Was ist dein Gefühl, Leon Windscheid?
In dieser Folge gehts um Gefühle. Und dafür hätte ich mir keinen besseren Gast vorstellen können als Leon Windscheid. Er ist Psychologe und quasi Gefühls-Experte. In seinen Podcasts und Shows fragt er sich, was fühlen eigentlich ist und wofür manche Gefühle gut sind. Wir sprechen darüber, was ein gelungenes Leben ausmacht, über Narzissmus und meine Erfahrungen als Telefonseelsorger. Ich erfahre, warum ihn Body Positivity sauer macht und weshalb er warme Klobrillen nicht mag. Und warum Triggerwarnungen laut der Forschung nicht sinnvoll sind. Aufzugtür auf für Leon Windscheid.
Aufzug auf für Leon Windscheid!
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wirst Du sogar namentlich hier im Podcast erwähnt. Alle Informationen
findest Du auf im-aufzug.de. Ein herzliches Dankeschön geht diese Woche
an die großzügigen Unterstützer*innen Jutta und Christine. In dieser
Folge geht es um Gefühle und dafür hätte ich mir keinen besseren Gast
vorstellen können als Leon Windscheid, denn er ist Psychologe und quasi
Gefühlsexperte. Warum fühlen wir überhaupt und wozu sind Angst und
Wut vielleicht gut? Genau damit beschäftigt er sich in seinen Podcasts und
Shows. Wir sprechen darüber, was ein gelungenes Leben ausmacht, über
Narzissmus und über meine Erfahrung als Telefonseelsorger. Ich erfahre,
warum ihn Body Positivity sauer macht und weshalb er warme Klobrillen
nicht mag. Spannend fand ich auch Leons Einblick in die Forschung,
warum Triggerwarnungen gar nicht unbedingt sinnvoll sind. Diese Fahrt
hat mir so viele gute Gefühle beschert, dass ich Euch gar nicht länger
warten lassen will. Also, Aufzugtür auf für Leon Windscheid. Die Tür geht
auf und wer kommt rein? Ich kann es nicht fassen, ich war schon bei ihm
und Atze Schröder zu Gast Leon Windscheid.
00:01:42.360
Leon Windscheid: Hallo, vielen Dank, dass ich hier reinkommen darf.
00:01:47.280
Raul Krauthausen: Schön, schön, dass Du da bist. So ein Zufall, dass wir
uns hier aufzugtreffen.
00:01:52.000
Leon Windscheid: Das passiert. Wie geht es Dir? Beziehungsweise, ich
muss Dich fragen, was ist Dein Gefühl heute? Atze und Ich fragen uns
immer, was unser Gefühl ist statt wie geht es Dir? Wie geht es Dir so
wertend direkt
00:02:02.720
Raul Krauthausen: Mein Gefühl ist heute, ich bin aufgeregt, ehrlich gesagt,
weil wir beide quatschen. Ich bin immer aufgeregt, vor einer
Aufzeichnung. Und dann geht es mir gesundheitlich in den letzten Wochen
nicht so gut. Und heute ist der erste Tag, wo ich denke, okay, jetzt geht es
aufwärts. Und das ist immer sehr schön.2
00:02:19.600
Leon Windscheid: Das freut mich.
00:02:19.600
Raul Krauthausen: Wie geht es Dir? Oder was ist Dein Gefühl?
00:02:24.760
Leon Windscheid: Mein Gefühl heute ist, ich gucke auch hier nach
Münster raus auf einen sehr düsteren Herbsttag. Ich bin eigentlich gar
kein Herbstfan und gestern war es noch so schön mit dem Herbst.
Deswegen bin ich heute so ein bisschen herbstlich, jetzt hätte ich fast
gesagt, im Tief, ja in so einem Herbst Blues. Und ich will direkt dazu
sagen, ich bin jemand, der sich viel mit Emotionen und Gefühlen
beschäftigt als Psychologe, dass das für mich aber gar nicht zwingend,
was schlechtes ist. Also ich finde, so wenn jetzt die düsterere Jahreszeit
kommt und die Nächte werden länger und es fehlt einem so ein bisschen
das Sonnenlicht, dass es dann Momente gibt, wo man mal
niedergeschlagen ist. Und in meinem Fall bin ich jetzt gar nicht
niedergeschlagen, sondern vielleicht man sagt, heute ist mal eher nicht so
ein Tag, wo man jetzt jauchzend irgendwie in die Pfütze springen will und
Kastanienmännchen baut. Dann ist das was, wo ich sage, das ist eher
natürlich und das würde dann auch mehr so meiner Person entsprechen.
00:03:12.560
Raul Krauthausen: Das ist das, was du gute Gefühle nennst, oder?
00:03:18.440
Leon Windscheid: Genau, das ist das, was ich gute Gefühle nennen würde.
Also ich beschäftige mich seit fünf, sechs Jahren damit, mit den größten
Forschenden aus der ganzen Welt zum Thema Emotionen zu sprechen.
Hab selber ganz viele verschiedene Menschen kennengelernt, dich ja auch
bei uns im Podcast, aber auch Leute, die traumatische Erlebnisse gemacht
haben als Geisel. Ich hab mit mehreren Menschen gesprochen, die das
Konzentrationslager überlebt haben. Ich habe auch mit Leuten
gesprochen, die so ganz bewegende Geschichten hatten, dass die sagen,
nach einem Unfall habe ich mich wieder so krass zurück ins Leben
gekämpft. Also es waren sehr, sehr viele verschiedene Menschen und es
ging eigentlich ganz oft um Emotionen und den Umgang damit. Und
mittlerweile würde ich für mich so klar sagen, dass auch die negativen
Gefühle, das was sich nicht so schön anfühlt, wie vielleicht so ein düsterer
Herbstag, dass das eine Funktion hat und dass das uns etwas geben kann.3
Nochmal, es fühlt sich zwar nicht gut an, aber es hat eine Funktion. Und
das wären für mich gute Gefühle.
00:04:12.840
Raul Krauthausen: Es gibt eine Organisation in Deutschland, die nennt sich
Papilio und die gehen in Kindergärten und Grundschulen und bringen
Kindern bei, Gefühle zu äußern. Also dann auch mit Metaphern zu
arbeiten, der Drache im Bauch, der, obwohl das Problem gelöst ist, immer
noch Feuerspeit und so. Und das fand ich irgendwie ganz schön, dass man
Kindern auch dabei hilft, Worte zu finden für die Gefühle, die ja so
mannigfältig sind. Mannigfaltig, also so zahlreich, dass man selbst als
Erwachsener, ich zumindest, oft große Herausforderungen damit habe, die
überhaupt zu beschreiben. Also wie fühle ich mich?
00:04:49.640
Leon Windscheid: Ja ja total, total. Und ich glaube auch, durch dieses
standardmäßige, du kommst irgendwo hin nach dem Urlaub oder nachdem
du, weiß ich nicht, den Tag arbeiten warst, wieder ins Büro oder bei deiner
Freundin zu Hause rein und dann ist immer so die Frage, wie geht es? Wir
werden überall gefragt, wo wir ankommen, wie geht es? Und wie geht es,
will eine Wertung, gut oder schlecht, und es will eine einfache, direkte
Überschrift dieses Mal innehalten und sich zu fragen, was fühle ich
eigentlich wirklich? Und deswegen finde ich diese Frage auch, wenn sie
komisch klingt, schöner, was ist dein Gefühl heute? Die macht mal so eine
Tür auf und das, was du gerade beschrieben hast mit Papilio, das habe ich
mir erstens notiert und zweitens muss ich direkt an eine Studie aus den
USA denken. Ich bin ja sehr, sehr interessiert an
Wissenschaftskommunikation und eben Forschung. Da haben die genau
das gemacht, was Papilio, scheinbar in Deutschland macht, ich wusste
nicht, dass das hier gibt. Die haben in Schulen die Kinder aufgeteilt,
zufällig in zwei Gruppen, also es war eine randomisierte Kontrollstudie
und da haben die der einen Schulklasse über, oder der eine Gruppe
Kinder, über Wochen hinweg so einen Workshop mit, glaube ich,
Gesellschaftsspielen angeboten und der anderen Gruppe haben die, es
waren sechs Wochen, zehn Minuten pro Woche, also gar nicht viel, neue
Gefühlswörter beigebracht. Also so Wörter, die man vielleicht gar nicht
kennt. Es gibt da sehr, sehr viele, sehr, sehr spannende und auch nicht nur
in der eigenen Sprache, sondern auch in anderen, da können wir vielleicht
gleich darüber reden. Und da kam dann raus, dass diese Kinder, und dann
ist ja hier die Arbeit von Papilio bestätigt, nach diesen sechs Wochen
sozial kompetenter auftreten und auch in der Schule besser klarkommen.
Das fand ich so ganz schön als Bild, was du gerade gesagt hast, dass man4
so Metaphern wie diesen Drachen der Feuerspeit mal kennenlernt, um
besser einordnen zu können. Was fühle ich denn da? Und die
Wahrscheinlichkeit, dass ich dann damit besser umgehen kann, die ist
dann einfach höher.
00:06:24.800
Raul Krauthausen: Genau. Und dass der Drache auch wieder geht oder mal
kein Feuerspeit, aber noch da ist. Also dass es ja auch für Abstufungen
geben kann. Das fand ich auch sehr interessant. Meine Frau und ich, wir
haben uns angewöhnt, uns regelmäßig, wenn wir von der Arbeit kommen,
nach Hause zu kommen, zu sagen, wie viele Kapazitäten wir noch haben
für den jeweils anderen. Also wie viel Prozent wir sagen, ich habe jetzt 20
Prozent oder 80, einfach damit die andere Person auch weiß, das hat
nichts mit dem Gegenüber zu tun, sondern einfach mit dem ganzen anderen
Scheiß, der im Alltag passiert und einem einfach auch Kräfte rauben kann.
00:07:00.640
Leon Windscheid: Das mag ich gerne, weil ich oft so den Eindruck habe,
wir gehen durch Beziehungen und haben so den Anspruch, jeder muss die
Hälfte geben, 50/50, und dann muss das am Ende 100 Prozent
zusammenbringen.
00:07:12.000
Raul Krauthausen: Ja.
00:07:12.000
Leon Windscheid: Und das ist ja einfach nicht die Realität. So oft gibt es
Momente, wo du merkst, ich kann jetzt nur 20 Prozent gerade geben, weil
du hast ja gesagt, du bist jetzt irgendwie vielleicht gerade angeschlagen,
krank, es kommen noch immer berufliches dazu, ich weiß es nicht,
vielleicht noch ein bisschen Herbstblues und du merkst, boah, gerade fehlt
mir echt die Kraft, noch was für unsere Beziehung zu tun.
00:07:28.160
Raul Krauthausen: Genau.
00:07:28.160
Leon Windscheid: Und dann zu fragen, was hat denn der andere und der
andere sagt dann vielleicht manchmal, ey, ich komme halt auch nur auf,
obwohl es mir viel besser geht, auf 40 Prozent und das macht dann halt
nur 60, dass man dann weiß, okay, da müssen wir vielleicht in den
nächsten Wochen gucken,
dass wir wieder in Richtung 100 kommen oder vielleicht sogar mal drüber.5
00:07:47.200
Raul Krauthausen: Genau, genau. Oder dass nicht eine Seite nur leidet, ne,
so und dann kann man das auch ganz gut über die Woche, glaube ich, auch
steuern. Und was ich ganz schön finde, ist, dass wir auch inzwischen
übergegangen sind, weil wir wohnen zusammen, dass wir dann sagen,
okay, ich brauche jetzt mal kurz Me-Time, auch wenn man im gleichen
Raum ist, dass man jetzt nicht die ganze Zeit im Dialog sein muss, sondern
einfach auch mal einfach stumpf auf TikTok.
00:08:15.200
Bisschen ins Rabbit Hole darf, von sich, wo ich die schrottigen Memes
reinzieht
00:08:15.200
Raul Krauthausen: Ja, genau.
00:08:19.360
Leon Windscheid: Das beruhigt mich, dass du sowas auch machst. Ich
habe immer das Gefühl, wenn ich dich so höre und auch wenn man dich so
von als Außenstehender beobachtet, hat man das Gefühl, du bist du ruhst
so völlig, also du strahlst in Ruhe aus und so eine Gelassenheit, das
beruhigt mich jetzt, dass auch du sagst, mal Me-Time, irgendwelche
TikToks reinziehen.
00:08:34.360
Raul Krauthausen: Also TikTok, dieses Doomscrolling ist echt krass. Ich
habe vier Stunden neulich auf TikTok verbracht und habe mich am Ende
gefragt, was hast du dir eigentlich davon gemerkt? Und es war nichts. Es
ist einfach so ein Gehirndump, den du da reindrückst. Aber eine Frage, ich
habe jetzt auch relativ oft Coaching gemacht in der Vergangenheit und bin
in vielen Austauschnetzwerkrunden, wo wir alle so Check-Ins machen und
Check-outs und wie fühlen wir uns und so. Und manchmal fühlt sich das so
ein bisschen an wie so Räucherkerzen, aber manchmal ist es auch wirklich
hilfreich und ich merke, dass mir deswegen das so schwerfällt oft, weil ich
selber nie gelernt habe, über Gefühle zu sprechen bzw. nicht nur darüber
zu sprechen, sondern auch zu fühlen.
00:09:32.400
Leon Windscheid: Ah, okay.
00:09:32.400
Raul Krauthausen: Wie fühle ich mich richtig? Wie fühle ich, wo ich hin
will, was ich brauche? Ich habe manchmal das Gefühl, da haben wir das
auch vielleicht in der Schule gar nicht wirklich gelernt. Wir haben6
schlechte Laune, können es aber nicht begründen. Wie machst du das?
Hast du da eine Strategie?
00:09:51.000
Leon Windscheid: Ich würde mittlerweile sogar sagen, eine ganze Reihe
von Strategien. Die meisten davon kommen eben aus der Forschung, wie
das, was ich beschrieben habe, gerade mit den Kindern und dieser Studie
zum Beispiel. Das ist für mich ein Bereich, der super spannend ist und das
heißt emotionale Granularität. Das klingt jetzt erstmal sperrig, ist aber
eigentlich total einfach erklärt. Also wir wissen aus der Emotionsforschung
mittlerweile, dass dieses Benennen, was ist und tatsächlich hinfühlen, was
ich da so fühle, gar nicht so einfach ist, weil in unserem Alltag viel Stress
auf uns einprasselt, weil wir viel zu tun haben, weil ich finde, man sich
auch so eine gewisse Taubheit fast antrainiert. Und das ist noch ein ganz
wichtiger Punkt, die Gesellschaft, die auch oft von uns erwartet, du musst
funktionieren, gerade an Männer, die natürlich an vielen Stellen selber
dafür verantwortlich sind, ist mein Eindruck, gilt so ein bisschen die Idee,
wenn fühlen, das ist für Weicheier, das ist was für Frauen, aber nicht für
echte, rationale Machertypen und dann wird unterdrückt, das wird
weggeschoben und man verlernt tatsächlich dieses „ich fühle mal wirklich
hin, was ist so“. Und emotionale Granularität wäre jetzt also ein
Forschungsfeld, wo man zeigen konnte, wie bei den Kindern, die in der
Schulklasse besser lernen, mit ihren Gefühlen umzugehen, dass man sein
Gefühl in sein Granular zerlegen kann, so ist eigentlich das beste Bild.
Also stell dir mal vor, du hättest irgendwie so ein Farbton gemischt, zum
Beispiel rot, dann könntest du jetzt sagen, jo der ist rot, aber ich könnte
auch mal hingehen und sagen, komm ich zerlege den mal in sein Granular,
zerdrösel diesen Farbton und stell dann plötzlich fest, ok, da sind Anteile
von Ocker, von Tizian, von Bordeaux, von Weinrot, von Hellem rot und so
weiter.
00:11:17.160
Raul Krauthausen: Ok, du kennst viele Rotfarben.
00:11:17.160
Leon Windscheid: Ich kenne viele Rotfarben, weil das ist so eine Metapher
eben aus der Forschungsliteratur. Und das spannende daran ist, dass ich
jetzt diese einfache Überschrift rot schon viel präziser habe und das
gleiche würde halt fürs fühlen gehen. Ich kann natürlich sagen, wie fühlst
du dich? Schlecht. Wenn ich jetzt aber hingehe und sage, was heißt denn
dieses schlecht, woraus setze ich das zusammen, ist da ein Groll, den ich
seit Tagen mit mir rum trage, weil mich meine Partnerin schlecht7
behandelt hat, habe ich vielleicht obendrauf noch so ein bisschen das
Gefühl, ein Hochstapler zu sein und total inkompetent bei der Arbeit
aufzutreten und ich frage mich die ganze Zeit, wenn merken eigentlich die
anderen, dass ich in Wirklichkeit nichts kann, gibt es vielleicht noch so ein
bisschen das Gefühl, ich muss immer allen es allen recht machen, ich muss
immer allen gefallen. So und dann kann plötzlich so ein Mix entstehen, wo
wenn ich das dann mal runterbreche und merke, ok, da ist der Anteil an
Groll, da ist der Anteil an Hochstapler-Gefühl und da ist der Anteil an „ich
muss people pleaser sein“, dass ich dann merke, ja, jetzt habe ich doch
schon ein viel präziseres Bild von dem, was ich fühle, wie kann ich damit
umgehen? Und das wäre für mich tatsächlich so der erste Schritt raus aus
diesem aus dieser Taubheit, raus aus diesem, das ist übrigens spannend,
dass du das mit dem Doomscrolling angesprochen hast. Viele Leute fragen
sich, warum mache ich das? Warum kann ich nicht widerstehen, wenn ich
das Handy in der Hand habe und dann immer weiter durchscrolle? Es geht
oft dabei darum, dass ich negative Gefühle in dem Moment nicht aushalten
kann, also mal mit mir alleine sein, eine Einsamkeit, eine Langeweile
auszuhalten, das fällt mir total schwer und dann hole ich mir wie so ein
Fastfood Burger kurz das gute Gefühl, den Glückskick, in dem ich mir so
einen Katzenmeme reinziehe. Und das ist eben für mich auch ein Teil
dieser Taubheit, dass ich glaube, dass wir an ganz ganz vielen Stellen
einfach gar nicht mehr hin hören, vielleicht auch gar nicht hin hören
wollen und deswegen Schritt eins, um besser mit seinen Gefühlen
umzugehen, wäre für mich tatsächlich so eine Analyse. Und da wäre
emotionale Granularität, mal zerlegen, was ist das, was ich da fühle,
super. Und ich weiß, das ist am Anfang nicht ganz einfach, wenn man jetzt
jemand fragt, was ist dein Gefühl heute, dann kann ich nur einladen, selber
kreativ zu werden. Also ich hatte zum Beispiel gestern ein anderes Gefühl,
da habe ich in der WG gekocht, was sehr, ich wohne in einer Fünfer-WG
mit vier Freunden in Münster und ich koche eigentlich nie und da hatte ich
gekocht. Aber so was ganz Simples, also wie Nudeln mit so, ich war richtig
stolz, weil ich so ein bisschen Zitronenschale reingerieben hatte und da
habe ich mich in den Finger geschnitten und da war am Ende mein Stolz
quasi Nudelstolz. So das wäre jetzt für mich so ein Wort gestern als Gefühl
gewesen. So gerne kreativ werden, gerne Sachen kreieren, das wäre so ein
erster Schritt, um mit Gefühlen besser umzugehen.
00:13:44.880
Raul Krauthausen: Aber das ist total interessant, weil ganz oft, wenn wir
dann so in uns rein waren, dann stoßen wir vielleicht auf ein Gefühl, also
ich spreche jetzt mal von mir, dann stoße ich auf ein Gefühl und bin8
dankbar, dieses Gefühl gefunden zu haben und beziehe dann alles darauf.
Dabei ist das vielleicht nur das lauteste Gefühl, das stärkste Gefühl, aber
nicht das ursächliche Gefühl.
00:14:06.440
Leon Windscheid: Das wäre so was wie, du bist total wütend und die Wut
brüllt dich an.
00:14:06.440
Raul Krauthausen: Genau, dann sag ich, ja das liegt am Wetter, aber es ist
eigentlich was anderes.
00:14:13.320
Leon Windscheid: Ja also die Frage, woher kommt mein Gefühl, die
beschäftigt ganz viele Menschen und vielleicht kennst du das auch, dass
man so im Alltag manchmal merkt, wenn ein Gefühl besonders stark ist, ah
ja, da hat es irgendwie einen Trigger gegeben, das Wetter sagst du jetzt, es
könnte auch die Chefin sein, die mich angebrüllt hat und dann entsteht ein
Gefühl und dann denkt man, mein Fühlen ist jetzt quasi eine Reaktion auf
diesen Trigger. Ich gebe dir noch ein Beispiel, das für mich so sehr
anschaulich ist, wir haben in Münster so ein kleines Büro, wenn ich da
jetzt aufstehe und dann gehe ich zum Klo und dann kennst du vielleicht
auch diesen alles entscheidenden Moment, wenn man dann mit der Haut
irgendwann die Klobrille berührt und man merkt, die ist noch warm. Also
zu Hause wird es noch klargehen, aber im Büro, das ist so ein Moment, da
kommt alles hoch, aller Ekel, alles so und das ist ja eigentlich völlig
irrational, weil mir ist klar, dass da auch andere auf dieses Klo gehen und
mir ist auch klar, dass ein bisschen warmes Klo noch eigentlich schöner ist
als ein kaltes, aber in dem Moment, wo du dich dann da hinsetzt und deine
Haut die Keramik berührt, da fühlst du den Kollegen. So und so stellen
sich ganz viele Menschen Fühlen vor, ein Trigger von außen und dann
kommt die Traurigkeit über den düsteren Herbst oder der Ekel, weil ich
mir hier vorstelle, hier saß eben jemand anders auf dem Klo oder bei dir
die Wut, weil das Wetter schlecht ist. So und der Punkt ist, das stimmt
nicht, das ist sogar ganz fatal falsch, wenn ich denke, dass das so abläuft.
Natürlich bestimmt die Umwelt mit, was ich so fühle, wenn mich jemand
total schlecht behandelt und dann ist das erwartbar, dass ich vielleicht
eine Wut oder eine Traurigkeit empfinde, aber das ist nicht einfach von
außen in mich reinkommend, sondern man muss es eigentlich ganz
andersherum betrachten. Dein Hirn und besser noch dein ganzer
Organismus, weil wir fühlen mit unserem gesamten Körper, erschafft dein
Fühlen. Du machst die Wut, nicht die Chefin macht dich wütend oder das9
Wetter macht dich traurig, du machst die Wut selber um und jetzt kommt
der Punkt, weshalb mich das, warum fühle ich das, gar nicht so sehr
interessiert, mich interessiert vielmehr das wozu fühle ich das, um jetzt mit
dieser Situation zurechtzukommen. Also auch so ein unglaublich
unangenehmes Gefühl wie eine starke Wut, wo ich total nachvollziehen
was du beschreibst, dass man sich manchmal fragt, jetzt ist alles so auf die
Wut fokussiert und ich bin nur damit beschäftigt, wo kommt die eigentlich
her. Viel viel spannender als nur zu fragen, wo kommt die her, ist dann
sich sehr schnell, das wäre für mich übrigens auch der zweite Schritt, wie
geht das mit dem guten fühlen, zu fragen, was will die von mir und wofür
ist die da und viele Menschen denken dann die negativen Gefühle, die
nerven, die wollen wir nicht, die stören, ich weiß nicht wie es dir geht, aber
ich habe manchmal sogar das Gefühl, dass wir in so einer toxisch
positiven Welt leben, das Glas muss immer halb voll sein, be happy, sei gut
drauf, sei glücklich und dann denke ich jedes mal, das ist so, weißt du, von
Glückscoach über Instagram Feed, über Wandtätu, alle brüllen dich an,
sei glücklich, ich bringe mir jetzt auch mal ein Wandtätu raus, da steht
dann die Wahrheit drauf, Glück ist wie Furzen, wenn du zu viel Druck
machst, wirds kacke und das muss man eigentlich mal klar haben. Wir
haben einen unglaublichen Anspruch uns immer und immer gut zu fühlen
und verkennen dabei, dass so was wie eine wutoffene Chefin von meinem
Kopf gemacht wird, um mich gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren,
damit ich das merke, dass ich hier schlecht behandelt wurde, damit mein
Fokus sich scharf stellt auf das Problem und plötzlich hat dieses total
negative Gefühl eine Funktion, einen Sinn, einen Zweck und da würde ich
dich dann fragen, wenn du jetzt so merkst, da ist so eine starke Wut bei dir
an so einem Tag, hast du dich das schon mal gefragt, wofür ist die da oder
bleibst du bei der Frage, wo kommt die her?
00:17:37.800
Raul Krauthausen: Ja, ich glaube, das muss ich viel mehr machen, wofür ist
sie da? Ich bin inzwischen an dem Punkt, wenn ich zum Beispiel Wut fühle,
dass ich dann auf jeden Fall 24 Stunden drüber schlafe oder eine Nacht
drüber schlafe, um nicht sofort eine Gegenreaktion, weil die ist immer
toxisch zu haben und das dann zu versuchen zu rationalisieren und dann
inzwischen den Satz gelernt habe, ich habe gehört, was du sagst, es verletzt
mich, ich muss darüber nachdenken, ich melde mich dazu später.
00:18:08.000
Leon Windscheid: Ja, bin ich totaler Freund von, das würde man Self-
Distancing nennen, dass man versucht so ein bisschen, das Bild finde ich
eigentlich immer ganz schön, wie so eine Fliege, die an der Decke sitzt,10
mal von oben auf sich runter zu gucken. Viele Leute denken dann
irgendwie, wie soll ich so eine Fliege an der Decke sein, aber die Idee ist
tatsächlich, das hat mir wirklich schon öfter geholfen, dass man mal aus
dem eigenen Kopf, wo einem immer alles klar vorkommt und wo man
merkt, da ist jetzt so ein starkes Gefühl und damit das will jetzt alles von
mir, so man sagt nimm mal so ein paar Meter Abstand, je nachdem wie
hoch deine Decke so ist und dann guckst du von oben auf dich runter und
dieses von sich selbst Abstand nehmen, eine Distanz zu sich aufbauen, das
hilft mir total und ich finde, da gibt es jetzt unterschiedliche Ansätze, du
sagst, du schläfst eine Nacht drüber, ich würde für mich oft auch
versuchen, trotzdem in dem Moment zu bleiben, weil ich auch gelernt habe,
Wut ist viel Information in kurzer Zeit, also für mich ist auch ganz wichtig,
dass wir natürlich nicht die Wut in Aggression überschlagen lassen, das
sind übrigens tatsächlich zwei Paar Schuhe, also viele denken, das wäre
eins, aber es stimmt nicht und gleichzeitig aber auch sagen, ich schluck die
Wut jetzt nicht runter und lass sie komplett verpuffen, sondern eigentlich
noch mal viel Info, in kurzer Zeit wäre Wut auch etwas total Wertvolles so
an, hey du hast mich gerade schlecht behandelt, falsch behandelt und jetzt
brauche ich die Wut, damit du das merkst und ich mich vielleicht auch
wehren kann und dann muss ich ja noch lange nicht meinem Chef mit der
Faust ins Gesicht hauen, es wird dir erst mal reichen, wenn ich mit der
Faust sollte, dabei bleiben, dass ich mit der Faust auf den Tisch haue und
sage, was ist und das ist für mich auch so ein Punkt bei Wut, dass ich halt,
ja ich kann da eine Nacht überschlafen, total, hat mir auch schon oft genug
geholfen, aber manchmal gibt es für mich auch Momente, wo ich sage, nee
jetzt nutze ich die Wut als unangenehmes Gefühl, um mich dem Konflikt
auch unmittelbar und vielleicht auch in aller Klarheit zu stellen, also weiß
was ich meine,
00:19:55.640
Raul Krauthausen: das kollidiert mit dem People Pleaser, das ist manchmal
gar nicht so einfach
00:20:00.720
Leon Windscheid: das stimmt, das würde mit dem kollidieren, dass sich
allen gefallen, das ist ein schöner Punkt, also es ist vielleicht auch noch
wichtig zu berücksichtigen, dass wir oft zum Teil schon als Kinder
bestimmte Muster beigebracht bekommen, viele Leute denken auch, fühlen
wäre irgendwie von der Natur in uns fest angelegt und würde dann so wie
die Basis Emotion, das ist so eine alte Idee, die mittlerweile als überholt
gilt, zumindest aus meiner Sicht, dass dann so ein festgelegtes Muster an
Emotion abläuft und das stimmt nicht, man bringt uns das Fühlen bei, wir11
lernen Fühlen und wenn du als Kind immer beigebracht bekommst, hey du
wirst nur geliebt oder nur gemocht, wenn du funktionierst, wenn du
lieferst, wenn du Leistung bringst und die zwei Minus ist dann eben nicht
gut genug, dann kann es total sein, dass du so einen Anspruch entwickelst,
ich muss es allen recht machen, ich muss allen gefallen und dann fallen
deine Bedürfnisse immer hinten vom Tisch, weil alle anderen erst mal
davor auf den Tisch kommen und dann wärst du vielleicht jemand, der
sagt, boah ich tue mich total schwer damit, jetzt mal Kante zu zeigen und
jemand anderem auch mal meine Wut zu offenbaren. Ich habe letztes Jahr
fürs ZDF meine alte, also meine damalige Show aufgezeichnet, ja bin ja
viel viel auch live auf Bühnen unterwegs und das war dann so das große
Finale, ich war total voller Vorfreude, ich kam dann dieses Studio in
Mainz, in diesem Zelt, was sie manchmal aufbauen und dann gab es
nachmittags eine Probe und der große Stolz vom ganzen Team war, dass
es so einen Kamerakran gab, der so ein Ultra HD 360 Grad um mich
rumfahren sollte. So das muss ich dir vorstellen Raul, ich mache da diese
Textprobe und dieser Kran fährt irgendwann los und ich rede und rede und
irgendwie brüllt plötzlich einer aus der Regie, Cut Maske und ich denke,
was ist jetzt los und der Kran war gerade genau hinter mir und dann
kommt die Dame von der Maske angelaufen, die war deutlich kleiner als
ich und dann sagt die Leon, du bist so groß, geh mal bitte in die Knie und
dann sollte ich mich so vorbeugen mit meinem Kopf und dann zückt die
von ihrem Gürtel so ein Spraydose und sprüht mir so hinten am Kopf alles
voll und als nächstes zückt die so ein Parmesanstreuer mit so großen
Löchern und kippt mir den kompletten Hinterkopf voll mit Schütter. So das
war so demütigend, wo ich so gemerkt habe, diese Schönheitsideale in
unserer Gesellschaft. Ich habe die ganze weitere Aufzeichnung darüber
nachgedacht, wie viel Druck macht uns zum Beispiel Gesellschaft bei
diesem, wann darfst du dich in deinem Körper mit deinem Aussehen
wohlfühlen und ich dachte so, stell dir mal vor, es gäbe nur einen Mann
auf der ganzen Welt, so ein einsamer Mann, wird der morgens auf so einer
Insel irgendwie wach, isst seine zwei Kokosnüsse, geht eine Runde
schwimmen, sitzt dann unter der Palme und denkt, ich muss nach Istanbul
Haare machen lassen. Das glaube ich nicht. Oder eine Frau, eine Frau
wird die einzige Frau auf dieser ganzen Welt, wird die morgens irgendwie
wach auf der einsamen Insel und sagt, schneid mir meine beiden gesunden
Brüste auf und pumpt mir Silikon rein, ich fühle mich nicht wohl in meinem
Körper und der Punkt ist jetzt, das ist mir ganz ganz wichtig, da mache ich
mich nicht nur nicht drüber lustig, ich fühle den Druck ja selber, ich fühle
diesen massiven Druck durch die Gesellschaft, wenn es um unser fühlen
geht, ja selber an so vielen Stellen, ich habe es eben schon gesagt, toxisch12
positiv, du musst gut drauf sein, du musst aber auch als Mutter performen,
du musst im Bett super sein, da ist so viel Druck und dann noch auf dieses
Aussehen, ja so und so hast du auszusehen und wenn du davon abweichst,
ja dann fühlst du dich unwohl in deinem Körper, es gibt Menschen die sich
2023 und nicht wenige in Deutschland für ihren Körper oder ihre
Sexualität schämen, ja tun die das aus sich heraus? Nein, weil die
Gesellschaft mitbestimmt wie wir fühlen.
00:23:16.800
Raul Krauthausen: Du hast gerade so viele Anlässe geschaffen in meinem
Kopf, um jetzt an irgendeinem dieser zahlreichen Gedanken anzuknüpfen,
also der Gedanke mit diesen Schönheitsidealen, das betrifft mich als
offensichtlich behinderten Menschen ja auch irgendwie schon seit
Kindesbeinen an und ich habe dann irgendwann von ein paar Jahren also
diese Body positivity Movement und so ja auch kam, finde dich trotzdem
schön und so mich auch unwohl gefühlt dabei, weil ich dann dachte,
warum muss ich mich dann schon schön fühlen, es reicht auch wenn ich
mich nicht hässlich fühle.
00:23:53.040
Leon Windscheid: Danke, danke dass das mal jemand sagt, da bin ich sehr
sehr froh, um mich gleich auch noch was zu sagen.
00:23:53.040
Raul Krauthausen: Und dann gibt es irgendwie diesen Begriff der Body
Neutrality, also ich bin ja schon froh, dass ich einen Körper habe, der
mich am Leben hält, mit all seinen Problemchen, die jeder von uns trägt,
vielleicht habe ich ein paar Probleme mehr oder andere, aber ich muss ihn
deswegen weder lieben noch hassen. Dann habe ich irgendwann für mich
verstanden über diese ganze Schönheitsideale hinaus und das ist das was
du ja auch sagst, grübeln kommen wir nicht weiter, sondern eben durch
das Machen und eines dieses Machens ist für mich irgendwie das zu
akzeptieren und zwar erstmal neutral zu sagen, ist halt so, ich kenne es
nicht anders und deswegen muss ich damit jetzt irgendwie umgehen,
Alternative ist ich bleibe zu Hause, aber zu Hause ist langweilig, deswegen
gehe ich raus und das setzt aber voraus, dass ich das irgendwie akzeptiere
und da gibt es ganz viele Mikrogefühle dazwischen natürlich auch und auf
dem Weg dahin, dass man sich trotzdem schämt, aber es hat mir auf jeden
Fall sehr geholfen nicht mehr diese Grundfrage zu stellen, möchte ich so
aussehen wie Leon Windscheid, sondern erst einmal zu sagen, also das
sollte Kompliment sein nach dem Motto,13
00:25:05.640
Leon Windscheid: du hast es mit dem Schütter aber gerade mitbekommen
00:25:05.640
Raul Krauthausen: Du wirst als Norm Schön gelesen würde ich sagen,
vielleicht sogar darüber hinaus Norm, besonders attraktiver Mann und das
würde man keine Ahnung, in einem pubertierenden 16-jährigen, der auf
einer Kuschelparty ist, bin ich halt immer der auf der Ersatzbank gewesen,
also ich war nie das Beuteschema, war vielleicht bei dir anders.
00:25:26.840
Leon Windscheid: Also ich habe mich lange sehr sehr sehr sehr sehr sehr
schwer getan mit dem Thema irgendwie auf Partys oder sonst wie Leute,
ich hatte ganz ganz lange keine Freundin, ich war ein absoluter
Spätzünder.
00:25:39.320
Raul Krauthausen: Aber du verstehst, was ich meinte, oder?
00:25:39.320
Leon Windscheid: Total, ich habe mir das auch gerade aufgeschrieben,
weil ich das sehr schön fand, was du gesagt hast mit dem, ich bin ja froh,
dass ich einen Körper habe, der mich am Leben hält, ich verstehe das aus
meiner Perspektive auf die Welt, sofern das dann natürlich
unterschiedliche Realitäten an der Stelle, aber ich finde das sehr sehr gut,
was du sagst und bin auch sehr dankbar, dass du das sagst, weil mich hat
die Body Positivity Bewegung nahezu sauer gemacht, denn es ist so diese
Message gewesen, wir sind alle schön, das hast du ja gerade schon gesagt
und das finde ich ähnlich dumm wie die Message, wir sind alle reich, das
funktioniert nicht, der Mensch ist ein Tier, das differenziert, das auf
Äußerlichkeiten achtet, das an vielen Stellen oberflächlich bewertet, da
kannst du jetzt sagen, das finde ich aber doof, es ist aber so und dann
kannst du viel besser als zu sagen, wir sind jetzt alle schön, solche Punkte
aufmachen wie, Moment mal, wenn ich mit meinem Körper keine
Feindschaft habe, wenn ich einfach sage, jo danke, dass du da in meinem
Fall zum Beispiel ein Herz hab, was seit Tag eins schlägt, du sagst jetzt,
dass du ein Körper hast, der dich am Leben hält, vielleicht sagt irgendwer,
dass ich, wenn gar nichts mehr geht, einen Verdauungstrakt habe, also
dass du wirklich sagst, Moment mal, dieser, mein Körper, der muss gar
nicht schön sein, also dieses von außen draufgeguckte und dann so zu tun,
als wäre jetzt, hey guck mal hier, ich halte hier meine Dellen bei Instagram
in die Kamera oder mein ausgefallenes Haupthaar oder zeig meine14
Rückenhaare als, ist doch auch schön, es hat mich so genervt, weil ich
dachte, ey, geh doch mal weg von diesen Oberflächlichkeiten, also dein
Organismus, immer so von außen zu bewerten wie so ein Gebrauchtwagen
und dann irgendwie die Lackschäden da zu zeigen und zu sagen, ist doch
auch schön, ist doch retro, nerv mich nicht, du musst anerkennen, dieser
dein Organismus, das bist du.
00:27:21.120
Raul Krauthausen: Aber auf der anderen Seite, also mich stört dieses
trotzdem in diesem Body Positivity Ding, oder Plus Size Models, bist du
Model oder bist du nicht Model und dann ist es egal, ob du Plus Size,
Norm Size oder Minus Size bist, sondern bist einfach Model und genau
dieses Body Positivity, bist du positiv deinem Körper gegenüber, ja oder
nein, das kann auch Neutralität bedeuten, aber nur weil andere deinen
Körper nicht so attraktiv finden könnten, machst du daraus jetzt mal
abkrotz und findest ihn jetzt erst recht, deswegen schön und das finde ich
mir manchmal ein bisschen zu einfach und ich verstehe aber auch Leute,
die dann dir solche Aussagen weniger abnehmen, weil du ja dieser
Normenschönheit entsprichst und der Schwiegersohn Charakter, sag ich
mal so hart, im Fernsehen auch irgendwie der Körper ist, wo dann andere
Männer oder Frauen, die wirklich mit ihrem Körper hadern, denken, ja du
hast ja leicht reden.
00:28:15.280
Leon Windscheid: Ja, das war so total, natürlich, ich denke das übrigens
ganz oft bei den Punkten, die mich als Psychologe umtreiben, ich spreche
ja wie beschrieben mit vielen, vielen Menschen im Podcast von, im
Podcast in Extremköpfen, die wirklich krasseste Sachen erlebt haben und
da merke ich ja auch, als weißer, hetero, Zismann, doppel Lehrerkind in
Deutschland ohne irgendwelche sonstigen Schwierigkeiten, das ist einfach
krank, in welcher privilegierten Situation man sich befindet und ich bin
sehr, sehr dankbar mittlerweile, dass ich einfach viele auch ganz
unterschiedliche Lebensgeschichten erkennen konnte, um das für mich
auch zu reflektieren, zu verstehen, weil sonst erlebe ich es oft so, dass
Leute sich dann irgendwann an ihren Erfolgen messen und sagen, guck
mal was ich alles tolles geschafft habe und in dieser Gleichung nicht
berücksichtigen, ja aber guck mal, wenn das ein 100 Meter Lauf war, du
durftest 40 Meter weiter vorne starten. So, ne? Und das ist halt so, dass
das ärgert, das macht mich zu sauer.15
00:29:15.920
Raul Krauthausen: Das sind auch diese ganzen Ratgeberbücher, denen man
nie glauben sollte, wenn man es geschafft hat, weil die Leute wissen selber
nicht, warum sie es geschafft haben, sie hatten ganz oft Glück im Leben,
Dinge, die sie nicht beeinflussen konnten, klassistisch, das werden deine
Startbedingungen, hast du zur richtigen Zeit die richtige Entscheidung
getroffen, wo du aber nicht wusstest, ob es die richtige ist oder nicht. Das
kann man rückwirkend immer alles erklären, aber oft war es einfach auch
ganz, ganz viel Glück. Meine Mutter hat immer gesagt, es heißt zwar
immer, jeder ist eines Glückes Schmied, aber nicht jede Schmiedin hat
Glück und da ist so viel Wahres dran und das führt mich zu dem zweiten
Gedanken, den du aufgemacht hast, nämlich zu sagen, klar gibt es
irgendwie Kindheitserfahrungen und körperliche Situationen, aber es gibt
eben auch die Umgebung, also dein Umfeld, deine Freunde, deine
Bekannten, deine Familie, die dich stark beeinflussen kann, was du gar
nicht ändern könntest, selbst wenn du es wollen würdest, aber gleichzeitig,
und das finde ich ja das Spannende, gleichzeitig reicht manchmal eine
Person im Leben eines Menschen, die dir irgendwie das Gefühl gibt, sie
glaubt an dich, die dich aus deiner Scheißigkeit rausziehen kann. Alleine
nur zu wissen, da ist jemand. Also wenn deine Eltern Scheiße zu dir
behandeln, ein Scheißumfeld aufgewachsen bist, ihr vielleicht arm wart,
aber da draußen war jemand, die Lehrerin, ein Onkel, die Nachbarin, was
auch immer, die an dich geglaubt hat, die kann ein Leben verändern und
wir können das alle irgendwie sein, ohne dass wir es wissen.
00:30:50.400
Leon Windscheid: Also du meinst, ich kann das für jemand anderen sein,
ne?
00:30:50.400
Raul Krauthausen: Ja.
00:30:50.400
Leon Windscheid: Ja, also den Eindruck habe ich auch oft und da fallen
mir zwei Sachen zu ein, die mich, wir wollen ja verstehen auch, wie das gut
geht, mit dem Fühlen umzugehen, und das passt eigentlich ganz schön
dazu, weil mich diese beiden Einsichten total verändert haben auch im
Laufe der Zeit. Es war einmal ein Gespräch mit einer jungen Frau, die hat
eine bipolare Störung für In Extremen Köpfen, also diesen Podcast, und
die hatte dann halt eben erzählt, wie sie so ganz am Boden war, und das ist
halt wirklich auch eine sehr, sehr, sehr, sehr belastende psychische
Störung, und die tat sich so schwer, und ich meine, da gab es auch
selbstverletzendes Verhalten, und die hatte so viel Mist da, in ihrem ganzen16
Leben zu ertragen, so und dann gibt es ja oft diesen Spur, vielleicht hast du
den auch schon gehört, um andere zu lieben, musst du erstmal dich selber
lieben. Und wenn ich das höre, dann werde ich auch schon wieder…
00:31:40.040
Raul Krauthausen: Geht auch in Richtung Body Positivity.
00:31:45.440
Leon Windscheid: Ja, dann werde ich auch so sauer, weil diese Frau, die
hat mir dann halt erzählt, die hat sich überhaupt nicht gemocht, die war
voll im Krieg mit sich, und dann hat die gesagt, irgendwann habe ich aber
meinen damaligen Freund kennengelernt, und das hat alles verändert, so
und da dachte ich gerade dran, weil du also beschrieben hast, dieser eine
Mensch, der dann kommt und der wirklich so dieser Anker sein kann, was
wäre das für ein Anspruch, sich selber lieben zu müssen, damit man dafür
empfänglich ist? Völliger Bullshit, ich würde viel lieber sagen,
das passt auch wieder zu dem Körper, Selbstakzeptanz, also sich selber
mal nicht, schon mal nicht schlecht zu finden, vielleicht zu mögen, aber
sich selber lieben, was soll das denn? Willst du dann mit dir selber da vor
den Traualtar treten und irgendwie dann Bilder von dir in A3 über dein
Bett aufhängen? So, und der zweite Punkt, neben dieser Frau, die mir das
halt so klar gezeigt hatte, das war ein Gespräch mit einem Harvard-
Professor, der betreut die längste laufende Langzeitstudie, die es auf dieser
Welt gibt, da haben die vor Jahrzehnten an der Uni, und da gab es dann
nur Männer, deswegen sage ich jetzt mal, Studenten befragt, wie geht es
euch so psychisch, physisch, körperlich, wie geht es euch im Job, wie geht
es euch in euren Beziehungen, und die haben diese Studies dann
Jahrzehnte lang begleitet, bis heute, wo manche dieser Männer 80, 90
Jahre alt sind, und das war jetzt nur Männer, aber ich glaube, dass sich
das verallgemeinern lässt, weil dieser Professor sagte mir, als wir
gesprochen haben, Leon, wir finden eine Sache immer wieder, eine Sache,
die ein gelungenes Leben ausmacht, und ich war sehr, sehr, sehr gespannt
und dachte, ja, was ist das denn, und dann genoss der schon so die
Spannung, weil ich glaube, Professoren, die viel forschen, die freuen sich
auch, wenn mal, wenn mal ihre…
00:33:22.920
Raul Krauthausen: Das sind wahre Storyteller.
00:33:22.920
Leon Windscheid: Ja, genau, wenn mal eine geile Storytelling entsteht und
so ein Cliffhanger da ist und der wusste das schon, dass das jetzt passiert,
und dann guckt er mich an und sagt, du brauchst einen Menschen, den du17
nachts um drei Uhr anrufen kannst, und der dann kommt. So, jetzt weiß ich
nicht, wie es dir geht. In meinem Kopf, ich saß da und dachte, ein Mensch,
okay, also eure Daten zeigen so ein ganz zentraler Punkt, damit ein Leben
gut läuft, das ist jetzt nicht eine Kausalität, aber erstmal ein
Zusammenhang, das ist ja spannend, ein Mensch, der ohne Wenn und Aber
da ist, und ich hatte das noch gar nicht ausgesprochen, aber als hätte der
das irgendwie gewittert, sagt er schon direkt, ja, Leon, ich weiß, was du
jetzt denkst, und ich so, ja, dann sag mal, und dann meinte der, ja, du
denkst jetzt vielleicht, ja, ich will aber doch nicht nur einen Freund,
sondern ich will doch, wenn, dann mehrere, und ich will vielleicht auch
noch eine tolle Liebesbeziehung. Das war genau das, was in meinem Kopf
ansprang, ich dachte, aber einer, ja, das wäre ja schön, und ich weiß,
einer ist Gold wert, aber ich hätte natürlich gerne mehr, und dann sagte
der, und das ist eben der Punkt, unsere Forschung zeigt, das braucht es
nicht, so, und das fand ich war so eine Message, die total Druck nehmen
kann, weil wie oft gehen wir durchs Leben und gucken so aufs Defizit, was
fehlt mir noch, wenn ich auf meiner Glücksgala gucke, um auf zehn von
zehn zu stehen, warum bin ich nur bei der sieben, wieso habe ich nicht die
tollste Liebesbeziehung, sondern wie nur eine normale Liebesbeziehung,
wieso habe ich nicht 100 geile Freunde mit 20.000 Instagram-Followern,
die mich alle jeden Tag featuren, wieso habe ich diese zwei Freunde, so
und dann zu wissen, ey, einer, einer würde reichen, das finde ich passt so
schön zu dem, was du gerade gesagt hast, weil ich glaube auch, meine
Mutter war lange, lange Hauptschullehrerin, so eine Lehrerin, meine
Mutter garantiert eine ganz tolle Lehrerin, die da ist, ein Freund, der sich
um dich kümmert, irgendwie ein Sporttrainer, der sagt, ich hole dich da
raus oder vielleicht noch nicht mal das, sondern ich bin einfach für dich
da, das finde ich sind, das zeigt auch, was Menschsein ist, nämlich dieses
hyper soziale Wesen, dass wir sind, Delfine sind auch sozial, wenn die da
irgendwie als Gruppe schwimmen oder ein Wolfsrudel, aber der Mensch
ist hyper sozial, wir gehen ein, wenn wir keine anderen haben, wir
versterben buchstäblich.
00:35:23.080
Raul Krauthausen: Und das wiederum lässt mich andocken an meine eigene
Erfahrung, ich habe vor vielen, vielen Jahren eine Ausbildung zum
Telefonseelsorger gemacht.
00:35:30.600
Leon Windscheid: Ah, geil.18
00:35:30.600
Raul Krauthausen: Und die Ausbildung geht ein Jahr und schon auch sehr
intensiv und als Teil der Ausbildung gehört auch, dass man selber mal bei
der Seelsorger anrufen muss und über ein reales Problem reden soll und
also schon auch richtig hart und du hörst dann zu, was deine Mitlernenden
oder Mitauszubildenden für Probleme haben. Du sitzt dann im Call Center.
00:35:56.000
Leon Windscheid: Ach so, ach du Gott. Also man macht es in einer
Gruppensituation.
00:35:56.000
Raul Krauthausen: Richtig intens, ja.
00:35:56.000
Leon Windscheid: Würdest du sagen, was du da genannt hast oder lieber
nicht?
00:36:02.040
Raul Krauthausen: Das Thema Einsamkeit bei mir. Ich habe über
Einsamkeit gesprochen und dass ich als Jugendlicher da oft Probleme mit
hatte, obwohl ich rational wahrscheinlich Freunde hatte. Ich das auch
spiegeln konnte, ich habe ja Freunde, aber ich habe mich trotzdem einsam
gefühlt irgendwie und darüber habe ich dann telefoniert. Und dann haben
wir danach in der großen Runde darüber gesprochen und über diese
Erfahrung, wie war das bei der Seelsorger anzurufen. Und dann sagt dir
der Ausbilder, und das werde ich nie vergessen, überlegt mal in eurem
Leben, wann würdet ihr bei der Seelsorger anrufen und wen hättet ihr
vorher alles angerufen. Bevor ihr zu der Erkenntnis kommt, ihr ruft jetzt
bei der Telefonseelsorger an. Und wie viele Schritte müsst ihr gegangen
sein? Und dann sollte man das aufschreiben. Und dann haben wir Leuten
gesagt, ja ich hätte erst meine Eltern angerufen, meine Freunde. Das
relativ offensichtlich, dann vielleicht beim Nachbarn geklingelt, dann hatte
ich den Notarzt gerufen, vielleicht die Polizei.
00:36:54.880
Leon Windscheid: Ja.
00:36:54.880
Raul Krauthausen: So und irgendwann hätte ich außer Verzweiflung im
Videotext nach der Telefonnummer für die Telefonseelsorger gesucht. Und
das ist der allerletzte Strohhahl, der einem überhaupt noch einfällt. Und
wenn du jetzt aber mit dem Anspruch einer Telefonseelsorger als
Zuhörender reingehst zu sagen, du musst jemanden retten oder einen19
Ratschlag geben, dann ist das Grund falsch. Weil die Person die anruft,
hat schon alles durch. Sie hat schon jeden Gedanken gedacht, den man
denken kann, bevor sie über die Seelsorger anruft. Und wer bist du als
Telefonseelsorgerin, dass du der Person jetzt ohne Vorwissen einen
Ratschlag geben kannst. Das heißt, du musst zuhören. Und das ist das
Einzige, was du machen kannst, ist zuhören. Alles annehmen, alles
bestätigen im Sinne von, ja ich verstehe sie oder ich höre hinzu. Und dann
irgendwann diese Stille auch auszuhalten, die entsteht und irgendwann
wird es der anderen Person aber so unwohl, dass sie irgendwann redet.
Und dann zu fragen, aber warum rufst du an? Was ist der Grund, warum
du anrufst oder was du hast ja angerufen. Das heißt, in dir ist ja
irgendeine Kraft, die nicht will, dass du von der Brücke springst oder so.
Da ist doch irgendwas in dir. Und darauf aufzubauen, ist letztendlich auch
das, was die Ausgebildeten rettet in ihrer Ausbildung. Weil du ja nie weißt,
was nach dem Telefonat ist. Ob die Person sich nicht trotzdem von der
Brücke schmeißt oder so. Aber zu sagen, dann hätte die Person nicht
angerufen, wenn sie sich wirklich das Leben nehmen wollen würde. Und
du musst an diese einzige Kraft appellieren, die überhaupt noch da ist.
Und es ist dann auch relativ wahrscheinlich, dass die Leute sich danach
nicht umbringen. Und das fand ich so krass, so krass, ich glaube, so viel in
dieser einen Session gelernt. Das zuhören einfach, das A und O ist.
00:38:44.880
Leon Windscheid: Ja, Respekt. Ich bin oft sehr, sehr dankbar, wenn mir
Leute dann auch schreiben und Probleme schildern und ich dann auch
genau wie du das gerade beschreibst denke, also erstmal bin ich ja kein
psychologischer Psychotherapeut und jetzt auch nicht in der Position
Ratschlag zu geben, dass ich dann weiß, es gibt aber die Telefonseelsorge,
wo man einfach sich 24/7 melden kann. Und wir geben dann immer eine
ganze Reihe von Hilfsangeboten, wo man tatsächlich die professionelle
Hilfe bekommt, die man im Zweifel braucht. Aber ich habe mich noch nie
so richtig damit beschäftigt, wer sitzt da eigentlich auf der anderen Seite?
Und was bedeutet das auch für die? Und das, was du gerade beschreibst,
finde ich ein unglaublich schönes Bild. Also zu sagen, ich höre dir erstmal
zu und ich habe mir gerade auch ganz viel mitgeschrieben, weil du sagtest,
diese ganzen Schritte davor, wen hättest du alles davor angerufen, was
hättest du alles davor gemacht und jetzt ist das dein letzter Strohhalm. Ja
krass.
00:39:40.120
Raul Krauthausen: Ja, total krass.20
00:39:40.120
Leon Windscheid: Total krass. Machst du das noch kurz? Also machst du
also…
00:39:40.120
Raul Krauthausen: Ich habe das dann nach anderthalb Jahren aufgehört,
weil das einfach sind ja alles Nachtschichten und das kollidierte… Vor
allem bei Nacht rufen die Leute an. Auch super interessant, wer anruft.
Also Hauptthema ist immer Einsamkeit, zieht sich durch alle
gesellschaftlichen Schichten, egal ob arm, reich, deutsch, nicht deutsch,
Mann, Frau, jung, alt. Einsamkeit ist ein riesiges Thema und dann
irgendwann Geld, also Armut, wenn Eltern anrufen und sagen, dass sie
nicht wissen, ob sie ihrem Kind das Schülerticket kaufen sollen oder essen
in die Brotbox, das sind echte reale Probleme und da kann es ja auch als
Seelsorger nicht viel machen. Das ist dann… Das ist ein echtes reales
Problem, das müssen, muss man anders lösen, aber nicht mitreden, weil da
kommt auch kein Geld her. Aber es zeigt ja, wie verzweifelt die Leute dann
eben sind und immerhin mit jemandem reden und nicht, dass sie sich
reinfressen oder die Verantwortung dem Kind geben oder so. Das kann
man dann auch erzählen als Ressource zu sagen, lieber reden als das Kind
verantwortlich machen. Was ich aber für mich da total mitgenommen
habe, ist, dass wir alle Probleme haben und das ist wirklich egal, ob du in
einem Schloss wohnst, du kannst totunglücklich und einsam sein oder ob
du in einem Zelt wohnst und glücklich bist, weil du Freiheit genießt oder
was auch immer. Also das ist sehr subjektiv. Und ich habe dann selber
auch Therapie wahrgenommen, als ich mal eine schwierige Phase in
meinem Leben hatte und stell mir seitdem die Frage, muss man sich
eigentlich alles angucken, was man fühlt? Man kann sich auch so über
analysieren und am schlimmsten finde ich ist, wenn andere glauben, da
müsstest du mal zur Therapie, obwohl das vielleicht gar nicht der Fall ist.
Also meine Eltern zum Beispiel wollten mich immer zum Psychologen
schicken, weil ich behindert bin.
00:41:44.440
Leon Windscheid: Ja, das ist für mich ein schöner Moment um mal zu
sagen, manche Leute müssen nur in Therapie, weil andere nicht in
Therapie gegangen sind und ich glaube, das könnte man ein paar Eltern
mal mit auf den Weg geben, vor allem wenn die dann von außen da besser
wissend kommen und denken, du musst jetzt in Therapie.21
00:42:00.120
Raul Krauthausen: Beziehungsweise selbst wenn ich Probleme mit meiner
Behinderung gehabt hätte, die ich auch garantiert hatte, hätte ich jetzt
glaube ich, also es war nicht so schlimm, dass ich anfing mein Körper zu
essen, zu zerstören oder irgendwie völlig mich merkwürdig zu verhalten.
Das waren vielleicht auch normale pubertäre Struggles.
00:42:20.080
Leon Windscheid: Klar und das ist ja dann auch vielleicht ein bisschen
schwierig zu trennen und macht ja schön die Frage, auf die du gerade
gestellt hast. Also muss ich eigentlich an alles ran, muss ich alles
analysieren. Es gibt mittlerweile sogar, was heißt Überlegung, es gibt erste
Einsichten aus der Forschung, dass man sich so fragt, sowas wie jetzt da
Yoga und Meditieren, gibt es da nicht auch eine Gefahr drin, dass man
dann so sehr dieses Ego und jetzt geht es hier um mich und Me-Time,
haben wir ja auch schon angesprochen, dass man das aufbläht und
plötzlich sich alles nur noch so im Kreis um einen selber dreht. Mir hat
mal ein sehr erfahrener Therapeut gesagt, naja es gibt eigentlich keine
Person, die selbst reflektierter ist als ein Depressiver, weil der sitzt den
ganzen Tag da und ist damit beschäftigt in seinem Kopf zu ruminieren, auf
den Themen rum zu kauen, zu überlegen, was ist mit mir, was ist los, was
ist an mir falsch, sich zu hinterfragen und die Aussage ist natürlich
absichtlich so ein bisschen provokant, aber ich finde das hat einen Kern
und sich mal klar zu machen, weil viele denken jetzt irgendwie mal ein
Gefühl zu unterdrücken oder sich mal abzulenken oder einfach irgendwas
zu machen, was vielleicht erstmal gar nicht zu meiner Gefühlswelt passt,
das wäre falsch und das stimmt nicht. Also ich bin totaler Freund davon,
dass man sagt, hey jetzt war ich irgendwie zwei Wochen lang im düsteren
Herbst niedergeschlagen und irgendwie total down und jetzt lenke ich mich
mal ab, das passt zudem, ich muss ins Handeln kommen und jetzt mache
ich mal was anderes. Ich bin totaler Freund davon, dass ich sage, da gab
es in meiner Kindheit ein Erlebnis, das war echt belastend und das war
sicherlich nicht gut, aber weißt du was, der Schrank ist zu und das liegt da
unten ganz dick wie so ein ekelhafter Lappen im Keller verpackt und
weggesperrt und das belastet mich gar nicht und dann gibt es ja manchmal
so dieses Credo, ja du musst da aber an alles ran und da musst du jetzt mal
erstmal eine Analyse machen und komm wir machen den Schrank mal auf
und kümmern uns darum, wenn kein Leidensdruck da ist und das auch
wirklich so ist und nicht Selbstbetrug ist und dann werde ich wirklich
sagen, ach ja das war da, aber damit habe ich abgeschlossen, dann lass es
gut sein. Also ich bin da riesen freund davon auch mal sich selber22
zuzugestehen, dass es eine Vergangenheit gibt, dass man vielleicht an
Punkte irgendwann auch nicht mehr ran muss und dass solange es mir jetzt
in dem hier und jetzt gerade gut geht, ich auch mal sage, oh heute ist so ein
Tag, da fühle ich in mir vielleicht irgendeine Wut, aber weißt du was Leon,
heute fragst du dich mal nicht mit Hilfe der emotionalen Granularität, was
steckt da eigentlich hinter und wie tief willst du da jetzt ran, das lässt du
jetzt so.
00:44:43.720
Raul Krauthausen: Oder eben auch die Frage, wie viele Schränke machst du
gleichzeitig auf?
00:44:48.160
Leon Windscheid: Wie viele Schränke machst du gleichzeitig auf? Das ist
ja auch so ein Punkt und dann kann man sich auch vorstellen, ich weiß
nicht, wie es dir geht, aber manchmal wenn ich so Aufräumtage habe,
dann ich wohne hier in einem ganz alten, wir wohnen als WG hier in einem
ganz alten Häuschen in Münster und da gibt es viele so verwinkelte Ecken
und da hat man so Holzkabuffs und dann ist da irgendwie, dann ist da die
Kiste mit den Karnevalskostümen und da drüben stehen die verstaubten
Siedler und da habe ich noch, weiß ich nicht, die Fahrradpumpe, die ich
dringend mal wieder benutzen wollte und so Kram und dann holt man mal
alles raus und das so nach zwei Stunden aufräumen sieht es schlimmer aus
als jemals zuvor und dein ganzes Zimmer ist voll mit Zeug. So und das ist
für mich so ein Moment, wo ich denke, ja das kann man auch in seinem
Leben veranstalten und dann ist dieser Prozess des Aufräumens vielleicht
einer, wo man auch sagen muss, boah der ist jetzt ein ganz schöner Akt
und vielleicht bin ich gerade mit Corona-Pandemie, die vielen ja noch in
den Knochen steckt, mit einem Krieg in Europa, wo man nie gedacht hätte,
dass so was in der Ukraine vielleicht passieren könnte, mit jetzt der
Situation in Israel, mit einer Klimakatastrophe und dem kommenden
Herbst obendrauf, ey heute ist kein Tag, wo ich alle Schränke aufmache
und alles in die Mitte von meinem Zimmer schmeiße, um jetzt mein Leben
aufzuräumen. Jetzt lasse ich das mal für den Moment so. Das will ich uns
unbedingt zugestehen, auch so dieses, also erlebe ich mich ja selber, wenn
man gestresst ist, wenn man eine stressige Phase hat, dann haben viele
Leute nicht auf dem Radar, dass es beim Fühlen eben so eine sehr, sehr
starke körperliche Komponente gibt. Natürlich haben wir so Sprichwörter
wie „das lastet die Schuld, lastet mir auf den Schultern“ oder „die Liebe
spüre ich jetzt im Magen als als als Schmetterlinge vielleicht im Bauch“.
So was kennen wir alles, Flugzeug im Bauch, aber wir kennen alle nicht
oder wir unterschätzen total auf die körperliche Komponente und wenn ich23
jetzt mega gestresst bin, dann ist es oft so für mich wichtig, dass die Leute
wissen, abends dann auf die Couch zu fallen und zu sagen jetzt Ben &
Jerry’s raus, Netflix & Chill und noch schnell so eine Fertigpizza
reinschieben. Das ist sehr wahrscheinlich nichts, was diese Stressreaktion,
die sich in deinem ganzen Körper über den ganzen Tag aufgebaut hat, die
dich hochgefahren hat, jetzt wirklich runterbringt, sondern ein
körperliches Abreagieren und wenn das 20 Minuten um den Block gehen
ist, das würde sehr viel wahrscheinlicher helfen, denn die fettige Pizza, das
völlig überzuckerte Eis und jetzt einfach irgendeine Serie sich rein zu
pumpen, das ist im Zweifel nochmal ein Stressor für deinen Organismus
und trotzdem Raul, gibt es Tage, gerade jetzt im Herbst, wo ich merke, ey,
war ein stressiger Tag und du weißt ganz genau, besser wäre jetzt nochmal
eine Runde um den Aaseh spazieren hier in Münster, aber jetzt machst du
trotzdem Netflix & Chill und das ist dann auch okay.
00:47:18.560
Raul Krauthausen: Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast
unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen
Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und du wirst,
sofern du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos
findest du unter www.im-aufzug.de. Ende der Service-Durchsage, viel Spaß
beim zweiten Teil der Folge.
00:47:47.560
Raul Krauthausen: Und dieses Aushalten, dass man selber nie perfekt sein
wird und auch nicht sein muss und auch in den eigenen Widersprüchen zu
leben, ist vielleicht dann die wahre Kunst, oder? Also, dass man nicht
immer eindeutig ist.
00:48:12.320
Leon Windscheid: Würde ich fast lieber dich fragen, weil, also wie gesagt,
ich hab mir selber schon so viel mitgeschrieben von dem, was du erzählt
hast. Wie ist es denn für dich, dass du, so dass ja eben schon gesagt, okay,
irgendwie enorm schön gelesen wärst du nicht und du wärst irgendwie
auch als Jugendlicher auf der Ersatzbank da immer gewesen. Wie gehst du
mit all diesem Erwartungsdruck, mit all diesem Perfektionismus, mit all
diesen Leistungen liefern müssen unserer Gesellschaft um?
00:48:38.640
Raul Krauthausen: Ja, ich glaube, das ist ein permanenter Kampf, aber ich
sehe auch Fortschritte. In mir zumindest, also eine Geschichte, die ich
immer gerne erzähle, weil sie wirklich auch wahr ist. Meine erste24
Freundin, die ich hatte, das war ich Ende 20, die hat irgendwann gesagt,
Raul, in deiner Wohnung hängt kein Spiegel. Ja, und das war mir nie klar.
00:48:54.320
Leon Windscheid: Gar keiner?
00:48:54.320
Raul Krauthausen: Gar keiner.
00:48:54.320
Leon Windscheid: Nichtmal im Bad?
00:48:54.320
Raul Krauthausen: Nee, nichtmal im Bad. Und das liegt daran, weil ich mit
Assistenz lebe, das heißt, die Assistenten ziehen mich an und aus und ich
weiß, wie ich aussehe. Es gibt Fotos von mir, es gibt Selfies, wenn ich
durch die Stadt fahre und da irgendwie mich im Spiegel, im Fensterbild
spiegel oder im Kaufhaus spiegelt, dann ist das schon, ich kenn meinen
Körper, ja. Ich habe nie das intrinsische Bedürfnis gehabt, zu wissen, wie
sehe ich jetzt aus. Und dann hat die einfach in meiner Wohnung Spiegel
aufgehangen, weil sie einen brauchte. Und dann hat sie den halt so
gemacht, dass ich auch als kleiner Mensch den benutzen kann. Und
plötzlich sah ich mich jeden Morgen im Spiegel, im Bad. Und das fand ich
schon unangenehm. Ich dachte, so siehst du aus, so schief und so ist das
also. Nicht in der Aktion, sondern einfach im Bad. Und das fällt mir jetzt
einmal nicht mehr schwer. Also jetzt hängt der Spiegel immer noch und ich
leide da nicht mehr drunter. Ich weiß, so siehst du aus. Okay, cool. Oder
auch nicht cool. Aber das ist nicht mehr so, dass ich nicht gerne ins Bad
gehe. Und da habe ich einfach gemerkt, ich habe mich auch dran gewöhnt.
Und es ist jetzt auch, okay, wenn du mit drei das schon gehabt hättest, ein
Spiegel im Bad, dann wäre das wohl gar kein Problem gewesen. Aber du
kannst ja noch lernen, diesen Umgang damit. Und in Bezug auf Beziehung,
Ersatzbank, was auch immer, da ist es ganz doofer, den Satz, den man
immer hört, kommt Zeit. Es braucht einfach Zeit. Und dauert es bei dir
länger. Aber irgendwann, irgendwie wird sich jemand finden. Und du wirst
auf jeden Fall schlauer rausgehen, als du reingegangen bist. Du musst ja
nicht von Erfolg gekrönt sein, aber du wirst deine Erfahrung machen. Das
braucht vielleicht länger. Und bei mir hat es halt bis Ende 20 gedauert.
Und das glaube ich, ich höre auf zu behaupten, im Vergleich zu den
ganzen Lebensratgebern, ich hätte alles akzeptiert oder so, sondern ich
beobachte einfach, das ist einfach eine permanente Reise der
Selbstakzeptanz. Und das würde ich sogar inzwischen nicht nur auf meine25
Behinderung beziehen, sondern auch auf, keine Ahnung, die Weltlage,
mein Alter, mein Geschlecht und so weiter. Du hast schon zweimal von
dem Podcast erwähnt, in „Extremen Köpfen“, den ich auch schon öfter
gehört habe. Und ich habe mich aber auch gefragt, ein bisschen kritisch,
wie viel Voyeurismus steckt da eigentlich auch drin? Die Frage hast du
wahrscheinlich schon öfter gehört.
00:51:22.360
Leon Windscheid: Ne, ich bin dankbar, dass du die mal stellst, weil ich
habe sie tatsächlich noch nicht oft gehört, wenn überhaupt.
00:51:33.400
Raul Krauthausen: Also sowohl von dir neugierig zu sein, muss ich das jetzt
unbedingt wissen, wie es sich anfühlt, drei Jahre lang im Keller
eingesperrt worden zu sein oder aber müssen es alle wissen, also deine
Zuhörer*innen.
00:51:45.160
Leon Windscheid: Ja, sie ist eine, die mich selber total umtreibt. Und ich
war auch schon bei vielen tollen Kolleginnen und Kollegen in den „True
Crime“ Podcasts. Das ist ja auch so ein Genre, wo ich von außen
manchmal denke, muss das so jetzt öffentlich diskutiert und aufgearbeitet
werden? Ein Verbrechen und wieso ergötzt sich der Mensch offenbar so
sehr am am düsteren und am Leid und am dunklen? Und dann wäre
vielleicht so ein erster Impuls zu sagen, ne ist nicht und aus einer Pietät
heraus müssen wir das lassen. Und jetzt ist das, was ich ja da mache, kein
„True Crime“ Podcast. Und ich finde aber auch die gut gemachten „True
Crime“ Podcasts sind keine, die davon leben, dass man sich am
Verbrechen, geschweige denn am Leid ergötzt, sondern eher, dass es
darum geht, verstehen zu wollen. Und das wäre auch mein Anspruch bei
„In Extrem Köpfen“. Und jetzt kann man bestimmt darüber streiten, dass
mir das mal besser, mal schlechter gelungen ist. Und man könnte vielleicht
auch bei manchen Fällen sagen, ja, da ging es doch jetzt eher um die
Schlagzeilen, wobei ich für mich behaupten würde, das war nie der
Auswahlgrund. Aber dass Menschen verstehen wollen, was ist, das ist mein
Anspruch. Und das ist für mich auch die Motivation, Psychologe und
Wissenschaftskommunikator zu sein. Also verstehen wollen, warum wir
Menschen sind, wie wir sind. Das ist für mich die Kernaufgabe der
Psychologie. Und da ist ganz wichtig, das heißt nicht, dass ich Verständnis
habe dafür. Ich habe ja auch nicht nur Menschen interviewt, die was
Schlimmes erlebt haben, sondern auch Menschen, die Schlimmes getan
haben. Ich denke an einen Bankräuber, der hat, glaube ich, 13 Banken26
ausgeraubt. Das war sogar die erste Folge. Ich habe aber auch einen
Mörder getroffen. Da stand dann bei mir im Kalender einen Termin beim
Mörder. So meine Family fragt, bist du da beim Mörder? So die hatten
schon richtig Angst. Und ich dachte, mal gucken. Und das ist ja einfach ein
Mensch, der einen anderen Menschen umgebracht hat. Und dieses
Todesopfer hat ja dann auch eine Familie im Zweifel, die jetzt eben keinen
Sohn mehr haben. Und jetzt erzählt der Mörder. Also es ist für mich ein
totales Thema, das und wie man das macht. Und ich finde aber der
Anspruch, das Menschen verstehen zu wollen und für mich war immer so
die Idee, in den Extrembereich zu gehen, das hat einen Wert und das stellt
auch einen tatsächlichen Mehrwert dar. Weil in diesem Extrembereich
werden oft die Kontraste schärfer. Für mich war immer so die Metapher
wie bei so einem Kameraobjektiv, was gerne in unserem Alltag ein
bisschen unscharf ist. Wir sind so im Graubereich. Natürlich haben wir
auch an uns Fehler und vielleicht Gewaltfantasien oder wir haben
vielleicht auch schon Sachen gemacht, die schlecht und falsch waren.
Vielleicht haben wir auch mal eine depressive Phase, ohne dass wir schon
die Kriterien einer Depression erfüllen. Vielleicht haben wir natürlich
noch nie einen Menschen entführt, aber vielleicht waren wir auch schon
mal sehr schlecht gegenüber einem Menschen. So und dann zu merken,
jetzt spreche ich mit jemandem, der ein schlimmes Verbrechen begangen
hat und höre mal, wie reflektiert der heute darüber. Da geht es ja nicht
darum, dass ich jetzt einem Täter eine Bühne biete, sondern das war immer
schon sehr gewissenhaft auch mit der Redaktion abgesprochen, sondern
ich will hören, wie geht der mit Schuldgefühlen um? Ist das heute ein
anderer Mensch? Kann man dem vergeben? Hat der sich selber vergeben?
Und plötzlich wird das Bild scharf und du merkst, okay ich bin kein
Mörder und ich bin kein Depressiver und ich bin kein Geiselopfer. Aber in
allem, was mir diese Menschen erzählt haben, gab es so viele Momente,
wo ich dachte, darin findest du dich jetzt wieder. Das hat mich manchmal
erschrocken und das hat mich manchmal zutiefst gerührt. Das hat mich
manchmal selber im besten Sinne überrascht, weil ich dachte, ach krass, so
habe ich noch nie darüber nachgedacht. Wie das ist, Stimmen im Kopf zu
haben im Rahmen einer Störung. Wenn ich selber manchmal denke, in
meinem Kopf gibt es auch unterschiedliche Anteile und so weiter. Da
würde ich am Ende sagen, ja es hat was voyeuristisches. Absolut, würde
ich auch nie klein reden wollen. Ich finde, man macht diesen
Kleiderschrank auf und guckt in den Kopf eines Menschen. Aber
voyeuristisch wäre ja auch vielleicht etwas, was der andere nicht will. Und
bei mir waren nicht nur alle freiwillig, sondern oft so, dass die, die die
krassesten Geschichten erzählt haben, mir nachher noch und auch oft27
mehrmals noch geschrieben haben, boah das tat richtig gut, das zu
erzählen. Und es war auch so, dass mir ganz oft Betroffene, die ähnliches
erlebt haben oder auch was ganz anderes nachher geschrieben haben und
gesagt haben, boah das hat richtig was mit mir gemacht mal zu hören,
dass es jemand anderem, der ein ganz anderes Leben hat, trotzdem
irgendwie ähnlich geht.
00:55:50.640
Raul Krauthausen: Ja ich verstehe den Punkt. Aber trotzdem, zurückgefragt,
man hat ja auch eine gewisse Verantwortung dann als Host von seinem
Podcast. Sowohl den Zuhörer*innen gegenüber, wissen sie wirklich, dass
sie jetzt wissen, aber auch, und das erlebe ich als Mensch mit
Behinderung, hat man eine Verantwortung gegenüber dem
Interviewpartner, will er oder sie sich wirklich so nackig machen, weil das
Thema ist ja extrem, ist ja in extrem Köpfen. Warum ich das deswegen so
kritisch sehe inzwischen, ist, dass ich glaube ich 15 Jahre meines
aktivistischen Lebens bereitwillig vor Mikrofonen und Kameras über meine
Behinderung gesprochen habe, Diagnosen, wie oft ich mich um was
gebrochen habe, wie oft ich ja runter gelitten habe und so weiter. Und es
wurde immer damit gerechtfertigt, dass die Hörer*innen das wissen
wollen.
00:56:43.280
Leon Windscheid: Also es wurde selten gefragt, dass du danach gefragt
wirst, wurde damit gerechtfertigt.
00:56:47.520
Raul Krauthausen: Genau. Und ich wurde selten gefragt, ob ich das
überhaupt erzählen mag oder ob wir nicht über Social Media reden wollen
oder über Digitalisierung oder künstliche Intelligenz oder was auch immer
meine anderen spannenden Themen sind. Und das heißt, ich war immer
dieser Grüßaugust zum Thema Behinderung und ganz Deutschland weiß,
also nicht ganz Deutschland, aber sehr viele Leute wissen, ohne dass ich
ihnen persönlich nach vier Tagen erzählt habe, was meine Behinderung ist
und wie viele Partner*innen ich schon hatte. Das kann man alles auf
Wikipedia wahrscheinlich sogar nachlesen. Das ist natürlich auch ein
bisschen Person des öffentlichen Lebens. Das kennt ihr vielleicht auch,
dass man dann natürlich auch bestimmte Erwartungen nicht mehr haben
kann, was Privatsphäre angeht. Aber trotzdem habe ich mich oft genötigt
gefühlt, darüber zu sprechen, weil das das Thema ist. Und ich hätte mir
manchmal gewünscht, dass man mich auch ein bisschen davor schützt.28
00:57:38.040
Leon Windscheid: Verstehe ich gut.
00:57:38.040
Raul Krauthausen: Genau, das fällt mir nur einfach gerade dazu ein, dass,
keine Ahnung, man weiß inzwischen aus der Psychologie, dass wenn
jemand in seinem Leben einen Querschnitt bekommt durch einen Unfall
oder durch eine Erkrankung, dann ist das natürlich ein krass
einschneidendes Erlebnis. Und das kann man nicht schönreden im Sinne
von wird schon alles wieder. Man weiß aus der Psychologie, dass es drei
bis fünf Jahre braucht, gute psychologische Begleitung, bis die Person das
gleiche oder mehr Lebensglück empfinden kann als vor diesem Ereignis.
Und wir können aber zu diesem Punkt zurückkommen. Also, dass auch mit
Querschnitt man ein glückliches Leben führen kann und nicht trotz
Querschnitt, sondern mit Querschnitt. Und dann erlebe ich aber eben oft
Menschen, die jetzt gerade verunfallt sind, die nach drei Wochen schon
bereit für mich vor der Kamera reden über ihre Erfahrungen, am besten
noch am Krankenhausbett interviewt. Wo ich denke so, nee, die brauchen
jetzt Zeit. Die brauchen jetzt einfach Zeit, das überhaupt erst mal zu
verarbeiten.
00:58:35.560
Leon Windscheid: Okay, also ich sehe den Punkt und hätte nur den
Einspruch, das ist deine Sicht auf, was der jetzt braucht und was der jetzt
soll. Und da tue ich mich schwer, dafür andere zu sprechen, weil ich habe
Leute erlebt, wo ich auch so dachte, boah, das wäre mir total viel zu
extrovertiert, sowas zu erzählen. Ich denke zum Beispiel oft über sowas wie
Liebesbeziehungen. Du hast gerade angesprochen, irgendwie in der
Öffentlichkeit stehen. Das ist jetzt mein kleiner Pain, das ist nichts, was
mir wirklich gefällt, sondern ich will für meine Themen stehen und ich will,
dass möglichst viele Leute sich für Wissenschaft und für Psychologie an
erster Stelle begeistern lassen. So und dafür nehme ich in Kauf, dass ich
irgendwie in der Öffentlichkeit stehe und Teil meiner Privatsphäre flöten
geht. Aber für mich zum Beispiel ganz klar, über sowas wie
Liebesbeziehungen und auch über viele Teile von Familienleben würde ich
nicht öffentlich sprechen. Und dann ist das halt für mich eine bewusste
Entscheidung, daraus jetzt abzuleiten. Wenn jemand anders das tut, das
solltest du aber besser lassen, weil psychisch ist ja viel gesünder, wenn
man sich so eine kleine Burg baut und bestimmte Themen und sich da
schützt, wie es für mich ist. Das fände ich falsch und ich fände es auch
falsch zu sagen, hey, du hattest jetzt da deinen Unfall und du fühlst dich29
jetzt berufen, das jetzt direkt in der Kamera zu erzählen. Ja, das wäre
vielleicht nicht dein Weg, aber vielleicht ist es der Weg dieser Person.
Aber ich sehe trotzdem, was du meinst.
00:59:52.200
Raul Krauthausen: Ja, aber diese Berufung, das ist ja ein Wechselspiel.
00:59:54.760
Leon Windscheid: Total, absolut.
00:59:55.760
Raul Krauthausen: Berufen, sich fühlen und dann aber auch gefragt werden,
Stern TV steht vor der Tür.
00:59:59.680
Leon Windscheid: Absolut, also das vollkommen und ich finde auch, ich
will da nicht aus der Verantwortung, sondern lieber noch mehr rein. Ich
habe das für mich auch an vielen Stellen so, dass ich dachte, hier muss
man vielleicht auch eine Person vor sich selber schützen, weil sie nicht
medienerfahren ist, weil sie vielleicht nicht weiß, was sie erzählen soll,
aber ich weiß nicht, wie deine Bewertung der Folgen ist, die wir
aufgenommen haben. Meine war, dass auch die großartige Redaktion und
der großartige Schnitt und ich zumindest in den Gesprächen, als ich
versucht habe, das mitzudenken und dann, das weiß man natürlich nicht,
weil man es in dem Podcast nicht hört, gab es bei mir in fast allen Fällen,
also in seltenen Fällen mal nicht. Ich glaube beim Anwalt von Beate
Zschelpe zum Beispiel nicht, aber bei vor allem Menschen, die eben ihre
persönliche Geschichte erzählen und medien unerfahren sind, habe ich mir
von meinem lieben Freund Matze Hilscher die tolle Idee abgehört,
abgeguckt, eine 24-Stunden-Garantie zu geben. Das heißt, ich habe den
Leuten immer gesagt, pass mal auf, du erzählst hier deine Geschichte und
ich höre vor allem zu. Das heißt, wenn es einen Punkt gibt, wo du sagst,
darüber haben wir noch nicht gesprochen, das möchtest du noch erzählen,
immer gerne. Wenn du sagst, da habe ich was gesagt, das passt mir so
nicht, dann schneiden wir das raus. Wenn du sagst, da habe ich mich
verhaspelt, das will ich lieber nochmal anders sagen, dann auch. Und
wenn du heute Abend, und jetzt kommt die 24-Stunden-Regel, irgendwie im
Bett liegst und merkst, da war eine Stelle, da habe ich was über meine
Familie erzählt, das will ich nicht, dass das öffentlich ist, dann schreibst
du uns innerhalb von 24 Stunden, wir nehmen das raus. Das ist auch selten
passiert, aber es ist mal passiert. Und das war für mich so, dass man
natürlich eine Verantwortung hat und dass man natürlich einen Weg
finden muss, um diese Gespräche gut zu führen. Aber ich erinnere mich30
zum Beispiel auch an eine Szene, Fadumo Korn, eine ganz inspirierende
Frau, die ich in München getroffen habe, die hat Genitalverstümmelung
als Kind in Afrika in so einem Familienkontext erlebt, wo ich wirklich
dachte, oh mein Gott, und ist das furchtbar. Und ich habe dann auch
gesagt, hallo alle, die ihr zuhört, das was wir jetzt hören, ist ganz heftig,
weil sie das tatsächlich beschrieben hat. Sie hat das auch sehr detailliert
beschrieben. Und natürlich könnte ich jetzt sagen, mit ihr hätte ich auch
über sowas wie KI oder Social Media oder ihren sonstigen Job sprechen
können, aber sie ist zum Beispiel die Vorsitzende, meine ich, von einem,
also sie ist auf jeden Fall aktiv in einem Verein, der sich dagegen stark
macht. Und dann ist sie natürlich in diesem Gespräch in dieser, in ihrer
Rolle zu diesem Thema da gewesen. Und sie ist dann natürlich auch
01:02:22.960
Raul Krauthausen: als Expertin
01:02:22.960
Leon Windscheid: als Expertin, andere Position als du, weil sie nicht als
Person in der Öffentlichkeit steht. Und das was und wie sie das erzählt hat,
da musste man so schlucken und das war so heftig. Aber das war eine
Geschichte, wo ich dachte, wenn da Menschen durchgehen und das
erleben, wäre ich jetzt zu sagen, da mache ich die Augen vor zu. Ich muss
mir ja die Folge nicht anhören. Ich denke auch an sowas wie all das Leid,
was ich von Eva Seppeschi oder Margot Friedländer aus dem
Konzentrationslagern gehört habe, was die da beschreiben. Das ist
vielleicht noch ein besseres Beispiel. Da zu sagen, das hätte jetzt was
voyeuristisches oder das wäre jetzt was von, ich entscheide für irgendwen,
dass dieses Leid jetzt öffentlich wird. Ne, das sehe ich sogar ganz anders.
Das ist für mich eher ein Punkt, wo ich sage, ich finde das wichtig, dass
jemand wie ich, der mit ganz wenig Leid oder ganz ohne Leid
aufgewachsen ist, total privilegiert, sich solchen Themen stellt.
01:03:16.200
Raul Krauthausen: Ja, vielleicht muss man da noch mal unterscheiden
zwischen Experten. Also ich würde mal sagen, Margot Friedländer ist jetzt
nicht nur, sagen wir mal, Betroffene, sondern weil sie so viel darüber
geredet hat und weil sie auch eine historische Figur ist, auch eine Expertin
auf dem Gebiet. Es gibt wahrscheinlich keinen da draußen, der mehr weiß
als sie oder sehr wenige Leute, die mehr wissen oder genauso viel wissen
wie sie. Es ist eigentlich, würde ich hier schon auch eine Expertin den
Status geben wollen und dann tut sie das in eigener Verantwortung. Aber
nach drei Wochen ist man noch kein Experte.31
01:03:47.320
Leon Windscheid: Ja, das kann ich mir vorstellen.
01:03:47.320
Raul Krauthausen: Also ich beziehe das jetzt gar nicht so sehr auf deinen
Podcast. Es gibt ja sehr viele Programthemen und YouTuber*innen, auch
mit Behinderung übrigens, grüße gehen raus an Leroy, wo ich auch
manchmal denke, ja das ist extrem, wo ich mich frage, weißt du was du da
gerade tust?
01:04:05.040
Leon Windscheid: Absolut, also total.
01:04:05.040
Raul Krauthausen: Das finde ich schwierig.
01:04:05.040
Leon Windscheid: Ja, völlig bin ich komplett bei dir und deswegen bin ich
eher froh und dankbar, dass mal so eine Frage kommt, weil ich merke
auch für mich, das ist was wo man finde ich sehr reflektieren muss, wo
man einen hohen Gewissenhaftigkeitsanspruch machen an sich haben
sollte. Da dürfen Fehler passieren, weil es passieren überall Fehler und
die Frage ist für mich dann eher, wie geht man im nächsten Schritt damit
um? Ich hoffe, dass mir da nicht so viele Fehler passiert sind bzw. dass ich
im Laufe dieses Podcasts für mich so gemerkt habe, dass und wie wir das
machen, das funktioniert. Also vielleicht noch ein Beispiel war eine junge
Rechte, Naomi Seib, die war damals, als ich sie getroffen habe, ich würde
vermuten 18, vielleicht ein bisschen älter und ich habe sie auch in ihrem
anförstlichen Kinderzimmer, also in dem Elternhaus getroffen. Das war
alles auch noch so ganz jugendlich und jung und die hat die krudesten
Verschwörungstheorien und die furchtbarsten rechten Thesen so auch zum
Teil gehabt und das war zum Beispiel etwas, wo ich wusste, das ist aber
jetzt hier kein YouTube Video, wo ich einfach jemanden erzählen lasse und
dem unreflektiert und unkommentiert eine Bühne gebe, sondern im
Gegenteil, es ist ein Psychologie-Podcast, wo jetzt in der Folge zum
Beispiel es immer wieder Unterbrechungen gab. Einmal, weil ich sie in
dem Gespräch unterbrochen habe und gesagt habe, guck mal, genau das,
was du machst, ist jetzt abweichen von meiner eigentlichen Frage, jetzt
fällst du wieder an die alten Muster, also ich habe versucht, die Methoden
aufzudecken, mit denen junge Rechte und auch rechte Influencer arbeiten
und wir haben durch Metaebenen, also das heißt, dass das Gespräch
unterbrochen wird, wo nochmal eingeordnet wird, genau diesen Punkten32
einen Rahmen gegeben. So und jetzt kann man sich streiten, wie gut das
gelungen ist oder nicht, aber ich denke, dachte dabei, weil mir das viele
Leute nachher geschrieben haben und es war für mich auch selber die
Erfahrung, schau mal, ich habe besser verstanden, wie die Mechanismen
der neuen Rechten sind. So und natürlich hätte ich vielleicht noch besser
verstehen können und vielleicht hätte ich noch an der einen Stelle noch mal
kritischer dagegen gehen müssen, aber journalistisch kritische Gespräche
zu führen, das finde ich ganz wichtig, dass es sowas gibt.
01:06:11.400
Raul Krauthausen: Wir leben in einer Gesellschaft, das Gefühl habe ich
zumindest gerade, wo die Gleichzeitigkeit der Krisen immer mehr werden.
Ich weiß gar nicht, ob man das objektivieren würde, der Fall ist, aber
medial kriegen wir die ganze Zeit eine Krise nach der anderen mit.
Heizung, Gas, Ukraine, Russland, Israel, Klima, also alles ist gleichzeitig
und in der Zeit verbrauchen wir wahrscheinlich alle unsere Resilienzen,
die wir im Alltag so haben, sodass wir dann privat vielleicht auch immer
dünnhäutiger werden, das nimmt meine Beobachtung an mir selbst und
dann anfangen, so komische Sachen zu machen, auf Social Media dann die
Gegenseite vorverurteilen, weil sie noch nichts gesagt hat. Und dann denke
ich so, warte mal kurz, muss jeder zu allem etwas sagen? Die erste Frage.
Und die zweite Frage ist, wie soll ich sagen, ob dieses Meckern nicht
immer leichter ist als erst mal zuzuhören oder auszuhalten oder was zu tun
und dass wir nur noch einander anschreien auf Social Media und das
verlernt haben, auch in der Meinungsverschiedenheit die Gemeinsamkeit
zu finden?
01:07:26.600
Leon Windscheid: Also der, wir können uns jetzt zig Themen dabei
vorstellen. Für mich ist es oft so mit dem Rückblick, ich nehme jetzt mal
eins raus, und der Corona-Pandemie, dass ich noch genau weiß, was ich,
weil meine Eltern sind über 60 und ich dachte so, wenn denen jetzt was
passiert und die sich anstecken, was natürlich irgendwann passiert ist,
aber am Anfang wusste man ja nicht so genau, und dann Leute sagen, ich
lasse mich aber nicht impfen, weil ich weiß ja nicht, was ist mit dem
Impfstoff und da weiß ich noch genau, wie egoistisch ich das fand und so
dachte, wie du musst dich doch impfen, ich will auch keine Spritze in den
Arm, schon alleine, weil ich keine Spritzen mag und natürlich will ich
auch, wüsste ich auch gerne genauer, was ist in diesem Impfstoff und ich
bin auch jemand, der jetzt nicht gerade Bock auf Medikamente oder sowas
hat, so und ich dachte aber, es ist doch verdammt Bürgerpflicht jetzt zu
sagen, ich muss mich aber impfen lassen, damit die, die vielleicht nicht so33
jung und stark und sonst wie sind, geschützt sind. So und dann gab es
Leute, die haben das nicht gemacht und ich weiß noch, wie heftig die
Konflikte waren und wenn dann so Leute in deinem Freundeskreis da
waren, wie man, wie man sich auch gegenseitig verurteilt hat. Jetzt mit
diesem zeitlichen Abstand merke ich, war man nicht zu harsh, war man
nicht zu harsh und jetzt nehme ich das nächste Thema, bzw. ich gestern
noch abends beim Spazierengehen darüber nachgedacht und ich habe
nicht die, ich habe nicht die Antwort, ich weiß es nicht genau. Was
machen wir mit, was machen wir mit, wenn wir jetzt 20 Prozent potentielle
AfD-Wähler in diesem Land haben, was machen wir jetzt? Wollen wir jetzt
den allen sagen, ihr seid Nazis, ihr seid schlecht, ihr seid falsch, mit euch
rede ich nicht. Also es ist wahrscheinlich bei den meisten so, dass man
irgendwie in seinem Umfeld hoffentlich weniger, aber vielleicht doch
irgendwie diesen rechten Onkel hat und für mich gibt es keine
Entschuldigung zu sagen, ich wähle eine rechtsradikale Partei. Für mich
gibt es keine Entschuldigung für Antisemitismus, für mich gibt es keine
Rechtfertigung, Menschen fertig zu machen, für mich gibt es keine
Erklärung dafür, dass du sagst, wir müssen auf Menschen auf der Flucht
an einer Grenze schießen. Für mich gibt es nichts, was dieses Ressentiment
schüren und all das, was die AfD furchtbares macht, irgendwie schön
macht oder wo man sagen würde, das hat ja auch was Gutes, um Gottes
Willen ist das furchtbar, ist das dreckig, ist das mies. Und jetzt kommt kein
Aber, sondern eher so die Frage, was machen wir trotzdem, wenn so viele
Menschen sagen, daran zieht mich etwas an oder ich gucke da nicht
kritisch drauf und ich denke dann an einen Neonazi-Aussteiger, den ich
mal interviewt habe vor längerer Zeit und der sagte, als Jugendlicher ist er
da reingekommen und dann war er da drin und dann war das so dieses,
das gibt mir jetzt ein Identitätsgefühl und das gibt mir Stärke und wir
gegen die, es gibt ja kaum etwas, was Menschen mehr Identität gibt als das
Gefühl, ich bin hier die eine Gruppe und da drüben stehen die bösen
anderen, so wo ich das Gefühl habe, dass mit so was arbeitet die AfD ganz,
ganz bewusst und es ist so furchtbar, was passiert. So und der sagte mir,
was mich rausgeholt hat, war, dass mir eine Hand ausgestreckt wurde. Ich
weiß nicht mehr, ob das ein Jugendarbeiter war, ich meine aber schon, er
ist in so ein Aussteigerprogramm gegangen, wo dann wahrscheinlich auch
irgendwann ein Sozialarbeiter sitzt, wie du bei der Telefonseelsorge saßt
und zugehört hat, irgendwie gesagt hat, hier ist die Tür nicht zu, trotz allen
Fehlern, trotz all dem Mist, trotz all der Ideologie, die du mit verbockt
hast, hier ist noch eine Hand ausgestreckt und jetzt, weil Margot
Friedländer für mich eine Frau ist, die mich nicht nur inspiriert hat wie
kaum eine andere, sondern wo ich wirklich denke, deren Lebensweisheit34
Wahnsinn, ich habe bei mir, bei der Tournee am Ende eine Zugabe, wo es
darum geht, genau das, was du gerade angesprochen hast, was machen
wir jetzt in dieser Welt und dieser Situation und gibt es eigentlich einen
Grund für Hoffnung und dann sage ich, das will nicht ich euch
beantworten, sondern Margot und Margot kommt schon vorher in dem
ganzen vor, weil ich auch über diese Situation spreche, was das psychisch
bedeutet, untertauchen zu müssen, in einem Land, wo dich alle ablehnen
und was die alles an Resilienz aufgebaut hat, also es ist ja total
inspirierend, deren Geschichte und dann ganz zum Schluss spiele ich das
Video ein von unserem Gespräch und dann guckt sie in die Kamera und
sagt, das was war, war, aber es darf nie wieder sein und ihr müsst dafür
sorgen, dass es nie wieder geschieht, denn ich will nicht, dass einer von
euch das erleben muss, was wir erleben mussten und trotzdem glaube ich,
dass in jedem Menschen etwas, irgendetwas Gutes ist und da kriege ich
immer wieder Gänsehaut, wenn die das sagt und dann denke ich jetzt von
außen zu sagen, das spreche ich jetzt jemandem, der rechts wählt oder der
sich falsch verhält in unserer Gesellschaft ab, wo kommen wir hin und
deswegen ist vielmehr für mich so mittlerweile die Frage, ohne dass ich
sage, das ist vielleicht die perfekte Antwort, ich habe da auch ganz viel
hadern mit mir, weil ich natürlich auch sage, wir müssen alles tun, um uns
gegen die AfD, um uns gegen Antisemitismus, gegen Ausländerfeindlichkeit
in diesem Land zu wehren und sei so wehrhaft, wie du nur kannst, aber
gleichzeitig habe ich den Eindruck, ich muss den Menschen, die sagen,
jetzt wähle ich AfD, eine Hand ausstrecken, um zu sagen, ihr könnt da
auch wieder weg zu uns kommen, kannst du was mit tun, also was sagst
du?
01:12:23.600
Raul Krauthausen: Ja total spannend, ich bin jetzt in den letzten Wochen auf
einen Podcast gestoßen vom Schweizer Fernsehen „Sternstunde
Philosophie“, den kennt ihr wahrscheinlich auch, und da war zu Gast der
Philosoph Omri Böhm und Omri Böhm hat ein Buch geschrieben, das heißt
„Radikaler Universalismus“ und das ist quasi sein Gegenmodell oder
Gegenvorschlag zu dieser ganzen Identitätsentwicklung. Was gerade
passiert weltweit in allen Ländern, in allen Gruppierungen, dass wir uns
über Identitäten definieren und du bist dann irgendwann nicht behindert
genug, nicht schwarz genug, nicht feminist genug oder was auch immer,
um mitsprechen zu können und wir zerklüften unsere Gesellschaft in immer
kleinere Einheiten und das ist irgendwann ein Problem, weil wir dadurch
den Dialog miteinander verlieren und das hat angefangen wahrscheinlich
links rechts, man hört sich einfach nicht mehr zu, diese Lager sind so weit35
auseinander, dass auch gar kein Interesse mehr aneinander besteht und
was wir jetzt machen, um uns selbstwirksam zu fühlen als Menschen der
linken oder der rechten Seite, ist, dass wir anfangen Leute in den eigenen
Reihen zu bearbeiten, weil wir die noch umdrehen können, auf unser Lager
ziehen oder nicht und das ist insofern gefährlich, weil das eben diese
Zerkrüftung der Gesellschaft bedeutet und Omri Böhm sagt, es gibt aber
eben trotzdem noch den gemeinsamen Nenner, also sowas wie es ist egal,
ob das jetzt zum Beispiel Israel, Palästina, da sagt er das Beispiel, ein
Babyleben ist gleich viel wert, egal ob es ein palästinenses Baby oder ein
israelisches Baby ist und wenn wir uns darauf nicht mehr einigen können,
dann haben wir auch die Hoffnung verloren eigentlich und wir müssten
wieder an diesen Punkt kommen, der des Universalismus, worauf können
wir uns alle wieder verständigen und das toleriert nicht, dass man Rechten
immer zuhören muss und dass man sie alles sagen lassen darf, sondern
einfach zu sagen, aber du hast doch auch Eltern, die du liebst oder deine
Sorge ist doch eigentlich auch, dass du dir deinen Wohnraum nicht leisten
kannst. Sind es wirklich die Menschen, die Flucht suchen, die das Problem
machen oder werden wir instrumentalisiert einander zu hassen, von
welcher Seite auch immer und das fand ich total interessant, da glaube ich,
würde ich vielmehr noch mal auch journalistisch und auch politisch drüber
nachdenken lassen wollen, mein Appell an alle da draußen, was für
Antworten entwickeln wir eigentlich, wenn, wie du sagst, 20 Prozent der
Gesellschaft AfD wählen würden. Was machen denn 20 Prozent dann im
Land, im Bundestag oder Landtag sitzen? Wir müssen damit umgehen und
das heißt nicht, dass wir es akzeptieren müssen, es sei jetzt einfach nur,
dass wir trotzdem noch irgendwie miteinander Bus fahren können sollten,
ohne dass wir alle einander verprügeln jeden fünften.
01:15:16.960
Leon Windscheid: Ja und das heißt ja trotzdem auch nicht, das fand ich
gut, dass du es noch dazu gesagt hast, dass ich nicht, dass ich dagegen
nicht kämpfe, dass ich mich dagegen nicht wehre. Es gab vorhin Frank-
Walter Steinmeier vor einiger Zeit die Aussage, es reicht nicht, ich kriegs
nicht mehr hin, das war so was mit, dass es nicht reicht, dass du jetzt sagst,
ich bin irgendwie ein, ich bin demokratisch oder so was, sondern das ist,
du musst anti-demokratisch sein. Weißt du, also wenn jemand
antidemokratisch ist, dann musst du dich auch gegen den wehren, das
reicht nicht, dass du einfach nur sagst, ich bin demokratisch oder ich bin
hier irgendwie der Gute und das ist für mich ein ganz…36
01:15:51.640
Raul Krauthausen: Also Toleranz gegenüber der Intoleranz ist ganz
schwierig.
01:15:56.640
Leon Windscheid: Ja genau, das ist ein riesen schwieriges Thema und ja
auch ein riesen philosophisches Fass und trotzdem bin ich halt der
Meinung, in allem, wie ich mich dann auch vor allem strukturen wie so
eine Partei, die eine Struktur darstellt, wäre und darauf hinweise, dass das
nicht geht und versuche denen keine Blühne zu geben und nicht allem
zuzuhören und das vor allem nicht einfach stehen zu lassen, so sehr
befürchte ich, dass wir, auch wenn es unglaublich schwer fällt, dann
immer wieder auch unterscheiden müssen, da gibt es Menschen und das ist
ja ein riesen Thema auch in der Psychologie, es gibt Menschen, die haben
Taten begangen, die haben Fehler gemacht und trotzdem dieser Versuch,
den Mensch von dem, was er da tut oder macht, zu trennen und zu
betrachten, es ist trotzdem noch ein Mensch, es war trotzdem mal ein Baby
und warum sollte jetzt dieser Mensch nicht auch als Leben, als Lebewesen
einen Wert haben, dem ich sage, ich schlage dich eben nicht im Bus
zusammen, weil du AfD gewählt hast. So und das ist, ja das, also noch mal,
ich habe da überhaupt nicht die Antwort, für mich auch noch nicht
gefunden, aber früher war es in meinem Kopf, dass ich so dachte, wenn es
hier mal einen AfD-Kanzler gäbe, ich würde auswandern und mittlerweile
merke ich, das hat sich total gewandelt, mittlerweile habe ich so viel
Respekt, auch nachdem ich mich mit der weißen Rose und den
Geschwistern Scholl auseinandergesetzt habe, so ein Stück weit und man
auch, das fand ich eine super spannende Untersuchung, das habe ich mal
bei, ich glaube, „Es wäre zwei Wissen“ im Podcast gehört, wo so vom
Rheinland erzählt wurde, wie es neben diesen großen Heldinnen und
Helden, die sich gegen den Nationalsozialismus gewehrt haben, auch ganz
viel kleine Hilfe gab von, wir verstecken jemanden, was ja schon eine
Lebensgefahr bedeutet, aber auch so was wie, wir besorgen dir was zu
essen, wir gucken, dass es dir irgendwie besser geht als Verfolgter in
Deutschland, das fand ich so mutmachend und das fand ich so wichtig und
stark und ich saß letztens mit einer jüdischen Familie, mit der ich Freunde
bekannt bin, zusammen am Tisch und die erzählten so, naja, Leon, wirst du
das so vorstellen, na kommt dann einer rein und der, so ein Handwerker
von mir aus und der haut dann so als Beispiel raus, ja, Mark Zuckerberg
und so, das ist ja alles Rotschild und Social Media, das ist alles hier eine
Judengeschichte oder sowas und dann meinen die, sie wissen schon, dass
das eine antisemitische Verschwörungstheorie ist und dann sagt so37
jemand, ja aber das stimmt doch, das wird man ja noch sagen dürfen und
das Spannende war und diesen Satz werde ich nie vergessen, meinten dann
zu mir, das ist schlimm, was der da macht, dieser Handwerker, aber
eigentlich noch schlimmer ist, wenn ihr drumherum steht und nichts
dagegen sagt.
01:18:14.920
Raul Krauthausen: Aber dagegen sagen, das ist genau der Punkt, auf den
ich bei den hinaus wollte, dagegen sagen, heißt halt dich, dass es reicht auf
Social Media einen Post zu machen.
01:18:20.880
Leon Windscheid: Richtig, richtig.
01:18:25.320
Raul Krauthausen: Und das ist aber auch die Leute, die setzen alle anderen
unter Druck, schreibt auch immer was auf Social Media, bist du pro oder
gegen Palästina oder Israel und dann bist du in einem
Rechtfertigungszwang, in dem du vielleicht selber noch gar nicht erstens
gedanklich angekommen bist, was deine Haltung zu der Sache ist oder sie
vielleicht auch nobody cares, weil die Komplexität so groß ist und du nur
privat gucken kannst und was auch nicht deine Verantwortung ist, die Welt
aufzuklären, aber privat gucken kannst, wenn du unrecht siehst und da
glaube ich können wir alle viel voneinander, müssen wir viel mehr lernen
auch, wenn ich unrecht sehe, wie gehe ich am besten damit um, anstatt zu
schweigen.
01:19:03.960
Leon Windscheid: Ich finde es auch immer sehr leicht mit dem Finger auf
andere zu zeigen, aber ich merke für mich, ich muss mir gegenüber klar
haben, ich bin in einer sexistischen, an vielen Stellen antisemitischen,
rassistischen, homophoben Gesellschaft aufgewachsen. So und dass ich
irgendwie mal als ich 16 war, sag ich dir ganz ehrlich, dass du dieses Wort
so „boah behindert“, boah ist das behindert, das hast du ja schon 1000 mal
gehört, dass das so als sowas wie so ein Schimpfwort halt ist oder auch
gay. Was haben wir immer so auf dem Schulhof, boah ist das gay und so.
Was schäme ich mich da heute für und das ist nur ein Beispiel, irgendwie
eine Jungsgruppe, wo du dann einen sexistischen Spruch raushaust
überhaupt, was man auch zum Teil für den Menschen und vielleicht auch
Frauenbild mit dem man sozialisiert wurde, gegen das man sich dann
wehren muss. Und da finde ich einfach, sich also anzuerkennen, hey auch
in deinem Kopf wird es bestimmt viele antisemitische Vorurteile geben, in
deinem Kopf gibt es vielleicht auch eine Homophobie, vielleicht eine38
Transphobie, such dir was aus und wisse, dass das da ist und dass das ein
Akt ist, sich dagegen zu wehren, aber zu sagen, das mache ich jetzt nicht
und ich lasse das jetzt so, damit täte ich mich dann wirklich schwer.
01:20:04.760
Raul Krauthausen: Aber das finde ich, ich erwarte da jetzt keinen Mitleid,
aber wir Männer haben es auch nicht gelernt. Wenn wir auf Sexismus
angesprochen werden, den wir verbreitet haben, den wir unterstützt haben,
den wir still hingenommen haben, ich habe es zumindest nicht oder sehr
spät, lerne ich es erst, da die richtige Position einzunehmen, die wirklich
hilft und nicht zu sagen, ja stelle ich mich nicht so an oder ich habe das
aber anders gehört oder so. Das ist der Aufzug, die wir tun, weil wir auch
nicht derjenige sein wollten, aber trotzdem war es falsch.
01:20:40.440
Leon Windscheid: Total und da würde ich mir zum Beispiel wünschen,
dass wir anerkennen, es gibt ein unglaublich vergiftetes Männlichkeitsbild
in unserer Gesellschaft, sei hart, sei stark, die Frau untergeordnet und da
können wir jetzt sagen, es stimmt doch gar nicht, doch wir sehen das in
großen Studien, dass das immer noch in ganz ganz vielen Köpfen
vorherrscht, auch wenn junge Männer da ausgeglichener werden und
sagen, Mann und Frau sind gleich und gleichgestellt nach dem Motto, gibt
es auch da eine Polarisierung und wenn ich an all diese Andrew Tates und
diese furchtbaren toxisch männlichen Bilder, wo du denkst, wie wir das
liken, Teenies auf TikTok, so das machst du ja fertig, so sehr denke ich mir
dann, ja wir Männer können da uns an vielen Stellen beklagen, aber
eigentlich müssen wir uns erstmal bewusst machen, wir sind
verantwortlich dafür, zumindest sehr maßgeblich und der nächste Punkt ist
jetzt und das fällt mir oft zu sehr vom Tisch, wenn es um sowas geht, wie
Psychotherapien in Anspruch nehmen. Wir haben es ja heute viel gemacht,
über Gefühle reden, Schwäche zeigen dürfen, auch sich um die Familie
vielleicht auch kümmern wollen, dass all das Sachen sind, die nicht dem
männlichen Stereotyp entsprechen und dass wir dann denken, das wäre
unser Rollenverständnis, das ist ein Punkt, wo diese toxische Männlichkeit
mal als allererster Stelle von uns Männern kommt und bestimmt zuerst den
Nicht-Männern auf diesem Planeten schadet, aber sie schadet auch uns
Männern und wenn das jetzt einer ändern kann, dann ja wohl wir Männer.39
01:22:04.080
Raul Krauthausen: Aber wenn wir im Bereich Sexismus schon es nicht
können, dann…
01:22:09.320
Leon Windscheid: Das lass ich so nicht stehen, wieso können wir es nicht?
Wir haben es vielleicht nicht gelernt, aber wir haben vieles nicht gelernt.
01:22:17.240
Raul Krauthausen: Genau, wenn wir es nicht gelernt haben, dann zeigt das
ja, wie weit der Weg noch ist. Antisemitismus, Antirassismus,
Antiableismus und was auch immer. Das soll keine Entschuldigung sein,
aber ich finde das so krass und wir schreien uns gerade einfach nur noch
an. Jetzt habe ich ein Dilemma. Wir reden schon sehr lange, ich habe noch
so viele Fragen.
01:22:41.680
Leon Windscheid: Wie lange haben denn ? Oh ja.
01:22:41.680
Raul Krauthausen: Ich habe da so viele Fragen. Aber eine Frage, ich
versuche die mal zu kombinieren. Ich habe auch gleichzeitig das Gefühl, in
dieser Social Media Welt werfen wir inzwischen auch mit Begriffen um
uns, sowas wie toxisch, nazistisch, trigger, wo wir Begriffe aus der
Psychologie benutzen, aber ihren Wert und ihre wahre Bedeutung oft gar
nicht verstehen. Es gibt ja auch, das hast du selber mal gesagt, dass du
auch zum Beispiel ein Problem hast, das Wort Triggerwarnung so oft zu
gebrauchen oder dass es auch problematisch sein kann. Und ich habe ein
Problem damit, wenn plötzlich alles Narzisten sind.
01:23:23.160
Leon Windscheid: Ja.
01:23:23.160
Raul Krauthausen: Weil wenn man…
01:23:25.520
Leon Windscheid: Vor allem alle anderen.
01:23:25.520
Raul Krauthausen: Genau und das ist total interessant, weil ich habe ja mal
gegoogelt, mir wurde öfter vorgeworfen, ich wäre ein Narzisst und habe
mich damit auseinandergesetzt und habe dann gegoogelt, was heißt denn
das und dann das… Ich habe mich wirklich getroffen gefühlt.40
01:23:39.480
Leon Windscheid: Ja.
01:23:39.480
Raul Krauthausen: Und ein Narzisten zeichnet aus, dass er das nicht sieht.
Und dann habe ich danach gegoogelt, wie, was kann ein Narzisst machen,
wenn er kein Narzisst sein will. Und es gibt nur Ratgeber für Menschen,
die mit Narzisten zu tun haben. Aber es gibt keinen Ratgeber, Hilfe ich bin
ein Narzisst. Es ist mir zu einfach, wenn dann die Antwort der Leute ist,
naja Narzisten erkennen das ja nicht an. Versteht ihr was ich meine?
01:24:03.400
Leon Windscheid: Ja, das ist aber… Da muss ich jetzt einmal sagen, das
ist immer schwierig, weil bitte versteht das jetzt nicht falsch.
01:24:07.960
Raul Krauthausen: Nee, sag mal.
01:24:07.960
Leon Windscheid: Ich sage dann immer, ja die Wissenschaft sagt aber was
anderes und wir reden ja aber hier in der Diskussion. Und da habe ich
jetzt nicht den Anspruch darauf, dass man dann die Wahrheit gepachtet
hat, nur weil man jetzt eine Studie dazu kennt. Ich kenne aber einige
Wissenschafts- und Thema Narzissmus und ein ganz wichtiger Punkt ist,
dass der eben an verstehen kürzeste Narzisstest funktioniert so. Ein
Narzissmus ist total an sich selber verliebt und findet sich überragend geil
und klasse und toll und das schon wirklich in einem Ausmaße, was
eigentlich zu viel ist. Und wenn man jetzt Menschen fragt, bist du ein
Narzisst und ich habe dir diese kurze Beschreibung gegeben, Menschen die
in sehr großen narzisstischen Persönlichkeitstests dann hohe Wert hätten,
die würden auf diese Frage eher mit Ja antworten. Also ich würde dir
widersprechen, tatsächlich scheint es so zu sein, dass die Narzisten sagen,
ich bin so geil, wenn du mir jetzt sagst, so sind Narzisten, jo so bin ich
auch, die geben das in Anführungsstrichen zu. Es mag sein, dass ich das
manchmal nicht erkenne und jetzt ein ganz spannender Punkt, was auch
diese Begrifflichkeiten aufmacht, wir müssen ja unterscheiden zwischen
Narzisstisch sein und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, genauso
wie wir unterscheiden müssen zwischen du bist mal traurig und
niedergeschlagen, aber drum ja noch nicht depressiv. Und das ist etwas,
was für mich das Problem mit diesen Begriffen ist. Wir benutzen die dann
und ganz ehrlich, dass man mal einen Begriff benutzt wie, hey du bist ein
Arschloch und in Wirklichkeit bist du kein Arschloch, sondern hast ein41
Arschloch, das ist ja auch so was, wo man sich jetzt streiten könnte, ist das
eigentlich ein korrektes Wort, weil das ist ja fachlich jetzt falsch benutzt,
könnte jetzt ein Mediziner sagen. So, aber bei so was wie narzisstisch oder
auch Trigger, ja bedienen wir uns zunehmend aus so einem
psychologischen Repertoire und dann nennen wir alle Narzisten und das
ist direkt ja auch was sehr Vorwurfsvolles, wo man aber sagen müsste,
naja, wenn man es jetzt genau betrachtet, wäre jemand mit einer
narzisstischen Persönlichkeitsstörung einfach jemand, der besonders stark
diese narzisstischen Züge hat, dass die alle Menschen von bis haben, also
manche haben es mehr, manche haben es weniger, das wird dann
unterschlagen und es wird noch unterschlagen, dass jemand, der das dann
tatsächlich hat, dass der ja leidet, dass der im Zweifel ein Störungsbild
erfüllt und selbst wenn ihm, das ist jetzt der Punkt, dieses Leid vielleicht
gar nicht so bewusst ist, das hört man dann nämlich eher, dass das etwas
ist, wo man jetzt sagen müsste, hey, dafür bemitleide ich dich und da mach
ich mich jetzt nicht noch darüber lustig oder benutze das als als
diffamierendes Wort gegenüber Raul, also ich nämlich jetzt gar nicht so
wahr, aber wir kennen uns dafür vielleicht nicht gut genug, um damit ich
das jetzt beurteilen könnte von außen, da bin ich immer kein Freund von,
aber du kommst mir jetzt gar nicht so vor, wenn ich dann an die
Beschreibung denke, die man so von Narzisten aus der Forschungsliteratur
hat, dann würde ich jetzt einfach mal unterstellen, da kommst du mir
meilenweit entfernt von vor, gut und Trigger ist noch so ein Beispiel, ja,
gibt viele solche Begriffe, Triggerwarnung, die spannendste Untersuchung,
die ich dazu kenne, die ist relativ neu und es ist ja erstmal eine schöne Idee
zu sagen, da ist jemand, der hat was Schlimmes erlebt, der wurde als Kind
entführt oder weiß ich nicht, der hat eine Gewalterfahrung gemacht und
jetzt muss ich vor den Instagram Feed, bevor das Video kommt, wo Gewalt
gezeigt wird, vielleicht aus Israel, da muss ich eine Triggerwarnung
machen, weil jemand, der schon irgendwie vorbelastet ist, der
traumatisiert ist, den könnte das ja wieder triggern und dann wird die
emotionale Wunde aufgerissen und wer denkt, dass Menschen so fühlen
und du hast ja gesagt, das wäre die letzte Frage, vielleicht schließt sich
dann schön der Kreis zum Anfang, der hat das Fühlen nicht verstanden,
denn wir haben die Betroffenen immer wieder gesagt, was uns wirklich
triggert, das sind absolute Kleinigkeiten, das kann der Geruch von einem
bestimmten Parfüm sein, das rote Auto von einer bestimmten Marke oder
eine Melodie, die Idee, dass wir keine Gewalt sehen können, weil wir mal
Gewalt erlebt haben, das ist einfach Quatsch und das zeigt die Forschung
auch und jetzt kommt diese Studie, die halt zeigt, dass man im Zweifel
sogar den Menschen eher schadet, weil und das hattest du eben auch mal42
angerissen, wenn immer so meine Message ist, oh Vorsicht, da drüben
kommt so ein armer Traumatisierter, den müssen wir jetzt aber in Watte
wickeln, den können wir ja gar nicht durchs Leben gehen lassen, der
braucht Triggerwarnung, für den machen wir das, Mensch sind wir alle
nett, Mensch sind wir toll und der ist ja so schwach und schlecht, dann ist
die Botschaft, ja ey, du hast gar keine Chance, dich von deinem Trauma
mal zu lösen und diese neuere Studie zeigt jetzt eben, dass das im Zweifel
die Heilungschancen sogar bremsen könnte, weshalb die große
amerikanische Psychologieorganisation APA sagt, bitte Vorsicht mit
Triggerwarnung und ich mache überhaupt keine mehr, ich will auch nicht
morgens beim Instagram scrollen, plötzlich ein krasses Gewaltvideo sehen
und ich will auch nicht in einem Podcast irgendwie eine Szene rein
stolpern, wo ich plötzlich was höre, wo ich jetzt gerade gar nicht darauf
vorbereitet bin, aber das kann man ja, indem man sagt, hey in einem True
Crime Podcast geht es um Mord und Totschlag, erstmal wissen und bei in
Extremköpfen, sag ich auch vorher, kommt jetzt gleich eine Geschichte, die
ist echt, die ist vielleicht auch brutal und krass und dann ist das aber
erledigt, wenn ich das als Triggerwarnung verpacke, dann mache ich mich
zu so einem ganz tollen, der an alle armen Befindlichkeiten gedacht hat
und die um die es mir eigentlich gehen müsste, denen schade ich im
Zweifel und das ist für mich auch so ein bisschen…
01:28:47.480
Raul Krauthausen: Das hat was Bevormundendes.
01:28:48.480
Leon Windscheid: Das hat was Bevormundendes und das ist so ein
bisschen der Zustand unserer Welt, ich weiß besser was für dich gut ist als
du und ich muss es hier irgendwelchen gesellschaftlichen Konventionen
gerecht machen, deswegen packe ich mal lieber eine Triggerwarnung
davor, da kann mir keiner vor, das ist einfach Bullshit.
01:29:01.840
Raul Krauthausen: Wow, ja das ist wirklich eine gute letzte Frage gewesen,
aber wenn ich immer eine andere letzte Frage habe an alle Gäste…
01:29:08.440
Leon Windscheid: Achso, ja nee, dann war es die vorletzte.
01:29:11.560
Raul Krauthausen: Okay, also ich habe eigentlich noch zwei Fragen.43
01:29:13.880
Leon Windscheid: Also ich würde eh hier noch bleiben, aber du hast, ich
verstehe die Folgen, da muss man ja auch mal ein bisschen Rahmen haben.
01:29:18.600
Raul Krauthausen: Ja, du kennst das ja wahrscheinlich auch.
01:29:20.200
Leon Windscheid: Ich kenne das gut.
01:29:21.200
Raul Krauthausen: Wir können das ja in eine zweite Folge anschließen. Ich
habe einen Gedanken noch, den ich gerne mit dir teilen wollen würde und
zwar jeden
Podcast fange ich eigentlich mit der Frage an, gab es schon mal einen
extremen Moment in einem Aufzug, wovon du erzählen würdest?
01:29:35.880
Leon Windscheid: Ich war, ich hoffe das gilt jetzt als solches, im ältesten
existierenden Holzaufzug, ich glaube der Welt oder auf jeden Fall
Europas. Ich habe letztens für Terra X in Istanbul gedreht und es war ein
ganz altes Hotel, wo schon Mustafa Kemal Atatürk irgendwie die
Revolution geplant hatte. Es war sowieso ein ganz besonderer Ort und da
durfte ich in diesem knarzenden, irgendwie ganz unsicher und gleichzeitig
hatte man so einen ehrfuhrtvollen Handwerk in diesem Holzaufzug, so
zwei, drei Etagen mit dem Hoteldirektor rauf und drunter fahren für das
Kamerateam und wir mussten das mehrmals machen, weil für Filme muss
man immer wiederholen und so beim dritten Fahr mal dachte ich,
hoffentlich schafft er noch eine Runde. Das war ein sehr schönes
Aufzugserlebnis, weil es hatte so diese Aufregung, so ein bisschen den
Nervenkitzel, wie bei so einer Achterbahnfahrt und gleichzeitig hat es
dieses historisch erhabene, was Istanbul ausstrahlt und das war da, das
war eine Aufzugsgeschichte, die fällt mir jetzt gerade ein.
01:30:30.400
Raul Krauthausen: Wow, dann können wir alle irgendwie mit Treason 8
mehr mit so super alten Aufzügen unterwegs sind.
01:30:37.440
Leon Windscheid: Total geil. Bist du schon mal Paternoster gefahren?
Also geht das mit dem Rollstuhl?44
01:30:40.440
Raul Krauthausen: Ne, da traue ich mich immer nicht, diesen einen Moment
rein oder raus.
01:30:43.760
Leon Windscheid: Ich auch noch nie.
01:30:44.760
Raul Krauthausen: Ich habe gehört, man ist dann, wenn man einmal rum ist,
eher auf dem Kopf.
01:30:49.760
Leon Windscheid: Das ist so eine Kindheitsvorstellung, wie Paternoster
funktioniert.
01:30:53.520
Raul Krauthausen: Aber jetzt wirklich die allerletzte Frage. Gibt es eine
Organisation, die du kennst, die du unseren Hörer*innen empfehlen
würdest, die man sich mal anschauen kann, die du unterstützenswert
findest?
01:31:07.280
Leon Windscheid: Es gibt sogar zwei, Save My Brain, das ist was aus
Münster, wo ich ja hier auch wohne und die setzen sich ein für Kinder, die
schwere Schädel Hirntraumat haben, also die wirklich so oft bei einem
Unfall zum Beispiel eine starke Kopfschädigung haben und das Spannende
ist jetzt, dass diese Familien oft sehr umfangreich betreut werden müssen,
weil das zum Beispiel zu wirklich drastischen
Persönlichkeitsveränderungen auch bei dem Kind führen kann. Und die
machen Präventionen, wo es um Helm tragen geht, aber eben auch sind
dann da für diese Familien. Das finde ich großartig. Und das zweite ist der
Rote Keil, das ist ein Netzwerk gegen oder für Missbrauchsopfer und mit
denen hatte ich zum Beispiel auch immer wieder bei den Extremköpfen
Folgen zu tun, weil dieses Aufklären und eben den Betroffenen eine Stimme
geben, den zuzuhören und klar zu machen, was die aushalten mussten und
dass man das als Gesellschaft mal versteht, aber machen die sich für stark
und das finde ich einen ganz ganz wertvollen Job. Also die beiden.
01:31:59.200
Raul Krauthausen: Ja, das werden wir auf jeden Fall in den Show Notes hier
verlinken.
01:32:02.360
Leon Windscheid: Danke.45
01:32:03.360
Raul Krauthausen: Ich habe auch gerade mal in den Show Notes Papilio
reingetan.
01:32:05.600
Leon Windscheid: Das ist gut, ich habe mir so viel mitgeschrieben. Ich
habe mir auch das Buch mitgeschrieben, was du gesagt hast, Radikaler
Universalismus.
01:32:11.160
Raul Krauthausen: Genau, von Omri Böhm.
01:32:12.640
Leon Windscheid: Ja.
01:32:13.640
Raul Krauthausen: Und mich würde mich mega freuen, wenn wir vielleicht
in ein paar Monaten wieder eine Fortsetzung machen.
01:32:19.240
Leon Windscheid: Ja, safe. Ey, Raul, auf jeden Fall. Jederzeit. Dann darf
ich dich aber auch einladen, weil ich bin ja auf Tour, wie du weißt, gute
Worte, das passt ja auch zu unserem Gespräch und ich komme auch, du
bist ja in Berlin, ich komme auch nächstes Jahr wieder in die
Columbiahalle, ich komme auch in alle anderen Städte in Deutschland und
ich würde mich sehr sehr freuen, wenn du mal rumkommst und dann
würden wir uns eh endlich mal wieder in echt sehen und wenn du Lust
hast, ich weiß nicht, ob das hier möglich ist, ich würde auch deiner
Community dreimal zwei Karten verlosen. Wer Bock hat, die zu
bekommen, könnte mir einfach eine Mail schicken über
post@leonwindscheid.de und dann schreibt ihr da rein Karten von Raul
und dann würde ich hier deiner Community nochmal dreimal zwei Karten
verlosen, wer Lust hat, mal auf Psychologie live, auf Experimente in einer
großen Halle und eine Show.
01:32:55.440
Raul Krauthausen: Mega cool, vielen vielen Dank.
01:32:56.440
Leon Windscheid: So? Cool.
01:32:58.440
Raul Krauthausen: Ja, das verlosen wir gerne und bleibt mir nur zu sagen,
wenn die Tür jetzt aufgeht vom Aufzug, wo geht es für dich jetzt weiter?46
01:33:04.160
Leon Windscheid: Ich gehe jetzt gleich hoffentlich in Münster wieder eine
Runde um den Asee spazieren, damit mein, wir haben ja gesagt, ins
Handeln kommt mein düsteres Herbstgefühl heute noch eine sonnigere
Wendung kriegt.
01:33:14.480
Raul Krauthausen: Sehr schön, dann hoffen wir, dass die Sonne auch
scheint.
01:33:16.600
Leon Windscheid: Ja, noch nicht, sie muss dann gleich hier hinter dem Zoo
am Asee hervorkommen. Raul, vielen vielen Dank, dass ich hier sein
durfte.
01:33:22.640
Raul Krauthausen: Das hat echt Spaß gemacht, ich habe viel gelernt.
01:33:24.960
Leon Windscheid: Bleib mir gesund und gewogen, ich habe auch ganz viel
aufgeschrieben. Wir hören uns und sehen uns dann hoffentlich nächstes
Jahr.
01:33:29.840
Raul Krauthausen: Sehr gerne, schön, dass du da warst.
01:33:31.720
Leon Windscheid: Tschüss du lieber, bis dann.
01:33:33.240
Raul Krauthausen: Mach’s gut.
01:33:34.240
Raul Krauthausen: Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese
Folge Spaß gemacht hat, bewerte diese Folge bei Apple Podcasts, Spotify
oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, sowie die Menschen,
die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Show Notes.
Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet,
würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-
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Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. Im Aufzug ist
eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal
hier im Aufzug.
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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann
Coverart: Amadeus Fronk