Wie bleibt man menschlich, wenn Politik unmenschlich wird?
Diese Woche spreche ich mit Heidi Reichinnek, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Sie wird gefeiert als Stimme einer neuen linken Generation, im Bundestag gefürchtet für ihre Klarheit. Im Gespräch mit mir ist sie beides zugleich: Direkt und schlagfertig, aber immer freundlich und optimistisch.
Wir sprechen über den Rechtsruck in Deutschland, über Armut, Bürgergeld, die Schuldenbremse und die Frage, warum soziale Sicherheit immer noch verhandelbar scheint. Heidi erklärt mir, was sie meint, wenn sie „radikal“ sagt: Probleme an der Wurzel packen – mit Haltung, aber ohne Hass.
Am Ende wird’s wieder persönlich: von Horrorserien über späte Leseabende mit Daniel Schreiber. Eine Politikerin, die Haltung mit Herz verbindet.
Aufzugtür auf für Heidi Reichinnek!
Heidis Empfehlung: Daniel Schreiber
00:00:04,080 –> 00:00:27,240 [Steady]
Eine neue Fahrt mit Raul im Aufzug wartet auf dich. Und dabei eine spannende Frage: Heißt es eigentlich Aufzug oder Fahrstuhl? Die Begriffe werden oft durcheinander verwendet, aber gibt es eine richtige Bezeichnung? Die Antwort gibt’s am Ende dieser Folge. Jetzt viel Spaß mit Raul im Aufzug, wünscht Schindler.
00:00:27,240 –> 00:01:09,640 [Raúl]
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00:01:09,640 –> 00:01:15,120 [Raúl]
Danke dafür. Und jetzt viel Spaß mit der neuen Folge.
00:01:15,120 –> 00:02:25,480 [Raúl]
Diese Woche spreche ich mit Heidi Reichinnek, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Sie wird gefeiert als Stimme einer neuen linken Generation, im Bundestag gefürchtet für ihre Klarheit. Im Gespräch mit mir ist sie beides zugleich, [Einganggeräusch] direkt und schlagfertig, aber immer freundlich und optimistisch. Wir sprechen über den Rechtsruck in Deutschland, über Armut, Bürgergeld, die Schuldenbremse und die Frage, warum soziale Sicherheit immer noch verhandelbar scheint. Heidi erklärt mir, was sie meint, wenn sie radikal sagt, Probleme an der Wurzel packen, mit Haltung, aber ohne Hass. Am Ende wird’s wieder persönlich. Von Horrorserien über späte Leseabende mit Daniel Schreiber. Eine Politikerin, die Haltung mit Herz verbindet. [Eingangssignal] Aufzug Tür auf für Heidi Reichinnek. Die Tür geht auf und wer kommt rein? Ich muss zugeben, ich habe ’n Fanboy-Moment. Ähm, alle wollen sie haben. Ich freue mich sehr, dass sie vor der Aufzugstür steht. Aufzugtür auf für Heidi Reichinnek.
00:02:25,480 –> 00:02:27,720 [Heidi]
Ja, ich freu mich auch, hier zu sein. Ich hab auch so ’nen Fangirl-Moment.
00:02:27,720 –> 00:02:27,920 [Raúl]
00:02:27,920 –> 00:02:30,340 [Heidi]
Können wir gleich mal gucken, wie das ausgeht. [lacht]
00:02:30,340 –> 00:02:33,960 [Raúl]
Fangen wir doch gleich an. Gab’s schon mal ’nen Awkward Moment für dich in nem Aufzug?
00:02:33,960 –> 00:02:49,769 [Heidi]
Na ja, leider so der Klassiker für einige Abgeordnete, wenn man im Bundestag den Aufzug nimmt, dass man nie weiß, wer da mit einem drinnen steht und dass gerade die Büros, äh, einer rechtsextremen Partei sehr weit oben sind. Das heißt, die fahren häufig Aufzug und, ja, deswegen laufe ich eher Treppe, wenn ich kann im Bundestag.
00:02:49,769 –> 00:02:51,320 [Raúl]
Ist das so? Du meidest den Aufzug?
00:02:51,320 –> 00:03:00,019 [Heidi]
In der Tat, ja. Also, ich bin auch nur im ersten Stock. Das heißt, ich hab auch nicht ganz so viel Treppen zu laufen. Aber weil ich eben nie weiß, wer da drin steht, hab ich da gar nicht so richtig Bock drauf, zumindest im Bundestag.
00:03:00,020 –> 00:03:03,120 [Raúl]
Das ist krass, weil Kevin Kühnert erzählt genau das Gleiche.
00:03:03,120 –> 00:03:12,280 [Heidi]
Ja, wie gesagt, es geht wahrscheinlich vielen Abgeordneten so, dass sie sich denken, nee, außer dem ist ja irgendwie alles, was an sportlicher Bewegung möglich ist, äh, nicht schlecht. Wir sitzen ja sehr viel von daher.
00:03:12,280 –> 00:03:23,340 [Raúl]
Äh, und, und, er meinte auch, dass in diesen Aufzügen dann so ’ne graue Wolke plötzlich auftaucht, wenn man mitkriegt, dass jemand von der AfD dann im Raum ist oder so, dass man das wirklich spürt.
00:03:23,340 –> 00:03:36,320 [Heidi]
Ja, es ist natürlich so, dass man dann irgendwie nichts sagen will. Und ich meine, wenn ich in ’n Aufzug gehe, dann sag ich natürlich Hallo. Aber ich sag zu denen ja nicht mal Hallo, weil, sorry, ist für mich so ’ne Grenze. Aber dadurch, dass es so viele sind und die so viele Mitarbeitende haben, das kannst du dir alles gar nicht merken.
00:03:36,320 –> 00:03:36,799 [Raúl]
Mhm.
00:03:36,800 –> 00:03:56,560 [Heidi]
Und dann steht man da immer und weiß nicht, bin ich jetzt nett oder bin ich’s jetzt nicht? Weil ich mein, ich bin grundsätzlich immer zu allen Menschen erst mal respektvoll und nett, aber wie gesagt, wenn man in ’ner rechtsextremen Partei ist, ist für mich dann irgendwie eine Grenze überschritten. Da muss ich dann auch nicht Hallo sagen. Ähm, und von daher, ja, ist das dann immer so ’n unangenehmes Gefühl. Und ich glaub, deswegen benutzen sehr viele Leute mittlerweile auch die Treppen. Man trifft auf jeden Fall öfters Leute im Treppenhaus.
00:03:56,560 –> 00:04:06,600 [Raúl]
Wir, wir reden über ganz viel heute, ähm, aber vielleicht die Einstiegsfrage könnte sein: Ähm, gab es ein politisches Erlebnis, das dich geprägt hat, in die Politik zu gehen?
00:04:06,600 –> 00:04:31,420 [Heidi]
Es gab nichts Konkretes. Also, ich hab mich 2015 dazu entschieden, weil ich sehr frustriert war mit vielem, was in meinen Augen falsch läuft, also grad mit Blick auf soziale Gerechtigkeit. Und hab gedacht, okay, also aufm Sofa zu sitzen, das kann’s nicht sein, sondern ich will irgendwas machen. Ich will was Positives auch aus dieser Wut, aus diesem Frust machen und nichts Negatives. Und dann bin ich in Die Linke eingetreten. Also es gab jetzt nicht so den einen Moment, wo ich dachte, das ist es jetzt, das bringt jetzt das Fass zum Überlaufen.
00:04:31,420 –> 00:04:34,360 [Raúl]
Und hattest du dann mehrere Optionen, die du erwogen hast?
00:04:34,360 –> 00:05:10,580 [Heidi]
Also, mir war dann schon klar, dass ich, wenn überhaupt in Die Linke eintrete. Also, ich hab mich früher auch mit Politik beschäftigt, aber eher so aus theoretischer Perspektive. Ich find das total spannend, was Menschen sich für Gedanken gemacht haben, wie sie gut zusammenleben wollen, wie sich das auch entwickelt hat über die Jahrhunderte. Und, ähm, das war immer so ’n bisschen meine Perspektive auf Politik, dass ich mir natürlich Tagespolitik angeschaut hab und dann irgendwann zu dem Punkt kam: „Okay, es ist so schräg, es braucht halt wirklich radikale Lösungen.“ Radikal im Sinne von, wir müssen die Probleme an der Wurzel packen. Wir müssen über Verteilung und Eigentum sprechen. Und da war für mich und ist für mich Die Linke die einzige Partei, die da auch entsprechende Lösungen anbietet. So, und deswegen war das vollkommen klar. [lacht leise]
00:05:10,580 –> 00:05:41,410 [Raúl]
Ich werde oft gefragt, ob ich mich politisch engagieren würde und wenn ja, welche Partei. Und ich hab damals immer gesagt, dass ich zu ungeduldig bin für die Politik und ich deswegen eher Aktivist bin, dass ich aber nicht gegen Politik bin und dass ich einfach glaube, ist eine Typfrage. Aber zu überlegen, äh, welche Partei meine Partei wäre, hatte ich tatsächlich zwei Optionen. Also ziemlich in Erwägung zog. Ich pendele da immer noch zwischen, also zwischen grün und links, würde ich jetzt mal sagen.
00:05:41,410 –> 00:05:43,979 [Heidi]
Ist, glaub ich, auch so ’n Klassiker auf jeden Fall. Kann ich gut verstehen, ja.
00:05:43,980 –> 00:06:03,580 [Raúl]
Wirklich ’n Klassiker. Und ich find es erschreckend, wie wenig Bedeutung wir gesellschaftlich inzwischen, also zumindest das Gefühl, ich hab das Gefühl, es gibt immer weniger Bedeutung in der Linken oder für Die Linke, dass die Gesellschaft so seit– nach rechts rückt, dass Dinge immer schwerer werden zu, zu verteidigen, zu halten und auch zu sagen.
00:06:03,852 –> 00:06:38,192 [Heidi]
Ja, also es gibt natürlich einen krassen Rechtsruck und wir sind, wie du sagst, wirklich die ganze Zeit eigentlich in der Verteidigungsposition. Wir kommen gar nicht dazu und ich mag eigentlich gar nicht diese militärische Sprache, aber es passt wirklich gut. Man kommt gar nicht dazu, mal Utopien zu entwickeln, wo man eigentlich hin will, nach vorne Sachen aufzulösen, sondern ist eigentlich nur mit Abwehrkämpfen beschäftigt. Aber ich sehe zumindest im Kleinen auch natürlich daran, dass meine Partei so wächst, dass wir auch so viele neue Wählerinnen und Wähler gewinnen konnten, dass es irgendwie auch immer mehr Menschen gibt, die merken, okay, ich muss irgendwie eine Seite auswählen, ich muss irgendwie Partei ergreifen, entweder im wahrsten Sinne des Wortes in
00:06:38,192 –> 00:06:38,872 [Raúl]
einen eintreten
00:06:38,872 –> 00:06:45,672 [Heidi]
oder halt ganz klar sagen, wofür stehe ich und wogegen. Das macht mir durchaus dann auch ein bisschen Mut in diesem ganzen Elend, in dem wir uns gerade befinden.
00:06:45,672 –> 00:06:49,852 [Raúl]
Und wenn du mal einen schlechten Tag hast, worüber machst du dir heimlich am meisten Sorgen?
00:06:49,852 –> 00:07:24,892 [Heidi]
Es ist dieser Rechtsruck. Es ist die Frage, ob eine gesichert rechtsextreme Partei in meinem Heimatbundesland vielleicht oder vielleicht auch bundesweit irgendwann mal eine Machtoption hat. Also das macht mir schon Sorgen, weil ich kann mir auch dann nicht einreden, das wird schon nicht passieren, weil es ist ja schon mal passiert. Also wir alle sehen die Parallelen oder vielleicht immer noch nicht alle, aber viele von uns sehen die Parallelen. Und zu wissen, dass es passiert ist und dass es wieder passieren kann, das ist schon das, was mich am meisten belastet. Ich glaube, das geht gerade sehr vielen so, gerade Menschen, die von dieser Politik negativ betroffen wären. Und das sind halt echt viele. Also
00:07:24,892 –> 00:07:26,992 [Heidi]
ja, das ist schon das, was mich belastet.
00:07:26,992 –> 00:07:29,612 [Raúl]
Aber das ist ja keine heimliche Sorge, das ist ja eine öffentliche Sorge.
00:07:29,612 –> 00:07:31,192 [Heidi]
Ja, aber
00:07:31,192 –> 00:07:40,672 [Heidi]
jetzt eine geheimliche Sorge. So was anderes. Also da sind schon Sachen, die ich öffentlich mache. Klar. Aber es gibt jetzt nichts, wo ich, wo ich auch nicht drüber reden würde. Und das ist schon der zentrale Punkt.
00:07:40,672 –> 00:07:55,492 [Raúl]
Du bist bekannt geworden, oder? Nein, nicht. Du warst vorher schon bekannt, aber es gab eine bekannte Rede von dir, wo du am Ende sagst „Auf die Barrikaden“. Und du sagst auch, dass wir radikal sein müssen. Was heißt es, radikal zu sein?
00:07:55,492 –> 00:09:08,052 [Heidi]
Also wie gesagt, für mich ganz klassisch um Wurzeln und die Probleme an der Wurzel packen. Es funktioniert nicht, immer nur kosmetisch über bestimmte Sachen drüberzugehen und sie zu verstecken, sondern man muss halt wirklich an die Ursachen von Problemen ran. Und das ist für mich halt wirklich diese Verteilungsfrage. Also wenn wir jetzt seit Wochen und Monaten Debatten führen übers Bürgergeld zum Beispiel, dass man da doch mehr kürzen muss und dass man damit dann den Haushalt sanieren kann und dass das was mit Gerechtigkeit zu tun hat, das finde ich komplett abstrus. Also wir müssen darüber diskutieren, dass es einen Mindestlohn gibt für alle. Ja, wir müssen darüber diskutieren, dass wir Steuerentlastungen für die Mehrheit haben, dass wir in Bildung investieren, in ÖPNV, in Gesundheit, in Klimaschutz. Also all das sind die großen Fragen. Und da geht es nicht darum, ob man Arme gegen noch Ärmere ausspielt, sondern darum, dass irgendwie die reichsten 3900 Menschen in diesem Land jetzt wieder Vermögenszuwächse von 16 % haben. Das sind so um die vierhundert Milliarden Euro. Das ist Wahnsinn. Das ist fast so viel wie der Bundeshaushalt. Der ist bei über fünfhundert Milliarden. Wobei es ja schon schräg, dass man das vergleicht, aber. Also da ist doch das Problem. Also es bringt doch niemandem was, wenn ich jetzt der Person, die eh schon nichts hat, noch mal 10 € wegnehme. Damit kann ich nichts machen, außer dieser Person das Leben noch schwerer, was sie überhaupt nicht verdient hat. Ist eh schon viel zu wenig an vielen Stellen, anstatt wirklich an diese Großen, an diese großen Hebel ranzugehen. Das bedeutet es für mich halt, radikale Lösungen zu finden.
00:09:08,052 –> 00:09:37,412 [Raúl]
Also das Problem an den Wurzeln quasi packen. Ja, weil ich habe viele Leute ja auch schon im Podcast gehabt und unter anderem auch Tadjo Müller zum Beispiel, der auch in der Klimabewegung sehr, sehr aktiv ist und auch radikale Thesen vertritt, wo ich tatsächlich auch in großen Teilen mitgehe. Und ich hatte Margarete Stokowski zu Gast, wo ich sie gefragt habe. Es heißt ja immer diese Erzählung, wir im Aktivismus, wir müssen gewaltfrei sein.
00:09:37,412 –> 00:09:38,492 [Heidi]
Hmm.
00:09:38,492 –> 00:09:43,032 [Raúl]
Und die gegnerische Seite wendet aber Gewalt an,
00:09:43,092 –> 00:09:46,252 [Raúl]
ob man da nicht quasi vom Stand aus verloren hat.
00:09:46,252 –> 00:10:41,692 [Heidi]
Es macht’s nicht einfacher. Es macht es auch nicht einfacher, dass rassistische und sexistische und ableistische Behauptungen mit einem Satz ihre Wirkung entfalten und man selber ganz viel dagegen halten muss. Genau. Aber das heißt ja nicht, dass man sich auf dieses Niveau begeben will und sollte. Ja. Und Rosa Luxemburg hat mal gesagt, das einzige legitime Gewaltmittel ist die Bildung, also ist die politische Bildung. Und das teile ich. Also ich glaube, viel funktioniert über Aufklärung, aber auch über klare Kante zeigen. Also ich finde, du kommst nie an alle ran. Es gibt immer einen bestimmten Prozentsatz von Menschen in einer Gesellschaft, die rechtsextremes Gedankengut haben, also rechtsextreme im Sinne von Abwertung von anderen Menschen, vor allen Dingen Ausgrenzung und so weiter. Und damit muss man leider umgehen können. Aber solange das nur ein begrenzter Prozentsatz ist, ist es okay. Aber das, was ja gerade passiert, ähm, ist ja wirklich unfassbar viel Hass, Hetze, es sind Fake News, es ist Propaganda und dagegen anzukommen, das ist manchmal das, wo ich mich frage, wie können wir das eigentlich schaffen?
00:10:41,692 –> 00:10:41,872 [Raúl]
Genau.
00:10:41,912 –> 00:10:53,952 [Heidi]
Vielleicht ist das noch so eine heimliche Sorge, dass ich mir denke, wir machen da wirklich schon viele gute Sachen und viele Menschen machen das auch ehrenamtlich und engagiert. Und trotzdem hat man das Gefühl, man kommt gegen diesen ganzen Wall überhaupt nicht an.
00:10:53,952 –> 00:11:06,152 [Raúl]
Also wenn ich das richtig paraphrasiere, hat Margarete Stokowski sinngemäß gesagt, sie würde selber keine Gewalt anwenden, aber sie würde, wenn sie sieht, dass jemand Gewalt im Sinne der Verteidigung anwendet,
00:11:06,152 –> 00:11:08,092 [Raúl]
die Person auch nicht anschwärzen.
00:11:08,092 –> 00:11:40,492 [Heidi]
Na ja, klar. Verteidigung ist natürlich auch noch mal eine ganz andere Frage. Und es ist ja richtig. Also wenn wir jetzt sehen, wie oft auch unsere Genossinnen angegriffen werden beim Wahlkampf zum Beispiel, in Berlin, als sie von einem CSD zurückgekommen sind, in Essen, wenn ich nämlich nicht irre oder sind NRW generell jetzt bei der Wahl in in Sachsen bei der Bundestagswahl wurden ältere Genossinnen, die im Rentenalter waren, wenn ich nicht irre, von einer Leiter geschubst, als sie ein Plakat anbringen wollten. Wer macht sowas? Also ich. Ich verstehe das nicht. Und diese Verrohung vom Ton, aber auch diese Verrohung in den Handlungen. Ich finde das krass und wirklich sehr besorgniserregend.
00:11:40,492 –> 00:11:48,392 [Raúl]
Und wofür das hin? Wir können jetzt auch nicht hinter jeden Wahlkämpfer in Polizei stellen. Und wie sieht dann die Gesellschaft aus?
00:11:48,392 –> 00:12:21,788 [Heidi]
Also wir sagen unseren Leuten schon lange geht immer nur mindestens zu zweit plakatieren, an die Haustüren sowieso, an Infostände. Also am besten noch mehr. Und auch wenn ihr irgendwie zu Veranstaltungen reist oder davon zurückkommt, vor allen Dingen dann seid möglichst nicht allein. Also dieser Spruch von uns niemals allein, immer gemeinsam hat natürlich was motivierendes und was Solidarität schafft. Aber es ist natürlich auch ein bisschen ein Selbstschutz zu sagen,Ähm, lasst euch da irgendwie nicht von denen angreifen oder bietet denen nicht die Möglichkeit, was ja wirklich schlimm ist, also dass man von dieser Logik ausdenken muss. Aber, ja, es ist leider so.
00:12:21,788 –> 00:12:24,668 [Raúl]
Seit zweitausendfünfzehn, sagst du, bist du in, in der Linken?
00:12:24,668 –> 00:12:28,468 [Heidi]
Mhm. Seit September. Also ich habe jetzt so mein zehnjähriges. [Lachen]
00:12:28,468 –> 00:12:39,527 [Raúl]
Äh, und das ist ja schon kometenhafter Aufstieg, ne? Also das ist ja, also ich kenne viele Menschen, die seit zehn Jahren in anderen Parteien sind und, äh, es eben nicht zur Vorsitzenden geschafft haben.
00:12:39,528 –> 00:12:40,148 [Heidi]
Ja. [Lachen]
00:12:40,148 –> 00:12:43,688 [Raúl]
Kannst du dich an deine, deine erste Rede erinnern im Bundestag?
00:12:43,688 –> 00:13:27,108 [Heidi]
Ja, sehr gut. Also das war ’ne Haushaltsrede. Ich erinnere mich auch noch ganz genau. Wir waren ja nur sechs neue in der sehr kleinen Linksfraktion, damals zwanzigeinundzwanzig und Gesine Lötzsch, ähm, unsere wunderbare Haushaltspolitikerin, auch ehemalige Vorsitzende, Direktmandat in Lichtenberg, wie oft gewonnen. Also die hat von Anfang an gesagt, die Neuen müssen sofort ran, direkt ins kalte Wasser. Und ich dachte mir so: „Oh Gott, bitte nicht.“ War aber gut so. Und ich hatte dann diese Rede geschrieben und, äh, war mir so viel Zeit gelassen, auch mit meinen Mitarbeitenden, ne? Alles durchgegangen, dass die Fakten stimmen, dass es irgendwie aber emotional ist. Und dann saß ich da, war vollkommen fertig, bin dann nach vorne, war unfassbar nervös, hab vorher noch den Tipp bekommen: „Ne, da vorne ist Wasser, kannst du erst mal ’n Schluck trinken.“ Das hab ich auch gemacht. Das Problem war, ich hab so gezittert. Also, auch wenn wir jetzt das nicht per Video aufnehmen, ich hab wirklich-
00:13:27,108 –> 00:13:27,117 [Raúl]
Mhm.
00:13:27,117 –> 00:13:47,798 [Heidi]
-so gezittert, ich konnte dieses Glas kaum an meinen Mund führen, musste aber. Ich hatte es ja einmal angefasst und, ähm, hab’s dann irgendwie überstanden. Es war auch gut. Es gibt auch im Bundestag in der Tat so’n Gentlemans-, Gentlewomen’s Agreement, dass man bei der ersten Rede von, äh, neuen Abgeordneten nicht reinruft, keine Zwischenfragen stellt, äh, sich zurückhält. Das klappt, ähm, größtenteils. [Lachen]
00:13:47,798 –> 00:13:48,448 [Raúl]
Außer bei der, bei den Nazis.
00:13:48,448 –> 00:13:56,938 [Heidi]
Also selbst da, ähm, versuche ich eigentlich mich nicht provozieren zu lassen, weil das ist ja genau das, was sie wollen. Also von daher war das schon, ähm, okay, aber ’n bisschen Nervosität ist da immer.
00:13:56,938 –> 00:13:56,948 [Raúl]
Klar.
00:13:56,948 –> 00:14:25,537 [Heidi]
Also ich hab jetzt morgen wieder ’ne große Haushaltsrede und, ähm, da bin ich auch nervös, weil ich will natürlich unsere Position gut darstellen. Ich will, dass die Leute sich, äh, mitgenommen fühlen, dass ich unsere Kritik deutlich rüberbringe. Und ich glaube, es ist auch ganz gut, dass man immer so’n bisschen nervös ist. Also das zeigt ja auch, dass es einem doch noch was bedeutet und dass es nicht einfach so Schema F ist. Und ich find’s immer noch so krass, dass ich in diesem Bundestag bin. Also ich bin da so dankbar und demütig, weil ich hätt’s ja fast nicht geschafft bei unserem schlechten Ergebnis. Es ging ja wirklich die ganze Nacht rein, raus, rein, raus.
00:14:25,537 –> 00:14:25,548 [Raúl]
Mhm.
00:14:25,548 –> 00:14:45,367 [Heidi]
Und ich werd nie den ersten Tag vergessen, als ich hierhergefahren bin und aus dem Hauptbahnhof gekommen bin und, äh, den Bundestag vor mir gesehen hab und dachte, ich, ich darf da jetzt Politik machen. Die Leute haben uns das Vertrauen geschenkt, also meine Genoss*innen, die mich auf die Liste gewählt haben, aber eben auch die Menschen im Land. Und das ist, ähm, das beeindruckt mich immer noch und da bin ich immer noch, ähm, unfassbar dankbar für.
00:14:45,367 –> 00:14:48,328 [Raúl]
Wie bereitest du dich vor? Wie sieht denn so dein Alltag aus?
00:14:48,328 –> 00:14:49,888 [Heidi]
Bei ’ner Rede jetzt konkret?
00:14:49,888 –> 00:14:52,148 [Raúl]
Also, vielleicht erst mal bei der Rede, genau.
00:14:52,148 –> 00:15:06,528 [Heidi]
Ähm, ist immer ’n bisschen unterschiedlich. Ich hab, äh, ganz tolle Mitarbeitende, die mir Redeteile schreiben und, ähm, die Ideen einbringen und, äh, teilweise auch wirklich schon halbe Manuskripte, aber ich schreib auch immer meinen Part. Ich, ich schreib auch-
00:15:06,528 –> 00:15:08,808 [Raúl]
Du hast ’n Poetry Slammer, hab ich irgendwo gehört.
00:15:08,808 –> 00:15:12,108 [Heidi]
Ja, also hat auch ’n paar Stunden bei mir, macht aber vor allem auch viel Social Media.
00:15:12,108 –> 00:15:12,608 [Raúl]
Ah ja.
00:15:12,608 –> 00:15:37,888 [Heidi]
Und, ähm, bei mir machen alle so’n bisschen mit, ne? Also je nach Thema, was es gerade ist. Und ich hab natürlich auch immer meine Ideen und, ähm, ich krieg auch ganz oft, äh, mein armer Mitarbeiter kriegt ständig Sprachnachrichten von mir, wo er dann irgendwas abtippen muss. Ist wirklich schlimm, aber sonst geht’s denen allen sehr gut. Und dann bastelst du halt, ne, und überlegst und liest die mal durch und guckst, was kommt gut, was kannst du auch gut… Also Schreiben ist ja anders als Sprechen, ne? Ähm, und von daher dauert’s mal länger, mal nicht so lang, aber man hat ja oft gar nicht so viel Zeit, wie man gerne möchte.
00:15:37,888 –> 00:15:37,918 [Raúl]
Mhm.
00:15:37,918 –> 00:15:50,608 [Heidi]
Und manchmal ist es auch ganz gut so, dass man das nicht alles zerdenkt, weil die coolsten Sachen ehrlicherweise schreibt man meistens kurz vorher noch rein, weil irgendjemand was gesagt hat, auf das man sich beziehen kann. Und das kommt dann eigentlich immer noch am besten an. Aber das ist halt dann so quasi der Prozess.
00:15:50,608 –> 00:16:08,688 [Raúl]
Hast du das Gefühl, als diejenige, die dann da steht, weil als Zuschauer denk ich mir manchmal, hm, es ist jetzt alles Zirkus, der da aufgeführt wird? Oder wird nicht alles hinter den Kulissen schon irgendwie anders verhandelt und, und entschieden? Hast du das Gefühl, dass so eine Rede oder deine Rede, ähm, noch mal was verändern kann?
00:16:08,688 –> 00:16:14,678 [Heidi]
Also es ist schon so, dass wenn du im Plenum redest, dann geht’s nicht darum, die Kolleginnen zu überzeugen.
00:16:14,678 –> 00:16:15,068 [Raúl]
Mhm.
00:16:15,068 –> 00:16:24,598 [Heidi]
Sondern dann geht’s darum, die Menschen draußen zu erreichen und zu sagen: „Worum geht’s? Was ist in unseren Augen das Problem? Was ist unsere Lösung?“ Das ist mir immer wichtig, dass ich auch immer sage, wo will ich eigentlich hin?
00:16:24,598 –> 00:16:24,627 [Raúl]
Mhm.
00:16:24,627 –> 00:16:31,587 [Heidi]
Also ich kann immer sagen, ihr seid alle total doof und das ist alles schlecht und da gibt’s auch eine ganze Menge, wo ich das sagen kann. Aber ich will ja auch sagen, was will ich besser machen?
00:16:31,588 –> 00:16:32,168 [Raúl]
Mhm.
00:16:32,168 –> 00:17:17,528 [Heidi]
Und natürlich spreche ich da die Leute an, die halt zuschauen, ob jetzt vorm Fernseher oder ob sie jetzt es irgendwie Social Media sich anschauen, ähm, ist ja erst mal egal, weil die inhaltlichen Gespräche finden in den Ausschüssen statt und ich überzeuge ja niemanden mehr. Also deswegen glaube ich, dass diese Reden vor allem dazu gut sind, unseren Standpunkt deutlich zu machen, ähm, Leuten vielleicht auch ’n bisschen Hoffnung zu geben. Also auch, wenn man Themen anspricht, die sonst nicht vorkommen in solchen Reden. Also, das merke ich immer, dass ich da ganz viel Feedback bekomme. In der letzten Wahlperiode war das ganz oft beim Thema Frauengesundheit, Thema Endometriose, Lybedem, ähm, all das, äh, wo Leute merken, hier werde ich wenigstens gesehen. Sie kann nichts ändern, aber sie hat es irgendwie im Blick und sie sagt auch allen anderen, dass sie’s im Blick haben sollen. Da bin ich jetzt auch nicht die Einzige, ne, um Gottes willen. Also das machen ja viele. Und ich glaube, das ist das, was was verändern kann, also auch in der Gesellschaft.
00:17:17,528 –> 00:17:28,048 [Raúl]
Aber müsste es dann nicht eigentlich so sein und vielleicht ist es auch so, da korrigier mich, dass man die ganze Energie eher in diese Verhandlungsrunden, äh, investieren sollte, als in die Reden im Bundestag?
00:17:28,048 –> 00:18:34,084 [Heidi]
Es geht schon beides, ne? Also man muss ja auch klar erzählen, was macht man eigentlich? Also man muss ja Gutes tun und drüber reden. Die Sache ist natürlich, als Opposition sind wir in solchen Verhandlungen ja gar nicht drin. Das ist ja so’n bisschen die Krux an dem deutschen System: Du hast ’ne Regierung, du hast ’ne Opposition und da gibt’s nicht wirklich Zusammenarbeit. Natürlich braucht man ’ne Regierungskoalition, stabile Mehrheiten zu haben. Man braucht ’nen Koalitionsvertrag, den man abarbeiten kann, damit alle wissen, was sind die Rahmenbedingungen. Aber ich glaube, an manchen Stellen täte es uns gut, wenn es doch ’n bisschen mehr Austausch gäbe. Also auf Kommunalebene zum Beispiel ist es ja oft ganz anders. Also da gibt’s ja oft wechselnde Mehrheiten. Und ich glaube, das wär an der Stelle sehr sinnvoll, weil wenn ich-Draußen bin, dann höre ich ganz oft: „Ihr sollt aufhören zu streiten, sondern einfach zusammen was Sinnvolles machen. Wie das dann aussieht, ist noch mal eine ganz andere Frage. Aber ja, da sind wir halt an vielen Stellen raus. Wir können halt nur irgendwie den Finger in die Wunde legen und Ideen einbringen und auf Missstände aufmerksam machen, Anfragen stellen ahhhm und der Regierung sagen: „Hey, ihr habt das doch versprochen, warum passiert das nicht? Und Beispiel ist jetzt die Stromsteuersenkung war ja für alle geplant, kommt jetzt nur für große Konzerne. Es ist halt irgendwie nicht so optimal, weil die Menschen haben sich drauf verlassen und die fühlen sich zu recht verarscht. Also so was zum Beispiel. [kichern]
00:18:34,084 –> 00:18:43,604 [Raúl]
Und wenn du jetzt vergleichen müsstest ahhhm prozentual, ahhhm wo investierst du mehr Zeit in deine Arbeit im Bundestag oder in deiner Arbeit quasi in deinem Wahlkreis?
00:18:43,604 –> 00:18:52,444 [Heidi]
Also dadurch, dass ich auch Fraktionsvorsitzende bin und viel auch ahhhm landesweit unterwegs bin, bin ich leider nicht so viel im Wahlkreis, wie ich es gerne wäre. Mhm
00:18:52,444 –> 00:19:31,604 [Heidi]
Also in Osnabrück kann ich Termine machen, ja, aber ist jetzt nicht so umfangreich wie jetzt so ein klassischer Wahlkreisabgeordneter oder eine klassische Wahlkreisabgeordnete. Ich bin schon viel hier in Berlin. Ich habe natürlich viele Verpflichtungen, also auch mit Blick auf Sitzungen et cetera und ich bin halt viel unterwegs. Also ich werde halt von überall angefragt, was mich auch freut, man kommt viel rum, aber irgendwie kriegt man von allem nichts mit, weil man ja immer nur von einer Veranstaltung zur nächsten fährt oder rennt oder was auch immer. Aber das ist halt so da die Mischung, sage ich mal. Sehr viel unterwegs sein, sehr viel im Bundestag mit Presse-und Medienarbeit beschäftigt und leider nicht so viel im Wahlkreis. Aber dafür haben wir dort einen tollen Kreisverband, der engagiert ist, also eine tolle Ratsfraktion, die hoffentlich größer wird und so teilt man sich dann rein.
00:19:31,604 –> 00:19:52,964 [Raúl]
Ich habe ja vorhin erzählt, dass Kevin Kühnert hier schon mmmhm zu Gast war und Ricarda Lang auch. Ja. Und ahhhm ich finde es erstaunlich und tatsächlich auch schockierend, wie viel wir Politikerinnen zumuten. Also auch an Belastung, also auch an Anfeindung, aber auch an Arbeitszeit beziehungsweise wie viel
00:19:52,964 –> 00:20:06,924 [Raúl]
Zeit kann man sich überhaupt einem Thema widmen, wenn so viele an einem zerren? Und ahhh wenn dann so Sitzungen ewig lang gehen bis vier Uhr nachts und so weiter, ja das ist ja körperlich auch irgendwann ausbeuterisch.
00:20:06,924 –> 00:21:40,304 [Heidi]
Ja, und das grenzt aus. Genau Ich meine, wir haben im Bundestag eh ein Riesenproblem. Nicht mal ein Drittel Frauen, ahhhm nahezu keine ahhhm queeren Personen. Also in meiner Fraktion sind jetzt ahhh bald zwei nicht binäre Personen. Das freut mich sehr. Ahhhm Der Migrationsanteil passt nicht zur Gesellschaft. Die verschiedenen sozialen Bereiche sind nicht vertreten. Leute aus dem Handwerk, aus der Pflege, also alles unterrepräsentiert. Altersstruktur schwierig. Aber gerade Viele Juristen. Ja, die sind auch wichtig, die braucht man auch. Wir haben nicht so viele, das macht es manchmal schwierig. Ahhhm Aber auch gerade junge Eltern oder gar nicht mal junge Eltern, generell Eltern, Menschen, die eine Familie haben, alleinerziehend, da habe ich auch einige in der Fraktion. Also das zu organisieren, da habe ich den größten Respekt, weil du hast dann, ob dein Kind jetzt in der Kita ist oder ob es in der Schule ist oder ob es halt gerade in einem Teenie-Alter ist, es ist ja immer Bedarf da. So und dann bist du irgendwie wochenweise gar nicht da. Das Kind kann auch nicht mitkommen, wenn es in der Schule ist. Dann hast du noch irgendwie vor Ort Termine. Also das ist schon krass, wie die das organisieren. Dann hast du Abstimmungen, irgendwie morgens 10:00, aber dann auch noch mal Mitternacht. Also wie willst du das machen? Und das macht die Sache ja nicht besser. Mmm Also auch Menschen, die irgendwie eine Krankheit haben oder sonstige Einschränkungen, es ist einfach nicht zu machen, also gerade auch bei psychischen Belastungen. Du grenzt diese Leute mit dieser Art und Weise aus und es wird davon ja nicht besser. Also ich weiß nicht, warum wir immer noch, gerade bei der Politik denken, wenn die Person von sechs Uhr morgens bis zwei Uhr nachts durch die Gegend rennt, dann macht sie ihren Job gut. Das tut sie ja nicht. Wir wären ja alle nicht besser, wenn wir überlastet sind. Also deswegen kämpfen wir auch dafür, dass die Wochenarbeitszeit sinkt, weil es auch die Studien gibt, die zeigen, also irgendwann ab vierzig Stunden sinkt nicht nur die Produktivität, sondern steigt auch die Gefahr, ne, dass du Fehler machst oder erkrankst oder so.
00:21:40,304 –> 00:21:50,804 [Raúl]
Und man kann sich ja dann vielleicht die Kinderbetreuung leisten, wenn man dann den Abgeordnetenposten hat. Aber auf dem Weg dahin musste man ja auch viel gearbeitet haben, ja wo nicht gut bezahlt wird.
00:21:50,804 –> 00:21:51,074 [Heidi]
Absolut.
00:21:51,074 –> 00:21:54,424 [Raúl]
Und das können ja dann auch nur jene, die sich das überhaupt leisten können.
00:21:54,424 –> 00:22:21,214 [Heidi]
Genau und Kinderbetreuung. Also wir haben ja so eine Pauschale für Personal. Also in den Abgeordnetenbüros arbeiten ja Leute, mmm aber da darfst du das meines Wissens nach zum Beispiel nicht rausfinanzieren. Mmm Also musst du halt über andere Möglichkeiten. Die haben wir auch, das ist alles richtig. Aber das ist ja auch nicht so das, was du willst. Du willst ja auch irgendwie schon Zeit mit deinen Kindern verbringen und das wäre ja durchaus möglich, wenn man es anders organisiert. Also im Europaparlament finden zum Beispiel alle Abstimmungen zu einem festen Zeitpunkt statt, sodass du das auch planen kannst. Und ahhhm deswegen, ich verstehe auch, dass die Menschen sich beschweren.
00:22:21,214 –> 00:22:22,264 [Raúl]
Das haben sich bestimmt die Männer ausgedacht.
00:22:22,264 –> 00:22:39,824 [Heidi]
Ja, ich verstehe auch, dass Menschen sich beschweren, wenn ahhh wenige von uns im Plenum sind. Aber es ist halt ein Arbeitsparlament, das sind Ausschüsse nebenbei, wir haben Termine. Wir können da gar nicht alle immer die ganze Zeit sitzen. Also Donnerstag von neun Uhr morgens bis zwei Uhr nachts, das funktioniert so nicht. Und da ist natürlich so ein bisschen die Frage: Ist das eigentlich eine sinnvolle Struktur?
00:22:39,824 –> 00:22:43,234 [Raúl]
Gibt es etwas, worauf du politisch stolz bist, was du erreicht hast?
00:22:43,234 –> 00:23:27,844 [Heidi]
Ahhhm Ich glaube, so zwei Sachen, ah grob. Also zum einen jetzt auch gerade im letzten Wahlkampf, ahhhm dass wir als Partei so viele junge Menschen erreicht haben, gerade junge Frauen und queere Personen, die gesagt haben: „Okay, dieser Partei vertrauen wir, der geben wir unsere Stimme, wir wären sonst nicht gehört, aber da haben wir das Gefühl, ahhhm da werden wir angenommen und da wird auch unser ja da wird auch das umgesetzt, was uns wichtig ist oder zumindest vertreten. Das ist natürlich das eine, wie viele junge Menschen zu mir gekommen sind bei Veranstaltungen und gesagt haben: „Hey, durch dich interessiere ich mich für Politik und ich engagiere mich, egal ob jetzt in einer Partei oder woanders, ist mir egal oder auch bei einer anderen Partei, also demokratisch natürlich, ne? Ahhhm Das finde ich einfach richtig klasse. Das ahhh macht mich sehr stolz. Und das Zweite ist eigentlich, weil ich kann ja hier leider nichts umsetzen auf Bundesebene aus meiner Kommunalzeit.
00:23:27,844 –> 00:23:59,244 [Heidi]
Da haben wir während Corona dafür gesorgt, dass Kinder und Jugendliche aus Familien, die nicht so viel Geld haben, die sonst über diese Bildung-und Teilhabemittel das kostenfreie Mittagessen bekommen haben, also die Kosten erlassen in Schule und Kita, als die geschlossen hatten, dass die so Essensboxen bekommen haben von einem Caterer. Also dass dann nicht die Familien plötzlich dafür sorgen mussten, weil für so eine Familie ist dann irgendwie fünfmal Essen auf dem Tisch zu stellen der Woche eine Herausforderung. Und ahhhm da haben wir ein Viertel, die das betrifft, erreicht mit diesem Caterer-Konzept und das ist natürlich super, weil das hat für die Leute halt wirklich was bewirkt und das macht mich immer noch stolz, natürlich auch.
00:23:59,244 –> 00:24:01,244 [Raúl]
Und da auch irgendwie dem Caterer geholfen, der wird schon auch nicht mehr bezahlt haben.
00:24:01,244 –> 00:24:30,864 [Heidi]
Garantiert, ja. Es wurde dann natürlich auch finanziert über Stiftungsmittel und die Stadt hat was dazugegeben, aber es war halt ein Projekt, wo viele gesagt haben: „Hey, stimmt, das ist wichtig, das ist eine gute Sache. Da beteiligen wir uns. Als wir das zuerst gefordert haben, haben alle so ein bisschen abgewunken. Wir wollten halt Geld auszahlen. Das will ja immer keiner, ne? Aber dann war es halt so im Raum, dass man was machen musste und dann haben sie es auch überregional überall vorgestellt. Und dann war auch kein Wort mehr davon, dass es von der Linken kam, die Initiative. Es war mir auch egal, weil es ging ja darum, ahhhm dass du da wirklich was bewegt hast. Ja, das war eine gute Sache. [kichern]
00:24:30,992 –> 00:24:41,412 [Raúl]
Was ich so, ähm, angenehm finde, ähm, bei den ganzen Interviews, die ich von dir lese oder höre. Zuletzt habe ich, äh, alles gesagt, äh, Zeit-Podcast, mit dir acht Stunden fast.
00:24:41,412 –> 00:24:43,971 [Heidi]
Ja, ich weiß auch nicht, wie das passiert ist. [Lachen]
00:24:43,972 –> 00:25:18,092 [Raúl]
Ähm, äh, und was ich wirklich sehr angenehm fand, war, dass, äh, du von dir aus mehrfach Mensch mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, äh, genannt hast. So einfach– Es gibt ja viele Themen, die man benennen kann, ähm, und du hast es, äh, aktiv, äh, ausgewählt, ähm, was nicht viele Politikerinnen tun. Also manchmal glaube ich, gibt es schon auch das Gefühl in der Bewegung der behinderten Menschen, dass man als Letzte genannt oder als Erste vergessen wird, wenn es um Vielfaltsaspekte geht. Ähm, und dann hast du gesagt, dass du dich, äh, Berufsjugendliche nennst.
00:25:18,092 –> 00:25:19,092 [Heidi]
[Lachend] Ja.
00:25:19,092 –> 00:25:23,212 [Raúl]
Äh, was ich witzigerweise, ähm, zu mir sage: „Ich bin Berufsbehinderter.“
00:25:23,212 –> 00:25:24,112 [Heidi]
[Lachen]
00:25:24,112 –> 00:25:33,092 [Raúl]
Ähm, weil ich mit dem Thema ja auch, ähm, meinen Beruf bestreite und auch meine Miete bezahlen kann. Aber
00:25:33,092 –> 00:25:34,892 [Raúl]
du warst in der Jugendhilfe selber aktiv.
00:25:34,892 –> 00:25:35,371 [Heidi]
Ja.
00:25:35,372 –> 00:25:38,252 [Raúl]
Hattest du denn auch mit dem Thema Behinderung zu tun?
00:25:38,252 –> 00:26:15,462 [Heidi]
In Teilen. Ähm, da ging’s natürlich vor allen Dingen auch um die ganze Frage Inklusion an Schulen. Ähm, und da ging’s vor allen Dingen aber auch eher um, ja, um, um psychische Belastungen. Also, das war eher so der Bereich, in dem ich war. Ich war ja auch, ähm, Schulbegleiterin. Da ging’s aber auch um das Thema Schulphobie beziehungsweise Sozialphobie. Aber natürlich ist das ’n Thema, was da immer wieder auftaucht, ne? Also, das ist auch so ’n Thema, wo ich so frustriert bin. Also, wir sind ja gerade dabei, die, ähm, Jugendhilfe inklusiv zu gestalten, SGB achte Reform et cetera. Da kommen ganz tolle Ideen, da sind ganz viele engagierte Leute dabei, aber das Problem ist, es muss halt finanziert werden. Also ich weiß auch, was wir brauchen.
00:26:15,462 –> 00:26:15,472 [Raúl]
[Murmeln]
00:26:15,472 –> 00:26:47,132 [Heidi]
Du weißt, was wir brauchen. Also, wir können’s auch beide zusammenschreiben, aber davon ist es ja noch nicht passiert. Weil du brauchst halt natürlich ’ne Barrierefreiheit grundlegend, aber du brauchst natürlich auch die Leute, die da sind, um junge Menschen oder Kinder zu unterstützen, die diese Unterstützung brauchen. Und das fehlt dann an der Stelle und das frustriert mich so. Also, es ist immer alles irgendwie, ja, schöne Sache, machen wir irgendwie gerne, aber es wird immer weggeschoben und immer wieder an diese Finanzfrage geknüpft. Und ich sage halt, es ist ja ein Recht, also es gibt ja ein Recht auf Teilhabe und auf Inklusion. Das ist ja kein Nice-to-have und keine Gnade von irgendwelchen Leuten, sondern es ist ein Recht.
00:26:47,132 –> 00:26:48,832 [Raúl]
Luxus, wie Friedrich Merz sagt.
00:26:48,832 –> 00:26:59,342 [Heidi]
Ja, Eingliederungshilfe kann man ja mal irgendwie wieder streichen und man fragt sich wirklich, ob er nicht weiß, wovon er da redet. Das kann ja durchaus sein, aber dann sollte man es vielleicht auch so nicht sagen. Aber das ist so das, was mich frustriert an vielen Stellen.
00:26:59,342 –> 00:26:59,352 [Raúl]
[Murmeln]
00:26:59,352 –> 00:27:09,072 [Heidi]
Ne? Also, wir haben auch ein Recht auf einen Kitaplatz, das nicht umgesetzt wird. Also es gibt so viele Rechte, auch Kinderrechte, die einfach da sind und wo alle sagen, ja, ist wichtig, aber wenn es an die Finanzierung geht, ist es plötzlich wieder vorbei.
00:27:09,072 –> 00:27:14,832 [Raúl]
Aber wie vermeiden wir beide jetzt dieses magische Denken? Ja, man braucht nur mehr Geld.
00:27:14,892 –> 00:27:21,172 [Raúl]
Ähm, und welche drei Hebel würdest du konkret sehen, die man bewegen könnte?
00:27:21,172 –> 00:27:25,042 [Heidi]
Es ist ja so ’n Riesenthema, ne? Also auf der einen Seite bleibt’s trotzdem dabei.
00:27:25,042 –> 00:27:25,042 [Raúl]
Ja.
00:27:25,042 –> 00:27:49,652 [Heidi]
Es braucht Geld für beispielsweise für Umbau, für, für Personal, für Unterstützung. Also da kommen wir nicht drumrum. Es braucht aber zweitens, ähm, auch mehr Anerkennung, mehr Respekt, mehr Sichtbarkeit. Wenn ich sage Anerkennung, Respekt, denke ich zum Beispiel an die Werkstätten für Menschen mit Behinderung, wo es ja keinen Mindestlohn gibt, obwohl die da, ähm, ’nen Hammerjob machen, wo halt leider oft es gar nicht darum geht, dass es ’ne Durchlässigkeit auch in den ersten Arbeitsmarkt gibt, sondern die, die besonders viel leisten, auch am liebsten dabehalten werden, weil sie dann natürlich-
00:27:49,652 –> 00:27:50,622 [Raúl]
[Murmeln]
00:27:50,622 –> 00:28:27,681 [Heidi]
-ne, diese Leistung liefern. Also da, ne, diese Respektsfrage finde ich da ganz massiv und eben, ähm, diese Frage nach Sichtbarkeit, ähm, das, dass man Inklusion nicht so als, als ein Thema begrei-begreift, das da so für sich steht, sondern als Querschnittsthema. Das war mir immer wichtig. Also mein Co-Fraktionsvorsitzender Sören Pellmann ist ja bei uns Sprecher für Inklusion, ist ja selber Förderschullehrer. Und, ähm, mir ist immer klar, wir brauchen das, aber ich finde, jeder und jede von uns muss auch in seinem Bereich schauen, ähm, dass er dieses Thema im Blick hat. So, also ich habe ja zum Beispiel Frauenpolitik gemacht. Und wir haben damals am fünfundzwanzigsten Elften, am Tag gegen Gewalt an Frauen, eine Veranstaltung gemacht, ähm, zum Thema, äh, sexuelle Gewalt gegen Frauen mit Behinderung-
00:28:27,681 –> 00:28:27,681 [Raúl]
[Murmeln]
00:28:27,681 –> 00:28:33,032 [Heidi]
-weil das so ’n volles Tabuthema ist. Und dabei sind die viel häufiger noch von dieser Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderung, was ich ganz-
00:28:33,032 –> 00:28:33,382 [Raúl]
Viermal so weit rechts.
00:28:33,382 –> 00:28:49,732 [Heidi]
-unfassbar krass finde. Ja, genau. Und, ähm, das haben wir halt als, als Thema gesetzt, weil wir gesagt haben, darüber muss man reden. Man muss über barrierefreie Frauenhäuser reden und Beratungsstellen und so weiter. Deswegen finde ich das so wichtig, dass halt alle das auch irgendwo mitdenken. Und ich bin auch aber ehrlicherweise immer froh, dass ich gerade in meiner Partei Genossinnen habe, die das auch immer wieder einfordern-
00:28:49,732 –> 00:28:50,022 [Raúl]
[Murmeln]
00:28:50,022 –> 00:28:58,522 [Heidi]
-weil auch wir sind da noch bei weitem nicht so inklusiv, wie wir es gerne wären. Also wir haben schon Menschen mit Behinderungen auf unseren Listen. Bei allen, also ist ja auch nicht bei allen sichtbar, das wollen sich ja auch nicht alle outen,-
00:28:58,522 –> 00:28:58,542 [Raúl]
[Murmeln]
00:28:58,542 –> 00:29:12,092 [Heidi]
-sage ich mal, ne? Also muss man ja auch bedenken. Ähm, aber das reicht an der Stelle nicht. Auch wir müssen gucken, wie wir unsere Inhalte auch mal in einfacher Sprache rüberbringen. Also, das ist immer wieder regelmäßig der Wunsch und wir schaffen’s an vielen Stellen noch nicht, sage ich auch ganz ehrlich.
00:29:12,092 –> 00:29:21,952 [Raúl]
Also ich bin ganz bei dir, wenn, wenn es heißt, irgendwie wir müssen das natürlich auch finanzieren. Ähm, und mit magischem Denken meinte ich so, dieses, das hat Aladin El-Afalani in diesem Podcast mal das-
00:29:21,952 –> 00:29:22,122 [Heidi]
[Murmeln]
00:29:22,122 –> 00:29:26,892 [Raúl]
-Wort hier eingebracht, ähm, als er gesagt hat, na ja, also man kann sich ganz viel wünschen-
00:29:26,892 –> 00:29:27,422 [Heidi]
[Murmeln]
00:29:27,422 –> 00:29:46,391 [Raúl]
-ne, aber wenn wir irgendwie die ganze Zeit diese Schuldenbremse vor uns ertragen als Monstranz, ähm, äh, und dann, dann funktioniert das scheinbar nicht mit diesem Argument, wir brauchen mehr Geld. Da muss man irgendwie anders argumentieren. Und, ähm, er hat es bezogen vor allem auf die Frage und das fand ich unfassbar interessant. Ähm,
00:29:46,392 –> 00:29:49,412 [Raúl]
der– Wir haben Fachkräftemangel-
00:29:49,412 –> 00:29:49,432 [Heidi]
[Murmeln]
00:29:49,432 –> 00:29:53,472 [Raúl]
-auf der einen Seite und auf der anderen Seite wollen wir aber keine Zuwanderung.
00:29:53,472 –> 00:29:53,912 [Heidi]
[Murmeln]
00:29:53,912 –> 00:30:13,252 [Raúl]
So, dann ist es ja jetzt magisches Denken. Was sollen wir jetzt tun? Wir können jetzt die Leute besser bezahlen, aber dann brauchen wir trotzdem keine Fachkräfte. Ähm, wir können jetzt in Ausbildung stecken, aber das dauert zu lange. Irgendwo müssen wir die, die Lösung haben. Und da meinte Aladdin, na ja, wir könnten jetzt zum Beispiel mal darüber nachdenken, ob wir alte Menschen mehr einbeziehen.
00:30:13,252 –> 00:30:13,272 [Heidi]
[Murmeln]
00:30:13,272 –> 00:30:29,452 [Raúl]
Und zwar nicht im Sinne von: „Du kriegst sonst keine Rente.“ Oder so, sondern da irgendwie an ihren, an das Ehrenamt appellieren und da würden zehn Prozent reichen, die das frei– wenn die das freiwillig täten, ’nen großen Druck aus dem System in der Kita, in der Pflege, was auch immer, ähm, zumindest erst mal zu lindern.
00:30:29,452 –> 00:30:29,512 [Heidi]
[Murmeln]
00:30:29,512 –> 00:30:40,396 [Raúl]
Ähm, und ich fand es interessant, dass das ein Debattenbeitrag war-Den wir, wenn wir uns ehrlich machen und eben nicht an magisches Denken äh, immer appellieren, einfach auch führen müssen.
00:30:40,396 –> 00:30:40,735 [Heidi]
Mhm.
00:30:40,735 –> 00:30:50,296 [Raúl]
Wo soll das denn herkommen? Wie sollen wir das denn machen? Was wäre denn jetzt dein Vorschlag, äh, wenn wir sagen, wir brauchen mehr Geld? Ähm, wär das die Schuldenbremse auflösen?
00:30:50,296 –> 00:31:15,876 [Heidi]
Genau, also zum einen wollen wir sie abschaffen, mindestens reformieren. Da gibt’s jetzt auch grad diese Kommission. Das ist schon mal gut. Wir haben ja auch gesehen, dass es funktioniert. Also bei Rüstung hat es funktioniert. Jetzt müssen wir nicht diskutieren, ob man das gut findet oder nicht, können wir gerne. Aber man sieht ja, diese angebliche, ähm, Schuldenbremse, die leider nicht umgehbar ist, kann man umgehen, wenn man will. Also sie ist ja nicht gottgegeben und auch kein Naturgesetz. Es sind Regeln, die man sich gegeben hat, die uns viel zu sehr einschnüren. Also wir könnten sie reformieren-
00:31:15,876 –> 00:31:17,516 [Raúl]
Sie wirkt da alles wie ’ne Religion, hab ich den Eindruck.
00:31:17,516 –> 00:31:19,376 [Heidi]
Genau. Und das ist halt einfach Quatsch.
00:31:19,376 –> 00:31:19,536 [Raúl]
Ja.
00:31:19,536 –> 00:31:49,896 [Heidi]
Also man kann da was bewegen. Wir sagen ja auch, wir wollen Umverteilung, ne, Vermögenssteuer, Löcher bei der Erbschaftssteuer, äh, stopfen, diese ganzen Steuervermeidungstaktiken angehen, Tarifflucht, alles, was dazugehört. Also auch damit kannst du– Das Geld ist da, du musst es nur richtig verteilen. Also das wär ja nicht das Problem, aber es ist absolut richtig. Ähm, wir haben an vielen Stellen Fachkräftemangel. Das liegt zum Teil daran, dass die Arbeitsbedingungen und die Gehälter nicht gut genug sind. Also viele Leute verlassen auch gerade den sozialen Sektor, weil sie sagen, das ist für die Belastung, die man da auch hat, das will ich nicht mehr. Ähm, also daran kann man was machen. Ähm-
00:31:49,896 –> 00:31:51,876 [Raúl]
Aber es wird ja schlimmer, wenn mehr Leute aufhören.
00:31:51,876 –> 00:32:23,026 [Heidi]
Genau, deswegen muss man da auch dringend was machen, um die, die da sind, im System auch zu halten. Und man muss natürlich auch Quereinstieg ermöglichen. Ich bin ja auch nur über den Quereinstieg in die Jugendhilfe gekommen. Das bedeutet aber, es muss die Mittel geben für Qualifizierung. Und die Leute müssen aber in dieser Qualifizierungszeit natürlich auch Geld haben, von dem sie leben können. Aber dafür, da könnte man ’n Schritt weitergehen. Zuwanderung absolut, ne. Dazu muss es aber auch einfacher werden, Qualifizierung anzuerkennen. Und ehrlicherweise, mit Blick auf diese Wahlergebnisse, die wir hier teilweise haben, überlegen sich die Leute das auch mehrmals, ob sie in Deutschland, grade wenn man sieht, dass sie vielleicht nicht aus Deutschland kommen-
00:32:23,026 –> 00:32:23,735 [Raúl]
Ja, würd ich auch.
00:32:23,735 –> 00:32:41,526 [Heidi]
Ja, ja, irgendwie ihr Leben verbringen wollen. Aber natürlich, das Thema Ehrenamt ist, ähm, ist für mich immer son bisschen zweischneidig, weil es sind schon unfassbar viele Menschen ehrenamtlich aktiv. Das zeigt mir halt auch noch mal, dass Menschen was arbeiten und was Gutes tun wollen und dass es gar nicht nur finanziellen Ausgleich geht. Die Frage ist immer so ’n bisschen-
00:32:41,526 –> 00:32:44,356 [Raúl]
Ich glaub, das war der Ehrenamtkampf von mir. Ich will jetzt gerade den nichts unterstellen.
00:32:44,356 –> 00:32:56,425 [Heidi]
Nein, alles gut. Im Notfall meldet er sich bei mir, wenn wir irgendwas Quatschiges erzählen oder bei dir und dann kann man’s noch mal, ähm, noch mal klären. Also ich find’s auch natürlich gut, weil viele auch grade viele Rentnerinnen und Rentner sind schon aktiv und ohne die würde ganz viel mehr zusammenbrechen.
00:32:56,425 –> 00:32:57,175 [Raúl]
Ja, klar.
00:32:57,176 –> 00:33:20,895 [Heidi]
Die Frage ist immer son bisschen die Qualifizierung. Ähm, weil auch grade in der Kita brauchst du natürlich Fachkräfte. Es geht frühkindliche Bildung, äh, um Pädagogik. Da steckt eine ganze Menge dahinter. Das ist nicht nur satt und sauber, ne. Also weißt du selber, auch beim Ganztag jetzt. Also da sind viele Leute total engagiert, aber sie müssen ja auch gewisse Fähigkeiten haben. Also du kannst da auch nicht immer irgendwie jede Person sozusagen reinholen, sondern musst du vorher qualifizieren. Auch das dauert. Aber es ist da-
00:33:20,896 –> 00:33:23,066 [Raúl]
Oder sie sind in Rente und qualifiziert.
00:33:23,066 –> 00:33:43,216 [Heidi]
Dann kann man natürlich, also ich bin ja voll dafür, wer länger arbeiten will, dass der oder die auch länger arbeiten kann beziehungsweise natürlich auch ehrenamtlich. Das, da steht ja auch jetzt nichts im Weg, ne. Also da hab ich überhaupt kein Problem mit. Das, die meisten werden wahrscheinlich an der Stelle sagen, ich bin jetzt nach diesen fünfundsechzig Jahren oder mit fünfundsechzig Jahren nach den vierzig Jahren Arbeit oder fünfundvierzig Jahren Arbeit, besser gesagt, reicht’s mir jetzt auch ’n bisschen.
00:33:43,216 –> 00:33:48,536 [Raúl]
Also ich muss in dem Moment an meinen Großvater denken, der Lehrer war und der eingegangen ist, als er keinen Job mehr hatte.
00:33:48,536 –> 00:34:09,056 [Heidi]
Ja, deswegen, viele wollen was machen. Das find ich, das sollte auf jeden Fall möglich sein. Deswegen, ich bin gar nicht, äh, gegen diese Aktivrente, die jetzt die, die Regierung diskutiert. Ich weiß halt nur, dass es das Kernproblem nicht lösen wird, weil wir haben halt einfach ganz viele Menschen, die in Rente gehen, auch schon früher, weil sie’s einfach nicht mehr schaffen, weil sie körperlich oder mental total kaputt sind. Das ist also für einige total wichtig, das zu tun, find ich super-
00:34:09,056 –> 00:34:09,396 [Raúl]
Mhm.
00:34:09,396 –> 00:34:11,795 [Heidi]
Aber das löst halt das Grundproblem in der Rente nicht.
00:34:11,795 –> 00:34:15,476 [Raúl]
Ja, die Aktivrente, der klingt mir auch zu sehr nach, sonst kriegst du keine Rente.
00:34:15,476 –> 00:34:19,196 [Heidi]
Das wird auch am Ende dieser Druck sein. Ja. Also mach doch einfach weiter und das klappt halt nicht.
00:34:19,196 –> 00:34:20,406 [Raúl]
Das muss freiwillig bleiben.
00:34:20,406 –> 00:34:47,936 [Heidi]
Genau. Und das ist es ja an der Stelle noch. Also das ist ja auch der, der Ansatz zu sagen, wir gucken mal, wie viele nicht freiwillig weitermachen wollen und ob’s da nicht, also ob das nicht reicht, bevor wir das Rentenalter erhöhen. Das ist ja gut. Aber wie gesagt, ich fürchte, das ist jetzt nicht die Lösung für das, also das ist nicht die Lösung für das Kernproblem und, ähm, aber trotzdem ’n Aspekt, der grad beim Fachkräftemangel an solchen Stellen sicher mithelfen kann. Also da gibt’s verschiedene Möglichkeiten, aber man muss sie halt auch bereit sein umzusetzen.
00:34:47,936 –> 00:34:52,016 [Raúl]
Du hast grade Endometriose und, äh, Lipödem, äh, genannt-
00:34:52,016 –> 00:34:52,876 [Heidi]
Mhm.
00:34:52,876 –> 00:35:04,095 [Raúl]
Als Thema, dass, äh, Frauengesundheit, äh, stark, also dass das Thema Frauengesundheit stark, stärker werden muss. Was müssen wir tun, damit es genauso wichtig ist wie Behandlung von Prostatakrebs?
00:35:04,096 –> 00:35:04,876 [Heidi]
[Lachen] Also-
00:35:04,876 –> 00:35:06,456 [Raúl]
Also warum ist das noch nicht so?
00:35:06,456 –> 00:35:15,035 [Heidi]
Ja, das ist ’ne gute Frage. Ich glaube, die Antwort ist Patriarchat. Also, ähm, wir leben einfach in ’ner Gesellschaft, die von Männern, äh, gestaltet wurde und auch immer noch zentral wird.
00:35:15,036 –> 00:35:15,736 [Raúl]
Das ist ja schrecklich.
00:35:15,736 –> 00:35:35,266 [Heidi]
Ja, ich verweise noch mal über den, auf den Männerüberhang im Bundestag und so weiter. Äh, das macht natürlich was. Also auch die ganze Forschung, die ganze Wissenschaft, also auch grade Berufe im medizinischen Bereich, also wie lange mussten Frauen kämpfen, um studieren zu dürfen, um überhaupt Ärztinnen werden zu können? Und dann höre ich immer von einigen Männern, ja, aber das ist ja jetzt auch schon, ne, seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten anders. Ja, aber das macht was aus.
00:35:35,266 –> 00:35:35,276 [Raúl]
Klar.
00:35:35,276 –> 00:36:19,486 [Heidi]
Es macht was aus, wann du diesen Zugang hattest und wer am Ende die Forschung macht und wer am Ende die Professur hat. Und, ähm, natürlich macht es auch was aus, wo am Ende die, äh, die finanziellen Mittel sind beziehungsweise wo man den Profit wittert. Und, äh, das ist eben grade bei solchen Fragen, was, was dem im Weg steht, sag ich mal. Und wir brauchen deswegen dringend mehr finanzielle Mittel für die Forschung an solchen Krankheiten, weil halt immer noch nicht klar ist, wo kommt es eigentlich her? Was hat wirklich Einfluss? Wie kann man da final gegen vorgehen? Gibt’s überhaupt eine Behandlung? Ähm, da ist einfach viel zu wenig Wissen da. Es ist auch generell viel zu wenig Aufklärung da. Also Endometriose, Lipödem betrifft ja jede zehnte Frau. Und grade die Diagnosezeiten, das sind Jahre, die da vergehen. Oft werden Frauen auch einfach immer noch nicht ernst genommen-
00:36:19,486 –> 00:36:19,486 [Raúl]
Mhm.
00:36:19,486 –> 00:37:18,852 [Heidi]
-wenn sie Schmerzen haben, ne? Also werden irgendwie zur Seite geschoben. Ähm, wenn du Migrationshintergrund hast, ist das genauso. Also es sind ja alles, äh, ist ja alles per Studien belegt. Also wir alle müssen unseren, unsere internen Vorurteile und Privilegien irgendwie checken, um, um da auch irgendwie rauszukommen. Aber das ist natürlich-Also ich sage auch, wenn das Männer betreffen würde, da gäbe es schon lange eine Lösung. Das ist wie beim Thema Verhütung. Warum müssen alle, fast alle Methoden, nahezu alle, also abgesehen vom Kondom oder einer Vasektomie, die ich den Herren immer empfehle, wenn sie nicht wollen, dass jemand ungewollt schwanger wird, aber das wollen sie ja dann auch wieder nicht. Warum liegt das immer bei den Frauen? Die finanziellen Kosten, die hormonellen Kosten, also die körperlichen auch generell. Warum gibt es da keine Forschung? Also das ist schon krass. Auch Medikamente, die werden ja nur fast ausschließlich an Männern erforscht, weil es bei den Frauen so kompliziert ist. Genau deswegen musst du es machen. Also es ist Wahnsinn. Und vor allem, ich weiß nicht, wie es dir geht. Manchmal, wenn ich solche Geschichten höre, denke ich mir auch: „Das kann nicht sein. Und bis ich mich dann damit beschäftige und merke, das ist so.
00:37:18,852 –> 00:37:47,272 [Raúl]
Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und wirst, wenn du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos findest du auf im-auftug.de. Ende der Servicedurchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge.
00:37:47,332 –> 00:37:52,552 [Raúl]
Also tatsächlich unfassbar schwer, eine barrierefreie gynäkologische Arztpraxis zu finden.
00:37:52,552 –> 00:37:56,992 [Heidi]
Ja, das glaube ich. Wenn ich an meinen denke, glaube ich, würde das auch nicht funktionieren.
00:37:57,052 –> 00:38:00,452 [Raúl]
Und da fängt es halt schon an.
00:38:00,452 –> 00:38:10,832 [Raúl]
Es gibt ja angeblich die Verpflichtung, dass Arztpraxen nennen sollen, ob sie barrierefrei sind oder nicht. Und die werden dann in der KV gemeldet, aber KV ist ja Ländersache
00:38:10,832 –> 00:38:23,072 [Raúl]
und die pflegen dann irgendwo in der hintersten Website ein PDF-Dokument, das nicht aktualisiert wird, nicht durchsuchbar ist. Und es ist tatsächlich immer noch wie damals so die gelben Seitenzeiten.
00:38:23,072 –> 00:38:27,932 [Raúl]
Gar nicht so einfach und das ist dann nur über Mundpropaganda. Man fragt andere Frauen mit Bindung.
00:38:27,932 –> 00:38:29,152 [Heidi]
Ja, das ist krass.
00:38:29,152 –> 00:38:39,532 [Raúl]
Und dann fährt man quer durch die Stadt. Also ich fahr auch quer durch die Stadt. Ich war neulich in Karlshorst und ich wohne in Kreuzberg, einen barrierefreien Augenarzt zu finden, der einen Termin hat.
00:38:39,532 –> 00:38:42,472 [Heidi]
Ja, na gut. Das mit dem Termin ist ja auch noch mal so ’ne ganz andere Frage.
00:38:42,472 –> 00:38:51,572 [Raúl]
Ich kann natürlich bei Dr. Lib gucken, aber der steckt mir ja nur Privatkasse vor. Und ich kann nicht barrierefrei filtern und dann bist du echt gewalt am Recherchieren.
00:38:51,572 –> 00:38:58,952 [Heidi]
Ja, das glaube ich. Da muss ich auch zugeben, habe ich mir auch noch nie Gedanken drüber gemacht, weil klar, wenn es einen nicht betrifft, hat man es nicht auf dem Schirm, aber es ist natürlich logisch.
00:38:58,952 –> 00:39:06,212 [Raúl]
Und wenn es schon die Verpflichtung gibt, zu nennen, ob man barrierefrei ist oder nicht, dann muss ich es halt auch findbar machen. Das ist halt Also echt …
00:39:06,212 –> 00:39:14,852 [Heidi]
Also das könnte man bei so Seiten, wo man auch Arzttermine machen kann, ja ohne Probleme tun. Also da kannst du ja als Arztpraxis eigentlich nur einen Haken setzen. Mehr musst du ja gar nicht machen, ne?
00:39:14,852 –> 00:39:17,272 [Raúl]
Genau.
00:39:17,272 –> 00:39:25,152 [Raúl]
Also es ist tatsächlich… Es gibt irgendwie Arztauskunft von der Stiftung Gesundheit. Das ist noch das beste Angebot, aber jetzt auch nicht super
00:39:25,152 –> 00:39:27,012 [Raúl]
optimal.
00:39:27,012 –> 00:39:59,092 [Raúl]
Ja, da ist eine Menge zu tun. Ich glaube, da müsste auch der Gesetzgeber, Gesetzgeberin mal ran. Martina Linatas hat vor kurzem ihren Podcast erzählt und das fand ich eine ziemlich geile Aussage: „Die Reichen profitieren am meisten vom Sozialstaat. Also das fand ich insofern eine Aussage, weil man immer denkt, die Armen profitieren, das ist alles für die Armen und so und man müsste am Sozialstaat kürzen und so. Aber die, die wirklich profitieren, sind die Reichen. Weil sie haben das verglichen mit Mexiko, wo einfach die Reichen sich dann einen eigenen
00:39:59,092 –> 00:40:27,312 [Raúl]
Privatschutz leisten müssen, damit sie quasi in der sozialen Ungleichheit nicht, keine Ahnung, erpresst werden. Dein Kind, dein Handy, was auch immer entführt wird oder du selber in deinem Leben bedroht wirst, dass quasi ein funktionierender Sozialstaat der auch, sagen wir mal, funktionierende Rechtsstaatlichkeiten hat, auch den Reichen zugutekommt und wir das viel zu wenig in die Debatten mit einbeziehen.
00:40:27,312 –> 00:41:43,352 [Heidi]
Ja, und ich finde halt nicht nur mit Blick darauf, dass sie, äh, dass so ein Sozialstaat dafür sorgt, dass es jetzt irgendwie nichts zur Revolte kommt an der Stelle, sondern man muss ja auch sagen, also je nachdem, von wem wir reden, also gerade Menschen, die reich geworden sind, weil sie beispielsweise auch Menschen haben, die einen Mehrwert erschaffen, der ihnen zugutekommt, wo sie natürlich vielleicht nicht die entsprechenden Löhne zahlen. Ich sage das mal so ganz vorsichtig: Die können ja dann zum Amt gehen und aufstocken. Das heißt, über dieses Aufstocken subventionieren wir dann auch noch deren Gewinne. Genau Solche Geschichten zum Beispiel, wo ich mir denke: „Okay. Oder ich meine, du brauchst Arbeitskraft. Die Arbeitskraft muss irgendwie entstehen und erhalten werden, so klassisch Marx. Also wo kommt das her? Es war diese schöne Aufteilung. Das Patrechat und der Kapitalismus funktionieren ja sehr gut. Die Frau kümmert sich darum, dass es dem Arbeiter gut geht, das neue Nachkommen und so weiter, was ja alles nicht mehr klappt, weil die muss ja jetzt auch arbeiten. Aber so ein Sozialstaat, der kümmert sich, dass die ausgebildet werden, dass die gesund sind und dass sie natürlich brav arbeiten können. Also das ist ja auch grundsätzlich gut so. Wir brauchen natürlich einen vernünftigen Bildungssektor und vernünftige Gesundheitspolitik und so weiter. Aber klar, davon profitieren natürlich auch die, die auf diese Arbeitskraft angewiesen sind. Also auch in einer ganz logischen Herleitung. Und das ist natürlich ein Punkt, ähm, wo man sagt, eigentlich würden alle am Ende von einer gleichen Gesellschaft profitieren, aber na ja, fast alle zumindest.
00:41:43,352 –> 00:41:47,732 [Raúl]
Was sagen denn eure Berechnungen, wie hoch der Mindestlohn sein müsste, damit wir nicht in Altersarmut landen?
00:41:47,732 –> 00:43:06,188 [Heidi]
Ähm, es gibt ja diese Berechnung, sechzig Prozent vom Medianlohn. Das ist in der Europäischen Union die Ansage. Der ist bei über fünfzehn Euro gerade. Jetzt frage ich mich ehrlicherweise, ob es fünfzehn Euro vierzig gerade sind. Also wir gehen ja mit fünfzehn Euro in diese Debatte. Es wäre schon mal ein deutlicher Sprung, aber eigentlich müsste man einfach einen Mechanismus schaffen, dass der Mindestlohn immer entsprechend dieses sechzig Prozent Medianlohns einfach erhöht wird. Ja, das heißt, diese Kommission braucht es nicht mehr. Das ist auch okay. Man braucht noch nicht immer für alles eine Kommission. Wir sind ja Gesetzgeber. Wir haben das Recht, so eine Mindestgrenze zu ziehen für Arbeitsbedingungen. Ja? Also ich finde, ich liebe ja dieses Argument, dass ich immer von der Union höre, es muss ja dieser Aushandlungsprozess und das ist ja das, was die Gewerkschaften machen. Ich denke, wenn Unionsleute mich mit Gewerkschaften irgendwie zur Seite schieben wollen, nein, auch die sind für einen armutsfesten Mindestlohn und die kümmern sich schon gute Arbeitsbedingungen, aber es muss halt einfach eine Grundlage geben. Einen armutsfesten Mindestlohn, eine maximale Arbeitszeit, eben nicht diese ganze Flexibilisierung, die uns jetzt als Gewinn verkauft wird. Also da kann ein Gesetzgeber nicht nur rein, da muss ein Gesetzgeber rein. Und ich finde, also …Wie willst du– Also stell dir mal vor, es landen irgendwelche Aliens bei uns auf dem Planeten, mal so ganz blöd gesagt. Ne? Und denen sagst du dann: „Wir haben hier Menschen, die arbeiten von früh bis spät und bekommen dafür Geld, aber sind trotzdem arm und können sich nicht das leisten, was sie eigentlich zum Leben brauchen.“ Die halten uns doch alle für bekloppt. Also das kann doch nicht unser Anspruch sein.
00:43:06,188 –> 00:43:17,988 [Raúl]
Und, ähm, als der zwölf Euro Mindestlohn eingeführt wurde von der SPD, das wurde ja gefeiert als großer Schritt und so weiter und so fort. Und damals sagte schon das DIW, dass es fünfzehn Euro sein müssten.
00:43:17,988 –> 00:44:15,067 [Heidi]
Also ich weiß nicht, ob das von Anfang an so war, ehrlicherweise, aber, ähm, ich weiß, wir haben damit mit der Forderung angefangen, sage ich auch, wie es ist, aus der Opposition heraus. Das waren auch noch nicht alle Gewerkschaften dafür. Und wir haben dann so viel Druck gemacht und es war natürlich auch logisch, einfach, ähm, genau das Richtige zu tun, bis es dann gekommen ist und bis er dann umgesetzt wurde. Und der hat so vielen Millionen Menschen geholfen. Also gerade so in strukturschwachen Bereichen, ne, also würde das den Menschen massiv helfen. Die würden auf einen Schlag deutlich mehr haben und die würden dieses Geld ja auch wieder in die Geschäfte tragen. Also es würde auch die Binnennachfrage ankurbeln, die Wirtschaft im Inneren. Und das brauchen wir ganz dringend, weil da sieht’s düster aus. Und das ist zum Beispiel so ein Punkt, weil wir vorhin noch von diesem Rechtsruck gesprochen haben, wo ich mich frage: Also Leute, die, ähm, die AfD wählen, begreifen die, dass die zum Beispiel gegen so einen Armutsfestmindestlohn sind, der wahrscheinlich vielen dieser Wählerinnen und Wählern auch helfen würde. Begreifen die, dass die sich gegen Gewerkschaften stellen, dass die keine Investitionen wollen, weil sie wollen ja den Reichen noch mehr geben. Also mit diesem sozialen Punkt, ähm, da, da frage ich mich manchmal, wie man das noch mal irgendwie rüberkriegt.
00:44:15,067 –> 00:44:30,828 [Raúl]
Ich bin inzwischen zu der Erkenntnis gekommen, dass, ähm, Bildung, du hast es ja auch vorhin schon gesagt, vielleicht gar nicht das Problem ist. Also wir, wir, ne– Man könnte natürlich immer sagen, ja, wir müssen politisch bilden, wir müssen mehr Geld in politische Bildung investieren. Klar, kann man nie genug machen.
00:44:30,828 –> 00:44:31,158 [Heidi]
Mhm.
00:44:31,158 –> 00:44:40,048 [Raúl]
Sehe ich auch so. Aber ich glaube, es geht hier um Gefühle. Und, ähm, Gefühle sind sehr schwer– Das weiß, das weiß man eigentlich aus jeder Mediation.
00:44:40,048 –> 00:44:40,308 [Heidi]
Mhm.
00:44:40,308 –> 00:44:42,748 [Raúl]
Gefühle sind sehr schwer mit Fakten zu belegen.
00:44:42,748 –> 00:44:43,587 [Heidi]
Ja.
00:44:43,588 –> 00:44:55,688 [Raúl]
Ähm, sodass wahrscheinlich dieses Gefühl von Angst vor Abstieg, äh, der Angst, die Angst vor der Zukunft, ähm, auch nur vor den Rechten bedient wird.
00:44:55,688 –> 00:45:05,538 [Heidi]
Ja, weil… Na ja, es ist auch so, es gibt ganz viele Studien, die zeigen, wenn es den Menschen schlechter geht, wenn sie wirtschaftlich absteigen oder sozial, dann sind sie offen für diesen, ähm, für diese rechtsextreme-
00:45:05,538 –> 00:45:06,377 [Raúl]
Und das macht die Union genauso.
00:45:06,377 –> 00:45:23,868 [Heidi]
-Erklärung. Und das Problem ist, da kannst du eigentlich nur rein, wenn du wirklich für ’ne soziale Absicherung sorgst. Wenn du den Leuten zeigst, dieser Staat ist für dich da, er schützt dich, ja, wenn du mal arbeitslos wirst, wenn du krank wirst oder wenn sonst was passiert und, äh, er passt auf dich auf. Er kümmert sich. Aber genau das wurde ja seit Jahrzehnten immer weiter abgebaut.
00:45:23,868 –> 00:45:24,488 [Raúl]
Ja.
00:45:24,488 –> 00:46:08,988 [Heidi]
Und, ähm, es gab gerade einen spannenden Artikel in der, in der Zeit, wo auch noch mal deutlich wird, dass die Menschen, die die AfD wählen, auch gar nicht sich für stärkere Sozialsysteme einsetzen, sondern dass die halt das verinnerlicht haben: „Okay, ich muss es selber schaffen, ich kann es auch selber schaffen, was nicht stimmt. Also dieses ganze Aufstiegsversprechen, das funktioniert ja überhaupt nicht und wenn, dann nur für ganz, ganz wenige Leute. Und dass sie da halt sehr krass in dieser Ellenbogenmentalität drin sind und die da wieder rauszuholen und zu zeigen: „Ey, du, du musst nicht für dich kämpfen gegen andere, sondern wir können gemeinsam füreinander kämpfen“, das wieder rauszukriegen, ähm, auch nach so vielen Jahren, ähm, von, ja, vom Kürzen und, äh, vom Zerstören öffentlicher Daseinsvorsorge, das ist halt echt ’ne Herausforderung. Und da kommt halt diese ganze rechte Hetzpropaganda auf fruchtbaren Boden, ne? Es ist so einfach zu sagen, der Flüchtling muss weg.
00:46:08,988 –> 00:46:13,468 [Raúl]
Das bedienen aber alle Parteien. Also die SPD redet auch vom Frauenarbeitslosen.
00:46:13,468 –> 00:46:13,888 [Heidi]
Ja.
00:46:13,888 –> 00:46:14,848 [Raúl]
Und so weiter.
00:46:14,848 –> 00:46:36,668 [Heidi]
Auch jetzt nach der NRW-Wahl war wieder die erste „Analyse“ in Anführungsstrichen – man sieht mich ja gerade nicht, wie ich es mache –, äh, von Henrik Wüst zu sagen: „Wir müssen mehr über Migration reden.“ Dann höre ich aus der SPD den gleichen Quatsch, wo man sich denkt: „Ihr habt die ganze Zeit über Migration geredet. Ihr habt EU-Recht gebrochen und rechtswidrige Zurückweisungen angeordnet. Ihr habt den Familiennachzug ausgesetzt.“ Das ist eine der grausamsten Maßnahmen, die ich mir vorstellen kann. Es bringt euch nichts-
00:46:36,668 –> 00:46:39,618 [Raúl]
Ich will auch keine Wahlkämpfe für diese Partei machen.
00:46:39,618 –> 00:46:39,648 [Heidi]
Ja, mm.
00:46:39,648 –> 00:46:50,958 [Raúl]
Aber wer sagt’s denen? Also… [stammelt] Ich verstehe das nicht. Die müssen ja auch Einflüsterer haben und Beraterinnen haben und Politologen haben, die denen sagen: „Äh, sag das.“ Also, äh…
00:46:50,958 –> 00:47:03,568 [Heidi]
Ja, [lacht] ich frage mich das auch ehrlicherweise. Ich sage der Union jedes Mal: „Ihr habt doch jetzt irgendwie langsam mitbekommen, wenn ihr das von der AfD übernehmt und selber umsetzt, stärkt ihr nur die AfD, weil ihr legitimiert sie damit“. Und die kann halt immer sagen: „Guckt mal, unser Druck hat gewirkt.“
00:47:03,568 –> 00:47:06,787 [Raúl]
Man wählt auch nicht die Linkspartei, wenn man das Klima schützen will.
00:47:06,787 –> 00:47:11,118 [Heidi]
Och, das sollte man schon machen, weil unsere Konzepte sind auf jeden Fall sehr, sehr gut, aber nein.
00:47:11,118 –> 00:47:11,987 [Raúl]
Ja, aber es geht ja um das Image.
00:47:11,988 –> 00:47:23,108 [Heidi]
Es ist Branding, genau, genau. Das haben die Grünen noch, mal gucken. [lacht] Aber das ist ja auch vollkommen in Ordnung. Ähm, aber im Kern geht es ja trotzdem darum, den Alltag der Menschen zu verbessern. Und wenn das Politik nicht leistet-
00:47:23,108 –> 00:47:23,158 [Raúl]
Ja.
00:47:23,158 –> 00:47:25,448 [Heidi]
-sondern eben immer von unten nach oben verteilt-
00:47:25,448 –> 00:47:25,458 [Raúl]
Genau.
00:47:25,458 –> 00:47:57,218 [Heidi]
-was ja sowieso schon passiert, dann verlieren die Leute das Vertrauen. Und wir sehen ja auch zum Beispiel, ich denke wieder an die Kommunalwahlen gerade, zweiundvierzig Prozent der Menschen haben gar nicht gewählt. Es gab einen leichten Anstieg, ich glaube, um sechs, sieben Prozent im Vergleich zur letzten Kommunalwahl. Mehr als– Also seit ’94 war der jetzt nicht mehr so hoch. Aber trotzdem, zweiundvierzig Prozent, die sagen: „Mir doch egal.“ Oder besser gesagt: „Nee, bringt eh nichts.“ Und an die wieder ranzukommen und zu sagen: „Doch, es kann was verändern.“ Also zum Beispiel, wir haben in Köln ein Direktmandat gewonnen und unser Kandidat hat mit sechs Stimmen Vorsprung gewonnen. Also sag mir nicht, dass nicht jede Stimme was ausmacht, ne?
00:47:57,218 –> 00:47:58,288 [Raúl]
Mhm, mhm.
00:47:58,288 –> 00:48:08,808 [Heidi]
Aber klar, wenn du irgendwie jahrelang Leute wählst und es glaubst und es bewegt sich nichts, sondern eher noch in die falsche Richtung, natürlich verlierst du da irgendwie dein, dein Glauben und bist gefrustet. Und das macht mir auch Sorgen.
00:48:08,808 –> 00:48:29,087 [Raúl]
Jetzt haben wir gerade ein paar Politikerinnen genannt, also Wüst, mir fällt noch Söder ein, Linnemann, Merz, Spahn. [Schmunzeln] Alles auch, auch ehrlich gesagt Klingbeil. Ich frage mich manchmal, wenn ich so Fernseh gucke und diese Politikerinnen reden, in ihren Talkshows höre oder in, in den Interviews: Ähm, glauben die, was die sagen?
00:48:29,087 –> 00:48:34,988 [Heidi]
Die Frage stelle ich mir auch oft. Ich stelle mir oft die Frage: „Glaubt ihr das eigentlich selber oder erzählt ihr das nur-
00:48:34,988 –> 00:48:35,898 [Raúl]
Ist das opportun einfach da.
00:48:35,898 –> 00:49:03,436 [Heidi]
-um was anderes zu verdecken an der Stelle?“So, also jetzt zum Beispiel mit Blick auf den Haushalt, das wird auch morgen meine Rede [schmunzeln] sein, ne? Also immer alles für Rüstung, aber für die anderen Bereiche gibt’s da nichts. Wir müssen ja rüsten. Also das macht schon keinen Sinn, weil wie gesagt, Schuldenbremse aussetzen funktioniert da, aber dort nicht. Und das Einzige, was sie geliefert haben, sind noch mal Milliardengeschenke für Großkonzerne. Denen haben sie die Steuern gesenkt und verkaufen das als Wirtschaftsförderung, weil die sagen, „Na, dann können die ja investieren“. Aber das machen sie nicht. Da gibt’s x Studien dazu. Das landet auf den Konten derer, die eh schon so viel haben.
00:49:03,436 –> 00:49:03,526 [Speaker 3]
Der
00:49:03,526 –> 00:49:06,616 [Raúl]
Der Tricket-down-Effekt, der immer versprochen wird, der passiert nicht.
00:49:06,616 –> 00:50:38,115 [Heidi]
Hat bisher auch nicht so gut funktioniert, ne? Und da weiß ich manchmal auch nicht so richtig, meint ihr das eigentlich ernst? Also es gibt so viele Konzepte, Studien, kluge Köpfe und ich glaube, es ist ’ne Mischung. Ich glaube, ’n Teil denkt wirklich, okay, das muss jetzt so und ’n Teil weiß genau, nee, das ist eigentlich total schädlich, aber eben nicht für die wenigen, für deren Interessen ich ja wirklich stehe, die meine Partei finanzieren oder, ähm, zu meinem Spenden-Dinner kommen oder mir irgendwelche Finanzierungen ermöglichen. Also weil ich meine, das gehört ja auch alles zur Wahrheit dazu, ne? Also Lobbyismus ist einfach ’n Riesenproblem in der Politik. Und deswegen finde ich so wichtig, wer in den Bundestag geschickt wird. Und, ähm, gut, jetzt bin ich nun mal [Schmunzeln] in der Linken, aber ich finde, wenn man sich unsere Fraktion anschaut, ne, also ich hab, äh, ich, ich hab neulich hab ich mich vertan. Ich glaub, ich hab fünf Pflegekräfte, zwei Ärzte, ich kann ein eigenes Krankenhaus aufmachen, [Lachen] in meiner Fraktion aufstellen. Also wir helfen nicht gegen den Fachkräftemangel aktuell. [Lachen] Nein, aber wir haben, äh, ne, Leute aus der Jugendhilfe, ausm sozialen Bereich, also Sozialarbeiterin, wir haben Leute von, äh, thyssenkrupp, von, von VW. Ähm, also die Leute, die das auch echt erlebt haben und die dann aus diesem Alltag heraus in die Politik gehen. Und das brauchen alle Parteien. Ich erwarte von Parteien, dass sie ihre Listen so aufstellen, dass sie die Gesellschaft abbilden. Das wird nie zu hundert Prozent funktionieren. Aber wenn du nur die Leute hast, die das seit Jahrzehnten machen, die sich an diesen Lebensstil gewöhnt haben, die sowieso schon aus ’nem guten Elternhaus kommen, das gönn ich allen, die irgendwie ’n paar Millionen aufm Konto haben, dann sind die halt schon ganz weit weg von der Realität von vielen. Dann sind die auch noch ganz weit weg von diesen ganzen Multimilliardären. Das kann sich ja kein Mensch vorstellen. Aber trotzdem [hörbares Einatmen] merkst du einfach, dass da ein gewisses Bewusstsein nicht da ist. Und das, ja, merken die Leute dann wiederum an der Politik.
00:50:38,116 –> 00:50:41,436 [Raúl]
Wird dir manchmal so hinter den Kulissen gesagt, eigentlich habt ihr recht?
00:50:41,436 –> 00:50:42,216 [Heidi]
Von anderen?
00:50:42,216 –> 00:50:42,836 [Raúl]
Ja.
00:50:42,836 –> 00:50:49,136 [Heidi]
[Lachen] Na ja, es kommt drauf an, ne. Also ich mein, klar, bei den Grünen und bei der SPD gibt’s viele Überschneidungen an, an manchen Stellen, ähm-
00:50:49,136 –> 00:50:50,936 [Raúl]
Aber kommen die dann und sagen die einem das auch?
00:50:50,936 –> 00:51:19,955 [Heidi]
An bestimmten Punkten haben wir auch ähnliche Positionen, ne. Und klar sagen die dann, „Ihr habt hier recht und stimmt und wir würden gerne, weil wir sind ja in der Regierung“, das verstehe ich ja auch. Regierung bedeutet immer Kompromisse machen. Also das– Da kommst du nicht drum rum. Du kannst nie alle deine Forderungen durchsetzen. Aber was ich bei der SPD aktuell nicht verstehe, ich weiß nicht genau, was eigentlich das ist, was sie erreicht haben in dieser Regierung. Also die Union hat ihre harte Migrationspolitik, ne, hat ihre Debatte ums Bürgergeld und so weiter und so fort. Aber die SPD braucht doch irgendwas, was sie den Leuten auch als Erfolg verkaufen kann. Und ich mein das gar nicht negativ.
00:51:19,956 –> 00:51:22,116 [Raúl]
Grade bei Bärbel Bas hätte ich jetzt ’ne Menge erwartet.
00:51:22,116 –> 00:51:45,096 [Heidi]
Ja, die tut mir auch so ein bisschen leid. Ich hab gedacht, lass doch einfach mal einen von der Union dieses Ministeramt machen, dann ist der wenigstens schuld , weil den Quatsch, den du umsetzen musst, der ist ja schon vorgegeben, ne. Also ich mein, die weiß ja auch, die kennt das ja alles. Also die kommt ja genau aus, aus diesem Bereich, wo ich sag, da müssen mehr Leute in die Politik. Und ich weiß auch, dass die da wirklich, ähm, engagiert ist, aber dann kommst du natürlich auch wieder an den Umständen nicht weiter [Schmunzeln] und an den Gefügen, die du hast. Aber-
00:51:45,096 –> 00:51:58,216 [Raúl]
Aber würdest du oder würde die Linkspartei an diesen Umständen weiterkommen? Weil manchmal gibt es, find ich jetzt auch so tragisch, dabei zuzusehen, wie Politikerinnen die A, versprechen, B, umsetzen müssen, weil sie gezwungen sind.
00:51:58,216 –> 00:52:04,686 [Heidi]
Ja, aber ich meine, für uns gäb’s ja eher ’n progressives, äh, Bündnis, ne. Also es gibt ja Rot-Rot-Grün, gab’s ja zum Beispiel in Berlin.
00:52:04,686 –> 00:52:04,696 [Raúl]
Mhm.
00:52:04,696 –> 00:52:17,765 [Heidi]
Es gibt Rot-Rot wie in Mecklenburg-Vorpommern. Ähm, da hat man ja schon mehr Überschneidungen. Also da gibt’s immer noch Unterschiede, wo man nie so richtig happy ist, aber mit ’ner rot-rot-grünen Regierung hätte man niemals über Familiennachzug aussetzen, überhaupt nur andenken müssen.
00:52:17,765 –> 00:52:17,795 [Raúl]
Mhm.
00:52:17,796 –> 00:52:55,476 [Heidi]
Also weil ich mein, ich weiß nicht, ob die SPD-Abgeordneten, die haben echt gelitten, als sie dafür ihren, ihre Karte einwerfen mussten. Wir haben ja namentliche Abstimmung betra-antragt. Das war für die natürlich echt eine Tortur, aber sorry, also muss man halt auch zu stehen. Ähm, also an vielen Stellen, ähm, wären die– wäre die Differenz nicht so riesig. Sie wäre da, aber ich glaub mit dem Rahmen, wo man sagt, okay, das kann man jetzt, ähm, kann man jetzt erklären. Problematisch ist natürlich, grad wenn du Landesregierung hast, bist du finanziell noch mal ganz anders gebunden als auf Bundesebene, weil die Länder haben nun mal nicht die Möglichkeiten. Dafür bräuchten wir die Reaktivierung der Vermögenssteuer, geht nämlich an die Länder, die können s an die Kommunen geben, auch einfach ’ne Riesenfrage. Aber man kann da schon was erreichen. Aber ich find, man muss ehrlich kommunizieren.
00:52:55,476 –> 00:52:55,616 [Raúl]
Mhm.
00:52:55,616 –> 00:53:20,636 [Heidi]
Also auf all meinen Veranstaltungen, wo ich diese ganzen hoffnungsvollen jungen Menschen hab , die mich total stolz machen, sag ich immer wieder, „Leute, ich will euch nicht das Blau vom Himmel versprechen, das wird morgen und übermorgen nicht besser hier alles.“ Also es ist irgendwie ’n Marathon und wir müssen’s gemeinsam ändern, weil das– so realistisch muss man sein. Was seit Jahrzehnten kaputt gemacht wurde, bauen wir auch nicht über Nacht wieder auf. Aber dass man überhaupt mal ’n Plan hat, wo man hin will und Ideen, um das umzusetzen, ich glaub, das ist eigentlich schon mal was, was vielen Mut und Hoffnung gibt.
00:53:20,636 –> 00:53:22,416 [Raúl]
Die anderen hatten ja auch ’n Plan.
00:53:22,416 –> 00:53:23,776 [Heidi]
Ja, aber ist halt kein guter.
00:53:23,776 –> 00:53:25,086 [Raúl]
Nee, aber klar, aber- [übersprechen]
00:53:25,086 –> 00:53:25,095 [Heidi]
Ja. Genau.
00:53:25,096 –> 00:53:26,756 [Raúl]
Wir brauchen auch diesen Plan.
00:53:26,756 –> 00:53:27,316 [Heidi]
Ja.
00:53:27,316 –> 00:53:47,236 [Raúl]
Ähm, ich hab vor vielen Jahren mal Ursula von der Leyen in einer eher kleineren Rede, also vor wenigen Leuten, äh, die Rede gehört. Und, ähm, da hat sie gesagt, als sie Arbeitsministerin wurde, ähm, haben die Fakten sie davon überzeugt, dass es ’ne Frauenquote braucht.
00:53:47,236 –> 00:53:48,116 [Heidi]
Mhm.
00:53:48,116 –> 00:53:49,376 [Raúl]
Ähm, sie war lange dagegen.
00:53:49,376 –> 00:53:49,956 [Heidi]
Mhm.
00:53:49,956 –> 00:54:03,716 [Raúl]
Und, äh, in ihrem Amt hat sie verstanden, dass es einfach so evident ist, dass man das tun musste. Und es waren dann nur dreißig Prozent-Quote und sind natürlich alles nicht, nicht genug und so. Aber sie sagt, das hat sie damals die Kanzlerinnen Kandidatur gekostet.
00:54:03,716 –> 00:54:04,236 [Heidi]
Mhm.
00:54:04,236 –> 00:54:08,526 [Raúl]
Ähm, also jedenfalls, ob’s diskutiert wird, ob sie sich aufstellen lässt oder nicht.
00:54:08,526 –> 00:54:08,576 [Heidi]
Mhm.
00:54:08,576 –> 00:54:30,776 [Raúl]
Und, ähm, ich fand das interessant, weil das zeigt ja, dass es auch diesen Faktenzwang in die andere Richtung geben kann. So wie Friedrich Merz jetzt dann, nachdem er A gesagt hat, jetzt weiß ich doch, die Schuldenbremse lockert, ähm, weil einfach evident ist und war, dass es nicht anders geht. Wär– Wäre es jetzt also aus aktivistischer Perspektive
00:54:30,776 –> 00:54:35,996 [Raúl]
jetzt nicht der richtige Moment, [Schmunzeln] ähm, um Dinge zu verändern?
00:54:35,996 –> 00:54:47,036 [Heidi]
Na ja, also das eine ist ja schon mal, es ist ja gut, wenn Menschen sich mit Fakten auseinandersetzen und auch mal zugeben, „Ich hab mich da geirrt und mach das jetzt anders“. Das finde ich gut. Das Schlimme ist ja, in der Politik darfst du dich ja irgendwie nicht irren.
00:54:47,036 –> 00:54:47,056 [Raúl]
Mhm.
00:54:47,056 –> 00:55:15,073 [Heidi]
Das ist ja immer ’n Problem und das finde ich eigentlich schade, weil wir nicht alles wissen überraschenderweise und, ähm, durchaus auch-Umstände sich ändern. Also das ist ja schon mal eine gute Sache. Das Problem ist einfach, also gerade bei dieser Schuldenbremse, ich meine, sie wussten, es funktioniert nicht, wenn sie rüsten wollen und dafür war es dann möglich. Aber an anderer Stelle passiert hier wieder nichts. Wir haben ja damals, als das beschlossen wurde, gesagt: „Macht das nicht mit, liebe Grüne. Ähm, lasst die das im neuen Bundestag machen, damit wir direkt diese Reform daran hängen können.“
00:55:15,073 –> 00:55:15,084 [Raúl]
Mhm.
00:55:15,084 –> 00:55:30,383 [Heidi]
Weil ich weiß nicht, ob das mit dieser Schuldenbremsenkommission uns jetzt wirklich weiterbringt, ob es dann wirklich eine Mehrheit gibt, ob die Union das mitmacht. Wir können sie jetzt auch nicht mehr unter Druck setzen. Das hätten wir an der Stelle gekonnt. Also na ja, gut, falsche Entscheidung in meinen Augen, aber deswegen sind wir ja nicht bei den Grünen, sondern die müssen da selber klarkommen.
00:55:30,383 –> 00:55:30,743 [Raúl]
Ja.
00:55:30,743 –> 00:56:01,584 [Heidi]
Und, ähm, das, äh, ist halt das Problem. Also es muss entweder einen Druck geben an dieser Stelle. Ich meine, Jens Spahn hat jetzt auch gerade gesagt, es gibt eine Vermögensungleichheit, wo man sich denkt, das ist ja schon mal– also wenn jemand wie Jens Spahn das sagen muss, dann muss es schon eine echt üble Nummer sein. Und natürlich haben die jetzt auch Druck, wie kommen sie irgendwie an, an Mittel ran und denken halt: „Okay, Erbschaftssteuer ist sowieso rechtlich alles gerade in der Diskussion wegen dieser ganzen Schlupflöcher.“ Das ist der Punkt, wo man dann gut ran kann. Aber das heißt noch lange nicht, dass da wirklich ein Umdenken stattfindet, äh, hin zu einem anderen Konzept von, von Gesellschaft. Also von daher-
00:56:01,624 –> 00:56:24,004 [Raúl]
Ja, [räuspert sich] da hast du natürlich recht. Aber so, ähm, wenn jetzt die CDU zum zweiten Mal aus der Atomenergie aussteigt, dann– also ist natürlich auch lächerlich, dass man das zurückgedreht hat und dann doch wieder macht. Hätten wir ja auch gleich alles so lassen können, wie es damals Rot und Grün entschieden hat. Ähm, aber ich glaube, es ist jetzt relativ unwahrscheinlich, dass wir zur Atomenergie zurückkehren.
00:56:24,004 –> 00:56:26,343 [Heidi]
Ja, die AfD beantragt es jede zweite Woche im Bundestag.
00:56:26,343 –> 00:56:26,383 [Raúl]
Genau.
00:56:26,383 –> 00:56:38,064 [Heidi]
Jede zweite Woche musst du irgendeine Rede dazu halten. An dieser Stelle, ähm, letztes, in der letzten Wahlperiode war das, äh, bei uns Ralf, der das machen musste. Jetzt muss es mal Reike machen. Ich habe gesagt, dass– die Rede kannst du ja aufheben, die wirst du noch fünfmal halten.
00:56:38,064 –> 00:56:38,703 [Raúl]
Copy-paste.
00:56:38,703 –> 00:56:40,644 [Heidi]
Ja, ja, es ist wirklich schlimm.
00:56:40,644 –> 00:57:09,564 [Raúl]
[Räuspert sich] Mir hat mal eine ARD-Journalistin gesagt, die für die Tagesschau, äh, Reportagen gemacht hat, ähm, und die für das Thema Soziales verantwortlich war. Die hat gesagt: „Immer wenn Politikerinnen von Niedr– Entlastung niedriger und mittlerer Einkommen sprechen, dann meinen sie nie Bürgergeldempfängerinnen.“ Ähm, es klingt aber immer so schön: „Ja, wir müssen an die niedrigen und mittleren Einkommen denken und wir müssen entlasten und so weiter.“ Aber wer wirklich an
00:57:09,564 –> 00:57:24,044 [Raúl]
das Thema Armut ran will, der muss über Transferleistungen reden. Und das tun kaum Parteien außer Die Linke. Machen wir uns da auch vielleicht auch als Wähler*innen, lassen wir uns dazu leicht ein A für ein U verkaufen?
00:57:24,044 –> 00:57:51,783 [Heidi]
Ja, Bürgergeld ist kein Gewinnerthema. Also es ist wirklich krass, haben wir in den letzten Monaten wieder gesehen, wie man über das Bürgergeld Stimmung machen kann. Also diese Erzählung, das seien alles faule Leute, die in der sozialen Hängematte liegen und so weiter, ist totaler Schwachsinn. Also, ähm, am Bürgergeld, es gibt einige wenige– also es gab ja Zahlen von sechzehntausend Totalverweigerern, die mehrfach Jobangebote abgelehnt haben. Da ist gar nicht klar, warum haben sie die überhaupt abgelehnt, ne? Weil es passt ja auch nicht immer alles. Manchmal hast du die Zeit nicht, die Möglichkeit nicht wegen Betreuung oder hast die Mobilität nicht, sei es dahingestellt.
00:57:51,783 –> 00:57:56,723 [Raúl]
Und es lohnt auch gar nicht für die, für das wenige Geld, das man da finden würde.
00:57:56,723 –> 00:58:10,223 [Heidi]
Da ist ja halt dieses Grundproblem, dass wir, ähm, bessere Mindestlöhne brauchen. Ne, und das ist ja genau diese Kerndebatte. Man sagt: „Okay, dir geht’s schlecht und ich sorge dafür, dass es den anderen noch schlechter geht und kürze dir jetzt das Bürgergeld. Davon habe ich doch aber keinen Cent mehr und du auch nicht.“ Also ist doch totaler Quatsch.
00:58:10,223 –> 00:58:12,774 [Raúl]
Es geht um die gefühlte Gerechtigkeit, sagt dann Jens Spahn immer.
00:58:12,774 –> 00:58:49,644 [Heidi]
Genau. Ja, das mag sein, aber die gefühlte Gerechtigkeit würde ich halt vor allen Dingen dann ansprechen, wenn ich dafür sorge, dass die Leute einen guten Lohn kriegen, ähm, dass die entlastet werden, dass sie weniger Steuern zahlen, wenn sie geringe Einkommen haben, dass solche zusätzlichen Sozialleistungen, Wohngeld, Kinderzuschlag – das bekommst du ja, wenn du nicht im Bürgergeld bist – dass die einfacher zugänglich sind und dass die Leute auch wissen, dass sie ein Anrecht darauf haben. Und das bekommst du, wenn du zum Beispiel auch über Konsumsteuern redest. Also, was wir ja immer fordern, ist die Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, weil Menschen mit geringen und mittleren Einkommen oder eben mit Transferleistungen prozentual deutlich mehr Geld für Essen ausgeben. Ja, dann profitieren auch die, die viel Geld haben, aber die kann ich ja über die Vermögenssteuer wieder reinholen, so. Oder über eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen.
00:58:49,644 –> 00:58:52,964 [Raúl]
Aber das ist halt einer der letzten Steuerhebel, die man überhaupt noch hat-
00:58:52,964 –> 00:58:53,033 [Heidi]
Ja, also…
00:58:53,033 –> 00:59:07,763 [Raúl]
-um niedrigere und mittlere Einkommen zu entlasten. Das heißt, Politiker*innen, na, die das sagen – das ist mein, meine Aussage – die, ähm, die lügen uns eigentlich auch an, weil wenn wir wirklich gegen Armut argumentieren wollen, müssen wir andere Themen behandeln.
00:59:07,763 –> 01:00:19,163 [Heidi]
Ja, und das ist aber das, was, ähm, wo du echt– also ich merke das immer, wenn wir über eine solidarische Mindestsicherung reden, über eine Kindergrundsicherung, dann hast du sofort so eine Abwehrhaltung: „Ach ja, für das ganze Geld, dann will doch niemand mehr arbeiten.“ Und doch. Also erstens ist es immer noch nicht genug. Ich meine, Bürgergeld ist weit weg von der Armutsgrenze. Es gibt gerade diese Studie von Sanktionsfrei: Mehr als die Hälfte aller Eltern verzichtet auf Essen, damit die Kinder genug haben. Man kann das gar nicht oft genug wiederholen. Also, die Vorstellung, die da herrscht, die ist einfach nicht real. Also ganz viele, ähm, jeder achte Bürgergeldhaushalt muss bei der Miete noch Geld aus dem Regelsatz zuschießen, was natürlich das Wenige, was da ist, noch mal reduziert. Also, da– unter diesen Umständen, ähm, das ist unfassbar, wie viele Alleinerziehende da sind, ne? Wie viele Menschen, die einfach aus verschiedensten Gründen es gerade nicht können, die sowieso schon arbeiten, aufstocken müssen. Also, das ist komplett abstrus. Und ja, deswegen braucht es eben eine solidarische Mindestsicherung, weil über dieses Bürgergeld und über diesen Niedriglohnsektor, der ja aufgebaut wurde seit der Agenda 2010, ja auch Druck auf alle anderen gemacht wird. Da ist doch der Druck da, wenn du jetzt nicht für dieses schlechte Gehalt unter diesen schlechten Bedingungen arbeitest, ähm, und dann entlassen wirst, kommst du ins Bürgergeld und da geht’s dir richtig schlecht. Also, das ist doch das, was dahinter steckt. Also, das ist doch ein Versuch der Entsolidarisierung von Leuten.
01:00:19,163 –> 01:00:51,163 [Raúl]
Und weil es auch für mich ’ne Entsolidarisierung ist. Also, versteh mich nicht falsch, das Bürgergeld soll natürlich, äh, ähm, gerecht und fair bleiben und auch sein für, für die Menschen, die’s bekommen. Allerdings finde ich diese, diese Kleckererhöhung, die dann immer zwanzig Cent hier, ein Euro zwanzig da, die dann passieren, ähm, die, die helfen ja am Ende des Tages niemandem. Ich glaub, man spricht ja auch von versunkenen Kosten. Es ist viel Geld, weil es viele Empfänger*innen gibt, ähm, aber gleichzeitig zu wenig, um wirklich den Unterschied für die Betroffenen zu machen, die sich dann vielleicht sogar auch eher verarscht fühlen.
01:00:51,544 –> 01:01:56,244 [Heidi]
Natürlich ist es richtig, dass das, was es an Erhöhung gab, nicht ausreicht. Es gibt jetzt keine Erhöhung. Das ist eine faktische Kürzung, weil durch die Inflation ja genau eigentlich alles teurer wird. Und ja, natürlich müsste man da viel mehr Geld reinstecken, aber wir haben ja vorhin schon dargestellt, das Geld wäre ja da. Und es geht ja wirklich Menschenwürde, es geht mein Existenzminimum, es geht darum, diesen Menschen auch diese Sorge zu nehmen und ihnen überhaupt zu ermöglichen, dass sie vernünftig leben können und sich einen Job kümmern können. Also wir haben im Bürgergeld eins Komma eins Millionen, wenn ich nicht irre, die nicht qualifiziert sind, die glaube ich gar keinen Abschluss haben. Also da macht auch dieser Druck nichts besser. Die musst Du qualifizieren. Da braucht es eben Mittel für eine Ausbildung oder eine Fortbildung, das dauert. Aber zu sagen, ihr müsst jetzt hier den Job annehmen, dann machen die sechs Monate einen schlechten Job, da fliegen sie wieder raus, weil das halt auch alles nur kurzfristige Sachen sind. Das hilft ja auch nicht. Und was ich so wichtig finde, wenn wir mehr Geld ins Bürgergeld packen, ja, dieses Geld tragen die Menschen in die Geschäfte. Also die kaufen dann besseres Essen oder auch mal ausreichend Essen. Die kaufen dann beispielsweise mal ’n Kleidungsstück mehr oder können sich vielleicht sogar mal ein Eis leisten, das ganz Verrücktes ersetzen, ’n altes Elektrogerät. Also das kurbelt auch wiederum die Bindnachfrage.
01:01:56,244 –> 01:01:58,444 [Raúl]
Na ja, das ist dann eigentlich ein Trickle up Effekt?
01:01:58,444 –> 01:03:06,624 [Heidi]
Na ja, ein Trickle up Effekt. Es wäre auf jeden Fall ’n Wirtschaftsankopplungseffekt, sag ich mal, ne. Also weil auch darüber landet dann ja wieder, landen ja wieder Steuern wieder beim Staat, ne, weil wir haben ja Mehrwertsteuer und so weiter. Darüber kann das Geschäft vielleicht dann irgendwie sich halten, ne. Also das wären halt die Maßnahmen. Davon hat dann, dann geht vielleicht jemand, der Bürgergeld hat, auch mal beim Bäcker sich ’n Stück Kuchen holen, dann ist der Bäcker froh, weil da ist wieder mehr Konsum. Also das ist ja einfach nur logisch, dass es auch grundsätzlich der Wirtschaft hilft an der Stelle. Und wenn wir’s dann halt noch hinbekommen würden, dass diese Menschen qualifiziert werden, ne, dass man ihnen die Zeit dafür lässt, also dann hättest Du natürlich noch mal eine ’ne Winwin Situation an der Stelle. Und wie gesagt, im Bürgergeld, wir haben momentan zu viele Arbeitslose für viel zu wenig Stellen. Wir tun immer so, also es wird auch immer so gerne erzählt, ich geh dahin und dann wird da eine Aushilfe gesucht und da ist Bedarf. Die Stellen, die gemeldet sind und die Menschen, die arbeitslos sind, passen nicht. Es sind drei Millionen Menschen arbeitslos und es gibt sechshundertdreißigtausend Stellen gemeldet bei der Agentur. Nicht alle melden da ihre Stellen. Es gibt dann Studien, die sagen, es ist eine Million an Stellen. Langen wir von mir aus drei Millionen, eine Million. Das sind immer noch zwei Millionen, für die nichts da ist. Und nur weil eine Stelle irgendwo ausgeschrieben ist, ist das ja nicht so, ich ziehe ja jetzt nicht von Hamburg nach München, nur weil ich da zufällig ’n Job finde.
01:03:06,624 –> 01:03:08,844 [Raúl]
Ja, klar. Ich finde, das sollte niemand tun müssen.
01:03:08,844 –> 01:03:26,024 [Heidi]
Und von daher, wenn Du willst, dass die Leute ausm Bürgergeld rauskommen, dann musst Du die Wirtschaft ankurbeln, damit’s wieder mehr offene Arbeitsstellen gibt und dann musst Du sie qualifizieren. Das ist der Kern, alles andere bringt nichts. Und ist vor allem an der Stelle, also ne, wenn man das nicht mal schafft, das Existenzminimum zu garantieren, ist es halt auch einfach menschenunwürdig.
01:03:26,024 –> 01:03:29,764 [Raúl]
Du bist ja seit zehn Jahren in der Politik.
01:03:29,764 –> 01:03:36,004 [Raúl]
Gibt es ’n Moment, an den Du dich erinnern kannst, wo Du sagen kannst, guh, da hab ich mich geirrt, so wie Ursula von der Leyen?
01:03:36,004 –> 01:04:18,604 [Heidi]
Das klingt total blöd, wenn man jetzt sagt, na, eigentlich kann ich mich hinter alles stellen, was ich so getan habe. Ja. Ich glaube, das sind eher so die Fragen, da war man vielleicht zu sehr auf einen Bereich fokussiert. Da hat man sich nicht zu nicht genug auf die Argumente von anderen eingelassen oder da hätte man irgendwie anders agieren können strategisch. Aber ist jetzt nichts, wo ich sage, das hätte ich so nicht machen sollen. Also weil ich bin von dem Programm, was wir haben, schon durchaus überzeugt. Es gibt Punkte, da bin ich unsicher, da da diskutier ich gerne, das interessiert mich, da mit anderen auch die Meinung auszutauschen. Also ich bin da jetzt auch nie so hundertprozent festgefahren. Also von daher ist jetzt nichts, wo ich sage, oh, das war jetzt ’n richtig schwerer Fehler politisch gesehen, weil ich ja auch natürlich versuche, das auch vorher zu reflektieren, sag ich mal.
01:04:18,604 –> 01:04:28,104 [Raúl]
Ich find es erstaunlich, wie krass konservative Politikerinnen im Amt bleiben können und wie schnell Das stimmt. Progressive Politikerinnen gehen mussten. Ja.
01:04:28,104 –> 01:04:34,444 [Raúl]
Hast Du Angst davor, dass Du irgendwann etwas machst, dass dich vielleicht deinen Job kosten wird?
01:04:34,444 –> 01:04:52,464 [Heidi]
Ja, dieses Bande ist ja, wie Du schon gesagt hast, also wer muss für was gehen? Und ich meine, ich kenn diese ganzen rechten Hetzkampagnen, die viele Menschen abbekommen, die dann sagen, ich will das nicht mehr. Also das ist ja auch ein Grund, warum zum Beispiel Kevin Kühnert gesagt hat, ich ich kann das jetzt grad nicht mehr. Und
01:04:52,464 –> 01:05:39,304 [Heidi]
ich glaube nicht, dass es irgendwas gibt, wo ich dann auch sage, boah, das ist das wird so schlimm, das das kann man nicht. Also weil ich glaub, wenn, dann ist es eher was Kampagnenmäßiges. Natürlich hab ich Sorge, Fehler zu machen. Natürlich hab ich die Sorge, Fehler zu machen, die für andere Menschen negative Konsequenzen haben oder sie verletzen oder Ähnliches. Und man weiß nie, was passiert. Also das das ist so. Aber was ich halt mache, auch was jeder und jede machen kann, ist eben auch vorher mit Menschen das Gespräch zu suchen, Sachen abzuwägen und nicht einfach durchzupolt. Und ich glaube, das ist sehr, sehr hilfreich. Und was ich auf jeden Fall, was mir auf jeden Fall nicht passieren wird, ist, dass ich aus Versehen Millionen oder Milliarden von Steuergeldern versenke, dass ich mich aus Versehen mit von Lobbyisten bezahlen lasse oder dass ich aus Versehen mich irgendwie bestechen lasse. Also das wird nicht passieren. Von daher, da bin ich relativ tiefenentspannt. Aber wir haben ja gelernt, das kannst Du auch machen, ist am End auch egal. Das frustriert die Leute natürlich auch.
01:05:39,304 –> 01:05:42,764 [Raúl]
Das sagst Du hier auch, egal was ich mache, es ist immer falsch. Ja.
01:05:42,764 –> 01:06:36,364 [Heidi]
Dann kann ich auch das machen, was auf was mir passt. Aber ich wollt noch kurz auf Ursula von der Leyen, weil das ist ’n Retatenpunkt mit der Frauenquote. Es war aber vor meiner politischen Zeit, dass ich auch überhaupt kein Fan davon war. Mhm. Weil ich auch so klassisch unterwegs war, dass ich dachte, das ist doch heut alles gar nicht mehr so. Ich kann doch auch machen, was ich will. Lag natürlich auch ’n bisschen an meiner meiner Sozialisierung et cetera und erst dann später gemerkt hab, nee, das ist totaler Quatsch, was ich hier erzähle. Das ist voll das Privileg, das ich hatte, dass ich eine Familie hatte, die mich unterstützt hat, dass ich da keine Sorgen hatte, dass ich jetzt natürlich auch in ’ner Partei bin, die sich, ne, darum kümmert, dass die Listen paritätisch besetzen und so weiter. Das ist bei weitem nicht so. Ich hab diese ganzen strukturellen Probleme und und Dinge am Anfang, ne, also als ich jünger war, nicht gesehen. Auch das hat bei mir gedauert, bis ich gemerkt hab, okay, ich find Frauenquote total doof. Ich glaube, alle Frauen finden Frauenquoten doof. Wir wollen die nicht. Sie ist nicht unser Ziel. Sie ist halt Mittel zum Zweck, weil’s anders nicht funktioniert.
01:06:36,364 –> 01:06:38,163 [Raúl]
War ja Wie die Behindertenquote. Nicht hilft.
01:06:38,163 –> 01:06:56,384 [Heidi]
Ja, und das ist ja auch, ne. Also niemand will die. Also wer von uns hat Bock, sich als Quotenfrau bezeichnen zu lassen? Also und das passiert ja ständig. So, und da natürlich sagt keiner, ich find das richtig geil, aber wenn man irgendwie sonst keinen Hebel hat, dann muss man halt diesen wählen. Also deswegen kann ich das sogar total gut nachvollziehen. Das ging mir als Jugendliche oder junge Frau ähnlich.
01:06:56,384 –> 01:07:01,152 [Raúl]
Stichwort Hufeisen.Von
01:07:01,152 –> 01:07:17,692 [Raúl]
den
01:07:17,692 –> 01:07:28,512 [Raúl]
Konservativen das zu sagen, dass ich mich wirklich frage, spätestens seit dieser Bundestagsdebatte, als Friedrich Merz sich von der AfD hat
01:07:28,512 –> 01:07:53,172 [Raúl]
kaufen lassen, mehr oder weniger, also diese Abstimmung da machen lassen, wo du ja auch deine Barrikadenrede gehalten hast. Spätestens an dem Punkt muss doch der Union klar gewesen sein, dass das Hufeisen nicht funktioniert, dass eben links nicht ist wie rechts und dass man die Linke auch irgendwann brauchen wird, allein den Existerhalt der Union zu sichern. Wann?
01:07:53,172 –> 01:08:39,591 [Heidi]
Das frage ich die Union auch regelmäßig. Ich meine, das ist für die natürlich ein ganz zentrales Thema, dass sie sich als die Mitte darstellen können, die die Demokratie vor den bösen Rändern verteidigt. Dass mein Linkssein bedeutet, dass ich möchte, dass Menschenrechte für alle gelten und alle das haben, was sie zum Leben brauchen. Und dieses rechtsextrem sein bedeutet, dass man Menschen ausgrenzt, dass es einem egal ist, ob die leben oder sterben, dass man Menschen unterteilt, da wo sie herkommen, wen sie lieben, wie sie aussehen. Also dass man das irgendwie gleichsetzen kann. Ich meine, das offenbart ja das Denkmuster der Union und die Probleme der Union deutlicher als alles andere. Und es ist natürlich auch abstrus. Es ist ja auch irgendwo gerade eine absolute Lebenslüge der Union. In den ostdeutschen Bundesländern arbeiten sie eh schon mit uns zusammen. Wer hat denn in Sachsen dafür gesorgt, dass es einen Haushalt gibt?
01:08:39,591 –> 01:08:42,292 [Raúl]
Also wer jetzt denn glauben die, was sie sagen?
01:08:42,292 –> 01:10:05,572 [Heidi]
Ja, das ist halt das Spannende. Also ich meine, auch auf kommunaler Ebene werden gemeinsame Anträge eingereicht teilweise. Es wird miteinander gestimmt. Ich habe in Osnabrück im Stadtrat mit den zwei linken Stimmen, wir hatten auch mal Union und FDP zu einer Mehrheit verholfen gegen SPD und Grüne, weil ich einfach überzeugt war, dass das das Richtige war. So, das hat niemanden gejuckt, dass ich von der Linken bin. Da hat man sich sehr gefreut, dass es die Mehrheit gab. Also es ist halt alles so eine Opportunismus frage. Und natürlich spielt die Union damit, dass sie halt auch einen gewissen Anteil ihrer Wählerinnen schafft. Hat die sagt oh, die böse Linke. Aber ich glaube, die manövrieren sich da gerade so massiv an die Wand, weil spätestens im nächsten Jahr kommen sie eh nicht drumrum. Und ich finde es sehr schade, weil ich habe gerade auf Kommunalebene, ich meine, da war die Union auch immer erst so ein bisschen vorsichtig, jetzt kommt die linke, aber man hat sich ausgetauscht und hat sich verstanden und ich sehe auch da gar nicht das Problem. Ich kann mit allen Demokratinnen und Demokraten sprechen. Ich sehe auch bei der Union gute Leute. Ich sehe aber auch wirklich einen krassen Zug nach rechts. Nicht nur diese Abstimmung damals, auch jetzt die ganze Geschichte mit Frauke Brose Sgersdorf, wo meine rechte Hetzkampagne mitgemacht hat. Also Aussagen, die getätigt werden, Julia Klöckner und NIOS und so weiter und so fort, wo ich mir echt Sorgen mache, wohin diese Union treibt. Ich finde eine starke Union in der Mitte, eine christlich konservative Partei. Es ist nicht meine Partei, auf gar keinen Fall. Inhaltlich trennen uns Welten, aber ist vollkommen in Ordnung, die hat ihre Legitimation. Aber eine Union, die vor lauter Rechtsdrall vergessen hat, wofür sie eigentlich auch mal gegründet worden ist, was ihre Grundüberzeugungen sind, die macht mir Angst, die macht mir Sorge.
01:10:05,572 –> 01:10:20,512 [Raúl]
Und da höre ich die Heilige Reiche nicht raus und nicht die Linke. Also du machst dir wirklich als Mensch Sorge um diese Partei. Nicht weil du sie magst, sondern weil du einfach denkst, das ist so falsch, dass das,
01:10:20,512 –> 01:10:24,512 [Raúl]
egal ob es den Linken hilft oder nicht, Ÿousand deine Überzeugung ist.
01:10:24,512 –> 01:10:37,992 [Heidi]
Ja, weil meine Sorge natürlich ist, dass es irgendwann zu dem Punkt kommt, wo eine Union sagt, okay, dann machen wir das mit der AfD und das wird schon nicht so schlimm. Und das ist halt schon mal genauso gelaufen. Und ich frag mich so ein bisschen, aber auch.
01:10:37,992 –> 01:10:42,312 [Raúl]
Dann werden sie wahrscheinlich nicht zu der Erkenntnis kommen, dass das ein Fehler war, weil die machen ja keine Fehler.
01:10:42,312 –> 01:11:20,252 [Heidi]
Ja, und wie gesagt, ich glaube in der Basis der Union sieht es doch durchaus nochmal anders aus. Und da ist meine große Hoffnung, dass es da auch mal wirklich, wirklich diesen Frust gibt und dieses auf die Barrikaden gehen in der Union. Also es war ja Gott, was war das für ein Skandal wegen dieses Satzes. Für mich war das in dem Moment einfach genau das Richtige mit Blick auf diese ganze Entwicklung. Aber für mich bedeutet das ja vor allen Dingen Demokratie, Sozialstaat, Menschenwürde verteidigen. Ich glaube, ich kann da alle offen Barrikaden gebrauchen, auch die Union. Aber sie muss halt schon selber hochklettern, sagen wir es mal so. Und da hoffe ich eben auf die Basis, dass sich da noch was bewegt. Aber gerade so die letzten Wochen und Monate haben mich da nicht so hoffnungsfroh gestimmt. Und ich finde das
01:11:20,252 –> 01:11:37,852 [Heidi]
frustrierend gefährlich und auch einfach nicht angemessen, wenn man so an einige Christdemokraten nennt oder sich erinnert, die das wahrscheinlich jetzt mit Sorge sehen würden. Ich meine, oder an einige denkt, wie Angela Merkel z.B. ich glaube, die fragt sich auch gerade, was hier eigentlich los ist. Und jetzt war ich auch von ihrer Politik kein Fan.
01:11:37,852 –> 01:12:01,892 [Raúl]
Als Wähler stelle ich mir manchmal die Frage, wäre es nicht klüger, wenn bestimmte Themen die Linkspartei nicht öffentlich macht, sondern der SPD schenkt, damit sie die öffentlich macht? Weil ich manchmal das Gefühl habe, dass sobald die linke was sagt, das so verbrannt ist, einfach nur weil es die linke gesagt hat, egal ob es richtig ist oder nicht, dass auch die Medien auch das dann so framen.
01:12:01,892 –> 01:13:39,324 [Heidi]
Ich glaube, das ist mittlerweile gar nicht mehr so krass. Und ich bin auch absolut dafür, dass sowohl SPD als auch Grüne als auch linke Themen finden und setzen, die mit ihnen verbunden werden. So, jetzt haben wir das beim Thema Miete sehr gut geschafft, auch vollkommen zu Recht. Wir haben gute Konzepte, wir haben konkrete Unterstützung, wir haben tolle Leute, die da aktiv sind, auch vor Ort. Die Grünen haben das beim Klimaschutz sehr lange geschafft. Das haben sie sich jetzt ein bisschen versaut, muss man sagen, auch mit der Ampelregierung. Da müssen sie irgendwie wieder hinkommen. Und natürlich, SPD war ja mal die Partei der Arbeiterinnen und war, sage ich ganz explizit, weil mit denen Hartz vier Reform, mit dieser Agenda 2010, das ist für mich schon der Sündenfall der SPD gewesen. Also ohne die würde es ja auch die WASG, hätte es die ja nicht gegeben. Hätten auch diese Linke, die sich aus PDS und WASG gegründet hat, wir würden in der Form vielleicht gar nicht existieren. Muss man sich bewusst machen. Und ja, die SPD braucht ganz dringend ein Projekt oder was konkretes, wo sie sagen können, dafür stehen wir und darauf könnt ihr euch verlassen. Das ist die rote Linie, die geben wir in so einer Verhandlung auch nicht auf. Es gibt Punkte, die musst du dann irgendwo aufgeben oder anpassen. Es muss was geben, wo du sagst, dafür haben wir gekämpft. Und das sehe ich bei denen halt nicht. Und sie sind herzlich willkommen, sich jedes Thema von uns mitzunehmen. Wir sind da ja immer sehr offen. Schreibt von uns ab, setzt es um, wir freuen uns. Aber gerade machen sie das halt nicht.Der Mindestlohn von fünfzehn Euro, das war das SPD-Thema im Wahlkampf. Sie haben es nicht gemacht. Das wäre doch, also da muss doch auch eine Union sagen, ich muss der SPD einen Sieg gönnen, weil die mir sonst komplett wegkracht. Ich meine, die SPD verliert ohne Ende. Auch eine Union kann kein Interesse daran haben, wenn die SPD irgendwann nur noch einstellig ist. Also das ist so die Frage, die ich mir stelle. Ja, ihr wollt diesen Mindestlohn nicht. Auch alle Argumente von euch sind falsch und schlecht, aber ist egal. Aber es muss doch für den Koalitionspartner irgendwas geben, mit dem er nach draußen gehen kann.
01:13:39,324 –> 01:13:43,574 [Raúl]
Krauthausen-Reichinnek werden Politikberater*innen für die Unionspartei.
01:13:43,574 –> 01:13:52,974 [Heidi]
[lacht] Ich würd da, ich hätte so tolle Ideen, ne? Ich hätt so tolle Ideen. Rufen Sie mich alle an. Isch, äh, ich sag das hier an dieser Stelle. Oder ’ne kurze Mail. Ich bin da. [lacht]
01:13:52,974 –> 01:14:18,864 [Raúl]
[lacht leise] Wie, ähm, wie gehst du eigentlich damit um? Also das oft ??? -ich kenn das aus meiner Arbeit über Persönlichkeiten, ne? Also es ist dann– Es heißt manchmal über mich geschrieben, ich sei der bekannteste Behindertenaktivist Deutschlands. Über dich wird gesagt, du bist kometenhafter Aufstieg bei den Linken, Superstar in der Politik, TikTok Superstar und so. Ähm, dieser, dieser Hoffnungsschimmer, der ja
01:14:18,864 –> 01:14:26,183 [Raúl]
auch in dich rein projiziert wird, ist ja auch Verantwortung, die man vielleicht spürt. Ähm, was macht das mit dir?
01:14:26,184 –> 01:14:40,344 [Heidi]
Das ist schon Druck [kichert] und ich sehe mich auch gar nicht in dieser Rolle, sage ich mal. Also ich weiß schon, dass durch die, ähm, Arbeit in den sozialen Medien, auch durch einzelne Reden, auch durch meine Auftritte, natürlich, ähm, viele Menschen auch zur Linken gefunden haben. Das sagen mir auch viele. Das freut mich auch sehr.
01:14:40,344 –> 01:14:41,364 [Raúl]
Du bist auch gut.
01:14:41,364 –> 01:14:51,664 [Heidi]
Ähm, ich bin, glaube ich, authentisch. Das merken die Leute, dass ich mir vorher [kichert] nicht ganz so viele Gedanken mache, wenn ich rede und dann kommt einfach irgendwas bei raus. Und ich versuche, das halt immer auf Augenhöhe– Ich weiß auch, warum ich das mache, was ich mache.
01:14:51,664 –> 01:14:53,964 [Raúl]
Aber ist halt auch nicht irgendwas. Du hast ja auch Gedanken dazu-
01:14:53,964 –> 01:14:53,984 [Heidi]
Ja.
01:14:53,984 –> 01:14:55,204 [Raúl]
-gehabt, vorher schon.
01:14:55,204 –> 01:15:20,244 [Heidi]
Klar, aber es ist für mich natürlich toll, wenn ich irgendwie Leute motivieren kann, sich einzubringen. Das macht mich glücklich, aber ich sage denen auch immer wieder, „Ich alleine werde das hier nicht retten“. Das ist schon ’ne Sache, an die wir gemeinsam ran müssen. Und ich sage auch immer wieder, „Projiziert nicht alle eure Hoffnung auf mich, weil ich werde euch irgendwann enttäuschen“. Ich will es nicht, aber es wird irgendwann ’ne Aussage von mir geben oder irgendeine, ähm, irgendeinen Beschluss oder irgendein Abstimmverhalten, wo ihr sagt, „Boah, das finden wir ganz schlecht“. Das ist so. Man kann nie hundert Prozent mit jemandem übereinstimmen.
01:15:20,244 –> 01:15:20,433 [Raúl]
Mhm.
01:15:20,433 –> 01:16:13,814 [Heidi]
Das wäre ja irgendwie, ne? Es nahezu unmöglich. Und das ist auch vollkommen okay. Ähm, aber genau deswegen will ich nicht, dass ihr irgendwie das auf mich projiziert, weil ich, ähm, ich will auf dieses Podest nicht. Und ich fand das ganz furchtbar nach den Wahlen, wo es dann immer hieß, „Ja, ihre Rede“, oder „Sie hat das gemacht“, und ich denke mir so, „Nee, das stimmt nicht“. Und das Tollste waren immer die Journalistinnen, die dann geschrieben haben, „Ja, es lag ja gar nicht nur an ihr“. Und ich denke mir so, „Ja, genau, das versuche ich doch auch die ganze Zeit [kichern] zu sagen“. Es lag daran, dass wir tolle Mitglieder haben, die vor Ort aktiv waren, plakatiert haben, Infostände gemacht haben, bei Podiumsdiskussionen waren, unser Heizkostenrechner, Mietwucherrechner, Mindestlohnbetrugs, Meldeportal, Sozialsprechstunden, Nachbarschaftscafés, Mieter*innen treffen und was weiß ich nicht alles, was die Leute gemacht haben. Die waren in den kommunalen Räten, die haben sich bepöbeln, beleidigen lassen. Auch als wir so am Boden waren, waren die da. Das alles, ne, unsere drei Silberlocken, die gesagt wir gehen da noch mal rein, unsere ganzen Kandidierenden, also dieses ganze Puzzle, das, da bin ich ein Teil von und da bin ich total froh, dass ich das sein darf, aber halt auch nicht mehr als das.
01:16:13,814 –> 01:16:13,824 [Raúl]
Mhm.
01:16:13,824 –> 01:16:24,304 [Heidi]
Und das ist mir erstens sehr, sehr wichtig, dass das klar ist nach außen, aber auch für mich nach innen. Ich will auch gar nicht das eine Puzzleteil sein, das alles ausmacht, sondern eben eins von vielen.
01:16:24,304 –> 01:16:25,664 [Raúl]
Aber es macht ja was mit einem.
01:16:25,664 –> 01:16:45,644 [Heidi]
Ja, klar. Es ist eine Mischung aus, es ist Druck, es ist Verantwortung, es ist sehr viel Dankbarkeit. Ähm, aber ich– Für mich bedeutet es vor allen Dingen, es ist jetzt meine Aufgabe, mehr Menschen zu mir nach vorne zu holen, mehr Menschen in den Fokus zu rücken, mehr Menschen zu stärken, dass sie aktiv werden. Also das ist für mich eigentlich so das– was ich damit erreichen will.
01:16:45,644 –> 01:16:50,324 [Raúl]
Der Aufzug kommt leider langsam an. [lachen] Ähm, ich hab trotzdem noch zwei Fragen.
01:16:50,324 –> 01:16:51,144 [Heidi]
Ja.
01:16:51,144 –> 01:17:06,684 [Raúl]
Die eine Frage ist, ähm, gibt es eine Organisation oder eine Literatur, eine Netflix-Serie, einen Menschen, äh, die du empfehlen würdest, die wir in unserem Podcast unseren Hörer*innen einfach noch mal zum Nachschauen in die Show Notes mitgeben könnten?
01:17:06,684 –> 01:17:16,324 [Heidi]
Da gibt es so viele. [lachen] Ähm, als Organisation, ähm, also auch mit Blick darauf, dass ich von, von, äh, Frauen mit Behinderung und sexualisierter Gewalt gesprochen habe, das Weibernetz-
01:17:16,324 –> 01:17:17,244 [Raúl]
Mhm.
01:17:17,244 –> 01:17:53,994 [Heidi]
-die sich genau mit diesem Thema beschäftigen, wenn da irgendwie jemand Interesse oder Bedarf hat. Also das finde ich wirklich, äh, ’ne ganz beeindruckende Organisation. Und ansonsten, ja, ich bin so ein Horrorserienfan. Ich liebe From bei Netflix, weil das hat mit dem Thema überhaupt nichts zu tun, aber richtig, richtig gute Serie. Also alle, die Horror mögen, guckt euch die auf jeden Fall an. Ähm, es gibt auch so eine brasilianische Serie auf Netflix, die heißt, ich glaube drei Prozent. Ähm, da geht’s darum, dass, äh, die Bevölkerung, ne, auf der Welt ist alles nicht in Ordnung, alles nicht gut und dann gibt es sozusagen Spiele oder, ähm, ja, Wettkämpfe, wo dann die besten drei Prozent in so eine Art bessere Welt kommen. Also es ist quasi wirklich Kapitalismus-
01:17:53,994 –> 01:17:53,994 [Raúl]
Wie The Hunger Games.
01:17:53,994 –> 01:18:09,214 [Heidi]
-Entgegner. Ja, aber es ist halt wirklich so, ne, es wirkt immer total nach, nach Dystopie, aber man merkt, dass irgendwie so ganz weit weg von dem, was wir jetzt haben, ist es nicht. Also eine richtig gute Serie und eigentlich bin ich ja immer die, die Bücher empfiehlt, weil ich ja total gerne lese. Und auch da muss ich gerade überlegen-
01:18:09,214 –> 01:18:09,804 [Raúl]
Hast du denn auch die Zeit?
01:18:09,804 –> 01:18:28,464 [Heidi]
Ja, im Zug vor allen Dingen, ich nehme mir die Zeit. Also das ist wirklich mein einziges richtig großes Hobby, außer Zeit mit meinen Freunden und Familie zu verbringen, ist wirklich lesen. Ähm, ich lese total gerne Fantasy, aber ich lese halt auch total gerne, ähm, ja, so populärwissenschaftliche Sachen oder Romane und so weiter. Und da würde ich jetzt einfach mal pauschal alles von Daniel Schreiber empfehlen. Also der hat tolle-
01:18:28,464 –> 01:18:28,924 [Raúl]
Oh ja, kann ich auch sehr empfehlen.
01:18:28,924 –> 01:18:44,694 [Heidi]
Ja, der ist wirklich total toll und, ähm, also verschiedenste Bücher. Es kommt jetzt auch ’n Neues raus um November. Ich glaub, da geht’s das Thema, ähm, wie hieß es denn? Da geht’s die Frage, was wir auch gerade besprochen haben, ne, wie ist in eine Gesellschaft, ähm, das Gefühl von Hass und wie kann man da noch gegen ankommen, sozusagen?
01:18:44,694 –> 01:18:44,704 [Raúl]
Mhm.
01:18:44,704 –> 01:18:53,494 [Heidi]
Also das wird, glaube ich, noch mal richtig spannend. Also das ist auf jeden Fall meine Dauerempfehlung. Ich liebe diese Bücher, auch wenn ich bei ihm oft Worte nachschlagen muss, weil er wirklich sehr viele kluge Wörter verwendet. [kichern]
01:18:53,494 –> 01:18:55,024 [Raúl]
Daniel Schreiber Abo.
01:18:55,024 –> 01:18:56,724 [Heidi]
Ja, auf jeden Fall.
01:18:56,724 –> 01:19:01,024 [Raúl]
Äh, und die letzte Frage ist, äh, wenn die Aufzugtür jetzt aufgeht, ähm, wo geht’s für dich weiter?
01:19:01,024 –> 01:19:03,924 [Heidi]
Für mich geht’s weiter an meinem PC, um die Haushaltsrede zu Ende zu schreiben.
01:19:03,996 –> 01:19:08,316 [Raúl]
Ja, und was glaubst du, wie lange musst du dann noch dran arbeiten? Wann kommst du ins Bett?
01:19:08,316 –> 01:19:16,635 [Heidi]
Man ist am Ende nie fertig. Man muss irgendwann einfach sagen: „Ich bin jetzt fertig, aber ich hab mir den Abend dafür freigehalten und ich werde, wenn ich damit fertig bin, noch ein bisschen lesen. [lachen]
01:19:16,636 –> 01:19:18,496 [Raúl]
Also vor null Uhr bist du im Bett?
01:19:18,496 –> 01:19:31,636 [Heidi]
Ach, nicht wirklich. Ich bin aber auch eine Nachteule. Also vor Mitternacht ist nicht so meine Zeit. Ich bin ahhh jemand, die nicht sehr gerne früh aufsteht. Das ist immer mein größtes Problem. Ahhhm Ich bin aber gerne nachts wach. Nachts ist immer so entspannt. Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich auch immer bis drei Uhr nachts lesen. Das ist die beste Zeit.
01:19:31,636 –> 01:19:33,116 [Raúl]
Kommst du auf deine acht Stunden Schlaf?
01:19:33,116 –> 01:19:46,456 [Heidi]
Nein, auf acht nicht. Ahhhm Wenn jetzt so Sitzungswochen sind, eher auf sechs und ansonsten versuche ich aber die siebeneinhalb, weil die sind ja empfohlen und das schaffe ich ganz oft, weil wenn ich nicht geschlafen habe oder wenn ich hungrig bin, dann kannst du mich halt auch echt vergessen. Da bin ich schon rabiat, das halte ich durch. [kichern]
01:19:46,456 –> 01:19:50,856 [Raúl]
Lieber Heidi, ich danke dir sehr für deine Zeit. Dein Fahrer wartet vor der Tür. [lachen]
01:19:50,856 –> 01:19:51,976 [Heidi]
Sehr gerne, vielen Dank.
01:19:51,976 –> 01:19:53,876 [Raúl]
Ich danke dir sehr für deine Zeit. Schön, dass du da warst.
01:19:53,876 –> 01:19:56,116 [Heidi]
Ja, es hat mich sehr gefreut. Gerne wieder. [kichern]
01:19:56,116 –> 01:20:08,435 [Raúl]
Gerne. Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört.
01:20:08,435 –> 01:20:33,436 [Raúl]
Alle Links zur Folge sowie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützten, findet ihr in den Show Notes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen.
01:20:33,436 –> 01:20:41,336 [Raúl]
„Im Aufzug“ ist eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal hier im Aufzug.
01:20:49,276 –> 01:21:25,216 [Raúl]
Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler. Am Anfang der Folge haben wir uns gefragt, ob es Aufzug oder Fahrstuhl heißt. Die Antwort: Beides ist richtig. Fachleute sprechen eher von Aufzügen, weil sie zwar fahren, aber keinen Stuhl haben. Und umgangssprachlich hört man oft Fahrstuhl oder auch Lift. Egal wie du es nennst, Hauptsache, du kommst sicher an dein Ziel. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren? Dann steig doch bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, mit uns nach ganz oben zu fahren.
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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Tim Rodenkirchen
Schnitt und Post-Produktion: Tim Rodenkirchen
Coverart: Amadeus Fronk
