Im Aufzug mit Lottie

Was bedeutet es, als Frau in einer Szene zu bestehen, die dich nicht haben will?

Diese Woche treffe ich Lottie – vielen noch bekannt als Visa Vie. Einst war sie eine der prägenden Stimmen im Deutschrap-Journalismus, heute blickt sie mit Abstand auf diese Welt zurück. Eine Welt, aus der sie sich bewusst gelöst hat – und in der sie sich als eine der ersten Frauen überhaupt Gehör verschaffen musste.

Wir sprechen über sexistische Strukturen in der Szene und wie Lottie lernte, sich zu positionieren – on air, live und direkt, auch wenn es unbequem wurde. Aber auch über die Faszination von True Crime, den schmalen Grat zwischen Aufklärung und Voyeurismus und ihr neues Format Plot House, das genau dort balanciert.

Und dann erzählt sie mir von Long Covid. Was es heißt, wenn ein Spaziergang dich tagelang außer Gefecht setzt – und wie es sich anfühlt, wenn plötzlich das Leben selbst zum Krimi wird. Eine Folge voller Stärke, Ehrlichkeit und einem echten MacGyver-Moment im Aufzug.

Aufzugtür auf für Lottie!

00:00:04,019 –> 00:00:22,219 

Gibt es eigentlich berühmte Songs über Aufzüge? Tatsächlich gibt es einige und einer der bekanntesten erzählt von der Liebe im Fahrstuhl. Welcher das ist, erfährst du am Ende dieser Folge. Jetzt viel Spaß mit Raul im Aufzug wünscht Schindler. 

00:00:22,219 –> 00:01:04,820 [Raul Krauthausen]

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Diese Woche treffe ich Lottie, vielen noch bekannt als Visa Vie. Einst war sie eine der prägenden

Stimmen im Deutschrap Journalismus. Heute blickt sie mit Abstand auf diese Welt zurück. Eine Welt, aus der sie sich bewusst gelöst hat und in der sie sich als eine der ersten Frauen überhaupt erst Gehör verschaffen musste. Wir sprechen über sexistische Strukturen in der Szene und wie Lottie lernte, sich zu positionieren. On air, live und direkt, auch wenn es unbequem wurde. Aber auch über die Faszination von True Crime, dem schmalen Grad zwischen Aufklärung und Voyeurismus und ihr neues Format Plot House. Und dann erzählt sie mir von Long Covid und wie es sich anfühlt, wenn plötzlich das Leben selbst zum Krimi wird. Eine Folge voller Stärke, Ehrlichkeit und einem echten MacGyver-Moment im Aufzug. Also Aufzugtür auf für Lottie. Die Tür geht auf und wer kommt rein? Ich freue mich wirklich sehr. Wir kennen uns aus dem Internet und hatten mal früher einen gemeinsamen Arbeitgeber. Lottie, für viele von euch bekannt, auch als Visavis. Schön, dass du da bist. 

00:02:16,939 –> 00:02:22,239 [Lottie]

Hallo, hallo, hallo. Schön, dass es endlich geklappt hat. Es hat eine Weile gedauert, bis wir gemeinsam im Aufzug sein konnten. 

00:02:22,239 –> 00:02:27,439 [Raul Krauthausen]

Ja, das stimmt. Das stimmt. Aber umso mehr freue ich mich, dass wir es heute hinbekommen haben. 

00:02:27,439 –> 00:02:28,919 [Lottie] Ich mich auch. 

00:02:28,919 –> 00:02:34,019 [Raul Krauthausen]

Eine Frage, die ich all meinen Gästen immer stelle: Hattest du schon mal einen Awkward Moment in einem Aufzug? 

00:02:34,019 –> 00:02:41,939 [Lottie]

Ich weiß nicht, ob man es als awkward bezeichnen kann oder eher als für mich sehr dramatisch. Wenn ich auch… Darf man auch katastrophale, dramatische…? 

00:02:41,939 –> 00:02:43,439 [Raul Krauthausen] Unbedingt, das sind die besten. 

00:02:43,439 –> 00:03:41,339 [Lottie]

Okay, weil das ist noch gar nicht so lange her. Ich bin generell nicht so gerne in Aufzügen, muss ich zugeben. Also ich bin schon öfter mal so stecken geblieben, so random irgendwie dann auch wieder rausgekommen, aber ich habe seitdem immer so eine leichte Unsicherheit verspürt und dann ist aber ganz, ganz lange nichts mehr Negatives mit Aufzügen passiert. Und vor jetzt fast genau einem halben Jahr, gerade an dem Tag, an dem mein neuer Podcast, ohne jetzt hier direkt Werbung machen zu wollen, aber mein neuer Podcast Plot House herausgekommen ist, haben wir eine kleine Release-Party organisiert und so was mache ich leider so aufgrund meiner gesundheitlichen Situation seit Jahren nicht mehr. Das heißt, es war eigentlich so eine der ersten Partys seit ganz, ganz langer Zeit, die so geplant war. Ich war unglaublich aufgeregt und mein Mann und ich waren ein bisschen spät dran. Das heißt, alle Leute waren schon vor Ort und wir wohnen in einem Haus mit einem Aufzug und hatten extra noch einen Luftfilter gekauft.

Denn ja, ich, für die Menschen, die es nicht wissen, sorry, dass ich jetzt so aushole direkt, aber man muss kurz den Background erklären. Genau, ich schütze mich vor Infektionen aller Art und bin deswegen eigentlich auch nie so in Innenräumen mit vielen Menschen. Und da ging es eben darum, in einem Restaurant mit anderen Menschen zu sein. Und deswegen haben wir einen Luftfilter gekauft und sind hetzenderweise in diesen Fahrstuhl reingerannt und dann ging die Tür zu und in dem Moment haben wir gesehen, dass der Stecker von diesem Luftfilter außerhalb noch der Fahrstuhltür, außerhalb der Fahrstuhlstuhltür war. So, dann ist die Tür zugegangen, der Fahrstuhl ist runtergefahren und in dem Moment hat sich der Fahrstuhl aufgefangen an diesem Kabel von diesem Luftfiltergerät. Und das war wirklich eine absolute Albtraumsituation, weil der Fahrstuhl mit einem Ruck quasi hängen geblieben ist. 

00:04:34,859 –> 00:04:35,799 [Raul Krauthausen] Ach du Scheiße. 

00:04:35,799 –> 00:04:53,839 [Lottie]

Und wir das Gefühl hatten: „Oh nein, jetzt stecken wir. Also wir hängen sozusagen im wahrsten Sinn des Wortes am seidenen Faden. Der Luftfilter hing dann da so in der Luft und es war ganz dramatisch, weil wir natürlich auch wussten: „Okay, wenn wir jetzt hier nicht so schnell wieder rauskommen, da ist eine Veranstaltung. 

00:04:53,839 –> 00:04:54,659 [Raul Krauthausen] Ach du Scheiße. 

00:04:54,659 –> 00:05:20,559 [Lottie]

So, wir sitzen im Fahrstuhl fest. Was machen wir jetzt? Dann haben wir den Knopf gedrückt, den man so drückt, wenn man stecken bleibt und dachten: „Ja, es wird ja dann sich schnell jemand melden und uns hier rausholen, aber es hat niemand reagiert, obwohl das ein sehr… Ja, es ist ein sehr modernes Haus mit einem sehr modernen Fahrstuhl, aber kein Mensch hat reagiert. Und ich muss sagen, das ist auch für mich eine ganz neue Situation gewesen, weil ich bin ja noch nicht so lange chronisch krank, aber mittlerweile, ich bin ja auf so Sachen angewiesen wie Insulin oder weil ich Diabetes Typ eins habe, wenn ich zum Beispiel jetzt eine schwere Unterzuckerung habe und nichts dabei habe und in einem Fahrstuhl stecken bleibe. Das sind so Sachen, über die ich mir nie vorher Gedanken machen musste, aber auf einmal war ich so: „Ach du Scheiße, wir sind verloren.“ Und dann habe ich angefangen, eine Panikattacke zu bekommen, weil niemand reagiert hat. Und es ist jetzt wirklich so, also es endet mit einer großen Heldengeschichte meines Mannes, der für mich seitdem wirklich MacGyver ist. Also war er auch schon vorher, aber verrückterweise hatte er, nicht, dass er immer so was dabei hat, aber er hatte ein Taschenmesser dabei. Und eigentlich hatte er das nur zum Schnitzen dabei. Also es soll niemand denken, mein Mann läuft irgendwie mit dem Messer durch die Gegend. Er hatte ein kleines Schnitztaschenmesser in der Tasche. Und eben nach zehn, zwanzig Minuten Angst und Bange kam er auf die Idee, „Okay, wir schneiden jetzt dieses Kabel ab.“ Und dann hat er wirklich zu mir gesagt: „Halt dich fest.“ Weil wir wussten ja nicht genau, was passiert, wenn er’s abschneidet. Und dann hat er’s durchgeschnitten und dann hat’s noch mal kurz gedauert, ein bisschen geruckelt und auf einmal ist der Fahrstuhl wieder gefahren und hat sich quasi befreit. Aber gleichzeitig haben wir natürlich einen neuen, ganz, ganz teuren Luftfilterreiniger, äh, zerschnitten, kaputt gemacht und sind dann aber aus dem Fahrstuhl entkommen. Und das war jetzt eine sehr lange Geschichte, aber, ähm, das war– ist halt noch nicht lange her und seitdem habe ich wieder noch ein bisschen mehr Angst in Fahrstühlen. 

00:06:46,966 –> 00:06:50,845 [Raul Krauthausen]

Oh mein Gott. Also das ist auf jeden Fall die beste Geschichte, die ich bisher gehört habe.

00:06:50,845 –> 00:06:53,085 [Lottie]

Oh, das finde ich natürlich toll. 

00:06:53,085 –> 00:06:56,266 [Raul Krauthausen] Die dramatischste mit dem schönsten Happy End. 

00:06:56,266 –> 00:06:56,946 [Lottie]

Ja. 

00:06:56,946 –> 00:06:59,465 [Raul Krauthausen]

Aber es ist schon, ja krass, ne? 

00:06:59,465 –> 00:07:00,385 [Lottie] Ja. Boah. 

00:07:00,385 –> 00:07:01,025 [Raul Krauthausen] Wow. 

00:07:01,025 –> 00:07:10,265 [Lottie]

Also wirklich kein schönes Gefühl. Auch vor allen Dingen, als ich da begriffen habe, ich hatte eben zum Beispiel wirklich nichts dabei für den Fall, wenn ich jetzt eine Unterzuckerung gehabt hätte. 

00:07:10,265 –> 00:07:11,325 [Raul Krauthausen] Denkt man ja auch nicht dran. 

00:07:11,325 –> 00:07:25,085 [Lottie]

Ja. Weil ich dachte, wir steigen nur schnell ein und dann fahren wir eh zu einem Restaurant, wo man alles bekommt, was man braucht. Und na ja, es war wirklich sehr, sehr aufwühlend und ich habe danach noch stundenlang ganz, ganz weiche Knie gehabt. Aber dann am Ende ist eben alles gut gegangen. Dank 

00:07:25,085 –> 00:07:26,605 [Raul Krauthausen] Auf jeden Fall besser als Hollywood. 

00:07:26,605 –> 00:07:28,425 [Lottie]

Ja. Ohne ihn würde ich wahrscheinlich noch heute in diesem Fahrstuhl stecken, muss man sagen. 

00:07:31,025 –> 00:07:35,025 [Raul Krauthausen]

Oh Gott, oh Gott. Dann hätte Roland Emmerich das verfilmt wahrscheinlich. 

00:07:35,025 –> 00:07:36,705 [Lottie] Ja, stimmt. 

00:07:36,705 –> 00:07:51,565 [Raul Krauthausen]

Was– Ich hab sehr viel von dir gelesen, sehr viel auch, äh, Podcasts mit dir gehört, von dir gehört. Also sowohl als auch. Und, ähm, ich habe mir die Frage gestellt, ob es vielleicht auch ’ne Gabe von dir ist, dich regelmäßig neu zu erfinden. 

00:07:51,565 –> 00:08:36,705 [Lottie]

Das finde ich eine sehr interessante Frage, weil, wenn man jetzt so auf meine Historie zurückblickt, auf alles, was ich so gemacht habe, dann habe ich schon immer so mich ausprobiert in Dingen und aber auch Dinge wieder gehen lassen und auch für mich, glaube ich, festgestellt: Ja, hat Spaß gemacht, war cool. Aber vielleicht ist das noch nicht das, was eigentlich meine Berufung ist und von daher magst du wahrscheinlich recht haben, dass ich mich vor allen Dingen so im kreativen und natürlich eben also im beruflichen Bereich immer wieder neu herausgefordert habe, immer wieder neue Wege beschritten habe, aber eben auch oft Dinge dann beendet habe, wenn auch die richtige Zeit dafür war und mich dann wieder neuen Dingen gewidmet habe. Ja, das stimmt schon. 

00:08:36,705 –> 00:08:53,685 [Raul Krauthausen]

Also für die, die dich vielleicht noch nicht so gut kennen, ähm, hast jahrelang beim Radio gearbeitet, Kiss FM, Radio Fritz. Dann Rap-Journalistin, Moderatorin, bist DJan, DJ, DJin, d-DJane, weiß nicht. Ich hab gehört, DJane sagt man nicht. 

00:08:53,685 –> 00:09:02,945 [Lottie]

Ja, ist komisch. Da ist irgendwie– mag das keiner so, wenn man die, die, ähm, Formen irgendwie in der Femininen… Also ich mochte das auch nicht. Ich habe auch immer gesagt, ich bin DJ. 

00:09:02,945 –> 00:09:05,505 [Raul Krauthausen] Schauspielerin. Und, 

ähm, beim Thema Podcasten podcastest du quasi nicht nur über Musik, was man jetzt erwartet hätte, sondern vor allem über Crime, True Crime oder überhaupt spannende Fälle, wie du bei dem Podcast, den du vorhin schon genannt hast, Plot House seit Neuestem auch machst. Ähm, ist diese, diese Gabe, sich neu zu erfinden, vielleicht sogar auch,  ich will es jetzt nicht überhöhen, aber vielleicht auch dann eine Kraftquelle gewesen, um mit der neuen Situation, in der du dich seit ein paar Jahren befindest, dich zu arrangieren? 

00:09:42,045 –> 00:10:35,325 [Lottie]

Also den Zusammenhang habe ich da vielleicht noch nicht so bewusst gesehen. Ich würde aber sagen, dass ich schon ein relativ anpassungsfähiger Mensch bin und das vielleicht sich auch daran abzeichnet, dass ich es eben geschafft habe, in verschiedenen Welten schon immer so zu bestehen und da auch mir selbst zu beweisen, dass ich damit klarkomme, auch wenn Dinge ganz anders sind und ich irgendwie mich mit anderen Menschen und anderen Aufgaben so auseinandersetzen muss. Und vielleicht ist das schon so ein bisschen auch das Zeichen schon immer gewesen, dass ich ja, also sehr viel irgendwie eben wie gesagt, anpassungsfähiger, resilienter bin und dadurch vielleicht auch flexibler damit umgehen konnte, dass sich dann meine gesamte Lebenssituation verändert hat. Vielleicht wäre das für andere Menschen noch schwieriger gewesen, aber ich, ich kann jetzt natürlich nur so rumspekulieren. Aber vielleicht hast du recht, das ist auf jeden Fall auch wieder eine interessante Beobachtung. 

00:10:35,325 –> 00:10:58,665 [Raul Krauthausen]

Wo, wo kommt denn diese, diese Neugier her? Also sich mit, ähm, Rapmusik zu beschäftigen? Also einmal klar, weil man selber die Musik machte und auch mochte, ähm, aber dann da journalistisch einzusteigen und dann so lange diesem Thema auch sich einen Namen zu machen. Ähm, warst du schon früh musikalisch in dem Thema unterwegs? 

00:10:58,665 –> 00:11:37,365 [Lottie]

Also eigentlich war mein Einstieg ein bisschen anders, weil das, was schon immer die Konstante war und was auch schon zu Schulzeiten da war und sich eigentlich da so durchgezogen hat, war das Thema Schreiben. Also ich wollte eigentlich immer schreiben. Ich wollte bei der Zeitung arbeiten, ich wollte Drehbücher schreiben, ich wollte Geschichten mir ausdenken, Autorin werden. Das war eigentlich so das, was ich schon in der Grundschule hatte. Und mein Ziel war es, nach der Schule eigentlich Publizistik zu studieren, weil ich dann dachte, vielleicht verknüpfe ich das Ganze so ein bisschen mit journalistischen Ansätzen, weil meine Oma tatsächlich Reporterin war, unter anderem im Vietnamkrieg und- 

00:11:37,365 –> 00:11:37,725 [Raul Krauthausen] Wow. 

00:11:37,725 –> 00:13:45,243 [Lottie]

-sie leider schon sehr früh verstorben ist. Also als ich, ähm, vierzehn oder fünfzehn war und ich erst nach ihrem Tod angefangen habe, mich so richtig damit auseinanderzusetzen: „Was hat sie da eigentlich damals gemacht?“ Und dann wirklich auch so ganz krass Bilder von ihr entdeckt habe mit Ho Chi Minh in, in Vietnam, irgendwie da in der Halong Bucht sitzend und ’ne Kippe rauchend und ich mir dachte: „Okay, wie krass war eigentlich meine Oma und was hat sie da Absurdes erlebt?“ Und dann war auf einmal so bei mir: „Ja, alles klar. Ich werde Journalistin, Reporterin.“ Und da war noch nicht mal so klar, dass das im Kontext mit Musik passieren muss. Aber ich war zu diesem Zeitpunkt halt schon so ’ne, so ’ne kleine Deutschrap-Maus und ich fand das schon ganz cool und habe viel so Sachen gehört aus dem Bereich. Und dann-Gab es aber eben einfach diesen Zufall. Ich hab ganz random geguckt, was mache ich jetzt nachm Abi? Und für Publizistik war mein Schnitt nicht gut genug, also beziehungsweise ich hätte halt sehr lange warten müssen. Und dann dachte ich so, ich will jetzt direkt irgendwas machen, ich will irgend ’n Praktikum. Und dann gab’s dort damals irgend ’ne Ausschreibung im Internet, Praktikum bei rap de. Und dann hab ich einfach gedacht, ich probier’s mal. Ich kenn mich ’n bisschen mit Rap aus, ich hör das ganz gern und ich möchte irgendwas mit Journalismus machen. Dann hab ich mich da beworben. Und so ist das quasi eigentlich durch Zufall entstanden, dass ich dann dort angefangen habe. Ich wurde dann genommen für dieses Praktikum und hab dann dort kleine Artikel geschrieben, hab dann auch angefangen, kleine Deutschrap Interviews zu führen. Und das war so der Grundstein, der sich eigentlich durch Zufall entwickelt hat. Und der nächste Zufall kam dann, als es beim Radio eine Ausschreibung gab für eine sogenannte Sommerjobberin. Und da hab ich mich dann auch beworben und wurde von sehr vielen Menschen, glaub ich, die sich beworben haben, genommen. Und auf einmal war ich beim Radio. Und dann war ich plötzlich komplett tief drin in diesem Ganzen. Also dann war ich wirklich so, huch, plötzlich steh ich einerseits nicht nur jetzt als Journalistin irgendwie hinter dem Mikrofon, sondern ich war dann plötzlich auch sehr schnell schon on air und hab mich dort eben mit Musik befasst, aber auch mit vielen anderen Themen. Und dann bin ich da immer tiefer reingeraten, ohne dass es mein eigentliches Ziel war, weil eigentlich wollt ich, wie gesagt, Autorin sein. 

00:13:45,243 –> 00:13:53,223 [Raul Krauthausen]

Wenn ich den Leuten erzähle, dass wir beide uns im Podcast unterhalten, dann haben bestimmt acht von zehn dich gekannt. 

00:13:53,223 –> 00:14:00,863 [Lottie]

Wirklich? Das find ich irgendwie fast unheimlich, wenn ich das so Weil ich das gar nicht manchmal so begreifen kann, dass es so ist. 

00:14:00,863 –> 00:14:13,643 [Raul Krauthausen]

Ich fand das auch beeindruckend, weil das Rap Feld ist jetzt auch nicht mein Gebiet, aber total viele Leute haben gedacht, ja, das ist doch die Journalistin von Fritz, die diese coolen Interviews am Wochenende, glaub ich, war, das dann oft geführt hat und sich dann auch mit den Rappern teilweise anlegte. 

00:14:18,203 –> 00:15:38,083 [Lottie]

Ja, es gab auch auf jeden Fall Auseinandersetzungen, so ist nicht. Also zum Glück, ich hab mich ab ’nem gewissen Zeitpunkt auch getraut, Dinge anzusprechen. Es gab auch ’ne lange Phase, wo ich sehr wenig auch kritisch hinterfragt hab, auch aus Angst oder aus Überforderung. Und auch, ich hab ja selber auch in Bezug auf viele Dinge erst mit den Jahren Sachen verstanden und auch selber früher manchmal teilweise problematische Sachen gesagt. Oder also– Ich glaub, es hat– Das war auch schon eine Entwicklung, bis es an den Punkt kam. Deswegen, ich möchte mich jetzt nicht nur mit diesen Fehlern schmücken, dass ich da schon von Anfang an so reagiert hätte. Aber ich habe zum Glück irgendwann gemerkt, boah, hier läuft auch in dieser Welt ganz schön viel falsch und ich möchte das nicht so stehen lassen. Und da gab’s Momente, wo ich schon auch live on air, das ist auch das, also das jeder Mensch, der beim Radio arbeitet, weiß, Live Radio am liebsten zwei, drei Minuten Wortbeitrag, dann aber ganz schnell wieder Musik, weil sonst schalten die Leute ab. Und es gab Momente, da hab ich einfach live on air zum Beispiel mit einem Rapper darüber diskutiert, dass der grade eben homofeindliche Aussagen getätigt hat und ich einfach wusste, das geht nicht. Der hat– Der kann nicht hier live im Radio solche Sachen sagen und ich kann den damit nicht davonkommen lassen. Und dann hab ich einfach zwanzig Minuten am Stück mit dem live on air diskutiert. Und das war natürlich schon auch, äh, was Besonderes. 

00:15:38,083 –> 00:15:43,983 [Raul Krauthausen]

Ja, und ich glaube, das ist das, was, äh, dann zu so Titeln führt wie eine Größe im Deutschrap Journalismus. 

00:15:43,983 –> 00:16:37,463 [Lottie]

Das, ja– Also ich glaub natürlich auch ’n bisschen, weil ich ja schon damals eine der ersten Frauen so war, die sich da so etablieren konnte. Das ist, glaub ich, auch etwas war, warum viele mich da so ’n bisschen als, also ich hör da schon, ich hoffe, das klingt jetzt nicht sehr unbescheiden, wenn ich das selber so von mir sage, aber viele nehmen mir da so Worte auch in den Mund wie Deutschrap Legende oder Interview Ikone oder weiß ich nicht. Ähm, ich glaube, das hat eben damit zu tun, dass zu diesem Zeitpunkt fast nur Typen da saßen und andere Typen interviewt haben. Und auf einmal saß da halt eine Frau, die Typen interviewt hat. Und natürlich ich dadurch, glaube ich, auch so ’n bisschen eine, ja, eine Rolle dort bekommen habe, die für viele auch für immer in Erinnerung bleiben wird, weil ich vielleicht ’n bisschen auch den Weg geebnet habe dafür, dass heute in dieser Szene auch zum Glück sehr, sehr viele tolle Frauen auch unterwegs sind und dort auch Journalismus betreiben. 

00:16:37,463 –> 00:16:42,703 [Raul Krauthausen]

Es sind mehr geworden. Ähm, wer waren denn die Rapperinnen zu deiner Zeit? 

00:16:42,703 –> 00:16:52,243 [Lottie]

Zu meiner Zeit sah das wirklich sehr, sehr, sehr, sehr mager aus. Also als ich wirklich angefangen hab, die ersten Interviews zu führen, zu diesem Zeitpunkt gab es Kitty Kat. Ähm, es gab natürlich so im Untergrund und in der Berliner Szene und so Leute wie Piranha oder so, die man auf dem Schirm hatte oder She-Raw, aber so richtig erfolgreich war eigentlich die erste Frau, die ich dann auch, also klar, davor gab’s ’ne Sabrina Settler, aber mit der– das war dann schon wieder eigentlich eine andere Generation. Die erste Frau, die dann in der Zeit, in der ich aktiv Interviews geführt habe für sechzehn Bars damals, die dann da so ’n Durchbruch hatte, war eigentlich Schwester Eva. Wenn ich jetzt, ich hoffe, ich vergesse niemanden, aber ich glaube, es war Schwester Eva. Und das war dann auch für mich schön, dass dann da endlich mal eine Frau irgendwie auf einmal am Start war. Und danach kam Sixten, aber das war wirklich zu diesem Zeitpunkt noch– Also alleine, dass man so lange nachdenken muss, zeigt schon, ich war ’n paar Jahre da wirklich fast alleine unterwegs. Es gab im Hintergrund vielleicht natürlich noch ’n paar Frauen, die da zum Glück auch, ähm, mit in der Szene irgendwie involviert waren. Aber so die, die da im Rampenlicht standen, das war wirklich, das ist, kann man an einer Hand abzählen. 

00:17:58,843 –> 00:18:10,883 [Raul Krauthausen]

War das für dich Ansporn, da jetzt irgendwie auch mal den Männern jetzt mal die, die Leviten zu lesen? Oder warst Du ausschließlich der Musik, sagen wir mal, gewidmet, wo Du gesagt hast, Du magst einfach die Musik? 

00:18:10,883 –> 00:18:35,693 [Lottie]

Ich hatte am Anfang überhaupt gar keinen politischen Auftrag und ich war eher so, dass ich im Nachhinein betrachtet, wie gesagt, auch teilweise viel zu gnädig, viel zu unkritisch und viel zu lieb auch mit Menschen dort teilweise umgegangen bin, wo ich jetzt im Nachhinein aus heutiger Sicht sagen würde, och. Wow. Ähm, erstens, wie die sich generell geäußert haben. Allein das ist schon super, super problematisch. Aber natürlich, es war eine andere Zeit. Aber auch, wie sich ja manche von denen mir gegenüber verhalten haben und wie sehr da auch Grenzen überschritten wurden und ich trotzdem sogar immer und immer wieder Interviews mit denen geführt habe. Also ich war eher in so einer Rolle, in der ich ganz lange gar nicht verstanden habe, was da eigentlich auch schiefläuft, auch mir selbst gegenüber. Und deswegen würde ich sagen, ich war– ich bin da reingegangen mit ganz viel Naivität und ganz viel Sympathie für diese Welt und ich hatte einfach Bock, das zu machen. Und ich habe erst später und im Laufe der Zeit irgendwann begriffen, dass ich da schon auch, ja, Teil einer Entwicklung und Teil einer, also ich will jetzt nicht sagen, aber es war schon irgendwie ein Stück weit, wenn man jetzt auf die Deutschrap Geschichte guckt. Ich war eben, als ich da reingekommen bin, ähm, da war ja Deutschrap auch noch wirklich ein Mikrokosmos und ist ja erst mit der Zeit zu so ’nem, also zu der wichtigsten Jugend- und Popkultur eigentlich so, ja, weltweit, aber vor allen Dingen auch in Deutschland geworden. Und mir war das alles eigentlich zu dem Zeitpunkt gar nicht bewusst, was das auch auf tieferen Ebenen für eine Tragweite hat. Und ich guck da schon manchmal heute drauf zurück und denke so: „Wow, also was hab ich da eigentlich alles so miterlebt? Was habe ich auch im negativen Sinne erlebt?“ Und manchmal ärgere ich mich auch über mich selbst, weil ich denke, ich hätte viel mehr, genau wie du gesagt hast, eigentlich Leuten dort die Leviten lesen müssen. Aber ich hab’s halt auch gar nicht gecheckt und ich war eher damit beschäftigt, in dieser Welt irgendwie, jetzt ganz dramatisch gesagt, zu überleben oder zu bestehen. Und das war schon anstrengend genug. Also, ja. 

00:20:17,873 –> 00:20:20,913 [Raul Krauthausen] Ist Musik heute noch Thema für dich? Rapmusik. 

00:20:21,693 –> 00:20:25,513 [Lottie] Also, ähm, ich 

hör kaum noch Deutschrap, muss ich zugeben. Ich hör insgesamt noch gerne Rap, aber ich bin überhaupt nicht mehr so up to date wie früher und bin auch oft eben, wenn ich Sachen von früher höre– manchmal, muss ich echt auch zugeben, fast manchmal so ein bisschen auch getriggert von manchen Sachen, dass ich mich an eben Sachen zurückerinnere, die so passiert sind, die man dann auch verdrängt hat und einem dann bewusst wird. Ich erzähle das manchmal meinem Mann, weil der ist ja verrückterweise Rapper, aber ich würde auch sagen, er ist auch mehr als Rapper. Also er ist einfach ein Künstler und er ist auch, also, macht auch andere Musik als jetzt nur Rap. Aber ich erzähl dem das manchmal so, wenn wir durch Zufall über irgendeinen anderen Rap-Artist sprechen oder über irgendeinen Song oder ein Album. Und dann sage ich so: „Boah, mir fällt gerade ein, damals vor fünfzehn Jahren, da hat der und der dis und dis gemacht oder gesagt.“ Und immer wieder ist dann mein Mann so: „Nee, das ist das, was…“ Also der hat heute Morgen erst wieder zu mir gesagt: „Du müsstest eigentlich darüber noch mal ein Buch schreiben oder noch mal irgendwie einen Film drehen, weil das ist nicht zu glauben, was du da alles erlebt hast.“ Und deswegen– es ist ein ganz großer Teil meiner Vergangenheit und ich habe auch ganz, ganz viel Gutes mit dieser Welt erlebt und ich habe auch dem ganz viel zu verdanken und ich bin ganz doll groß und stark geworden in dieser, in dieser Welt, also vor allen Dingen mental. Ähm, aber ich bin auch froh, dass ich mich davon heute ganz doll emanzipiert habe und losgelöst habe, weil doch weiterhin auch so viele schlimme Dinge dort passieren. Und ich glaube, würde ich heute noch eine Radiosendung haben, in der ich Menschen aus dem Deutschrap Bereich interviewen würde. Ich wäre nur damit beschäftigt zwanzig Minuten on air über Dinge zu diskutieren, über die ich nichts mit denen zu tun. 

00:22:04,213 –> 00:22:05,993 [Raul Krauthausen]

Die Scherben aufregen, die hinterlassen. 

00:22:05,993 –> 00:22:22,573 [Lottie]

Ja, genau. Wirklich gar keinen Bock auch mehr. Also, das– man fühlt sich ja auch irgendwann wie so ’ne Kindergärtnerin oder ’ne Erziehungsberechtigte von Leuten, von denen man nicht erziehungsberechtigt sein möchte. Und denen erklären zu müssen, so, dass das, was die sagen, dass das einfach nicht geht, dass man das nicht machen kann. Nee. 

00:22:22,573 –> 00:22:35,133 [Raul Krauthausen]

Aber diese Provokation, die scheint ja Teil des Konzepts des Raps zu sein, wo man dann immer sagt: „Ja, das gehört zur Kunst und bla, und es muss so,“ in Wirklichkeit sind es alles Freunde. Wie viel Show ist das? 

00:22:35,133 –> 00:22:54,813 [Lottie]

Bei vielen ist es auf jeden Fall Show und ich finde zum Beispiel, wenn es wirklich auf dieser Battle Rap Ebene passiert. Es gibt da ja auch Veranstaltungen, die bis heute noch sehr erfolgreich laufen, wo sich Menschen treffen und sich battlen. Und das finde ich cool, weil das ist eine Kunst auch, sich auf ’ne– es gibt ja teilweise auch eine sehr niveauvolle, sehr kreative Art und Weise, sich gegenseitig zu roasten, in Anführungszeichen, mit halt Lines. Und das finde ich auch unterhaltsam. Und da gibt es viele, die das ein Stück weit natürlich auch ausgenutzt haben für Show und dann drumherum damals irgendwie bei Rap am Mittwoch oder so, das so überhaupt höht haben, dass man dachte, da ist jetzt gerade riesen Beef. Aber eigentlich war das alles nur, um so ein bisschen wie bei einem Boxkampf- 

00:23:20,093 –> 00:23:20,113 [Raul Krauthausen] Mhm. 

00:23:20,113 –> 00:24:57,233 [Lottie]

-dass man im Vorfeld ja, dann da steht und man hat das Gefühl, diese Leute hassen sich auf den Tod. Eigentlich wissen sie, es geht nur darum: „Komm, wir machen hier eine krasse Show für alle und das auch davor und danach. Und am Ende reichen wir uns die Hände und sind eigentlich cool miteinander.“ Aber es gibt definitiv auch Leute, die dieses Ganze sehr, sehr viel ernster nehmen. Und ich habe das auch– darüber habe ich auch gerade erst gesprochen, ähm, weil es gibt da Rapper, die verstehen halt gar keinen Spaß und die nehmen auch alles so ernst, dass jede Kleinigkeit halt sofort zu so einer zu so einer Eskalation führt. Und da habe ich auch früher Sachen miterlebt und die passieren jetzt aber auch wieder, dass halt die ganze Zeit Menschen bedroht werden und alles immer so auf diesen „Ja, aber wenn du nur einen Satz gegen Deutschrap sagst, so dann…“ Ich will es jetzt hier nicht so wiederholen, was dann so, was dann passiert, aber, also es ist beides. Es ist teilweise sehr ernst und teilweise sind Provokation und Beef und alles, was damit einhergeht, wirklich echt und teilweise auch hinter den Kulissen noch viel schlimmer, als man das nach außen hin wahrnimmt. Also ich hab’s auch damals erlebt, dass man dann plötzlich da so reingeraten ist, weil man mit dem einen Rapper ein Interview gemacht hat und dann mit dem anderen. Und dann wurde einem gesagt: „Ja, alles klar. Das, was der im Interview über dich, äh, über den anderen gesagt hat, das führt dazu, wenn ich den das nächste Mal sehe, dann steche ich den ab.“ So nach dem Motto: „Und ihr seid jetzt schuld, weil ihr dieses Interview geführt habt.“ So was habe ich früher auch wirklich miterlebt. Deswegen, ähm, ja, es ist, es ist eine Mischung aus beiden. Es ist ganz viel Show, aber es ist leider auch immer wieder ganz viel Ernst. Und ja, ähm, da sind auf jeden Fall, da passieren auch Sachen, da, ähm, bin ich auch wieder froh, dass ich einfach nicht mehr Teil davon bin.

00:24:57,623 –> 00:25:02,904 [Raul Krauthausen]

Ich bin seit ein paar Wochen YouTube Premium Abonnent, weil ich. Ja, weil ich so genervt bin von von der Werbung, dass ich dann irgendwann dachte, okay, ihr Penner, jetzt habt ihr mein Geld. Und da gibt’s ja irgendwie die Sparte Musik. Und dann gibt’s da irgendwie Top hundert Videos, Top hundert Deutschrap Videos, keine Ahnung. Und manchmal schaue ich mir die an, einfach weil ich denke so, ey, ich will einfach mal mitkriegen, was so geht. Ich hab keine Ahnung von Popmusik, keine Ahnung von so. Und dann schaue ich mir einfach die Top Ten an. Und was ich an an Rap und Hip Hop, dem aktuellen vor allem, wirklich immer wieder faszinierend finde, wie die so Formulierungen finden, die Umgangssprache sind und dann plötzlich Teil eines Songs werden. Ich hab gestern einen Song gehört, der heißt, gib mal Bluetooth. So. Fand ich irgendwie eine geile Weil ich sag diesen Satz auch, Ey, gib mal Bluetooth. Und das ist so, hätte ich ich wär niemals darauf gekommen, ’n Song daraus zu machen. Aber das ist so Umgangssprache, oder? 

00:25:58,283 –> 00:26:00,263 [Lottie] Ja. Das muss ich auch sagen. 

00:26:00,263 –> 00:26:09,943 [Raul Krauthausen]

Ja. Singt in einem Song, ich ich würd gern zu dir kommen, aber in deiner Stadt fährt kein Uber. Dachte ich, ja, ist irgendwie eine geile Beobachtung. 

00:26:09,943 –> 00:27:24,023 [Lottie]

Das muss ich auch sagen, wenn man jetzt so sich andere Genres anguckt, dann ist Deutschrap schon, würde ich sagen, trotz allem immer noch mit am authentischsten. Auch wenn es Leute gibt, die das abstreiten und sagen, das ist jetzt alles nur noch fake und das ist alles irgendwie so konstruiert. Aber ich finde schon, dass wenn man sich jetzt im Vergleich dazu irgendwelche Schlager oder Pop Alben oder so anhört, dass das schon eben im Deutschrap schon immer so war und im Rap an sich, dass die Dinge dort genauso aus der echten Welt dieser Menschen kommen und aus dem, was sie sehen und erleben. Und das hat es, glaub ich, auch für mich damals so spannend gemacht, dass ich teilweise das Gefühl hatte, ich höre eben wie als wenn man, ja, ’n Tagebuch von jemandem hört und auch mit allen guten und schlechten Seiten und mit allem Schmerz und mit aller Wut und auch teilweise mit allen asozialen Seiten, die’s dann auch so mit sich bringt, aber auch manchmal mit ganz viel Gefühl und ganz viel, also mit sehr viel mehr Emotionen verbunden als oft andere Songs, bei denen ich wirklich das Gefühl hatte, die entstehen hier grade irgendwo nach ’nem null acht fünfzehn Reißbrettprinzip. Und deswegen, also Deutschrap hat auch nicht nur jetzt im persönlichen Sinne sozusagen aus meiner Sicht, sondern ich finde schon weiterhin auch auf der künstlerischen, musikalischen Ebene auch ganz viel Positives zu bieten. 

00:27:24,023 –> 00:27:35,703 [Raul Krauthausen]

Kannst Du da eine Aussage darüber treffen, auch wenn Du gerade gesagt hast, dass Du schon lange nicht mehr dich so mit dem Thema auseinandersetzt so intensiv, ob es einen Fortschritt oder einen Rückschritt im deutschen Rap gibt? 

00:27:35,703 –> 00:27:42,083 [Lottie]

Meinst Du jetzt auf der musikalischen oder auf der so menschlichen Ebene, oder? 

00:27:42,083 –> 00:27:45,723 [Raul Krauthausen] Also so was Sexismus angeht oder die ganzen, ja, toxischen männlichen, ja? 

00:27:48,523 –> 00:28:37,623 [Lottie]

Ich würde sagen, sowohl als auch. Also es gibt immer noch genau die gleichen Typen von früher, mit denen ich mich da schon rumschlagen musste. Aber es gibt jetzt auch eine Strömung von ganz, ganz, ganz, ganz vielen anderen Menschen, vor allen Dingen auch sehr, sehr vielen Frauen, die da eben wirklich dem die Stirn bieten und die sich da teilweise auch dann öffentlich streiten mit so Leuten, die Aussagen treffen, die eben auch sehr problematisch und auch sehr hängengeblieben sind. Und deswegen, ich würde sagen beides. Also es gab ganz viele Fortschritte und ich glaube, dass ganz viele Leute, die auch neu da reingekommen sind, aber auch Menschen, ich hab auch miterlebt, wie Menschen viele Dinge hinterfragt haben, auch die sie früher in dieser Welt gemacht und gesagt haben. Das kenn ich ja, wie gesagt, auch von mir. Also wir sind ja alle nicht irgendwie in dem, was wir so tun und getan haben in unserem Leben, alle immer schon der Mensch gewesen, der wir jetzt sind. Und deswegen, ich finde das auch schön, dann mit anzusehen, dass sich da viele Leute weiterentwickelt haben, aber manche haben sich auch überhaupt nicht weiterentwickelt. Und deswegen, ich bin heute nur einfach froh, dass nicht mehr manchen Leuten so das Feld überlassen wird, kampflos, wie das damals teilweise war. Weil ich war manchmal alleine in einer Situation, dass mich Also es es gab Rapper, die öffentlich irgendwelche Vergewaltigungsfantasien mir gegenüber ausgesprochen haben in Interviews oder in irgendwelchen Youtube Videos und niemand hat irgendwas dagegen gemacht und ich war alleine damit und ich musste das einfach aushalten. Und heute, wenn so was passiert oder Rapper irgendwelchen Frauen drohen oder irgendwelche wirklich ganz schlimmen Sachen sagen, dann stehen da ganz viele Menschen auf und sagen, so, das geht so nicht und bieten diesen Leuten die Stirn und das finde ich ganz schön mit anzusehen, weil ich war damals ganz alleine mit solchen Sachen. Also wirklich bis auf vielleicht ein, zwei Menschen, die mir hinter den Kulissen geholfen haben, war ich in der Öffentlichkeit an sich ganz, ganz alleine. Und das, ja. 

00:29:47,943 –> 00:29:51,103 [Raul Krauthausen]

Und waren das dann eher Männer oder eher Frauen, die hinter dir standen? 

00:29:51,103 –> 00:30:24,003 [Lottie]

Ja, es gab halt zu wenig Frauen, die hätten hinter mir stehen können. Also deswegen, ich erinner mich an an ein, zwei Menschen, die auf jeden Fall eben, aber einfach, weil das Männer waren, die auch Einfluss hatten in dieser Welt, die mir da versucht haben zu helfen, die dann auch geredet haben mit Leuten, die mich da irgendwie bedroht haben oder ja. Deswegen, da gab’s dann leider einfach zu dem Zeitpunkt vielleicht auch schon ein, zwei Frauen, die mir hätten helfen können, aber die dann vielleicht auch nicht die Verbindungen zu denjenigen hatten, die dann die, ja, die die Aggressoren mir gegenüber waren und ja. 

00:30:24,003 –> 00:30:26,363 [Raul Krauthausen] Was bedeutet der Name vis-a-vis? 

00:30:26,363 –> 00:31:50,677 [Lottie]

Der Name ist entstanden, als ich eben beim Radio damals bei KISS FM angefangen habe und es son bisschen die Frage war, so als was oder wer will ich mich so nach außen hin präsentieren? Und ich hatte irgendwie das Gefühl, ich möchte einen Künstlernamen haben. Und ich fand die Vorstellung, weil vis-a-vis ja einfach aus dem Französischen übersetzt, anders geschrieben als jetzt so, wie ich dann den Namen geschrieben habe, gegenüber bedeutet. Und dieses Interviewding und so mit Menschen sich zu treffen und auszutauschen und Fragen zu stellen und gegenüber zu sein, das hat mich, glaub ich, schon damals fasziniert. Und deswegen dacht ich, ich nenn mich jetzt einfach mal Visavis, klingt irgendwie schön. Und so hat sich das dann etabliert und ich hab das auch über Jahre hinweg dann immer mehr als ganz großes Geschenk gesehen, dass ich mir diesen Namen damals gegeben habe, weil er mir in der Deutschrapzeit oft auch ein Schutzschild war, weil es wie so ein bisschen so das ist vis-a-vis und wenn ihr alle vis-a-vis beleidigt oder wenn irgendwelche Menschen mich sexualisieren gegen meinen Willen im Internet oder so, dann war das oft immer mit diesem Namen vis-a-vis und ich konnte zu Hause hinter verschlossenen Türen Lottie sein und konnte das so ein bisschen von mir abwenden und das war ganz gut. Deswegen war ich sehr, sehr froh darüber, dass ich so lange diesen Namen hatte. Aber der ist auch für mich sehr doll verknüpft mit der Deutschrap Welt. Deswegen versuche ich ihn auch gerade ein bisschen loszuwerden. 

00:31:50,677 –> 00:31:52,177 [Raul Krauthausen]

Ab sofort Lottie. 

00:31:52,177 –> 00:32:06,717 [Lottie]

Ja, ist schwierig, weil ich kann irgendwie bei Instagram, wenn mir da jemand helfen kann. Ich weiß nicht, ob du davon Ahnung hast, aber ich kann nicht meinen Instagram Namen ändern. Also den offiziellen, das, ich bleibe einfach dort vis-a-vis, obwohl ich nicht will. 

00:32:06,717 –> 00:32:14,837 [Raul Krauthausen]

Ja, da muss man manchmal Kontakte nach ganz oben haben. Oh, ähm, aber vielleicht kann ja jemand von den Hörerinnen und so weiterhelfen. 

00:32:14,837 –> 00:32:22,337 [Lottie]

Wenn ihr Kontakte nach ganz oben zu Meta habt, dann lasst es mich bitte wissen. Ich würde gerne meinen Namen ändern. So. 

00:32:22,337 –> 00:32:32,957 [Raul Krauthausen]

Sehr gut. Also zu Rap, Hip Hop allgemein gehört ja sehr häufig dann auch die Fortsetzung der Themen der Werbung zu den Songs ins Internet. Social Media ist ein großes Thema, auch um Produkte, sagen wir mal, zu promoten und auch die Geschichte am Laufen zu halten, wie man so schön sagt. Und ein Aspekt, äh, den ich auch meinte, dass du gelernt hast, irgendwie auch Veränderungen anzunehmen, ähm, oder besonders gut kannst, war, das hast du im Interview gesagt, dass du dich auf Social Media auch, ähm, versucht hast loszusagen, ohne jetzt ganz damit aufzuhören, aber jetzt nicht mehr die ganze Zeit ins Rabbit Hole zu fallen oder die ganze Zeit zu checken, wie viele Likes hat etwas. Wie schwer war diese Veränderung für dich? 

00:33:10,717 –> 00:34:54,757 [Lottie]

Es war schon sehr schwer, weil ich eine Zeit lang, wie glaube ich viele Menschen auch, die dann irgendwann mal damit angefangen haben, ein bisschen zu viel Zeit im Internet zu verbringen und vielleicht auch zu viel Bestätigung von dort sich zu holen, eben gemerkt habe, dass das, also, dass ich zu viel darüber nachgedacht habe, auch ständig in meinem privaten Leben: „Wie kann ich das jetzt in irgendeiner Form umwandeln zu Content? Was kann ich damit machen? Was hat das dann wiederum für einen Einfluss? Was sagen Menschen dazu? Also, ich glaub, das war auch eine Zeit, in der ich vielleicht auch nicht so glücklich war mit mir und mich viel darüber definiert habe, was passiert im Internet, was sagen Menschen über mich? Wie finden sie mich? Mögen sie mich? Es ist auch immer noch so, dass ich, glaube ich, gerne lieber gemocht werden möchte. Also, ich habe ein sehr großes Problem damit, wenn Menschen mich nicht mögen oder mich irgendwie scheiße finden, dass, dass– damit kann ich nicht so gut umgehen. Und deswegen ist es natürlich immer ein toller Gradmesser, wenn man dann bei Social Media irgendwelche Herzen bekommt und tolle Nachrichten bekommt. Und das macht mich halt auch glücklich. Aber ich habe eben irgendwann gemerkt, dass dieses– also, ich hatte eine Zeit lang wirklich fast so ein zwanghaftes: „Ich muss jeden Tag etwas posten, also wirklich jeden einzelnen Tag.“ Ich weiß jetzt z.B. nicht, wie dein Output gerade ist, ob du sowas auch machst, aber für mich war das wirklich– ich habe irgendwann gedacht, warum, also warum mache ich das eigentlich? Habe mir immer eingeredet, ich muss das machen für den Algorithmus, aber, also das ist doch mein Leben und ich bin ja nicht, ich bin keine klassische Content Creatorin im Internet oder bei Social Media, sondern ich habe das nebenbei gemacht und bin ganz froh, dass ich mich davon irgendwann gelöst habe. Und seitdem geht es mir besser, würde ich sagen. 

00:34:54,757 –> 00:34:58,697 [Raul Krauthausen]

Was war denn der erste Schritt? Die App vom Handy löschen, oder? 

00:34:58,697 –> 00:36:03,057 [Lottie]

Ich habe mir immer mal… Also ich habe ja damals dann, also es ist schon wirklich ein paar Jahre länger her, ich hab, ähm, ein Hörbuch angefangen zu schreiben, eine Hörbuchserie, in der ich dann auch meine Erfahrungen in der Deutschrap Welt auf fiktive Art und Weise versucht habe zu verarbeiten. Und das war eine Phase, in der ich dann zum Beispiel immer mal wieder ein paar Tage lang mir komplettes Social Media Verbot gegeben habe. Und sowas habe ich eben vorher auch nie gemacht oder auch nicht geschafft, seitdem ich so auf diesen Plattformen unterwegs war. Und ich glaube, das war dann immer schon wie so ein kleiner Detox eben. Und jetzt ist es aber wirklich eben auch teilweise, dass ich einfach– ich mache mir darüber nicht mehr so Gedanken. Wenn ich jetzt mal zwei Wochen oder sogar zwei Monate nichts poste, dann ist es halt so. Also, ja, am Anfang musste ich mich dazu richtig zwingen und eben sagen, ich darf da jetzt nicht auf die App gehen und ich gucke da jetzt nicht rein und ich mache da jetzt nicht. Und heute ist es jetzt, würde ich sagen, fast schon so ein bisschen natürlich etabliert bei mir, dass, dass ich mir da– ich denke gar nicht mehr darüber nach, jeden Tag was posten zu müssen oder so. 

00:36:03,057 –> 00:36:07,697 [Raul Krauthausen]

Das Her Stück, das du meintest, war das das allerletzte Interview? 

00:36:07,697 –> 00:36:08,957 [Lottie] Genau das, ja. 

00:36:08,957 –> 00:36:15,197 [Raul Krauthausen]

Das kann ich auf jeden Fall auch jedem sehr ans, ans Herz legen. Ähm, super spannend. 

00:36:15,197 –> 00:36:47,517 [Lottie]

Das ist auch– also einige Dinge, die ich jetzt heute nur so angerissen habe und natürlich jetzt nicht so detailliert reingegangen bin, habe ich ja dort wirklich verpackt unter dem Deckmantel des, ja, der fiktiven Geschichte. Also auf jeden Fall, es ist in vielen Teilen sind da wirklich Geschichten verarbeitet worden, die eins zu eins so passiert sind. Ich habe nur die Namen oder die Orte oder so paar Merkmale verändert, damit man nicht sofort weiß, um wen es da geht.

00:36:47,517 –> 00:37:21,019 [Raul Krauthausen]

Gleich geht es weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und wirst, wenn du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos findest du auf im-Aufzug.de. Ende der Servicedurchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge. 

Und irgendwo gibt es das Gerücht, dass es verfilmt werden soll. 

00:37:21,019 –> 00:38:48,179 [Lottie]

Ja, es ist nicht nur ein Gerücht. Es war ganz, ganz lange ein ganz aktuelles und auch ganz reales Thema, denn ich habe schon vor ein paar Jahren sogar mittlerweile wirklich auch einen Vertrag unterschrieben mit einer Produktionsfirma. Es gab einen sehr, sehr, sehr, sehr großen Streaming-Anbieter, der die Geschichte quasi gekauft hat, aber durch unglückliche Umstände – und ich habe das jetzt auch noch nie irgendwo so gesagt, aber das ist gerade ein sehr trauriges Thema für mich, weil es hängt wie so ein bisschen ein Fluch auf der Verfilmung. Es gab ganz lange so ein bisschen Probleme, das richtige Autorenteam dafür zu finden. Also es gab immer mal wieder so verschiedene Menschen, die daran gesessen haben, die Drehbücher zu schreiben und das hat nie so richtig hundertprozentig gepasst, bis man dann endlich eine ganz tolle Autorin und einen ganz tollen Autor gefunden hat, die das wirklich gecheckt haben. Und weil es natürlich auch schwer ist, diesen Stoff so aufzuarbeiten, wenn du zum Beispiel von dieser Deutschrap-Welt keine Ahnung hast. Da gab es dann zwischenzeitlich Drehbücher von Leuten, wo ich dachte: „Uff, okay, ihr habt wirklich diese Welt gar nicht verstanden und ihr macht genau das, was es nicht sein soll, nämlich all diese Klischees, die man kennt über Rapper und Rapperinnen und über diese ganze Welt, das ist so schlecht, also so dermaßen von so einer Außenperspektive plötzlich in diesem Drehbuch wiedergegeben worden, dass ich dachte: „Nein, das hat nichts mehr mit meiner Geschichte zu tun.  Da habe ich dann auch lange drum gekämpft und habe gesagt: „Wir brauchen aber Menschen, die das wirklich verstehen. Und dann hatten wir zwei Leute, die das richtig toll gemacht haben und hatten super Drehbücher und das hat aber eben Jahre gedauert, bis wir an diesem Punkt waren. Und genau dann hat dieser Streaming-Anbieter aufgrund einer anderen Serie, die dort veröffentlicht wurde, diein den Staaten für einen riesigen Aufschrei gesorgt hat. Ich kann jetzt nicht genau sagen, weil dann weiß man, um was es oder wen es da ging, aber es ging auf jeden Fall Da haben Menschen demonstriert, weil denen da Sachen zu edgy waren, sage ich jetzt mal. Und deswegen musste dieser große Streaming-Anbieter die komplette inhaltliche Ausrichtung verändern. Von ganz oben aus den USA wurde quasi gesagt: „Ja, solche Produktionen, die jetzt gerade bei euch in Planungen sind, wie das allerletzte Interview, können wir leider nicht mehr umsetzen, weil es geht dort Gewalt und Drogen und Sex und Rap und das ist alles viel zu doll und so was können wir jetzt nicht mehr machen, weil sonst wieder Menschen demonstrieren. Und das heißt, nach drei, vier Jahren gemeinsamer Arbeit wurde die Verfilmung diesbezüglich erst mal abgesetzt, ausgesetzt und jetzt ist gerade die Produktion auf der Suche nach einem neuen Partner. Aber das ist natürlich jetzt immer ein bisschen… Also es war schon ein kleiner Rückschlag und auch ein bisschen traurig, weil es war natürlich ein Traum, dass die erste Geschichte, die ich geschrieben habe und veröffentlicht habe, so jetzt in dem Rahmen verfilmt werden sollte und eben mit einem Streaming-Anbieter, der weltweit das Ganze übersetzt hätte in weiß ich nicht in wie viele Sprachen. Und das ist schon ein bisschen ein kleiner Rückschlag jetzt gerade gewesen und habe ich, wie gesagt, auch noch nicht irgendwo öffentlich erzählt, weil ich sehr traurig darüber war. 

00:40:32,839 –> 00:40:39,699 [Raul Krauthausen]

Also ich finde sowieso diese Filmwelt – ich hatte da auch so zwei, dreimal Gelegenheiten reinzublicken – da will sich auch niemand sofort verpflichten. Das ist immer so bis zur nächsten Abstimmungsrunde und es kann jederzeit gekillt werden, auch wenn es fast fertig war. 

00:40:49,559 –> 00:41:23,239 [Lottie]

Gerade deswegen war ich so traurig, weil die waren eigentlich sehr committed, also der Streaming-Anbieter. Die waren von Anfang an super doll dabei und fanden das ganz toll und deswegen ist es jetzt umso ärgerlicher, weil ich das Gefühl habe, jetzt haben sich natürlich auch wieder Dinge verändert in dieser Welt und teilweise gibt es jetzt Produktionen, die sagen: „Boah, das läuft jetzt alles nicht mehr so wie vor vier Jahren und wir haben jetzt hier nicht mehr ein paar Millionen Dollar Budget für so was, sondern nein, sorry, wir haben da jetzt keinen Bock mehr drauf und deswegen habe ich eben eine sehr feste, gute und sehr zuverlässige Zusammenarbeit jetzt verloren, nur weil irgendwo ein paar Leute mit ein paar Schildern standen, weil denen etwas ein bisschen zu explizit dargestellt wurde. 

00:41:36,459 –> 00:41:37,519 [Raul Krauthausen] Ach, verdammt. 

00:41:37,519 –> 00:42:15,479 [Lottie]

Das ist doof, aber ich gebe natürlich die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages das allerletzte Interview noch verfilmt wird. Ich muss aber auch sagen, nicht jeden Preis und deswegen habe ich auch die ganze Zeit schon immer, als ich da Drehbücher bekommen habe, wo ich gemerkt habe, das geht gerade in eine ganz falsche Richtung, habe ich gesagt: „Lieber gibt es keine Serie, als dass das irgendwelche Sachen auch so… Also die Perspektive der Frau, der Hauptfigur war dort so verzerrt dargestellt, dass ich dann auch gesagt habe: „Dann verzichte ich lieber drauf, als dass das so eine Serie wird, wo ich mich später schämen muss und das auch einfach nichts ist, wo ich dann am Ende sage: „Jo, cool, toll. Da haben wir eine tolle Serie gemacht, sondern ganz im Gegenteil. Und das will ich dann auch nicht. 

00:42:15,479 –> 00:42:17,859 [Raul Krauthausen] Ja, das kann ich nachvollziehen. Ein weiterer Aspekt, wo du dich neu erfunden hast, war dann der Wechsel – so habe ich das zumindest empfunden – von Rapmusik und Journalismus darüber hin zu Journalismus über True Crime-Fälle. Wie kam es denn zu diesem Wandel? 

00:42:34,119 –> 00:42:54,319 [Lottie]

Also ich würde sagen, dass eigentlich das allerletzte Interview so ein bisschen wie der Übergang davon war, weil das war ja eine Geschichte, die quasi natürlich fiktiv von mir geschrieben war, aber es ging ja trotzdem auch eine Crime-Geschichte. Und ich habe da, glaube ich, so ein bisschen diese beiden Dinge miteinander vereint, weil alles rund um Verbrechen, sowohl im Fiktiven als auch im realen Sinne, mich schon immer irgendwie auf eine Art fasziniert hat. Also ich habe schon immer viel dazu gelesen, viele Filme geguckt, viele Bücher gelesen, habe mich damit schon ganz, ganz, ganz, ganz lange befasst und es war eigentlich so ein bisschen, glaube ich, nur eine Frage der Zeit, bis ich auch da das so ein bisschen zu meiner Profession mache, weil ich halt gespürt habe, Geschichten erzählen und schreiben ist etwas, was mir eben schon immer liegt. Und da war ja auch so ein bisschen mehr die Annäherung hin zu dem, was ich eigentlich schon zu Schulzeiten wollte und wovon ich geträumt habe. Und ja, das Thema True Crime war. Lange bevor das so ein Hype wurde auf so vielen Ebenen, war das eben etwas, was mich so durch Aktenzeichen XY ungelöst oder Tatort oder so, waren einfach Sachen, die mich schon ganz, ganz früh in den Bann gezogen haben und wo ich irgendwie, ja, ich hab privat so viel Zeit mit diesem Thema verbracht, dass ich dachte, dann kann ich das ja eigentlich auch auf beruflicher Ebene tun. Und es scheint ja auch irgendwie viele andere Menschen zu interessieren, also versuch ich’s einfach mal. 

00:43:59,961 –> 00:44:43,741 [Raul Krauthausen]

Du hattest da mit Ines Anioli den Podcast Weird Crimes, der lange eine der erfolgreichsten deutschen Podcasts war. Ihr habt Hallen gefüllt, wenn ihr dann Livlesungen oder Livepodcasts gemacht habt. Und dann ist irgendwie euer Team, ja, hat sich dann entschieden, den Podcast nicht weiterzuführen. Und dann gab es andere Podcasterinnen, die das dann wiederum zu soner Art True Crime Geschichte gedreht haben, wo ich dann manchmal das Gefühl hatte, das ist auch eine geile Selbsterzählung, wo dann irgendwie gemunkelt wurde, warum haben die jetzt aufgehört? Und da war eine Spitze von ihr an sie und da umgekehrt, wo ich dachte, so, irgendwann hat man das dann auch nicht mehr im Griff, oder? 

00:44:43,741 –> 00:44:56,561 [Lottie]

Ja, also es gab irgendeinen Kommentar, das hat es ganz gut aufn Punkt gebracht. Das fand ich eigentlich auch fast ’n bisschen witzig, dass Weird Crimes wenigstens auch wirklich auf eine sehr weirde Art zu Ende geht. Das ist irgendwie auf eine tragisch ironische Art und Weise ja wirklich irgendwie passiert. Und ja, ich muss auch sagen, das war auf jeden Fall nichts, was ich mir so gewünscht hätte, dass das so aus den Fugen gerät und auch Menschen dann daraus das machen, was sie gemacht haben. Aber am Ende des Tages sind wir Personen der Öffentlichkeit und natürlich muss man damit rechnen und natürlich hat man das dann eben nicht mehr unter Kontrolle. Aber ich glaube, man hätte es schon Also natürlich Spekulation hätte man nicht verhindern können und die gab’s auch schon vorher. Aber natürlich glaube ich auch immer noch daran, wenn man gewisse Dinge nicht äußert öffentlich, dann füttert man halt auch Sachen nicht. Und dann, ja, hätte man vielleicht auch trotzdem für immer sagen können, gut, man hat sich getrennt. Die Gründe dafür sind privat, alles andere ist in Ordnung, alle wünschen sich gegenseitig das Beste und jeder geht seinen Weg. 

00:45:49,861 –> 00:45:50,541 [Raul Krauthausen] Genau. 

00:45:50,541 –> 00:46:12,921 [Lottie]

Das hätte man machen können, aber das ist leider anders gelaufen. Ich hätt’s mir, wie gesagt, anders gewünscht. Ich war auch selber, muss ich zugeben, sehr schockiert darüber, als das dann so Oh, sorry, ich hab meinen meinen Blutzuckersensor hab ich Oh nein, mein ja, ich bin grade bergauf mit meinem Blutzucker. Ich mach den mal ganz kurz aus, damit er jetzt hier nicht die ganze Zeit piept. 

00:46:12,921 –> 00:46:14,401 [Raul Krauthausen] Nee, Nö, raus kannst ihn auch anlassen. 

00:46:14,401 –> 00:46:22,821 [Lottie]

Ja. Ich mach ihn, ich stell ihn ein bisschen höher. Ich seh dann trotzdem, wenn der hier piept, aber sorry. Ja, also es hat mich auf jeden Fall sehr überrumpelt und auch sehr, eine Zeit lang sehr, sehr traurig gemacht. Und ich find’s auch bis heute richtig unangenehm und scheiße, dass ich in sonem Kontext, vor allen Dingen natürlich, wie das dann ist, wenn da zwei Frauen sind. 

00:46:39,601 –> 00:46:41,881 [Raul Krauthausen] Ja, dann wird sich Zickenkrieg gesagt wird. 

00:46:41,881 –> 00:47:13,721 [Lottie]

Ja, genau. Das das war dann wirklich auch noch so, das was was ich am aller am allerschlimmsten fand, dass dann auf sone boulevardeske Art und Weise darüber berichtet wurde, Menschen vom Zickenkrieg gesprochen haben und so. Und das fand ich sehr unangenehm für uns, also für alle Beteiligten und sehr unnötig. Und ich wünschte, dieses Kapitel wäre anders zu Ende gegangen, aber man hat es ja leider nicht immer im Griff und damit muss ich irgendwie leben und das ist auch okay. Und irgendwann wird’s bestimmt auch ganz okay sein, hoffentlich. 

00:47:13,721 –> 00:47:24,621 [Raul Krauthausen]

Nun hast Du einen eigenen Podcast mit dem Titel Plot House, haben wir ja vorhin schon kurz angerissen, wo’s jetzt nicht mehr nur True Crime geht, sondern jetzt einfach so einfach spannende Fälle. 

00:47:24,621 –> 00:47:30,501 [Lottie]

Genau, eigentlich Geschichten generell, also wahre Geschichten, aber eben schon unglaubliche Geschichten. 

00:47:30,501 –> 00:47:37,761 [Raul Krauthausen]

Ja. Ich hab mich gefragt und ich kann die Faszination verstehen, wann wird es Voyeurismus? 

00:47:37,761 –> 00:47:41,621 [Lottie]

Mhm. Ja, ist eine absolut berechtigte Frage. 

00:47:41,621 –> 00:47:49,901 [Raul Krauthausen]

Weil da ich das ist, glaub ich, genau dieses, dass man an dieser an dieser Gradlinie lang läuft ne. 

00:47:49,901 –> 00:49:18,361 [Lottie]

Also ich kann dir auch sagen, dass für mich die Entscheidung, keinen reinen True Crime Podcast mehr zu machen, auch damit zusammenhing, dass ich für mich auch das kritisch hinterfragt habe. Ich glaube schon, dass wir auch bei Weird Crimes schon versucht haben, die Dinge trotz des komödiantischen Anteils so sehr mit Respekt und trotzdem auch in den meisten Fällen, wahrscheinlich ist uns das auch nicht immer gelungen, aber schon auch mit Fingerspitzengefühl zu behandeln. Aber ich glaube, dass es an sich natürlich auch nicht immer gut ist, über gewisse Sachen zu sprechen. Ich glaube, bei manchen Themen kann ein Podcast, der gewisse Sachen aufarbeitet und gewisse Sachen beleuchtet, auch ’n sehr positiven Impact haben. Also ich glaube nicht, dass True Crime an sich erst mal nur schlecht ist und nur verteufelt werden muss. Aber es hat auf jeden Fall auch ganz viele voyeuristische Aspekte. Und ich hab zum Beispiel auch für mich gemerkt, ganz unabhängig von den anderen Gründen, warum ich diesen Podcast dann auch beenden wollte. Aber natürlich, ich, also es war für mich sehr, sehr schwer, zum Beispiel für diese Arena Shows Themen zu finden rund aus, also aus diesem Verbrechenskontext, bei denen man weiß, ich kann das jetzt öffentlich mit so vielen Menschen besprechen, ohne dass das in irgendeiner Form auch Menschen verletzen könnte oder einfach gewisse Themen auf eine Art und Weise, die man dann auch, also man kann das ja nicht kontrollieren, wie reagieren jetzt zehn, zwölf, dreizehntausend Menschen auf gewisse Themen. Und ich hab gemerkt, dass es mich wirklich auch immer mehr angestrengt hat, da diesen Grad zu finden, wo ist es jetzt zu viel? Wo übertritt man Grenzen? Ja, nach welchen Kriterien wählt man das aus? Ich hätte jetzt zum Beispiel niemals irgend ’nen wirklich keine Ahnung und einen aktuellen

Mordfall oder irgendwas genommen. Ich habe immer versucht, dann da teilweise auch Geschichten zu erzählen, die ganz, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz lange her sind oder die auch gar nichts mit, also dass da keine Menschen zu Schaden kommen oder es nur um Scams geht oder was auch immer. Aber natürlich ist das super schwierig und auch nicht immer möglich gewesen und ich sehe das auch kritisch in vielen Teilen. Ich muss aber trotzdem auf der anderen Seite eben auch sagen, genauso wie ich auch schon immer True Crime Dokumentationen geguckt habe oder Bücher über Verbrechen gelesen habe. Ich glaube schon, dass man darüber reden kann und sollte. Es kommt halt auf die Art und Weise drauf an. Und ich bin gerade ganz glücklich, weil ich bei Plot House so eine Mischung für mich gefunden habe. Ich erzähle dort eben manchmal auch immer noch True Crime Geschichten, aber ich versuche das auch ganz oft zu verknüpfen, zum Beispiel bei gewissen Geschichten aufmerksam zu machen auf keine Ahnung, dass man das verknüpft nicht nur mit einem „Ich erzähle euch jetzt aus Entertainment-Gründen etwas, sondern dass man Menschen zu Wort kommen lässt, die das auch wirklich wollen, nicht nur über Betroffene reden oder über Überlebende, sondern auch Menschen einfach die Möglichkeit gibt, ihre eigene Geschichte zu erzählen oder Menschen die Möglichkeit gibt, Spenden zu sammeln, Aufmerksamkeit zu erregen, auf Missstände aufmerksam zu machen. Das versuche ich jetzt gerade mit dem neuen Podcast viel, viel, viel, viel mehr als es bei Weird Crimes möglich war und versuche da irgendwie einen Mittelweg zu finden, mit dem ich mich trotzdem irgendwie auch wohlfühle und nicht das Gefühl habe, zu sehr diese Grenzen zu überschreiten. Aber es ist schwierig und es gelingt mir auch nicht immer. 

00:51:20,015 –> 00:51:22,635 [Raul Krauthausen]

Und machst du den alleine oder hast du da eine Redaktion? 

00:51:22,635 –> 00:52:08,575 [Lottie]

Ich mache das aktuell noch komplett alleine. Also ich suche die Geschichten. Ich habe natürlich, ich habe Menschen, die mit quasi den Podcast produzieren. Also Studio habe ich ein tolles Team und da gibt es auch Menschen, die dann sagen: „Hey, ich habe zum Beispiel die und die Geschichte und mache mir auch Vorschläge, aber grundsätzlich an sich suche ich eigentlich jede Geschichte selbst aus und recherchiere komplett alleine, suche jedes einzelne Foto selbst raus, jeden Ton, schreibe jeden einzelnen Satz selbst. Aber ich weiß auch nicht, ob ich das für immer so machen kann, weil das auch ganz schön viel ist. Aber aktuell bin ich diesbezüglich, was jetzt nur das Redaktionelle, was so das Skript betrifft, bin ich da komplett one-woman-mäßig unterwegs. 

00:52:08,575 –> 00:52:14,355 [Raul Krauthausen]

Ich hatte Sabine Rückert hier mal zu Gast im Podcast, die ja auch den Crime Podcast hat von der Zeit, auch verbrechen, zeitverbrechen, auch sehr bekannt. Und die hat erzählt, dass wenn man sich dann so sehr damit beschäftigt, dass auch irgendwas mit einem macht. Kannst du das auch für dich bestätigen? 

00:52:32,715 –> 00:53:40,115 [Lottie]

Auf jeden Fall. Also bei mir ist es sogar durch den letzten Podcast dazu gekommen, dass ich selbst mich sehr viel weniger im privaten Sinne mit der Thematik beschäftige, weil ich gemerkt habe, dass es irgendwann zu viel wurde. Und ich neige leider ehe auch so ein bisschen zu Paranoia. Also ich bin selber auch zum Beispiel schon mal Opfer eines – ja, ich weiß jetzt nicht wie, aber doch, ich kann es sagen – ich bin Opfer eines Gewaltverbrechens auf der Straße geworden von einem Mann, als ich noch irgendwie… Also war ich gerade 17 oder 18 und ich bin seitdem ehe sehr… Also ich bin immer schon ein Mensch gewesen, seitdem das passiert ist, dass ich Probleme habe irgendwie auf der Straße und wenn es dunkel wird und allein und so. Immer schon problematisch gewesen. Aber seitdem ich mich dann auch noch so intensiv, sowohl privat als auch beruflich, mit solchen Themen auseinandergesetzt habe, habe ich irgendwann gemerkt, dass das mit meiner Psyche etwas macht, was nicht mehr sich gesund anfühlt und sogar teilweise in Richtung gegangen ist, wo ich richtig gemerkt habe, ich kriege jetzt so Ängste, die sich schwerer kontrollieren lassen und die auch wirklich irrational sind und so, dass ich zum Beispiel wirklich fast schon eine Panikattacke bekomme, wenn ich irgendwie in eine Tiefgarage alleine muss, weil das so viel mit mir macht, dass ich denke, hinter jeder Ecke kann jemand oder etwas lauern. Und das hat sich auf jeden Fall nicht mehr gut angefühlt und deswegen habe ich mich auch aus diesen Gründen ein bisschen von dem Thema entfernt und beschäftige mich weiterhin lieber einfach mit… Also ich finde, so Geschichten aus dem wahren Leben, die passiert sind, die einen staunen lassen oder die einen manchmal auch verzweifeln lassen und die einen Fragen stellen lassen und wo man wirklich denkt, das kann doch nicht sein, dass das wirklich passiert ist, sowohl im positiven als auch negativen Sinne. Das sind gerade eher so die Themen, mit denen ich mich auseinandersetzen möchte, als jetzt einfach nur so mit plump jede Woche da irgendwie nur True Crime-Geschichten erzählen, weil ich glaube, dass das auch für meine eigene Psyche am Ende nicht das Richtige ist. 

00:54:38,475 –> 00:54:42,235 [Raul Krauthausen]

Ich habe Freunde, die lesen täglich den Polizei-Ticker Berlin. 

00:54:42,235 –> 00:54:43,335 [Lottie] Oh. 

00:54:43,335 –> 00:54:55,115 [Raul Krauthausen]

Und ich habe so eine Beobachtung… Ja, wirklich. Und ich habe dann beobachtet, dass die über die Zeit, die die das machen, dann auch wirklich mehr Verbrechen auch spüren beziehungsweise mehr Angst dann auch haben, dass alles passieren könnte. 

00:55:00,835 –> 00:55:04,195 [Lottie]

Konsumierst du in irgendeiner Form True Crime? 

00:55:04,195 –> 00:55:12,155 [Raul Krauthausen]

Nein, ehrlich gesagt nicht. Also ich gucke Krimis im Fernsehen ab und zu, aber das ist jetzt nicht so, dass ich das zu einem Hobby habe. Die letzte wirklich bewegende Serie, die ich gesehen habe, war wahrscheinlich wie alle Adoleszent auf Netflix, was ja auch nach einer wahren Geschichte ist. Und da die Debatten drumherum. Ich weiß nicht, ob du die Serie gesehen hast. 

00:55:29,715 –> 00:55:33,675 [Lottie]

Ja, habe ich. Ich wusste gar nicht, dass es auf einer wahren Begebenheit basiert. 

00:55:33,675 –> 00:55:38,175 [Raul Krauthausen]

Also glaube ich, zumindest verstanden oder zumindest nahe an der Realität, vielleicht so. Und die Debatten, die ich dann da darum gelesen habe, haben mich wirklich zum Nachdenken gebracht, weil ich dachte erst so: „Krasse Geschichte, voll gut gespielt von dem Jungen und so. Und dann. Merkte ich aber auch, dass die Debatten sich dann in die Richtung treten, zu Recht, dass wir gar nicht über das Opfer sprachen und dass eigentlich der Vater im Mittelpunkt stand und ist dann doch wieder alles so ’n, mit bester Absicht geschehen, aber dann doch irgendwie der Fokus auf wieder den alten Mann gerichtet. Deswegen war ich auch so von meinem Voyeurismus ein bisschen erschrocken. 

00:56:16,093 –> 00:56:23,414 [Lottie]

Ich glaube aber, dass das etwas ist, ohne das jetzt, also ohne uns alle da in Schutz nehmen zu wollen, aber dass uns solche Dinge, solche Schrecklichkeiten in irgendeiner Form fesseln und dass sie uns interessieren und teilweise auch faszinieren. Ich glaube, dass man das noch nicht mal, also sich dafür verurteilen darf, weil das natürlich, glaube ich, also es ist halt das Schlimmste, Unvorstellbarste, Schrecklichste, was im Menschen da ist, aber auch schon immer da war und glaube ich auch schon immer alle irgendwie interessiert hat. Was dadurch nicht bedeutet, dass es deswegen gut ist, dass es so ist. Aber, ähm, ich glaube, dass es trotzdem auf die Art und Weise ankommt, wie man sich dem nähert und wie man darüber spricht und wie man darüber denkt, dass es trotzdem auch okay ist, sich damit auseinanderzusetzen. Weil die Alternative wäre ja, dass man all diese Themen stillschweigend oder gar nicht mehr reflektiert. Und natürlich, ich seh das auch so wie du, die Perspektive ist schon auch entscheidend. Und ich erzähle manchmal natürlich auch Geschichten über Täter, aber auch, weil das glaube ich schon auch manchmal Erkenntnisse mit sich bringt und vielleicht auch Menschen sensibilisiert dafür, wie entwickelt sich so was überhaupt? Also wenn man eine Lebensgeschichte von einem Täter erzählt, wo hat es angefangen und was ist dann passiert und welche Schritte haben zu was geführt? Ich glaube, dass es, ja, nicht immer automatisch nur falsch ist, sich damit zu befassen oder auch solche Themen aufzuarbeiten, aber natürlich auch ganz oft ganz grenzwertig ist, total. 

00:57:44,193 –> 00:58:04,673 [Raul Krauthausen]

Ein Thema, das wir die ganze Zeit so ’n bisschen umkreist haben, und ich bin ehrlich gesagt sehr dankbar, dass du das ab und zu mal auch angesprochen hast, ähm, ist ein Thema, mit dem du in den letzten Jahren sehr viel, ähm, in den Medien auch aktiv warst und auch dich geäußert hast, ähm, ist das Thema Long Covid. 

00:58:04,673 –> 00:58:05,873 [Lottie] Mhm. 

00:58:05,873 –> 00:58:33,693 [Raul Krauthausen]

Ähm, und das hat mich wirklich sehr, ähm, bewegt und, und sehr berührt, wie du in deinem

Podcast sieben Teile lang, äh, von Bremen vier, äh, nee, Radio Bremen und dir, ähm, dem

Podcast heißt, äh, Fighting Long Covid, sehr authentisch, sehr nah über deine

Long-Covid-Erkrankung gesprochen hast. Kann ich auf jeden Fall sehr empfehlen, ähm, sich das mal anzuhören für die, die’s interessiert. 

00:58:33,693 –> 00:58:39,293 [Lottie]

Danke, dass du dir das überhaupt angehört hast, weil das ist ja auch nicht selbstverständlich, weil ich glaube, viele wollen sich eher vor dem Thema drücken auch so. Was ich auch verstehen kann. 

00:58:43,314 –> 00:59:01,394 [Raul Krauthausen]

Ja, weil ich fand das so stark, dass das irgendwie, ähm, mal so Wichtigkeit, die Ernsthaftigkeit auch von ’ner Person, die ja vielleicht mehr, der mehr zugehört wird, ähm, mal das ja in die Öffentlichkeit getragen wird. Margarete Stokowski ja auch. Ähm, find ich auch sehr wichtig, dass das Thema in den Mittelpunkt gerät. Aber war das bei dir deine Idee, das zu erzählen oder ist man auf dich zugekommen? 

00:59:10,354 –> 00:59:53,973 [Lottie]

Man ist zugegeben auf mich zugekommen, aber ich glaube auch, weil ich jetzt wahrscheinlich nicht unbedingt in der Position war, dass ich dachte, „Ja, das ist jetzt in Anführungszeichen so interessant, dass wir daraus jetzt ’nen siebenteiligen Podcast machen müssen.“ Aber es hat mich sehr berührt, dass ich die Anfrage bekommen habe und ich hab auch sehr schnell gedacht so, ich glaube, dass ich das jetzt nicht meinetwegen, sondern vor allen Dingen wegen des Themas machen sollte. Und auf der anderen Seite habe ich dann aber auch im Laufe des Prozesses gemerkt, dass es auch mir geholfen hat. Es war wirklich wie ’ne Art Therapie, diese, diese Wochen, die ich dann da auch mit der Aufzeichnung rund diesen Podcast verbracht habe. Also am Ende war das, glaube ich, eine sehr, sehr gute und, und richtige Entscheidung, das auch zu machen. 

00:59:53,973 –> 01:00:40,973 [Raul Krauthausen]

Also ging auf jeden Fall, ähm, sehr gut. Man konnte sich sehr gut nachvoll, also sehr gut reinversetzen. Ich weiß nicht, ob man’s nachvollziehen kann, aber sehr gut reinversetzen, fand’s wirklich sehr gut aufgearbeitet auch. Jetzt hab ich’s son bisschen zurück katapultiert in diesen Thorsten Podcast und so zu diesen Zeiten, als wo wir alle irgendwie, äh, uns mit Podcasts von Menschen, denen wir vertraut haben, äh, äh, mit auseinandergesetzt haben. Und danach hast du ja viele weiteren Interviews gegeben zu dem Thema, deswegen versuche ich jetzt nicht, die gleichen Fragen zu fragen. Ähm, aber interessant fand ich, dass du auf Instagram neulich geschrieben hast, dass es dir besser geht. Ähm, aber dass besser geht jetzt nicht bedeutet, alles ist gut- 

01:00:40,973 –> 01:00:41,193 [Lottie]

Ja. 

01:00:41,193 –> 01:00:47,013 [Raul Krauthausen]

-sondern dein Zitat war, glaube ich, „Du hast dich vorher wie achtzig gefühlt und jetzt fühlst du dich wie siebzig.“ 

01:00:47,013 –> 01:00:48,393 [Lottie] Mhm. 

01:00:48,393 –> 01:00:53,273 [Raul Krauthausen]

Das finde ich, fand ich ’ne, ’ne sehr nachvollziehbare Einordnung, was besser gehen- 

01:00:53,773 –> 01:00:54,273 [Lottie] Schön, ja. 

01:00:54,273 –> 01:00:55,753 [Raul Krauthausen] -auch bedeuten kann. 

01:00:55,753 –> 01:00:57,253 [Lottie]

Ja. Ich find das ganz– Also es freut mich voll, dass du das ansprichst, weil seitdem ich diesen Post gemacht habe, hab ich leider von ganz vielen Menschen, die das, glaube ich, nicht bis zu Ende gelesen haben, natürlich einfach nur ganz viele Nachrichten bekommen mit, „Herzlichen Glückwunsch, dass du wieder gesund bist.“ Und ich war so, „Hm-hm, Scheiße,“ weil das bin ich halt einfach nicht. Und ich wollte so gerne diese feine Nuance dazwischen erklären, dass es eben, wenn man als Mensch, der krank ist, sagt, „Es geht mir besser,“ heißt es nicht, „Es geht mir gut,“ sondern „Es geht mir weniger schlecht.“ Also es ist immer noch eine richtig gute Nachricht und ich hab’s dann neben dieser, neben der Metapher mit dem Alter, hatte ich dann auch zum Beispiel jemand anderem versucht zu erklären, es ist so ein bisschen wie, also ich bin… Ach stimmt, ich hab das sogar auch, schöne Grüße Philip Fleiter. In ’nem anderen Podcast hab ich ihm nämlich gesagt, ich hab mich, als ich damals aus dem Krankenhaus rauskam, gefühlt-Als hätte ich plötzlich fünfzig Kilo mehr im Rucksack, weil jeder hatte ja oder jeder Mensch hat ja ’n kleinen oder ’n großen Rucksack und ich hatte vielleicht ’n relativ kleinen Rucksack vorher und dann war der auf einmal fünfzig Kilo schwer. Und jetzt sind vielleicht eben zehn Kilo raus, aber ich hab immer noch vierzig Kilo mehr, als ich vorher hatte. Und das ist irgendwie, glaub ich, für manche Menschen ’n bisschen schwer zu verstehen. Und das hat mich ’n bisschen auch die letzten Tage son bisschen frustriert, weil ich dann gemerkt hab an ganz vielen Punkten, ich bin so weit davon entfernt gesund zu sein und deswegen fühlt es sich natürlich auch falsch an, wenn Leute mir gratulieren jetzt zur Gesundheit. Und deswegen hab ich gedacht, vielleicht passe ich das nächste Mal auf, wie ich das öffentlich formuliere, weil es mir am Ende dann irgendwie doch eher also nicht Also macht mich am Ende irgendwie nur traurig, wenn ich da 

01:02:32,195 –> 01:02:35,836 [Raul Krauthausen]

Und das ist ja dann auch wieder wieder Arbeit, die Du aufklären musst, ne. Das ist ja 

01:02:35,836 –> 01:02:38,095 [Lottie]

Ja. Ja. 

01:02:38,095 –> 01:02:47,175 [Raul Krauthausen]

Jetzt weiß man ja über Long Covid nicht so viel über andere Krankheiten, aber trotzdem geht es dir zehn Jahre besser oder zehn Kilo leichter. 

01:02:47,175 –> 01:02:48,955 [Lottie] Mhm. 

01:02:48,955 –> 01:02:54,115 [Raul Krauthausen] Kannst Du sagen, was anders war oder woran’s lag? 

01:02:54,115 –> 01:03:22,975 [Lottie]

Ich hab mich manchmal gefragt, ob ich mich einfach an gewisse Sachen gewöhnt habe. Also ob das auch eine Rolle gespielt hat, dass man ja wirklich eine Zeit braucht, sich an so sehr einschneidende neue Lebensumstände zu gewöhnen und dass sich das dadurch auch leichter anfühlt. Ich glaube aber, dass ich’s auch ganz konkret wirklich an Zahlen und Fakten teilweise messen kann. Sone Tatsache, dass ich so Spaziergänge sind eine der wenigen sportlichen Aktivitäten, die mir quasi noch geblieben sind. Ich war früher sportlich sehr aktiv und jetzt ist es eben so, dass Spazierengehen eigentlich die einzige so Bewegung ist, die ich noch so, also die die ich einfach Herzkreislauf mäßig so durchhalte. Und daran hab ich zum Beispiel gemerkt die letzten Monate, dass ich länger spazieren kann, dass ich schneller laufen kann, dass ich danach weniger Erholung brauche. Weil es gab eben Phasen, in denen ich dann eine halbe Stunde spaziert bin und das wirklich in einem Schritttempo, dann danach teilweise zwei, drei Tage eben zu liegen und zu merken, es geht gar nichts mehr. Und das war natürlich dann auch immer die Frage, lohnt sich das jetzt dafür, dass ich das gemacht habe, danach dann wieder, ja, nicht mehr irgendwie aufstehen zu können, weil ich so am Ende bin und jede Faser in meinem Körper wehtut und ich wirklich ’n ganz hohen Puls habe, mein Blutdruck verrückt spielt. Es war halt jedes Mal eben mit mit ’ner sehr hohen, mit ’nem sehr hohen Preis irgendwie im Zusammenhang, wenn ich dann mal so was gemacht hab. Und jetzt bin ich grade an ’nem Punkt und daran hab ich das wirklich ganz extrem gemerkt. Ich kann mich belasten, ich kann auch mal einen Abend verbringen irgendwie mit Freunden, ohne dass ich dann eine ganze Woche erst mal im Bett liege und wirklich zu nichts mehr ja, imstande bin. Und da hab ich schon irgendwie gemerkt, es tut sich was und vielleicht ist es auch über die Jahre jetzt mit, es wurde ja auch viel angepasst, welche Medikamente nehme ich und welche Dinge tue ich und tue ich nicht mehr. Ich hab mich ganz doll angepasst natürlich auch an diese neuen Grenzen und vielleicht hat all das zusammen dazu geführt, dass die Dinge ’n bisschen besser geworden sind. Aber es gibt auch schon die Tendenz so in dieser Long Covid Community, dass man sieht, dass es, außer wenn man jetzt wirklich eine schwere Form zum Beispiel von MICFS hat, das ist natürlich noch mal was ganz anderes als jetzt bei mir. Aber dass da schon bei vielen Menschen nach ’n paar Jahren auch eine Verbesserung einsetzen kann. Aber genau wie Du gesagt hast, weil man so wenig weiß über die Mechanismen, was steckt dahinter, was passiert eigentlich, das wird ja alles grade immer noch erforscht, kann ich da auch wirklich nur rumspekulieren, was am Ende bei mir dazu geführt hat. Und ich glaub, es ist ’n bisschen eine Mischung aus allem, aber ich glaube und hoffe, dass ich vielleicht auch grundsätzlich jetzt nach dreieinhalb Jahren, vielleicht haben sich Dinge in mir regeneriert, von denen ich aber noch gar nicht genau weiß, was ist das jetzt eigentlich. Und ohne jetzt, wie gesagt, dann auch noch direkt wieder das Negative mit zu erwähnen, aber es ist eben genau deswegen hatte ich ja irgendwie auch öffentlich versucht, dann zu sagen, es geht mir zwar besser, aber zum Beispiel der Faktor, dass mir auch heute, dreieinhalb Jahre später, immer noch als Muskelzellen absterben, daran hat sich zum Beispiel nichts geändert, auch wenn ich wieder belastbarer bin. Und das ist zum Beispiel, ja, da da bin ich trete ich quasi auf der gleichen Stelle wie wie zu Beginn der Erkrankung. 

01:06:22,875 –> 01:06:30,555 [Raul Krauthausen]

Bei diesen zahlreichen Interviews, die Du gegeben hast, hab ich mich kurz gefragt, ich hoffe, Du nimmst es nicht, also nicht zu persönlich, weil das ist keine keine keine Kritik. Aber ich hab mich gefragt, ob Du vielleicht einfach braver und lieber und dankbarer geworden bist, auch gegenüber deinen Interviewpartnern Partnerinnen. Also Du warst bei bei Laut und Deut nicht bei Laut und deutlich? Und Du warst so so dankbar, dass man dich einlud und dass man alles, was Du brauchtest, dir zur Verfügung gestellt hat, wo ich dachte so, Du musst aber eigentlich gar nicht dankbar sein. Die wollten ja auch was von dir. 

01:07:03,555 –> 01:07:05,235 [Lottie]

Ja,es also es ist krass, dass Du das so beobachtet hast, weil ich schon sagen muss, dass ich die letzten Jahre mich sehr, sehr, sehr, sehr schwer damit getan habe, dass ich durch meine Situation und durch dieses, für alle anderen war die Pandemie dann vorbei und für mich war sie aber nicht vorbei. Und für mich war eben neben der Tatsache, dass ich plötzlich in vielen Hinsichten irgendwie auf Unterstützung und Rücksichtnahme angewiesen war, was ich vorher gar nicht kannte. Dazu dann dieser Aspekt kam, wenn sich jetzt Menschen zum Beispiel, egal ob im Beruflichen oder Privaten mit mir irgendwie treffen wollen, dass ich plötzlich unfreiwillig quasi Bedingungen gestellt habe, wie zum Beispiel, Ihr müsst euch testen lassen. Ähm, wenn ihr erkältet seid, dann können wir uns nicht treffen, Abstand, Lüften, was auch immer. Und ich das natürlich eigentlich überhaupt nicht möchte, aber das natürlich auch nicht zum Spaß mache. Also du hast natürlich schon recht, ich, ähm, bin ja dann auch in so einer Situation, also erstens habe ich mir das ja nicht ausgesucht und zweitens natürlich in so einer Situation, da geht es ja dann auch um eine Fernsehsendung und ich habe aber trotzdem plötzlich das Gefühl gehabt, ich bin halt eine Belastung auf einmal für alle Beteiligten, immer wieder, die ganze Zeit, egal ob im Beruflichen oder im Privaten. Und ich bin ab jetzt sozusagen in der Situation, von Menschen immer irgendwas fordern zu müssen und deswegen habe ich mich lieber ganz, ganz viel zurückgezogen und ganz viele Dinge einfach gar nicht mehr gemacht, weil ich nicht in die Situation kommen wollte, weil ich natürlich auch erlebt habe, dass Menschen darauf mit Genervtheit, Abwehrhaltung oder, ähm, teilweise vielleicht auch mit, mit, ja, mit Wut oder was auch immer reagiert haben, dass sie eben der Meinung sind, ich würde meine Situation irgendwie übertreiben oder ich würde, äh, anderen Menschen damit jetzt irgendwie auf die Nerven gehen wollen oder was auch immer. Und deswegen, glaube ich, war ich dann auch so ein bisschen eine Zeit lang in so einer unterwürfigen Haltung von wegen so: „Oh Gott, danke, danke, danke, dass ich hier überhaupt irgendwie teilhaben kann“, weil ich das eben auch ganz doll anders erlebt habe auf einmal so und, ja. 

01:09:13,365 –> 01:09:16,625 [Raul Krauthausen] Bist du manchmal noch genervt von diesen Interviews? 

01:09:16,625 –> 01:11:08,685 [Lottie]

Ähm, ich hatte schon jetzt ein paar Mal so Momente, wo ich dachte: „Ah, warum mache ich das hier eigentlich gerade?“ Weil eben genau das, was du gesagt hast. Also ich dachte dann so bei manchen Gesprächen: „Worum geht’s euch jetzt hier gerade? Wollt ihr am Ende irgendeine komische Kachel posten bei Instagram mit irgendeinem Zitat von mir, wo ihr wisst, das erregt jetzt ganz viel Aufmerksamkeit und da kommen dann irgendwelche Leute aus ihren Löchern gekrochen und können sich dann gegenseitig da schön irgendwie…“ Also so, gerade wenn’s dann um so Themen wie Masken geht oder Impfungen oder Covid an sich, das ist ja so ein Reizthema, dass ich dann teilweise das Gefühl hatte, ich werde jetzt hier nur zu irgendwelchen Gesprächen eingeladen, weil man weiß, dass man damit irgendwie ein bisschen Klicks generieren kann und ich, ähm, das Gefühl hatte, ich bin da jetzt irgendwie so ein bisschen Mittel zum Zweck. Und da habe ich dann schon gedacht, ich glaube, ich lass es einfach. Also ich hör jetzt auf damit. Ich habe oft genug irgendwie versucht, solche Situationen zu nutzen, um auf Covid aufmerksam zu machen, oder auf Long-Covid. Und ich weiß natürlich, ähm, wie du ja auch schon meintest, ich glaube durch dieses, dass es so persönlich, privat und authentisch ist und ich eine Person der Öffentlichkeit bin, ist das ein guter Zugang. Weil wenn man einfach so über Long-Covid spricht, dann hören die meisten Leute eh weg. Und wenn ich das auf dieser Ebene mache, dann habe ich oft das Gefühl gehabt, dann hören mir Leute zu und dadurch hören sie vielleicht auch anderen Menschen zu, denen nicht zugehört wird. Aber, ja, teilweise habe ich dann doch auch gemerkt, dass es mir am Ende mehr Probleme bereitet oder auch mich viel Kraft kostet und mich auch, ja, manchmal sehr traurig und unglücklich zurückgelassen hat, weil dann, ähm, irgendwelche Shitstorms wieder über mich hineingeprasselt sind, weil das in irgendwelche Verschwörungsbubbles oder so reingeraten ist, die Aussagen, die ich in irgendwelchen Interviews getroffen habe und am Ende stand ich dann damit alleine da und war so, „Okay, cool, danke für nichts.“ Also ja, deswegen. 

01:11:08,685 –> 01:11:16,605 [Raul Krauthausen]

Ich kann das ehrlich gesagt, ups, ich kann das ehrlich gesagt ein bisschen nachvollziehen, als, äh, Mensch mit sichtbarer Behinderung, dass, dass ich auch immer müder werde, Interviews zu geben zu immer dem gleichen Thema, weil ich bin nicht mehr so sicher, ob Aufklärung wirklich das Problem ist, das wir in unserer Gesellschaft haben. Ähm. 

01:11:33,265 –> 01:11:33,665 [Lottie] Sondern? 

01:11:33,665 –> 01:11:41,205 [Raul Krauthausen]

Oder fehlende Aufklärung, sondern, ähm, dass wir eigentlich mehr so was bräuchten wie Respekt und Akzeptanz. 

01:11:41,205 –> 01:11:41,745 [Lottie] Mhm. 

01:11:41,745 –> 01:12:02,325 [Raul Krauthausen]

Und, ähm, wenn’s, also, oft erzählen wir ja Binsenweisheiten, ne, über unser Leben und natürlich, ähm, bedeutet, wenn wir sagen, es geht uns besser, nicht, dass es uns genauso gut geht wie vor zwanzig Jahren. Ähm, oder, oder wenn ich sage, ähm, über mein Leben, ähm, äh, so was wie, ja, mich nerven Treppen und Stufen, ähm, dann ist es zwar gesagt, aber es macht, es ändert noch nichts, wenn du verstehst, was ich meine. Also das heißt nicht, dass jemand, der Fernseh guckt, sagt: „Ah ja, okay, dann baue ich jetzt einen Aufzug.“ 

01:12:19,045 –> 01:12:19,645 [Lottie]

Ja. 

01:12:19,645 –> 01:12:33,405 [Raul Krauthausen]

Ähm, das führt– das dauert sehr lange, bis das passiert. Und dann erzählen wir das aber immer wieder neu, immer wieder neu. Und die, die verantwortlich sind, keine Ahnung, Politik, die Forschung, aber auch die Medien, die erreicht das gar nicht. Die Medien machen weiter ihre Suche nach der nächsten Schlagzeile. Sie gehen nicht zu den verantwortlichen Forschungsinstituten, Pharmakonzernen und fragen nach, warum forscht ihr nicht? Oder zur Politik und fragen nach, warum passiert denn da nix? Ehm, sondern sie fragen halt einfach den nächsten Patienten. 

01:12:54,665 –> 01:12:59,465 [Lottie]

Was ist für dich aber die Erkenntnis daraus? Also wie gehst du jetzt gerade damit um? Weil, wenn genau- 

01:12:59,465 –> 01:13:00,045 [Raul Krauthausen]

Ich bin ratlos, ehrlich gesagt. 

01:13:00,045 –> 01:13:01,485 [Lottie] Ah, okay. Mhm. 

01:13:01,485 –> 01:13:20,725 [Raul Krauthausen]

Und frage mich manchmal, ob wir da nicht auch noch mal, ähm, einen Schritt weitergehen müssen, weg von dieser Aufklärungsarbeit, hin zu vielleicht sogar auch Aktivismus und Protest, weil das kann ja eigentlich nicht sein, dass bestimmte Sachen gehen und bestimmte Sachen eben nicht gehen. 

01:13:20,725 –> 01:13:24,525 [Raul Krauthausen] Und ich schon den Eindruck habe, dass, ähm, Dinge einfach lange nicht erforscht werden, bis da nicht irgendwie Geld hinter zu finden ist. Aber, ja, einfach nur ein Bau. Ich bin gerade ein bisschen frustriert, wie du merkst.

01:13:36,865 –> 01:13:48,445 [Lottie]

Ja, aber ich finde es auch gut, das mal so auszusprechen, weil ich mir auch dann vorstellen kann, dass, also diese Frage, wie geht man dann damit um, dass Menschen zum Beispiel sagen: „Ja, wir wollen mit dir zusammen in einem Interview, äh, Themen beleuchten“, wo man selber das Gefühl hat, das ist ja gut, dass es beleuchtet wird und das ist ja auch toll. Aber wenn man dann genau über diese Fragen sich dann Gedanken macht, ob das am Ende was bringt, finde ich es aber gleichzeitig dann auch so traurig. Ist dann die Konsequenz, dass man eben nicht mehr darüber spricht, dass es dann gar keine Sichtbarkeit mehr gibt und dann also so- 

01:14:08,223 –> 01:14:26,944 [Raul Krauthausen]

Eine Konsequenz könnte sein, dass, keine Ahnung, die Medien jetzt äh, die aktuelle große

Koalition fragen: „Was habt ihr denn da vor? Wer ist denn jetzt der kommende Gesundheitsminister?“ Wissen wir, glaube ich, auch noch nicht. Ähm, und dann: Was für Pläne hat der? Und wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut, hab ich, so weit ich, äh, jedenfalls nachlas, da nichts zu der Hinsicht gefunden. Und das wäre zum Beispiel ’ne Frage. Aber gut, das, äh, führt jetzt vielleicht ein bisschen zu weit. Ähm, ich find’s nur so spannend, dass ich mich in vielen Themen wiedergefunden habe. War denn bei dir das Thema Behinderung, bevor du Long Covid hattest, äh, präsent? 

01:14:53,843 –> 01:14:55,723 [Lottie] Zugegeben, 

ehrlich gesagt gar nicht. Und das ist auch etwas, was ich gerade ganz doll lerne und wo ich teilweise richtig auch so erschreckende Erkenntnisse habe. Ich glaube, ich habe das nicht nur bei dem Thema. Ich hab das ja vorhin schon angedeutet. Ich hab das teilweise natürlich auch in Bezug auf, also wenn es um so Sachen geht wie Sexismus oder so, was ich früher ganz anders wahrgenommen habe, obwohl ich davon selbst betroffen war und heute mir manchmal denke: „Wow, was habe ich selber auch gedacht oder gesagt oder getan?“ Und so hab ich das jetzt teilweise auch, dass ich mir durch die Erfahrung und durch das viel mehr Gedanken machen über Menschen mit Behinderung oder auch Menschen mit chronischen Erkrankungen, dass ich so checke, wie– also ich glaube nicht, dass ich jetzt aus ’ner Bösartigkeit heraus ignorant war, aber ich glaube, mir waren so viele Dinge nicht bewusst und man kann einem das vielleicht noch nicht mal vorwerfen, weil man, wenn man das Privileg hat, ein gesunder Mensch zu sein, da, also dann und auch vielleicht nicht so viele Berührungspunkte hat, dass es dann auch schwer ist. Ich glaube schon, dass ich immer ein empathischer Mensch war, aber ich habe mir über viele Lebensrealitäten nur sehr oberflächlich Gedanken gemacht. Also ich hab einfach viele Dinge nicht so sehr wahrgenommen, wie ich mir eigentlich selber zu dem Zeitpunkt zugetraut hatte, dass ich sie wahrnehme. Und das ist gerade ein Prozess, in dem ich mich befinde, wo ich mich manchmal auch echt ein bisschen schäme und merke, ja, ähm, da hätte ich wirklich von mir mehr erwartet, eigentlich früher auch schon, ähm, noch in meinem gesunden Leben sozusagen. Und gleichzeitig ist es aber auch gerade irgendwie, also es hat auch was, es ist, also ich fühl mich grad, das klingt vielleicht blöd, aber ich fühl mich grade sehr viel schlauer als vorher und ich fühl mich sehr viel empathischer und ich fühl mich irgendwie, als hätte sich ’ne ganz andere Perspektive aufs Leben freigeschaltet, weil ich eben gerade immer mehr verstehe. Und natürlich kann man, also ich will damit ja nicht sagen, nur weil ich jetzt, ähm, irgendwie chronische Erkrankungen habe, äh, weiß ich dadurch automatisch, wie sich alle anderen Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen fühlen. Aber ich glaube, dass ich sehr viel mehr in die Nähe zumindest davon komme, dass ich mir Lebensrealitäten mehr vorstellen kann oder mehr mitdenke, eben auch genau dieses, so, ich denke über Sachen nach und mit, die mir früher nie aufgefallen wären. Und das ist teilweise echt so, „Oh, krass.“ Ähm, dann freue ich mich darüber, dass ich jetzt das geschafft habe, an diesem Punkt zu sein, auch wenn es durch eine schmerzhafte eigene Erfahrung passieren musste. Aber es hatte insofern was Gutes, dass ich jetzt, glaube ich, viel, viel, viel, viel aufmerksamer bin für andere Menschen. Und, ähm, ja, das ist aber immer noch weiter– es ist immer noch ein Prozess. Ich bin immer noch mittendrin, aber es ist teilweise echt schockierend. 

01:17:51,183 –> 01:18:02,403 [Raul Krauthausen]

Ja, wollte ich gerade sagen. Also ich lerne ja auch noch ganz viel dazu, obwohl ich von Geburt an ’ne Behinderung habe. Ich glaube auch– ich habe aufgehört zu glauben, dass ich irgendwann fertig bin. Das ist vielleicht so ’n lebenslanges Lernen. 

01:18:02,403 –> 01:18:03,403 [Lottie]

Ja. 

01:18:03,403 –> 01:18:06,843 [Raul Krauthausen]

Aber ich würde gerne von meiner letzten Erkenntnis erzählen- 

01:18:06,843 –> 01:18:07,103 [Lottie] Mhm. 

01:18:07,103 –> 01:18:09,523 [Raul Krauthausen] -die, ähm, 

an die ich die ganze Zeit denke, als ich mich mit deiner Person, äh, beschäftigt habe, ähm, als ich mein vorletztes Buch geschrieben hab. Äh: „Wer Inklusion will findet, einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden.“ Ähm, da habe ich mich auch viel mit anderen Expertinnen ausgetauscht und bin auf einen kanadischen Autor gestoßen, der ein Buch geschrieben hat, ähm, „The Power of Disability“. 

01:18:34,303 –> 01:18:35,023 [Lottie] Hm. 

01:18:35,023 –> 01:18:45,023 [Raul Krauthausen]

Und, ähm, der sagt halt, dass wir Behinderung oder chronische Erkrankung oder unsichtbare Behinderung, ja, gesellschaftlich immer als etwas sehr negatives framen. Ne? Medizinisch, Kosten, was auch immer, Problem, Heilung. Es ist, ähm, sehr schnell, äh, in so ’nem Fahrwasser und wir dabei oft übersehen, dass aber behinderte Menschen und du hast es heute mehrfach gesagt, ähm, ja auch irgendwie unfreiwillig, ja auch etwas trainieren. Ne? Also sie trainieren einfach Resilienz vielleicht, ähm, oder vielleicht auch ’n bisschen kitschig, aber diese Dankbarsein für zehn Jahre jünger, obwohl’s von achtzig auf siebzig ist, ähm, und das aber auch als Fortschritt zu sehen. Ähm, und eine Kraft, die mich am meisten bewegt, ist, äh, die Kraft der Authentizität. 

01:19:29,003 –> 01:19:29,583 [Lottie] Mhm. 

01:19:29,583 –> 01:19:59,643 [Raul Krauthausen]

Ähm, weil ich höre schon öfter den Satz von Nicht-Behinderten, die mir sagen: „Ich bewundere, wie du das alles schaffst. Ich an deiner Stelle könnte das nicht.“ Und, ähm, dann habe ich früher immer verstanden, dass die Leute mir sagen wollen, an meiner Stelle hätten sie sich umgebracht. Und als ich dann aber dieses Buch las, ist mir klar geworden, dass sie gar nicht über mich reden, sondern dass sie über sich reden. Und so wie du vorhin gesagt hast, jeder hat ’n Rucksack, der eines groß, der andere ist klein. Hat aber trotzdem jeder einen Rucksack. Und dieser Inhalt dieses Rucksacks ist für viele beschämend oder ein Geheimnis. Und wenn sie uns sehen, die sichtbar anders leben und die Kraft, die sie in uns sehen, die wünschen sie sich oft für sich selbst. Und als ich deinen Podcast jetzt gehört habe, Fighting Long COVID, da habe ich genau über diese Authentizität nachgedacht, weil niemand kann das so gut darstellen wie du. Und da kann man, glaube ich, ganz viel von lernen, auch diese Verwundbarkeit zu zeigen, ohne sich dem Zuhörer verwundbar gegenüber zu machen. 

01:20:53,489 –> 01:21:35,209 [Lottie]

Wow. Also das hat mich auf jeden Fall gerade irgendwie auch sehr, sehr berührt und bewegt, dass du das so wahrgenommen hast, weil ich zugeben muss, dass ich trotzdem, während ich zum Beispiel diesen Podcast gemacht habe und auch in den letzten Jahren immer mal wieder dachte: „Boah, ich habe mich so eben verwundbar, aber auch so schwach in Anführungszeichen vom Gefühl her gezeigt wie eben noch nie, weil damals zu diesen Deutschrap-Zeiten, aber auch danach, ich wollte irgendwie immer so die Coole sein und die Starke und die in dieser Welt sich behaupten kann mit den ganzen Typen. Und dass ich jetzt so was von mir zeige, was eben vermeintlich erst mal mit Schwäche assoziiert wird, war etwas, was ich teilweise dann auch wieder loswerden wollte und dachte: „Oh Gott, was habe ich getan? Warum habe ich das überhaupt so thematisiert? Weil jetzt habe ich quasi auch diesen Stempel und die Leute sehen mich auch immer jetzt als die Kranke und ich bin irgendwie so… Es fühlt sich auf einmal so an, als wenn ich was davon verloren hätte, worüber ich mich früher so doll identifiziert habe. Aber ich muss eben auch sagen, ich bin jetzt an einem Punkt und das klingt auch so pathetisch und so kitschig, aber es ist so: Ich glaube, ich habe mich noch nie so stark gefühlt und ich habe, obwohl ich oft so verzweifelt bin und so traurig bin, habe ich aber auch immer wieder Momente, wo ich denke: „Boah, wenn ich mal so zurückgucke auf das, was die letzten Jahre passiert ist, und da sind wir auch genau bei diesem Punkt: Ich habe auch diesen Satz schon gehört: „Ich könnte das nicht, und dann ist mir aber auch bewusst geworden: Ich habe diesen Satz selber mir gesagt. Also ich war am Anfang der Situation, als ich krank geworden bin und gemerkt habe, es wird immer schlimmer und immer schlimmer und ich kriege immer mehr Diagnosen und immer mehr Medikamente und so. Und da habe ich mir selber ganz oft gesagt: „Okay, das kann ich nicht, das schaffe ich nicht, das kriege ich nicht hin. Wenn das jetzt so bleibt, ich halte das nicht aus, ich kriege das nicht hin. Und dass man dann aber doch das hinbekommt und dass man mit der Zeit da so reinwächst und merkt: „Okay, ich schaffe das und ich schaffe sogar noch mehr und das kriege ich auch noch hin. Das hat eben auch bei mir dazu geführt, dass ich so ein Bild dann von mir, von diesem „Ich fühle mich ganz schwach und ich habe das Gefühl, es ist irgendwie alles… Ich habe das alles nicht mehr unter Kontrolle, hin zu „Okay, ich bin die stärkste Version meiner selbst, die ich jemals war, aber ich verstehe auch, wenn Menschen von außen dann eben sagen, wenn ich mir das jetzt vorstelle und eigentlich ist es ja nur dann auch ein Zeichen, wie du es ja auch gerade gesagt hast, das ist eine Projektion auf sich selbst und auch das Nicht-Wissen darüber, wozu man eigentlich imstande ist. Weil woher soll man es wissen, wenn man gar nicht herausgefordert wird dazu? Und ja, es ist irgendwie total spannend und ich finde es aber eben auch total schön, dass also das, was du gerade gesagt hast, dass man mir das irgendwie auch anmerkt, dass das, was…Also ich weiß auch nicht, ob das komisch ist, das zu sagen, aber ich glaube, ich habe mich auch als Mensch noch nie so sehr gemocht, wie ich mich jetzt mag. Und ich glaube, dass das daher gekommen ist, dass ich so geworden bin, wie ich jetzt bin. Das hat was damit zu tun, dass ich ganz doll, wie gefühlt, quasi so einmal zerbrochen und wieder zusammengesetzt wie diese japanische Vase mit dem Gold an den kaputten Stellen. So irgendwie ist es, glaube ich, geworden. 

01:24:17,789 –> 01:24:25,289 [Raul Krauthausen]

Oder es gab doch mal Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, der kurz vor seiner Wahl das Gerücht umging, ob er schwul sei und er dann sich einfach hinstellt und sagt: „Ich bin schwul und das ist gut so, und da mit allen Gegner:innen ja den Wind aus dem Segel nahm. Und wenn mir jetzt jemand sagt: „Bist du behindert, dann würde ich sagen: „Ja, und? Also, was ist der Punkt? Worauf willst du hinaus? Und ich kann mir gar nicht vorstellen… Also klar, man kann trotzdem noch verletzt werden, aber ich hatte zumindest bei dir den Eindruck, dass du das so weit reflektierst und reflektiert hast und verarbeitest für dich, wie zugut es natürlich auch geht, dass ich die Stark auf jeden Fall rausgehört habe. Schön. 

01:25:10,009 –> 01:25:17,209 [Lottie]

Und trotzdem bin ich, wie gesagt, auch schwach. Ich bin beides, aber irgendwie auch auf eine schöne Art. 

01:25:17,209 –> 01:25:19,529 [Raul Krauthausen] Ich bin ganz berührt gerade. 

01:25:19,529 –> 01:25:24,689 [Lottie]

Mich hat das aber auch gerade berührt, weil man spricht ja auch oft eben mit Menschen, die das halt wirklich nur von außen sehen und das gar nicht irgendwie verstehen können oder das halt versuchen, irgendwie nachzuvollziehen. Aber ich fand es halt gerade zu schön, auch herauszuhören, auch wenn wir in ganz anderen Situationen sind, aber was du irgendwie für gefühlte Parallelen gesehen hast oder warum du vielleicht auch meine Situation an manchen Punkten verstanden hast, wie das vielleicht auch ein anderer Mensch gar nicht könnte. Das finde ich wirklich gut. 

01:25:57,429 –> 01:25:59,749 [Raul Krauthausen] Eine andere Kraft 

Die ich auch ganz interessant fand: Du hattest in dem Interview mal gesagt, dass du schon auch manchmal dann, sagen wir mal, deine Erkrankung nicht erzählst, solange es geht oder so gut du kannst. Diese Option haben ja. Ich zum Beispiel nicht. 

01:26:14,483 –> 01:26:14,803 [Lottie]

Ja. 

01:26:14,803 –> 01:26:32,264 [Raul Krauthausen]

Wenn ich den Raum betrete, dann ist halt die Behinderung vor mir da quasi. Und, ähm, das heißt, dieses zu ersehen– zu erkennen, ich kann mich auf den Kopf stellen und ich bin ein Rollifahrer auf dem Kopf dann, aber diese Behinderung kann ich nicht wegignorieren. Führt dann irgendwann einfach dazu, dass man dann eben dazu steht. Und das, ja, das wollte ich einfach nur sagen, dass ich das in dem Podcast sehr stark gemerkt habe, dass du einfach dazu stehst, dass es jetzt nun mal so ist. Ähm, das ist natürlich nicht toll, aber es jetzt auch, ist halt so und jetzt geht’s halt ab da weiter. 

01:26:51,323 –> 01:27:25,143 [Lottie]

Ich habe sogar bei mir das Phänomen mittlerweile festgestellt, dass ich auch vielleicht durch Kommentare, die ich dazu jetzt bekommen habe, weil natürlich bei mir das Einzige, was bei mir sichtbar wäre, wären jetzt zum Beispiel meine Insulinpumpe und mein, ähm, Blutzuckersensor. Das ist ja das Einzige, woran man vielleicht so ein bisschen erkennen könnte, dass da was ist. Aber selbst das, also checken ja auch nicht viele Leute. Aber da bin ich mittlerweile sogar so, dass ich mich irgendwie so richtig, also so… Ich will fast, dass das dann auch alle sehen. Und- 

01:27:25,143 –> 01:27:26,903 [Raul Krauthausen] Ja, bei deinem Podcast-Cover sieht man das. 

01:27:26,903 –> 01:29:20,003 [Lottie]

Ja. Ja, total. Und auch, weil ich dann einerseits aufgrund der Kommentare von Menschen, die sagen: „Das zeigst du doch mit Absicht, Mitleid zu erhaschen.“ Aber auf der anderen Seite eben auch aufgrund von Kommentaren dann wirklich von Menschen, die sagen: „Ey, das, äh, das bringt uns grad so viel, dass du das zeigst, weil wir das unser Leben lang versuchen zu verstecken, damit es keiner sieht und damit wir irgendwie, ja, damit wir nicht auffallen diesbezüglich.“ Und deswegen habe ich umso mehr auch das Bedürfnis zu sagen: Ey, also, es ist natürlich auch eigentlich nichts Schlimmes, aber es ist trotzdem absurd. Und so eine Situation hatte ich ja vorher auch nicht in meinem Leben. Ich kannte das ja nicht, dass mich Menschen– Ich kannte das, dass mich vielleicht Männer angeguckt haben, von denen ich nicht angeguckt werden wollte und mir das unangenehm war. Aber ich– Das ist dann schon auch wirklich eine für mich absolut neue Situation, zu spüren, dass Menschen, wenn sie das dann zum Beispiel sehen an meinen Armen oder so, mich anstarren aus anderen Gründen, als weil irgendwie irgendwelche Typen, äh, ja, mich so, mich so angeiern. Und dass es schon auch für mich eine neue Situation war und ich aber sage so, ich will das jetzt umso mehr zeigen und ich werde das auf gar keinen Fall verstecken. Und, ähm, ja. Aber ich, äh, da denkt man natürlich dann auch trotzdem ganz oft drüber nach. Ähm, eine unsichtbare Erkrankung oder eine unsichtbare Behinderung zu haben, das ist natürlich noch mal was ganz anderes. Ich kann meine Jacke drüber ziehen und niemand checkt das. Einfach niemand sieht das und ich habe halt die Wahl. Und deswegen, ähm, ja, ist es natürlich irgendwie dann auch gleichzeitig das Privileg sagen zu können: „Ich gehe raus und kein Mensch, ja, ahnt irgendwas, aber wenn ich es will, dann kann ich es irgendwie versuchen zu zeigen.“ Aber am Ende des Tages ist, glaube ich, für mich einfach gerade so die wichtigste Erkenntnis, dass ich mich auf gar keinen Fall dafür irgendwie– Also ich werde mich nicht schämen, ich werde das nicht verstecken, sondern ich werde das genauso natürlich machen, wie das jetzt auch zu meinem Leben dazugehört tagtäglich, also. 

01:29:20,003 –> 01:29:26,163 [Raul Krauthausen]

Was, äh, sind denn Orte oder Dinge, mit denen du dich, äh, aufmunterst, aufheitert, aufbaust? 

01:29:26,163 –> 01:31:42,683 [Lottie]

Das ist jetzt auch sehr kitschig, aber mein Mann ist mein, mein Ort. Also das ist so mein Safe Space und der Mensch, der die letzten Jahre auch in meinen dunkelsten Momenten auf jeden Fall derjenige war, der mich am meisten aufgefangen hat und bei dem ich dann auch wirklich manchmal wie ein kleines Kind ganz doll geweint habe und alles rausgelassen habe und dann ging es mir wieder besser. Ähm, aber ansonsten muss ich auch sagen, ist das auch etwas, was ich extrem gespürt habe, als wenn, seitdem ich krank geworden bin, so ein bisschen mein Körper wieder auf so Werkseinstellungen zurückgegangen ist, während ich mich früher– Also ich war früher ein Mensch, der sehr viel so in Kneipen und ich war eben auch durch das Auflegen ganz viel in Clubs und auf Partys und immer unterwegs und viele Menschen und so. Und jetzt? Ich hatte wirklich ab Tag eins eine unbändige Sehnsucht nach Natur, nach Tieren. Ich hatte immer das Bedürfnis, dass irgendwie ’ne Katze oder ein Hund auf meinem Bauch liegt, wenn ich irgendwie im, im Bett lag und es mir nicht gut ging. Und ich hatte einfach nur das Bedürfnis, am Meer zu sein, in den Bergen zu sein, in der Sonne zu sein. Und das ist etwas, was ich ganz doll versuche, so zu integrieren in meinen Alltag, dass ich so oft ich kann mit meinem Mann in der Natur bin, weil dann geht es mir wirklich immer am aller-, allerbesten, mental und körperlich. Und, ja, das ist auch langfristig gesehen, glaube ich, so ein bisschen das Ziel, dass ich merke, als eben kerngesunder Mensch war für mich das Leben in der Stadt zwischen ganz vielen Menschen und ganz vielen Optionen war perfekt. Aber als chronisch kranker Mensch ist es so, hmm, ja, ich glaube, nicht für immer, weil all die Möglichkeiten, die es jetzt hier so gibt, nutze ich nicht mehr. All die Orte, die mich früher glücklich gemacht haben, würden mich jetzt noch kränker machen als vorher. Ähm, deswegen… Das Einzige, was ich noch mache, und das mache ich dann im Sommer, wenn man wieder rausgehen kann und jetzt auch langsam im Frühling, dass ich das auch sehr mag, vielleicht mal mich mit Freunden dann draußen in einem schönen Restaurant zu treffen und dann was zu essen oder vielleicht auch mal einen Wein zu trinken. Aber dann merke ich eben, dafür zahle ich halt auch einen sehr, sehr hohen Preis. Deswegen muss ich mir das immer genau überlegen. 

01:31:42,683 –> 01:31:56,703 [Raul Krauthausen]

Wenn, ähm, es eine Organisation oder eine Literatur oder eine Person gäbe, die du an die Hörer*innen weiterempfehlen könntest, ähm, die man sich mal anschauen könnte, welche wäre das? 

01:31:56,703 –> 01:32:01,003 [Lottie] Also es gibt natürlich einerseits viele 

Organisationen, so rund Long Covid, bei denen ich mir natürlich wünschen würde, dass die noch mehr Aufmerksamkeit bekommen würden, so was wie Long Covid Deutschland oder so, bei denen, ähm, man, glaube ich, einfach einerseits viel lernt, auch-Über den aktuellen Informationsstand rund diese Erkrankung und die man natürlich auch unterstützen kann. Ich muss aber sagen, dass es eine Organisation gibt, die auch im Rahmen des Plot House Podcasts bei mir jetzt eine sehr, sehr, sehr, sehr große Rolle gespielt hat, weil ich die Geschichte erzählt habe von Emily, einem dreizehnjährigen Mädchen, das auf einer Klassenfahrt an ihrer Typ-eins-Diabetes-Erkrankung gestorben ist, weil die Lehrkräfte sich nicht so sie gekümmert haben, wie sie es hätten tun müssen. Also ganz konkret ging es da unterlassene Hilfeleistungen und da wurden dann auch die Lehrkräfte später zum Glück jetzt endgültig rechtskräftig verurteilt. Und der Papa von Emily hat eine Stiftung gegründet und die heißt Emily Diabetes Stiftung. Und da konnten wir dann auch zum Glück über Plot House irgendwie schon ein bisschen, ja, einige Spenden für ihn sammeln und da geht es dann auch ganz viel die Aufklärung rund diabetes Typ eins und darum auch Lehrkräfte, Menschen, die mit Kindern zusammenarbeiten, die mit die Typ eins haben, dass man die ordentlich schult oder dass die auch als… Oder dass zum Beispiel genau Kinderbegleitpersonen an die Seite gestellt bekommen, dass die trotzdem auf Klassenfahrten oder so mitfahren können. Und deswegen, ja, diese Stiftung und auch die ganze Geschichte, Emilys Vater, Emilys Schicksal, das ist etwas, was mich extrem berührt hat und deswegen würde ich sagen, das ist die Stiftung, die ich einem Menschen ans Herz legen möchte und auch, damit Emily und ihre Geschichte nicht in Vergessenheit gerät. 

01:33:52,193 –> 01:33:57,773 [Raul Krauthausen]

Wir packen auf jeden Fall in die Show Notes und erwähnen das auch auf Social Media. Liebe Lottie, wenn die Aufzugtür jetzt aufgeht, wo geht es für dich weiter? 

01:34:02,153 –> 01:34:06,173 [Lottie] Jetzt heute ganz konkret, oder? Ich werde gleich noch eine kleine Aufzeichnung auch für Plot House haben. 

Und heute ist spannenderweise… Ich habe auch ein bisschen Angst davor, weil ich habe Angst, dass ich mir den Tag ein bisschen zu voll gepackt habe, weil ich eben bis vor kurzem als 80-jährige Lottie, habe ich mir dann teilweise, wenn ich jetzt zum Beispiel wie mit dir heute so ein Gespräch, dann hätte ich mir nichts anderes mehr drumherum gebaut, weil ich gewusst hätte, dass ich dann… Das ist einfach zu viel für mich wird. Aber ich traue mich eben gerade als 70-jährige Lottiee zu sagen: „So, ich hatte jetzt diese tolle Aufzeichnung mit dir. Dann habe ich noch eine kleine Aufzeichnung für Plot House. Dann habe ich sogar, vielleicht noch, wenn ich es schaffe, einen kleinen Spaziergang und eventuell gibt es sogar noch einen ganz kleinen Spieleabend mit meinem Mann heute Abend, weil das ist auch etwas, was sozusagen statt der Bar und der Clubs, in denen ich früher war. Heute sind es dann halt mal ein paar Gesellschaftsspiele, die mich glücklich machen. Und wenn ich das heute noch schaffe, dann ist es ein perfekter Tag, aber auch ein sehr voller Tag und dann werde ich morgen dafür den ganzen Tag im Bett liegen. Aber das ist dann auch okay. 

01:35:04,273 –> 01:35:18,733 [Raul Krauthausen]

Wow. Dann wünsche ich dir, dass du morgen nicht den ganzen Tag im Bett liegen musst und genug Kraft hast für gutes Wetter da draußen und bedanke mich sehr, dass du heute dir die Zeit genommen hast und wir sprechen konnten. 

01:35:18,733 –> 01:36:33,973 [Lottie]

Ich bedanke mich auch ganz, ganz doll. Ich bin wirklich sehr, sehr froh, dass das endlich geklappt hat und ich habe mich ganz wohlgefühlt und danke dir für deine sehr, sehr einfühlsame und aufmerksame Art und Weise, dieses Gespräch zu führen. Das war wirklich richtig, richtig schön, darf ich noch ganz zum Schluss, weil mir aufgefallen ist, weil ich am Anfang darüber gesprochen habe, dass ich mich ja eigentlich so unwohl fühle in Aufzügen ne. Ja. Und ich wollte aber noch dazu sagen, dass ich also einerseits auch Aufzüge, seitdem ich krank geworden bin, sehr viel mehr zu schätzen weiß, weil ich, als ich frisch krank war, in einer Wohnung gewohnt habe, im fünften Stock ohne Fahrstuhl, ja. Ja, was bedeutet hat, dass ich teilweise wochenlang, außer zu, wenn ich irgendwelche Arzttermine hatte, nicht mehr rausgegangen bin, weil die Treppen in den fünften Stock hochzukommen für mich teilweise nicht mehr möglich waren. Das heißt, auch deswegen sind wir umgezogen in eine Wohnung, wo ein Fahrstuhl dabei ist, was mein Leben sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viel doll mehr erleichtert hat. Und ich wollte aber sagen, dass das hier heute auch, obwohl wir so lange quasi im Aufzug waren, die beste Aufzugserfahrung war und deswegen vielleicht steige ich jetzt auch mit noch mehr Freude zukünftig in Aufzüge hinein. Also vielen, vielen Dank dafür. 

01:36:33,973 –> 01:36:38,053 [Raul Krauthausen]

Ich bedanke mich bei dir sehr, dass du da warst. Habe wirklich viel gelernt. 

01:36:38,053 –> 01:36:44,573 [Lottie]

Das ist schön. Wow, danke. Das ist ein toller abschließender Satz. 

01:36:44,573 –> 01:36:55,493 [Raul Krauthausen]

Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, sowie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützten, findet ihr in den Show Notes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. Im Aufzug ist eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal, hier im Aufzug. 

01:37:38,453 –> 01:38:11,293 

Diese Folge wurde präsentiert von Schindler. Am Anfang der Folge haben wir uns gefragt, welcher berühmte Song von einem Aufzug handelt. Die Antwort: Love in an Elevator von Aerosmith. Eine Rockhymne über die Liebe im Fahrstuhl. Auf Deutsch gibt’s Liebe im Fahrstuhl von den Prinzen. Und wer es etwas härter mag, sollte mal Elevator Operator von Electric Callboy hören. Willst du auch mehr über Aufzüge erfahren, dann steig bei uns ein. Unter schindler. de/karriere findest du viele Möglichkeiten, mit uns nach ganz oben zu fahren.

Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler Aufzüge. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren und vielleicht mit uns ganz nach oben fahren, dann steig gern ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten für Einsteiger und Senkrechtstarter.

Dieser Podcast ist nur möglich durch die Unterstützung meiner Steady-Mitglieder.

Porträt von Lottie mit zwei hochgesteckten Dutt-Frisuren, hellblondem Haar, dezentem Make-up und auffälligem blauen Eyeliner. Sie trägt mehrere Perlen- und Gliederketten sowie ein schwarzes T-Shirt mit einer Comic-Illustration. Links oben steht das weiße Logo „IM AUFZUG“. Darunter ist ein Zitat in weißer Schrift zu lesen: „Ich war Visa Vie, aber irgendwann hab ich mich in dem Namen selbst verloren.“ – Lottie, Folge 78 Unten rechts: „Finanziert durch Steady Mitglieder“. Das Bild bewirbt eine neue Podcastfolge aus der Reihe „Im Aufzug“.

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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann

Coverart: Amadeus Fronk

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