokratie, die von sich beansprucht und die ja auch im Kern und in ihrer Identität, in ihrer DNA für die Arbeitnehmer stehen sollte, für deren Interessen, für wirklich die Mitte der Gesellschaft und nicht für die Arbeitgeberseite und für die Reichsten, die auch noch den Staat um krasse Milliardenbeträge prellen, dann davon spricht, dass man irgendwie noch schön die Arbeitslosen weiter ächten müsste und weiter nach unten tritt. I don’t get it. Echt nicht.
01:18:09,503 –> 01:18:27,223 [Raul Krauthausen]
Und das hat, äh, mich an eine, ähm, Aussage erinnert, die ich vor einigen Jahren mal von einer ARD-Tagesschau-Korrespondentin gehört habe, die zu mir sagte: Ähm, „Immer wenn PolitikerInnen von der Entlastung von niedrigen und mittleren Einkommen sprechen, dann meinen sie nie BürgergeldempfängerInnen“.
01:18:28,351 –> 01:18:28,371 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:18:28,371 –> 01:18:49,631 [Raul Krauthausen]
Ähm, weil die zahlen schon gar keine Steuern mehr. Äh, das heißt, wenn Poli, wenn Politikerinnen wirklich an sozialer Gerechtigkeit arbeiten würden, dann würden sie über Transferleistungen reden und nicht über Entlastung von niedrigen und mittleren Einkommen. Weil, und da schließt sich der Kreis zu dem, was du vorhin gesagt hast,
01:18:49,631 –> 01:18:57,831 [Raul Krauthausen]
das, äh, Niedermachen von BürgergeldempfängerInnen entwertet ja auch die ArbeiterInnen-
01:18:57,831 –> 01:18:58,012 [Martyna Linartas]
Ja.
01:18:58,012 –> 01:19:00,092 [Raul Krauthausen]
-die Angst vor dem Abstieg haben.
01:19:00,092 –> 01:19:00,872 [Martyna Linartas]
So sieht’s aus.
01:19:00,872 –> 01:19:05,552 [Raul Krauthausen]
Und dass, dass der Untergang der SPD bedeutet, wenn die so weitermachen.
01:19:05,552 –> 01:19:16,431 [Martyna Linartas]
Mensch Raoul, ey, ich sitze gerade an einem Essay, wo ich genau das alles so beschreibe. [Lachen] Du kannst nicht für die ArbeiterInnen einstehen und zugleich arbeitslose echten-
01:19:16,431 –> 01:19:16,512 [Raul Krauthausen]
Ja.
01:19:16,512 –> 01:19:28,651 [Martyna Linartas]
-oder Menschen eben in Bürgergeld. Das kannst du nicht. Du schneidest dir am Ende ins eigene Fleisch, weil das nämlich die, ähm, die, die Verhandlungsposition, die Verhandlungsmacht von ArbeiterInnen generell komplett schwächt.
01:19:28,651 –> 01:19:29,111 [Raul Krauthausen]
Natürlich.
01:19:29,111 –> 01:19:52,211 [Martyna Linartas]
Die sind einfach viel eher bereit, dann alles zu machen, was der Arbeitgeber sagt und eben nicht einzustehen für eigene Rechte oder nicht einzustehen für Lohnerhöhungen, die es unbedingt bräuchte, gerade in unteren Segmenten, weil sie einfach Angst haben, dass sobald sie abrutschen, dann wirklich ein riesengroßes Problem haben. So, das heißt, es ist nicht zu verstehen. Und es ist wirklich auch das, wo ich sage, so macht sich die SPD final obsolet.
01:19:52,211 –> 01:19:54,931 [Raul Krauthausen]
Und deswegen müssen wir über Transferleistungen reden.
01:19:54,931 –> 01:20:04,591 [Martyna Linartas]
Aber du hast gerade gemeint und das, ähm, da würd ich– Also ich hab, ich würd bei vielem mitgehen, was der ARD-Korrespondentin gesagt hat, aber ich würde nicht sagen, dass Bürgergeldempfänger keine Steuern zahlen. Das tun sie durchaus-
01:20:04,591 –> 01:20:07,691 [Raul Krauthausen]
Ja, genau, ähm, Mehrwertsteuer. Ja, genau, ja, das stimmt. Aber-
01:20:07,691 –> 01:20:18,871 [Martyna Linartas]
Das heißt, wenn du eigentlich Menschen in Armut entlasten wollen würdest oder besser stellen wollen würdest, ich versuche das Wort Last nicht in Zusammenhang mit Steuern zu verwenden, dann, ähm, würdest du die Mehrwertsteuer senken.
01:20:18,871 –> 01:20:18,891 [Raul Krauthausen]
Das stimmt.
01:20:18,891 –> 01:20:28,111 [Martyna Linartas]
Und das tun andere Länder, zum Beispiel. Spanien hat das in der Corona-Krise gemacht, wir auch. Ja, auch für eine kurze Zeit allerdings. In Mexiko ist die Steuer auf Lebensmittel zum Beispiel bei null Prozent-
01:20:28,111 –> 01:20:28,291 [Raul Krauthausen]
Ja.
01:20:28,291 –> 01:20:36,471 [Martyna Linartas]
-weil man einfach sagt, so auf diese Kosten, die sich vor allem durch die Portemonnaies von Menschen in Armut fressen, erheben wir jetzt keine Steuern, wollen keine generieren.
01:20:36,471 –> 01:20:49,811 [Raul Krauthausen]
Genau, aber wenn jetzt die Parteien, also alle, äh, außer vielleicht die Linke, von niedrigen mittleren Einkommen sprechen, die sie entlasten wollen, dann geht es ja oft um Freibeträge und so. Und die können wir– Das sind ja dann keine Mehrwertsteuerentlastungen.
01:20:49,811 –> 01:21:01,331 [Martyna Linartas]
Nee, äh, Mehrwertsteuerentlastungen nicht, sondern dann geht es wirklich darum, und das– Aber es ist ja auch ein wichtiger Punkt, ne? Also wenn du sagst, zum Beispiel, auch ein sehr, sehr wichtiger Aspekt, ich finde auch, dass die Einkommenssteuer viel zu früh losgeht.
01:21:01,331 –> 01:21:01,551 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:21:01,551 –> 01:21:12,911 [Martyna Linartas]
Deswegen haben wir ja auch so viele Aufstocker in den Zuzuland, ne? Also Menschen, die einer Arbeit nachgehen und trotzdem aufstocken müssen, weil einfach schon viel zu früh die Steuern loslegen und das dann halt nicht reicht, über die Runden zu kommen.
01:21:12,911 –> 01:21:15,591 [Raul Krauthausen]
Genau, bei Aufstockung ist eine Transferleistung-
01:21:15,591 –> 01:21:15,931 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:21:15,931 –> 01:21:19,611 [Raul Krauthausen]
-ähm, aber über die wird nicht gesprochen.
01:21:19,611 –> 01:21:22,631 [Martyna Linartas]
Richtig. Über Aufstockerinnen wird kaum gesprochen-
01:21:22,631 –> 01:21:22,811 [Raul Krauthausen]
Genau.
01:21:22,811 –> 01:21:24,431 [Martyna Linartas]
-weil das passt ja auch nicht zum Narrativ-
01:21:24,431 –> 01:21:25,371 [Raul Krauthausen]
Genau, genau.
01:21:25,371 –> 01:21:41,911 [Martyna Linartas]
-dass die Menschen an Armut faul sind. Und über die Rentiers wird nicht gesprochen. Mhm. Also über die Menschen, die gar nicht arbeiten müssen für deren eigenes Einkommen, wo nämlich das Größte, ähm, an Einkommen dadurch einfach erzielt wird, dass sie viele Vermögen, viel Vermögen angehäuft haben, was dann viel Rendite abwirft.
01:21:41,911 –> 01:22:05,871 [Raul Krauthausen]
Jetzt hast du gerade gesagt, dass der Trickle-Down-Effekt nicht funktioniert, weil einfach, ähm, die Idee dahinter ist ja, man, man investiert, äh, in die Großen, in die Reichen, in der Hoffnung, dass sie dann auch wieder mehr investieren, äh, und dann Arbeitsplätze schaffen. Dann wird, werden so Versprechungen gemacht wie, Berliner Flughafen schafft zehntausend Arbeitsplätze und dann sind es aber alles prekäre Arbeitsplätze.
01:22:05,871 –> 01:22:17,871 [Raul Krauthausen]
Oder jetzt irgendwie, in, in Dortmund hat man, äh, europäische, äh, Zentralbankbüro aufgemacht. Man hat auch tausende Arbeitsplätze versprochen und das sind aber alles keine Deutschen, weil,
01:22:17,871 –> 01:22:32,491 [Raul Krauthausen]
oder keine Dortmunder zumindest. Ähm, so, und das heißt, es funktioniert nicht, so wie wir uns das vorstellen. Ähm, und das ist das, was, äh, äh, die, die Kritik an der Sache ist. Ähm,
01:22:32,491 –> 01:22:33,831 [Raul Krauthausen]
und was ich-
01:22:33,831 –> 01:22:34,571 [Martyna Linartas]
Nicht nur das.
01:22:34,571 –> 01:22:35,091 [Raul Krauthausen]
Was noch?
01:22:35,091 –> 01:22:55,131 [Martyna Linartas]
Es kommt, es kommt noch hinzu, wenn du darüber nachdenkst, das hat man sich angeschaut für ganz große Unternehmen, also jetzt nicht für kleine und mittelständische, sondern für die Großen. Die werden die Mehreinnahmen, die, die bleiben, weil man eben nicht so viel an Steuern abdrücken muss, werden gar nicht irgendwie neu investiert in neue Arbeitsplätze, die dann prekär sind, sondern in Teilen einfach ausgeschüttet über Dividenden zum Beispiel.
01:22:55,131 –> 01:22:56,431 [Raul Krauthausen]
Mhm. Genau.
01:22:56,431 –> 01:22:56,931 [Martyna Linartas]
Das ist auch noch ein wichtiger Punkt.
01:22:56,931 –> 01:22:59,791 [Raul Krauthausen]
An die Aktionäre, Aktionärinnen.
01:22:59,791 –> 01:23:00,111 [Martyna Linartas]
Ja.
01:23:00,111 –> 01:23:02,171 [Raul Krauthausen]
Das heißt,
01:23:02,171 –> 01:23:13,251 [Raul Krauthausen]
und das war, ich hab witzigerweise neulich mit Aladin el-Mafalani auf’n Kaffee getroffen [Schmunzeln] und, ähm, er meinte dann, dass das Krasse ist ja, dass, ähm,
01:23:13,251 –> 01:23:15,451 [Raul Krauthausen]
der, der,
01:23:15,451 –> 01:23:24,751 [Raul Krauthausen]
äh, der Hauptprofiteur, die Hauptprofuteurin vom sogenannten Wohlfahrtsstaat sind ja schon die Superreichen oder die Überreichen-
01:23:24,751 –> 01:23:24,771 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:23:24,771 –> 01:23:47,771 [Raul Krauthausen]
-weil die ja oft dann auch in Ländern leben, in der sie sich keine Privatarmee leisten wollen, um ihr Vermögen zu schützen. Das heißt, sie leben dann eben in den Ländern, in denen es ihnen gut geht, äh, in denen bestimmte Grundstrukturen existieren, wie, keine Ahnung, Justiz, Recht, Polizei, Bildung. Ähm,
01:23:47,771 –> 01:23:50,551 [Raul Krauthausen]
und die quasi doppelt profitieren.
01:23:50,551 –> 01:23:57,011 [Raul Krauthausen]
Sie profitieren einmal durch die steuerliche Entlastung und sie profitieren dadurch, dass, ähm, Grund–
01:23:57,011 –> 01:24:04,251 [Raul Krauthausen]
also Grundstruktur existiert, ähm, damit die untere Schicht nicht aufbegehrt. Und jetzt mal ganz hart zu formulieren.
01:24:04,251 –> 01:24:16,911 [Martyna Linartas]
Jo. Äh, und das ist auch etwas, was zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts viel mehr thematisiert wurde, wo man auch nicht davon gesprochen hat, dass die größten Nutznießer von einem Wohlfahrtsstaat die Menschen in Armut sind, die dann plötzlich so ein Sicherheitsnetz kriegen sollten damals-
01:24:16,911 –> 01:24:17,091 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:24:17,091 –> 01:24:50,911 [Martyna Linartas]
-sondern es sind vor allem, das hat August von Bebel damals sehr stark immer wieder gemacht, also auch von der SPD, äh, der auch gesagt hat, die größten Nutznießer sind die reichsten Menschen. Deren Vermögen wird am meisten geschützt. Plus, was ja auch hinzukommt, je reicher du bist, desto mehr besteht dein Vermögen aus Betriebsvermögen.Mhm. Und Betriebsvermögen bedeutet, dass da viele Menschen im Betrieb arbeiten müssen. Und diese vielen Menschen, die brauchen ein funktionierendes Gesundheitssystem, um überhaupt fit zu sein, zur Arbeit zu kommen. Wir brauchen gute Bildung und du willst ja auch kluge Köpfe in deinem Betrieb haben, möglichst viel Innovation zu bringen und auch wirklich gut auch arbeiten zu können.
01:24:50,911 –> 01:25:14,331 [Martyna Linartas]
Und du brauchst auch die Infrastruktur, alles das, was Du produzierst, auch von A nach B transportieren zu können. Und all diese Aspekte, die findest Du vor allem in Wohlfahrtsstaaten. In Wohlfahrtsstaaten, die sich vor allem dadurch finanzieren, dass sie hohe Steuern erheben. Das heißt, die allergrößten Nutznießer von einem starken Wohlfahrtsstaat, auch mit hohen Steuern, sind besonders vermögende Menschen, die vor allem Betriebsvermögen halten.
01:25:14,331 –> 01:25:14,991 [Raul Krauthausen]
Weil immer dann
01:25:14,991 –> 01:25:16,452 [Martyna Linartas]
Das scheinen auch viele vergessen zu haben.
01:25:16,452 –> 01:25:21,571 [Raul Krauthausen]
Genau, weil wenn immer dann, wenn vom schlanken Staat die Rede ist, dann
01:25:21,571 –> 01:25:28,331 [Raul Krauthausen]
meinen sie ja oft Kürzungen von Sozialleistungen und so weiter und so fort.
01:25:28,331 –> 01:25:47,471 [Raul Krauthausen]
Und wenn man das bis zum Ende durchspielen würde, dann bräuchte man irgendwann eine eigene Polizei, die man sich privat leistet oder Ja. Und und deswegen funktioniert diese Logik ja auch gar nicht. Und das, ich versteh nicht, ja okay, aber jetzt komm ich in sonen Rant Modus.
01:25:47,471 –> 01:25:57,611 [Martyna Linartas]
Na, aber ist ja ein guter Punkt. Das ist ja auch etwas, worüber ich sehr gern mit meinem Onkel in Mexiko diskutiert hab. Weil Du ja in Mexiko beispielsweise, Du hast die gleiche Ungleichheit, aber Du hast eine größere Armut.
01:25:57,611 –> 01:25:58,171 [Raul Krauthausen]
Genau.
01:25:58,171 –> 01:27:22,591 [Martyna Linartas]
Also das Lebensniveau generell ist niedriger in Mexiko. Das bedeutet, dass Menschen, die sehr reich sind, sich auch abschotten müssen in Gated Communities. Genau. Und da hast Du einen Wachposten. Genau. Und Du traust dich nicht alleine auf die Straße, sondern Du lässt deine Kinder von Chauffeuren zu Privatschulen schicken und begleiten bis zur Klasse. Genau. Und jedes Mal, wenn Du zum Arzt gehst, musst Du dein Portemonnaie zücken und aus eigener Tasche zahlen. Also am Ende des Monats haben die Menschen gar nicht mehr in der Tasche, auch wenn sie niedrigere Einkommenssteuern oder keine Vermögenssteuern zahlen, weil sie ja so viele andere Dinge bezahlen müssen, wie zum Beispiel die Sicherheitsleute oder wie zum Beispiel die Privatschulen und die Chauffure und so weiter und so fort. Und das ist auch etwas, wo ich sagen muss, da fällt es mir schwer nachzuvollziehen, warum denn auch nicht Vermögende generell für mehr Steuern plädieren. Und einige wenige haben das auch getan. Ich hab ja auch mit einigen Akteuren aus der Wirtschaftselite gesprochen, die von sich aus auf diesen Gedanken auch gekommen sind Mhm. Im Lauf unseres Gesprächs. Mit einem hab ich darüber geredet, der hat das von sich aus direkt gesagt so, ich bin ja auch ’n Nutznießer und ich will ja auch, dass es so bleibt. Deswegen, ich bin ein Fan davon und ich würde auch gerne mehr Steuern zahlen. Und andere haben so im Laufe unseres Gesprächs dann auch mit mir gemeinsam herausentwickelt, ah ja, stimmt, eigentlich gar nicht mal so verkehrt. Weil am Ende des Tages sind ja auch die meisten Millionäre und Milliardäre der Welt dort, wo die besten Wohlfahrtsstaaten, die beste Infrastruktur, die besten Bildungswesen und die besten Gesundheitswesen ausgebaut wurden, und zwar durch Steuern.
01:27:22,591 –> 01:27:39,891 [Raul Krauthausen]
Genau. Und jetzt ist ja ein eine deiner Hauptthemen quasi, wie kann der Staat Geld einnehmen durch Steuern, Abschlagsteuer, Vermögenssteuer, Körperschaftsteuer und so weiter und so fort. Aber es gibt ja noch die Kehrseite des Einnehmens, nämlich das Ausgeben.
01:27:39,891 –> 01:27:40,431 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:27:40,431 –> 01:27:42,331 [Raul Krauthausen]
Und
01:27:42,331 –> 01:27:55,971 [Raul Krauthausen]
was ich mich immer frage, es gibt ja die sogenannten versunkenen Kosten. Also wenn wenn wenn wenn die Regierung beschließt, wir wir erhöhen jetzt irgendwie Bürgergeld Bürgergeld um vierzig Cent
01:27:55,971 –> 01:28:01,331 [Raul Krauthausen]
pro, also pro Stunde, dann
01:28:01,331 –> 01:28:14,271 [Raul Krauthausen]
dann ist es doch am Ende für die EmpfängerInnen wahrscheinlich ’n schlechter Witz. Dass sie dann das Gefühl haben, ja okay, also Inflation gleicht das noch nicht mal aus und so weiter und so fort.
01:28:14,271 –> 01:28:17,751 [Raul Krauthausen]
Es kostet den Staat unfassbar viel Geld,
01:28:17,751 –> 01:28:30,571 [Raul Krauthausen]
vierzig Cent pro Stunde alle Bürgergeldempfänger innen auszuzahlen und am Ende ist niemandem geholfen. Mhm. Also niemandem im Sinne von nicht so, wie’s eigentlich versprochen ist. Und
01:28:30,571 –> 01:28:34,691 [Raul Krauthausen]
diese versunkenen Kosten, die werden ja immer höher,
01:28:34,691 –> 01:28:38,691 [Raul Krauthausen]
je länger wir an der Armut nichts lösen.
01:28:38,691 –> 01:28:44,651 [Raul Krauthausen]
Die Seien sagen, es ist nie so günstig, jetzt das Armutsproblem anzugehen
01:28:44,651 –> 01:28:47,311 [Raul Krauthausen]
als morgen.
01:28:47,311 –> 01:28:48,971 [Martyna Linartas]
Ja.
01:28:48,971 –> 01:30:07,191 [Martyna Linartas]
Das ist einfach so. Es ist auch genau das, wo ja auch sehr viele Menschen sagen, es ist niemandem mit gesunden Menschenverstand zu erklären, warum wir überhaupt zum Beispiel solche eine Schuldenbremse haben. Ne, wo wir einfach nicht investieren können, weil wir auch bloß nicht in die roten Zahlen gehen dürfen. Und auch generell Wie so eine Religion? Es ist dann eine Quasi Religion. Es ist eine Quasi Sakralisierung von den von den Kernelementen einer Ideologie. Und das ist auch das, wo ich zu Anfang des Gesprächs gesagt habe, irgendwann lernt man einfach, dass es gar nicht ideologiefrei geht, sondern muss sich aber nur klarmachen, welche Ideologie wird dann von wem jetzt eigentlich hier betrieben? So, wer wer sagt Amen zu was? Mhm. Und sehr viele Menschen sagen Amen zu einem schwachen Staat. Der freie Markt soll bloß machen, unsichtbare Hand des Marktes wird es schon regeln. Und das ist dann kurzfristig gedacht vielleicht aus ’ner BWL Perspektive. Also wenn es nur den eigenen Betrieb geht, vielleicht kurzfristig fein, weil Du dann weniger Steuern zahlst und dann kannst Du mehr Dividenden ausschütten und dann kannst Du, keine Ahnung, irgendwie halt deine deine Ausgaben wären einfach gesenkt, aber mittel- und langfristig gesehen muss man da in eine Balance kommen. Und ich red jetzt nicht davon, dass dann da irgendwie, keine Ahnung, [kichern] ich würd jetzt auch nicht sagen, dass es konfiskatorisch werden muss oder so, also jetzt in Fragen der Steuerpolitik.
01:30:07,191 –> 01:30:13,491 [Martyna Linartas]
Aber es ergibt einfach keinen Sinn. Wenn man weiß, man hat so große Investitionsbedarfe in so vielen Bereichen
01:30:13,491 –> 01:30:15,091 [Raul Krauthausen]
Alles Ausgaben.
01:30:15,091 –> 01:30:56,583 [Martyna Linartas]
Alles Ausgaben, die ja bei Investitionen sind. Mhm. Investitionen in einen morgen, Investitionen in eine Zukunft. Wir bräuchten so große, gigantische Investitionen, eine sozialökologische Transformation, in eine Digitalisierung, in die Infrastruktur, in öffentlichen Nahverkehr, in eine bessere Energieversorgung, erneuerbare Energien und so weiter und so fort. Und mittel- und langfristig würden wir davonVolle Kanne profitieren und könnten dadurch auch ganz viele neue Arbeitsplätze schaffen und würden auch Hoffnung in der Bevölkerung auch wirklich freisetzen. Und die Menschen hätten auch wieder Bock überhaupt. So, aber anstatt das zu machen, sagen wir lieber sparen, sparen, sparen [lachen] und die Menschen, die arm sind, die sind alle nur faul und die Migranten sind das wahre Problem. Das ist so!
01:30:56,583 –> 01:30:58,343 [Martyna Linartas]
Why? Warum? Warum?
01:30:58,343 –> 01:31:11,483 [Raul Krauthausen]
Mhm, [übersprechen 00:00:23] finde ich deswegen so interessant, weil ähm mir jetzt neulich zu Ohren gekommen ist, dass jetzt mit den mit den Sondervermögen, die jetzt zum zweiten Mal erlassen wurden, ähm
01:31:11,483 –> 01:31:25,903 [Raul Krauthausen]
wir auf auf eine Zinslast zusteuern, die am Ende dazu führen wird, dass wir ab zweitausenddreißig ah gar nicht mehr handlungsfähig sein werden als Staat, ähm was Einnahmen, Ausgaben angeht.
01:31:25,903 –> 01:31:34,023 [Martyna Linartas]
Du, ich bin auch kein großer Fan von den Sondervermögen. Also ich verstehe, es ist besser, sie jetzt zu haben und direkt einige Dinge anpacken zu können. Das ist wichtig.
01:31:34,023 –> 01:31:34,943 [Raul Krauthausen]
Ja.
01:31:34,943 –> 01:31:37,403 [Martyna Linartas]
Aber es ist keine
01:31:37,403 –> 01:31:41,783 [Martyna Linartas]
keine strukturelle Antwort auf strukturelle Probleme, sondern es ist jetzt ’n Pflaster,
01:31:41,783 –> 01:31:42,003 [Raul Krauthausen]
Genau.
01:31:42,003 –> 01:31:51,743 [Martyna Linartas]
An eine große Wunde gelegt wird. Das heißt, son bisschen hat man das Bluten gestoppt, aber eigentlich ist da jemand auf der Liege, der gebrochene Glieder hat und eine vernünftige OP braucht.
01:31:51,743 –> 01:31:51,883 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:31:51,883 –> 01:31:53,283 [Martyna Linartas]
So.
01:31:53,283 –> 01:32:06,763 [Martyna Linartas]
Und das tun wir einfach nicht. Und das ist total absurd, gerade in Anbetracht dessen, wenn man sich mal anschaut, wie wir uns gesellschaftlich in Fragen der vertikalen Ungleichheit auseinander entwickeln. Also wie immer mehr Menschen in Armut rutschen kommen und wie wir
01:32:06,763 –> 01:32:10,463 [Raul Krauthausen]
[übersprechen] Immer weniger Menschen arbeiten können aufgrund des demografischen Wandels.
01:32:10,463 –> 01:32:24,943 [Martyna Linartas]
Auch das. Auch immer mehr Menschen werden einfach nur aufgrund des technologischen Fortschritts auch in Teilen ihre ihre alten Jobs dann auch verlieren mhm oder werden nicht mehr so nachgefragt sein. Das ist auf jeden Fall auch noch eine Thematik, mit der ich mich auch in den nächsten Jahren noch mehr auseinandersetzen möchte.
01:32:24,943 –> 01:32:27,423 [Raul Krauthausen]
Pflegebedarf wird hoch sein.
01:32:27,423 –> 01:32:40,563 [Martyna Linartas]
Gigantisch hoch. Auch ein Thema, in dem ich übrigens indirekt stecke, weil mein Vater hat ’n hat eine häusliche Pflege ähm und mein Bruder arbeitet auch in diesem Bereich. Und gleichzeitig haben wir aber jedes Jahr größere Vermögen von Millionären. Mhm.
01:32:40,563 –> 01:32:42,303 [Raul Krauthausen]
Und mehr Milliardäre. Mhm.
01:32:42,303 –> 01:32:52,263 [Martyna Linartas]
So, also die Schere geht immer weiter auseinander. Die Gelder sind da und irgendwo geht ja auch das bisschen an Wirtschaftswachstum, was wir haben, hin, aber es fließt nur nach oben.
01:32:52,263 –> 01:32:53,183 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:32:53,183 –> 01:34:46,463 [Martyna Linartas]
So, und das ist einfach etwas, was nicht nicht zusammenzukriegen ist, auch nicht mehr im Kopf. Und deswegen bin ich auch sehr, also was heißt hier froh? Ähm Ich bin na ja doch als als Politikwissenschaftlerin einfach auch froh zu sehen, so dass sich da grade international doch einiges in der Debatte auch tut. Also wenn man sich mal so anschaut, über Jahre hinweg war das ziemlich langweilig. [kichern] Alles war so neoliberaler Quark, der nicht von dann der der nicht groß zu unterscheiden gewesen ist. Und so in den letzten Jahren hat man immer mehr so gesehen, dass einige sich dann doch getraut haben, zunehmend getraut haben, auch eine echte Alternative darzustellen. Ich rede jetzt nicht von dieser Pseudoalternative für Deutschland mhm, sondern einer echten Alternative mhm zum bestehenden Status, zum bestehenden System auch. Und wir haben jetzt in Österreich zum Beispiel gesehen, dass Andreas Babler als Hoffnungs- und Galionsfigur der SPÖ, also das ist das, was hier die SPD ist, sehr mit mit durchgedrückter Haltung auch in diese ganze in diesem Wahlkampf gegangen ist, mit vielen linken progressiven Ideen und im Laufe des Wahlkampfs aber immer neoliberaler weichgespült wurde mhm. Und das ist voll nach hinten losgegangen. Gleichzeitig sehen wir jetzt aber gerade jüngst in der Zeit, ähm den den demokratischen äh Kandidaten in New York für die Bürgermeisterwahl mhm, Mandani, Newcomer, der dreiunddreißig Jahre alt ist und ganz offen bekennt, ich bin sozialistischer Demokrat oder demokratischer Sozialist. Ich weiß nicht, was die bessere Übersetzung wäre. Und die einzigen Menschen in den USA drüben außerhalb der Republikaner und Trump, die irgendwie ja auch auf eine ganz perfide Art und Weise Enthusiasmus entfachen, nämlich durch eine Form des des Patriotismus, Nationalismus und so weiter, haben wir bei den Demokraten nur diejenigen, die die wirklich für was für was Neues stehen und das sind Bernie Sanders, AOC und Mamdani. Mhm. Und hierzulande ist es aktuell Die Linke. So. Also wir haben einerseits die SPD, die reißt gerade wirklich ’n Vakuum, weil sie einfach nicht für die Arbeiterinnen einsteht.
01:34:46,463 –> 01:35:15,023 [Martyna Linartas]
Man möchte dann ja auch einfach nicht mehr wählen gehen. Das ist ja auch ’n Phänomen, das man dass man dass man gut untersuchen kann. Also dass Menschen, die in Armut leben und auch immer mehr größere Teile aus aus der Mitte der Gesellschaft nicht mehr an die Wahlurne gehen mhm, weil sie sagen, die werden ja sowieso nicht von der Politik vertreten und sie haben ja auch recht. Siehe aktuelle SPD. Ja. Und die die größte Gewinnerin bei der letzten Bundestagswahl hat die AfD die meisten Stimmen von Arbeitern bekommen. Also gemessen nach Beruf und Tätigkeit hat hat die AfD gewonnen.
01:35:15,023 –> 01:35:17,243 [Raul Krauthausen]
Weil sie Angst vor Abstieg haben.
01:35:17,243 –> 01:35:22,603 [Martyna Linartas]
Weil sie Angst vor Abstieg haben, weil sie nicht repräsentiert werden. Und da gab’s auch eine ganz, ganz große Wählerwanderung.
01:35:22,603 –> 01:35:23,483 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:35:23,483 –> 01:35:56,543 [Martyna Linartas]
Und jetzt sehen wir aber gerade auch ein ein neues, ein neues Ereignis und zwar viel mehr als nur ’n kurzanhaltenden Hype ist auch Die Linke. Die sich auch traut, die wirklich kritischen Fragen zu stellen und zu sagen, worauf es ankommt ist nicht, lösen wir das alles im Kapitalismus oder Sozialismus, sondern wir gehen ausgehen wir gehen aus von von der Frage, was ist Demokratie und wie kriegen wir die eigentlich hin? Und vielleicht sollte die Wirtschaft nicht in allererster Linie der Wirtschaft und dem Wirtschaftswachstum dienen, sondern den Menschen. Und die trauen sich dann auch in ihrer Problematik und bieten damit ein Gegenprogramm, eine Alternative, eine wahre Alternative auf.
01:35:56,543 –> 01:35:57,243 [Raul Krauthausen]
Mhm [übersprechen]
01:35:57,243 –> 01:36:21,783 [Martyna Linartas]
Und das ist das, was mir auch Hoffnung macht gerade. Weil das dann auch bedeutet aktuell, dass wir zumindest wieder Debatten haben werden, auch jetzt in den kommenden Jahren, die nicht nur dieser Einheitsbrei, dieser Einheitsquark sind, sondern durchaus sehen so, let’s fight for the better Argument. Und August von Hayek hat das mal Battle of Ideas genannt, als sie damals diesen Paradigmenstreit zwischen Keynesianismus und Neoliberalismus hatten. Und das werden wir jetzt auch zunehmend sehen in den kommenden Jahren, diesem Battle of Ideas.
01:36:21,783 –> 01:36:26,523 [Raul Krauthausen]
Das heißt, der Nachfolger des Neoliberalismus wird wieder der Keynesianismus sein oder
01:36:26,523 –> 01:36:26,903 [Martyna Linartas]
Nee, bloß. [kichern]
01:36:26,903 –> 01:36:28,963 [Raul Krauthausen]
Kann das was anderes sein?
01:36:28,963 –> 01:36:34,843 [Martyna Linartas]
Es muss was anderes sein. Weil der Keynesianismus hat nicht über den nationalen Tellerrand geblickt, er hat den globalen Süden nicht mitgedacht.
01:36:34,843 –> 01:36:36,203 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:36:36,203 –> 01:36:38,683 [Martyna Linartas]
Er hat die feministische Perspektive nicht mitgedacht.
01:36:38,683 –> 01:36:39,023 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:36:39,459 –> 01:37:06,040 [Martyna Linartas]
Und auch gar nicht die Umwelt. Also der Keynesianismus selbst ist nach wie vor etwa ein Theaterstück, was im kapitalistischen Theaterhaus aufgeführt wird. Mhhhm Also in meinem Buch habe ich ja diese zwei Ebenen. Ein Theaterstück wird aufgeführt, ein Theaterhaus, ein Theaterstück wird häufiger ausgetauscht, als dass man ein neues Theaterhaus errichtet. Mhhhm Aber der Keynesianismus ist genau wie der neoliberalistisch Neoliberalismus ist auch der Keynesianismus ein kapitalistisches Theaterstück.
01:37:06,040 –> 01:37:08,780 [Raul Krauthausen]
Das heißt, wir brauchen eine neue Kulturstätte?
01:37:08,780 –> 01:37:38,319 [Martyna Linartas]
Korrekt. Wir brauchen ein neues Theaterhaus. Mhhhm Wir brauchen eins, wo die Logen von den Überreichen nicht mehr in unerreichbarer Höhe sind. Die können auch gar nicht mehr dieses Theaterstück hier am Boden erahnen, wo alle Menschen, die auf dem Theater laufen, sich Splitter einfangen, auf diesen maröden Böden und man sich fragt So, wer zahlt hier eigentlich den höchsten Preis? Versteh ich Lachen Wirklich die Menschen da oben in den Logen oder die Menschen, die ja eben mhhhm in Zeiten beispielsweise auch der der Sklaverei, des Kolonialismus und der des Naziregimes überhaupt dieses Theaterhaus aufgebaut haben?
01:37:38,319 –> 01:37:49,339 [Raul Krauthausen]
Und außer diese wenigen Menschen, die du gerade genannt hast, IOC, Bernie Sanders und so, gibt es denn da auch ganze
01:37:49,339 –> 01:37:53,439 [Raul Krauthausen]
Denkschulen oder sind es quasi, also
01:37:53,439 –> 01:38:27,819 [Raul Krauthausen]
ich frage mal anders, ich habe manchmal das Gefühl, und vielleicht ist es sehr populistisch, aber ich habe manchmal das Gefühl, da saßen Menschen an runden Tischen in Hinterzimmern und haben halt so Margaret Thatcher mäßig gesagt, wir erzählen jetzt dieses Narrativ des faulen Arbeitslosen und so weiter und so fort. Und es war ja geplant mhhhm so und das hat sich durchgesetzt und irgendwie dummerweise weltweit verbreitet. Gibt es Menschen in Hinterzimmern, die jetzt gerade überlegen [kichern] was ist die Erzählung von morgen? Ahhhm Und
01:38:27,819 –> 01:38:30,979 [Raul Krauthausen]
wir also jenseits von diesen einzelnen. Weißt du, was ich meine?
01:38:30,979 –> 01:39:03,339 [Martyna Linartas]
Ja, ich verstehe, was du meinst. Ahhh Ja, die gibt es. Und das ist nicht so sehr dieses Hinterzimmerding. Das war es beim Neoliberalismus sehr stark. Ahhhm Beim Neoliberalismus war es die sogenannte montpaleron society, die da sehr viel ins Rollen gebracht mhhhm hat. Die hat sich einhundert siebenundvierzig in montpaleron, das ist ein Ort in der Schweiz, gegründet und da kamen die ganzen Intellektuellen zusammen, vor allem aus der Wissenschaft, aber auch ahhh aus der Medien und aus der politischen Welt. Und die haben über drei Jahrzehnte hinweg wirklich dieses gesamte Paradigma aufgebaut-
01:39:03,339 –> 01:39:03,479 [Raul Krauthausen]
Ja, krass
01:39:03,479 –> 01:40:24,879 [Martyna Linartas]
Und überlegt, wie soll das ganze aussehen? Es hat sehr lange gedauert, bis dann die entscheidenden Positionen auch belegt waren mit Mitgliedern aus der Mont Poleron Society. Zum Beispiel war übrigens auch Ludwig Erhard in Deutschland ein Mitglied der MPS, mhhhm der Mont Poleron Society. Das ist der, der Wohlstand für alle mit Wohlstand für alle berühmt geworden ist, der bei uns auch eine eine ganze Weile Minister gewesen ist, bevor er auch kurz für drei Jahre Kanzler war. Ahhhm Das war aber vor diesem großen Streit, den die Mont Poleron Society hatte. Und was wir aktuell erleben, ist, dass immer mehr Think Tanks und Gruppierungen von Menschen sich zusammentun, versuchen möglichst zusammenzuarbeiten und zu sagen, wir brauchen ein neues Paradigma. Und ahhhm witzigerweise schreiben sich ganz viele auf die Fahnen, wir wollen die neue Mont Polerons Society sein, mhhhm aber in progressiv. Und das Witzige ist tatsächlich auch, dass ich sagen würde, das gelingt in vielen Bereichen schon ganz gut. Das ist jetzt nicht diese eine ganz klare Gesellschaft. Es gibt aber auch noch einen gewissen Streit oder noch nicht in allen Punkten ist man sich einig. Und ich würde sagen, der wichtigste Dissens und der vielleicht spannendste Part, wo die Leute noch auseinandergehen, ich würde sagen, generell könntest du die die Menschen als die Progressiven bezeichnen.
01:40:24,879 –> 01:40:56,139 [Martyna Linartas]
Aber diese Progressiven streiten sich darüber, ob es nur ein neues Theaterstück braucht, etwas, was dann so nicht wieder der Keynesianismus ausschaut, mhhhm oder ob es ein neues Theaterhaus braucht, also ein neues System, eine neue Ideologie. Und da scheiden sich die Geister. Und in beiden Lagern, in beiden Denkschulen sind sehr prominente Vertreterinnen, sehr kluge Köpfe. Ahhhm Ich habe mal zum einen Lager gehört, gehöre jetzt zum anderen Lager. So man kann sich ja auch noch entwickeln und weiterentwickeln und auch weiter in den Austausch gehen.
01:40:56,139 –> 01:40:59,819 [Raul Krauthausen]
Und kann man da nicht auch Kompromisse sogar noch finden?
01:40:59,819 –> 01:41:01,319 [Martyna Linartas]
Ehrlicher ehrlich gesagt nein.
01:41:01,319 –> 01:41:02,719 [Raul Krauthausen]
Nein?
01:41:02,719 –> 01:41:33,799 [Martyna Linartas]
Nee, weil die die Frage nach dem Kompromiss ist, ist in dem Moment nur stellbar, wenn es um Theaterstücke geht und man überlegst, wie willst du jetzt eigentlich ein bisschen die Narrative hier oder da ein bisschen verändern? Aber es geht bei diesem Streit, den ich jetzt einfach so ausmache, mhhhm der ist nicht real da. Ja ja Da sitzen nicht zwei Gruppen einander gegenüber und hauen sich die Köpfe ein, argumentativ, sondern die sind sich schon mal sehr, sehr viel näher als sie es dem Neoliberalismus sind. Die sagen alle, Neoliberalismus muss überwunden werden. Aber einige sagen halt nicht nur der Neoliberalismus, auch der Kapitalismus.
01:41:33,799 –> 01:41:37,699 [Raul Krauthausen]
Und da verortest du dich oder bist du noch beim Stück oder beim Haus?
01:41:37,699 –> 01:41:52,279 [Martyna Linartas]
Ich bin beim Haus. Danke schön. Ich glaube nicht daran, dass das ahhh Theaterstück alleine ausreicht, ja weil ich auch überhaupt erst gelernt habe oder lernen musste, wie man Kapitalismus vernünftig definiert. Ja Und auch wenn ich mir heutzutage beispielsweise Interviews angucke,
01:41:52,279 –> 01:42:29,139 [Martyna Linartas]
wo dann Leute, die sagen von sich aus, ahhhm dass sie kapitalismuskritisch sind, ja, aber wir brauchen doch eine Marktwirtschaft, denke ich mir so, ey, das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun. Mhhhm Eine Marktwirtschaft hatten wir schon Jahrhunderte bevor der Kapitalismus gekommen ist. Was den Kapitalismus besonders macht, und zwar wirklich als Ideologie und als Wirtschaftsform, ist nicht Tausch von von Waren und Dienstleistungen, sondern ist die Frage mmmhm mmm der Ausbeutung von Mensch und Natur und des ewigen Wachstums. Also das Sakrale innerhalb einer solchen Ideologie, also das gibt dann immer so eine Ideologie ist, du hast es auch schon vorhin gesagt, es hat so was Religiöses.
01:42:29,887 –> 01:42:30,167 [Raul Krauthausen]
Hmmm.
01:42:30,167 –> 01:42:38,407 [Martyna Linartas]
Ist halt beim Kapitalismus das ewige Wachstum. Wir können unendlich wachsen- Hmmm, hmmm. -auf einem endlichen Planeten nicht möglich. Hmmm, Hmmm.
01:42:38,407 –> 01:43:00,708 [Martyna Linartas]
Und das andere ist auch diese Quasi-Sakralisierung von privatem Eigentum. Hmmm, Hmmm. Und ich glaube, wir müssen darüber nachdenken, ob es nicht auch andere Formen von Eigentum gibt außerhalb des ganz Privaten. Und das Interessante ist, das hatten wir in der Vergangenheit auch schon. Also wir hatten [einatmen] das auch, ähm, in der– unserem aktuellen Grundgesetz steht ja auch nichts von Kapitalismus. Da steht nur, dass wir die Demokratie haben.
01:43:00,708 –> 01:43:03,467 [Raul Krauthausen]
Und da steht auch „Eigentum verpflichtet“, steht da auch.
01:43:03,467 –> 01:43:07,888 [Martyna Linartas]
Richtig. Ja. Und, ähm,
01:43:07,888 –> 01:43:16,627 [Martyna Linartas]
die Sache ist jetzt halt auch mit dem, dem, der Frage, [eine Person räuspert sich] in welcher Systematik, in welcher Ideologie kann die Demokratie fortbestehen?
01:43:16,627 –> 01:43:17,807 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:43:17,807 –> 01:44:49,027 [Martyna Linartas]
Und es gibt diesen Streit, ob Demokratie und Kapitalismus zusammengehen. Der bewegt sich in Wellen. Also es gab vor einigen Jahrzehnten hat man das sehr, sehr stark infrage gestellt. Ähm, dann hat man wieder angefangen zu sagen: „Nur Kapitalismus und Demokratie funktionieren.“ Das war zu Zeiten des Kalten Krieges, wo man sagte: „Hey, also entweder wir haben so UDSSR Style, [lacht] Kommunismus und so, das wollen wir nicht, sondern wir möchten bitte den Kapitalismus und nur darin, nur in einem Kapitalismus kann eine Demokratie bestehen. Und wir hatten aber zum Beispiel zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, auch innerhalb der SPD zum Beispiel, war der größte Disput Kapitalismus oder Sozialismus- Mhhhm -was wollen wir haben? Und ich glaube, an dem Punkt sind wir gerade wieder. Und da sind die Sozialisten sind eben vor allem die, die sagen, also es gibt da verschiedene Bezeichnungen für. Einige sprechen noch sehr viel offener von Postwachstumstheorien und Ansätzen, also dass sie einfach nur sagen, Kapitalismus wird vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er immer weiter wächst. Wir wollen aber nicht unendlich wachsen. Nur Krebs macht so was- Mhhhm -so als, so als, äh, sinnbildisch, um das sinnbildisch darzustellen. Mmmh, und wir müssten wieder dazu kommen, dass wir nicht ausbeuten, dass wir nicht immer mehr nehmen und dadurch, dass wir immer mehr nehmen, können wir dann immer was weiter anhäufen- Mhhhm -und es geht nach oben durch die Decke. Und ausbeuten tun wir vor allem die Natur und den Menschen. Und das sehen wir durch die gigantische Ungleichheit. Also einmal durch die Klimakrise, das ist eben diese Ausbeutung von Natur und die Ungleichheit [einatmen] zwischen globalen Süden, globalen Norden und auch innerhalb von Gesellschaften, Menschen in Armut und Menschen in Überreicht.
01:44:49,027 –> 01:44:55,907 [Raul Krauthausen]
Und da kommen wir wieder an den Punkt des Sinnes von Steuern, dass Steuern steuern sollen.
01:44:55,907 –> 01:45:03,447 [Martyna Linartas]
Genau. [lacht] Und ich weiß, dass es einigen Menschen nicht weit genug geht, aber das ist okay.
01:45:03,447 –> 01:45:18,527 [Raul Krauthausen]
Aber alleine das, dass Steuern steuern sollen, ah, macht ja total Sinn. Genau. Dass das eben nicht überwuchert in eine Richtung, ähm, sondern eben auch dann da investiert wird, wo es gerade am meisten gebraucht wird.
01:45:18,527 –> 01:45:43,027 [Martyna Linartas]
Voll. Aber das ist ehrlicherweise auch ’ne Eigenheit der deutschen Sprache. Mhhhm. Also dass wir von Steuern in diesem Sinne das haben. In den USA oder auf Englisch ist es einfach nur „Tags“. Oder auf Spanisch ist es Impuesto. Man tut etwas auf. Das ist dann jetzt nicht unbedingt, dass man dann, ähm, steuert. [lacht] [übersprechen 00:03:22] Aber in unserer deutschen Sprache, finde ich, ist uns da etwas wirklich ganz Grandioses gelungen- Nicht wahr? Ja. -eine Funktion von Steuern herauszustellen.
01:45:43,027 –> 01:45:43,667 [Raul Krauthausen]
Tatsächlich.
01:45:43,667 –> 01:46:50,627 [Martyna Linartas]
Und zwar ja, auch wirklich für die Gerechtigkeit anzusteuern, gegen die Schere auch anzusteuern- Mhhhm. -also eine Schere von Arm und Überreich. Das heißt, Steuern sind so viel mehr als einfach nur die Mittel, um dann irgendwie Finanzen [holt Luft] so oder anders zu gestalten, [holt Luft] etwas reinzuspülen in die Staats- oder die Länderkassen, sondern es geht auch wirklich darum, die Schere zwischen Arm und Reich kleiner zu halten. Und das Interessante ist, wenn du, wenn du dir das anguckst, und das habe ich ja gemacht im Rahmen meiner Forschung, wie ist Steuerverständnis? Dann hat sich das sehr, sehr stark gewandelt. Und früher hat man von Steuern, zum Beispiel auch im Rahmen des Keynesianismus, sehr positiv gesprochen. Die haben den Staat dazu befähigt und bemächtigt, auch durchaus antizyklisch, da haben wir ja schon drüber gesprochen, auch zu agieren, mmm, und auch das Verhalten zu, zu lenken, nicht nur von Individuen, sondern auch in der Wirtschaft dann auch was zu tun und zu machen. Früher hatten wir auch einen Finanzminister, der erste des Reiches, Matthias Erzberger, der auch meinte: „Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister.“ Und man muss auch Steuern so denken, dass wir nur durch und mit Steuern eine Demokratie stärken können. Ja, also nur reiche Menschen können sich einen armen Staat leisten.
01:46:50,627 –> 01:46:50,827 [Raul Krauthausen]
Ja.
01:46:50,827 –> 01:46:58,527 [Martyna Linartas]
Das Groß der Bevölkerung braucht einen starken Staat und braucht die entsprechenden Steuereinnahmen. [übersprechen] Und deswegen sind Steuern auch einfach so geil. [Lachen]
01:46:58,527 –> 01:47:04,787 [Raul Krauthausen]
Und ein starker Staat meint jetzt nicht, äh, äh, Polizei und Co. Und, und, ähm, so–
01:47:04,787 –> 01:47:05,127 [Martyna Linartas]
[lacht]
01:47:05,127 –> 01:47:23,767 [Raul Krauthausen]
Sondern ein starker Staat meint, äh, der Einfluss auf die Wirtschaft nehmen kann. Auch um das noch mal irgendwie klarzustellen, weil oft, äh, habe ich manchmal auch das Gefühl, dass dieses Wort „starker Staat“ vermieden wird, weil das dann eben in Richtung autoritärer Politik geht und so.
01:47:23,767 –> 01:47:46,327 [Martyna Linartas]
Klar, das sollte ich, das sollte ich dann vielleicht auch noch mal deutlich herausstellen. Also mir geht’s auf gar keinen Fall eine Militarisierung, Mhhhm. Ähm, sondern mir geht es eher [Räuspern] um einen starken Akteur, der sich aufstellen kann und then, die Interessen des Demos- Mhhhm -der Breite der Bevölkerung vertreten kann. Und zwar auch gegen die Wirtschaftsakteure. Und im Sinne der Armen auch.
01:47:46,327 –> 01:47:47,147 [Raul Krauthausen]
Genau.
01:47:47,147 –> 01:48:37,487 [Martyna Linartas]
Ja, genau. Und das ist ja auch die Ethik, die wir uns eins erschufen. Mhhhm. Wir schufen uns eins, eine Ethik, die den Schwächeren schützt und nicht den Stärkeren. Und das ist auch etwas, was nur der Staat kann. Und ich sage jetzt auch nicht irgendwie gegen die Wirtschaftsakteure im Sinne von alle Wirtscha, Wirtschaftsakteure, weil sie Wirtschaftsakteure sind, sind böse, sondern Wirtschaftsakteure müssen aus BWL-Perspektive egoistisch agieren und für sich selber schauen, wie kann ich profitabel sein und so weiter. Aber ein Staat muss halt VWL, die Volkswirtschaft insgesamt ins Visier nehmen [Scheppern] und vor allem aber auch viel, viel mehr als nur die Wirtschaft [einatmen], Mhhhm -sondern die Würde des Menschen. Und das umfasst so viel mehr als nur rein wirtschaftliche Fragen. Von daher dafür braucht es einen starken Staat als Korrekteur der Gerechtigkeit. Jemand, der sich auch darum sorgt um die Bevölkerung in der Breite und die Schwächeren inklusive.
01:48:37,487 –> 01:48:41,267 [Raul Krauthausen]
Was ich so interessant finde, ähm, das ist mir neulich erst klar geworden-
01:48:42,051 –> 01:48:42,091 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:48:42,091 –> 01:48:52,951 [Raul Krauthausen]
Ähm, also was heißt neulich? Als Angela Merkel zum zweiten Mal aus der Atomenergie ausgestiegen ist [Lachen]. Also es war ja, wir waren ja schon ausgestiegen als Deutsche, und dann sind wir wieder eingestiegen.
01:48:52,951 –> 01:48:53,892 [Martyna Linartas]
Das ist ein gutes Beispiel. Ja.
01:48:53,892 –> 01:49:09,771 [Raul Krauthausen]
Genau, so. Und, ähm, ist mir irgendwie klar geworden, dass die großen Reformen wahrscheinlich von denen am ehesten umgesetzt werden können, von denen wir’s erstmal originär nicht erwarten. Also in einen Krieg zu ziehen,
01:49:09,771 –> 01:49:29,131 [Raul Krauthausen]
wenn selbst die SPD und die Grüne das gut finden, dann ziehen wir in den Krieg, äh, oder beteiligen wir uns an Kriegen. Ähm, oder die Schuldenbremse aufzulösen, wenn sogar die CDU das macht, dann muss das ja richtig sein. Ähm, aber wenn das die SPD oder die Grünen machen würden, dann ist hier Untergang des Abendlandes.
01:49:29,131 –> 01:49:30,631 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:49:30,631 –> 01:49:45,011 [Raul Krauthausen]
Kann man vielleicht auch antizyklisch so als Aktivistin arbeiten, [Lachen] dass man sagt, okay, wenn wir jetzt also eine GroKo haben, was wären jetzt die Themen, die nur sie machen können, weil sie die GroKo sind?
01:49:45,011 –> 01:49:59,291 [Martyna Linartas]
Das ist voll der schlaue Gedanke. Und das ist auch witzig, dass du das so siehst oder beobachtest, weil es stimmt auch in, in vielen Fragen, die ich mir angeguckt hab. Also wenn man sich ja zum Beispiel anschaut, wer hat die Vermögensabgabe eingeführt? Das war die Union.
01:49:59,291 –> 01:50:00,711 [Raul Krauthausen]
Ja.
01:50:00,711 –> 01:50:07,331 [Martyna Linartas]
Oder auch, also sehr, sehr viele Fragen, die, die durchaus jetzt sozialdemokratisch sind, das waren Konservative.
01:50:07,331 –> 01:50:08,471 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:50:08,471 –> 01:50:11,231 [Martyna Linartas]
Nicht nur. Es gab auch ganz, ganz, ganz viele tolle Sachen-
01:50:11,231 –> 01:50:13,011 [Raul Krauthausen]
Geht auch ins Negative, Hartz vier.
01:50:13,011 –> 01:50:14,691 [Martyna Linartas]
Es geht auch ins Negative. Hartz vier-
01:50:14,691 –> 01:50:14,811 [Raul Krauthausen]
Ja.
01:50:14,811 –> 01:50:16,791 [Martyna Linartas]
-wurde gemacht von Rot-Grün.
01:50:16,791 –> 01:50:17,051 [Raul Krauthausen]
Genau.
01:50:17,051 –> 01:50:30,691 [Martyna Linartas]
So. Also es geht in beide Richtungen, dass man sich manchmal manches Mal so denkt: „Warte mal, was ist da los?“ Ähm, hat glaube ich auch sehr stark damit zu tun, auch wieder mit dem Paradigma und dass auch vieles in Deutschland auf zwei Ebenen beschlossen werden muss, Bundestag und Bundesrat.
01:50:30,691 –> 01:50:31,331 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:50:31,331 –> 01:50:46,751 [Martyna Linartas]
Das heißt, du brauchst den entsprechenden Zeitgeist. Und nur wenn alle am Ende des Tages dafür sind, also auch die, von denen man klassischerweise sagen würde, das ist die Opposition, selbst wenn die Opposition mitgeht und dann plötzlich diese Position vertritt, dann kannst du das durch Bundestag und durch Bundesrat ziehen.
01:50:46,751 –> 01:50:48,091 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:50:48,091 –> 01:51:06,051 [Martyna Linartas]
Ähm, deswegen ist das halt auch so schwierig, wenn jetzt, wenn jetzt beispielsweise, hm, die Sozialdemokraten nur dann jetzt irgendwie, wenn, sagen wir mal, eine andere Regierung. Es wäre sehr, sehr schwierig geworden, wenn auf Bundesratsebene da zum Beispiel auch nicht die entsprechenden Mehrheiten für die SPD so, so entsprechend stehen.
01:51:06,051 –> 01:51:06,091 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:51:06,091 –> 01:51:12,111 [Martyna Linartas]
Ähm, [Seufzen] aber was könnte man jetzt von einer großen Koalition denn erwarten? Irgendwie erwarte ich nicht so viel.
01:51:12,111 –> 01:51:16,111 [Raul Krauthausen]
Das ist doch traurig. Und das führt jetzt zu dieser Politikverdrossenheit.
01:51:16,111 –> 01:51:19,611 [Martyna Linartas]
[Lachen] Natürlich. Ja,
01:51:19,611 –> 01:51:24,611 [Martyna Linartas]
ist es auch. Und ich find’s ja, ich find es auch ein Trauerspiel. Also,
01:51:24,611 –> 01:51:41,231 [Martyna Linartas]
von der Union bei einem BlackRock-Kanzler erwarte ich nicht [Lachen], dass er sich für ’ne Vermögensteuer einsetzt. Da hat jetzt im ARD-Sommerinterview davon gesprochen, dass die Vermögensteuer verfassungswidrig sei, was der reinste Bullshit ist. Müsste er eigentlich besser wissen. Unser Kanzler erzählt so ’n Quatsch, tut richtig weh.
01:51:41,231 –> 01:51:41,691 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:51:41,691 –> 01:51:45,951 [Martyna Linartas]
Wo man sich einfach nur echt denkt, also: „Das ist jetzt populistische Scheiße, die du da von dir gibst.“
01:51:45,951 –> 01:51:58,131 [Raul Krauthausen]
Und ich glaube ehrlich gesagt, dass die meisten Politikerinnen der Union, also inklusive Jens Spahn, der wahrscheinlich auch, die beiden sind, glaube ich, keine Freunde mehr zum Spahn.
01:51:58,131 –> 01:52:00,111 [Raul Krauthausen]
Aber trotzdem
01:52:00,111 –> 01:52:02,671 [Raul Krauthausen]
finde ich es erschreckend,
01:52:02,671 –> 01:52:04,271 [Raul Krauthausen]
dass–
01:52:04,271 –> 01:52:08,631 [Raul Krauthausen]
Wie soll ich das sagen? Ich habe das Gefühl, die wissen, dass sie lügen.
01:52:08,631 –> 01:52:12,891 [Martyna Linartas]
Ich habe bei denen auf jeden Fall das Gefühl, dass sie sich selbst am nächsten stehen.
01:52:12,891 –> 01:52:17,971 [Raul Krauthausen]
Das ist– Ja, aber ich glaube auch, dass sie wissen, das, was sie im Fernsehen sagen, nicht stimmt.
01:52:17,971 –> 01:52:23,831 [Martyna Linartas]
Dass das, dass das ’ne Lüge ist. Ja, das kann durchaus sein. Ich kenne beide nicht. Ich habe beide noch niemals persönlich getroffen.
01:52:23,831 –> 01:52:35,571 [Raul Krauthausen]
So schnell, wie Jens Spahn plötzlich Energieexperte wurde [Lachen] oder so schnell, wie Jens Spahn sich jetzt plötzlich über Migrationspolitik auskennt. Also, wo ich denke so, sorry, aber-
01:52:35,571 –> 01:52:36,671 [Martyna Linartas]
Ja, oder auch mit den Masken.
01:52:36,671 –> 01:52:42,791 [Raul Krauthausen]
Ja, ja, genau. Deswegen, sogar ich bin jetzt seit so ’ner Energieexperten. Wie ist denn das passiert?
01:52:42,791 –> 01:52:44,471 [Martyna Linartas]
Ja,
01:52:44,471 –> 01:52:45,791 [Martyna Linartas]
es ist bitter zu beobachten.
01:52:45,791 –> 01:52:45,951 [Raul Krauthausen]
Wirklich.
01:52:45,951 –> 01:52:50,791 [Martyna Linartas]
Es ist aber auch traurig, wenn du mal darüber nachdenkst, was wir für ein System haben, das solche Menschen an die Spitze spült.
01:52:50,791 –> 01:52:52,271 [Raul Krauthausen]
Mhm. Ja.
01:52:52,271 –> 01:52:58,251 [Martyna Linartas]
Also, welche Charaktereigenschaften wären eigentlich überhaupt gefragt, um dich beweisen zu können in einem solchen System?
01:52:58,251 –> 01:53:09,611 [Martyna Linartas]
Du hast sehr viele Menschen mit sehr stark ausgeprägten narzisstischen Zügen, die einen Scheiß darauf geben, was andere sagen, was richtig und was gut für die große, große, äh, große Teile der Bevölkerung ist. Das ist schon heftig.
01:53:09,611 –> 01:53:10,051 [Raul Krauthausen]
Total.
01:53:10,051 –> 01:53:14,231 [Martyna Linartas]
Das ist schon heftig. Also es fehlt, es fehlt definitiv an integeren PolitikerInnen.
01:53:14,231 –> 01:53:15,471 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:53:15,471 –> 01:53:26,491 [Martyna Linartas]
Aber wie gesagt, von einem BlackRock-Kanzler erwarte ich in Fragen der Umverteilung beziehungsweise Rückverteilung, wie ich gelernt habe, ähm, nicht viel. Bei ’ner SPD,
01:53:26,491 –> 01:54:14,231 [Martyna Linartas]
das tut noch mal ’ne Ecke mehr weh, muss ich gestehen. Ähm, es ist jetzt keine große Verwunderung. Klingbeil und Baas stehen in, stehen in einer Tradition von einem Scholz und einem Schröder. Wo das jetzt noch sozialdemokratisch sein soll, weiß ich nicht. Und die kassieren ja auch ein, eins andere Mal die Rechnung und wandeln trotzdem weiter auf diesem Irrweg, wo sie sich bereits selbst das Grab geschaufelt haben, wo ich schon sagen würde, Koalitionsvertrag mit der Union war der Deckel oben drauf. Aber gut, wenn die meinen, so glücklich zu werden oder noch irgendwas reißen zu können. Ich kann’s dir nicht erklären. Ich finde es auch einfach nur rein als Politikwissenschaftlerin, aus taktischer Überlegung heraus, sehr schwierig, da mitzugehen. Also überhaupt mir einen Reim darauf zu bilden, wie kann man das jetzt logisch ko– logisch kohärent eigentlich aus deren Perspektive vielleicht erklären? I don’t get it.
01:54:14,231 –> 01:54:26,431 [Raul Krauthausen]
Ich denke manchmal, wenn morgen eine Fee vorbeikäme und mir einen Wunsch geben würde, dann würde ich mir wirklich wünschen, mal mit den PolitikerInnen zu reden und die sind gezwungen, die Wahrheit zu sagen. Und ich würde-
01:54:26,431 –> 01:54:29,991 [Martyna Linartas]
Ich würde mir wünschen, dass die einfach nur einen Tag nur die Wahrheit sagen können.
01:54:29,991 –> 01:54:34,151 [Raul Krauthausen]
Ja, genau. Genau. Und einfach die Frage wäre: „Glaubst du, was du sagst?“ Punkt.
01:54:34,151 –> 01:54:36,111 [Martyna Linartas]
Mhm. Für wen machst du Politik?
01:54:36,111 –> 01:54:39,971 [Raul Krauthausen]
Ja. Diggi. Genau. [Lachen]
01:54:39,971 –> 01:54:50,851 [Raul Krauthausen]
Ich höre dir sehr gerne zu. Ich hab, ähm, äh, ein Deutschlandfunk, äh, Gespräch mit dir gehört, mit, äh, Felix Oldenburg zusammen. Da wart ihr auf irgendeiner Bühne und es wurde irgendwie aufgezeichnet oder live übertragen.
01:54:51,459 –> 01:54:51,579 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:54:51,579 –> 01:54:59,899 [Raul Krauthausen]
Und, ähm, ich selber kenne auch, äh, Felix Eulenburg noch aus einer Zeit, als er bei Ashoka, ähm, äh, gearbeitet hat-
01:54:59,899 –> 01:54:59,919 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:54:59,919 –> 01:55:10,739 [Raul Krauthausen]
und ich bin selber auch Ashoka-Fellow und das sind ja, äh, so Netzwerke an SozialunternehmerInnen. Und ich tu mich unfassbar schwer mit dem Wort Sozialunternehmer-
01:55:10,739 –> 01:55:11,060 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:55:11,060 –> 01:55:18,859 [Raul Krauthausen]
-in, weil ich nicht glaube, dass wir soziale Probleme unternehmerisch kapitalistisch lösen sollten. Ähm-
01:55:18,859 –> 01:55:19,099 [Martyna Linartas]
Jip.
01:55:19,099 –> 01:55:27,659 [Raul Krauthausen]
und das eigentlich so eine Art Outsourcing von sozialer Verantwortung ist oder staatlicher Verantwortung an den Markt.
01:55:27,659 –> 01:55:45,139 [Martyna Linartas]
Ich mag das Etikett auch nicht und ich muss auch was gestehen oder ich möchte an dieser Stelle gerne was verstehen, äh, gestehen. Und zwar, als ich den Felix Eulenburg getroffen hab, das, was du gerade berichtest, das ist aus, äh, einem Theater in S, wo wir uns getroffen haben. Das war die allererste Buchbesprechung meines Buches, noch kurz bevor es überhaupt rausgekommen ist.
01:55:45,139 –> 01:55:46,099 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:55:46,099 –> 01:56:06,659 [Martyna Linartas]
Und ich wusste nicht, wie der Hase läuft. Ich wusste nicht, dass ich ihn voll harsch hätte angehen können. Ich dachte, ich stelle jetzt hier so meine, ich stelle jetzt hier so ’n bisschen mein Buch vor und antworte lieb und brav auf die Fragen und er stellt sein Buch vor und antwortet lieb und brav auf die Fragen. Und als ich dann aber dran war vorzustellen, ist er ein paar Mal seitlich so reingegrätscht, aber da war das andersherum schon vorbei.
01:56:06,659 –> 01:56:07,359 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:56:07,359 –> 01:56:24,879 [Martyna Linartas]
Und im Nachclub hab ich gelernt, ich hätte ja mal reingehen können. Ich so: „Leute, das hätten wir ja sagen müssen.“ Ging nicht, es gab keine Vorbesprechung, weil Felix leider zu spät gekommen ist mit dem Zug. Also da konnte er nichts für, das ist die Bahn. So. Ähm, von daher, ich wäre eigentlich sehr viel kritischer da reingegangen in, in die ganze Sache.
01:56:24,879 –> 01:56:27,179 [Raul Krauthausen]
Man hat schon gemerkt, dass ihr unterschiedliche Ansätze habt. [lacht leise]
01:56:27,179 –> 01:56:30,039 [Martyna Linartas]
[seufzt] Aber so was von, so was von.
01:56:30,039 –> 01:56:30,239 [Raul Krauthausen]
Ja. [lacht leise]
01:56:30,239 –> 01:56:36,279 [Martyna Linartas]
Aber ich wusste wirklich nicht, wie ich mich verhalten sollte, was ist richtig, was ist falsch? Ist das vielleicht unhöflich? Macht man das so nicht?
01:56:36,279 –> 01:56:36,299 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:56:36,299 –> 01:56:46,519 [Martyna Linartas]
Ich hab keine Ahnung, ich kannte die Spielregeln gar nicht und es gab keinerlei Vorbesprechung. Von daher war ich– Ich hab mir ungefähr zwanzigmal auf die Zunge gebissen, [lacht], in kürzester Zeit.
01:56:46,519 –> 01:56:50,859 [Raul Krauthausen]
Wobei er, er jetzt auch nicht das Kernproblem ist in unserer Gesellschaft, sondern der-
01:56:50,859 –> 01:56:52,219 [Martyna Linartas]
Nein, auf das ist es ja auch gar nicht hinweist.
01:56:52,219 –> 01:56:52,719 [Raul Krauthausen]
Jaja, genau.
01:56:52,719 –> 01:57:07,119 [Martyna Linartas]
Aber ich find’s total vermessen zu sagen, man könne das Problem, das strukturelle Problem, der krassen Ungerechtigkeit in unserem Land dadurch lösen, dass man die Menschen, die viel Kohle haben, hilft, besser zu spenden. Das ist so vermessen und so naiv.
01:57:07,119 –> 01:57:11,919 [Raul Krauthausen]
Ich hatte mal ein Gespräch mit der Chefin der Berliner Tafel, Sabine Werth.
01:57:11,919 –> 01:57:12,419 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:57:12,419 –> 01:57:26,599 [Raul Krauthausen]
Und, äh, die war auch hier zu Gast im Podcast. Und, äh, die hat halt gesagt, dass das Schlimme ja eigentlich ist, dass Menschen, die Bürgergeld bekommen, vom Sozialamt gesagt wird: „Wenn Sie sich kein Essen leisten können, gehen Sie zur Tafel.“
01:57:26,599 –> 01:57:26,699 [Martyna Linartas]
Mhm.
01:57:26,699 –> 01:57:42,079 [Raul Krauthausen]
Und die Tafel ’ne hundert Prozent privat finanzierte Organisation ist. Ja. Und das quasi an der Stelle Outsourcing einfach bereits stattfindet, äh, wo es offiziell heißt, niemand muss in Deutschland hungern.
01:57:42,079 –> 01:57:45,299 [Martyna Linartas]
Es ist so, so eine Sauerei.
01:57:45,299 –> 01:57:47,479 [Raul Krauthausen]
Ich finde das auch so schlimm.
01:57:47,479 –> 01:57:48,459 [Martyna Linartas]
Ganz schlimm.
01:57:48,459 –> 01:57:59,879 [Raul Krauthausen]
Wie, wie fühlst du dich, wenn du jetzt, äh, die kritische und gefragte Stimme in den Medien bist und so präsent bist? Also ich find das ja großartig und du erregst bei mir auf jeden Fall sehr viele neue Gedankengänge, äh-
01:57:59,879 –> 01:58:01,179 [Martyna Linartas]
[lacht] Danke schön.
01:58:01,179 –> 01:58:06,719 [Raul Krauthausen]
So dass ich dann auch… Ich bin noch nicht mal sicher, ob ich deiner Meinung bin, aber es regt zum Denken an, so.
01:58:06,719 –> 01:58:07,219 [Martyna Linartas]
Das ist doch gut.
01:58:07,219 –> 01:58:10,459 [Raul Krauthausen]
In vielerlei Hinsicht hast du mich überzeugt.
01:58:10,459 –> 01:58:12,139 [Raul Krauthausen]
Aber wie fühlst du dich, diese Rolle zu sein?
01:58:12,139 –> 01:58:14,779 [Martyna Linartas]
Kritisches Denken ist auf jeden Fall besser, als einfach nur zustimmen.
01:58:14,779 –> 01:58:15,139 [Raul Krauthausen]
[lacht]
01:58:15,139 –> 01:58:22,739 [Martyna Linartas]
Ähm, wie ich mich fühle? Ich hab mich, ich seh mich gar nicht so. Also ich hab jetzt ’n Buch geschrieben und ich rede sehr gerne über das Buch, aber ich würd jetzt nicht von mir behaupten-
01:58:22,739 –> 01:58:22,759 [Raul Krauthausen]
[lachend] Ja.
01:58:22,759 –> 01:58:39,979 [Martyna Linartas]
[durch Lachen] Dass ich die neue kritische Stimme bin, wie du das grade beschrieben hattest. Ähm, mal gucken. Es ist ja auch für mich ’n neues Phänomen, überhaupt mit Menschen, äh, derart offen auch darüber zu sprechen und auch so viel Feedback zu erhalten. Ähm, das bestärkt mich ehrlicherweise in meiner Arbeit.
01:58:39,979 –> 01:58:50,899 [Martyna Linartas]
Äh, ich hab jetzt auch jüngst einen Artikel geschrieben, wo es, wo es sehr stark darum ging, wie ich auch gelernt habe überhaupt mit meinem ehemaligen, sehr stark ausgeprägten Imposter-Syndrom umzugehen.
01:58:50,899 –> 01:58:52,239 [Raul Krauthausen]
Mhm.
01:58:52,239 –> 01:58:55,119 [Martyna Linartas]
Ähm, und wie,
01:58:55,119 –> 01:59:11,379 [Martyna Linartas]
wie ich auch glaube, so mittlerweile ist es, hab ich da ganz gut dran gearbeitet, auch weil ich, weil ich mich einfach selber nicht mehr so ernst nehme [lacht] und mir halt denke, ey, ich bin no- endlich, kann Fehler machen. Und am Ende des Tages muss ich vor allem einfach Freude an der Sache empfinden, aber ich-
01:59:11,379 –> 01:59:26,239 [Raul Krauthausen]
Was ja sehr selten erlebt wird, kann ich kein gutes Feedback geben, äh, dieses ernste Thema mit dem Lachen dann auch manchmal zu begleiten. Nein, also du lachst halt und ich hab noch selten einen Mann, der zu dem Thema redet, lachen hören.
01:59:26,239 –> 01:59:30,439 [Martyna Linartas]
Ja, ich lache aber auch einfach gerne. Ja, finde ich großartig. [lacht]
01:59:30,439 –> 01:59:34,679 [Martyna Linartas]
Und, ähm, ja, keine Ahnung. Es muss halt auch einfach… Das ist das, was ich meine. Es muss Spaß machen.
01:59:34,679 –> 01:59:36,339 [Raul Krauthausen]
Ja, das merkt man.
01:59:36,339 –> 01:59:37,779 [Martyna Linartas]
Und mein Thema ist so verdammt ernst.
01:59:37,779 –> 01:59:37,879 [Raul Krauthausen]
Ja.
01:59:37,879 –> 02:00:14,339 [Martyna Linartas]
Und es macht keinen Spaß, sich diese ganzen Zahlen anzugucken und zu, zu sehen, auch zu verstehen, wie momentan die Entwicklung ist, und zwar eine, eine zunehmend schlechte. Aber ich glaube auch, dass, ähm… Ich hab mal ganz, ganz am Anfang, also wirklich, das ist schon sehr lange her, noch bevor das Buch erschienen ist. Das war noch aus, aus ’ner anderen Perspektive heraus, auf die, die ich dann damals sprach, über, ähm– Da wurde ich befragt und hab unfassbar ernst die ganze Zeit geredet. Es war aber noch– Ich hat… Oder vielleicht noch mal ganz kurz. Ich hatte nämlich ’n richtig geiles Coaching erhalten. Darum, davon wollte ich eigentlich erzählen. Ich hab ’n Coaching erhalten, wo’s um aktives Zuhören ging und wo übrigens à la den Elmer Farlani mein Beispiel war.
02:00:14,339 –> 02:00:15,039 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:00:15,039 –> 02:00:26,319 [Martyna Linartas]
Er war da mein Vorbild. Und da hab ich gelernt, durch aktives Zuhören, ähm, wie wichtig es ist, in dem Moment zu sein und auch bei der, bei der Sache zu sein, dem Menschen komplett zuzuhören, und so weiter, und sich selbst auch vor allem nicht so ernst zu nehmen.
02:00:26,319 –> 02:00:26,739 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:00:26,739 –> 02:00:54,659 [Martyna Linartas]
Hat mir auch sehr stark bei meinem Imposter geholfen. Und, ähm, deswegen ist es halt auch so, sich nicht zu ernst zu nehmen und sich dann auch nicht so das, äh, Ego streicheln zu lassen, ist ganz wichtig für mich, weil ich ja das möglichst klein halten will. Also versuche ich vor allem immer auf eins zu achten, nämlich dass, ähm, dass ich auch selber was aus diesen Gesprächen rausnehme und bei diesen Menschen bin, mit dem ich dann in diesem Moment auch dieses Gespräch führe. So, also ich betrachte das nicht auf von dieser Metaebene: „Hey, ich bin ja jetzt und so weiter.“ Das, das, ähm,
02:00:54,659 –> 02:00:57,776 [Martyna Linartas]
wäre kontraproduktiv.Mhhhm
02:00:57,776 –> 02:01:12,756 [Raul Krauthausen]
Gibt es ein Thema, über das du gerne mehr reden würdest, als du es aktuell tust? Ich habe das Gefühl, meine Fragen sind jetzt auch eher so in die Richtung von Thilo Jung oder Matze Hilscher gewesen. Aber gibt es ein Thema, wo du gerne mehr drüber reden würdest?
02:01:12,756 –> 02:01:24,655 [Martyna Linartas]
Ähhhm Ich glaube ehrlicherweise, dass das Thema, das ist, das dann auch generell viel zu wenig drüber gesprochen wird, das ist voll okay und das habe ich in der Politik gelernt, Dinge x-fach zu wiederholen-
02:01:24,655 –> 02:01:24,975 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:01:24,975 –> 02:01:28,216 [Martyna Linartas]
um sie auf möglichst breiten Kanälen tausendmal zu streuen-
02:01:28,216 –> 02:01:28,435 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:01:28,435 –> 02:01:30,256 [Martyna Linartas]
damit es dann auch wirklich bei den Menschen ankommt.
02:01:30,256 –> 02:01:31,115 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:01:31,115 –> 02:01:47,155 [Martyna Linartas]
Und ich lerne keine Sätze auswendig. Das heißt, am Ende des Tages, ja, es bleiben die gleichen Anekdoten, es bleiben auch die gleichen Antworten, weil es ja auch authentisch rauskommt. Und es gibt jetzt auch nicht so viele Antworten auf ein und dieselbe Frage. Aber ich glaube, es ist nicht verkehrt, weil du auch noch mal andere Menschen erreichst, als es dann vielleicht Mattso oder-
02:01:47,155 –> 02:01:47,396 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:01:47,396 –> 02:01:54,396 [Martyna Linartas]
Und das ist wichtig. Von daher, es ist auch noch nicht so lange her, dass das Buch erschienen ist.
02:01:54,396 –> 02:01:54,556 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:01:54,556 –> 02:02:01,075 [Martyna Linartas]
Und ich war jetzt auch auf Lesetour und das, was am allermeisten Spaß gemacht hat, war dann jetzt nicht die Lesung oder der Vortrag selbst, sondern auch das Gespräch im Nachhinein.
02:02:01,075 –> 02:02:01,435 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:02:01,435 –> 02:02:08,135 [Martyna Linartas]
Also, ich finde es super. Und auch ich lerne immer noch ganz viel. Also ich habe auch das Gefühl, dass ich mit jedem Gespräch noch ein bisschen trittfester werde-
02:02:08,135 –> 02:02:08,576 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:02:08,576 –> 02:02:22,776 [Martyna Linartas]
und manches Mal auch so merke, welcher Punkt gelingt mir gerade besser oder was kann ich noch ein bisschen anders darstellen, um das auch verständlicher zu machen, weil ich das wirklich für sehr, sehr elementar erachte oder als elementar erachte, nämlich dieses Wissen auch an die Breite der Bevölkerung zu tragen.
02:02:22,776 –> 02:02:23,335 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:02:23,335 –> 02:02:36,395 [Martyna Linartas]
So, und da muss ich einfach auch selber mein Bestes geben und das funktioniert wie bei einem Instrument. Das muss man tausendmal spielen, bis man dann irgendwann ein neues Stück drauf hat. Ähm Und so sehe ich das ähnlich auch mit Interviews, die ich gerade führe.
02:02:36,395 –> 02:02:39,215 [Raul Krauthausen]
Und gibt es trotzdem ein Thema, über das du gerne mehr reden würdest?
02:02:39,215 –> 02:02:47,435 [Martyna Linartas]
Ähhhm Jetzt aus meiner Perspektive, meiner Forschungsperspektive, ich bin noch nicht so weit, dass ich jetzt neue Forschungsergebnisse habe, über die ich schon berichten wollen würde.
02:02:47,435 –> 02:02:49,956 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:02:49,956 –> 02:02:59,415 [Martyna Linartas]
Und generell, ich weiß nicht, Solidarität, gen, so allgemein als Thema. Aber da würde ich, glaube ich, auch vor allem erst mal noch viel mehr zuhören und selber lesen.
02:02:59,415 –> 02:03:00,835 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:03:00,835 –> 02:03:12,975 [Martyna Linartas]
Und, ähhhm ein Thema, was ich auch total spannend finde und wo ich mich auch noch weiter mit gerne befassen möchte, das kam nur so ein ganz, ganz bisschen am Rande, auch bei Matze,
02:03:12,975 –> 02:03:16,355 [Martyna Linartas]
dass Eva von Radecker zum Beispiel auch durchaus spirituelle Ansätze hat.
02:03:16,355 –> 02:03:16,635 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:03:16,635 –> 02:03:27,455 [Martyna Linartas]
Und bei Jason Hickel, „Weniger ist mehr, da kommt das auch durch. Da dringt das durch, dass wir, wenn wir das System überwinden wollen, auch noch mal die Frage von Dualismus mehr
02:03:27,455 –> 02:03:31,775 [Martyna Linartas]
thematisieren sollten. Also Dualismus in dem Sinne, dass wir uns als getrennt von der Welt betrachten.
02:03:31,775 –> 02:03:31,975 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:03:31,975 –> 02:03:37,215 [Martyna Linartas]
Wir stehen über der Natur und können… Eine Mutter Natur würdest du nicht ausbeuten-
02:03:37,215 –> 02:03:37,515 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:03:37,515 –> 02:03:41,215 [Martyna Linartas]
aber wenn du über der Natur stehst, dann kannst du das durchaus machen.
02:03:41,215 –> 02:03:42,095 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:03:42,095 –> 02:03:53,815 [Martyna Linartas]
Und jetzt habe ich gerade wiederholt Erich fromm Haben oder Sein gelesen. Da geht es die Existenzweise des entweder des Habens, was kapitalistisch ist, oder der Denkweise und Lebweise, der Existenzweise des Seins.
02:03:53,815 –> 02:03:54,615 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:03:54,615 –> 02:04:10,995 [Martyna Linartas]
Und wie also solche tiefgründigen, durchaus auch spirituellen Fragen und auch Fragen wirklich des Verstehens, des Existierens zusammenhängen mit unseren Ideologien, in denen wir leben. Das wären so noch, glaube ich, die nächsten Ebenen, die man noch viel, viel tiefer reingehen müsste.
02:04:10,995 –> 02:04:15,555 [Raul Krauthausen]
Wie gehst du denn mit Widerspruch um oder mit sogar Hass?
02:04:15,555 –> 02:04:22,455 [Martyna Linartas]
Ähhhm Also auf, also Hass oder Hetze im Internet ignoriere ich mittlerweile.
02:04:22,455 –> 02:04:22,475 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:04:22,475 –> 02:04:28,715 [Martyna Linartas]
Ich habe mir das früher zu Herzen genommen. Das hat mich fertig gemacht, sehr viel Energie gekostet und deswegen habe ich damit aufgehört.
02:04:28,715 –> 02:04:32,675 [Raul Krauthausen]
Ich nannte es immer das Internet aufräumen. Ich habe aufgehört, mit dem Internet aufzuräumen.
02:04:32,675 –> 02:04:34,715 [Martyna Linartas]
Genau. Schafft man ja sowieso nicht. [lachen]
02:04:34,715 –> 02:04:35,155 [Raul Krauthausen]
Ja, genau.
02:04:35,155 –> 02:04:39,355 [Martyna Linartas]
Diese Chaoten, du. [lachen] Und es ist auch so unverhältnismäßig-
02:04:39,355 –> 02:04:39,815 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:04:39,815 –> 02:05:00,155 [Martyna Linartas]
weil man freut sich dann zwar natürlich auch über die positiven Nachrichten und wenn ich Direct Messages bekomme, die versuche ich auch zu lesen. Ich schaffe es nicht alle Tage, aber ich versuche es zumindest auch, da darauf zu reagieren und den Menschen mitzuteilen, auf diese Weise: „Hey, ich lese das, ich sehe das. Bei Instagram geht man mit sehr viel liebevoller miteinander um als auf X. Auf X lese ich gar keine Kommentare mehr.
02:05:00,155 –> 02:05:13,875 [Martyna Linartas]
Und deftige Diskussionen auf der Bühne finde ich cool. Die sind konstruktiv. Solange man fair miteinander umgeht und sich danach auch noch ins Gesicht gucken und die Hand reichen kann – und das kann ich ganz gut – ahhhm finde ich das vollkommen in Ordnung.
02:05:13,875 –> 02:05:22,595 [Raul Krauthausen]
Und wenn du bei Markus Lanz zum Beispiel jetzt im Studio wärst und dann steht da Lindner und und und Jens Spahn, die dann teilweise
02:05:22,595 –> 02:05:35,235 [Raul Krauthausen]
schwierige Sachen sagen oder vielleicht sogar auch einen dann schnell abtun als Aktivist, Aktivistin, die ja sowieso keine Ahnung hätten. Man müsste ja selber, wenn man selber mal an der Macht wäre, dann würde man ja auch so entscheiden und so.
02:05:35,235 –> 02:05:41,455 [Martyna Linartas]
Dann würde ich lachen. [lachen] Du, pass auf, diese Reaktion ist ganz geil.
02:05:41,455 –> 02:05:41,575 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:05:41,575 –> 02:05:54,895 [Martyna Linartas]
Ich hatte das letztens auf der Bühne, da stand ich nämlich neben einer Unternehmensvertreterin. Ich weiß gar nicht mehr, was das von der Lobbygruppe war. Und dann hat sie irgendwie so einen Quatsch erzählt wie: „Ja, die Erbschaftsteuer, die ist ja so gefährlich, dann ist Omas Häuschen weg. Das war original ihre Aussage.
02:05:54,895 –> 02:05:55,555 [Raul Krauthausen]
Wow.
02:05:55,555 –> 02:06:03,135 [Martyna Linartas]
Und ich habe angefangen zu lachen und die hat total verwirrt mich angeglotzt. So: „Öh, weil wir standen beide auf der Bühne-
02:06:03,135 –> 02:06:03,195 [Raul Krauthausen]
Ja
02:06:03,195 –> 02:06:05,455 [Martyna Linartas]
und haben miteinander diskutiert und ich fang halt an zu lachen.
02:06:05,455 –> 02:06:06,195 [Raul Krauthausen]
Mhhhm
02:06:06,195 –> 02:06:20,455 [Martyna Linartas]
So, und die schicke Frau in ihrem Hosenanzug und mit teurem Schmuck und teuren Schuhen und High Heels und so. Und dann stehe ich da einfach nur und sie so: „Wie bitte? Na ja, ist halt Quatsch, den Sie da erzählen. Ich dachte, das stimmt nicht so. Zufälligerweise habe ich dazu eine Doktorarbeit geschrieben.
02:06:20,455 –> 02:06:20,495 [Raul Krauthausen]
Ich habe dir was vorbereitet.
02:06:20,495 –> 02:08:31,071 [Martyna Linartas]
Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen auch gerne Paragrafen dazu zitieren. Können wir bitte einfach festhalten, dass das eine Lüge ist? Das ist seit zweitausendneun, laut Paragraf und so weiter und so fort. Es hat Spaß gemacht. Und genauso kann ich auch darauf reagieren: Es ist traurig. Das habe ich gelernt, dass ich mir als Frau auch wirklich erst mal dieses Standing aufbauen musste. Ich war mal bei der UN für ein paar Monate für ein Praktikum und da meinte meine alte Chefin zu mir: „Wenn du in der Wissenschaft ernst genommen werden möchtest als junge Frau, musst du promovieren. Und diesem Rat bin ich gefolgt und es hat sehr viel geholfen, weil ich jetzt auch wirklich sagen kann: „Sorry, aber ich bin keine Aktivistin. Ich bin Dr. Lina Havis und ich hab-Ich dazu gearbeitet, ich habe jahrelang dazu geforscht. Ich habe alles an Büchern, Studien dazu gelesen und ich habe eine sehr gut benotete Arbeit dazu verfasst und das ist anerkannt. Ähm, ich lehre dazu an der Uni und an der, einer Hochschule. Also das hat hier mit bloßer Meinungsmacherei … Hold my beer. [lacht] Ja. Ja, Mann. So. [lacht] Das ist hier keine bloße Meinungsmache. Und dass dann da ein Kla– äh, dass da ein Christian Lindner irgendwie sagen würde: „Ja, aber Lars Feld“, ja, das ist mir ja egal. Mhm. So, wir haben– wir vertreten zwei verschiedene Denkschulen. Dass wir nicht dieselbe Weltsicht haben, ist uns beiden bewusst. Und dann geht es jetzt aber darum, wer hat das bessere Argument? Und die Daten, die Fakten, die sind auf unserer Seite, auf der Seite der Progressiven, die sagen Neoliberalismus ist scheiße. Und zwar nicht nur, weil er einfach nicht mehr so hübsch ausschaut, sondern weil die ganzen Versprechen nicht eingehalten wurden. Weil einfach keine empirische Evidenz da ist für all die Versprechungen, die gemacht wurden, zum Beispiel im Sinne dessen, dass Klassen überwunden werden oder dass der Wohlstand runtersickert zum Rest der Gesellschaft und so weiter und so fort. Ganz im Gegenteil, wir sind in der Situation, in der wir heute stehen, mit einer krassen großen Ungleichheit und mit einer Klimakrise, weil wir diesen Neoliberalismus haben. Und theoretisch war das alles in und für sich schlüssig. Das ist dann ja eben dieses Paradigma. Aber jetzt haben wir das halt untersuchen können. Und jetzt haben wir zig Studien, hunderte Studien, tausende Studien, die entlang all dieser verschiedenen, äh, Annahmen, die getätigt wurden damals, der Hypothesen, einfach diese falsifizieren konnten. Und das Spannende ist dann aber, das war letztens so ein Move, zum Beispiel, ich weiß gar nicht mehr, was das für ein Professor war, irgendeiner.
02:08:31,071 –> 02:09:46,731 [Martyna Linartas]
Äh, wie hieß denn der noch mal? Fällt mir jetzt gerade der Name nicht ein, der in den USA sitzt. Und dann hat er irgendwas gesagt: „Ja, das, was Thilo Jung sagt, stimmt nicht.“ Und dann meinte ich so: „Doch, das stimmt. Hier ist bitte schön die Metastudie dazu.“ Ähm, er hat recht. Es gibt nämlich diese Metastudie von Heimberger und anderen, die zeigen in dieser Metastudie mit einer Auswertung von über vierzig Studien-studien und über vierhundert Fällen auf, dass Steuersenkungen für Unternehmen nicht zu Wirtschaftswachstum führen. Und die Reaktion des Professors war dann, die Methodik dieser Metastudie infrage zu stellen. Wo ich mir nur so denke: „Alter, du tust gerade der Wirtschaftswissenschaft generell keinen Gefallen, wenn du jetzt anfängst, wissenschaftliche Dinge, die überprüft werden, die auch ein Standard sind, die sich ja auch wiederum aufbauen auf den Schultern von anderen, die solche Methoden und Theorien entwickelt haben, da das jetzt irgendwie halt so zu verunglüpfen.“ Also da dachte ich mir auch nur so: „Alter, da reagiere ich jetzt auch nicht drauf, das ist mir zu blöde.“ Ähm, im Sinne von: „Nö.“ [lacht] Das war nämlich auf X zum Beispiel, auf Twitter. Ähm, und da muss man auch einfach nur wissen, so es ist– das muss man aushalten. Da muss man dann aber auch einfach merken, am Ende kochen wir alle nur mit Wasser. Na klar. Du hast von, äh, was von, ähm,
02:09:46,731 –> 02:09:59,851 [Martyna Linartas]
äh, ja, im Einklang mit, äh, der Natur und so gesagt. Ich finde, wir können auch, können auch im Einklang mit unseren Gefühlen mal anfangen, äh, unsere Arbeiten zu machen, ähm, weil
02:09:59,851 –> 02:10:11,251 [Martyna Linartas]
ich habe selten oder es gibt– ich habe noch keine Talkshow gesehen im deutschen Fernsehen, wo einer oder eine im Pu– äh, gesagt hat auf dem Podium: „Ach so, nee, da haben Sie recht.“
02:10:11,251 –> 02:10:41,091 [Martyna Linartas]
Das stimmt. Ne, und es geht ja letztendlich– Wir bringen ja dann alle unsere Thesen mit und die wollen wir dann möglichst schlagfertig und effektiv und laut und lang breittreten, weil wir dann unsere, unsere, ja, Tricks mitbringen. Ähm, aber um das wirklichen, um den wirklichen Austausch geht es ja gar nicht mehr. Und am, am Ende gewinnt der oder die, ähm, der einfach am besten trainiert hat, so wie beim Kanzlerduell oder Kanzlerinnenduell. Hm, und
02:10:41,091 –> 02:11:04,471 [Martyna Linartas]
welche Verantwortung hat denn dann der Journalismus dabei? Weil Sprache ja auch Macht bedeutet. Mhm. Und du hast es neulich so krass gesagt, das Wort „Steuerlast“. Mhm. Ja, also, dass Steuern plötzlich ’ne Last sind. Wir könnten auch sagen: „Steuern, Steuern“, wie wir vorhin besprochen haben. Ja. Oder „Leistungsträger“. Jep.
02:11:04,471 –> 02:11:55,571 [Martyna Linartas]
Oder „Klientel“, wenn man von Bürgern, die wählen. Mhm. Auch sehr schön. Ganz, ganz schlimm. Das höre ich sehr häufig von Markus Lanz. Sollte ich mal jemals bei ihm in der Sendung sitzen, würde ich mich sehr freuen, wenn ich ihn darauf aufmerksam machen dürfte. Das ist sehr, sehr- Also, diese Ökonomie, die Ökonomisierung der Politik. Wenn das dann heißt: „Ja, aber Ihre Klientel.“ Ich denke mir so: „Hä, die kaufen doch nicht bei der SPD ein. Die wählen sie. Und es geht um die Vertretung von Bürgerinteressen und nicht darum, wer hat das meiste Geld? Weil das klingt dann direkt wieder so: „Ach, Politik ist käuflich.“ Mhm. Und es wird vor allem darauf gehört, wer sich das kaufen kann. Die Klientel, die mehr Kohle hat. Sehr schwierig. Und welche, also welche Verantwortung ha-hat ja quasi der Journalismus, also ein Markus Lanz und die Redaktion dahinter, ähm, um auch diese Sprache mal zu entschärfen. Das ist das, wo ich vor– ich vorhin meinte mit diesen,
02:11:55,571 –> 02:13:10,799 [Martyna Linartas]
wenn Politikerinnen sagen „Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen“, dann quasi ’ne Finanzministerin zu fragen: „Ja, aber was heißt denn das jetzt in Bezug auf Transferleistungen?“ Mhm. [Lippenschmatzen] Ich glaube, das ist ’n iterativer Prozess. Also dass sowohl– Ich, ich hab das in, in alle Richtungen schon erlebt, dass, äh, WissenschaftlerInnen da sitzen und JournalistInnen etwas mitgeben können im Sinne von: „Schauen Sie doch mal. Lassen Sie’s doch nicht vom Superreichtum, sondern von Überreichten reden.“ Mhm. Und das wird dann immer mehr aufgegriffen. Oder aber ich sitze auf der Bühne und nach der Bühne, äh, nach dem Auftritt kommen AktivistInnen auf mich zu und sagen: „Kannst du bitte statt ‚umverteilen‘ ‚rückverteilen‘ sagen?“ Weil es klingt ja so Robin-Hood-Style-mäßig, als wenn die Reichen dann– also als wenn wir dann halt nur so, ähm- Gönnerhaft. -dann nur so kriegen. Wir bauen das– Ja, genau, so gönnerhaft. Wir bauen das doch mit auf, das Vermögen. Mhm. Also geht’s doch darum, dass es rückverteilt wird und nicht umverteilt von oben nach unten, sondern wir sollten alle gerecht daran beteiligt werden. Fand ich so klug. Das war eine Aktivistin von Hashtag „Ich bin arm und betroffen“. Oder auch… Entschuldigung. Nee, alles gut. Oder auch, dass, dass du gesagt hast– das haben wir auch überhaupt nicht klar. Es gibt ’ne Definition von arm sein, aber es gibt keine Definition von reich sein. Korrekt.Ja, und darüber sollte man auch viel, viel mehr sprechen.
02:13:10,799 –> 02:13:13,520 [Martyna Linartas]
Ja, auf jeden Fall. Ich mach’s ja. [lachen]
02:13:13,520 –> 02:13:17,320 [Raul Krauthausen]
Also auch der Journalismus, meine ich, könnte das mal tun.
02:13:17,320 –> 02:13:48,339 [Martyna Linartas]
Aber da tut sich gerade viel, du. Also das ist auf jeden Fall mein Eindruck. Ich meine, ich forsche seit ungefähr zehn Jahren sitze ich, sitze ich tatsächlich in der Politikwissenschaft an diesem Thema dran und ich habe das Gefühl, dass da immer, immer mehr geschieht. Ähm, selbst in Talksendungen, guckt dir zum Beispiel mal an, wie das aussieht bei Hart aber Fair. Da saßen früher fünf Leute in einer Reihe und haben sich neoliberal brav auf die Schultern geklopft, wenn es Steuerpolitik geht. Und heute sitzen da drei gegen drei einander gegenüber und die einen verteidigen den Status quo und die anderen sind progressiv. Das heißt, du blickst Also es geschieht schon was.
02:13:48,339 –> 02:13:51,239 [Raul Krauthausen]
Du blickst hoffnungsvoll in die Zukunft?
02:13:51,239 –> 02:13:53,220 [Martyna Linartas]
Ja, das tue ich.
02:13:53,220 –> 02:14:43,359 [Martyna Linartas]
Es ist extrem viel passiert in den letzten zehn Jahren zum Thema Ungleichheit. Also vor wirklich ziemlich genau zehn Jahren ist überhaupt die Reduzierung von Ungleichheit zu einem Nachhaltigkeitsziel, zu einem eigenständigen Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen geworden. Und erst im Jahr davor hat Schmarb Picketty „Kapital im einundzwanzigsten Jahrhundert“ geschrieben. Und wenn man sich mal anschaut, was in nur zehn Jahren zu dem Thema passiert ist, wenn noch zweitausendacht, zweitausendzehn wissenschaftliche Artikel von, ähm, Nobelpreisträgern oder von Menschen, die den Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften nach Alfred Nobel gewonnen haben, gesagt haben, Verteilungsfragen, ähm, sind teuflisch und das war total verpönt. Und plötzlich ist es echt salonfähig geworden. Und plötzlich arbeiten hunderte von WissenschaftlerInnen zusammen im World Inequality Report und plötzlich haben wir Jahr um Jahr auch diese Zahlen. Und
02:14:43,359 –> 02:15:35,019 [Martyna Linartas]
das ist schon, da hat sich sehr, sehr viel getan. Und auch in der, in der Zivilgesellschaft beziehungsweise bei den Ak-, ähm, Akteuren, die da seitens von Verbänden, Vereinen, NGOs generell, äh, zusammenarbeiten, da würde ich auch sagen, dass wir immer enger und immer verzahnter miteinander zusammenkommen. Wir haben zum Beispiel auch eine Allianz gegründet, Allianz Vermögen besteuern jetzt. Das sind mehr als dreißig Organisationen, die sich davon einsetzen, dass wir die Vermögenssteuer wieder einsetzen und einführen. Oder auch, wenn man sich anschaut, dass wir die Fragen von sozialer Gerechtigkeit verknüpfen mit Fragen von Klima. Das gab es so in der Form vor fünf Jahren auch noch nicht. Das heißt, es macht auch echt extrem viel Spaß und es gibt auch sehr, sehr viel Hoffnung, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch aktivistisch tätig zu sein, weil ich dann auch einfach sehe, wie viel immer mehr Menschen in ein und dieselbe Kerbe schlagen. Die Kerbe von diesem Baum namens Neoliberalismus, der endlich mal gefällt werden soll.
02:15:35,019 –> 02:15:35,699 [Raul Krauthausen]
Immer ein bisschen mehr.
02:15:35,699 –> 02:15:39,899 [Martyna Linartas]
So, von daher [Zungenschnalzer] bin ich da tatsächlich hoffnungsfroh, ja.
02:15:39,899 –> 02:15:50,439 [Raul Krauthausen]
Du lehrst an der FU, aber auch an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz, äh, deren Leiterin Silja Graube auch hier zu Gast war.
02:15:50,439 –> 02:15:52,039 [Martyna Linartas]
Ja, die ist ganz toll.
02:15:52,039 –> 02:15:58,819 [Raul Krauthausen]
Was, ähm, unterscheiden diese beiden Unis voneinander für dich in deiner Arbeit?
02:15:58,819 –> 02:16:58,019 [Martyna Linartas]
Die sind unfassbar unterschiedlich. Das ist echt krass. Also die Freie Uni ist einfach eine gigantisch große Universität mit vielen verschiedenen Fakultäten oder Institu– äh, Instituten viel eher. Ähm, ich bin zum Beispiel als Politikwissenschaftlerin hier angegliedert am Otto-Suhr-Institut, arbeite, aber mein direkter Vorgesetzter ist ein Philosoph, also im Institut für Philosophie wiederum. Man hat hier eine sehr stark theoretische Ausprägung. Du lernst auch Methoden, aber so generell jetzt zumindest in der Politikwissenschaft, für die kann ich nur sprechen. Ich weiß nicht, wie es in anderen Fächern ausschaut. Ähm, ich habe hier im Laufen mal, ich habe auch meinen Master hier gemacht, wenig Methodenkenntnis gewonnen. Das musste ich mir selber aneignen. Ähm, du hast hier an der Freien Uni, wie ich finde, so tolle Studis. Also generell vom Schlag her würde ich sagen, eher, also politisch von der Einstellung her [kichern] eher links als konservativ. Ähm…
02:16:58,019 –> 02:16:58,579 [Raul Krauthausen]
Berlin halt.
02:16:58,579 –> 02:17:00,439 [Martyna Linartas]
Und es macht sehr viel Spaß. Hm?
02:17:00,439 –> 02:17:01,719 [Raul Krauthausen]
Berlin halt.
02:17:01,719 –> 02:18:16,079 [Martyna Linartas]
Berlin halt. Und Osi ist auch bekannt dafür. [kichern] Es war wohl mal ziemlich links drauf. Es ist mittlerweile nicht mehr so extrem. Also zumindest nicht, wenn man sich so die, ähm, Professorenschaft anguckt, dann war das früher, glaube ich, richtig, richtig links. Aber das sind alte Zeiten, da war ich gar nicht hier. Ähm, auf jeden Fall ist auch der Numerus Clausus, also der NC, sehr, sehr hoch, wenn man es an die Freie Uni in Berlin schaffen will. Ich glaube, als ich angefangen habe, war der bei eins drei, manchmal ist er bei eins null, überhaupt in den Master reinzukommen, zum Beispiel. Was bedeutet, dass du hier lauter Leute hast, die extrem viel reingebuttert haben, schon in ihrem Bachelorstudium zum Beispiel. Und, äh, entsprechend hoch ist auch die Qualität der Seminare. Also die Diskussion, die ich habe in meinen Seminaren, manchmal stelle ich eine Frage und alle Hände gehen hoch. Das ist so krass. Das war an anderen Unis nicht der Fall. Also wo ich selber studiert habe, nicht wo ich gelehrt habe. Und die Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz, die ist ganz, ganz anders aufgebaut. Du hast da nicht so Seminare von zehn bis dreißig Leuten, sondern in aller Regel sind das ganz kleine Gruppen und die gucken sich das nicht entlang von Disziplin an, wie zum Beispiel Politikwissenschaft als eine Disziplin, sondern entlang von Themen für eine sozialökologische Transformation. Und dann schauen die zum Beispiel auf das Blick, äh, auf das Thema Ungleichheit, blicken die dann aus verschiedensten Perspektiven.
02:18:16,079 –> 02:18:17,019 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:18:17,019 –> 02:18:51,059 [Martyna Linartas]
Ähm, und denken auch wirklich von der Art her: „Wie kann ich die Gesellschaft gestalten?“ Das ist eine Frage, die, die wirklich pragmatisch praktisch gedacht ist, wie du sie an der Uni so nicht lernst, ne? Also das eine ist bei uns hier sehr viel stärker auf Theorie ausgelegt und dort drüben ist es auch wirklich so, okay, wo und wie kann ich mich engagieren, um was, was zu tun? Und an der Freien Uni ist es zum Beispiel meist so, dass man regulär Unterricht hat an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz hat man Blöcke.
02:18:51,059 –> 02:18:59,659 [Martyna Linartas]
Ähm, das heißt, man macht einige Tage lang eine Sache sehr intensiv und dann ist auch wieder vorbei. Hat beides seine Vor- und Nachteile, würde ich sagen. Ähm…
02:18:59,659 –> 02:19:02,539 [Raul Krauthausen]
Und was, was gibt dir die HfGG?
02:19:02,539 –> 02:19:29,224 [Martyna Linartas]
Ähm, ich fand’s spannend.Ja, ich wollte auch einmal sehen, wie das so ist. [hörbares Einatmen] Ich weiß nicht, ob ich das fortführen kann, weil mich das dann doch sehr zerrissen hat, muss ich ehrlich gestehen. Auch geografisch. Geografisch und zeitlich. Mhm. Also, ich hatte jetzt dieses Semester habe ich jetzt bewusst keine Lehre angeboten, weil ich wusste, das Buch kommt raus und ich möchte [hörbares Einatmen] das Buch gerne in die Breite tragen. Ich wusste, ich möchte auf Lesereise gehen [hörbares Einatmen] und wenn es gut läuft, dann darf ich im Podcast kommen. [lacht]
02:19:29,224 –> 02:19:29,244 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:19:29,244 –> 02:19:48,463 [Martyna Linartas]
Ähm, und davor das Semester habe ich an beiden Unis gelehrt [hörbares Einatmen] und das war echt schon har– Kater, harter Tobak, ähm, so hin und her zu switchen. Ähm, aber es hat mir, ähm, es hat seine Vor- und seine Nachteile, definitiv. Und mit den Studis, die sind da auch in kleineren Gruppen, das heißt die sind auch sehr viel enger miteinander selbst in der Gruppe verwoben-
02:19:48,463 –> 02:19:48,663 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:19:48,663 –> 02:19:55,643 [Martyna Linartas]
-und haben da ein ganz anderes Zusammenleben. Also sie leben da zum Beispiel auch häufig, [hörbares Einatmen] nicht alle, aber, ähm, viele im Studierendenhaus zusammen und-
02:19:55,643 –> 02:19:55,663 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:19:55,663 –> 02:20:02,323 [Martyna Linartas]
-kochen gemeinsam und sind von morgens bis abends zusammen dort. Und wenige leben in Koblenz, sondern kommen dann für die Blöcke nach Koblenz-
02:20:02,323 –> 02:20:02,483 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:20:02,483 –> 02:20:13,983 [Martyna Linartas]
-und wohnen dann da im Studierendenhaus zusammen. Sie haben so eine richtige, [hörbares Einatmen] ich würde sagen, Gesellschaft oder Gemeinschaft, nicht Gesellschaft, ’ne Gemeinschaft, äh, unter ihnen auch ganz, ganz stark aufgebaut. Das ist schön zu sehen.
02:20:13,983 –> 02:20:44,943 [Raul Krauthausen]
Also, ich fand das tatsächlich auch spannend, was sie so erzählt, wie man auch, äh, oder wie ich verstanden habe an ihrer Arbeit, wie kapitalistisch auch unser Bildungssystem geworden ist, dass wir jetzt mit Punkten sammeln, Credits und dass die Einführung des Bachelors und Masters ja eigentlich auch eine Kapitalisierung oder, ja, doch eine Kapitalisierung der Lehre wurde, immer mehr. Äh, und dass es wenig Institute gibt, die das hinterfragen, ähm,
02:20:44,943 –> 02:21:00,064 [Raul Krauthausen]
und dass sie das dort unter anderem auch versuchen, fand ich es unfassbar interessant. Gibt es etwas, was du gerne noch lernen und oder ausprobieren möchtest [hörbares Einatmen] in deiner beruflichen Laufbahn?
02:21:00,064 –> 02:21:13,163 [Martyna Linartas]
Ich wünschte, ein Tag hätte mehr als vierundzwanzig Stunden oder Woche, mehr als sieben Tage. Ey, [hörbares Einatmen] ich komme nicht hinterher mit der, also andere gehen gerne Klamotten shoppen. Ich habe Bücher und so einen großen Stapel und es wird immer mehr und [hörbares Einatmen]
02:21:13,163 –> 02:21:57,123 [Martyna Linartas]
ach ja, ähm, ich hätte so Bock, auch noch mich zu befassen viel mehr mit den alten Klassikern, die ich, muss ich gestehen, nicht alle im Original gelesen habe, sondern häufig waren es nur Sekundärtexte. Äh, ich hatte volle Kanne Bock, noch viel mehr reinzugehen in die Tiefe auch von Fragen von, ähm, Systemen. Also beispielsweise arbeite ich gerade mit Christian Neuhäuser viel zusammen. Der ist Philosoph an der TU Dortmund. Der hat auch ein ganz tolles Buch über Ungleichheit geschrieben, über die Gewalt der Ungleichheit. Ähm, und der befasst sich zum Beispiel mit dem Konzept von Eigentümerdemokratie, dass ja Steuern bei weitem nicht ausreichen. Die sind elementar und du brauchst in einem neuen System, in einem neuen Paradigma [hörbares Einatmen] ein neues, anderes Steuersystem, eins, was von Gerechtigkeit getragen wird. [hörbares Einatmen] Aber du brauchst auch ein neues Verständnis überhaupt von: Wie werden die Produktionsmittel aufgeteilt?
02:21:57,123 –> 02:21:57,463 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:21:57,463 –> 02:22:39,603 [Martyna Linartas]
Wie wird Vermögen definiert? [hörbares Einatmen] So, und, äh, in diese Richtung würde ich gerne gehen. Ich würde auch noch gerne viel, viel mehr lernen über wirklich auch die Programmatik, wie genau man eine Gesellschaft aufbauen könnte, um Postwachstumstheorien [hörbares Einatmen] auch wirklich zu realisieren. Mhm. Also wo sind so noch so die schwierigen Stellen, wo man merkt, hm, wie kriegt man das hin, ohne dass da jetzt irgendwie [lacht leise] alles in sich zusammenfällt und man erst mal über Jahre [hörbares Einatmen]. Ähm, ich, ich weiß es nicht. Also es sind, [hörbares Einatmen] ich weiß für mich vieles in dem Sinne, dass ich das Gefühl habe oder dass se– sogar sicher bin, dass ich sicher bin, im Kapitalismus kann es nicht gelingen. Das, das ist etwas, wo ich mich jetzt schon in den letzten zwei, drei Jahren durchaus reingelesen hab.
02:22:39,603 –> 02:22:41,943 [Raul Krauthausen]
Also die Transformation, der Change?
02:22:41,943 –> 02:22:44,103 [Martyna Linartas]
Die Transformation muss passieren.
02:22:44,103 –> 02:22:44,143 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:22:44,143 –> 02:22:44,863 [Martyna Linartas]
Aber, ähm-
02:22:44,863 –> 02:22:45,683 [Raul Krauthausen]
Aber wie? Ohne-
02:22:45,683 –> 02:22:56,523 [Martyna Linartas]
Also auch wenn man sich auch einfach… Genau. Aber es ist, was ich jetzt in den letzten Jahren gelesen habe, war vielmehr häufig noch eine, eine Analyse dessen, wie es nicht, dass es nicht funktionieren kann im Kapitalismus.
02:22:56,523 –> 02:22:57,523 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:22:57,523 –> 02:23:42,863 [Martyna Linartas]
Also wie wir auch einfach die Welt zerstören und was, auf was für ’nem ausbeuterischen System das Ganze überhaupt fußt. Ähm, aber was ich jetzt noch gerne schaffen wollen würde, und auch philosophisch fand ich auch die Auseinandersetzung sehr, sehr wichtig, weil ich hatte das Gefühl, dass über Jahre hinweg ich zu stark in diesem sehr, mm, gar nicht in diesen philosophischen Ansätzen gewesen bin, sondern in diesem ganz, ganz strikten Mainstream immer noch. [hörbares Einatmen] Ähm, also härtere Theorien und gar nicht mehr so die Fragen nach, nach Prinzipien und Gerechtigkeit. Und ich glaub, das muss man für sich selber erst mal beantworten, ehe man dann rangeht an Strukturen, Prozesse und Inhalte. [hörbares Einatmen] Ähm, gerade ausgehend auch von Eva von Redecker. Da habe ich dann angefangen, mich mehr mit Philosophen auseinanderzusetzen, [hörbares Einatmen] die in die Richtung auch arbeiten.
02:23:42,863 –> 02:24:06,663 [Raul Krauthausen]
Ich finde das total spannend, weil, ähm, wir wissen jetzt also, wie es nicht weitergehen kann. Wir wissen, wie es sein soll, [hörbares Einatmen] aber die Transformation, den Change, Change Management, wie man es, glaub ich, im Kapitalismus oder [hörbares Einatmen] im marktwirtschaftlichen, äh, Kontext kennt, ähm, da gibt es relativ wenig, tatsächlich auch, das, äh, mir so begegnet ist. Ähm, und vor allem,
02:24:06,663 –> 02:24:58,823 [Raul Krauthausen]
Aladin nannte das, glaube ich, mal „magisches Denken“. Also ne, dass wir immer sagen können, es müsste so sein und dann denken wir uns das. [hörbares Einatmen] Aber wie wir dahin kommen, [lacht] das wird dann oft und da machen wir auch als Aktivistinnen, ich, wenn ich über Inklusion rede, ähm, was jetzt mein Themenbereich, mein Tanzbereich ist, ja, äh, äh, mache ich es mir manchmal auch zu einfach, wenn ich sage: „Ja, äh, wir müssen uns alle lieb haben.“ [hörbares Einatmen] Aber das, das ist natürlich auch nicht so einfach, weil [hörbares Einatmen] auf dem Weg dahin werden wir uns streiten. Es wird Verteilungskämpfe geben, es wird „Wer, wer hat Verantwortung?“, die Frage geben. Ne, so. Und das wird jetzt- Mhm. Auch nicht– Inklusion ist nicht nur dann geil, wenn auch Nichtbehinderte davon profitieren, sondern Inklusion ist auch geil, vor allem dann geil, wenn, ähm, auch mal Platz gemacht wird und dann eben diese Machtfragen, ähm, aufkommen.
02:24:58,823 –> 02:24:58,843 [Martyna Linartas]
Ja.
02:24:58,843 –> 02:25:12,723 [Raul Krauthausen]
Äh, und da macht sich, glaube ich, der Aktivismus, und ehrlich gesagt, Aladin dann in seiner Forschung auch, es sich zu einfach, ähm, wenn dann gesagt wird, es müsste so sein, aber dann nicht die Frage beantwortet: „Aber wie kommen wir dahin?“
02:25:14,973 –> 02:25:18,153 [Martyna Linartas]
[Hörbares Einatmen] [lacht] Und was ich da, was ich damit meine ist-
02:25:18,153 –> 02:25:21,533 [Raul Krauthausen]
Mit uns Wissenschaftlern oder mit uns Aktivistinnen. Ich bin ja kein Wissenschaftler.
02:25:21,533 –> 02:25:23,513 [Martyna Linartas]
Mit uns Menschen, die ein schöneres Morgen haben wollen.
02:25:23,513 –> 02:25:25,093 [Raul Krauthausen]
Ja, okay.
02:25:25,093 –> 02:25:28,513 [Martyna Linartas]
Ähm, weil ich glaube, es, es ist gerad-
02:25:28,513 –> 02:25:28,534 [Raul Krauthausen]
Das ist ja ungewöhnlich.
02:25:28,534 –> 02:25:30,854 [Martyna Linartas]
Ja, ja, das ist auch okay, geht mir ja nicht anders.
02:25:30,854 –> 02:25:31,213 [Raul Krauthausen]
[übersprechen] Ja.
02:25:31,213 –> 02:25:34,254 [Martyna Linartas]
Aber ich hab auch gelernt, dass wir freundlicher zu uns selbst sein sollten.
02:25:34,254 –> 02:25:34,933 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:25:34,933 –> 02:25:36,293 [Martyna Linartas]
Um den Spaß an der Sache zu behalten. [lacht]
02:25:36,293 –> 02:25:37,293 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:25:37,293 –> 02:25:37,773 [Martyna Linartas]
Was sehr wichtig ist.
02:25:37,773 –> 02:25:38,613 [Raul Krauthausen]
Na, da hast du recht.
02:25:38,613 –> 02:25:55,453 [Martyna Linartas]
Nein, aber ich– Es ist ja auch einfach so unfassbar jung das alles, zumindest nach meinem, nach meinem Empfinden. Vielleicht irre ich mich auch an anderen machen und ich, ich kenne ja auch Leute, die seit Jahrzehnten daran arbeiten, ackern. Ich bin das erst seit nem, einem Jahrzehnt so dabei. Und ich würde sagen, wir haben sehr, sehr große Fortschritte gemacht.
02:25:55,453 –> 02:25:56,113 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:25:56,113 –> 02:26:15,993 [Martyna Linartas]
Und dann ist halt immer die Frage, ob man überhaupt… Also wie willst du strategisch an die Sache rangehen? Weil ich glaub schon, ist es erst mal wichtig, also auch zu zeigen, das Aktuelle ist falsch. So kann’s nicht weitergehen. Dann brauchst du Utopien, um ein Ziel zu haben, auf das du hinschielen kannst und zu sagen, davon ausgehend, das ist das, was richtig und schön ist. So, weil n Haus fängst du auch nicht an, ohne Plan zu bauen.
02:26:15,993 –> 02:26:16,013 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:26:16,013 –> 02:26:38,913 [Martyna Linartas]
Oder eine Vorstellung davon, wie das aussehen soll. Aber da musst du natürlich wie n Architekt auch in die Details reingehen und dann musst du das langsam aufbauen. Alle, die daran arbeiten an diesem Plan, müssen aber erst mal ne Vorstellung davon haben, wie es aussehen sollte. So von daher, ich glaub, wir sind schon an nem guten Punkt und, äh, müssen da auf jeden Fall noch mehr Hirnschmalz reinstecken [Scheppern] und auch bestimmt sehr viel mehr Zeit und Energie. So, ähm, aber working on it und auf sehr, sehr vielen Ebenen.
02:26:38,913 –> 02:26:47,053 [Raul Krauthausen]
Du kennst ja bestimmt auch die Frage: Dann machst du ne Lesung und dann fragt jemand aus dem Publikum: „Ja, okay, aber wie kommen wir dahin?“ Was sagst du denn dann?
02:26:47,053 –> 02:26:50,653 [Martyna Linartas]
Mhhhm. Unser Ansatz bei Ungleichheit.info ist ein Dreiklang.
02:26:50,653 –> 02:26:51,433 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:26:51,433 –> 02:27:03,533 [Martyna Linartas]
Verstehen, vermitteln, verringern. Jetzt im Punkto Ungleichheit. Also erst mal das Phänomen erst mal gut verstehen. Das Wissen, was man dann dazu aufbaut, wirklich auch gut zu vermitteln, damit man nicht alleine an diesem Projekt oder diesem Problem arbeitet.
02:27:03,533 –> 02:27:03,993 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:27:03,993 –> 02:27:13,653 [Martyna Linartas]
Und dann erst kann man es anpacken, weil ich glaube nicht daran, dass wir im Einzelnen, jeder für sich alleine, es hinbekommen, da irgendwie jetzt eine schönere Welt zu zimmern. So, es ist ne Gemeinschaftsaufgabe.
02:27:13,653 –> 02:27:18,233 [Raul Krauthausen]
So wie Luisa Neubauer sagt, die Bambuszahnbürste rettet nicht das Klima.
02:27:18,233 –> 02:27:33,373 [Martyna Linartas]
Ja, und wir müssen auch wirklich sehr, sehr breit und aus einer, aus einem Geist der Solidarität heraus an diese Sache halt herangehen. Und das ist etwas, wo ich jetzt nicht die eigen– die Verantwortung nur bei mir sehe oder bei den einzelnen Studierenden, die auch immer sagen: „Was kann ich denn damit tun?“ Denk erst mal an ein „Wir“.
02:27:33,373 –> 02:27:33,853 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:27:33,853 –> 02:27:55,093 [Martyna Linartas]
So, versuch dich zu organisieren und dann schau auch, wo du deine Talente und das, was du, was du aufm Kasten hast, am besten einbringen kannst. Und das ist das, was ich meinte mit zu schauen, welchem Typus du entsprichst und was du auch glaubst, wo du am ehesten Hebel in Bewegung setzen kannst. Aber dass das jetzt nicht etwas ist, was von heut auf gleich geschieht, geschenkt. [Lacht] Das ist okay.
02:27:55,093 –> 02:28:11,253 [Raul Krauthausen]
Kannst du irgendwas den ZuhörerInnen, äh, empfehlen? Ne Organisation, n Projekt? Bücher hast du ja schon einige genannt, ähm, die, äh, sich, man sich mal anschauen könnte, wenn man sich selber auch engagieren möchte? Es kann auch n ganz anderes Thema sein, meinetwegen-
02:28:11,253 –> 02:28:11,773 [Martyna Linartas]
Mhm.
02:28:11,773 –> 02:28:14,973 [Raul Krauthausen]
-Sea Watch oder was auch immer dir einfällt.
02:28:14,973 –> 02:28:18,973 [Martyna Linartas]
Jaaa, [hörbares Einatmen] und zwar die Doku „Kein Land für niemand“.
02:28:18,973 –> 02:28:19,173 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:28:19,173 –> 02:28:19,833 [Martyna Linartas]
Hast du die schon gesehen?
02:28:19,833 –> 02:28:21,533 [Raul Krauthausen]
Noch nicht.
02:28:21,533 –> 02:28:55,193 [Martyna Linartas]
Oh, die ist so herzzerreißend und so gut. [Schnauft] Ähm, das ist ne ganz, ganz tolle Doku. Ich hab sie vor wenigen, ich glaub, das ist mittlerweile zwei Wochen her oder so- Mhm. -äh, gesehen von Max Arendt und Mike Lüdemann. Und die haben es echt geschafft, aufzuzeigen, wie aus unserem verfluchten neoliberalen Paradigma mit dem stetigen Sparzwang, Austeritätspolitik und so weiter, was das für Auswirkungen hat auch auf Migrationspolitik und diese ganze– Also wie diese ganzen Dinge zusammenhängen und wer am Ende vor allem die Zeche zahlt.
02:28:55,193 –> 02:28:56,353 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:28:56,353 –> 02:28:59,493 [Martyna Linartas]
Ähm, und das ist n, das ist n
02:28:59,493 –> 02:29:08,573 [Martyna Linartas]
Film, ein Dokumentarfilm, auch mit sehr vielen klugen Stimmen aus der Wissenschaft, aber auch sehr, sehr stark aus der Perspektive von Betroffenen dieser Migrationspolitik-
02:29:08,573 –> 02:29:08,593 [Raul Krauthausen]
Mhm,
02:29:08,593 –> 02:29:09,933 [Martyna Linartas]
-und dieses krassen Rechtsrucks.
02:29:09,933 –> 02:29:11,153 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:29:11,153 –> 02:29:49,853 [Martyna Linartas]
Und er hat mich sehr stark zum Regen an, zum Denken angeregt. Er hat mich auch echt volle Kanne zum Heulen gebracht. Also ich brauchte so’n paar Stunden, um wieder klarzukommen. Und ich dachte, das ist so ’n Film, den alle mal gesehen haben sollten, um zu verstehen, was aufm Spiel steht, um auch zu verstehen, wie wichtig es auch ist, auf, auf eigener Ebene auch die Gespräche, die auch manchmal schwierig sein können mit Freunden oder Familie, die eine andere Meinung haben, auszuhalten. Und vor allem hätt ich mir so sehr gewünscht, dass es zu so ner Pflicht, zu einem, zu einem Pflichtprogramm wird für PolitikerInnen, damit die dann auch begreifen, was aufm Spiel steht, nämlich extreeem viele Menschenleben. Über, also über zweiunddreißigtausend Menschen-
02:29:49,853 –> 02:29:49,893 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:29:49,893 –> 02:30:12,433 [Martyna Linartas]
-die gestorben sind bei der Überquerung des Mittelmeers in den letzten wenigen Jahren und die Dunkelziffer wird viel, viel höher sein. Und das alles sind politische Entscheidungen und das hängt alles auch mit unserer Austeritäts-Sparpolitik, mit dem Rechtsruck in der Politik zusammen. Das finde ich richtig, richtig bitter und krass. Von daher, das wär so eine Sache. Das ist ’n Film, [atmet aus] och, da hatt ich Gänsehaut.
02:30:12,433 –> 02:30:13,433 [Raul Krauthausen]
Verlinken wir auf jeden Fall-
02:30:13,433 –> 02:30:13,453 [Martyna Linartas]
Echt stark.
02:30:13,453 –> 02:30:15,413 [Raul Krauthausen]
-in den Show Notes. Und ’ner Organisation?
02:30:15,413 –> 02:30:17,413 [Martyna Linartas]
Danke schön.
02:30:17,413 –> 02:30:21,553 [Martyna Linartas]
Ähm, das ist sehr, sehr ste– äh, das ist auch in, in Kooperation entstanden mit Sea Watch und S.E.E. Eye.
02:30:21,553 –> 02:30:22,973 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:30:22,973 –> 02:30:50,813 [Martyna Linartas]
Also wirklich so ne Organisation. Ich hab jetzt auch n paar Menschen dann kennenlernen dürfen, kurz und spontan da, ähm, als ich mir diese Premiere auch in Berlin angeschaut habe. Alter, was die für Arbeit machen. Aber es gibt so viele tolle. Ich mein, d-da gibt’s jetzt irgendwie, wenn ich mir das mal so angucke, in meinem Umkreis, jetzt über Ungleichheit Punkt Info hinaus, find ich die Arbeit von Finanzwende super, von Fiscal Future super, von Text me Now, Netzwerk Steuergerechtigkeit bringt monatlich ’nen richtig geilen Podcast auch raus zu Fragen von Steuergerechtigkeit. Also-
02:30:50,813 –> 02:30:53,413 [Raul Krauthausen]
Ich bin Armutsbetroffen.
02:30:53,413 –> 02:30:54,233 [Raul Krauthausen]
Hast du noch gesagt.
02:30:54,233 –> 02:31:00,353 [Martyna Linartas]
Hashtag ich bin Armutsbetroffen, auf jeden Fall. Ähm, Sanktionsfrei mit Helena Steinhaus. Was sind das denn bitte für tolle Menschen?
02:31:00,353 –> 02:31:01,393 [Raul Krauthausen]
War auch jetzt zu Gast, ja.
02:31:01,393 –> 02:31:21,513 [Martyna Linartas]
Grandios. Ähm, ja, also Gott, es gibt– Und das, weißt du, das ist nämlich das, was mir auch Hoffnung macht, auch zu sehen, wie viele tolle Menschen an solchen Themen arbeiten. Und es werden immer mehr und es wird auch immer enger verzahnt. Also, das ist echt krass, aber ich bin viel auch auf Veranstaltungen unterwegs und hab ganz häufig das Gefühl, eigentlich ist das so ’n wiederkehrendes Klassentreffen, weil wir uns ständig wieder- [übersprechen 00:04:42]
02:31:21,513 –> 02:31:23,253 [Raul Krauthausen]
Ja, aber das ist ja auch Teil des Problems-
02:31:23,253 –> 02:31:23,293 [Martyna Linartas]
[lacht]
02:31:23,293 –> 02:31:29,693 [Raul Krauthausen]
-weil wir uns in unserer Blase die ganze Zeit gegenseitig bestätigen, ähm, aber eben nicht den Herrn Fels-
02:31:30,597 –> 02:32:34,417 [Martyna Linartas]
Äh, ich glaube, das– das stimmt schon. I-i-ich gehe da mit, was du jetzt meinst mit diesem Bubble-Phänomen, [einatmen] aber es ist auch noch einiges an Luft nach oben da für Kooperation und für Zusammenarbeit. Also wirklich für eine Zusammenarbeit, die auch in die Tiefe geht [einatmen] und für ein besseres Verständnis und für den Austausch. [einatmen] Und du brauchst auch eine gewisse Ver-vertrauensbasis. Also es tut schon gut und es ist schon wichtig, dass man in den Austausch geht. Das hat uns die Mont Pelerons Society damals echt gut vorgelebt. [einatmen] Also dadurch, dass die diese jährlichen Treffen hatten, zwar nicht immer im Mont Pelerons, sondern dann irgendwo in der Schweiz oder sonst irgendwo, [einatmen] ähm, haben die auch wirklich ein Band zueinander aufgebaut. Ein Verständnis voreinander entwickelt, [einatmen] besser, bessere und kürzere Wege auch gefunden, miteinander zu kommunizieren und Dinge auf die Beine zu stellen. [einatmen] Und auch so etwas erfordert wirklich dieses wiederkehrende Element. Also es reicht nicht, dass du einen Menschen, den, [einatmen] mit dem du in dieselbe Kerbe schlägst, einmal triffst, [einatmen] so, sondern dann plötzlich erwachsen, Kooperationen, man macht, man macht Dinge. Also das ist jetzt mit, ähm, Netzwerk Steuergerechtigkeit oder mit Fiscal Future war das genauso, dass ich dann zum Beispiel
02:32:34,417 –> 02:32:57,557 [Schindler]
Kahmbühel häufiger getroffen habe und irgendwann meinte er so: „Hey, lass uns das doch so und so und so noch mal machen und ein paar Videos [einatmen] zu dem Thema drehen. [einatmen]Und hätte ich ihn nicht aber schon vorher fünfmal getroffen und für, [einatmen] für einen korrekten, tollen Menschen befunden, der superklug ist und dessen Arbeit ich toll finde, [einatmen] hätte ich das nicht einfach aus dem Stand heraus gemacht. Also manchmal [einatmen] brauchen auch Projekte, gemeinsame Projekte, so ’ne gewisse Vorlaufzeit und auch diese Strukturen und Prozesse, die erst mal entstehen müssen.
02:32:57,557 –> 02:33:04,837 [Raul Krauthausen]
Ich glaube, da hast du gerade in mir was, ähm, ausgelöst, äh, ein kleinen Gedankenschritt weiter, ähm-
02:33:04,837 –> 02:33:05,097 [Martyna Linartas]
Mhm.
02:33:05,097 –> 02:33:47,977 [Raul Krauthausen]
-weil ich [Einatmen] schon in den letzten Jahren dachte: „Eigentlich ist doch alles gesagt. Ähm, wir tragen doch nur noch Heul nach Athen.“ Aber wenn du sagst, da ist noch Luft nach oben, und, und auch diese Positivität, die du dabei behältst, ähm, und auch vermittelst, die kommt bei mir wirklich an. Äh, [Lachen] sozusagen, das gibt noch Hoffnung. Es gab noch nie so viele Menschen, die zu diesen Themen sprechen in der Öffentlichkeit. Das ist ja ein Fortschritt, auch in zehn Jahren messbar gewesen. Kann man eigentlich über Inklusion auch sagen. [Einatmen] Vielleicht bin ich einfach schon zu lange im Dienst. Ja, also [Lachen] und, ah, und muss mir einfach noch mal kurz mir die Augen reiben, um zu gucken, was ist eigentlich aber auch passiert.
02:33:47,977 –> 02:34:00,177 [Martyna Linartas]
Tut das. Tu alles das, was dir guttut und dir Motivation gibt. Und wenn das eben dieser eine Schritt zurück ist, um zu schauen, wo standen wir vor zehn Jahren, wo stehen wir heute? Das ist eins meiner Lieblingsbücher von Thomas Piketty, „Ist ja auch eine kurze Geschichte der Gleichheit“.
02:34:00,177 –> 02:34:00,737 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:34:00,737 –> 02:34:19,297 [Martyna Linartas]
Und ich hab mich gewundert, ich hab das Buch geschenkt bekommen, ich hab halt vorher die Dickson-Schinken gelesen, also Kapital im 21. Jahrhundert und Kapital in Ideologie. Und dann hab ich das Buch bekommen, was so ’ne Quintessenz dieser beiden Bücher sein sollte. [einatmen] Und ich hab das Buch geschenkt gekriegt und dachte so: „Hä? Warum heißt es Eine kurze Geschichte der Gleichheit, wenn der Typ doch Ungleichheitsforscher ist?“
02:34:19,297 –> 02:34:20,417 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:34:20,417 –> 02:34:31,897 [Martyna Linartas]
Aber er sagt, am Ende des Tages, wenn man sich mal so wirklich [stammelt] wenn man wirklich diese paar Schritte zurückgeht und die sich die historische Entwicklung anschaut, dann entwickeln wir uns in, in die gute Richtung.
02:34:31,897 –> 02:34:35,157 [Raul Krauthausen]
So zwei Schritte vor und ein Schritt zurück. Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück.
02:34:35,157 –> 02:34:50,857 [Martyna Linartas]
Aber dann wieder vor und dann wieder zurück. Richtig. Also es ist, ne, diese Fahrt nach oben mit kleinen Kernen dazwischen so, wo es dann wieder ein bisschen runtergeht. [einatmen] Und das ist okay. Wenn du dir nämlich anschaust, wo standen wir vor hundert Jahren? Ja, Frauenwahlrecht.
02:34:50,857 –> 02:34:51,577 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:34:51,577 –> 02:35:28,937 [Martyna Linartas]
So. Ähm, zum Beispiel, also wenn du dir auch die horizontalen Ungleichheiten anguckst. Und ja, es gibt sehr, sehr besorgniserregende Entwicklungen, wie eben dieser unaufhaltsame, aktuell noch unaufgehaltene, ähm, Überreichtum, der immer weiter dann auch wächst. Aber da wächst ja auch gerade ein Bewusstsein und auch international tut sich da sehr, sehr viel, um das dann auch dann doch aufzuhalten. So, also von daher, ähm, dachte ich mir, am Ende des Buches und das war ein sehr gutes Buch, das ist auch das, was ich von ihm empfehlen würde, nicht die fetten schicken, sondern das eine Buch reicht eigentlich, [Lachen] um die wichtigsten Lehren daraus zu ziehen. Ähm, dann, dann stimme ich ihm zu und er ist auch hoffnungsvoll gestimmt.
02:35:28,937 –> 02:35:31,777 [Raul Krauthausen]
Was nimmst du aus diesem Gespräch mit?
02:35:31,777 –> 02:35:41,137 [Martyna Linartas]
Haaa, ich hab– was mir sehr gefallen hat, waren auch die Fragen so, wo ich noch mehr zur arbeiten möchte, weil ich mir das manchmal vor Augen halten muss, so in meinem Alltagstrott. [lacht]
02:35:41,137 –> 02:35:41,597 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:35:41,597 –> 02:35:56,917 [Martyna Linartas]
Und was ich für große Lücken habe, Wissenslücken, auch in Fragen der Inklusion und generell auch von horizontalen Ungleichheiten. Also wäre ich– hätte ich noch ein bisschen mehr Zeit und vielleicht muss ich sie mir auch einfach irgendwann nehmen, weil man hat ja Zeit, man muss nur richtig priorisieren.
02:35:56,917 –> 02:35:57,957 [Raul Krauthausen]
Mhm.
02:35:57,957 –> 02:36:09,157 [Martyna Linartas]
Ähm, dann sollte ich auf jeden Fall auch da noch mal ’n kleineren, kleineren Dive in die Richtung machen, um das ein bisschen fundierter auch miteinander in den Zusammenhang verstehen und setzen zu können. Also vielen Dank dafür.
02:36:09,157 –> 02:36:25,157 [Raul Krauthausen]
Ja, sehr gerne. Es war mir wirklich, äh, ein unfassbar schönes Gespräch. Zweieinhalb Stunden haben wir jetzt schon gelabert [lacht], äh, äh, oder gesprochen zumindest. Deswegen erlaubt mir noch eine letzte Frage: Ähm, wenn die Aufzugtür jetzt, äh, äh, aufgeht, wo geht es für dich weiter?
02:36:25,157 –> 02:36:25,897 [Martyna Linartas]
In meinem Leben?
02:36:25,897 –> 02:36:29,557 [Raul Krauthausen]
Heute oder in deinem Leben? Also was– die Frage kannst du ja beantworten. [übersprechen 00:04:52]
02:36:29,557 –> 02:36:30,577 [Martyna Linartas]
Heute setze ich mich gleich aufs Fahrrad.
02:36:30,577 –> 02:36:31,137 [Raul Krauthausen]
Okay.
02:36:31,137 –> 02:36:35,477 [Martyna Linartas]
Setze ich mich gleich aufs Fahrrad und fahr zu meinem Partner und freue mich auf ganz viel Kuscheln.
02:36:35,477 –> 02:36:41,717 [Raul Krauthausen]
Sehr gut. [lacht] Und in deiner Arbeit, die nächsten Wochen steht noch was Großes an?
02:36:41,717 –> 02:36:52,097 [Martyna Linartas]
Einiges an. Also ich sitze gerade an ’nem, ’nem Essay, dann muss ich zwei Paper grade ziehen und will mich auf ein neues Forschungsprojekt bewerben und muss noch eins übersetzen.
02:36:52,097 –> 02:36:52,897 [Raul Krauthausen]
Oh, je.
02:36:52,897 –> 02:37:07,577 [Martyna Linartas]
Und auch die Lehre fürs nächste Semester vorbereiten und, und, und. Also es wird nicht langweilig. Ich denke auch gerade noch über die Konzipierung von zwei Workshops nach. [lacht] Es steht einiges an. Es wird wirklich nicht langweilig. Es macht Spaß, ist sehr abwechslungsreich.
02:37:07,577 –> 02:37:10,557 [Raul Krauthausen]
Ich hoffe, du hast auch so was wie Semesterferien.
02:37:10,557 –> 02:37:27,557 [Martyna Linartas]
Ich habe nächste Woche eine Woche frei und wie gesagt, ähm, wenn ich dann– es gibt Tage, an denen ich ein bisschen früher Schluss mache, um auch einfach mal entspannen noch mal zu können am Abend. Und, äh, ich weiß nicht, ich glaub, ehrlicherweise, nachdem ich jetzt aus dem Aufzug aussteige, werde ich noch mal ungefähr eine Stunde am Rechner sitzen bleiben, aber dann ist auch gut.
02:37:27,557 –> 02:37:33,037 [Raul Krauthausen]
Wow. [Lachen] Liebe Martyna, es war mir wirklich ein, ein inneres Blumenpflücken. Ähm.
02:37:33,037 –> 02:37:34,357 [Martyna Linartas]
Oh, danke schön. Ebenfalls. [lacht]
02:37:34,357 –> 02:37:47,357 [Raul Krauthausen]
Danke für das nette Gespräch. Und wir hätten noch so viel mehr sprechen können, aber jetzt reicht es auch. Äh, wir setzen jetzt an anderer Stelle fort, [lachen] wenn du magst, bei– mit Mikrofon oder ohne. Ähm, danke für deine Zeit.
02:37:47,357 –> 02:37:50,277 [Martyna Linartas]
Mhm. Ich hab zu danken. Hat echt Spaß gemacht.
02:37:50,277 –> 02:38:03,097 [Raul Krauthausen]
Danke schön. [Musik] Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört.
02:38:03,097 –> 02:38:10,297 [Raul Krauthausen]
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02:38:10,297 –> 02:38:13,737 [Raul Krauthausen]
Schaut da gerne mal rein.
02:38:13,737 –> 02:38:44,117 [Raul Krauthausen]
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02:38:44,117 –> 02:38:47,657 [Schindler]
Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler.
02:38:47,657 –> 02:39:21,097 [Schindler]
Am Anfang der Folge haben wir uns gefragt, welcher Film fast vollständig in einem Aufzug spielt. Die Antwort: Abwärts aus dem Jahr 1984. Ein deutscher Thriller, in dem vier Menschen in einem steckengebliebenen Aufzug ihr Leben kämpfen. Aber auch Fahrstuhl zum Schafott und Devil setzen den Aufzug als zentrales Element ein. Willst du auch mehr über Aufzüge erfahren? Dann steig bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, mit uns nach ganz oben zu fahren. [Klingel]
Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler Aufzüge. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren und vielleicht mit uns ganz nach oben fahren, dann steig gern ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten für Einsteiger und Senkrechtstarter.
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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann
Coverart: Amadeus Fronk