Im Aufzug mit Beccs Riley

Kann Selbstfürsorge eine politische Haltung sein?

Beccs Riley influenced politisch, berät systemisch und gründete Minzgespinst – und kennt die alltägliche Aufzug-Absurdität an großen Bahnhöfen nur zu gut. Beccs kann in zehn Minuten ein komplettes Make-up zaubern und brennt für Sprachen – ganz egal ob Programmiersprachen, Mongolisch oder sogar Elbisch.

Ich will von Beccs wissen: Wie schaffen wir wirklich inklusive Teams, ohne nur halbherzige Lösungen zu basteln, wie zum Beispiel Lego-Rampen? Wir sprechen darüber, warum Resilienz nichts mit „einfach härter sein“ zu tun hat, sondern sichere Räume und gelebte Solidarität braucht.

Und wir bleiben optimistisch: „Die beste Rache ist ein gutes Leben“, sagt Beccs. In diesem Sinne – Aufzugtür auf für Beccs Riley!

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Beccs Empfehlungen: unverschämt unbequem Podcast, Caliban und die Hexe, I Hope We Choose Love

 Eine neue Fahrt mit Raul im Aufzug wartet auf dich. Und dabei eine spannende Frage: Heißt es eigentlich Aufzug oder Fahrstuhl? Die Begriffe werden oft durcheinander verwendet – aber gibt es eine richtige Bezeichnung? Die Antwort gibt’s am Ende dieser Folge. Jetzt viel Spaß mit Raul im Aufzug – wünscht Schindler.

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Beccs Riley influenced politisch, berät systemisch, und gründete Minzgespinst – und kennt die alltägliche Aufzug-Absurdität an großen Bahnhöfen nur zu gut. Beccs kann in zehn Minuten ein komplettes Make-up zaubern und brennt für Sprachen – ganz egal ob Programmiersprachen, Mongolisch oder sogar Elbisch.

Ich will von Beccs wissen: Wie schaffen wir wirklich inklusive Teams, ohne nur halbherzige Lösungen zu basteln, wie zum Beispiel Lego-Rampen? Wir sprechen darüber, warum Resilienz nichts mit „einfach härter sein“ zu tun hat, sondern sichere Räume und gelebte Solidarität braucht.

Und wir bleiben optimistisch: „Die beste Rache ist ein gutes Leben“, sagt Beccs. In diesem Sinne – Aufzugtür auf für Beccs Riley!

Raúl Krauthausen:

Die Tür geht auf und wer kommt rein? Ich freue mich wirklich sehr, weil wir uns schon Jahre kennen, aber vor allem aus diesem ominösen Internet. Herzlich willkommen, Beccs Runge oder auch online Beccs Riley genannt.

Beccs Riley:

Hi Raúl. Es ist super schön, hier zu sein und ich meine, Berliner Aufzüge sind speziell und ich bin ehrlich, das hier ist definitiv der angenehmste Berliner Aufzug heute.

Raúl Krauthausen:

Hattest du heute schon einen Awkward-Moment in dem Aufzug?

Beccs Riley:

Ich habe versucht, im Berliner Hauptbahnhof vom UG2 zum Erdgeschoss zu kommen.

Raúl Krauthausen:

Ja, das dauert. UG2, da gibt es doch auch noch keine Tiefgarage. Ab UG1 kann man nämlich übers Parkhaus raus.

Beccs Riley:

Nein, UG2, wenn die ICEs von uns da ankommen, müssen wir ehrlich sagen, müssen wir immer warten, bis irgendwann mal sich einer dieser armen Aufzüge erbarmt. Der erste war dann komplett kaputt und der zweite fuhr. Dann war er da, dann war er voll, weil die Leute natürlich oben nicht rausgelassen wurden. Niemand stieg aus, wir kamen nicht rein. Wir warteten. Also bei Umstiegen in Berlin immer mindestens eine halbe Stunde ein Plan, wenn man versucht, diese Fahrstühle zu benutzen.

Raúl Krauthausen:

Also wenn du Berlin-Hamburg fährst, dann kann es schon mal sein, dass der Aufzug genauso lange braucht.

Beccs Riley:

Schon? Der in Hamburg ist ja leider auch nicht besser.

Raúl Krauthausen:

Das stimmt allerdings. Aber da habe ich immer das Gefühl, geht’s direkt weiter. Ich glaube, das Problem bei den Berliner Hauptbahnhofsaufzügen ist, dass die einfach überall halten und alle von überall überall hinwollen und dann auch noch so langsam sind und die Türen viel zu langsam schließen und öffnen.

Beccs Riley:

Einerseits das und andererseits haben sie eben diese Reihenfolge, dass sie das anfahren, was zuletzt geklickt wurde, was aber überhaupt nichts bringt, wenn die Leute vom, keine Ahnung, UG eins ins OG zwei wollen und dann der im UG zwei wieder aufgeht, der Fahrstuhl komplett voll ist, ich mit Stock nicht reinkomme, Menschen mit Kinderwagen nicht reinkommen und wir dann dem Fahrstuhl hinterherwinken können.

Raúl Krauthausen:

Und die Leute verwechseln oft die Aufzugsetage mit dem Gleis, mit der Gleisnummer.

Beccs Riley:

Ja.

Raúl Krauthausen:

Und es ist auch immer– Man braucht einen Führerschein, würde ich sagen.

Beccs Riley:

Ich bin häufig genug in Berlin. Wir versuchen immer, dass wir Züge nehmen, die oben ankommen, weil wir dann zum Teil die Fahrstühle umgehen.

Raúl Krauthausen:

Von ganz– Ach so, okay, verstehe. Ja.

Beccs Riley:

Weil es gibt ja die ICE-Halte im Hauptbahnhof tief und es gibt die ICE-Halte, die tatsächlich oben halten und eine Treppe geht auch mit Stock immer noch mal. Aber ansonsten sind wir auf die Fahrstühle angewiesen und das ist einfach, ähm, ein spannendes Abenteuer in Berlin.

Raúl Krauthausen:

Ich fahr ja sehr viel am Berliner Hauptbahnhof, ähm, und da erfährt man dann auch so die eine oder andere Witzigkeit. Zum Beispiel haben die inzwischen auf Lager Ersatzteile für die Aufzüge, weil der Hersteller oft nicht hinterherkommt mit den Reparaturen und dann wartet man oft zu lange auf die Ersatzteile, wenn sie repariert werden müssen, dass die Deutsche Bahn angefangen hat, selber welche zu lagern, damit es schneller geht. Und der andere Funfact war, und das habe ich jetzt vor Kurzem erst erfahren: Wenn du von, äh, Aufzug, also Bahnhof oben, äh, oder Bahnhof tief, wie das ja heißt. Ähm, das sind in dem System scheinbar zwei verschiedene Bahnhöfe. Das bedeutet, Gleiswechsel werden als Zugausfall und startet ab Hauptbahnhof tief wieder eingeführt.Mhm Oh Gott.Das heißt, es ist auch total unlogisch. Du kriegst dann total viele Push Notifications, dass dein Zug nicht fährt. Da wird einfach nur das Gleis gewechselt.

Beccs Riley:

Ja, stimmt, weil sie auch den, ich glaube, den tiefen Bereich nachträglich gebaut haben und dann irgendwie so, ja, ähnlich wie mit meinem Geschlechtseintrag, das System überfordert damit ist, Dinge neu einführen zu müssen.

Raúl Krauthausen:

Ähm, ja, da haben wir auch ein großes Thema noch vor uns heute. Ähm, Beccs, du bist beruflich, ähm, selbstständig. Du, ähm, wenn man sich anschaut, was dein Portfolio ist oder anbietet, ähm, du nennst dich Politik-Influencer oder Polit-Influencer?

Beccs Riley:

PolitfluencerIn oder Consultant, je nachdem, wie professionell ich auftreten möchte (kichern) und, äh, ob die Leute mit dem Thema was anfangen können.

Raúl Krauthausen:

Wir arbeiten zusammen, vor allem im Bereich Sensitivity Reading. Das heißt, du hast die Bücher, äh, größtenteils, äh, Sensitivity gelesen, ähm, dankenswerterweise. Und einmal die Woche treffen wir uns in Redaktionssitzungen, um zu diskutieren, äh, welche Posts man online posten kann und wo es vielleicht Fallstricke gibt. Aber dein Portfolio bietet ja noch wesentlich mehr an. Was genau sind noch deine Leistungen?

Beccs Riley:

Oh je. Gut, dass wir eine weile Zeit haben. Ich habe 2020 angefangen mit Fortbildungen und Workshops zum Thema Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion, mit Fokus auf chronische Erkrankungen, auf Neurodivergenz, also vor allen Dingen auf Autismus. Mittlerweile ist auch viel ADHS, AUDHS und, ähm, andere Formen von Neurodivergenz dazugekommen und auf Transgeschlechtlichkeit und Queerness. Aus dem Bereich von, ähm, ja, ich bin schwerbehindert, pflegebedürftig und trans. Es ist jetzt nicht so, als ob die Unternehmen Schlange gestanden hätten, jemanden wie mich einzustellen. Und habe dann gesagt: „Gut, ich möchte Dinge anders machen und besser machen.“ Und mittlerweile dann ist so ein bisschen, das hat sich das entwickelt aus einem „Ich habe Fortbildungen und Workshops“, wurde dann eben auch: „Kannst du da mal drüber lesen?“ Ähm, so entwickelte sich dann das Sensitivity Reading, wurde: „Wir haben hier ein konkretes Problem. Kannst du schauen, woran es liegt?“ Daraus wurde dann Teamentwicklung und auch Konfliktmanagement. Und, äh, als letzter Schritt in letzter Zeit ist dann auch, äh, Webdesign dazugekommen, vor allen Dingen jetzt mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, weil über neunzig Prozent der Websites nicht barrierefrei sind, obwohl sie es sein müssten. Und vieles ist eben entstanden aus Menschen kamen mit einem „Du hast ja Ahnung von diesen beiden Themen. Wir haben ein Problem, das grob mit diesen Themen zusammenhängt. Kannst du es lösen?“ Und daraus entwickelte sich dann ein Portfolio. Aber ich kann immer noch nicht genau sagen: „Ja, ich biete dieses Produkt an.“ Ich bin mehr so: „Ich biete Lösungen für Probleme an, aber die Probleme bringt bitte selber mit.“ (kichern)

Raúl Krauthausen:

Und hast du dir das alles autodidaktisch selber angeeignet oder Fortbildungen gemacht? Weil Workshops geben, muss ich ehrlich sagen, da tue ich mich selber schon sehr schwer. Ich halte lieber Vorträge, als dass ich selber jetzt Workshops leite.

Beccs Riley:

Ich finde beides spannend. Vorträge sind eben die Möglichkeit, ich stelle mich auf eine Bühne und lasse mich reden. Das macht Spaß. Workshops sind eine Möglichkeit zu schauen: Wie interagieren Menschen miteinander? Wie funktioniert das miteinander? Ich habe eine Weiterbildung im Bereich systemische Beratung im Kontext LGBTIQ. Ich habe jahrelang Awareness-Arbeit gemacht, in Clubs, auf Veranstaltungen. Ähm, darüber lernt man eben auch viel im Bereich Kommunikation und Umgang mit Konflikten. Aber ich habe keine Ausbildung oder ein Studium in diesen Feldern, auch weil ich häufig erlebt habe, dass Ausbildungen im Thema Kommunikation keinerlei Bereich Neurodivergenz oder Autismus einbeziehen, dass Sachen im Bereich Geschlecht wenig, ähm, Themenfelder zu Transgeschlechtlichkeit oder Queerness einbeziehen. Das heißt, ich weiß auch nicht, ob es das, was ich anbiete, überhaupt als Ausbildung gäbe, ähm.

Raúl Krauthausen:

Ist ja bei den meisten Berufen inzwischen so.

Beccs Riley:

Ja, und damit ist viel eben autodidaktisch auch erlernt worden und-Ich bin dann eher jemand, ich such mir ’ne Methode oder ’ne Möglichkeit wie Liberating Structures. Ähm, oder ich hab jetzt auch die Vielfalterausbildung gemacht. Das ist ’n Serious Game, Menschen die Möglichkeit zu geben, Diskriminierung erleb- und erfahrbar zu machen und Ungleichbehandlungen, aber auch Lösungen zu finden. Aber viel ist eben, ich bin sehr gut darin, mich sehr schnell in ein Thema einzuarbeiten. Das ist so einer der Vorteile, dass meine Arbeit auch mein Spezialinteresse ist, weil ich möchte verstehen, wie Dinge miteinander funktionieren.

Raúl Krauthausen:

Spezialinteresse meint ihr damit spezifisch den Autismus oder meint ihr da einfach Hobby?

Beccs Riley:

Nee, Hobbys hab ich auch, aber Hobbys können wechseln. Mein Hobby beispielsweise ist, ich backe mein Brot selbst und ich koche unglaublich gerne. Spezialinteressen sind eher diese, auch viele Menschen mit ADHS haben das, aber auch Autistinnen haben das, dass, du hast ’n Thema und du hast plötzlich das Bedürfnis, so viel Wissen wie möglich über dieses Thema dir anzueignen und so schnell, also, und vor allen Dingen auch die Hintergründe zu erfahren, die Zusammenhänge zu verstehen, das Ganze zu begreifen.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Der Unterschied zu ’nem Hobby, nehmen wir Fotografie als Hobby. Du brauchst eine Kamera und dann musst du üben. Wenn du Fotografie als Spezialinteresse hast, haben Menschen häufiger das Ding, sie lesen ganz viel über Fotografie, sie verstehen die Geschichte von Fotografie, sie lesen über Belichtung, sie lesen über Beleuchtung, sie lesen über Hintergründe, über Kontraste, über Farbeffekte. Aber der Teil, diese Kamera auch in die Hand zu nehmen und zu üben und eine Lernkurve zu haben, die leider viel flacher ist als die Lernkurve, das Wissen sich anzueignen, das ist dann eben der Teil, der das Spezialinteresse auch zu ’nem Hobby machen kann. Aber beim Spezialinteresse ist das Üben das, was dann eher dazu führt, dass auch Frustration sich entwickelt, weil du nicht alles auf einmal tun kannst.

Raúl Krauthausen:

So ’ne Art Perfektionismus, der dann dazu führt, dass dass man immer denkt, das ist nicht gut genug?

Beccs Riley:

Ja, das ja auch, ähm, aber vor allen Dingen dieses dieses Spezialinteresse ist eben alles darüber wissen und begreifen und verstehen zu wollen, was dann eher so ’nen großen Ganzen hat. Also Menschen mit Spezialinteresse Fotografie müssen nicht unbedingt gute Fotografinnen sein.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Aber natürlich können auch Menschen mit ’nem Spezialinteresse Fotografie sehr gute Fotografinnen werden.

Raúl Krauthausen:

Das klingt für mich wie so ’n Rabbit Hole-

Beccs Riley:

Ja.

Raúl Krauthausen:

-in dem man landen kann. Und dann, wie regulierst du dich da selber? Das, das reicht jetzt oder, ah, jetzt musst du da wieder raus?

Beccs Riley:

Einerseits tut’s gut, Spezialinteressen auszuleben, ist super entspannend. Und ich, bei mir ist es eher, ich möchte verstehen, wie Menschen miteinander funktionieren, warum wir auch immer wieder die gleichen Konflikte führen. Du machst ja auch schon schon sehr lange Aktivismus und eben, wir haben gefühlt alle paar Jahre, dass die Debatten wieder von vorne losgehen.

Raúl Krauthausen:

Genau.

Beccs Riley:

Dass die Themen wieder von vorne losgehen. Und wenn etwas immer wieder auf die gleiche Art und Weise passiert, ist das ’n Muster. Und wenn wir an diesem Muster schauen, wollen wir dieses Muster verändern, müssen wir dieses Muster verändern? Weil häufig ist die Erwartungshaltung, ja, wir haben doch schon mal drüber gesprochen, jetzt müsstet ihr’s doch verstanden haben.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Aber wenn es immer wieder und wieder und wieder passiert, dann funktioniert diese Erwartungshaltung nicht. Also ist da die Sache, wie können wir da etwas ändern? Und auf der anderen Seite, mein Tag ist sehr, sehr eng auch strukturiert, damit eben auch geguckt wird, dass auch Essen, Schlafen, Trinken und ähnliche Dinge nicht zu kurz kommen. Weil ja, wenn du in so ’nem Rabbit Hole drin bist, vergisst du diese ganzen nervigen Nebenbei Dinge wie Essen und Schlafen.

Raúl Krauthausen:

Du hast in einem anderen Podcast mal gesagt, dass du eine App benutzt hast, Taimo, oder?

Beccs Riley:

Taimo.

Raúl Krauthausen:

Äh, womit man seinen Alltag wohl ganz gut strukturieren kann. Ist das so ’ne App, die jeder nutzen könnte oder ist jetzt extra für neurodiverse Menschen entwickelt worden?

Beccs Riley:

Die ist tatsächlich für neurodivergente Menschen entwickelt worden, aber auch neurodiverse Menschen können sie verwenden.

Raúl Krauthausen:

Den Unterschied müssen wir gleich noch mal erklären.

Beccs Riley:

Ja. Ähm, Neurodiversität ist das gesamte Spektrum. Alle Menschen sind neurodivers. Dann gibt es Menschen, die sind neurotypisch, also sie fallen in diese Norm, die festgelegt wurde. Und dann gibt es Menschen, die sind neurodivergent. Das bedeutet, sie sind außerhalb dieser Norm.

Raúl Krauthausen:

Okay.

Beccs Riley:

Und, ja, das heißt, Taimo ist tatsächlich für neurodiverse Menschen, weil alle Menschen Taimo nutzen können.

Raúl Krauthausen:

Weil sie auch von Neurotypischen benutzt werden könnte.

Beccs Riley:

Genau. Aber man muss es mögen. Also dieses Prinzip, dass der Tag auch relativ kleine Blöcke eingeteilt wird, dass das alles auch durchaus starr sein kann, muss man mögen. Mittlerweile ist es bei mir, dass ich ein anderes Tool benutze, weil das Tool auch ’n bisschen flexibler ist. Das nennt sich Reclaim. Ähm, Reclaim erkennt zum Beispiel auch, wenn wir unterwegs sind, dass wir dann einen anderen Tagesablauf brauchen. Taimo ist eher sehr für Menschen, die einen regulären Tagesablauf haben und dadurch, dass wir so viel unterwegs sind, so viel reisen, brauchte ich auch eine App, die auch versteht, dass wir im Hotel einfach manche Strukturen nicht so umsetzen können wie zu Hause. Oder dass Reclaim auch mal spontaner sieht als, ah, da ist ’n Meeting. Das heißt, du musst früher aufstehen, das heißt, du musst früher deine Routine anfangen.

Raúl Krauthausen:

Mhm. Das heißt, es geht gar nicht darum, immer alle Aufgaben zu erledigen, sondern möglichst ein, sagen wir mal, vertrautes Umfeld zu erhalten und Routinen zu erhalten, so gut es geht.

Beccs Riley:

Ja, auf jeden Fall. Deshalb funktioniert für mich Reisen tatsächlich auch ganz gut, weil ich ja auch dann einfach eine Reiseroutine habe. Im Endeffekt, du wirst das kennen, ab ’nem gewissen Punkt ist jedes Hotel ähnlich, ist jede…

Raúl Krauthausen:

Motel one. Sind alle gleich.

Beccs Riley:

Das erschwernt aber auch sonst, du hast dein Bett, du hast deinen Schreibtisch, du hast dein Badezimmer. Ähm, Zug fahren ähnelt sich irgendwann und ich finde es schön, unterschiedliche Städte zu sehen, aber auch, es gibt Häuser und ’ne Straße und das heißt, man kann auch da eine Routine aufbauen.

Raúl Krauthausen:

Sowieso sehen Innenstädte alle gleich aus inzwischen.

Beccs Riley:

Ja, leider. Das ist ’n bisschen schade. Und da ist dann eben, haben wir eine Reiseroutine, aber auch zum Beispiel einen relativ großen Koffer immer dabei für Hilfsmittel, für Medikamente, aber auch für Sachen, die beispielsweise den Geruch von zu Hause mitbringen, weil wir dann ’nen Zerstäuber auch haben. Das heißt, dass wir auch ’n kleinen Dufterstäuber dabeihaben, damit da auch dieser Reiz genauso funktioniert wie zu Hause.

Raúl Krauthausen:

Das könnt ich mir vorstellen, würde wahrscheinlich auch neurotypischen Menschen, äh, das Gefühl von Heimat herzaubern können, weil ja gerade Gerüche sehr tief mit unseren Erinnerungen gekoppelt sind.

Beccs Riley:

Ich meine, ganz viele Dinge, die ich nutze, stelle ich dann fest, oh, andere Leute finden die auch schön oder interessant oder entspannt. Ähm, ich glaub, bei– Der Unterschied ist so ’n bisschen, ich bin drauf angewiesen, weil sonst mein Energielevel einfach nicht ausreichen würde, meine Arbeit zu machen und für andere Menschen wäre es schönes Extra.

Raúl Krauthausen:

Mhm. Klar.Wollte jetzt nicht damit, ähm, sagen wir mal, reduzieren, sondern einfach nur, äh, Gerüche, merk ich bei mir zumindest, sind etwas, was mir sehr viel Vertrauen schenkt, wenn ich mich an etwas erinnert fühle, weil das so riecht wie damals oder so.

Beccs Riley:

Für unterwegs habe ich da zwei Tricks. Einerseits tatsächlich ’nen kleinen elektrischen Diffuser, der auch ohne Wasser funktioniert und das Ganze, so ’n ätherisches Öl, einfach sehr fein zerstäubt. Die darf man deshalb auch mitnehmen, ohne dass, äh, sie im Koffer zu Problemen führen. Oder, ähm, ’nen kleinen Anhänger für ’ne Kette, in dem so Filzscheiben drin sind und die kannst du mit ätherischem Öl beträufeln und das wird dann durch die, äh, Luft abgegeben und der ist ganz, ganz easy, aber schafft auch einfach sehr schnell so dieses Gefühl von du riechst dran und hast ’nen sicheren Anker.

Raúl Krauthausen:

Wie verlief denn deine, deine, also dein Leben bis hierhin? Äh, Kindheit, Jugend, Ausbildung, ähm, gab’s da… Sagen wir mal, ich will jetzt nicht in, in die Dramen rein, sondern ich will eigentlich eher so hin: Was, was sind die Expertisen, die du entwickelt hast in dieser Zeit?

Beccs Riley:

Auf jeden Fall sehr viel Resilienz, würde ich sagen. (Lachen) Ähm, ich bin einer dieser typischen Fälle, bei denen früh be– spürbar war, dass irgendwas mit dem Kind nicht stimmt, aber die falsche Generation, um damals schon Hilfe bekommen zu haben, was dann zu mehreren Fehldiagnosen geführt hat. Und ich war mit fünf Jahren das erste Mal in ambulanter Psychotherapie. Die blieb dann durchgängig, bis ich neunzehn war, war-

Raúl Krauthausen:

In welchem Bundesland war das?

Beccs Riley:

Das war in Niedersachsen und das war in Thüringen.

 Raúl Krauthausen:

Okay.

Beccs Riley:

Das waren in zwei Bundesländern und, äh, dann auch zwei stationäre Aufenthalte, beide in Thüringen. Das heißt, ich habe auch so eine gemixte Erfahrung, was Westdeutschland und Ostdeutschland angeht.

Raúl Krauthausen:

Da wollte ich hinaus, genau.

Beccs Riley:

Ja, ich kann sagen, ich bin, äh, einmal die A38 vom Anfang bis ans Ende gezogen und, äh, dann wieder zurück an den Anfang und hab dadurch auch eine– Ich war mehrere Jahre in ’ner Jugendhilfeeinrichtung in Erfurt und ich glaube, bei mir ist viel, viel Wut gewesen, als ich meine Autismusdiagnose bekommen habe, weil ich hätte das einfacher haben können. Es wäre einfacher für mein Leben gewesen. Es gab die Option. Ich war fünf Jahre alt, als ich das erste Mal psychologisch begutachtet wurde und diagnostiziert wurde. Das heißt, ei– Wenn, wenn damals nicht so viele Vorbehalte gegeben hätte, dass Autismus etwas nur ist, was weiße Jungs haben, dann hätte ich damals schon Hilfe kriegen können. Und die habe ich nicht bekommen, sondern, äh, unterschiedlichste Formen von Medikamenten und mittlerweile bis heute Spätfolgen davon, dass mir ’n Neuroleptikum mehrere Jahre lang als Antidepressivum verschrieben wurde, mit neun– achtzehn, siebzehn, achtzehn. Was auch einfach… Das hast du nicht zu tun. Das ist nicht das richtige Medikament dazu und ich war definitiv zu jung für all diese Diagnosen, mit denen ich da, äh, beworfen worden bin. Und aus, da muss ich sagen, das hat aber auch viel Resilienz herbeigeführt, weil ich weiß, ich kann das überleben und ich habe überlebt als, keine Ahnung, Trans-Jugendliches auf ’nem Dorf zu leben. Ich habe überlebt in ’ner Jugendhilfeeinrichtung mit sehr, sehr, sehr vielen auch eher rechts eingestellten Jugendlichen, offen meine politische Position zu entwickeln. Ähm, und viele Menschen haben so Schwierigkeiten, ihre Behinderung anzuerkennen oder häufig erlebe ich das, wenn Leute ’ne Schwerbehinderung beantragen, dass sie dann sich zum ersten Mal damit identifizieren müssen-

Raúl Krauthausen:

Hmm.

Beccs Riley:

jetzt behindert zu sein. Für mich war’s ’ne Erleichterung, weil vorher ich ja schon die ganze Zeit mein Leben lang– andere Leute hatten ein Hobby, ich hatte Psychotherapie, ähm, erlebt habe und dann war das endlich ’ne Anerkennung für dieses-

Raúl Krauthausen:

Wie die Arbeit, quasi.

Beccs Riley:

Ja, für die Arbeit, aber auch für die Barrieren, die das mit sich bringt. Das ist auch, auch in dem Moment ’ne, ’ne Befreiung, weil ich bin ja, ich, ich bin nicht schuld. Es ist nicht meine Schuld. Ich bin nicht faul, sondern, äh, ich hab da noch ’n ganzen Rucksack zu tragen. Das heißt, ich hatte auch wenig diese, diesen– Ich habe nicht den Zustand von „so war ich normal und dann wurde ich behindert“, sondern eher „okay, danke, dass das mal jemand anerkannt hat“.

Raúl Krauthausen:

Was ich bei vielen Menschen beobachte, die, ähm, neurodivergent sind, ist dass sobald sie das angenommen haben, ähm, und die aus der Resilienzkraft schöpfen, ähm, dann auch so ’ne Form von Freiheit spüren, dass sie, ähm, ja dann, dann auch wirklich das… Ich würde jetzt nicht sagen zelebrieren, aber dann auch, ähm, die, die sonstigen Normen, die uns so im Alltag begleiten, leichter infrage stellen. Geschlechtsnormen, Kleidungsnormen, ähm, und so weiter. Würdest du das bestätigen?

Beccs Riley:

Bei mir war es andersrum. (Lachen) Ich habe Beccs beispielsweise acht Jahre benutzt, bevor ich offiziell mich geoutet habe als trans und bin schon geoutet mit geändertem Personenstand und Testosteron in die Autismusdiagnostik gegangen und hatte unwahrscheinliches Glück, einen Diagnostiker gefunden zu haben, der das Ganze trotzdem ernst genommen hat.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Das ist leider nicht selbstverständlich.

Raúl Krauthausen:

Aber es gibt ’n Zusammenhang, wenn ich das richtig verstehe, ne?

Beccs Riley:

Es gibt zumindest ein erhäuftes Auftreten- davon. Ob es tatsächlich, äh, Korrelation oder Kausalität ist, kann noch nicht gesagt werden, aber es gibt ’ne Korrelation, dass, ähm, autistische Menschen häufiger auch Geschlechtsnormen infrage stellen. Was ich vermute auch daran liegt, dass, ähm, ich sag immer, Geschlecht ist wie Smalltalk, weil Menschen erwarten, dass man das kann und dass man dazu ein Verhältnis hat und dass das für sie gut funktioniert. Es ist gesellschaftlich, äh, normal, das entsprechend umzusetzen, aber so wirklich greifbar und was davon angemessen ist, kann dir auch niemand sagen. Und damit ist das eben für viele, viele autistische Menschen, für mich auch, aber auch für Menschen, mit denen ich gesprochen habe, ’n Ding von, na ja, ich hab halt akzeptiert, dass dem so ist und eigentlich ist es mir aber egal.

Raúl Krauthausen:

Oder ’n Deep Talk, wär dann eher ’n Deep Talk.

 Beccs Riley:

Ja.

Raúl Krauthausen:

Was Komplexes.

Beccs Riley:

Ja, weil Geschlecht ist ja auch was Komplexes.

Raúl Krauthausen:

Ja.

 Beccs Riley:

Weil Menschen sind so, ja, ich bin das, aber wenn ich dann frage, warum bist du das? Ist dann die Antwort entweder sehr biologisch, wovon aber superviele Leute wissen überhaupt nicht, wie ihre Biologie im Detail aussieht und sind sich trotzdem hundertprozentig sicher, ’n bestimmtes Geschlecht zu sein, äh, oder eben, weil ich mich nie damit beschäftigt habe oder weil bei, bei anderen Trans-Personen, weil ich mich so viel damit beschäftigt habe und andere Sachen ausschließen konnte.

Raúl Krauthausen:

Mhm. Aber das ist ja auch ’ne Form von Freiheit. Also, weil wenn du mich jetzt, glaub ich, fünf mal hintereinander fragen würdest, warum definierst du dich als männlich? Dann bin ich spätestens beim dritten Mal-Ins Schleudern kommen und wahrscheinlich würdest du fünf mal warum aushalten und darauf Antworten haben.

Beccs Riley:

Ja, ich weiß, dass ich die fünf mal warum bei mir aushalten würde, weil ich hatte im Kopf gerade definitiv fünf Antworten auf Warums. Ahhhm Ich möchte dich jetzt nicht in die Verlegenheit bringen, dass wir das bei dir ausprobieren.

Raúl Krauthausen:

Aber diese fünf Ws und diese fünf Warums, die sind bekannt. Da kann man viele Menschen in Schleuder bringen. Irgendwann sagt man: „Ja, ist halt so, mhhhm weil man noch nicht weiter darüber nachgedacht hat. Genauso die Frage fand ich super spannend: Warum gehen wir arbeiten? Weil Kapitalismus. Genau, dann aber warum?

Beccs Riley:

Weil Privateigentum etwas ist, das entstanden ist, nachdem Gemeineigentum privatisiert worden ist. Das heißt, Dinge, die vorher der Allgemeinheit, dem ganzen Dorf beispielsweise gehört hatten, gehörten dann einzelnen Personen oder der Kirche, die erwartet haben, dass wenn man die Früchte dieses Bodens essen wollte, dann entsprechend auch dafür zu arbeiten hat und beispielsweise Frondienste leisten musste.

Raúl Krauthausen:

Und das ist so viel, wo man nachdenken muss. Ahhh Das wird nicht jeder hinbekommen oder jede. Man muss dann sehr viel Energie draufwerben. Ich habe mal gelesen, ahhhm einmal eins der Interviewtechniken, dass man in der Regel drei Warums für sich im Leben beantwortet hat und bei jedem weiteren Warum muss man so viel Anstrengung aufbringen, dass man versucht, das Gespräch zu vermeiden oder abzulenken. Aber dass quasi genau das das Spannende ist, ab da erst die wahren Motive, sagen wir mal, herauskommen.

Beccs Riley:

Das erklärt auf jeden Fall, warum viele Menschen so irritiert sind, weil ich bin eine Person, ich frage sehr häufig warum. Weil ich möchte ja verstehen, wie Menschen funktionieren und warum sie Dinge tun. Und dann stelle ich sehr häufig fest, dass Leute darauf auch sehr aggressiv reagieren können.

Raúl Krauthausen:

Genau, weil das die eigene Unsicherheit quasi hervorbringt. Die Arbeit, die du machst, die kann ich jetzt zumindest aus meiner Perspektive ahhhm so beschreiben, dass ich sie entsprechend ahhh wirklich hilfreich finde, weil du aus sehr vielen verschiedenen Perspektiven ähm Themen beleuchten kannst, die ich selber als Aktivist, der sich, ich sage jetzt mal in Anführungsstrichen, nur für Inklusion einsetzt, ähm selber dann auch, ja, wie soll ich mal sagen, auch nicht alles wissen kann und dann. Natürlich auch Fehler mache, indem ich aus Versehen irgendeinen Ismus ahhh verbreite, Sexismus oder Rassismus, obwohl ich das gar nicht wollte. Wo nimmst du denn die Expertisen für Themenfelder her, die vielleicht gar nicht deine sind? Ahhhm So was wie, weiß ich nicht, Rassismus, obwohl wahrscheinlich du da auch was zu sagen kannst als betroffene Person?

Beccs Riley:

Ja, Rassismus ist bei mir immer so ein Themenfeld, über das ich mich einfach ungern öffentlich äußere, weil ich mit noch meinen eigenen Frieden nicht geschlossen habe, was ich davon… Das ist tatsächlich eines der wenigen Themenfelder, die für mich privat sind mhhhm und die ich deshalb auch gerne privat halte. Aber grundsätzlich gilt für mich, ahhhm ich meine, ich bin keine Cis-Frau und ich versuche mich mit Feminismus auszukennen und ich bin kein Elternteil und ich habe trotzdem einfach, bin der Meinung, dass Menschen Unterstützung bekommen sollten bei beispielsweise der Kindererziehung und dass gerade auch ahhh dann in dem Moment Kitaplätze, Pflegeplätze, Zusammenhang mit ahhh Arbeitsfähigkeit, Inklusion, wer pflegt pflegebedürftige Eltern, wer pflegt pflegebedürftige Kinder und dem ganzen Kontext, ahhhm finde ich es auch wichtig, betroffenen Expertinnen zuzuhören. Nicht jede Person, die betroffen ist, ist automatisch, hat Expertise in einem Bereich.

Raúl Krauthausen:

Was auch ein großes Tabu ist.

 Beccs Riley:

Na ja, ich würde jetzt Alice Weidel nicht unbedingt dazu fragen, wie es denn mit lesbischen Kontexten ist, weil sie ja deutlich auch sagte, dass das etwas ist, also beispielsweise queere Themen, sie sei ja nicht queer. Ahhhm Das heißt, auch da ist für mich das wichtig, aus welchem Kontext sprechen Menschen. Auch weil es keine homogene Masse ist. Mhhhm Einerseits macht Betroffenheit nicht automatisch Expertinnen und andererseits gibt es natürlich auch ahhh durchaus beispielsweise konservative Menschen, die behindert sind und die dann vielleicht auch eher konservative Sichtweisen auf andere Themen zeigen. Das heißt, da ist mir wichtig zu schauen: Wer schreibt darüber? Was sagen diese Menschen? Was sagen andere Menschen zu dem Thema? Wird das Thema diskutiert? Ist das ein Thema, das viel diskutiert wird? Ist das ein Thema, das eher weniger diskutiert wird? Auch um so eine falsche Balance zu vermeiden. Die eine Person hat das und das gesagt, also wird das schon stimmen. Finde ich persönlich nicht ausreichend, weil ähm ja auch dann häufig Dinge, die in der Community oder in den Communities noch gar nicht abschließend diskutiert worden sind, als so ein Prinzip von „das ist jetzt so mhhhm dargestellt wird. Bestes Beispiel ist dieser Doppelpunkt. Der ist irgendwie von der Fusion erfunden worden. Beim Gendern. Beim EntGendern. Der ist von der Fusion erfunden worden und dann fingen Leute an mit: „Der ist aber so barrierefrei. Und ich glaube, niemand aus meinen Communities oder aus deinen Communities ist in den ersten fünf Jahren, als der Doppelpunkt, als das Nonplusultra dargestellt wurde, überhaupt in diesen Diskurs mit einbezogen worden. Mhhhm Queere Menschen finden ihn häufig schwierig, weil er eben diese Binarität zeigt und alles, was dazwischen ist, ist so ein Lehrfeld, während der Unterstrich und der Stern einfach aus der Community entstanden sind und auch eine Bedeutung haben. Und für manche Menschen ist er tatsächlich besser lesbar, für andere Menschen ist er schlechter lesbar. Der Deutsche Verband der Blinden und Sehbehinderten sagt deutlich: „Bitte verzichtet so weit wie möglich auf Sonderzeichen, aber wenn es nicht anders geht, nehmt halt das Sternchen. Mhhhm Und das ist für mich so ein Beispiel, wo dann etwas, ahhh als „Da gibt es eine herrschende Meinung zu dargestellt wurde, wo immer noch ist: „Wer hat das festgelegt?

Raúl Krauthausen:

Ja klar. Aber was ich mit Tabu meinte, war, dass Menschen mit Behinderung zum Beispiel zu kritisieren, dass nur weil sie behindert sind, nicht automatisch auch Expertinnen sind. Ahhhm Da kann man sich ganz schnell ahhh Feinde machen. Ich bitte jedes Mal darum, ahhhm dass man mich nicht dazu fragt, wie man ein Gebäude barrierefrei macht, weil ich bin kein Architekt und ahhhm ich kann dir was sagen, was ich als rollstuhlfahrender Mensch brauche, aber nur weil ich etwas gesagt habe, heißt das nicht, dass meine Meinung mehr zählt als ahhhm die vielleicht einer behinderten Architektin.

Beccs Riley:

Ich würde sagen, behinderte Menschen sind Expertinnen in ihrer eigenen Behinderung, ihrem eigenen individuellen Überleben genau mit dieser Behinderung.

 Raúl Krauthausen:

Aber nur das. Genau. Sie sind nicht Expertinnen in Architektur.

 Beccs Riley:

Und kennst du eine neurodivergente Person? Kennst du eine neurodivergente Person? Was mir hilft, kann vielleicht bei anderen Menschen einen Overload auslösen. Deshalb finde ich es auch immer so schwierig, wenn von Barrierefreiheit als so einem absoluten mhhhm Haken dran haben wir erledigt gesprochen wird, weil-Das wird nicht funktionieren. Barrieren sind vielfältig, aber vor allen Dingen sind behinderte Menschen in ihren Bedürfnissen heterogen. Für manche Menschen ist ein Hilfsmittel beispielsweise, dass Ampeln Geräusche machen. Das ist wichtig. Für mich ist aber eine Ampel, die blinkt, vibriert und Geräusche macht, etwas, dass ich danach dafür brauche ich eine pflegende Assistenz, weil für mich ist das zu viel und ich bleibe stocksteif an der Ampel stehen und bewege mich nicht mehr, weil ich komplett überreizt und überlastet bin. Trotzdem kann ich nicht sagen, ich möchte bitte geräuscharme Ampeln haben, die nicht blinken und nicht vibrieren, weil das einfach eine Barriere für andere Leute wäre. Und das ist auch was, wo glaube ich, viele chronisch gesunde, nicht behinderte Menschen gerne dieses Ding hätten von „Wir müssen das jetzt umsetzen und dann haben wir Barrierefreiheit. Und das ist einfach nicht, wie Barrierefreiheit funktionieren wird.

Raúl Krauthausen:

Das führt mich zu einem spannenden Thema, was so ein Spannungsfeld für mich, glaube ich, immer mehr zu sein scheint, wo ich selber auch noch meinen Standpunkt zu finden muss, nämlich diese Balance schaffen, also die Balance schaffen zwischen Barrierefreiheit ist das Ideal, das wir nie erreichen werden, aber ich tue mich auch schwer mit dem Wort barrierearm, was quasi sagt: „Ja, wir wissen, es ist nicht erreichbar, weil mit Barrierearm ist es mir dann doch auch oft zu leicht, sagen wir mal, das Thema beendet auch. Ja, wir sind zwar nicht barrierefrei, aber barrierearm. Thema abgehakt.

Beccs Riley:

Barrierearm bedeutet meistens, wir haben eine Rampe und wenn es hochkommt, rollstuhlgerecht das Klo.

Raúl Krauthausen:

Ja, oder die Rampe ist nicht 6 Grad steil, sondern 20 Grad steil und ist halt barrierearm. Ist nicht barrierefrei, aber ist barrierearm. Ein Deal with it kommt klar.

Beccs Riley:

Ich mache es meistens anders. Ich frage die Leute, wo ihre Barrieren sind und erwarte von ihnen, dass sie transparent sagen, welche Barrieren vorhanden sind, ja weil sie das zwingt, sich mit unterschiedlichen Formen von Barrieren auseinanderzusetzen. Beispiel: Techno-Club. Ich meine, wir sind in Berlin. Das ist die Stadt der Techno-Klubs. Und ich finde es ja immer nett, wenn an so einem Club dann so ein „Es könnte Strobo geben warne Schild ist, weil ich mir so denke: „Danke für die Information, aber ich weiß immer noch nicht, wann, auf welchem Floor, zeitgleich, in welcher Intensität.

Raúl Krauthausen:

Ja, das ist halt wie bei Filmen auch so.

Beccs Riley:

Ja, es kann zu flackernden Dingen kommen. Ja, danke. Damit habe ich so eine binäre Form von Entscheidung. Schau ihn und geh das Risiko ein oder schau ihn nicht. Und was ich gerne möchte, ist, keine Ahnung, bei einem Timetable, bei einem Club, mach doch einfach so ein kleines Strobozeichen daneben, damit die Leute zumindest wissen, gut, alle drei Acts auf dem Floor gibt es Strobo. Damit können Leute sich selbst entscheiden, auch will ich das mir gerade antun oder nicht, aber sie haben viel mehr Möglichkeiten, diese Entscheidung zu treffen. Bei einem Film, Content Notes oder auch „Es kann zu flackernden Effekten kommen. Gib mir doch wenigstens eine grobe Sache, bei welcher Minute der Film hat genug davon.

 Raúl Krauthausen:

Ja, oder auch: Was für eine Art Content Note? Also geht es Sexualsachen, geht es Gewalt? Einfach Content Note zu sagen, reicht mir oft nicht.

Beccs Riley:

Ich habe kürzlich das Sensitivity Reading für ein Buch machen dürfen und ich habe beispielsweise mir die Kapitel durchgelesen und alles, wo ich gemerkt habe, da, da, da, da, da, auch an den Rand geschrieben, damit wir auch kapitelweise Content Notes geben können, damit Menschen auch gewisse Kapitel überspringen können, weil auch nicht alles in allen Kapiteln aufkam.

Raúl Krauthausen:

Und auch nicht jeder auf unterschiedliche Trigger anspringt.

Beccs Riley:

Genau. Ich weiß auch nicht, was andere Leute triggert, ob es die Formulierungen sind oder ähnliches, aber zumindest bei den großen Themen, nenne ich es jetzt mal, gibt es da durchaus Möglichkeiten, auch mal kapitelweise darauf einzugehen.

Raúl Krauthausen:

Das andere Spannungsfeld, das ich für mich gerade versuche zu verstehen, ist dieses fünfte Grade sein lassen. Also wir sind so weit in unserer Expertise, was Inklusion und Barrierefreiheit angeht, dass, glaube ich, wir oft auch Gefahr laufen, dass es nie genug ist und damit vielleicht auch andere überfordern könnten, aber gleichzeitig, wenn wir darauf nicht bestünden, auch uns verraten würden beziehungsweise auch die Bewegung verraten würden. Und diese Fünfe grade sein lassen Haltung: Sind es jetzt acht Grad oder sechs Grad einer Steigung der Rampe, ist dann vielleicht auch ein Kampf, den man nicht unbedingt jetzt führen muss. Verstehst du, was ich meine?

Beccs Riley:

Ich verstehe, was du meinst. Das ist so ein bisschen diese Sache von „Wähle deine Kämpfe weise, ja wo ich einerseits sagen würde, ich sehe, was du meinst und ich gehe zum Teil mit. Auf der anderen Seite fiel mir direkt ein, Leute, die so sind: „Ja, aber warum kritisierst du denn die Menschen, die es schon versuchen? Kritisier doch lieber die Leute, die noch gar nichts tun. Und da ist meine Antwort: „Na ja, weil die Leute, die es versuchen, wenn sie es direkt richtig machen, können sie es anderen Leuten richtig beibringen, anstatt dass wir dann überall acht Grad Rampen haben und dann wieder von vorne anfangen, ihnen zu erklären, dass eine acht Grad Rampe immer noch keine sechs Grad sind. Und ja, dass die zwanzig Zentimeter der Rampe wichtig sind, damit Menschen sie auch benutzen können. So sehe diese Lego-Rampen, die super schnell als ideal einfach dargestellt wurden für DIY Build Your Own Ramp, aber die einfach für die wenigsten Rollstühle gut funktionieren und den Sicherheitsfaktor von „So leid es mir tut, einer Legorampe haben, nämlich gar keinen.

Raúl Krauthausen:

Ich muss ehrlich gesagt zugeben, die Legorampe ist, glaube ich, auf meinem Mist gewachsen, weil ich vor vielen, vielen Jahren in einer Bauanleitung eine Legorampe gemacht habe, einfach aus Trust for Fun. Und das ist irgendwie viral gegangen und auf meinem Zettel steht Selbstwirksamkeit. Und wenn es Selbstwirksamkeit geht, würde ich sagen, war das bei meiner Arbeit ein absoluter Fail. Das Ding ist zu groß geworden. Ich bereue es, dass es diese Lego-Rampen gibt und ich wollte niemals damit in Verbindung gebracht werden. Ich war halt naiv und dachte, ich spiele mit Lego, aber es sollte niemals die Antwort sein für Barrierefreiheit. Gibt es für dich eine Selbstwirksamkeit, wo du sagst, auf die bist du stolz? Da hast du was bewegt, da hast du was erreicht?

Beccs Riley:

Ich habe… Einerseits, glaube ich, kann ich Menschen helfen, aber das ist so ein abstraktes Prinzip. Was bei mir wirklich ein „Ich wisch dem System in dem Moment was aus, gewesen ist, ist der Moment, als eine Person auf uns zukam und war so und für uns auf Honorarbasis gearbeitet hat und dann von der Agentur für Arbeit gesagt wurde: „Wir werden Sie nicht vermitteln. Sie dürfen maximal in eine Werkstatt für behinderte Menschen. Und ich wollte nie Angestellte haben. Es war für Minskespins doch eigentlich viel zu früh, eine Person anzustellen und das Ergebnis war dann, dass wir auch alle an unserem Honorar und Gehalt einfach nach unten geschraubt haben haben, damit das funktioniert. Aber dass wir dann die Person angestellt haben und jetzt seit anderthalb Jahren zusammenarbeiten, weil das für mich das Ding war von „Nein, das kriegt ihr nicht. Das lasse ich aus Prinzip nicht zu.Weil wenn Menschen erst mal in diesen, äh, Werkstätten für behinderte Menschen drin sind, sie so super schwer auch wieder rauskommen. Und dass– Ich kritisiere diese Werkstätten sehr häufig, aber vor allen Dingen dann für Leute, die nicht rein wollen und denen keine Wahl gelassen wird. Noch mal Wurf zurück zu, äh, vor den, vor den Lego-Rampen. Ähm, da ging es, da hattest du mir eine andere Frage gestellt und dann sind wir auf die Lego-Rampen gekommen.

Raúl Krauthausen:

Äh, die Frage war… Jetzt muss ich kurz selber überlegen.

Beccs Riley:

Ach ja, äh, fünfe gerade sein lassen.

Raúl Krauthausen:

Ge– Genau. Also können wir, ähm, vielleicht tu– Also tun, tun wir uns nicht selber in der Bewegung einen Bärendienst, ähm, wenn wir immer mehr fordern, anstatt auch, sagen wir mal, zu sagen, wir konzentrieren uns auf die vielleicht wichtigen Themen?

Beccs Riley:

Frag fünf behinderte Menschen oder fünf behinderte AktivistInnen, was die wichtigen Themen sind und du wirst mindestens zehn verschiedene Antworten bekommen. Ähm, das heißt, deshalb mag ich diese Argumentation nicht, weil es tut so, als ob es ein wichtiges Thema gäbe und alle wären sich einig, was dieses wichtige Thema ist. Aber niemand sagt dir, was das wichtige Thema ist.

Raúl Krauthausen:

Aber du hast ja einen Kompass. Nach welchen Kriterien arbeitest du dich denn ab, bei so vielen, dass man machen könnte?

Beccs Riley:

Ich arbeite tatsächlich sehr nach meinem Einflussbereich, also in diesem tatsächlich: Was ist meine, meine eigene Zone, in der ich arbeiten kann? Was ist ’ne mittelbare Zone, wo ich Menschen beeinflussen kann? Ähm, und was ist dann die große Zone, die einfach jetzt gerade beispielsweise weltpolitisch außerhalb dessen liegt, wo ich gerade jetzt in diesem Moment Dinge tun kann?

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

So, was sind meine fünfzehn Prozent, in denen ich tatsächlich was tun kann? Und versuche, da entsprechend zu arbeiten und find’s da auch wichtig, genau diesen Punkt von Leuten das einmal gut beizubringen. Auch dass es komplex ist und dass es keine, keine einfache Lösung gibt, ähm, und dass diese Komplexität auch ausgehalten werden muss. Und– Weil dann können sie’s weiter beibringen. Weil ansonsten sind wir so in diesem Prinzip, das habe ich jetzt am Frauenkampftag, äh, kritisiert, dass, oder im feministischen Kampftag. Da gab’s ’nen Aufruf, ähm, und in dem Aufruf stand: „Aus Gründen der Inklusion verzichten wir auf Begriffe wie FLINTA.“ Und ich war so, dass erstens zu sagen, FLINTA ist zu kompliziert für Social Media, das nimmt zu viel Platz ein, bedeutet zu sagen, dass Lesben, Interpersonen, nicht-behindere Trans- und Agender-Personen zu lang sind und ja, dann Platz kriegen können, wenn, keine Ahnung, Insta mehr Slides hat oder die Leute das schon verstanden haben.

Raúl Krauthausen:

Ich find’s problematisch, weil es behinderte Menschen für nicht, äh, in der Lage bezeichnet, das zu begreifen. Auch Menschen, die meinetwegen eine Lernbehinderung haben, können ja Dinge lernen.

Beccs Riley:

Genau, und weil es so tut, als ob zuerst sich die Frauen gekümmert werden müsse und danach können wir ja die anderen Themen machen.

 Raúl Krauthausen:

Genau, und dann Minderheiten so ein bisschen gegeneinander ausgespielt werden.

Beccs Riley:

Ja, und eben auch, dass, ähm, auch, auch damit gleichzeitig eine Wertung stattfindet.

Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

Welche, welche Frauen sind in dem Moment wichtig? Um die geht es. Ähm, der Rest kann sich ja mitgemeint fühlen. Aber gerade wenn wir im Bereich Lernbehinderungen sind und auch in Menschen in stationären Einrichtungen, gibt es superwenig Transpersonen in stationären Einrichtungen, die sich outen und transitionieren können. Weil, ich meine, ich habe nur in der Jugendhilfe gelebt und hatte keine Begriffe, bis ich Mitte zwanzig war, wer ich bin, w-w-welche Begriffe es dafür gibt. Und wenn dir diese Begriffe nie beigebracht wurden, weil du beispielsweise im Förderschulsystem gewesen bist und auch da schon Sexualaufklärung häufig weniger ernst genommen wird, wenn diese Entsexualisierung von behinderten Menschen etwas ist, mit dem du immer wieder konfrontiert bist, dann hast du auch weniger Möglichkeiten, Begriffe für dich zu finden. Und dann stellen sich Leute hin und sagen: „Ja, aber du kannst das ja noch gar nicht lernen.“ Das ist so ’n doppelter Ableismus.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Und da lasse ich keine Fünfe gerade sein, weil ich sage: „Nee, wir müssen das von Anfang an richtig machen.“ Aber wenn Leute sich versprechen, wenn Leute irgendwie mal einen -ismus produzieren, kann man darüber reden, kann aber auch in dem Moment, denke ich, sagen: „Hey, das war nicht cool. Lass es mal stecken, wir, aber wir müssen nicht heute Abend die große Debatte darüber führen, warum es nicht cool ist.“ Ich wollte nur so ’n, so ’n Sticky Note an die Situation kleben.

Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

Muss aber nicht bei jeder Situation immer in diese, diese erklärenden Rolle kommen. Auch weil ich manchmal denke, sollen Leute grad die Sticky Note haben und mit nach Hause nehmen und vielleicht selbst recherchieren und dann wieder zu mir zurückkommen.

Raúl Krauthausen:

Manchmal reicht es auch, ähm, andere Formulierungen selber für sich zu benutzen, während die andere Seite noch bei der alten bleibt.

Beccs Riley:

Ja, das fällt dann auch sehr schnell auf, wenn beispielsweise Menschen in meinem Umfeld plötzlich anfangen, geschlechterneutraler zu sprechen.

Raúl Krauthausen:

Mhm. Ich muss auch zugeben, das war ’ne Reise oder ist für mich noch eine Reise, ähm, dass mir oft dann noch das falsche Pronomen rausrutscht, ähm, einfach weil ich es nicht gelernt habe. Und wenn ich jetzt aber junge Menschen beobachte im Kindergarten oder in Schulen, die in ihrer Klasse jemanden haben, der oder die trans ist, ähm, dann könnt ich Siebenjährige mich korrigieren. Und ich finde das großartig, äh, äh, und, ähm, ärgere mich ehrlich gesagt, dass wir das nicht gelernt haben.

Beccs Riley:

Ich sehe es ja bei mir zu Hause. Ich wohne ja mit meinen Großeltern in einem Mehrfamilie– äh, -generationenhaus und mittlerweile funktioniert da der Name hervorragend. Das wird– Da ist seit Ewigkeiten kein Deadname mehr rausgerutscht. Und beim Pronomen, muss ich sagen, geben sich meine Großeltern wirklich Mühe. Also auch gerade meine, meine Oma ist– Das Einzige, wo es ihr nicht passiert, ist, wenn sie tatsächlich so irgendjemanden rufen möchte und einmal so komplett die, die halbe Familie durchgeht, bis sie bei der Person angekommen ist. Aber das passiert halt bei meiner Mutter oder bei meiner Schwester auch. Das heißt, es ist nicht dieses aktive und, äh, da funktioniert’s auch, dass wenn es ihr auffällt, sie sich sofort korrigiert. Und das ist auch, ja natürlich, der Lernprozess ist länger. In ihrer Jugend gab es das nicht, aber ich glaube, da ist auch die Haltung: Möchte ich es lernen? Finde ich’s gut, dass es das gibt? Oder nee, das gab es nicht, das hat es nie zu geben. Weil, es gab es auch damals schon. Es war nur weniger Möglichkeiten.

Raúl Krauthausen:

Du hast gerade das Beispiel mit, ähm, äh, beim feministischen Kampftag gemacht und dem Wort FLINTA, dass es bewusst weggelassen wurde, weil es Menschen, die vielleicht ’ne Lernbehinderung haben, überfordern könnt oder nicht verstehen. Ähm, gleichzeitig beobachte ich schon aber auch, dass in dieser Inklusionsbubble, selbst das Wort Bubble (kichern) , ähm, so viele Anglizismen enthält, also englische Wörter, Coping, Deadname und so, dass wir vielleicht schon auch, sagen wir mal, auf einem, auf dem Niveau diskutieren, das viele Menschen gar nicht mitnimmt.

Beccs Riley:

Also gerade auch das Niveau, ähm, im Bereich Inklusion einerseits, aber auch im Bereich Feminismus kann unglaublich akademisch sein.

 Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

Auch weil viele Menschen, die dazu eingeladen werden, ’ne universitäre Ausbildung haben, ähm, du hast studiert, ich habe immer noch keinen Bachelor, aber, äh, ich hab zumindest eine Uni von innen gesehen. Und das merke ich dann auch, wenn ich eben mit meinen Eltern oder Großeltern zu tun habe, dass ich eben Begriffe erklären muss, die ich dachte immer, die wären– Ich wollte jetzt gerade Common Sense sagen und das ist genau der Bei– das Beispiel dafür, das eigentlich sinnvoll ist.

 Raúl Krauthausen:

Allgemeingültig vielleicht.

 Beccs Riley:

Genau, allgemeingültig. Und dass ich dann überlege, gut, ich muss–Mein Denglisch dann auf Deutsch übersetzt. Das bedeutet, ich rede von einem alten Namen, ich rede von einer Filterblase, ich rede davon, dass Menschen mit einer ähnlichen Haltung. Das ist auch ein bisschen anstrengend, aber ich glaube, es ist durchaus möglich, dass wir das, wenn wir uns darüber Gedanken machen, wer ist gerade unsere Zielgruppe, auch anpassen können. Weil für mich ist das auch ein Beweis dafür, wenn Leute wissen, wovon sie reden, dass sie das in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich formulieren können und dass sie trotzdem immer noch das Gleiche rüberbringen.

Raúl Krauthausen:

Du hast gerade das Wort Minsgespinst genannt. Vielleicht kannst du noch mal kurz erklären, was Minsgespinst ist. Wenn ich es richtig verstehe, ist es ein Zusammenschluss aus Menschen, ihr habt auch Angestellte, die die Dienstleistungen, die du lange als Beccs Runge, Beccs Riley angeboten hast, auch mehr Menschen inzwischen anbieten als Minsgespinst.

Beccs Riley:

Genau. Minsgespinst ist mittlerweile ein NEV. Wir sind also ein nicht eingetragener Verein. Wir sind derzeit fünf Leute und haben im Portfolio im Angebot, dass wir einerseits Fortbildungen und Workshops machen und da dann auch Team-Entwicklung und Prozess-Entwicklung, eben zu sagen: „Okay, wir haben jetzt ein Team mit Transpersonen, wir haben jetzt behinderte Menschen eingestellt. Und da ist dann häufig: „Ja gut, und warum funktioniert das jetzt nicht? „ja, weil eure Prozesse nicht darauf ausgerichtet sind, weil eure Teams nicht darauf ausgerichtet sind und weil die Erfahrungen von beispielsweise behinderten Menschen, auch was ihre Ressourcen angeht, doch was anderes sind als die von chronisch gesunden Menschen. Und wenn es dann zu Konflikten kommt, dann eben so dieses: „Ja gut, wir haben das jetzt ausprobiert mit den behinderten Menschen. Es hat nicht funktioniert. Wir stellen einfach keine behinderten Menschen mehr ein. Und da arbeiten wir viel, aber auch im Bereich Social Media, Social Media Management.

Raúl Krauthausen:

Aber ist es dann klassische Beratungsleistung oder macht ihr auch wirklich die Arbeit?

Beccs Riley:

Wir machen vor allen Dingen Beratungsleistungen, weil die Arbeit, wie optimiert man Prozesse und Strukturen und Teams, die machen wir schon intern. Aber eben aus ganz vielen: Wir gehen extern rein, zu schauen: Was kann bei euch geändert werden? Wir arbeiten mit den Leuten, teilweise aber auch langfristig. Ähnlich wie wir jetzt schon langfristig zusammenarbeiten im Bereich Sensitivity Reading, ist das durchaus auch möglich im Bereich von Teams, die zu begleiten: Wie baue ich denn ein inklusives Team? Weil die Idee, ich stelle behinderte Menschen ein und habe ein inklusives Team. Das wäre schön, wenn das so funktionieren würde, aber das ist leider in der Realität…

Raúl Krauthausen:

Ein kulturelles Lernen.

Beccs Riley:

Es ist eben genau, wie arbeiten wir miteinander, wenn wir die Realität der anderen Personen kaum nachvollziehen können. Auch welche Erwartungen haben wir? Wie funktioniert Kommunikation miteinander? Auch da im Bereich Autismus und Neurodivergenz, großes Thema für uns, weil ja doch, autistische Menschen haben häufiger Mobbing-Erfahrungen und die liegen nicht an ihrem Autismus, sondern die liegen an den Erwartungen und den unterschiedlichen Kommunikationsstilen. Und dann aber auch Social-Media-Management und Social-Media-Content-Erstellung.

Raúl Krauthausen:

Aber dann für Vereine, Organisationen oder auch für Unternehmen?

Beccs Riley:

Vor allen Dingen derzeit für Vereine und Organisationen, was aber auch daran liegt, dass bisher kein Unternehmen in irgendeiner Form Interesse daran angemeldet hat. Und da will ich dann auch genau gucken, dass ich auch da Unternehmen vertreten möchte, die tatsächlich was ändern wollen und nicht nur auf Social Media dann so tun, als ob sie inklusiv wären ohne Die klassische Regenbogenflage auf dem Parkplatz. Ja, und das geänderte Twitter-Profilbild im Juni.

Raúl Krauthausen:

Aber nur in westlichen Nationen.

Beccs Riley:

Ja, mein Negativbeispiel jedes Jahr wieder. Was wir gerade aufbauen, ist barrierefreies Webdesign, weil da ich gemerkt habe, okay, ich mag Sprachen, ich mag Grammatik. Ich wollte nie, nie, nie, nie, nie das autistische Klischee von Autismus und IT sein. Und jetzt ging es von hinten durch die Brust ins Auge, doch noch ins Webdesign, weil es a ) ein kreativer Weg ist, aber b ) Code ist auch nur Sprache mit Grammatik. Und so landete das linguistische Envy dann im Webdesign. Und ich finde es amüsant, weil ich einmal gesagt habe, ich habe den Sprachenautismus, ich habe nicht den IT-Autismus, so als interner Gag innerhalb der Community, weil das Vorurteil ja so ist. Und jetzt stelle ich fest: „Verdammt.

Raúl Krauthausen:

Also beides. Ja. Du hast gerade gesagt, du hast mal eine Uni von innen gesehen. Was war denn da dein Studium, das du dir angeschaut oder gemacht hast?

Beccs Riley:

Ich habe Indologie, Tibetologie und Mongolistik mit Schwerpunkt auf Mongolistik studiert und… Now we are talking.

Raúl Krauthausen:

Okay.

Beccs Riley:

Das ist sehr viel mit Sprache. Irgendjemand meinte mal zu mir: „Du studierst ausschließlich die Dinge, bei denen du nicht mit Menschen reden musst. Das ist korrekt. Ich rede offensichtlich wahlweise mit Computern oder in Sprachen, bei denen die SprecherInnen durch das klassische Mongolisch schon eine ganze Weile nicht mehr unter uns sind und sollte irgendwie demnächst mal meine Bachelorarbeit fertig machen, aber leider kam mir da so eine Selbstständigkeit dazwischen.

Raúl Krauthausen:

Und hättest du jetzt auch ein Faible für Klingonisch oder Elbisch?

Beccs Riley:

Elbisch finde ich spannend, weil es eine Kunstsprache ist.

Raúl Krauthausen:

Klingonisch auch, oder?

Beccs Riley:

Tolkien war Linguist. Ich weiß nicht, wer Klingonisch entwickelt hat, aber ich weiß, dass Tolkien eben das Elbische tatsächlich als Kunstsprache mit linguistischem Anspruch entwickelt hat. Muss aber sagen, ich würde, wenn eher in Richtung weiterer Codesprachen gehen, weil ich es ganz spannend finde, zu schauen, wie Kommunikation mit Computern funktioniert, weil Computer einfach… Du musst sehr deutlich sein, damit sie verstehen, was du von ihnen willst. Und das ist eben häufig auch eine Erwartungshaltung, die Menschen an Kommunikation mit Menschen haben. Du wirst ja schon wissen, was ich von dir will. Und wenn du das bei einem PC beispielsweise machst, nein, der weiß das nicht. Du musst ihm sehr deutlich sagen, was er tun soll. Oder leichte Sprache, einfache Sprache, Gebärdensprache. So wie arbeite ich mit dem, was ich jetzt schon habe? Wobei Gebärdensprache ja auch, ich hoffe, dass die bald als Minderheitensprache auch anerkannt wird.

Raúl Krauthausen:

Kannst du Gebärdensprache?

Beccs Riley:

Nicht so, dass ich sagen würde, ich kann es.

Raúl Krauthausen:

Was ich an der Gebärdensprache tatsächlich faszinierend finde, ist ihre Dreidimensionalität oder ihre Räumlichkeit quasi, was ja so keine andere Sprache oder wenige andere Sprachen haben.

Beccs Riley:

Das ist tatsächlich auch das, was mir aufgrund meines fehlenden räumlichen Vorstellungsvermögen am schwersten am Lernen fällt, weil ich einen dreidimensionalen Raum mir vorstellen muss und A-Fantasie habe und Schwierigkeiten bei der Erkennung von dreidimensionalen Räumen. Also ich kann weder Bewegungen noch Geschwindigkeiten gut einschätzen und für mich… Ich sehe auch sehr schlecht dreidimensional und damit ist Gebärdensprache für mich noch mal extra Steps.

Raúl Krauthausen:

Okay, also du hast studiert. Ich habe es gerade schon wieder vergessen.

Beccs Riley:

Indologie, Tibetologie und Mongolistik mit Schwerpunkt auf Mongolistik.

Raúl Krauthausen:

Das heißt, wie viele Sprachen kannst du?

Beccs Riley:

Sprachen, die ich sprechen kann und in denen ich mich wohlfühle, wären Deutsch, Englisch und Neurotypisch. Sprachen, (übersprechen 00:00:08)

Raúl Krauthausen:

(lacht) Deutsch, Englisch und Neurotypisch.

Beccs Riley:

Ja. Sprachen, die ich in der Grammatik grundsätzlich beherrsche und deren Schrift ich lesen kann, wären Hindi, Sanskrit, klassisches Mongolisch, modernes Mongolisch, Kyrillisch, Russisch. Ähm, also Kyrillisch ist die Schrift, Russisch und, ähm, modernes Mongolisch sind die Sprachen, die dazugehören. Ähm, Latein und Arabisch.

Raúl Krauthausen:

Aussprache auch?

Beccs Riley:

Nein, nicht bei allen.

Raúl Krauthausen:

Das heißt, du liest und verstehst den Inhalt? Kannst du’s schreiben?

Beccs Riley:

Ich kann’s schreiben und ich kann’s lesen. Zum Inhalt verstehen müsste ich, was meinen Vokabel, äh, input angeht, deutlich mehr können, aber ich kann zumindest all diese Schriften, wenn du das dringend möchtest, in lateinische Buchstaben übertragen. Ich könnte dir aber nicht unbedingt den Inhalt übersetzen.

Raúl Krauthausen:

Aber wir können es in einem Wörterbuch nachschlagen-

Beccs Riley:

Ja.

Raúl Krauthausen:

-weil du die Symbole unterscheiden kannst.

Beccs Riley:

Ja, weil ich die Symbole dann auch lesen kann.

Raúl Krauthausen:

Was ich, ähm, dich die ganze Zeit frage, in dieser rapide sich entwickelnden Technologie der künstlichen Intelligenz, ähm, inwieweit wäre ein Gespräch mit ChatGPT, was ja inzwischen extrem gut funktioniert, ähm, ’ne Erleichterung für, für Menschen wie dich? Der hat ewige Geduld, ähm, kann sich wahrscheinlich genauso krass reinnerden.

Beccs Riley:

ChatGPT ist nicht messy. Menschen sind messy.

Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

Menschen– menschliches Miteinander ist durchaus geprägt von Erwartungen, Konflikten, Missverständnissen, Uneindeutigkeiten, Komplexität-

Raúl Krauthausen:

Hast du so ’nen Avatar, mit dem du redest oder ’n, Äh, Agenten?

Beccs Riley:

Nee, tatsächlich nicht, ähm, weil ich– einerseits finde ich KI in dem Moment kritisch aufgrund des Ressourcenverbrauchs und andererseits aufgrund der Ausbeutung von Menschen, die in diese, ähm, Fabriken gesetzt werden, damit sie den menschenfeindlichen Content aus den, äh, KIs wieder, wieder rausfiltern und mir so denke: „Okay, wir haben genug Mist ins Internet geblasen offensichtlich, Menschheitsgeschichten-mäßig“, ähm, dass wir dann Leute ausbeuten müssen, damit wir ’nen einfacheren Zugang dazu haben, bin ich derzeit– Ich würde mir ’ne ethische KI überhaupt wünschen und zumindest in dem Bereich, dass bei, bei Texte schreiben oder Ähnlichem, ist es eben auch– KI lernt ja aus den Texten anderer Leute und die wurden häufig nicht gefragt, ob sie ihre Texte zur Verfügung stellen wollen, dass KIs daraus lernen dürfen.

Raúl Krauthausen:

Das heißt, du boykottierst es?

Beccs Riley:

Nein, ich sehe es kritisch.

Raúl Krauthausen:

Okay.

Beccs Riley:

Ähm, ich habe da kein, kein „Bitte boykottiert es.“ Ich sehe eher den Punkt von, das sind– Es ist komplex, das ist genau das mit dem „Finden wir gerade sein lassen“-

Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

-oder dem Aktivismus. Ich würde sagen, dass wir bei KI es weder, oh Gott, das ist das nächste super hilfreiche Tool, auch weil’s in diese Idee reingeht, autistische Menschen könnten besser mit Computern reden, weil sie ja, keine Ahnung, Aliens sind oder keine richtigen Menschen oder einem Roboter ähnlicher als einer Person. Ist übrigens umgekehrt. Roboter in der Popkultur sind autistischen Menschen nachempfunden, nicht andersrum. Und Aber auf der anderen Seite dann zu sagen, ähm, es ist eben, es hat auch Optionen für Menschen, die, denen es helfen kann. Beispielsweise kenne ich durchaus Menschen, die sagen, ich brauche Hilfe bei Strukturen und da könnte ’ne KI helfen. Meiner, wenn man sich bei uns einen, einen Buchungslink klickt, ’n Meeting macht, ist das de facto auch ’ne KI, die dann entscheidet, da ist noch Platz im Kalender, also kann da noch was-

Raúl Krauthausen:

Hmm.

Beccs Riley:

-rein getan werden. Was ich eher kritisch sehe, ist dann dieses, dieses, auch diese Wahl vor ein Entweder–Oder gestellt zu werden und ich sage, es sind gleichzeitig ist es, hat es Problematiken, es ist derzeit nicht ethisch, es beutet Menschen aus und es verbraucht sehr viele Ressourcen, aber es hat auch durchaus das Potenzial, Menschen die Arbeit zu erleichtern. Auf der anderen Seite bekam ich jetzt beispielsweise von ’nem KI-, äh, Anbieter auch ’ne Mail mit, ähm, „Wir haben ’ne KI für einfache Sprache, damit sie barrierefrei werden, damit sie für behinderte Menschen Websites designen können, die zugänglicher sind.“ Und mein Gedanke war: „Warum mit Not– Warum, warum fragt ihr dann nicht die Menschen, die derzeit einfach häufig auch keinen Job finden und darauf angewiesen sind, ob sie als Prüfende eingesetzt werden können?“ Äh, stattdessen soll KI diesen Job überle-nehmen, damit behinderte Menschen, die in Armut leben, in einfacher Sprache oder in leichter Sprache Zugang zu Dingen haben, die sie sich niemals leisten können.

Raúl Krauthausen:

Aber meine Frage war ursprünglich, ob du ChatGPT für dich benutzt.

Beccs Riley:

ChatGPT tatsächlich nicht.

Raúl Krauthausen:

Oder etwas Vergleichbares?

Beccs Riley:

Ich benutze ab und zu Goblin Tools. Goblin Tools, ähm, ist, äh, Browser basiert und Goblin Tools ist tatsächlich von ’ner neurodivergenten Person entwickelt worden, um, ähm… Wenn du da eine Nachricht reinschreibst, kann es dir erklären, wie die Nachricht gemeint ist. Oder auch, du schreibst ’ne eigene Nachricht rein und kannst dann sagen, ich möchte es gerne ein bisschen sozialer haben.

Raúl Krauthausen:

Okay.

Beccs Riley:

Oder ein bisschen professioneller. Das ist halt auch das, wie ich das Tool verwende, weil das ist ja auch das, was du vorhin gefragt hast. Ähm, doch, das erleichtert mir den Umgang, gerade wenn viel Mailverkehr ist mit Menschen, find ich, f-f– Weil ich weiß, dass ich häufig als unhöflich wahrgenommen werde, wenn ich nur beantworte und nicht auf das soziale Drumherum eingehe.

Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

Und nicht weil mir das soziale Drumherum egal ist, sondern weil ich einfach nicht daran denke, dass das ja auch ein relevanter Fakt für ein Gespräch ist. Und da hilft Goblin Tools, indem es meine Hard Facts nimmt und ein bisschen, äh, Social Waffled.

Raúl Krauthausen:

Tatsächlich mache ich das auch, ähm, wenn ich wütend auf Behörden bin oder wütend irgendwie auf Dinge, die nicht so funktionieren, wie sie eigentlich sollten, dann schreibe ich meinen Frust da rein und kriege einen höflichen Text daraus. Ähm, das ist tatsächlich sehr, sehr hilfreich. Und es hilft auch bei Anträgen, egal ob Behörden oder Krankenkassen, weil wir dann oft auch Begründungen noch mit dazulegen, die den einen oder anderen Arztbesuch auch manchmal ersparen können. Ich hab vor zwei Tagen auf Social Media gefragt, ähm, ob es, ähm, unter meinen Follower:innen etwas gibt, was, was die Leute können, was nicht von ihnen erwartet wird. Also, keine Ahnung, irgendein, irgend ’n Spezialwissen, ne? Es gibt ja Menschen, die haben irgendein Spezialwissen. Ich kenn Leute, die wissen alles über den Bachelor von RTL. So. Weiß nicht, wofür man das braucht im Leben, aber…

Beccs Riley:

Ändert sich der nicht regelmäßig?

Raúl Krauthausen:

Also, ich habe keine Ahnung. Auf jeden Fall ist es– Ähm, ein Freund von mir hat das Spezialwissen und ich hab das meine Follower:innen gefragt und ich war ’n bisschen traurig, muss ich ehrlich sagen, weil neunzig Prozent der Antworten waren: „Ja, ich kenne mich gut mit meinem Körper aus.“ „Ich kenne mich gut mit Krankenkassen aus.“ „Ich kenne mich gut mit Behörden aus,“ aber ich wollte eher so dieses, dieses, wie heißt es, ähm, äh, unmützes Wissen hinaus. Vielleicht hätte ich meine Frage präzisieren sollen. Ich, ich hatte nur so kurz das Gefühl, dass es sehr viele Menschen da draußen gibt, die aus ihrer Betroffenheit–Nicht mehr rauskommt. Verstehst du, was ich meine?

Beccs Riley:

Ich meine, unser Motto ist: Die beste Rache ist ein gutes Leben, das auch entstanden ist, weil ich meine Autismus-Diagnose bekommen habe und angefangen habe zu googeln. Und was ich bekam, war halt mehr oder weniger: „Du wirst leiden.

Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

Du wirst dein Leben lang leiden. Du wirst depressiv sein, du wirst niemals eine Beziehung führen, autistische Menschen haben keine Freunde.

Raúl Krauthausen:

Und das kann ein Vollzeitjob werden, wenn man da nicht aufpasst.

Beccs Riley:

Das haben sie nicht mal gesagt, sondern es ging vor allen Dingen die großen Leidenserwartungen, Depressionen, Angststörungen, weitere Erkrankungen, die häufiger mit Autismus zusammen auftreten, Trauma, Zwangsstörungen et cetera pp. Und ich saß da und dachte mir: „Das kann nicht alles sein. Und ich glaube, dass da auch viel bei Behinderung auch zu Frust kommt und dass da die Energie so niedrig ist, weil dauerhaft Anträge zu stellen, zu kämpfen, den eigenen Körper zu hinterfragen, Ärztinnen zu überzeugen, dass man wirklich verdient hat, behandelt zu werden, so müde macht und so resigniert macht und dann so wenig Energie dafür da ist und das auch einfach Geld kostet. Ich meine, ich bin jetzt in einem Berufungsverfahren. Meinen ersten Antrag diesbezüglich habe ich 2018 gestellt und ich hätte sehr viel mehr Zeit, Geld und Ressourcen, wenn ich nicht die ganze Zeit diesem Amt hinterherlaufen müsste, das mir aber ins Gesicht gesagt hat, ich wäre zu erfolgreich, so richtig behindert zu sein. Und da dann noch diese Ressourcen zu schaffen, ist, glaube ich, sehr schwer, vor allen Dingen auch, weil aus der Betroffenheit nicht mehr rauskommen, so schnell wie ein Vorwurf klingen kann, aber dass ich eher das Problem im System sehe, in den Strukturen, die Menschen so sehr in diesen Einschränkungen hat, aber auch zum Teil hat kürzlich jemand gepostet, das Prinzip von: Wenn du eine Unterstützung am Arbeitsplatz möchtest, beispielsweise einen besonderen Monitor, musst du einen Antrag stellen, der muss dann genehmigt werden. Das Ganze muss dann entsprechend durch die verschiedenen Behörden gehen. Dann bewilligen die das oder nicht. Dann musst du in den Widerspruch und am Ende kaufst du dir dann halt, keine Ahnung, für hundertneunundzwanzig Euro deinen verdammten Monitor selbst, weil die Ressourcen, die es fressen würde, sich das Hilfsmittel bewilligen zu lassen, in keinem Verhältnis mehr stehen. Und da dann frustriert zu werden, auf jeden Fall.

Raúl Krauthausen:

Ich finde es auch nachvollziehbar. Ich fand es traurig. Es hat mich wirklich traurig gemacht. Also wenn ich dich jetzt diese Frage fragen würde: Was kannst du, was andere nicht von dir erwarten? Was ist dein Guilty Pleasure?

Beccs Riley:

Kein Guilty Pleasure, sondern andere Menschen anhand ihres Farbuntertons in Modefragen beraten und ihnen sagen, ob sie Farben tragen, die mit ihrem Hautunterton harmonieren und was vor allen Dingen im Transkontext häufig auf Irritationen stößt, innerhalb von zehn Minuten ein Full-Face-Make-up auftragen.

Raúl Krauthausen:

Innerhalb von zehn Minuten?

Beccs Riley:

Ja.

Raúl Krauthausen:

Okay, das ist ein Skill.

Beccs Riley:

Ja.

 Raúl Krauthausen:

Da sparst du Zeit.

Beccs Riley:

Ja. (lachen) Die brauche ich ja auch, wenn die Fahrstühle so langsam sind.

Raúl Krauthausen:

Das stimmt allerdings. Bei all dieser ganzen, du hast es schon auch angedeutet, Komplexität in unserer Welt, die ja auch nicht leichter wird. Wir haben jetzt demnächst eine konservativ geprägte Regierung. Um uns herum brennt die Welt. Ich versuche jetzt mal, die ganzen Nazis und Arschlöcher nicht zu nennen. Was gibt dir Kraft, weiterzumachen beziehungsweise Hoffnung?

 Beccs Riley:

Einerseits die Tatsache, dass wir mehr werden.

Raúl Krauthausen:

Ist das so?

Beccs Riley:

Es betrifft einfach mittlerweile mehr Leute in dem Sinne: Das, was ich wahrnehme, ist, dass plötzlich eine krasse Politisierung auch stattgefunden hat von chronisch gesunden Menschen, privilegierten Menschen, von Cis-Frauen, die feststellen: „Okay, jetzt werden auch unsere Rechte bedroht, von Arbeitnehmerinnen, die feststellen, eine Ausweitung des Maximalarbeitstages könnte ja zum Burnout führen. Wollen wir vielleicht nicht. Allein die Tatsache, unsere Gruppe als behinderte Menschen steigt, also wird größer, alleine deshalb, weil immer mehr Leute wegen Burnout und Depressionen krankgeschrieben werden und dadurch auch Schwerbehinderungen und chronische Erkrankungen erwerben.

Raúl Krauthausen:

Finden sie daraus Kraft oder Überforderung?

Beccs Riley:

Ich nehme das erst mal als… Ich sammele die Begründung, warum ich denke, dass wir mehr werden, weil damit sich… Vorher waren wir die Randgruppen, die noch ignoriert werden konnten. Wir waren die Kanarienvögel im Bergwerk, die es zuerst betroffen hat, als behinderte Menschen, als trans Menschen. Jetzt trifft es so viel mehr Leute, dass ich hoffe, dass das noch zu einer Bewegung führt, die was ändern kann, weil die Bedrohungslagen einfach viel mehr Menschen betreffen, weil die Politisierung krasser stattgefunden hat, weil plötzlich mehr Leute feststellen, dass das sie ja auch betrifft. Ja, das frustriert mich auch. Es wäre mir lieb gewesen, wenn es sie nicht hätte bedrohen müssen, bevor das erst dann was passiert, aber ich nehme, was ich kriegen kann. Und zum anderen der Blick in die Historie. Wir haben als queere Menschen, wir haben auch als behinderte Menschen nicht individuell, aber als Communitys bis hierher überlebt. Und ich glaube daran, dass wir das auch weiter tun werden und ich möchte da eben auch die Erwartungen formulieren an Menschen: Bildet Banden, bildet Communities, bildet Gruppen. Sorgen wir dafür. Das ist nichts, was wir passiv über uns ergehen lassen müssen. Das ist etwas, was wir aktiv herstellen können, dass wir es überleben können. Weil eine konservative Regierung ist schlimm genug, wenn ich mir die sechzehn Jahre CDU und ihr Wirken für behinderte Menschen und für queere Menschen angeguckt habe. Aber eine faschistische Regierung, eine faschistische Regierung wäre dann die letzte Wahl, die wir hätten. Und da würde ich sagen, schauen wir, dass… Wie haben sich Widerstandsgruppen gebildet? Wie wurde Selbstpflege organisiert? Welche Möglichkeiten haben wir? Welche Optionen haben wir? Wie kann Community-Pflege, wie kann Community-Kümmern aussehen? Aber auch, was… Wir haben in der Schule immer von Widerstandsgruppen gehört. Was ich wissen will: Wie haben die funktioniert und was davon können wir nachmachen?

Raúl Krauthausen:

Da empfehle ich dir sehr die Folge mit Tantrum Müller hier im Aufzug, der genau das auch sagt, dass man sich jetzt vorbereiten sollte auf den Kollaps, der kommen wird, egal was für einer: Klimakollaps, Nazikollaps. Man kann sich vorbereiten und möchte nicht, dass das gelesen wird als Aufgabe, also dass man aufgegeben hat und deswegen sich prept, sondern einfach als Vorbereitung. Wäre schön, wenn es nicht benötigt wird, aber es wäre gut, wenn man vorbereitet ist.

Beccs Riley:

Und ich glaube, da können viele Sachen von behinderten Menschen lernen, im Sinne von: Auf wie viele Dinge ich regelmäßig vorbereitet bin, mit denen mein Körper mich überraschen kann, wo ich froh bin, wenn es nicht eintritt, aber auch dankbar, Vorbereitungen getroffen zu haben, wenn es dann doch passiert.

Raúl Krauthausen:

Machen wir es uns vielleicht auch ein bisschen zu einfach oder mache ich es mir vielleicht auch zu einfach, wenn ich sage, behinderte Menschen sind resilienter als Nicht-Behinderte? So nach dem Motto: „Du musst nur resilient genug sein und dann wird das schon.“Weil, so meine ich das gar nicht.

Beccs Riley:

Ich finde, Resilienz sollten Leute definitiv noch mal ein bisschen historischer betrachten. Es ist mir ein wenig zu sehr zu einem, zu einem Modewort, zum Modeschlagwort geworden-

Raúl Krauthausen:

So ein bisschen wie: Jeder kann es schaffen.

Beccs Riley:

Auch, aber vor allen Dingen, weil die ursprünglich von Resilienzforschung an Holocaustüberlebenden auch stattgefunden haben im Sinne von, ähm, dass Holocaustüberlebende befragt wurden und einige davon psychisch stabiler mit der Situation umgegangen sind als andere und dann geschaut wurde, was sie dazu, also welche Faktoren da eine Rolle gespielt haben könnten.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Und Resilienzforschung hat sich weiterentwickelt, aber ich würde ungern diesen, diesen historischen Teil aus– weil diese Menschen haben Unvorstellbares überlebt. Und zu sagen, einige davon… Selbst wenn niemand davon psychisch stabil, weit– überlebt hätte, wäre das immer noch ein völlig angemessener psychischer Umgang für die unvorstellbaren Grausamkeiten gewesen. Ähm, und da bin ich dann… Resilienz ist etwas, das Menschen entwickeln können, aber Resilienz braucht auch Sicherheit. Man muss irgendwann den Punkt von Sicherheit gehabt haben, weiterzumachen oder weitermachen zu können. Ich würde eher sagen, dass behinderte Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, die die Möglichkeit haben, wie wir, ähm, in der Öffentlichkeit zu stehen… Wir waren beide kein Teil des, des krass stationären Systems. Wir wissen nicht, was, was, ähm, für, für vielleicht Expertise und Wissen in Räumen vorhanden ist, in denen Menschen gar nicht die Möglichkeit, diese Chancen gehabt haben, sich zu äußern. Behinderte Menschen müssen lernen, mit Frust umzugehen, mit Resignation umzugehen, mit Ablehnung umzugehen und mit einem zutiefst ungerechten System umzugehen. Das müssen aber alle, ähm, marginalisierten Gruppen auf die eine oder andere Art und Weise. Und es sind häufig… Wir sind, was das angeht, immer noch die, die, die es rausgeschafft haben oder die, die Überlebenden des Systems. Ähm, und das ist halt auch eine Form von Privileg. Und deshalb werde ich auf– wenn Menschen nicht resilient sind, wenn sie an Diskriminierungserfahrungen zerbrechen, wenn sie an, äh, strukturellen Diskriminierungen zerbrechen, weiß ich einfach nicht, ich kann ihnen auch diesen Vorwurf nicht, nicht machen. Und da würde ich sagen, Resilienz ist eben… Resilienz lernen klingt immer wie ein bisschen so: Streng dich mehr an. Stattdessen ist es, wir müssen Räume für Resilienz schaffen, in denen Menschen sich ausruhen können, in denen Menschen diese Stärke-Regeneration wieder bekommen können. Weil sonst ist es so: Probleme sind nur dornige Chancen-mäßig.

Raúl Krauthausen:

Menschen, die an einen glauben.

Beccs Riley:

Ja, Menschen, die an einen glauben, äh, Menschen, die aneinander auch glauben. Und auch, was ich viel spannender finde als Resilienz, ist eben das Prinzip von Solidarität.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Wenn du was nicht kannst, helfe ich dir. Bin ich da, übernehme ich diese Aufgabe. Wenn ich was nicht kann, bist du da und machst das. Na ja, mehr ein Gemeinsamkeitsgefühl, weil ja das auch ’ne Form ist von, von Selbstwirksamkeit, die dann wiederum zum Teil auch in der Resilienz wichtig ist. Da, wo du selbstwirksam sein kannst.

Raúl Krauthausen:

Ähm, viele Unternehmen schmücken sich ja mit, wie wir sagten, Diversitätsflaggen auf dem Parkplatz oder, äh, mit dem Thema auf Social Media an den entsprechenden Feiertagen. Ähm, woran erkennst du denn gutes Engagement von den Leuten, die du berätst?

 Beccs Riley:

Ich merke es hal– häufig dann schon, wenn besprochen wird, welche Themen wollen sie hören? Welche Themen soll ich nett sein? Ich bin sehr schlecht darin, nett zu sein. Ich bin mehr so effektiv. Und eben, ja, zu sagen, okay, Sie haben sich das einmal angeguckt und wenn mich, wenn ich dann wieder eingeladen werde, teilweise dann für einen langfristigen Auftrag, ist das ein Zeichen, dass was geändert werden soll. Zumindest, dass der Wille dafür da ist. Ob die Umsetzungsmöglichkeiten dafür da sind, dafür lege ich nirgendwo die Hand ins Feuer. Aber zumindest, ob der Wille für Veränderung schon mal da ist.

Raúl Krauthausen:

Hast du da ein Beispiel, wo du sagen würdest, da konntest du zu einer Veränderung beitragen?

Beccs Riley:

Nenne keine Namen, aber, ähm, Unternehmen, die mich zuerst für ’ne Veranstaltung zur Sensibilisierung eingeladen haben und dann mehrfach auf mich zukamen mit: „Wir haben Teams, in denen es Konflikte gab. Kannst du das begleiten?“ Und ich dann auch über mehrere Monate hinweg das begleitet habe, ähm, um zu schauen, was an Erwartungen, an strukturellen Diskriminierungsformen versteckt sich hier und was kann vielleicht auch an Strukturen geändert werden, an Prozessen geändert werden, damit es nicht mehr dazu kommt, wo auch der Prozess am Ende war, dass alle Leute gesagt haben, es gibt derzeit keine Konflikte mehr bei uns. Diese Konflikte sind gelöst.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Ähm, und wir haben viel daraus mitgenommen und wollen mehr in die Richtung auch machen. Das sind so Zeichen… Veränderung ist leider nicht so dieses: Ich mache eine Veranstaltung und dann ist Inklusion. Das wäre schön. Aber dieser Prozess, wenn, wenn er angeregt wird. Was ich kritisch sehe, ist beispielsweise, wenn ich im Juni immer: „Kannst du mal eine Keynote zu Queerness halten?“ Ja, kann ich. Aber bringt das?

Raúl Krauthausen:

Ja, oder: „Ja, aber Ehrenamtlich. Ihr kriegt ja Aufmerksamkeit.“

Beccs Riley:

Ja, ich kriege ja auch Aufmerksamkeit, wenn ich meine Nase ins Internet stecke. Dafür muss ich nicht quer durch die Republik fahren. (Lachen)

Raúl Krauthausen:

Ähm, würdest du sagen, es gibt Branchen, die sind weniger offen für das Thema als andere?

Beccs Riley:

Ich durfte mittlerweile vom Motorradclub über Kitas bis hin zu, äh, großen deutschen Unternehmen arbeiten und würde sagen, ähm, Handwerk ist teilweise schwieriger, weil Handwerk auch andere Arbeitsstrukturen hat. Bürojobs arbeiten eher in dem Bereich, dass sie das noch mal reflektieren.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Und ansonsten… Menschen arbeiten mit Menschen und Menschen sind messy, also braucht es den Umgang damit, weil die meisten Strukturen da auf einen, ihr werdet ja schon wissen, was ich von euch will, ausgelegt sind und na ja, mein autistisches Hirn sagt mir, nein, die meisten Leute wissen das nicht, sondern sind mehr so, ich werf ’n Dartpfeil und hoffe, dass er irgendwann an der Wand das, den richtigen Prozess trifft.

Raúl Krauthausen:

Was würdest du deinem jüngeren Ich sagen, als Shortcut, ähm, das und das ist der Weg. Äh, versuch das und das nicht.

 Beccs Riley:

Ich weiß, was du meinst. Ich glaube, meinen, mein Gedanke ist das Einzige, was ich wirklich, was ich ihm sagen würde, ist, bleib bei Jura, aber hey, du bist schwerbehindert und es liegt nicht an dir.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Also, weil das ist eines der wenigen Dinge, die ich bereue, dass ich mein Jura-Studium abbrechen musste aufgrund der ableistischen Strukturen und mir jahrelang Vorwürfe gemacht habe, ich hätte halt versagt.

Raúl Krauthausen:

Mhm.

Beccs Riley:

Während ich mein jetziges Studium einfach mit entsprechend inklusiver Betreuung und Nachteilsausgleich ohne größere Probleme schaffe.

Raúl Krauthausen:

Ähm, also mein Rat wäre, es ist okay, nach Hilfe zu fragen. Wofür ich mich, glaube ich, meine ganze Pubertät lang geschämt habe.

Beccs Riley:

Mhm.Das hatte ich tatsächlich nicht, weil ich einfach von schon so früh in psychotherapeutische Behandlung war und ich glaube, da wäre mein Rat eher, es ist okay, sich abzugrenzen. Du musst nicht alles, was diese Menschen sagen, annehmen und verinnerlichen, du darfst auch deine eigenen Grenzen spüren.

Raúl Krauthausen:

Wenn du einen radikalen Wunsch frei hättest, was würdest du dir von wem wünschen?

 Beccs Riley:

Ich würde Elon Musk enteignen.

 Raúl Krauthausen:

Hätte das den Impact, den ein radikaler Wunsch noch alles erfüllen könnte?

Beccs Riley:

Elon Musk ist der reichste Mann der Welt und ihm erst einmal alles Geld wegzunehmen, könnte innerhalb eines kapitalistischen Systems auf jeden Fall Dinge ändern, weil ich mir überlege, wie viel man damit einfach an Sozialdingen tun könnte, an Inklusionsdingen tun könnte. Ähm, wenn’s noch radikaler wird, wäre es tatsächlich, ich möchte kein kapitalistisches System. Ich möchte ein System, in dem Menschen in ihren Grundbedürfnissen und in ihren kulturellen Bedürfnissen versorgt werden, ohne dafür Anträge schreiben, darum bitten zu müssen, darum betteln zu müssen. Und, ähm, in dem tatsächlich, ja, Leben und Arbeit komplett anders organisiert wäre. Weil ich ja auch immer sage, Inklusion geht nicht im Kapitalismus, weil wenn wir nicht die gleichen Produktionsfähigkeiten haben, können wir, sind wir schneller auch ausgebrannt. Es funktioniert in der Form nicht. Deshalb wäre das so ein bisschen, äh, alle nach ihren Fähigkeiten, allen nach ihren Bedürfnissen.

Raúl Krauthausen:

Das ist tatsächlich, äh, ich sag immer alles für alle, bis alles alle ist. (Lachen) Ähm, aber mir geht in diesem Aktivismus das manchmal ein bisschen zu schnell mit so ’ner absoluten Kapitalismuskritik, ähm, weil ja klar, das Kapital ist an allem schuld. Aber damit machen wir es uns vielleicht auch zu einfach, ähm, beim Weg dorthin.

Beccs Riley:

Deshalb wäre mein erster radikaler Wunsch, Elon Musk zu enteignen.

Raúl Krauthausen:

Ja, das ist konkret genug. Stimmt. (Kichern)

Beccs Riley:

Ähm, und ich glaube, wir haben nicht die Zeit, jetzt noch tief reinzugehen in, äh, die Kritik der, äh, politischen Ökonomie. Aber zu schauen, was ist eigentlich Kapitalismus und warum funktioniert es so, wie es gerade funktioniert, nicht? Weil es sind ja immer wieder neue Krisen, die auftreten. Fände ich eben auch einen Punkt, der relevant ist. Auch im Kontext von beispielsweise Werkstätten, die ja profitorientiert arbeiten müssen und gerade deshalb dann eben auch zu teilweise ’nem Status quo beitragen, den sie eigentlich abschaffen sollten.

Raúl Krauthausen:

Was mich ja so, ähm, wirklich umtreibt gerade, wie schnell Dinge auch abgeschafft werden können, wie wir gerade an den USA sehen, die lange als Vorreiter galten, was so Diversität und Inklusion, ähm, zumindest in der medialen Repräsentation anging, wie schnell so was auch zurückgedreht werden kann und teilweise auch richtig bekämpft wird, ähm, sodass ich, in mir der Eindruck e-in-entsteht, dass das einfach nur ’n Sahnehäubchen war, das man streichen kann. Die Torte schmeckt trotzdem, ja, aber mit Sahnehäubchen ist halt schöner. Und, ähm, wann sind, ist quasi das Thema Diversität, Barrierefreiheit, Inklusion, die Torte und nicht nur das Sahnehäubchen?

Beccs Riley:

Ich würd sogar sagen, die Probleme, die das bekämpfen sollte, bleiben ja trotzdem.

Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

DEI ist ja nicht entstanden, weil…

Raúl Krauthausen:

Diversity, Equity and Inclusion, DEI.

Beccs Riley:

Ist ja nicht entstanden, weil, weil plötzlich soziale Gerechtigkeit… Es klang gut, es, es hat sich zum Teil gut verkauft, aber es war ja nicht der, der eigentliche Gedanke dahinter, sondern zum Teil eben auch, weil weniger Arbeitskräfte da waren.

Raúl Krauthausen:

Hm-hm.

Beccs Riley:

Weil plötzlich festgestellt wurde, dass man sich bei anderen Bewerber:innen als dem weißen, alten, mittelalten Mann, der zur gleichen Schule gegangen ist wie der Rest davon, umschauen musste. Und das heißt, die Probleme beispielsweise mit den steigenden Zahlen für Depressionen und Burnout-Erkrankungen werden bleiben, unabhängig davon, ob’s Kampagnen dagegen gibt, ob’s Maßnahmen dagegen gibt oder nicht. Sie werden steigen. Das heißt, das, was hier gemacht wird, wird das, wird die Lösung wegzunehmen und zu tun, als ob das Problem dann auch sich in Luft auflösen würde und man die Zeit zurückdrehen könnte in, keine Ahnung, die Fünfziger, als Frauen fragen müssen- -ob sie arbeiten dürfen. Aber es geht ja auch nicht darum, das Ganze in ’ne Zeit zurückzudrehen, wo alles geil war, sondern es geht darum, das Ganze einfach dem ’ne politische Prägung zu verpassen. Und deshalb denke ich mir so, es– Ich weiß nicht, ob ich die Torten-Metapher verwenden würde, aber ich würde sagen, dass die, dass die Probleme ja bleiben und dass damit auch ’ne, ’ne grundsätzliche– Es, es werden nicht plötzlich mehr Kinder geboren, nur weil Leute beschlossen haben, dass, äh, sie mehr Arbeitskräfte brauchen, sondern Kinder werden geboren, weil es, wenn es genug Maßnahmen gibt, die beispielsweise Menschen ermöglichen, Kinder zu bekommen, ohne in Altersarmut zu landen innerhalb dieses Systems. Wenn es genug Kita-Plätze gibt, wenn es genug Pflegemöglichkeiten gibt. Das sind ja Sachen, die lösen sich nicht in Luft auf, nur weil man sagt, okay, wir beschäftigen uns mit dem Problem Inklusion nicht mehr. Es wird nur bis dahin eine Menge Menschen leiden lassen, dass diese Dinge gestrichen werden.

Raúl Krauthausen:

Wie gehst du mit dem, ähm, ich finde ja auch Widerspruch um, also behinderte Menschen, Aktivistinnen, ähm, fordern viel, ähm, und kämpfen für ein Thema, das ihnen wichtig ist. Ähm, und gleichzeitig wird dann aber auch von ihnen erwartet, dass sie die Lösung präsentieren. Ja, da ist Aktivismus oft Ehrenamt. Ähm, diejenigen, die die Veränderungen machen können überhaupt, sind die mit Macht, mit Geld, mit Einfluss. Und die holen sich dann wiederum billig kostenlose Beratung von den Aktivistinnen und schnupfen sich dann idealerweise mit, mit diesem Wissen.

Beccs Riley:

Ich möchte vor allen Dingen, dass behinderte Menschen dafür bezahlt werden, wenn sie ihre Expertise reinbringen. Wenn wir schon von Bezahlung und kapitalistischen Systemen und kapitalistischen Strukturen reden. Und zum anderen, dass wir an der Lösungsfindung beteiligt werden.

Raúl Krauthausen:

Hm-hm.

Beccs Riley:

Weil derzeit ist so, ihr habt keine Lösung, also suchen wir auch keine Lösung.

Raúl Krauthausen:

Oder ja, ja, wir haben euch gehört, aber wir haben uns trotzdem anders entschieden. Das ist das, was ich oft erlebe.

Beccs Riley:

Ja, danke für deine, deine Meinung. Leider fehlt uns dazu die Zeit, das Budget, die Expertise und allgemein alles.

Raúl Krauthausen:

Genau.

Beccs Riley:

Aber es ist sehr nett, dass du deinen Senf dazu abgegeben hast.

Raúl Krauthausen:

Vielleicht beim nächsten Mal.

Beccs Riley:

Oder auch nicht.

Raúl Krauthausen:

Ja.

Beccs Riley:

Und da helfen halt tatsächlich einerseits staatliche Regularien und zum anderen auch, dass: Wollt ihr überhaupt ’ne Lösung finden? Und wenn Leute keine Lösung finden wollen, dann müssen sie meine und ihre Zeit nicht verschwenden. Weil ich möchte mit Leuten arbeiten, die ’ne Lösung finden wollen, weil wenn sie A mich nicht bezahlen und B auch kein Interesse an einer Lösung haben, ja, was mache ich dann da?

Raúl Krauthausen:

Wie ist denn die Auftragslage bei euch im Sensitivity Reading-Bereich oder in der Beratung, die ihr macht? Geht es da– Wie lange gibt es Minskespinzt schon? Geht’s aufwärts?

Beccs Riley:

Minskespinzt als NEV gibt’s seit Dezember 2024. Da sind wir noch ganz neu. Minskespinzt als meine Selbstständigkeit gab es von 2020 bis 2024 und ich würde sagen, wir merken die politischen Veränderungen und ich-Ja, auf jeden Fall. Und ich würde mir wünschen, dass da mehr Leute auch aktiv auf entsprechende Agenturen wie uns zukommen und sagen wir wollen was ändern, anstatt sich häufig an ja nichtbehinderte chronisch Gesunde zu wenden, die dann über Inklusion reden oder barrierefreie Websites oder das.

Raúl Krauthausen:

Gibt es denn ein Versprechen, dass man diesen Organisationen oder Firmen geben kann, was sie davon haben? Also ich tue mich da immer schwer, dieses Versprechen zu geben. Danach habt ihr mehr Kunden, oder danach verkauft ihr mehr. Weil das Versprechen will ich nicht geben. Weil ich denke auch, es gibt eine gewisse soziale Verantwortung, egal wie kapitalistisch die Unternehmung ist.

Beccs Riley:

Also einerseits, damit haltet ihr euch an Menschenrechte, das ist schon mal eine ganz gute Basis. Und zum anderen Menschen verbringen unglaublich viel Zeit am Arbeitsplatz. Menschen verbringen durchschnittlich mehr Zeit am Arbeitsplatz, als sie außerhalb ihres Bettes irgendwo sonst am Stück verbringen. Eine rein kapitalistische Betrachtungsweise wäre Ihr solltet dann zumindest Leute haben, denen es nicht Tag für Tag schlechter geht, weil wenn sie ausgebrannt sind, werden sie gar nicht mehr produktiv sein. Eine moralische Betrachtungsweise wäre. Es wäre ganz sinnvoll, wenn nicht aus Überarbeitung chronische Krankheiten produziert werden würden. Und eine dritte ist eben Ihr haltet euch an Menschenrechte, ihr setzt Menschenrechte um. Und ja, ich habe da auch eine moralische Erwartungshaltung, weil ich auch Sachen wie Menschenrechte für eine ganz sinnvolle Einigung halte. So grundsätzlich, weil wenn wir da nicht mal, wenn wir, wenn das so was diskutabel wird, ja, haben wir dann überhaupt noch irgendwo eine Grundlage, auf der wir irgendwo debattieren können?

Raúl Krauthausen:

Wenn man jetzt Interesse bekommen hat, von eurer Arbeit zu profitieren, was muss ich tun?

Beccs Riley:

Du könntest auf minzgespinst.net oder beccsriley.de gehen. Du könntest uns auf Instagram, TikTok oder LinkedIn folgen oder du folgst mir bei Instagram unter Beccs Riley und oder du schreibst eine Mail oder du buchst dir einfach einen Kennenlerntermin. Dafür gibt es große, schöne Buttons auf beiden Websites.

Raúl Krauthausen:

Und wofür steht Minzgespinst?

Beccs Riley:

Ein Gespinst ist ein Zuckerbärtel. Ja, das Logo ist eine Zuckerwatte, aber ein Gespinst an und für sich sind erst einmal viele Fäden, die ein neues Ganzes ergeben. Ein Spinnweben sind auch ein Gespinst, aber ich wollte nicht aussehen wie eine mittelgute Halloween Deko. Damit ist es dann die Zuckerwatte geworden. Und Minze? Ich mag Minze. Das ist so easy.

Raúl Krauthausen:

Und der Reim gefällt mir irgendwie ja sehr. Deine Erfindung.

Beccs Riley:

Ja, Minzgespinst ist meine Erfindung. Und was? Das einzige, was ich da bisher geändert hat, ist die Menge an Menschen, die mitarbeiten und regelmäßig unser Logo. Ich hoffe, das hat demnächst ist demnächst vorbei. Die Zuckerwatte bleibt, aber der Name bleibt.

Raúl Krauthausen:

Muss ich gerade nämlich auch als Feedback geben. Wir kennen es ja schon ein paar Jahre und ich habe keine Person in meinem Telefonbuch, die so oft ihren Namen geändert hat, was es dann manchmal gar nicht so leicht macht, wenn man dann von dir erzählt und dann zu sagen ja nee, damals hieß nimms soundso, jetzt ist es soundso. Es ist. Das ist aber öfter so in der Community. Oder ist es nur mein subjektiver Eindruck?

Beccs Riley:

Einerseits kann es häufiger sein, bei mir war es auch einfach die Sache, dass ich zuerst unter Pseudonym aufgetreten bin und als ich dann gedoxed wurde, als meine Name und mein mein ganz mein Bild usw im Internet veröffentlicht wurden, habe ich gesagt gut, ihr könnt mich mal, ich trete jetzt unter Klarnamen auf, aber ich benutze ich. Ich entleere meinen Namen nicht so häufig, Ich benutze einfach mehrere Namen parallel.

Raúl Krauthausen:

Das ist natürlich auch nicht gerade besonders, wenn man.

Beccs Riley:

Ein Minsk gespinst ist stabil geblieben. Das stimmt.

Raúl Krauthausen:

Das heißt, man kann auf Minsk gespinst wahrscheinlich auch zu dir kommen. Beccs Riley oder Beccs Runge. Hmmm. Aber mal unabhängig von deiner eurer Arbeit gibt es eine Organisation, eine Person, eine Lektüre, einen Podcast, was auch immer du den Zuhörerinnen empfehlen kannst, was man sich mal anschauen kann und was dich zum Beispiel gerade umtreibt oder gut findest, was du gut findest.

Beccs Riley:

Ich lese gerade Caliban und die Hexe, aber dafür muss man Interesse an feministischer Theorie haben.

Raúl Krauthausen:

Und so aktivistisch mäßig.

Beccs Riley:

Bin ich gerade am Überlegen.

Raúl Krauthausen:

Wer hat dich unterstützt oder begleitet, als du sie brauchtest?

Beccs Riley:

Ich wollte gerade tatsächlich einen anderen Podcast empfehlen. Unverschämt unbequem. Die machen gerade viel im Bereich Feminismus und Antirassismus und haben gerade am Sonntag den Podcast gelauncht. Und zum ersten Mal.

 Raúl Krauthausen:

So viele Folgen kannst du noch nicht gehört haben.

 Beccs Riley:

Nein, ich habe auf dem Weg hierher die erste Folge.

Raúl Krauthausen:

Aber es war schon früh mit Vertrauensvorschuss gehört.

 Beccs Riley:

Aber ich kenne die Leute, die damit angefangen haben und würde sagen, der Vertrauensvorschuss ist gerechtfertigt. Grüße gehen raus an euch beide.

Raúl Krauthausen:

Und an Organisationen oder Literatur im aktivistischen Bereich. Vielleicht.

 Beccs Riley:

Ich lese so unglaublich viel. Ich finde diese Frage Wie.

 Raúl Krauthausen:

Viel liest du?

Beccs Riley:

Überfordernd.

Raúl Krauthausen:

Ich will dieses Klischee eigentlich nicht bedienen, aber wie viel liest du?

Beccs Riley:

Das kommt darauf an, ob ich dafür bezahlt werde oder nicht. Wenn ich dafür bezahlt werde, schaffe ich ohne Probleme 500 bis 1000 Seiten in drei Tagen inklusive des Sensitivity Readings. Dann sitze ich aber auch drei Tage da und lese und mache nichts anderes.

Raúl Krauthausen:

Also was heißt du machst da nichts anderes? Wie viele Stunden?

Beccs Riley:

Ich setze mich dann dahin, morgens nach dem Kaffee und fange an und abends nach ungefähr acht Stunden höre ich damit auf Wow, das ist das Ding mit Hyperfokus. Danach bin ich aber auch durch und kann erstmal nicht mehr. Und ansonsten lese ich einfach wirklich sehr, sehr viel, was mir in die Finger kommt. Wie gesagt, gerade ist es Kaliban und die Hexe, um auch unterschiedliche Theorien, Strömungen, Kontexte, Argumente und so weiter und so fort nachvollziehen zu können. Und deshalb würde ich sagen, nehme ich das mit für meine Buchliste. Was habe ich die letzte Zeit gelesen? Aber ich kann dir wirklich jetzt nicht sagen, ihr solltet alle unbedingt das lesen. Aber wenn ihr, wenn ihr einem bestimmten Punkt seid und sagt ich möchte Unterstützung und ich möchte irgendwas zu diesem Thema Thema hier einfügen lesen, schreibt mir gerne auf Instagram, dann kriegt ihr Literaturempfehlungen.

Raúl Krauthausen:

Super gutes Angebot. Letzte Frage Gibt es eine aktivistische Erkenntnis, die du gewonnen hast, wo du sagst, da warst du in der Vergangenheit auf dem Holzweg?

Beccs Riley:

Ja, ich habe in der Vergangenheit gedacht, dass man Menschen, wenn man sie unter Druck setzt, genug unter Druck setzt, öffentlich unter Druck setzt, zu einer intrinsischen Änderung bringen würde. Mittlerweile würde ich sagen wir müssen Menschen accountable halten. Wir müssen dafür. Menschen müssen ihre Verhalten Konsequenzen auch erleben. Aber Konsequenzen dürfen keine Bestrafung sein.

Raúl Krauthausen:

Also keine Häme, keine Rache.

 Beccs Riley:

Ja, die beste Rache ist ein gutes Leben, ist eben auch eine sehr passive Form von Rache, während ich nicht mehr glaube, dass wir mit aktiver Rache, mit aktiver Häme, mit auch aktivem Bestrafungsmöglichkeiten weiterkommen. Wir sollten auch im aktivistischen Kontext nicht gleichzeitig Staatsanwalt, Richter und Vollstrecker:innen sein.

Raúl Krauthausen:

Würde ich zu hundert Prozent unterschreiben.

Beccs Riley:

Und da habe ich tatsächlich noch eine, noch eine Literaturempfehlung. Ähm, I Hope We Choose Love von Kai Heng Thom.

Raúl Krauthausen:

Das werde ich mir auf jeden Fall mal zu Gemüte führen. Beccs, vielen Dank, dass du da warst. Wir hätten noch ewig weiterreden können. Ähm, vielleicht wiederholen wir das öffentlich oder privat an der einen oder anderen Stelle noch mal.

Beccs Riley:

Es war super schön im Aufzug und wie gesagt, der funktioniert deutlich besser als die meisten anderen in Berlin.

Raúl Krauthausen:

Wenn die Aufzugtür jetzt aufgeht, wo geht’s für dich weiter?

Beccs Riley:

Ich treffe mich tatsächlich noch mit einem Freund in Berlin, äh, und wir gehen Kaffee trinken. Ich versuche immer, die, ich sehe aus, als würde ich in Berlin leben. Ich lebe nicht in Berlin, ähm, deshalb muss ich immer meine berliner Friends, äh, mit einbeziehen, wenn ich in Berlin bin.

Raúl Krauthausen:

Wie sieht denn ein Berliner:in aus?

Beccs Riley:

Laut dem, was mir Leute sagen, gefärbte Haare, kurze Haare, viele Tattoos und ein etwas auffälliger Kleidungsstil. Ich werde so häufig gefragt, ob ich, äh– Und Schmuck. Ich werde so häufig gefragt, ob ich in Berlin wohne oder Leute gehen einfach fest davon aus, dass ich in Berlin wohne und ich bin so: „Hi, ich wohne in einer Kleinstadt.“ (lacht)

Raúl Krauthausen:

(lacht) Okay, ’ne Kleinstadt fällt zum Beispiel ja nicht auf. Ich würd sagen, wenn ich den Berliner Stil beschreiben würde, dann würde ich eher den Jogginganzug nennen, äh, oder Schlafanzug, in dem man die Leute am Kotti spazieren sieht, als, ähm, dein Outfit.

Beccs Riley:

Siehst du, würde ich in Berlin wohnen, würde ich das vielleicht wissen. Vielleicht sehe ich einfach nur so aus, wie die Leute sich, die nicht in Berlin wohnen, sich Menschen vorstellen, die in Berlin wohnen.

Raúl Krauthausen:

Ich hab mal mit meinem Mitbewohner ’ne Wette verloren. Ähm, der kam grad ausm Bett und ich hab gesagt: „Wenn du in dem Outfit mit mir aufn Markt einkaufen gehst, äh, bekommst du fünfzig Euro.“ Und da wurde ich kein einziges Mal angesprochen. Deswegen gar kein Problem. Ähm, aber er hatte auf jeden Fall Boxershorts an und ist damit einkaufen gegangen.

Beccs Riley:

Das ist Berlin. (lacht)

 Raúl Krauthausen:

Ich find ehrlich gesagt, Berlin hat auch so ’ne, ähm, in dieser Anonymität und jeder– Oder viele Menschen können so aussehen, wie sie aussehen, ohne dass es dafür, äh sagen wir, einen Kommentar gibt, auch eine gewisse Freiheit. Also als behinderter Mensch fühle ich mich hier am wenigsten angestarrt, äh, als in anderen Städten.

 Beccs Riley:

In Berlin kriege ich Komplimente für mein Outfit. In anderen Städten werde ich angeguckt, als ob ich eine Hydra mit drei Köpfen dabei hätte.

Raúl Krauthausen:

Hat also auch seine Vorteile, diese Anonymität.

Beccs Riley:

Ich mag Berlin. Ich komme immer wieder gerne hierher und arbeite hier sehr gerne und bin hier gerne zu Besuch. Ich möchte nur nicht in Berlin wohnen. (lacht)

Raúl Krauthausen:

Das kann ich auch nachvollziehen. Noch mal vielen Dank, dass du da warst. Hat großen Spaß gemacht.

Beccs Riley:

Kann ich nur zurückgeben. Gerne wieder. Und jetzt machen wir die Türen auf und wieder zu.

Raúl Krauthausen:

Genau. Ding.

Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler. Am Anfang der Folge haben wir uns gefragt, ob es Aufzug oder Fahrstuhl heißt. Die Antwort: Beides ist richtig! Fachleute sprechen eher von „Aufzügen“, weil sie zwar fahren, aber keinen Stuhl haben. Umgangssprachlich hört man oft „Fahrstuhl“ oder auch „Lift“. Egal, wie du es nennst – Hauptsache, du kommst sicher an dein Ziel. Willst du auch mehr über Aufzüge erfahren, dann steig bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, um mit uns ganz nach oben zu fahren.

Diese Folge wurde dir präsentiert von Schindler Aufzüge. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren und vielleicht mit uns ganz nach oben fahren, dann steig gern ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten für Einsteiger und Senkrechtstarter.

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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann

Coverart: Amadeus Fronk

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