Im Aufzug mit Christian Brandes aka Schlecky Silberstein

Wie toxisch ist deine Männlichkeit?

"Ich nehme meine Psychotherapie wie eine Art Reiseleitung wahr." Christian Brandes Er trägt einen Smoking und schaut lächelnd in die Kamera

Heute spreche ich mit Christian Brandes, den ihr vielleicht auch unter seinem Künstlernamen Schlecky Silberstein kennt!

Christian betreibt mit seiner Firma das Satire-Format Browser Ballett für zdfNeo und steht regelmäßig in Sketchen vor der Kamera. Im Aufzug sprechen wir über sein Leben mit Depressionen und den Umgang mit seinem Bild von Männlichkeit. Denn dieses hinderte ihn lange daran, nach Hilfe zu suchen. Erst, nach einem Aufenthalt in einer Psychiatrie, konnte er mit seiner Krankheit offen umgehen.

Aufzugtür auf für Schlecky Silberstein..äh Christian Brandes!

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Raúl Krauthausen:  Bevor wir in Folge 22 einsteigen: wie immer ein Hinweis in eigener Sache. Auch in dieser Woche bedanke ich mich bei den neuen Steady Unterstützer:innen dieses Podcasts. Vielen Dank also an Christiane, Gaida, Sophia, Timon, Lea, Lisa und Ursula. Wenn auch du „Im Aufzug“ unterstützen möchtest, dann findest du unter www.im-Aufzug.de alle Informationen dazu. Und jetzt weiter im Text. Herzlich willkommen zu einer brandneuen Folge von Im Aufzug. Heute spreche ich mit Christian Brandes, den ihr vielleicht auch unter seinem Künstlernamen, Schlecky Silberstein, kennt. Christian betreibt mit seiner Firma das Satireformat „Browserballett“ und steht regelmäßig in Sketchen selbst vor der Kamera. Im Aufzug sprechen wir über sein Leben mit Depressionen und den Umgang mit seinem Bild von Männlichkeit. Denn dieses hinderte ihn lange daran, nach Hilfe zu suchen. Erst nach einem Aufenthalt in einer Psychiatrie konnte er mit seiner Krankheit offen umgehen. Also Aufzugtür auf für Schlecky Silberstein. Äh. Christian Brandes. [Aufzugsgeräusch] Die Tür geht auf und wer kommt rein und Schlecky, Mensch, Schlecky Silberstein.

00:01:32
Schlecky Silberstein: Hey!

00:01:34
Raúl Krauthausen: Auch bekannt als Christian Brandes, oder umgekehrt. Wie nennst du dich am liebsten?

00:01:37
Schlecky Silberstein: Also privat, so wie wir jetzt sprechen, bin ich der Christian. Sobald ich vor einer Kamera bin und irgendwie was vorturnen muss im Unterhaltungsbereich, dann bin ich der Schlecky.

00:01:47
Raúl Krauthausen: Und gibt es auch Mischformen, so was wie Christian Silberstein, oder Schlecky Brandes?

00:01:53
Schlecky Silberstein: Ne, das ist mir noch nie passiert. Also ich versuche ja, das hat ja auch Grund: ich versuche ja sozusagen meine Unterhaltungspersona schon zu trennen von meiner Privatpersona. Der Witz ist, das wissen halt viele gar nicht. Und ich habe das vielleicht auch nie so wirklich klar gemacht. Aber das ist eigentlich der Gedanke hinter meinem Künstlernamen und meinem Klarnamen.

00:02:14
Raúl Krauthausen: In einem Podcast von Deutschland 3000, glaube ich, war das, habe ich erfahren, dass du auch inkognito auf Instagram unterwegs bist: als Musiker.

00:02:23
Schlecky Silberstein: Ja, ja. Also nicht nur als das, auch als 3D Künstler. Also ich finde das total lustig, aber auch mal wirklich jemand zu sein, den keine Sau kennt, weil man da. Weil ich da zumindest im Musikbereich weiß ich dann: ich kann da wirklich machen was ich will und nicht was möglicherweise mich in irgendeiner Form korrumpiert. Also ich habe viele Personas im Internet, einige habe ich aber schon wieder vergessen. Gibt es Vine noch? Weiß ich gar nicht.

00:02:50
Raúl Krauthausen: Nein, ich glaube, das haben sie ja dann wieder zugemacht.

00:02:51
Schlecky Silberstein: Naja, also von einigen weiß ich noch und bei einigen habe ich es vergessen. Da habe ich glaube ich auch gar keine Zugangsdaten mehr zu.

00:02:58
Raúl Krauthausen: Aber 3D Künstler: Also dann auch so richtig mit NFT, Kryptowährung und so?

00:03:03
Schlecky Silberstein: Nein, Ich habe ja gesagt, ich will mich nicht korrumpieren lassen. Um Gottes Willen, das mache ich nicht. Nee, einfach nur – es macht einfach Spaß. Also 3D ist so wie Kneten auf eine Art, das ist aber ein bisschen schwierig, da reinzukommen. Aber um Gottes Willen, nein. Also das ist ja das Problem, wenn man Kunst Geld macht, dann wird es immer schwierig. Und das habe ich jetzt im Bereich Satire und Schauspiel mache ich das. Und dann muss aber auch gut sein und das muss aber noch echte Kunst geben. Und ich glaube halt, so wie ich mich kenne, kann echte Kunst bei mir nur entstehen, wenn ich dafür keinen Pfennig sehe.

00:03:35
Raúl Krauthausen: Aber du hast ja auch noch Familie und ein Privatleben. Wie kriegst du das denn alles unter?

00:03:40
Schlecky Silberstein: Das geht eigentlich.

00:03:41
Raúl Krauthausen: Also wer sieht dich nicht? Deine Firma oder deine Familie? [lacht]

00:03:46
Schlecky Silberstein: Na ja, also jetzt gerade durch Corona, muss ich sagen, war es für mich eher ein Segen, weil ich tatsächlich noch nie so viel Zeit mit meiner Familie verbracht habe. Vorher war es so wie du gerade gefragt hast. Vorher war es so, dass ich tatsächlich meine Firma häufiger gesehen habe als meine Familie. Und jetzt sehe ich meine Familie deutlich häufiger und die sind richtig cool. [lacht.] Glaub auch bei meinen Kindern: Alter die sind – die sind cool.

00:04:10
Raúl Krauthausen: Musstet ihr euch neu kennenlernen, oder war der Abstand gar nicht so groß?

00:04:15
Schlecky Silberstein: Auf eine Art und Weise schon. Weil ich hatte meine Kinder vorher auch nur so als der zu dieser typische Workaholic Idiot kennengelernt. Also wenn ich Glück hatte, dann konnte ich sie noch ins Bett bringen. Und ich fand es dann irgendwann total grotesk, was ich für einen kleinen Ausschnitt nur von meinen eigenen Kindern mitbekommen. Und jetzt sehe ich sie halt eher so, wie man so schön sagt im Tagesgeschäft: mit zur Kita bringen, von der Schule abholen. Das habe ich vorher nie gemacht und ich schäme mich total dafür, auf jeden Fall. Also ich würde auch nicht mehr zurückgehen, wenn ich die Wahl hätte und ich glaube, ich habe die sogar.

00:04:50
Raúl Krauthausen: Was sind denn die schönsten Momente?

00:04:52
Schlecky Silberstein: Na zum Beispiel: also wir hatten jetzt gerade einen Hund zur Pflege quasi, da waren wir so eine Urlaubsvertretung und dann hat es sich so etabliert, dass ich mit meinem ältesten Sohn Henry ich noch mal mit dem Hund rausgegangen bin und er ist schon wieder weg und wir behalten das aber trotzdem bei. Also wir gehen jetzt Gassi ohne Hund, und wir machen jetzt jeden Abend einen kleinen Spaziergang durch den Prenzlauer Berg und er ist der einzige seiner Altersklasse, der dann noch draußen ist. Also das ist jetzt nicht nachts, sondern das ist irgendwie so 20 Uhr. Und das sind Sachen, die genieße ich mega, weil ich dann auch so mehr, dadurch, dass ich auch einen zweiten Sohn habe, genießen Kinder auch immer so Exklusivität und das ist für ihn immer voll das Highlight und für mich auch.

00:05:33
Raúl Krauthausen: Und das kriegt ja andere an Exklusivität von dir?

00:05:36
Schlecky Silberstein: Gar keine. Also der andere will die aber auch gar nicht. Der andere, der andere ist der Jüngere. Der ist schon groß geworden mit einem, mit einem Bruder und einem Vater und einer Mutter, der wird einfach, der wird sogar rappelig, wenn er alleine ist. Also der braucht immer sowieso Leute am Start.

00:05:49
Raúl Krauthausen: Das scheint auch ein neues Thema von dir zu sein. Die toxische Männlichkeit. Ich hab jetzt relativ viel von dir dazu gelesen, dass du sagst irgendwie: Da passiert eine Menge Mist, dass Männer ständig den Dicken machen müssen und dass du das auch bei dir selber gemerkt hast und dass du das ablegen willst. Fing das damit an oder schon vorher?

00:06:09
Schlecky Silberstein: Ähm, es fing mit den Kindern an, also es sind ja zwei Menschen, die irgendwann mal Männer werden und ich habe einfach dadurch, aber auch durch so individuelle Probleme, die ich selber hatte, die auch so ein bisschen zurückgehen auf mein, auf mein altes Bild von mir selbst habe ich irgendwann festgestellt, dass Männer unter einem wahnsinnigen Druck auf der einen Seite stehen, auf der anderen Seite aber auch von oben bis unten beschissen werden, von ihren Vorfahren, von der Kultur usw. und so fort und so, aus diesem ganzen Gedankengang hat sich eben so ein Buchprojekt entwickelt. Das trägt den Arbeitstitel „Der Penis Fluch“. Und da arbeite ich gerade dran und deswegen setze ich mich damit noch mehr auseinander. Aber es macht Spaß.

00:06:50
Raúl Krauthausen: Ich finde es unfassbar anstrengend, auf LinkedIn länger als zehn Minuten auszuhalten. Weil das ist für mich so Toxische Männlichkeit, die aber niemand so nennen will. Also ständig geht es darum, sich selbst zu optimieren und den Elon Musk Kult zu feiern usw. und so fort. Und wenn ich mir dann aber vorstelle, so einen Elon Musk als Ehemann zu haben – das ist doch super gruselig.

00:07:16
Schlecky Silberstein: Ich glaube, der Denkfehler dahinter ist: Dir sagt ja auch keiner so wirklich, wie du sozusagen am Ende deines Lebens auf alles schaust, was so passiert ist. Und ich glaube, am Ende deines Lebens hast du gar nicht so viel von deinem Fame und auch nicht so viel von deinem Geld. Oder auch wenn man sich mal auseinandersetzt mit Menschen, die eben sehr alt sind oder auch Menschen, die im Hospiz liegen, was die so sagen, wenn man so ans Resümieren geht. Da reden alle nur von der Qualität der Beziehung und vor allen Dingen auch von der eigenen Familie. Und so viele können nicht lügen. Und deswegen glaube ich, das ist ein Trick. Ich glaube Erfolg, Applaus und Geld vor allen Dingen ist einfach ein Trick. Und deswegen, also wenn du das auf LinkedIn beobachtest – ich bin zum Glück nicht auf LinkedIn – aber ich finde, es ist auch geboten, dass man mit Leuten, die sich hauptsächlich über so was definieren: Mit solchen Leuten darf man auch Mitleid haben, weil sie auf eine Art und Weise auch betrogen werden.

00:08:14
Raúl Krauthausen: Absolut. Hat euer Erziehungsstil, zwischen deiner Frau und dir, hat er irgendeine ganz besondere, charakteristische Eigenschaft, wo ihr sagt: Das machen wir anders als die anderen Eltern der Kita eurer Kinder?

00:08:27
Schlecky Silberstein: Wir ergänzen uns über einen starken Kontrast. Also wir haben irgendwann festgestellt, dass wir keinen gemeinsamen roten Faden haben [lacht]. Aber das geht wunderbar auf. Ich versuche eben die Jungs eigentlich zu ganz brutalen Anarchisten und vor allen Dingen Arbeitsverweigerern zu erziehen. Also ich weiß nicht, ob das gut ist, aber ich denk mir das immer, weil wenn ich die jetzt sehe, ich sehe, wie sie spielen und wie sie vor allen Dingen auch als Menschen in ihrer besten Form daherkommen. Und das wird ja alles weniger, irgendwann musst du arbeiten bzw. irgendwann kommt das Müssen – das ist zum Beispiel eine Sache: ich versuche das Wort müssen eigentlich gegenüber den Kindern gar nicht zu verwenden. Das macht es überhaupt nicht einfach für meine Frau, denn natürlich müssen gewisse Dinge auch passieren. Es geht aber hauptsächlich vor allen Dingen darum, dass nicht immer meine Frau der Buhmann ist. Aber wir haben da einen ganz guten Weg gefunden. Aber da geht es ja auch um Tricks und um Gefangenschaft. Und ich wäre wahnsinnig traurig, wenn meine Kinder irgendwann in einem Job festhängen, den sie hassen oder in einer Lebenssituation festhängen, in der sie sich gefangen fühlen.

00:09:45
Raúl Krauthausen: Und da fällt mir gerade ein Kinofilm ein, der vor ein paar Jahren lief, der heißt „Frohes Schaffen: ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral“ [beide lachen] und der stellt so ein bisschen in Frage Warum gehen wir eigentlich arbeiten? Und dann gibt es so eine sehr prägnante Szene, wo auf der Straße Interviews gemacht werden mit Leuten, die da so langlaufen: „Warum gehen sie arbeiten?“ Und dann sagen die alle „Keine Ahnung. Gegen die Langeweile oder um Geld zu verdienen.“ Und niemand hinterfragt mehr, ob das überhaupt richtig ist.

00:10:20
Schlecky Silberstein: Ja, ja, man wächst damit auf: Das muss ja so sein.

00:10:24
Raúl Krauthausen: Genau.

00:10:25
Schlecky Silberstein: Aber ich finde mich für ein Arbeiten ganz schrecklich. Ich finde sogar meine eigene Arbeit zumindest in dem Volumen wahnsinnig schrecklich. Also mir macht es Spaß, aber ich könnte auch damit leben, wenn ich nur halb so viel davon mache. Und was ich so witzig finde, ist, wenn wir jetzt gerade über Kinder geredet haben: die sind ja noch nicht so gebrainwashed und die stellen immer so geile Fragen. So letztens zum Beispiel: Warum haben wir zwei Tage Wochenende und arbeiten fünf? Warum machen wir es nicht umgekehrt? Und du stehst da und sagst ja auch nur „Weiß ich nicht“. Ich habe die Regeln ja auch nicht gemacht. Aber ich finde also die Senkung der Arbeitsmoral ist eine der – das meine ich völlig ernst – ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit.

00:11:06
Raúl Krauthausen: Ist dieses zu viel Arbeiten, das ich übrigens teile, eines der letzten Bastionen, die du in deiner Männlichkeit besiegen willst.

00:11:15
Schlecky Silberstein: Ja, also nö, nicht die letzte Bastion. Also es gibt viele Bastionen, die ich besiegen will. Aber ich komme ja schon sehr aus einer Leistungsorientierung, sage ich mal so. Also am Anfang meiner Karriere und auch eigentlich am Anfang meines Lebens habe mich immer Anerkennung gebraucht, immer Applaus gesucht. Natürlich kommt man dann mit so einer Einstellung kommt man dann auch in so einen Job. Aber es hat mir nicht gutgetan. Also ich versuche mir das wahnsinnig abzutrainieren, dass mein eigener Wert davon abhängig ist, wie toll andere Leute finden, was ich mache. Und es gibt unglaublich viele Baustellen und ich versuche, mir das alles ganz gut zu sortieren. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es eine Lebensaufgabe sein wird.

00:12:07
Raúl Krauthausen: Gibt es etwas, wo du selber sagst: Das hast du abgehakt, das hast du gelöst für dich. Da bist du, sagen wir mal, in eine neue Welt vorgedrungen, von der du nie gedacht hätte, dass du das mal erreichen wirst?

00:12:22
Schlecky Silberstein: Ja, also hoffentlich klingt das jetzt nicht so profan? Aber ich bin jetzt, glaube ich, schon seit fast über einem Jahr komplett aus Social Media raus. Und wer mich bzw. meine Arbeit kennt, weiß, dass das für mich ein total wichtiger Faktor war. Zum einen auch, um die eigene Arbeit zu promoten, aber natürlich auch, um die eigene Eitelkeit zu promoten. Und ich habe es versucht und für mich ist es jetzt so ich denke jeden Tag drüber nach: hier ist ein Thema, dazu kann ich noch mal irgendwie entweder etwas sehr Kluges beitragen oder etwas sehr Humorvolles oder eine starke Haltung. Aber für mich ist es so jeden Tag, dem ich dem wieder stehe, weiß ich zumindest für mich selbst, dass ich nicht völlig full of shit bin und, dass ich nicht so jemand bin, der wirklich um jeden Preis sein Leben nur von der Anerkennung abhängig macht. Das ist total schwer, weil also nahezu 40 Jahre lang war das immer mein Leitmotiv. Und das ist eine Sache, auf die ich jeden Tag mal stolz sein kann. Denn wenn ich weiß, okay, ich bin immer noch draußen aus Social Media. Also das gibt mir total viel Bestätigung darin, dass ich noch nicht völlig im Eimer bin.

00:13:42
Raúl Krauthausen: Das finde ich unglaublich spannend, weil du, bevor du dich mit der toxischen Männlichkeit beschäftigt hast, hast du dich ja auch mit psychischer Gesundheit auseinandersetzen müssen. Und das ist etwas, wo ja auch wir sehr wenig reden, oft tabuisiert ist oder aber beschämt wird, also man selber sich dafür schämt, dass man sich vielleicht psychologische Hilfe gesucht hat. Ich selber habe das auch mal gemacht. Ich war jetzt nicht in einer Psychiatrie wie du, aber ich war beim Seelendoktor und ich habe zum ersten Mal begriffen, auch wie toxisch männlich ist unterwegs war, obwohl ich selber eine Ausbildung als Telefonseelsorger hatte. Also das ist total absurd, dass man immer denkt, es betrifft die anderen. Was waren denn deine Klischees und Vorurteile von einer Psychiatrie?

00:14:35
Schlecky Silberstein: Ich hatte einfach Sorge, dass das ein Irrenhaus ist, buchstäblich. Also, dass man da reingeht und man kommt eigentlich bekloppter wieder raus. Und der Grund ist einfach: die Geschichten, die man so hört, die sich auch so ein bisschen durch die Popkultur geschlichen haben. Und ich hatte genau die gleiche Angst wie jeder andere auch. Und auch allein schon, wenn man sich informiert. Okay, wie läuft es denn in der Psychiatrie? Du kriegst halt wirklich nur Horrorstories geliefert und ganz, ganz wenig oder verschwindend geringe Geschichten, bei denen mal einer sagt: Das ist richtig cool, das hat mir total geholfen. Und als ich eben in Vorbereitung war, in eine Klinik zu gehen, dachte ich auch total lange drüber nach: das kann auch sehr gut sein, dass mich das noch mal komplett runterzieht.

00:15:24
Raúl Krauthausen: Was ich halt so krass finde, dass es erstens super lange dauert, bis man einen Termin bekommt und dass das als Makel gilt, wenn man in Behandlung war. Wenn du zum Beispiel Beamter werden willst, wo es doch genau andersrum sein müsste. Das wenn du dich mal hast durchchecken lassen, bist du suspekt.

00:15:43
Schlecky Silberstein: Ja, ich merke zumindest, dass sich da auch gerade so in den letzten fünf Jahren wahnsinnig viel getan hat. Da kommt es natürlich auch so ein bisschen drauf an. Nicht jede psychische Erkrankung ist wie die nächste. Es gibt ja wahnsinnig viel. Ich habe zum Beispiel das Gefühl, dass zum Beispiel über das Thema Depression sehr viel geredet wird und das ist auch finde ich jetzt auch so im Arbeitsumfeld. Je nachdem, in welcher Branche man ist, ist es jetzt auch nicht mehr so ein Makel. Wobei ich auch nur die Kreativbranche kenne, wo das eigentlich eine Berufskrankheit ist. Aber dann gibt es natürlich auch bipolare Störung oder noch verschiedene andere Dinge. Also ich glaube, die Depression ist jetzt gerade, wir lernen als Gesellschaft gerade sehr viel, aber so das ganze Spektrum psychischer Erkrankungen – Da haben wir natürlich auch noch Nachholbedarf.

00:16:31
Raúl Krauthausen: Ich finde das unglaublich, ich sage jetzt mal nicht mutig, sondern wichtig, das Thema zu besprechen. Gleichzeitig wollte ich von dir mal hören: Muss alles therapiert werden? Also ich hatte ein Gespräch mit Katja Saalfrank und die sagt, man muss auch nicht alles therapieren. Also wir alle haben irgendwie etwas, was wir mit uns rumtragen, das aber nicht immer automatisch nachhaltig Schäden anrichten muss.

00:17:04
Schlecky Silberstein: Das ist eine interessante Frage, über die ich mir letztens Gedanken gemacht habe, als ich so eine Doku gesehen habe über einen alten Psychiater. Der eben auch gesagt hat: lass uns doch mal eine Klinik oder bzw. ein Haus, ein Gebäude einrichten, in dem du, wenn du unter einer psychischen Erkrankung leidest, in dem du geborgen bist und diese Reise annehmen kannst. Also da wurde gar nicht aktiv therapiert, sondern der hatte eben die These, dass es einfach darum geht, dass wir als Menschen auch manchmal auch mental auf Reisen gehen. Und das fand ich sehr, sehr interessant, weil ich würde mittlerweile auch so weit gehen, dass zum Beispiel also wenn ich jetzt mit einer depressiven Symptomatik in Behandlung oder in der Klinik bin, da hat es alles seinen Grund und dann ist es nicht so sehr – zumindest in meinem Fall würde ich nicht behaupten, dass das genetisch den Ursprung hat, sondern dann ist die Krankheit oder die Erkrankung ist dann auch eine Notbremse, eine total sinnvolle. Und irgendwas muss mir mein Körper ja sagen, wenn er merkt, dass ich mich in eine ganz, ganz seltsame oder gefährliche Richtung bewege. Bei einer Therapie ist es eben so, je nachdem wie auch therapiert wird – ich habe die Psychotherapie immer als so eine Art Reiseleitung auch wahrgenommen. Das hat mir einfach schneller geholfen in Bezug zu dem zu bekommen, was ich nicht so wirklich verstehe. Deswegen kann ich über die Therapie, die ich jetzt bislang genossen habe, eigentlich nur Gutes berichten. Aber die Frage selber: muss eigentlich alles therapiert werden oder sollten wir es nicht einfach viel mehr annehmen, dass das uns vielleicht auch gar nicht so sehr um Erkrankungen geht, sondern um Veränderung? Das finde ich ist eine sehr, sehr spannende Frage.

00:18:52
Raúl Krauthausen: Also ich frage das unter anderem deswegen, weil ich ja selber mit Behinderung lebe und einen Großteil meiner Kindheit damit konfrontiert war, dass andere glaubten, ich müsse über meine Behinderung sprechen. Und das Gefühl hatte ich nicht. Ich hatte andere Gefühle. Ich hatte das Gefühl von Einsamkeit vielleicht. Oder nicht gemocht werden oder keine Ahnung. Beim Daten nicht das Beuteschema zu sein, aber das habe ich nicht zwangsläufig mit meiner Behinderung in Verbindung gebracht. Und alle wollten immer, dass ich andere behinderte Menschen kennenlernen, um mal darüber zu sprechen. Und ich fand das irgendwie schräg. Es hat sich nicht gut angefühlt und selbst jetzt in meinem dreißigjährigen Leben, ist es immer noch nicht Thema meine Behinderung, sondern eben, wie ich mit diesen Ängsten umgehe. Aber ich hätte diese Ängste wahrscheinlich auch, wenn ich 2 Meter groß gewesen wäre. Verstehst du, was ich meine? 

00:19:45
Schlecky Silberstein: Ja. Also ich finde am Ende. Es ist in diesem Wort „normal“ steckt für mich etwas total Hoffnungsvolles drin. Denn am besten ist es ja, wenn viele Dinge sowohl von einer psychischen Erkrankung als auch bei einer Behinderung, wenn wir einfach lernen, das ist irgendwie normal, also dann kriegst du immer einen besseren Umgang damit. Ich weiß, ich hatte letztens ein Gespräch mit meiner Frau. Da ging es darum, dass wir ganz oft Kinderbücher geschenkt bekommen, in denen es darum geht, um Awareness für homosexuelle Lebenspartnerschaften. Und diese Bücher finde ich die meisten, die problematisieren eigentlich oder sie richten den Fokus darauf: Ja, ein Mann kann auch einen Mann lieben und eine Frau kann auch eine Frau lieben. Und ich glaube, wenn du diesen Ansatz hast, das ist toll, dass es solche Kinderbücher gibt. Aber sie fokussieren sich auf eine Sache, die eigentlich kein Problem sein sollte. Ich fände es viel spannender, wenn du eine richtig gute Story hättest und die Protagonisten sind halt zufälligerweise homosexuell. Aber wenn du selbst gar nicht großartig besprichst, also das wäre für mich ein spannendes Kinderbuch, wenn es darum geht, Dinge zu normalisieren. Und du kennst das ja wahrscheinlich eben auch, dass am Ende gibt es immer diesen Fokus auf vermeintliche Probleme. Aber ich fände es viel spannender, wenn es halt wirklich um Normalität geht.

00:21:09
Raúl Krauthausen: Ja, es gibt ja den Vorwurf, dass diese Bücher oft die Probleme erst den Kindern einpflanzen, weil es eben so auf die zwölf ihnen immer gesagt wird: Homosexualität ist normal, was die wahrscheinlich selber erst mal nicht in Frage gestellt hatten.

00:21:23
Schlecky Silberstein: Genau. Genau. Genau. Genau. Also das ist ein ganz guter Punkt. Die Auto:rinnen dieser Bücher vergessen ganz oft, dass diese Menschen noch nicht so alt sind. Und die kennen ihre Eltern und die kennen ihre Kita und ihre Kumpels und Kumpelinen und auf einmal hörst du von einem Buch zum ersten Mal, dass Homosexualität ein Problem sein könnte. Ich gebe dir da komplett recht. Wie gesagt, das ist ja alles gut gemeint, aber nicht alles was gut gemeint ist, ist ja auch immer gut gemacht.

00:21:53
Raúl Krauthausen: Und das schlimme ist, und ich meine, wir waren ja selber mal Kinder. Also ich fühl das voll was du sagst, dass Kinder merken ja sofort, wenn sie pädagogisiert werden. Also wenn die Geschichte spannend ist, dann ist es egal, ob das Roboter heterosexuell ist, schwarz oder weiß oder behindert oder nicht behindert. Aber wenn das das einzige Thema ist, dann hast du halt auch keinen Bock mehr. Und als ich Kind war, haben meine Eltern mir Bücher geschenkt zum Thema Behinderung und ich fand das scheiße. Ich wollte Pippi Langstrumpf lesen und ich habe mich mit…

00:22:24
Schlecky Silberstein: Jajaja.

00:22:24
Raúl Krauthausen: Pippi Langstrumpf identifiziert, weil ich die irgendwie cool fand, dass sie so frech ist, oder keine Ahnung. Karlsson vom Dach, weil der fliegen konnte. Aber ich fand Karlsson vom Dach jetzt nicht gut, weil er fliegen kann und ich nicht laufen kann und auch gerne fliegen würde oder so, sondern einfach weil er ein Charakter-Arsch ist und unglaublich frech.

00:22:47
Schlecky Silberstein: Absolut, und genauso wie ich so berichtest: diese Bücher, die lesen die nicht freiwillig, die riechen das genau, die riechen jeden pädagogischen Auftrag. Und wenn ich mich dann schon näher mit diesem Buch, dann: Ne, geh weg mit dem Kack. Ich finde Pippi Langstrumpf ein tolles Beispiel, wenn es darum geht, jetzt mal um das Thema weibliche Helden. Da heißt es ja auch ganz oft die Ghostbusters müssen weiblich sein, wir brauchen mehr weibliche Marvelhelden. Find ich alles richtig, aber bei Pippi Langstrumpf ist es so was von dermaßen organisch und normal. Und Astrid Lindgren hat glaube ich in keiner einzigen Zeile jemals gesagt: sie ist ein Mädchen, aber stark. Dann ist es halt einfach. Die Story ist gut, es macht Spaß. Ja. Ronja Räubertochter war genauso ein schönes Beispiel.

00:23:29
Raúl Krauthausen: Total gut. Und ich habe mich als Kind schon gefragt warum gibt es eigentlich keine weibliche Ritterin oder Räuberin? Also Räubertochter ja, aber sonst? Das habe ich als Kind schon nicht verstanden. Ich habe keine Ahnung. Mit Mitte 30 oder Anfang 30 kam der Film Merida. Er handelt von einer Prinzessin, die nicht Prinzessin werden will, sondern lieber Bogenschützin.

00:23:50
Schlecky Silberstein: Ach so, in Schottland angesiedelt. Genau keltisch. Ja, ja, ja, ja.

00:23:54
Raúl Krauthausen: Ja. Und das fand ich irgendwie ganz cool. Aber ich bin halt 30 gewesen.

00:24:00
Schlecky Silberstein: Es gibt gerade einen Film, das muss ich einfach mal aussprechen. Der heißt Encanto.

00:24:05
Raúl Krauthausen: Oh ja.

00:24:05
Schlecky Silberstein: Der läuft gerade im Kino. Hast du den schon gesehen?

00:24:08
Raúl Krauthausen: Ja, auf Disney+.

00:24:09
Schlecky Silberstein: Okay. So, jetzt muss ich sehr, sehr vorsichtig sein, was ich sage. Aber ich sage es ehrlich. Ich fand diesen Film unmöglich, weil die versucht haben, so wahnsinnig viel richtig zu machen. Also so viele tolle, moderne Botschaften zu bringen, dass ich mich halt irgendwann verarscht gefühlt habe. Und mein Sohn hat das Gleiche gesagt. Also dieser Film, der platzt ja vor Botschaften und alle sind toll und alle erkennen sich selbst und alle lernen, worum es wirklich im Leben geht. Aber ich fand es ein bisschen zu penetrant.

00:24:51
Raúl Krauthausen: Ja, ich fand den auch ein bisschen zu gewollt. Aber vielleicht ist das auch diese Zeit.

00:24:56
Schlecky Silberstein: Ja, natürlich. Das ist der Film, der ist ja so was von zeitgemäß. Auf jeden Fall. Das sieht man ja in Hollywood auch. Also was ich in den USA immer spektakulär finde ist – wie nennt man das man nennt es ja die Woke Culture die sich auch in der Popkultur niederschlägt. Das finde ich halt sehr amerikanisch. Und amerikanisch bedeutet für mich immer: wir müssen immer alles übertreiben. Das ist eine sehr amerikanische Interpretation einer sehr, sehr wichtigen Bewegung.

00:25:26
Raúl Krauthausen: Ja, das stimmt. Also ich habe manchmal das Gefühl, das ist auch eher so ins Schaufenster gehangen, aber nicht wirklich gelebt, dann hinter der Kamera, hinter den Kulissen, in den Entscheidungsstrukturen usw., sondern man hängt es dann gerne an den Schauspielern. Es sind auch immer die gleichen fünf, die man sieht.

00:25:42
Schlecky Silberstein: Ich finde, also ich, ich mache so den ganzen Tag sehr, sehr viele Witze über das Thema Diversity. Jedes Mal, wenn es eben darum geht, dass ich das Gefühl habe: das sind ja alles auch wahnsinnig viele Feigenblätter, ihr Lieben, und dass man auch manchmal das Gefühl hat, die sind da völlig aus der Spur geflogen, einfach nur bei dem Versuch, so viele Häkchen wie möglich zu machen. Gleichzeitig, auch wenn ich mich oft drüber lustig mache, finde ich es großartig, dass die Wirtschaft das adaptiert hat. Also das ist immer, finde ich, ein ganz wichtiger Faktor dafür, wie sich eine Gesellschaft verändert, wenn irgendwann die Wirtschaft anspringen, die Wirtschaft versteht: Wir müssen uns von normschönen Testimonials trennen, dann ist schon ziemlich viel passiert und dann ist es mir auch egal, ob es hier und da ein bisschen hysterisch ist. Dann finde ich, dass man einfach merkt, jetzt nicht einzelne Personen, sondern irgendwie alle, die sich für das Thema einsetzen, haben es sogar geschafft, die Wirtschaft – die ganz andere Interessen hat als Diversity – aber die Wirtschaft so unter Druck zu setzen, dass eben diese Bilder entstehen.

[Aufzuggeräusch]

00:26:55
Raúl Krauthausen: Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du aktuelle Folgen vorab hören. Und du wirst, sofern du das möchtest, hier im Podcast auch namentlich genannt. Alle Infos findest du auf raul.de/aufzug. Ende der Service Durchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge. 

[Aufzuggeräusch]

Ein großer Fan bin ich von Aurel Mertz beispielsweise, mit dem ihr glaube ich auch viel zusammenarbeitet und dass der letztendlich in meiner Timeline auf Instagram auftauchte. Aber als ausschließlich als Comedian oder als jemand, der witzig ist und nicht unter dieser unter diesem Vielfaltsmerkmal. Das war das erste Mal, wo ich gemerkt habe, okay, da wird etwas gelebt, ohne dass es aufgehangen wird, dass jetzt ganz bewusst nach vorne zu bringen, verstehst du, was ich meine.

00:28:00
Schlecky Silberstein: Ja, also Aurel wird ja von meiner Firma produziert. Das heißt, ich kenne ihn auch schon länger und als ich ihn kennengelernt habe, hat er gesagt: Ey, das letzte, was ich machen will, ist, dass meine Hautfarbe in irgendeiner Form eine Rolle spielt bei dem, was ich tu. Ich bin Comedian. Und am Anfang hat er gesagt: Kommt, leckt mich mit dem mit Politik. Das hat sich dann irgendwann organisch geändert, einfach weil er älter geworden ist und er sich auch mehr mit Politik befasst hat. Aber er war, zumindest soweit ich das beurteilen kann, in jeder Phase seines Lebens real. Und ich weiß auch und ich gehörte auch zu den Personen, die ihn am Anfang so dahin gedrängt haben, so „es ist ja nicht verboten, auch mal diverse Comedy zu machen“. Und da hat er gesagt: Ja, aber ich fühl mich einfach gar nicht danach. Ich will hier einfach handwerklich gute Gags machen. Also er ist da schon sehr real.

00:28:54
Raúl Krauthausen: Lass uns mal zurück zu unserer Aufzugsfahrt kommen. Stell dir vor, du sitzt in einem Fahrstuhl und er bleibt stecken. Voller Leute. Mit welchem Menschen wärest du am liebsten in diesem Raum oder am unliebsten?

00:29:09
Schlecky Silberstein: Also ich hatte einmal… Oder ich beantworte erst mal konkret die Frage. Also normalerweise müsste ich jetzt sagen: mit meiner Familie; aber komm, du weißt ja wie’s ist. Das sage ich jetzt nicht. Ich wäre, wenn es jetzt wirklich darum geht, dass ich sehr, sehr lange Spaß hätte, würde ich mit Iren, einem Haufen Iren, meinetwegen also oder auch Walisern. Auf jeden Fall hätte ich großen Spaß, wenn da sehr, sehr viele Menschen aus England, Irland, Wales, Schottland wären. Das sage ich deshalb, weil ich einmal die Gelegenheit hatte, mit einem wilden Mix von Iren, Schotten, Walisern in einem Van zu sitzen, nach einem Dreh. Und die haben die ganze Zeit Lieder gesungen. Und also normalerweise kann ich Wonderwall nicht mehr hören, aber wenn es halt einfach von Iren gegrölt wird, das war einfach so eine fantastische Stimmung und ich glaube, ich muss sehr davon ausgehen, dass ich aus diesem Aufzug nie wieder rauskommt. Nun muss man ja. Dann hätte ich gesagt mit einem Haufen. Nee, die waren nicht mal betrunken, als wir im Van saßen. Nee, das waren Come as you are, genauso wie sie sind. Das wäre für mich eine gute Gesellschaft. Ähm, eine schlechte Gesellschaft wäre jemand [lacht], der in Bitcoins investiert. Aktuell möchte ich mit niemandem in einem Fahrstuhl stecken, der in Bitcoins investiert. Ich bin dafür einfach schon zu oft in zu viele Leute gerannt, die mir da über – also, wenn sie gekonnt hätten – über Stunden etwas runterbeten zu den Investitionsmöglichkeiten. Und das ist das schlimmste Thema finde ich, was es gibt, sind Investitionsmöglichkeiten. Es tut mir leid und gerade wenn das Ganze auch noch so religiös vorgebetet wird und wenn diese Leute dann auch eine Ideologie dahinter vermuten, nämlich dass ja die Banken, das Geldsystem und so. Das ist ja erst mal alles böses Geld und Bitcoin ist irgendwie gutes Geld da. Ich glaube, da hätte ich wirklich Probleme. Ich weiß nicht, wie diese Fahrstuhlfahrt ausgehen würde.

00:31:06
Raúl Krauthausen: Aber wenn wir in so einer Gruppensituation bist, egal ob es jetzt Bitcoin Befürworter innen sind, meistens Männer wahrscheinlich; oder eben mit einem Menschen in einem Aufzug steckst du Iren, Schotten, Waliser oder Engländer:innen sind. Nimmst du dann in so einer in so einer Gruppenkonstellation eine bestimmte Rolle ein? Bist du dann der Klassenclown oder bist du dann eher der Zurückhaltende, Schüchterne? Bist du der, der die Wand anguckst? Bist du der, der wartet, bis es endlich vorbei ist? Oder hängt das von den Menschen ab?

00:31:34
Schlecky Silberstein: Ich bin bei sowas immer eigentlich still, aber nicht still im Sinne von: Oh, was ist das jetzt hier alles? Sondern ich gucke mir einfach an, was passiert. Ich bin ja als Klassenclown groß geworden, anders kommt man auch nur schwer an den Job. Ich habe die Klassenclown-Kiste durchgespielt. Bzw. die Klassenclown Nummer, das würde ich jetzt behaupten, das war auch nicht ich, sondern das war ein Instrument, um einfach die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ich woanders wahrscheinlich nicht bekommen habe. Also das ist ein Tool gewesen und das Tool brauche ich jetzt nicht mehr, schon länger nicht mehr. Das heißt da, ich wäre da wahrscheinlich still. Mit einem Lächeln würde ich mir das Treiben anschauen. Also jetzt bei den bei den Sängern und Sängerinnen. Genauso still würde ich den Bitcoin Bro über mich ergehen lassen und versuchen in meinem Kopf Super Mario Land zu spielen. Das kann ich übrigens wirklich: Ich kann in meinem Kopf Super Mario Land eins spielen. Das habe ich gelernt.

00:32:40
Raúl Krauthausen: Bis zum Ende? Mit so einem Löwen?

00:32:40
Schlecky Silberstein: Nein, das nicht. Aber das habe ich irgendwann gelernt. Als meine Kinder unbedingt Harry Potter lesen wollten oder vorgelesen bekommen wollen. Und ich finde Harry Potter einfach doof. Und dann habe ich trainiert, während des Lesens, also es gut vorzutragen, aber trotzdem noch eine Partition im Kopf zu haben, in der ich Super Mario Land eins spielen kann. Und das kann man trainieren.

00:33:02
Raúl Krauthausen: Was macht man mit diesem Life Skill?

00:33:04
Schlecky Silberstein: Oh, das ist toll. Also es gehört ja auch zu meinem Beruf dazu, dass man oft jetzt nicht vollgequatscht wird, aber dass Leute etwas sagen und dann sagen sie das gleiche nochmal und dann sagen sie es in einer Variation nochmal. Und ich will dann auch nicht unhöflich sein, also ich versuche dann immer auch sehr geneigt zu wirken, aber oft spiele ich Super Mario Land eins auf meiner Partition im Gehirn.

00:33:35
Raúl Krauthausen: Ich hoffe du spielst jetzt nicht gerade Super Mario Land eins?

00:33:38
Schlecky Silberstein: Nein, jetzt rede ich ja aktiv. Das wäre, wenn du mir jetzt was erzählen würdest. So, das könnte sein. Jetzt gerade, sei Gewiss, wenn ich jetzt aktiv hier teilnehme, dann spiele ich gar nichts im Kopf.

00:33:49
Raúl Krauthausen: Also ich habe gerade die Melodie im Kopf peng, peng, ding ding ding. 

00:33:58
Schlecky Silberstein: Da habe ich auch letztens diese, – was habe ich da gehört? Ach Gott, ich kann Witze so schlecht erzählen. Vergiss es, vergiss es. Also die Pointe war dennum, dennum, dennum, und es ging irgendwie um Super Mario und Jeans. [beide lachen]

00:34:18
Schlecky Silberstein: Naja.

00:34:20
Raúl Krauthausen: Sehr gut. Aber wenn du sagst, du hast die Klassennummer durchgespielt und du lässt das Thema hinter dir, wie schaffst du es denn dann aber trotzdem immer noch Satire zu machen? Wie fallen dir überhaupt noch witzige Sachen ein? Ist nicht irgendwann alles schon mal witzig gewesen? Und vor allem was mich gerade so mäßig abfrakt? In einer Welt, in der ein Schauspieler Präsident wird, n der Boxer Bürgermeisterinnen werden, in der Immobilienmogule Präsidenten werden. Leben wir nicht schon in einer Satire?

00:34:54
Schlecky Silberstein: Ja, also die letzte Frage beantworte ich mit ja. Wir leben in einer Satire und man denkt immer: Wow, als Satiriker:in hast du jetzt so viel Material, dass du verwerten kannst. Das ist aber ein Trugschluss. Das weiß ich auch. Ich habe mal ein Interview gelesen von Saturday Night Life Autorinnen, die man auch gefragt hat, jetzt 2016, wo Trump gewählt wurde: Da sprudeln bei euch ja die Ideen und die haben gesagt: Nein, denn du konntest Trump nicht parodieren. Das ging nicht. Also Alec Baldwin hat es versucht, aber es ging nicht. Wenn jemand, oder wenn die Ereignisse so verrückt sind, dass du mit dem Stilmittel der Übertreibung oder Überspitzung überhaupt gar keinen Punkt machen kannst, dann ist Satire ziemlich schwierig. Aber um die erste Frage zu beantworten, wie ich das immer noch machen kann. Also das ist mein Beruf. Also ich pflege das als Handwerk. Und das ist die eine Sache, die ich gut kann, weil ich das auch immer machen musste und weil ich es gelernt habe. Und ich kann mir witzige Sachen ausdenken, aber da hört es auch schon mal auf. Also ich selber guck zum Beispiel eigentlich gar keine Komödien. Also ich habe das gelernt und mir macht es auch Spaß. Mir macht es auch nicht endlos Spaß. Also erstens will ich gar kein Satiriker sein und schon gar nicht als Satiriker sterben. Ich würde sehr, sehr gerne auch mal Dramaserien entwickeln oder so was. Also ich sag mal so, das nächste, worauf ich Bock hätte, wäre glaube ich nicht irgendwas aus dem Bereich Comedy/Satire. Aber ich eine professionelle Distanz dazu und ich mache meinen Job in dem Rahmen gern. Aber ich bin jetzt kein Comedy- und auch kein Satireultra oder so.

00:36:42
Raúl Krauthausen: Da fällt mir ein, du warst ja auch mal Werbetexter in einer sehr bekannten Werbeagentur. Gibt es einen Werbespruch, Werbeclaim, den du verbrochen hast oder den wir dir zu verdanken haben, der immer noch in den Köpfen der Leute ist? So was wie Geiz ist geil oder so?

00:36:59
Schlecky Silberstein: Habe ich mal einen Claim verbrochen? Ja, einmal. Ich glaube, das war. Toom, glaube ich: „Respekt wer‘s selber macht“. Aber das ist jetzt auch kein bekannter Claim. [Raul: Doch den kenne ich.]

Ja? Ja, ich habe auch mal unter dem Herrn gearbeitet, der „Geiz ist geil“ erfunden hat. Und ich hoffe, dass ich dem da nicht zu nahetrete. Das war auch eigentlich alles, was der je geleistet hat und alles, worüber der geredet hat. Ich finde „Geiz ist geil“… ist der aus dem Ende der 90er? Ich glaube ja.

00:37:39
Raúl Krauthausen: Aber auch ganz geil, fand ich „Spar dich reich“.

00:37:42
Schlecky Silberstein: Ja, ja, ja. Aber was ich an „Geiz ist geil“ mochte oder was ich überhaupt gerne mag ist… – Ich setze mich gerade auch aus beruflichem Background, setze mich gerade enorm intensiv mit den Neunzigern auseinander. Also auch als die Zeit, in der ja auch der Neoliberalismus so eine Art Staatsreligion war, viel. Und wo Leute dann, wo Deutschland zum Ersten Mal Aktien entdeckt hatten, die Deutschen. Und wo eigentlich? Ich glaube, das war das kapitalistischste oder das naiv kapitalistischste Jahrzehnt aller Zeiten. Da hat man doch noch nicht so viel über den Klimawandel geredet und dass uns vielleicht alles um die Ohren fliegen könnte, unser Lifestyle. Das hatte man in den Neunzigern noch nicht so in der öffentlichen Debatte..

00:38:30
Raúl Krauthausen: Mit Robert T.Online.

00:38:31
Schlecky Silberstein: Ja, ja, ja, genau. Und aus der Zeit kommt auch „Geiz ist geil.“ Und ich finde, wir sollten viel mehr über diese Zeit reden, weil sie wahnsinnig spannend ist und weil die meisten von uns das noch erlebt haben. Aber auch, wie die Weichen gestellt wurden für das, was wir jetzt gerade auch auslöffeln. Also man sagt ja, die Globalisierung wird uns alle retten und es wird auch gar keine Probleme geben. Oder auch, dass man, dass man nach dem Mauerfall vom Ende der Geschichte geredet hat. Wie kann man so was sagen? [lacht] Wenn man sich jetzt überlegt Nee, die Geschichte war noch lange nicht vorbei, aber so hat man damals geglaubt. Man dachte jetzt ist der Kommunismus besiegt und ab jetzt wird nur noch Geld verdient und alles wird geil – bis zum Schluss.

00:39:08
Raúl Krauthausen: 2015 hast du ein Buch geschrieben: „Ich kann keine Wurstzipfel essen“ – über Spleens, die wir haben. Das erinnert mich an einen Satz, den meine Mutter mir mal gesagt hat, dass sie im Chemieunterricht gelernt hätte, dass wenn in Wurst kein Phosphat wäre, könnte man sie trinken. Und ich finde nichts ekliger als Wurstwasser.

00:39:30
Schlecky Silberstein: Ich auch. Ich musste einmal Wurstwasser trinken. Das war auf nem Festival irgendwann Anfang der Nullerjahre. Ich war in einem Zelt, bin aufgewacht und es war eine Affenhitze und ich musste irgendwas trinken. Und dann habe ich Wurstwasser getrunken, einfach nur, um nicht den Tod durch Dehydrierung zu sterben. Es ist ekelhaft. Ja.

00:39:51
Raúl Krauthausen: Also dann lieber Gurkenwasser, oder?

00:39:53
Schlecky Silberstein: Ja, ja, definitiv.

00:39:54
Raúl Krauthausen: Aber Wurstwasser ist das Ekligste, das ich mir vorstellen kann.

00:39:57
Schlecky Silberstein: Wobei ich mich nicht wundern würde, wenn… Das ist ja meistens so eine Frage der Vermarktung. Ich glaube, mit einer richtigen Werbekampagne würde es…

Raúl Krauthausen: so wie Red Bull [lacht]. 

Schlecky Silberstein: Ja, könnte man auch Wurstwasser. Also mittlerweile glaube ich alles. Also gerade – ich bin ja hier ein Prenzlberger Urgestein – was ich alles so in den Märkten hier sehe… Ich habe letztens das war Krabben-Wasser schon. Krabben-Wasser fand ich früher richtig ekelhaft. Das Wasser, das nach Fisch und Krabbe geschmeckt hat. Also ich glaube, wir sind gar nicht so weit entfernt von Wurstwasser.

00:40:23
Raúl Krauthausen: Ah, okay. Du machst mir Angst.

00:40:26
Schlecky Silberstein: Du musst das ja nicht trinken.

00:40:29
Raúl Krauthausen: Aber dann mal zurück zu den Werbetexten. Ich habe ja auch Werbung studiert, Gesellschaft und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste. Und da hatten wir einen Dozenten, der gesagt hat, der beste Werbe Claim der Geschichte ist die unbefleckte Empfängnis. Zwei Wörter, die ein Kopfkino auslösen.

00:40:47
Schlecky Silberstein: So einer ist das also, der den historischen Kontext sieht, dass Werbung überall ist.

00:40:51
Raúl Krauthausen: Da habe ich gefragt Woran arbeiten Sie denn gerade? Und dann sagt er Ja, Ich habe mir daraufhin überlegt Hapag Lloyd: Fliegen zum Taxipreis fahren. Haha. Und ich dachte so nee, das ist irgendwie, das ist nicht das Gleiche, das ist eine ganz andere Nummer, weil mein Kopfkino sagt Taxi ist ganz schön teuer, also ist Fliegen teuer?

00:41:11
Schlecky Silberstein: Ja. Also Werber und Werberinnen – ich war ja selber auch mal da. Das sind eigentlich ziemlich tragische Leute, denn auf der einen Seite arbeiten sie in der Kreativbranche, und du gehst natürlich als wenn du jetzt Grafikerin oder Werbetexter bist, dann gehst du einem kreativen Beruf nach. Aber eigentlich entwickelst du ja Ideen für Unternehmen. Also das heißt, dein Name fällt ja auch außerhalb der Branche gar nicht so wirklich. Und deswegen ist es gerade für diese Zunft wahnsinnig wichtig geworden, zumindest in der Zeit, in der ich in der Branche war, sich wahnsinnig grotesk zu überhöhen, obwohl wir alle im Tagesgeschäft auch gewusst hatten, wir machen doch eigentlich alles für Geld. Also wir sind kreative Unterhaltung, also wir. Wir haben hier dieses Briefing und wir liefern das jetzt ab. Und eigentlich unser Talent, unsere Leidenschaft, unsere Kreativität verschachern wir hier eigentlich auch. Also eigentlich müssten wir deutlich demütiger sein, als wir eigentlich alle waren.

00:42:13
Raúl Krauthausen: Denn was mich an der Werbewelt so genervt hat – ich habe ja auch jahrelang da gearbeitet, dann nach dem Studium – dass das unglaublich selbstreferentiell ist. Ja, also die Werber vergeben sich selbst, Werberpreise usw. und so fort. Und du kriegst gar nichts mehr von der Realität außerhalb der Werbung mit. Und am absurdesten fand ich es: Wir saßen da in der Werbeagentur, haben eine Website für den Audi Q7 gebaut und Audi A8. Und niemand von uns hatte ein Auto.

00:42:42
Schlecky Silberstein: [lacht] Ja, ich habe lange Zeit Werbung gemacht. Wobei da war sogar nur eine Kampagne, hinter der ich immer noch steht für Baden Württemberg: „Wir können alles außer Hochdeutsch.“ Und im Team waren zwei Norddeutsche und ein Bayer.

00:42:56
Raúl Krauthausen: [lacht] Ja, das ist doch gut! Ja, das heißt kein Baden Württemberger?

00:42:59
Schlecky Silberstein: Nein.

00:43:00
Raúl Krauthausen: Sehr gut. Ja, da merkt man mal, wie absurd die ganze Geschichte ist.

00:43:04
Schlecky Silberstein: Genau.

00:43:05
Raúl Krauthausen: Du schreibst gerade ein neues Buch. Du hast 2018 ein Buch veröffentlicht und hast einen Verein gegründet, der sich auch mit dem Thema beschäftigt. Das Buch heißt „Das Internet muss weg. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Social Media Zeitalter.“ Und du hast die Gesellschaft für digitale Ethik gegründet bzw. bist im Vorstand, wenn ich das richtig verstanden habe. Und du vertrittst die These, dass die größten Probleme des 21. Jahrhunderts ja wahrscheinlich auch mit dem Internet zu tun haben. Und das war ja in den 90er Jahren, richtig?

00:43:39
Schlecky Silberstein: Na, in den 90er Jahren, also Ende der 90er Jahre, da war ja das Internet zu der Zeit war ja das Verheißungsvollste und würde ich auch immer noch sagen. Also beim Internet, man denkt immer, das ist dieses eine Internet, das hat sich ja im Laufe der Zeit wahnsinnig oft verändert. Und, konkret geht es mir um Social Media Internet. Beziehungsweise um das Internet in privater Hand. Also es gibt ja Leute, die durchaus die These vertreten, dass weite Teile oder fast das ganze Internet Alphabet und Meta gehören. Und das war ja früher ganz anders. Also du hast ja irgendwie so deinen Server gehabt und in HTML eine Seite gebaut. Also ich würde es jetzt konkretisieren, um das gar nicht schon sagen, das ist auch das, was wir im Verein der Gesellschaft für digitale Ethik auch immer wieder betonen: Wir sind wahnsinnige Fans des Internets. Also natürlich kommt man, gerade wenn jemand wie ich sein Buch betitelt, mit „Das Internet muss weg“, dann klingt das logischerweise eher technophob. Aber das Internet, glaube ich, ist die fantastische Erfindung aller Zeit. Sie hat immer die Kraft gehabt, für unglaublich viel Teilhabe und Gleichheit sorgen zu können. Es ist nur nicht passiert, weil wir jetzt gerade in einer ganz komischen Phase sind. Und das Internet ist jetzt gerade in einer Phase, in der es das, was es eigentlich kann, überhaupt nicht kapitalisiert wird, sondern momentan wird dort wahnsinnig viel Geld verdient. Aber so diese ganze revolutionäre Kraft, die entsteht da gerade gar nicht, sondern momentan ist es eben so, dass das Internet missbraucht wird für Interessen Weniger leider.

00:45:19
Raúl Krauthausen: Und am Ende auch wieder Werbung ist. Also ja, na klar werden Daten verkauft für Werbung.

00:45:26
Schlecky Silberstein: Ja, das ist schade. Deswegen gibt es eben auch die Gesellschaft für digitale Ethik. Die ist daraus erwachsen, auch wieder aus der Geburt meines ersten Sohnes. Also der ist 2014 geboren und irgendwie einer meiner ersten Gedanken war: Also wenn der jetzt Teenager wäre, würde ich durchdrehen. Also wie kannst du als Teenager, der jetzt mit ganz normal unreflektiert mit Social Media Plattformen interagiert, wie schrecklich muss das sein, wenn du jeden Tag auf deinem Handy deinen Wert ablesen kannst? In einer Phase, in der du dich ausprobieren musst, in der du auch wissen willst, wer du bist und was du kannst und dann gibt es einfach Leute, die genau diesen Drang so schamlos abfischen und dich am Ende dann auch nur in Unsicherheit und am Ende auch in Depressionen stürzen. Das finde ich ganz schrecklich.

00:46:21
Raúl Krauthausen: Ich hatte mal ein Gespräch mit Klaus Farin, das ist der Gründer des Jugendarchivs und die erforschen seit Jahrzehnten Jugendkulturen. Und der sagte, dass ungefähr seit den Neunzigern, also mit der Einführung des Privatfernsehens, Jugendliche, junge Menschen immer mehr Optionen im Leben haben und müssen sich immer mehr entscheiden, immer öfter und immer schneller und immer früher Entscheidungen treffen. Also keine Ahnung. Wir hatten früher drei Fernsehprogramme. Die Jugendlichen haben jetzt 100 Angebote und Kanäle und Serien, die sie gucken können müssten, was dann natürlich auch sie überfordern kann und das dann oft Erwachsene lesen als etwas, dass ja Jugendliche keine Meinung haben usw. und so fort, aber in Wirklichkeit eine gnadenlose Überforderung mit den ganzen Optionen ist.

00:47:14
Schlecky Silberstein: Ja, also Überangebot ist – jetzt spreche ich mal als Anthropologe, der ich nicht bin – aber ich interessiere mich wahnsinnig viel so über wo kommen wir eigentlich her? Wie haben wir eigentlich früher gelebt, noch bevor es den ganzen Wahnsinn gab? Also wirklich so zu Jäger und Sammler Zeiten, also die Zeit, in der wir eigentlich relativ straight ein Lifestyle gefahren haben. Und ich glaube daher, dass der Mensch mit Überangebot überhaupt gar nicht gut klarkommt, also dass Knappheit und auch Ressourcenknappheit oder auch eine Knappheit an Angebot das ist, damit umzugehen, das ist in uns, denke ich mal, verwurzelt und ich finde es irre, dass wir echt in einer Zeit leben, in der man gar nicht weiß okay, was konsumiere ich dann als nächstes? Das ist ja das Tragische und diese FOMO, fear of missing out, das ist, glaube ich, ein Gerüst. Das ist gar nicht so ein Luxusproblem. Also alle sagen ja, es gibt so ein Überangebot der Möglichkeiten. Und jetzt gibt es sogar ein Wort dafür, FOMO Ich glaube, das das Leute unter einen wahnsinnigen Grundstress setzt, dass du dieses riesige Angebot in allem hast. Und Grundstress ist nie gut, um gesund zu sein.

00:48:32
Raúl Krauthausen: In einem Gespräch mit Harald Schmidt und auch hier im Podcast hast du gesagt, dass es für dich eine der wichtigsten Learnings war, aus Social Media auszusteigen. Ist das die Antwort? Wie sieht deine Bildschirmzeit gerade aus?

00:48:47
Schlecky Silberstein: Ja, momentan sind wir ja in einer, wie Russland sagt, in einer militärischen Spezialoperation, in einer Spezial Situation. Momentan nutze ich halt viel Social Media eben, um vermeintlich informiert zu sein. In Wirklichkeit bin ich, wenn ich hemmungslos und doomscrolling. Also ich bin gerade abhängig nach schlechten Nachrichten und ich fühl mich auch echt nicht gut damit.

00:49:12
Raúl Krauthausen: Aber ist das ein Rückfall?.

00:49:14
Schlecky Silberstein: Nee, nee, nee, ich konsumiere. Ein Rückfall wäre, wenn ich jetzt auch meine Meinung dazu schreiben würde, oder hier noch ein kleiner Gag oder keine Ahnung was. Das wäre ein Rückfall. Also natürlich: es gehört ja immer noch zu meinem Beruf dazu, auch die sozialen Medien zu beobachten. Aber es geht eher darum, da selber nicht aktiv zu sein und selber die Angel auszuwerfen, um zu gucken, ob ich irgendeinen Wert von außen bekomme. Ich sage mal so, das ist mein individuelles Ding, so vorzugehen. Also ich wäre niemals so vermessen und würde Leuten sagen: denkt mal drüber nach, wie ihr Social Media nutzt, ob es euch überhaupt glücklich macht. Aber ich kann von mir selbst reden und ich selber, der mit Sicherheit auch eine ganz dramatische narzisstische Veranlagung hat, ist Social Media das Letzte, was ich tun sollte, weil ich in der Hinsicht gerade was Bestätigung und Anerkennung angeht, bin ich unglaublich korrumpierbar. Das heißt, für mich ist eine aktive Teilnahme an dem ganzen Social Media Geschehen nicht gesund.

00:50:28
Raúl Krauthausen: Robert Habeck hat auch gesagt, er steigt aus Social Media aus. Ich glaube, er twittert zumindest nicht mehr. Ist das eine gute Entwicklung?

00:50:36
Schlecky Silberstein: Absolut. Ich habe ihn auch mal am Rande einer Digitalkonferenz kennengelernt. Ich war erst mal wahnsinnig überrascht, wie tief der im Thema steckt. Also womit Digitalkonzerne ihr Geld verdienen. Fand ich Respect. Ich finde es eine gute Entscheidung. Natürlich gehört man sagt ja – das gehört ja mittlerweile zur Kommunikation dazu, dass Politiker sich auch auf Social Media Kanälen tummeln müssen – Ich glaube aber, es ist auch ein Trick, denn man sieht es ja. Also es hat Habeck überhaupt nicht geschadet. Wozu man auch sagen muss, wenn er das konsequent macht, dann lässt er sich auch nicht auf Instagram mit Pferden ablichten. Also er spielt das Spiel natürlich weiterhin. Ich glaube, ich glaube trotzdem. Also eine politische Karriere ist, glaube ich, trotzdem möglich, wenn du es ganz lässt. Denn am Ende ist es ja so: Über Social Media Kanäle reden wir über uns. Aber es ist für mich viel überzeugender, wenn andere über einen reden. Also wenn du gute Arbeit machst als Politiker oder Politikerin, und ich lese in der Zeitung davon, dann überzeugt mich das tausendmal mehr als ein Politiker oder eine Politikerin, die auf Social Media sagt, was sie Tolles macht. Ich glaube, es funktioniert. Es ist sehr riskant und ich verstehe jeden, der sagt: es ist halt kacke, gehört jetzt dazu. Aber ich glaube trotzdem, dass das ein Irrglaube ist.

00:51:56
Raúl Krauthausen: Würden wir Meta, Amazon und Alphabet zerschlagen, ist das Internet dann noch zu reparieren?

00:52:03
Schlecky Silberstein: Das Internet würde dadurch meiner Meinung nach repariert, denn da geht es auch gar nicht so sehr um Psychologie oder um Gesundheit, sondern da geht es um Innovation und Wettbewerb. Ich sage nämlich, also das zumindest meine Haltung, dass wir ein völlig veraltetes Internet haben. Also ich glaube, unser Internet könnte viel weiter sein. Es könnte längst wirklich das Werkzeug sein. Oder dieses bicycle for the brain, was sich Steve Jobs immer gewünscht hat. Aber durch eben monopolistische Strukturen ist es so, dass sowohl Alphabet als auch Meta jede Konkurrenz im Keim ersticken können. Und deswegen treten wir wahnsinnig auf der Stelle. Ich glaube, wenn man diese Konzerne zerschlägt – und zerschlagen heißt nicht kaputt machen – Zerschlagen heißt einfach nur vor allen Dingen, dass man den Wettbewerb wieder ankurbelt. Dann werden wir uns wundern, wie fantastische Angebote und noch wie fantastische Social Media Angebote möglich sind. Ich denke zum Beispiel an eine Social Media Plattform, die ihre User dafür bezahlt, dass sie ihre Daten beispielsweise preisgeben. Also ein fairer Deal. Ich glaube, das geht – aber auch nur dann, wenn echte Konkurrenz da ist und echter Wettbewerb.

00:53:20
Raúl Krauthausen: Meine letzte Frage,  also wir sind jetzt 400 Stockwerke hochgefahren mit dem Aufzug und das geht vielleicht in eine Richtung, die dir ähnlich ist mit dem Thema „Wie kriegen wir das Internet repariert?“ Oder eine ganz andere Richtung, nämlich die Frage :Gibt es eine Organisation oder eine Stiftung, die du für unterstützenswert hältst, an die unsere Hörer:innen sich wenden können, wenn sie mitmachen wollen, spenden können/wollen, was auch immer. Also eine, der du vertraust.

00:53:50
Schlecky Silberstein: Ich finde, die deutsche Depressionshilfe macht eine tolle Arbeit. Also es gibt ja Organisationen, die auch wahnsinnig viel mit Selbstverwaltung beschäftigt sind. Also gerade wenn du mich fragst, glaube ich, dass sie das Geld gut einsetzen und ich finde, die machen eine sehr, sehr gute Arbeit. Also die würde ich jetzt mal wählen.

00:54:09
Raúl Krauthausen: Bist du bei denen aktiv? Hast du da was getan; für die; mit denen?

00:54:14
Schlecky Silberstein: Also ich habe hin und wieder [stammelt] ich muss jetzt aber aufpassen, dass ich jetzt hier nicht sozusagen zum Inventar der deutschen Depressionsbubble gehöre – das geht ja auch immer ganz schnell. Und, dass man dann am Ende jeden Tag mit Torsten Sträter auf der Bühne steht. Aber hin und wieder, wenn die mich anfragen und ich das Gefühl habe, dass ich jetzt nicht so einen Wandel zum großen, schwermütigen Mann der deutschen Kleinsatire mutiere, dann mache ich damit.

00:54:52
Raúl Krauthausen: Das sind tolle letzte Worte für diese Podcast Folge. Aber ich hoffe, es sind nicht deine letzten Worte gewesen und lade dich hiermit sehr gerne wieder ein. 

00:55:04
Schlecky Silberstein: Sehr gerne.

00:55:05
Raúl Krauthausen: Wo wir ausschließlich vielleicht mal über das Internet sprechen. Ich glaube, da hast du eine Menge zu sagen haben, du bist schon lange dabei. Von Manfred Klug bis AOL können wir, glaube ich, aus ähnlichen Zeiten miteinander teilen.

00:55:21
Schlecky Silberstein: Oh Gott, der arme Manfred. Manfred Krug, der das Gesicht war für die Telekomaktie also der Glückliche. Der mal rückblickend sehr, sehr aggressiv gesagt hat: Leute, wenn ihr diese Telekomaktien nicht kauft, dann seid ihr auch ein bisschen blöd. Jetzt, das ist mal eine Aufgabe für dich: Versuch mal die alten Werbespots zu finden. Du wirst nicht fündig. Du findest einen halben Werbespot aus der ganzen Kampagne. Ich habe nämlich im Rahmen der Recherche mal geguckt, ob ich noch mal an die alten Spots rankommen. Ich habe sie nicht gefunden.

00:55:54
Raúl Krauthausen: Ach, krass. Also meinst du, die haben da eine ganze Anwaltschaft draufgesetzt? Bringt dieses schlechte Image wieder aus dem Netz raus.

00:56:02
Schlecky Silberstein: Mutmaßlich. Also normal. Aber es ist ja nicht so, dass es so lange her war. Und ich finde es irre, weil ich erinnere mich dran. Aber normalerweise findet man ja alles im Internet, auch grade, wenn es um alte Werbung geht. Und ich dachte: Sag mal, bin ich denn bekloppt? Und jedes Mal, wenn ich im Internet denke, bin ich bekloppt bei der Suche nach etwas. Dann ist es in der Regel so, dass da schon vorher Leute gesagt haben: Nein. Das ist schade, weil auch diese Spots unglaublich viel über diese Zeit erzählen. Ich würde sogar behaupten, gerade die Werbespots der 90er erzählen wahnsinnig viel über die Zeit. Zum Beispiel dieser legendäre Spot „Mein Haus, meine Frau, mein Auto“, das ist genau Mitte der 90er. Das ist, finde ich, das ist der eine Spot, der das ganze Gefühl dieses Jahrzehnts in 30 Sekunden packt, ist immer empfehlenswert. Werbung, 90er Jahre: Man erfährt mehr als im Geschichtsunterricht.

00:56:53
Raúl Krauthausen: Aber das ist ja gruselig, weil wenn das schon mit Werbung passiert, was passiert denn dann mit Geschichtsschreibung? Und was passiert dann mit Nachrichten?

00:57:01
Schlecky Silberstein: Jetzt rollst du hier ganz zum Schluss, nochmal das ganz große Fass auf. Ich fand es interessant, dass es den ersten Deep Face von Selenskyj gab. Ich weiß nicht, ob du den gesehen hast. Ich fand den technisch überzeugend. Also es ging halt einfach darum, dass plötzlich ein Deep Fake im Internet aufgetaucht ist, der auch von russischen Medien multipliziert wurde, indem Selenskyj dasteht und sinngemäß sagt: „Ich gebe auf. Sorry, das war’s. Alles, für Russland, tralala.“ Mich hat es gewundert, dass es erst so spät, so ein Politiker Deep Face auf dem Niveau gibt. Aber hätte ich nicht gewusst, sagen wir mal so, ich wusste ja, es wurde mir in die Timeline gespielt als Deep Fake. Hätte ich es nicht gewusst, hätte ich es glaube ich, sogar gekauft. Also so weit sind wir schon.

00:57:47
Raúl Krauthausen: Okay, das schreit nach einer weiteren Fortsetzung.

00:57:50
Schlecky Silberstein: Genau. Wir sehen uns wieder.

00:57:51
Raúl Krauthausen: Christian, vielen, vielen Dank für deine Zeit. Auf bald. 

Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge. So wie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Shownotes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. „Im Aufzug“ ist eine Produktion von Schønlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal hier im Aufzug.

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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann

Coverart: Amadeus Fronk

1 Kommentar zu „Im Aufzug mit Christian Brandes aka Schlecky Silberstein“

  1. 20 Uhr im Prenzlauer Berg und der Sohn ist „der einzige in seiner Altersklasse, der da noch draußen ist“.
    What, im Ernst? Oo

    Komm mal zu uns in den Wedding (+ Süden von Reinickendorf), da sieht das aber sowas von anders aus.
    Es ist immer wieder krass zu sehen, wie groß die kulturellen Unterschiede zwischen hier und Prenzelberg sind. ^ ^ Ich bin meistens ganz froh, nicht dort zu wohnen – es kommt mir so vor, als ob dort der Druck, den sich Eltern selbst & gegenseitig machen, viel, viel größer ist.

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