Im Aufzug mit Susanne Siegert


Was ist der Unterschied zwischen Erinnern und Gedenken?

Susanne Siegert bringt Erinnerungskultur auf Social Media – und damit auf unsere For-You-Pages. Mit ihrem Account Keine Erinnerungskultur spricht sie über die Verbrechen der Nationalsozialisten, analysiert Sprache, die von Nazis geprägt wurde und sich bis heute bei uns eingeschlichen hat – wie „Sonderbehandlung“ oder „Polizei – dein Freund und Helfer“ – und zeigt, warum Erinnern nicht automatisch Gedenken bedeutet.

Aber was macht das mit einem, wenn man täglich über Täter, Opfer und vernachlässigte Erinnerungen spricht? Susi erzählt mir, wie sie den Moment erlebt hat, als sie zum ersten Mal erkannte, dass in ihrer Heimat, einem Dorf in Bayern, ein KZ-Außenlager existierte – ein Ort, an dem sie jahrelang einfach vorbeigegangen war. Wir reden über rechte Codes in Kommentarspalten, über das, was in der Erinnerungskultur falsch läuft, und darüber, warum Institutionen zwar junge Zielgruppen erreichen wollen, aber oft nicht verstehen, wie das wirklich funktioniert.

Aufzugtür auf für Susanne Siegert!

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Susis Empfehlung: Desintegriert euch! | Max Czollek

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Vielleicht drückst du schon ungeduldig auf die Tür-zu-Taste, damit diese Aufzugsfahrt schnell  losgeht. Aber hattest du in echten Aufzügen auch schon mal das Gefühl, dass dieser Knopf gar nichts bringt? Ob Mythos oder Wahrheit? Dieser Frage sind wir bei Schindler auf den Grund gegangen. Was dahinter steckt, hörst du am Ende dieser Folge von „Im Aufzug“. Jetzt geht es aber wirklich los. Vorsicht, die Türen schließen. Viel Spaß mit dieser Folge wünscht Schindler.

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Erinnerungskultur auf Social Media und damit auf unsere For-You-Pages. Mit ihrem Account

„Keine Erinnerungskultur“ spricht sie über die Verbrechen der Nationalsozialisten, analysiert

Sprache, die von Nazis geprägt wurde und sich bis heute bei uns eingeschlichen hat, wie

„Sonderbehandlung“ oder „Polizei, dein Freund und Helfer“. Und sie zeigt, warum Erinnern nicht automatisch Gedenken bedeutet. Aber was macht das mit einem, wenn man täglich über Täter, Opfer und vernachlässigte Erinnerungen spricht? Suzy erzählt mir, wie sie den Moment erlebt hat, als sie zum ersten Mal erkannte, dass in ihrer Heimat, einem Dorf in Bayern, ein

KZ-Außenlager existierte. Ein Ort, an dem sie jahrelang einfach vorbeigegangen war. Wir reden über rechte Codes in Kommentarspalten, über das, was in der Erinnerungskultur falsch läuft und darüber, warum Institutionen zwei junge Zielgruppen erreichen wollen, aber oft nicht verstehen, wie das wirklich funktioniert. Also eine spannende Folge Aufzugtür auf für Susanne Siegert. Ach, was freue ich mich. Die Tür geht auf und wer kommt rein? Susanne Siegert. Schön, dass du da bist.

00:02:47,839 

Susanne Siegert: Hey, ich freue mich auch.

00:02:49,899 

Raúl Krauthausen: Susanne, Susi, Suse?

00:02:51,539 

Susanne Siegert: Susi am liebsten eigentlich. So stelle ich mich zumindest selber vor.

00:02:54,779 

Raúl Krauthausen: Susi. Alles klar. Ähm, Susi, man kennt dich aus dem Internet. Ähm, klingt immer so komisch wie so Floskeln, aber aus dem Internet, weil du zwei, ähm, Social-Media-Accounts betreibst, die mir zumindest geläufig sind. Der eine auf Instagram heißt „KZ Außenlager Mühldorf“. Schon mal harter Einstieg ins Thema. Und, äh, der andere auf TikTok heißt „Keine Erinnerungskultur“. Ähm, und darüber wollte ich heute mit dir reden. Aber bevor wir loslegen: Hattest du schon mal eine merkwürdige Situation in ’nem Aufzug?

00:03:30,259 

Susanne Siegert: Ähm, ich hab tatsächlich hier in meiner, meiner Wohnung, liegt im Dachgeschoss und es ist der langsamste Aufzug der Welt, viertes OG. Und deswegen hatte ich schon ein paar auch sehr schöne Momente in ’nem Aufzug. Also, in diesem sehr langsamen Aufzug kann man vier Stockwerke zum Beispiel auch sehr gut knutschen. Ja, ja, das ist, ähm, da ist es dann ganz gut, dass es sehr lange dauert. Wenn man, äh, unten auf Toilette muss, dauert’s aber auch sehr, sehr lange, bis man ganz oben ist und auf Toilette gehen kann. Auch da gab’s, ähm, ein, zwei ein bisschen weirde Situationen, aber an sich, äh, darüber hinaus habe ich nicht so viel bewegt, Berührung mit Aufzügen, muss ich sagen.

00:04:08,779 

Raúl Krauthausen: Ich habe immer die These: Langsame Aufzüge gehen schneller kaputt.

00:04:12,179 

Susanne Siegert: Äh, pff, kann ich nicht beurteilen. Ich bin einfach froh, ihn zu haben, äh, weil viertes OG ist viertes OG in ’nem Altbau. Aber, ja.

00:04:21,059 

Raúl Krauthausen: Das heißt, bei dir ist viertes OG die magische Grenze, ab dem du dir einen Aufzug nimmst?

00:04:25,599 

Susanne Siegert: Äh, ich glaube, ich würde im dritten auch noch nehmen. (Es kommt irgendwie drauf an. Ähm, ich habe das Gefühl, hier im Altbau ist Treppe noch mal anders Endgegner als, äh, irgendwo anders, wo auch viertes OG vollkommen okay ist.

00:04:38,359 

Raúl Krauthausen: Ja, voll. Aber oft sind die Treppenhäuser im Altbau schöner.

00:04:41,959 

Susanne Siegert: Übel schön, total schön. Ja.

00:04:43,879 

Raúl Krauthausen: Hast du ein schönes Treppenhaus?

00:04:44,919 

Susanne Siegert: Ich würd sagen, ja. Und sagen mir zumindest auch Leute– Ich komme ja eigentlich aus Bayern und gerade, wenn, ähm, da Leute nach Leipzig kommen, um mich zu besuchen, die, glaube ich, eher immer so ein bisschen so ein Hm-Bild vom Osten generell haben und auch von Leipzig, dann sind die immer mega begeistert von der Stadt, aber auch gerade von der, meiner Wohnung und dem Treppenhaus. Das kommt dann immer noch so dazu, äh, dass sie dann so: „Wow, okay, krass. Hier ist es ja überall übelst schön, selbst in den Treppenhäusern.“

00:05:08,359 

Raúl Krauthausen: Über Leipzig sagt man ja, ähm, das ist das neue Berlin, ne?

00:05:11,479 

Susanne Siegert: Also, ich liebe es sehr hier. Ich wohne jetzt bald zehn Jahre in Leipzig und, ähm, selbst in den zehn Jahren hat man irgendwie schon so ’ne Entwicklung irgendwie miterleben können, ne, wie halt immer mehr natürlich die Mieten auch angestiegen sind, muss man sagen.

00:05:23,639 

Raúl Krauthausen: Ja, klar.

00:05:23,659 

Susanne Siegert: Ähm, und auch, ich sag mal, eher so Franchise-Konzepte, so Hipster-Läden, sagt man, glaube ich, auch- -in die Viertel geströmt sind, die halt vorher eher so arbeitergeprägt waren. Ähm, vielleicht ist das so ein bisschen das, was man auch mit, äh, Berlin vergleicht, ne, dass es halt auch viel kulturelles, subkulturelles Leben irgendwie gibt, aber auch das wird immer mehr verdrängt. Also wir haben in so einer großen Stadt wie Leipzig jetzt noch so zwei, drei Clubs, was ich schon echt krass finde, weil einfach alle anderen aufgrund von ausbleibendem Publikum, aber auch gestiegenen Mieten et cetera, sich hier einfach gar nicht mehr halten

können.

00:05:55,339 

Raúl Krauthausen: Ja, what the fuck? Krass.

00:05:57,199 

Susanne Siegert: Ja. Ja, also guck mal, drei Clubs, ne, sind sechshunderttausend Leute in Leipzig. Ähm, ich sag mal, drei Clubs, die man irgendwie auch, äh, jetzt nicht besucht, wenn man, wenn man jetzt irgendwie nicht Ersti ist oder so, ne? Anfängt, zu studieren, so diese Art von Clubs. Die gibt’s schon noch ’n paar mehr, aber das ist schon echt, äh, krass zu beobachten. Das war auf jeden Fall anders, als ich hergekommen bin vor zehn Jahren und selber noch Master-Ersti war. 

00:06:16,619 

Raúl Krauthausen: Ich habe, äh, einmal so hart gefeiert, als ich am Leipziger Hauptbahnhof, der übrigens wunderschön ist.

00:06:20,559 

Susanne Siegert: Ja.

00:06:21,119 

Raúl Krauthausen: Äh, angekommen bin. Ja, da war irgendwie, ich weiß nicht, da war irgendwie so Manga, Manga-Messe oder so.

00:06:28,359 

Susanne Siegert: So Buchmesse, oder?

00:06:29,279 

Raúl Krauthausen: Kann sein, ja. Auf jeden Fall waren super viele, äh, äh, Comicfiguren unterwegs und, ähm, dann sah, habe ich, äh, mehrere vor so einer Wand fotografieren sehen und auf dem, äh, auf der Wand war ein Graffiti und am Hauptbahnhof, direkt in der Halle und da stand drauf „Schwaben zurück nach Berlin“.

00:06:48,879 

Susanne Siegert: Oha, okay. 

00:06:51,839 

Raúl Krauthausen: Äh, äh, das war richtig meta, das fand ich gut.

00:06:54,299 

Susanne Siegert: Ja. Bist du eigentlich, äh– Du bist in Berlin, richtig?

00:06:57,519 

Raúl Krauthausen: Ich bin seit dreiundvierzig Jahren in Berlin, genau.

00:07:00,379 

Susanne Siegert: Ah, okay, okay. Und worden

00:07:01,799 

Raúl Krauthausen: Als Berliner– Ja, das Problem ist, du kannst ja als Berliner nur dann Berliner sein, wenn du in Berlin geboren bist.

00:07:06,859 

Susanne Siegert: Mhm.

00:07:07,399 

Raúl Krauthausen: Äh, ich bin nicht in Berlin geboren. Ähm, deswegen bin ich trotzdem Berliner, aber eben nicht geboren.

00:07:14,159 

Susanne Siegert: Mhm.

00:07:15,959 

Raúl Krauthausen: Ab wann ist man Leipzigerin?

00:07:19,299 

Susanne Siegert: Ähm, pff, also ich würde sagen, ich bin Leipzigerin, aber ich, ich habe da jetzt noch nicht. Ich glaube, es ist ein bisschen was anderes als in, äh, in Berlin, wo man, wo das gefühlt ja so ein Character Trait ist, ne, wenn man Berliner, Berlinerin ist. Das ist, glaube ich, jetzt hier nicht so. Ich habe auch echt wenig Freundinnen, glaube ich, die wirklich hier born and raised sind. Das ist schon-

00:07:38,819 

Raúl Krauthausen: Ja.

00:07:39,059 

Susanne Siegert: -auch viel Zuzug.

00:07:40,499 

Raúl Krauthausen: Also ich finde, Leipzig ist wirklich ’ne wunderschöne Stadt, ein einziges Museum. Ein bisschen überdimensioniert finde ich die S-Bahn. Also diese neue vor allem, die, die Richtung MDR fährt.

00:07:49,939 

Susanne Siegert: Ja, dieser City-Tunnel da, ne? Mhm.

00:07:51,459 

Raúl Krauthausen: Ja, wo man denkt: „Meine Güte, wie viel Fahrgestalt wird denn hier erwartet?“

00:07:54,559 

Susanne Siegert: Da spricht jetzt der Berliner aus dir, aber wir sind sehr dankbar dafür, die zu haben.

00:07:58,419 

Raúl Krauthausen: Ja, also klar, die geht es super, aber die Bahnen sind mir dann auch ein bisschen zu prunkvoll.

00:08:03,399 

Susanne Siegert: Mhm, okay.

00:08:04,559 

Raúl Krauthausen: Aber so, ja, vielleicht auch nur mein Gefühl.

00:08:07,303 

Susanne Siegert: Mhm.

00:08:07,883 

Raúl Krauthausen: Ja, auf jeden Fall super schön, dass du da bist. Ähm, ich, ich weiß nicht, ich hab mein Algorithmus scheinbar irgendwie trainiert von TikTok und Instagram. Und ich liebe es, so Content zugespielt zu bekommen, die ernste Themen bearbeiten, ähm, aber gleichzeitig so aufbereitet sind, dass, dass sie auch konsumierbar sind, ne? Also ein bisschen… Ah, wie soll man das sagen? Da-da-rüber werden wir auch gleich noch drüber sprechen, was das für die Qualität bedeuten kann und so. Ähm, aber auf jeden Fall warst du diejenige, äh, die mir zugespielt wurde.

00:08:48,623 

Susanne Siegert: Yay.

00:08:49,383 

Raúl Krauthausen: Und, ähm, dann hab ich das meiner Frau erzählt, die meinte: „Ja, ja, da folg ich schon lang.“ Und, äh, das ist wirklich so ’n Thema, ähm, Erinnerungskultur, Gedenkkultur, ähm, das wirklich in meinem Leben so gut wie gar nicht stattfindet. Also wir waren alle in der Schule mal, ähm, Konzentrationslager zur, zur Besichtigung. Wir hatten, waren da auf die Scholl-Schule.

00:09:18,043 

Susanne Siegert: Mhm.

00:09:18,063 

Raúl Krauthausen: Das Thema war schon präsent, aber sobald die Schulzeit aufhörte bei mir, war das irgendwie weg. Und das ist ja eigentlich auch schrecklich.

00:09:28,463 

Susanne Siegert: Ja, ich find’s voll gut, dass du das sagst, weil das ist auch so meine Beobachtung, was so der riesen Vorteil von diesen Kanälen ist, von TikTok und Instagram und auch diesen Algorithmen, ne, dass du, obwohl du jetzt nie vielleicht nach KZ-Gedenkstätte Buchenwald suchen würdest oder nach Begriffen wie, ähm, Judenvernichtung oder Auschwitz auf diesen Plattformen, dass dir trotzdem meine Videos angezeigt werden und man dann merkt, und das trifft auf dich zu, aber eben, glaub ich, gerade auch auf jüngere Menschen: „Ach krass, ich habe doch irgendwie Interesse an dem Thema, weil’s einfach nur nicht so, wie’s aufbereitet ist in Schule, Dokumentation, immer dieselbe Perspektive, dieselben Menschen, die sich dazu äußern, was ganz oft die bekannten, berüchtigten alten weißen Männer sind. Und ich find, das ist ’n– Ne, man sagt immer viel Schlechtes über diese Algorithmen, aber ich glaube, dass das ’n riesengroßer Vorteil auch sein kann.

00:10:11,683 

Raúl Krauthausen: Obwohl du in der Nähe eines KZs gewohnt hast, dem, äh, in der Nähe vom KZ Mühldorf, ähm, war das gar nicht der Grund, warum du, ähm, äh, dich mit diesem Thema auf Social Media auseinandergesetzt hast. Hab ich das richtig verstanden?

00:10:26,323 

Susanne Siegert: Hm, ja und nein. Also mein Beginn, so diese Recherchen zu machen, das war schon dieses ehemalige Lager eben in meiner Heimat, ähm, eben das KZ-Außenlager Mühldorf, du hast es ja erwähnt, ist ’n Auslager von Dachau. Und ich hab dann 2020 mich damit irgendwie mehr beschäftigt, einfach aus so ’nem Gefühl heraus: „Krass, jetzt war ich gerade in Auschwitz und bin dafür irgendwie nach Polen geflogen und hab aber selber noch gar nicht dieses ehemalige Lagergelände in meiner Heimat besucht und hab dann mir das angeschaut. War ganz anders natürlich, als man sich so ’n KZ eigentlich vorstellt. Klar, weil da gibt’s eben keine Gleise und kein „Arbeit macht frei“-Tor und kein et cetera, ne, als man’s irgendwie mit diesen Orten verbindet. Und dann hab ich, ähm, grade, glaub ich, weil ich so diesen Bruch irgendwie da erlebt hab für mich, angefangen drüber zu recherchieren und diese Recherchen dann zu teilen, eben erst auf Instagram, auf diesen KZ-Außenlager-Mühldorf-Account auf Instagram und dann nach so zwei Jahren als „Keine Erinnerungskultur“ auf TikTok und heute ja auch auf Instagram unter demselben Namen. Also das war so ’n bisschen diese Genese. Und da ist es mir auch immer wichtig zu sagen, dass das jetzt nicht so war, dass da von Anfang an voll viele Leute zugehört haben. Also gerade auf diesem, ähm, KZ-Außenlager-Mühldorf-Account hatte ich so nach zwei Jahren… Also ich kann gar nicht sagen, aber auf jeden Fall keine fünftausend Followerinnen. Und das hat– Meine Mutter hat sich das angeguckt und meine Freundinnen, aber darüber hinaus nicht so viele Menschen. Ähm, aber mich hat’s halt irgendwie trotzdem mega interessiert und es war interessant, seine Heimat unter so ’nem Gesichtspunkt noch mal ganz anders kennenzulernen. Ähm, und so Orte, ne? Ich hab Mühldorf immer verbunden mit so Bahnhof und da fahr ich immer durch zu meinen Eltern und auf einmal lernst du halt diesen Ort kennen auf ’nem Dokument in einem Atemzug mit Auschwitz, weil zum Beispiel ’n Transport von dort dahin gegangen ist oder so.

00:12:06,323 

Raúl Krauthausen: Und, äh, Gedenktafeln gibt es dann an den Bahnhöfen nicht, so wie man sich das wünschen würde?

00:12:13,523 

Susanne Siegert: Ähm, es gibt schon– Es ist halt so, ne, es ist jetzt keine Institution dahinter. Es ist, sind viele Freiwillige, die haben, dann da Tafeln aufgestellt und es gibt da schon auch so ’ne Art Konzept, dass man diesen Ort markiert. Ist aber sehr zurückhaltend. Das finde ich aber eigentlich auch an sich nicht schlecht, aber es ist nicht so, dass du da hingehst und der Ort springt dich so an, ne? Das ist in so ’nem Waldgebiet.

00:12:32,343

Raúl Krauthausen: Mhm.

00:12:32,403 

Susanne Siegert: Entsprechend ist es halt, ähm, so ’n Erholungsgebiet, ne? Da gehen viele Leute joggen oder mit ihren Kindern spazieren, mit ihren Hunden spazieren. Und, ähm, wenn du dann weißt, was du siehst, dass so diese Löcher im Boden, dass da eigentlich so in einer Reihe der Stacheldrahtzaun mal stand, diese Pfosten, ne, dann, dann sieht man das und kann sich irgendwie auch so ’n Bild im Kopf machen. Aber wenn man das nicht weiß, dann ist es für einen einfach nur random Löcher im Boden oder da diese Mulden, da hat vielleicht mal jemand, irgendwie ’n Bauer Sperrmüll abgeladen. Aber eigentlich sind das halt so Bodenrelikte von Latrinen und von ehemaligen Unterkünften. Also, das, äh, es gibt gewisse Markierungen, aber man muss trotzdem schon wissen, was man da sieht, um das irgendwie, das volle Bild zu bekommen. Und das bekomm ich immer noch nicht, das volle Bild, ne. Und das nach, ähm, fünf Jahren, wo ich mich damit beschäftige. Es ist immer noch sehr schwer, so ’ne Connection zu machen aus Dokumenten, ähm, Überlebende erzählen irgendwas zu, man sieht halt wirklich ’n Wald, hört die Vögel zwitschern und es ist irgendwie erst mal auch echt schön, da, muss man leider einfach sagen.

00:13:27,043 

Raúl Krauthausen: Du hast Journalismus studiert und arbeitest beruflich als Online-Content-, äh, Social-Media-Managerin. Keine Ahnung, was da die offizielle Berufsbezeichnung bei euch ist. Ähm, wie wählst du denn… Also, du betrachtest es quasi aus der journalistischen Perspektive mit eigener Neugier und bist jetzt nicht Historikerin, zum Beispiel, die das versucht, geschichtlich, ähm, motiviert, äh, äh, aufzuarbeiten, aber trotzdem faktisch korrekt. Wie wählst du denn die Inhalte aus, nachdem. Weil es gibt ja so viel zu erzählen.

00:14:00,383 

Susanne Siegert: Das ist ganz unterschiedlich. Also, was schön ist, dass natürlich mit wachsender Community auch Vorschläge auf mich zukommen, was, was Leute sagen: „Hey, mach doch mal da, da, da, darüber was.“ Und das ist grade schön, wenn es irgendwie ’ne betroffene von ehemaligen Bevölkerungsgruppen sind, die sagen: „Hey, ähm, aus, keine Ahnung, der Geschichte der Verfolgung von Sinti und Roma gibt es hier ’nen Aufstand. Mach doch mal was über den oder sprich doch mal über dieses Massaker oder über diesen Ort oder über diesen Täter, dieses Opfer et cetera.“ Das ist, ähm, das nimmt echt zu und das ist schön, irgendwie diesen Input auch zurückzubekommen. Und das sind auch oft ganz tolle, interessante Perspektiven, die ich so vielleicht gar nicht finden würde. Es ist oft auch super random, was, äh, irgendwo lesen, in ’nem Dokument aufschnappen, ’ne Dokumentation hören, auf Instagram sehen, sich ’nen Gedenktag schnappen, sag ich mal, und aus ’ner anderen Perspektive erzählen wollen. Also da gibt’s irgendwie nicht so ’ne Schablone, aber ich find’s auch krass zu denken, dass ich wahrscheinlich noch hundert Jahre so Videos machen könnte und es würde trotzdem noch für jeden Tag ’n Thema geben, ne, was man noch nie vorher gehört hat. Äh, ich glaub, das ist auch immer noch so ’n Ansporn zu sagen, ähm, man, man will irgendwie auch selber was lernen und hat halt da durch diese Kanäle so ’n Output, ähm, wo man gezwungen wird, sag ich mal, wo man dann auch, wenn man was erfährt, das teilen kann mit Leuten. Das ist schön, wenn man dann auch Feedback bekommt.

00:15:12,783 

Raúl Krauthausen: Und du machst das komplett alleine?

00:15:15,283 

Susanne Siegert: Ja, genau. Ähm, ich mach das komplett alleine, ähm, halt neben meinem Vollzeitjob. Du hast grad schon gesagt, ich bin Online-Marketing-Managerin, so heißt das, äh, korrekt. Und, äh, das ist aber cool, weil eben ich kann da natürlich komplett frei entscheiden, was ich mache, was ich auch nicht mache. Grade so Gedenktage, 27. Januar und so, das sind eigentlich Dinge, die ich eher immer so hinten überfallen lasse, weil da machen dann ja auch ganz viele andere, was gut ist, irgendwie Inhalte dazu. Aber mir geht’s dann schon, und das soll auch ’n Statement sein, um die anderen 364 Tage im Jahr, ähm, wo eben nicht die ganze Welt Hashtag nie wieder postet und auch Markus Söder was zu Naziverfolgung postet. 

00:15:52,323 

Raúl Krauthausen: Markus Söder muss grad für alles herhalten. Das find ich gut. Ähm, aber, ich mein, klar, du hast auf der einen Seite die Freiheit, auf der anderen Seite ja aber dann eben auch die Arbeit. Also Untertitel machen-Also ich finde, du hast einen ganz schönen Output dafür, dass du das nebenbei machst.

00:16:11,207 

Susanne Siegert: Ja, ich frage mich auch oft, was habe ich eigentlich gemacht, bevor ich dieses Projekt hatte? Weil ich würde trotzdem sagen, ich habe jetzt schon noch ein reiches Sozialleben und irgendwie Hobbys, die sich nicht damit beschäftigen. Aber klar, es nimmt einen riesen Teil in meinem Leben ein. Ich schreibe irgendwie gerade noch ein Buch auch dazu und merke schon, dass ich so an eine Grenze komme und auch oft so zweifle, also dass ich mir denke: „Boah, was muss eigentlich noch passieren, dass ich das mal als Main Job machen kann? Also wie viel Menschen muss man erreichen? Wie viel Grimme-Preise muss man gewinnen? Blöd gesagt, bis immer jemand sagt: „Komm, ich gebe dir einfach Kohle und du machst einfach weiter. Aber ich verstehe auch, dass das kein sehr werberelevantes Umfeld ist und dass, ja, wer soll der Geldgeber sein? Und mir ist trotzdem irgendwie meine Unabhängigkeit da irgendwie sehr wichtig und deswegen ist es jetzt irgendwie den Kompromiss, den ich da eingehe und ich mache das halt so lange, wie ich das irgendwie machen kann und möchte und ich habe nicht das Gefühl, dass das eine Grenze hat, die jetzt in der nahen Zukunft liegt.

00:17:07,167 

Raúl Krauthausen: In dem Interview hast du mal erzählt, dass du die Zusammenarbeit sogar angeboten hattest mit einem Team, das ein KZ betreut als Erinnerungsstätte und die haben ja noch nicht mal geantwortet. Ich weiß nicht.

00:17:23,627 

Susanne Siegert: Weiß ich gerade gar nicht genau, was gemeint ist. Aber ja, es gab immer wieder mal so Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Ich glaube, also a muss es halt für mich irgendwie passen. Also ein konkretes Beispiel, wo es auch darum ging, vielleicht ein öffentlich-rechtliches Format zu werden. Das ist halt dann ein Problem, weil man dann oder für die ein Problem für mich eigentlich nicht, dass man politisch neutral sein muss und ich würde eigentlich sagen, dass meine Recherchen das auch sind. Aber ich möchte natürlich trotzdem mich als Antifaschistin bezeichnen können, ohne sofort in eine, ich sage mal, fast schon linksextreme Ecke gerückt zu werden, weil ich glaube, das muss ja irgendwie gerade jetzt möglich sein, zu sagen, man ist Antifaschistin. Aber das sind halt so Feinheiten, die es ein bisschen schwierig machen, mit dem Thema sich irgendwo zu platzieren. Mittlerweile bin ich aber irgendwie an einem Punkt, wo ich sage, ist aber auch ganz geil, weil ich kann posten, was ich möchte. Ich kann mit Leuten so reden, wie ich möchte. Ich kann blockieren, wem ich möchte. Wenn ich irgendwie sage, mich langweilt das, dass jemand zum zehnten Mal meine Frisur kommentiert, blockiere ich die Person einfach. Da hat man natürlich auch andere Vorgaben, wenn es irgendwie ein anderes Format ist von jemandem.

00:18:27,447 

Raúl Krauthausen: Und das Ganze über Spenden zu finanzieren oder Patreon, Steady?

00:18:30,347 

Susanne Siegert: Ich habe schon drüber nachgedacht. Ich habe gerade irgendwie so den Gedanken: „Ach, ich hoffe einfach, dass die Leute alle mein Buch kaufen im Herbst und darüber dann irgendwie sagen: „Hey, sie haben irgendwie die ganzen Jahre das alles for free bekommen. Jetzt können sie das irgendwie lesen und dafür vielleicht irgendwie was bezahlen. Aber wie gesagt, ich finde es trotzdem irgendwie gut, dass ich die Erwartungen von niemandem erfüllen muss, dass Leute, selbst die mir freiwillig Geld spenden, nicht irgendwie da denken, sie verfügen da so ein bisschen auch über den Inhalt. Die haben auf jeden Fall Mitsprache, aber auch nur bis zu einem gewissen Level. Ich weiß nicht. Hast du das Konzept auch mit Steady, Patron oder so? Bist du da dabei? 

00:18:52

Raúl Krauthausen: Genau, es gibt keine Paywall. Ja, okay. Genau, es gibt keine Paywall. Das heißt, alle können alles konsumieren, aber wer spendet, der macht das halt freiwillig. 

00:19:16

Susanne Siegert: Ja, aber du hast eine gute Erfahrung damit gemacht, oder?

00:19:19,707 

Raúl Krauthausen: Ja, man muss halt dranbleiben. Nur weil es in den ersten sechs Monaten nicht reicht, heißt es nicht, dass es nicht funktioniert. Ich mache das jetzt seit sechs Jahren und jetzt so langsam funktioniert’s.

00:19:32,427 

Susanne Siegert: Und merkst du, ich sage mal, es kommt mal im Monat weniger, keine Ahnung, du bist krank oder so, du hast einfach nicht die Zeit, dass dann sofort…

00:19:40,367 

Raúl Krauthausen: Nein, das Tolle am Steady ist ja, dass es jährliche Abos sind.

00:19:42,727 

Susanne Siegert: Ah ja, okay.

00:19:44,287 

Raúl Krauthausen: Und die Leute, ich glaube, die zahlen wirklich, weil sie davon überzeugt sind, dass das eine gute Arbeit ist. Und wenn ich dann meine Ausgabe verpasse oder nicht hinkriege, dann begründigt das in der Regel auch und da gab es bisher noch keinen Ärger. Wenn, dann war ich den Leuten auch zu antifaschistisch oder zu links. Aber das ist dann auch okay.

00:20:05,527 

Susanne Siegert: Das ist ein schönes kritisches Feedback, finde ich.

00:20:08,867 

Raúl Krauthausen: Ja, aber würde ihr keinen Rat geben, aber könnte vielleicht ein Weg sein, das zu finanzieren. Es hat mich trotzdem erschrocken, dass von offizieller Seite, also keine Ahnung, Museen, Gedenkstätten, auch ein Interesse daran haben, haben sollten, ein jüngeres Publikum zu erreichen.

00:20:32,127 

Susanne Siegert: Ja, ich finde auch, das ist so ein bisschen eine Diskrepanz, weil das ist das Ziel von allen Leuten, die, ich würde sagen, Bildungsarbeit machen, aber gerade zu dem Thema Bildungsarbeit machen, jüngere Menschen zu erreichen. Aber die Konzepte dafür, die sind oft so ein bisschen, hat man das Gefühl, an der Zielgruppe vorbei. Jetzt bin ich auch nicht mehr super jung. Ich bin 32, aber wenn man dann so hört, wir machen jetzt hier einen neuen Comic oder eine Graphic Novel oder irgendeine Augmented-Reality-Ausstellung oder das und das. Ich denke mir: „Ja, das ist cool und das ist auch visuell irgendwie cool, dass man diese Technik nutzt, aber das ist ja auch nicht das, was junge Menschen so nutzen. Und junge Menschen bringen so viel Zeit auf Social Media und es ist so niedrig, da Inhalte zu erstellen, dass ich mich schon manchmal ein bisschen ärgere. Aber ich kenne auch so von ein paar Gedenkorten die, ich sage mal, Struktur, dass die dann eine Person haben, die muss irgendwie alles machen und dann noch Pressemitteilungen schreiben und Veranstaltungen und vielleicht noch so geile Tours geben und so. Und dass schon auch klar ist, dass die da jetzt vielleicht nicht noch nebenbei sich drei Skripte aus dem Ärmel schütteln können. Aber ich finde schon, dass das so ein bisschen wie auch bei Politikerinnen und Parteien, dass man da schon echt ganz schön krass spät dran ist, diese Plattform als relevant für sich irgendwie zu erschließen und da dann den Aufwand hinzuschieben und nicht in andere Maßnahmen.

00:21:47,007 

Raúl Krauthausen: Ja, und ich finde es auch oft dann zu gewollt, also zu pädagogisch. Wenn man jetzt das als großes Konzept denkt, dann musst du ja… Hätte ich als junger Mensch, glaube ich, manchmal das Gefühl, man will mir irgendwas einimpfen, das vielleicht gar nicht meiner Lebensrealität, meiner Sprache oder so entspricht. Und bei dir, fand ich es halt so authentisch im Vergleich zu einem… Ich sage es jetzt mal, ohne sie explizit zu meinen, aber im Vergleich zu einem Kanal von der Bundeszentrale für politische Bildung. Man merkt einfach, dass sie mit Schranken unterwegs sind.

00:22:25,667 

Susanne Siegert: Viele Freigabeschleifen wahrscheinlich auch, so was. Ja, und ich glaube, das ist auch ein Vorteil, dass ich eben keine … bin. Deswegen gar nicht, also mittlerweile ein bisschen mehr, aber über dieses Vokabular verfüge, sage ich mal, dass man das so kompliziert alles darstellt, sondern mir ist eine einfache Sprache wichtig, weil ich einfach eine einfache Sprache auch so habe und da ist auch Informelles dabei, da sind Anglizismen drin und das finde ich auch vollkommen in Ordnung. Und wenn man das auch im echten Leben, sage ich mal, nutzt, dann ist es ja auch authentisch und eben nicht so ein bisschen peinlich, mit den Kids, sage ich jetzt mal, auf einer Ebene zu kommen. Am Ende bin ich trotzdem doppelt so alt wie viele der Menschen, die meine Videos nicht angucken.

00:23:03,047 

Raúl Krauthausen: Genau. Gibt es Fragen von Journalistinnen, die dich nerven?

00:23:08,007 

Susanne Siegert: Oha ja. Also ich glaube, und ich kann wirklich verstehen, dass danach gefragt wird, aber warum keine Änderungskultur? Also warum der Name meines Kanals? Ich kann das verstehen, aber selbst bei Printartikeln, wo ich denke, da kann man vielleicht auch einfach meine Antwort irgendwie einfließen lassen aus einem anderen Interview, irgendwie in den Teaser oder so, wird das immer gefragt. Natürlich die Frage, was ich auch immer schwierig finde: Ist es vielleicht gerade jetzt wichtig, wo die AfD irgendwie blablabla 20%, wo ich auch immer denke, es wäre auch wichtig, wenn es die AfD gar nicht geben würde. Ich finde das immer so ein bisschen schwierig. Das Thema will man so melken auf so eine Daseinsberechtigung und auf so einen Lehrauftrag. Also da muss ich auch immer ein bisschen mit den Augen rollen. Ja, also ich finde es voll schön, eben über ganz andere Themen zu sprechen und mal speziell vielleicht zu Themen gefragt zu werden. Ich fand es gerade voll interessant, für einen Podcast mal über so Täter-und Opferschaft zu sprechen, also auch so inhaltlich und nicht immer so diese Klischeefragen: „Wie passt das eigentlich zwischen – das ist ein Zitat von einem Spiegel-Autor – „zwischen Schminktipps und Tanzvideos, was du machst, dass ich mir so dachte: „Hast du einmal länger als zwei Minuten TikTok benutzt? Das ist wirklich so was von nicht, wenn du davor stehst.

00:24:20,007 

Raúl Krauthausen: Ja, das ist so Journalistinnen, die das nie benutzt haben und irgendwie so glauben, die Jugend von heute ist auch nicht mehr die, die sie mal war.

00:24:28,123 

Susanne Siegert: Ja, ja, es ist schade, weil ich find’s auf der anderen Seite traut man diesen Kanälen zu ja, die radikalisieren unsere Jugendlichen und ja deswegen werden irgendwie alle rechtsextrem. Aber wenn es dann darum geht, sich damit zu beschäftigen, dann hat man da son arroganten Blick drauf. Und das finde ich, ist eben sowohl bei Artikeln darüber, aber auch wie Institutionen diese Kanäle nutzen, dass man so merkt, okay, da hat man gar keinen Bock, sich damit zu beschäftigen. Es reicht halt nicht, da was zu posten und zu hoffen, es geht dann viral, sondern ja man muss halt auch, also mir hilft am meisten, dass ich einfach selber Heavy Userin bin, ne, und mir so viel Scheiße da auch reinziehe, aber deswegen halt weiß, wie soll so, wie so Tonalität und wie sieht’n Video aus, damit’s nicht wie ’n Fremdkörper wirkt.

00:25:05,763 

Raúl Krauthausen: Genau.

00:25:05,763 

Susanne Siegert: Und ich glaube, das ist halt. Dafür muss man einfach diese Plattform kennen und ganz, ganz, ganz viel nutzen. Und das ist bei mir auch eine Entwicklung, ne. Also Videos, die ich vor einem Jahr gemacht habe, sind ganz anders als heute, einfach weil ich viel dazugelernt habe. Aber dafür muss man doch einfach irgendwann mal anfangen und sich trauen.

00:25:20,403 

Raúl Krauthausen: Hast Du ein Guilty Pleasure auf Social Media?

00:25:23,343 

Susanne Siegert: Boah. Also ich gucke halt auch so Trash TV zum Beispiel mhm oder Reality TV ganz viel, ne. Deswegen ist das auch ’n großer Bestandteil meiner Timeline. Ähm, es gibt, glaube ich, son paar Content Creator, die man jetzt auch gar nicht objektiv erklären kann, warum man sich die anguckt. Aber nö. Ach, ich finde, es ist nichts davon ist guilty. Ich finde, das ist alles legitim und auch, ich verkauf’s dann auch immer so als mein Ausgleich. Ich beschäftige mich mit dem Tod, also kann ich mich auch mal mit Katzenvideos und irgendwie weirden Song-Remixes beschäftigen.

00:25:57,363 

Raúl Krauthausen: Ich nenn es immer einmal den Kopf durchpusten. Ich bin jetzt irgendwie im Algorithmus hängengeblieben bei Stage Managern, also Leuten, die von MusikerInnen, bekannten MusikerInnen, die Bühnen bauen oder die Technik legen mhm und die dann tierisch drauf abgehen, wie sie erklären, was sie da alles gerade gemacht haben. Oder aber Leuten, die in der Regie sitzen von solchen Veranstaltungen, die dann die hunderttausend Kameras steuern müssen und einem dann einfach erklären, unter was für ’nem Druck die permanent sind, drei Stunden lang mhm hochkonzentriert die Kameras steuern. Und das das, das ist ’n wichtiger Spezialberuf. Das war mir überhaupt nicht klar.

00:26:34,983 

Susanne Siegert: Ja. Ja, ich find das so geil, weißt du, weil ich, das ist so eine Nische, ne, das liebe ich auch an Social Media, die ist bestimmt richtig groß, aber genau man hat noch nie was davon gehört, außer man taucht da mal rein. Und das ist einfach so cool zu denken, dass deine Timeline, deine For You Page ist halt so komplett was anderes und man hat da Themen, wo man denkt, boah, ich seh davon am Tag hundert Videos und du hast noch kein einziges gesehen. Also ich find das irgendwie… Natürlich ist ja auch diese Filterbubble, von der man ja ja spricht, ne, dass man in seiner eigenen Realität ist. Aber irgendwie ist es auch cool, äh, ich hatte so vor ’n paar Wochen übelst krass Liebeskummer und war dann, meine Timeline war nur davon und es war so krass wirklich wie eine kleine Therapiestunde, ne, sich da so nur Content Creatorinnen, wo ich dachte, ja, oh mein Gott, genau, that’s it. Und das ist irgendwie, dafür lieb ich’s auch ’n bisschen.

00:27:15,623 

Raúl Krauthausen: Gibt es Fragen, die dich vom Publikum nerven, also von deinen Zuschauerinnen und Leserinnen?

00:27:20,263 

Susanne Siegert: Mmm, m-m-m. Ey, ich weiß nicht, wie das bei dir ist, wenn Du was veröffentlichst, aber ich find immer krass, dass Leute denken, sie haben echt ’n heftigen Anspruch an einen mhm und auch an die Zeit. Also dass ich ’n Video poste und mir dann jemand schreibt, ähm, „Wie heißt der Link dazu?“ Und ich denk mir, ey, googel das doch. Ich hab wirklich alles in das Video gepackt, was Du brauchst, um das zu finden. Aber dass, ähm, dass Leute, glaub ich, so denken, sie machen ’n Geschichtsreferat und schreiben mir, ähm: „Hey, ich mache jetzt was zu Anne Frank, hast Du irgendwie Quellen?“ Und, oder nicht mal hey, ne, also einfach nur, ich mache Montag, morgen Geschichtsreferat, kannst Du. Also, ne, das ist, find ich, es ist auch echt schwer, sich da dran zu gewöhnen, dass Leute, ne, diese, die haben halt nicht so eine Grenze und das soll’s ja auch nicht sein. Man ist ja auch stolz oder man will ja auch diese Augenhöhe haben. Aber ich find es teilweise echt ganz schön vermessen, was Leute von einem verlangen an Tipps, an Antworten, an Extrameile, mhm Extracontent, einfach nur, weil sie das irgendwie so gewohnt sind, dass alles ihnen angezeigt wird, ohne dass sie mal ganz kurz googeln oder mal in die Kommentare gehen, wo das literally der Top-Kommentar ist, ne. Also das, das ist was, was mich echt, ähm, da muss ich oft durchatmen und trotzdem nett bleiben.

00:28:29,363 

Raúl Krauthausen: Ich versuche immer, Muster zu erkennen. Also welche Fragen wiederholen sich, um dann daraus wieder ’n Post zu machen. Aber ich kann gar nicht jedem antworten.

00:28:38,803 

Susanne Siegert: Ja, ich versuch das und ich mach das auch, wenn’s ist auch nur mit irgendwie, ne, mit’m Herz oder so, weil daraus, wie gesagt, ich, es ist schön, irgendwie son Stimmungsbild zu bekommen und auch neue Themen, aber es, äh, ja, ist auf jeden Fall auch anstrengend.

00:28:50,543 

Raúl Krauthausen: Machst Du das alles in der App oder benutzt Du inzwischen Tools?

00:28:52,883 

Susanne Siegert: Nee, nee, ich mach das alles in der App. Ja, ist vielleicht auch so, aber ja, irgendwie ist es auch gut, weil ich kann das halt dann auf Klo, im Bus, überall irgendwie, ne, schnell easy machen. Und das ist auch so mein Alltag, dass ich das immer wieder mal so dazwischen schiebe, nicht am Abend so überwältigt zu sein von super vielen Kommentaren und Nachrichten. Und das ist ja auch, ne, wenn’s nicht da wäre, wär das ja auch mhm nicht schön. Aber, ähm, ich find’s trotzdem krass, weil letzten Endes möchte ich irgendwie einfach diese Recherchen machen und Videos machen und dass aber dieser Community Management Anteil so riesengroß ist und halt deswegen noch mehr Zeit einnimmt, das ist schon manchmal son bisschen, puh, einfach anstrengend, frustrierend.

00:29:29,023 

Raúl Krauthausen: Ja, total. Jetzt ist es ja so, bei dem Thema, das du bearbeitest, Holocaust, Konzentrationslager, ähm, man ja irgendwie auch son bisschen auf rohen Eiern läuft, ne. Susanne Siegert: Also, es ist ja ein Minenfeld. Da kann man viel falsch machen. Ah, wahrscheinlich gibt’s auch sehr viele Trolle, die es besser wissen, relativieren. Ähm, hast Du irgendwie für dich ’n Umgang mit Kritik gelernt?

00:29:53,923 

Susanne Siegert: Äh, ja, ich glaub, da gibt’s ja auch unterschiedliche Arten, ne. Du hast ja grad schon diese Leute, die’s besser wissen, das ist für mich wirklich auch was, womit ich sehr schwer umgehen kann. Wenn das, grad bei Instagram, bei TikTok, da ist echt die jüngere Zielgruppe. Aber wenn dann wirklich Leute in ’nem Kommentar was so auf so eine herabschauende Art hinzufügen wollen, ähm, also leider, muss ich leider sagen, sind’s ganz oft Männer, die dann irgendwie denken, sie müssen da jetzt noch mal die Welt erklären und Mäuschen, ne, so diese Ansprache. Ähm, aber ansonsten, ich freue mich mega über Kritik, ne, weil ich habe wirklich in der Vergangenheit auch schon viele, ich will’s nicht Fehler machen, ähm, nennen, aber ich habe kleinere Ungenauheiten, weil das ist, glaube ich, normal eben als Nicht-Historikerin über das Thema zu sprechen. Da macht man Fehler, wie man spricht über ein polnisches KZ. Aber es gab keine, also es gibt keine polnischen KZs mhm in diesem Kontext, ne. Es ist ’n deutsches KZ im besetzten Polen. Oder dass ich Sachen sage wie, Häftlinge sind ums Leben gekommen. Nee, die wurden getötet. Also das sind ja so Feinheiten, aber die finde ich schon sehr, sehr wichtig. Oder dass Leute sind im KZ angekommen. Nee, die wurden dahin verschleppt, ne. Das war jetzt keine Urlaubsreise, so. Also sind so Feinheiten, aber das war für mich voll interessant, irgendwie da auch drauf hingewiesen zu werden und auch immer noch, ne, dass man irgendwie falsche, zum Beispiel Halbjüdin verwendet als Wort, als ganz normale Bezeichnung, aber ist auch eine Bezeichnung, das ist halt eine Naziperspektive. Für die Nazis war diese Person eine Halbjüdin. Ähm, als was sie sich selber identifiziert hat, kann man irgendwie dann schwer sagen. Aber das ist voll schön, darauf hingewiesen zu werden und da gibt’s ja auch solche und solche Arten, das zu machen. Ähm, also mit dieser Art von Kritik, da kann ich sehr, will ich mehr davon, kann ich sehr gerne, äh, und gut damit umgehen, würde ich sagen. Wenn’s dann darum geht, einfach nur mein Aussehen zu kritisieren, Anführungszeichen, was ja eher meist eine Beleidigung ist, dann muss ich sagen, kann ich damit, pff, da wink ich ab. Wenn die Person das dreimal macht, dann blockier ich die einfach, weil, da muss man auch nicht drauf eingehen. Find’s eher krass, dass Leute sich echt so viel Zeit nehmen in ihrer Freizeit, das irgendwie dann, äh, zu kommentieren und das bei fremden Leuten unter Videos zu schreiben, teilweise mehrmals.

00:31:50,043 

Raúl Krauthausen: Total. Ich bin ja hinter diesem, ähm, wenn man auf einen Fehler hingewiesen wird, eine Kritik geäußert wird, ähm, so was wie man hat falsche Sprache benutzt oder falsch formuliert, mhm oder könnte man besser formulieren, dann gibt’s ja immer zwei Reaktionen, die man darauf haben kann, ne. Und ich glaub, früher war das bei mir schon oft auch so, dass ich dann eher gesagt hab, na ja, stell dich mal nicht so an oder man wird ja wohl noch sagen dürfen. Und irgendwann, auch mit der zunehmenden Beschäftigung mit diesen Themen auch in anderen Bereichen, fing dann doch aber auch son Prozess an des, des lebenslangen Lernens und, und des Nie-Fertig-Seins. Und Tadzio Müller hat in diesem Podcast mal gesagt, ähm, dass das auch Scham bedeutet. Also sich zu schämen, dass man etwas falsch gemacht hat. Und aus der Scham herauszukommen, ähm, sollte man Methoden der Trauerbewältigung oder Trauerarbeit anwenden. Ähm, also eben jemanden dabei zu begleiten, dass es okay ist, sich zu schämen und dass das kein Weltuntergang ist und dass man ja daraus lernen kann und so weiter. Ähm, weil wenn man das nämlich nicht tut, dann ist die Gefahr groß, dass der oder die Beschämte dann, äh, ’ne Trotzreaktion entwickelt.

00:33:13,743 

Susanne Siegert: Mhm.

00:33:14,463 

Raúl Krauthausen: Und ich glaube, das ist wirklich eine wichtige Erkenntnis, ähm, die ich da von ihm gehört habe, dass das, das wirklich das A und O ist. Sind wir bereit, unsere eigenen Fehler, die wir alle machen, einzugestehen?

00:33:27,763 

Susanne Siegert: Ja, auf jeden Fall. Es ist, glaube ich, auch immer eine Frage des: Wie wird diese Kritik geäußert, ne? Also das, äh, ist einfach crazy. Ich weiß nicht, wie das bei dir ist. Wie ist so da der Ton in deinen Kommentaren?

00:33:38,883 

Raúl Krauthausen: Ähm, ja, schon auch ruppig, ne. Ähm, und nicht jeder hat recht. Das ist natürlich auch klar, aber ich glaube, im Tiefen spüren wir schon, ob selbst wenn die Kritik zu heftig war, ob da ein Fünkchen Wahrheit drin ist oder nicht. Und dieses tiefe Gespür, das, glaube ich, kann man, ähm, wertschätzen.

00:34:00,403 

Susanne Siegert: Mhm.

00:34:01,223 

Raúl Krauthausen: Aber ich mache immer noch Fehler, gar keine Frage. Zum Beispiel, ich rede zu viel in meinem eigenen Podcast. Ähm, wie erkennst du denn rechte Codes, die jetzt andere vielleicht nicht erkennen würden?

00:34:16,683 

Susanne Siegert: Ich glaube, das ist auch viel Bauchgefühl. Wenn zum Beispiel, ich hatte mal ein Video, da habe ich über Täterrecherche gesprochen. Wie kann man mehr zu seinen eigenen Vorfahren erfahren, wenn die zum Beispiel in der Wehrmacht waren und da haben dann bestimmt auf Instagram an einem Tag so hundert Leute. Ich meine, dann war es irgendwann auch obvious, aber auch schon nach fünf dachte ich mir so: „Was ist hier los?“ Gepostet irgendwie, ich hab. Wie war das noch mal? „Ich habe auf dem Dachboden eine Kiste gefunden, ähm, die hat mein Großvater da hingelegt“, oder irgendwie so war der Code. Das ist halt so ’ne Songtextzeile aus ’nem Song von ’ner rechtsextremen Band. Und, ähm, ich glaube so, dass man einfach denkt, ha, das ist irgendwie erst mal ein bisschen weird im Zusammenhang. Das kommt jetzt irgendwie verstärkt und hat erst mal nichts mit dem Video zu tun. Und dann ist es irgendwie ganz oft auch einfach der Weg, das zu googeln. Und wenn es irgendwie Codes sind, die zum Beispiel schon im englischsprachigen Raum benutzt wurden, dann findet man bestimmt dazu irgendwelche Urban Dictionary-Einträge oder auch andere Creator, die schon auf TikTok darüber gesprochen haben. Und das Krasse an diesen Codes ist immer wieder, ne, es gibt ja die verschiedensten, auch die den Holocaust leugnen, selbst Emojis, irgendwie die Holztüre oder, ähm, was, Kugelschreiber-Emoji, habe ich auch schon Videos drüber gemacht, ne, die irgendwie den Holocaust verharmlosen oder leugnen sollen. Und das ist immer so schnell da in die Kommentare gerotzt. Aber das aufzuklären auf einer sachlichen Basis, warum steht das dafür und warum ist es Quatsch? Das kostet mich halt teilweise Wochen, ne,  so an Recherche. Ich liebe das. Also, was heißt liebe? Ich finde das super interessant, ähm, weil es, glaube ich, auch so eine krass schockierende Welt ist, weil das nicht in meinen Kopf reingeht: Wie kann jemand das leugnen oder verharmlosen? Wie kann jemand denken: „Ah ja, guck mal, hier gibt es ein Wasserbecken in Auschwitz eins. Also hatten die da einen Pool und es war gar kein Vernichtungsort.“ So, ne. Also wie kann man das wirklich denken, ähm, angesichts der vielen Dokumente und Aufnahmen und Interviews von Überlebenden, wie auch Täterinnen? Äh, das ist, glaube ich, deswegen so. Das fängt dann dieses True-Crime-Faszination so ein bisschen an, ne, dass man sich dann da so reinbegibt und so denkt: „Wow, krass. Wie kommt das?“ Und dann fast schon detektivisch das irgendwie so aufarbeiten möchte.

00:36:18,203 

Raúl Krauthausen: Du hast vorhin gesagt, dass du ’ne Frage nicht mehr hören kannst, ähm, warum du diesen Content machst und dass gerade in Zeiten wie diesen, ähm, das ja so wichtig sei und so. Da kann ich total mitgehen. Ähm, und ich habe mir heute Morgen– Ich meine, wir

brauchen ja nur Social Media aufmachen oder die Nachrichten und wir werden ja auch wieder

geflutet mit Nazi-Inhalten aus den USA aktuell. Und, ähm, ich habe mich dann gefragt: Wie

effizient ist eigentlich unser Aktivismus, unsere Arbeit, ah, rund um diese Themen

Geschichtsaufarbeitung, Inklusion, Vielfalt, wenn gleichzeitig doch die Welt gegen uns immer weiter zu wenden scheint?

00:36:59,303 

Susanne Siegert: Boah, das ist ’ne sehr große, auch frustrierende Frage natürlich, ähm. Ne, ich habe auch immer, wenn diese Frage kam, gesagt: „Ja, also meine Videos werden jetzt niemanden davon abhalten, die AfD zu wählen.“ Und diese Illusion habe ich natürlich auch absolut nicht. Und auch dieses ganze Anwenden von 1933, um auf die jetzige Situation hinzuweisen und so, das ist einfach schwierig. Aber ich glaube, was so deine und meine Arbeit bedeuten kann, ist erst mal Leuten ’ne Perspektive geben, die sie vielleicht noch nicht kannten. Und klar erreicht man damit viele Menschen, bei denen es, ich sage mal, in Anführungszeichen, schon zu spät ist, damit nicht, aber, ähm, ganz viele, für die es eben noch nicht zu spät ist, schon. Und auf die, glaube ich, lohnt sich’s dann irgendwie auch, sich zu fokussieren, um nicht in so ein Gefühl zu kommen von, man ist irgendwie alleine und das, äh, interessiert eh keinen und es hat eh keinen Sinn. Also das ist eigentlich, glaube ich, so das, was mich auch motiviert hält. Und, ähm, auch wenn man sieht, so alles, also ’ne, also diese ganze Scheiße, die passiert, ähm, dass es trotzdem noch das Gefühl gibt von, es gibt genug Leute, denen ist es aber trotzdem wichtig und die, ähm, unterstützen einen und finden die Themen, die man macht und die Arbeit, die man macht, irgendwie gut.

00:38:10,583 

Raúl Krauthausen: Aber hast du auch manchmal diese Zweifel oder eher weniger?

00:38:13,303 

Susanne Siegert: Also meine Zweifel beziehen sich dann nicht so auf die aktuelle politische Situation. Also egal, wie die Wahl ausgeht am 23., also wir sprechen jetzt ja irgendwie zwei Tage vor der Wahl, ähm, egal, was da passiert oder was, äh, in Amerika passiert, ich mache das halt weiter. Ähm, ich habe da. Das macht jetzt keine Zweifel mit mir. Klar, auch wenn es halt crazy ist, in den Kommentaren zu sehen, dass Leute, ähm, oder so rechtspopulistische Meinungen übelst laut werden und super mutig werden dadurch, ne, weil sie natürlich sehen: „Hey, krass, meine Meinungen haben auch im Bundestag auf einmal, ähm, ’ne Art von Daseinsberechtigung, wo Leute dann sagen, Nazis waren Sozialistinnen und links und wo irgendwie, ne, wo dann so der Hitlergruß als römischer Gruß bezeichnet wird und so. Klar merkt man, dass diese Menschen irgendwie mutiger werden, aber gleichzeitig finden, glaube ich, viele auch so ihr Interesse in, in dem Thema, gerade wenn ich auch über so 1933 und die Jahre davor spreche, weil sie schon so ’n bisschen wenigstens ’ne Lehre ziehen wollen aus dieser Geschichte. Und, ähm, deswegen, da glaube ich schon, ’n bisschen auch ein verstärktes Interesse dran ist, weil man, man will einfach nicht glauben, dass man daraus nicht doch was lernen konnte, auch wenn ich, wie gesagt, denke, dass der Lerneffekt da eher begrenzt ist.

00:39:26,083 

Raúl Krauthausen: Ich glaube auch nicht mehr an Entmystifizierung oder an das, man kann die andere Seite noch von etwas überzeugen. Und ich glaube, inzwischen sogar, wenn wir uns über sie lustig machen oder sie bloßstellen, indem wir Gegenrede machen, wir eigentlich deren Inhalte reproduzieren.

00:39:43,463 

Susanne Siegert: Ja. Und in so ’ne Opfererzählung auch kommen, ne, dass sie dann sagen: „Die blöden

Linksgrün-Versifften. Jetzt zeigen sie’s uns wieder mal. Wer ist hier das Opfer?“

00:39:52,823 

Raúl Krauthausen: Und vielleicht müssen wir einfach ’ne ganz andere Erzählung machen, weil wenn wir das nicht tun, dann haben wir ja nur zwei Optionen: Entweder, ähm, wir rücken alle nach rechts, um eben. Oder unsere Gesellschaft spaltet sich. Also es gibt dann immer Rechte und immer Linke. Und das wird ja auch nicht funktionieren. Und wenn wir aber versuchen, Verständnis zu zeigen, die Hand zu reichen, dann sind wir am Ende auch automatisch damit nach rechts gerückt.

00:40:20,343 

Susanne Siegert: Ja, Steigbügelhalter in der Art. Aber ja, es ist super, super schwierig. Ähm, deswegen, ich versuche schon. Also, ich will auch mich nicht, ehrlich gesagt, zu tagesaktuellen politischen Themen auf meinen Kanälen zu äußern und so, ne, weil ich schon da diese Grenze irgendwie ziehen möchte. Und, ähm, da gibt’s natürlich immer wieder Parallelen, aber, ähm, ich glaube, es gibt Creator,innen, die das irgendwie halt einfach machen als Main Focus und das ist auch wichtig. Und dann muss nicht ich mich, die sich jetzt irgendwie geschichtlich ’ne historische Recherche-Expertise angeeignet hat, sich zur Bundestagswahl oder zum Nahostkonflikt äußern mit Halbwissen, so, ne? Also ich glaube, das, ähm, das ist auch was, was ich irgendwie lernen musste. Man muss sich nicht zu allem äußern, nur weil Leute das irgendwie von einem einfordern.

00:40:59,223 

Raúl Krauthausen: Aber zu dem Thema, zu dem du postest, da würdest du dich schon als Expertin bezeichnen, oder?

00:41:04,863

Susanne Siegert: Ähm, also ich würde sagen, als Expertin würde ich mich bezeichnen für, äh, Erinnerungskultur, so in Social Media halt auch, ne, oder generell vielleicht, ähm, nicht nur über Erinnerungskultur, sondern so wie man komplizierte und vermeintlich schwierige Themen auf, ähm, Social Media aufbereitet. Weil das ist, glaube ich, auch. Ich will kein Gegengewicht sein zu AfD und Co., aber ich will zumindest zeigen: „Guck mal, ich mache jetzt hier Inhalte zum Thema.“ Das würde man da auch nicht vermuten, ne, zwischen, wie gesagt, Schminktipps und Tanzvideos und es funktioniert irgendwie trotzdem. Also habt ihr auch keine Ausrede mehr, eure Parteiprogramme, eure Museumsausstellungen, eure Bücheraufsätze, I don’t know, ähm, dort auch auf eine Art und Szene zu setzen, weil jedes Thema kann dort eine große Reichweite erzielen. Ähm, also das. Dafür bin ich, glaube ich, Expertin. Historisch auf keinen Fall, ne. Ich meine, das ist auch so, ich habe mega Respekt davor. Ich würde zum Beispiel aktuell alles absagen, was so damit zu tun hat, in Schulen zu gehen und irgendwie konfrontiert zu sein mit Schulklassen, weil ich echt da, glaube ich, schwitzen würde wie Sau, wenn ich wüsste, die können Fragen stellen, ähm, ne. Die haben verschiedene Vorwissensstände und ich muss irgendwie drauf eingehen. Das, das kann ich einfach nicht. Aber dafür bin ich auch nicht geschult, weder pädagogisch noch irgendwie fachlich. Deswegen das, ähm, das sind schon so ein paar Themen, wo ich weiß, was ich kann, was, was ich mir zutraue und wo ich auch selbstbewusst reingehen kann und, ähm, wo ich das nicht kann. Aber das, ähm, glaube ich, ist auch okay und auch wichtig und sollte man vielleicht öfter machen, mal zu sagen: „Nee, traue ich mir nicht zu, mache ich deswegen auch besser nicht.“

00:42:24,743 

Raúl Krauthausen: Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass deine Inhalte Bestandteile im Unterricht sind.

00:42:28,603 

Susanne Siegert: Ja, das höre ich öfter. Das ist auch echt cool, halt so, ne, als Einfallstor, sage ich mal, dass man sagt, wir machen heute ein Video, im Unterricht sprechen wir über Euthanasiemorde und dann zeigen die halt erst mal, ähm, ein Video von mir. Ich glaube auch, um so ein bisschen, ähm, als Lehrer zu flexen, dass man halt auch so, ne, versteht, was die jungen Leute da auf TikTok machen. Ähm, und das finde ich auch super cool und das, ähm… Aber wie gesagt, ich bereite das halt sehr, ähm, ne, sehr spitz irgendwie vor, diese Skripte recherchiere, schreiben mir das auf, aber ich könnte dir jetzt nicht aus dem Stehgreif ein Referat halten über die Geschichte von Dachau, von 1933 bis heute, so, ne? Aber das ist ja auch nicht notwendig.

00:43:04,803 

Raúl Krauthausen: Worum wird denn dein Buch handeln?

00:43:08,123 

Susanne Siegert: Es geht um Erinnerungskultur, ähm, und auch so meine sehr persönliche Sicht darauf. Also ich spreche eben da auch viel über meine Reise, würde ich fast schon sagen, die letzten fünf Jahre. Also, weil auch ich war, hab da, glaube ich, echt krasse neue Erkenntnisse natürlich gewonnen, ne, wie ich auch am Anfang, ähm, und auch über, immer noch über manche Themen gesprochen habe und mir jetzt so denke: „Boah, krass, da hat man irgendwie so ein bisschen…“ Man nennt das ja auch Gedächtnistheater, so. Das ist so ein Begriff, den ein Soziologe geprägt hat in den Neunzigern, ähm, über unser Verhältnis, ne, dass wir uns immer so inszenieren, wenn es Gedenken geht, aber eigentlich ist es nur so ’ne Show und es geht gar nicht um echte Konsequenzen daraus, sei es politische, sei es gesellschaftliche. Wir wollen halt zum 27. Januar Reden halten, aber dann bitte auch nichts, nix mehr damit zu tun haben. Und ich glaube, da habe ich natürlich auch meine Rolle mit drin gespielt und spiele die auch immer noch, aber so ein bisschen die zu erkennen und, ich sag mal, zu gestalten, darum geht’s, glaube ich, in meinem Buch. Also, wie kann man auch über Täterschaft sprechen, über seine eigene, seine eigene Umgebung auch einschließen, wenn man über Nazi-Verbrechen spricht und nicht immer nur über weit entfernte Orte wie Auschwitz. Ähm, wie spricht man nicht über den Holocaust? Eben nicht mit dieser Lehrerwartung, dass man deswegen ein besserer demokratischer Mensch wird, wenn man ganz viele KZs besucht hat oder ehemalige KZs. Ähm, wer sind eigentlich Akteurinnen? Können wir auch, ähm. Wir sollten eben auch so nicht versöhnliche Überlebende zulassen, die irgendwie über Rache sprechen, über die auch Deutschland kritisieren, ne, dass man auch das irgendwie zulässt und nicht sofort abblockt, weil das könnte ja irgendwie unser Bild als Erinnerungsweltmeister stören. Also, es sind ganz, ähm, ganz viel persönliche Erkenntnisse der letzten Jahre und, ähm, ich möchte irgendwie, glaube ich, so andere Leute, die eben auch, wie ich eher Nachfahren von Täter und Täterinnen sind, befähigen, dass man so ein bisschen mitreden kann und dass man, ähm, weiß, äh, wenn man aufn, aufn Gedenktag geht, warum sind die Reden so, wie sie sind, ähm, und wie könnte man es vielleicht besser machen?

00:44:56,463 

Raúl Krauthausen: Hat sich denn deinem Eindruck nach die Erinnerungskultur in den letzten Jahren in Deutschland gewandelt? Also es gibt ja immer weniger Überlebende, zum Beispiel.

00:45:05,563 

Susanne Siegert: Hmmm. Ich muss sagen, das ist auch so was. Ich beobachte das ja dann erst so aus meiner Brille, ähm, die letzten Jahre und ich sehe, ich habe jetzt an– keine große Entwicklung gesehen, sondern merke einfach bei jedem, jedem Jahr, jeder Veranstaltung wieder, wie sich das halt so verfestigt, ne. Und dass man. Es ist kein Problem für die, ich sag für die, dass es keine, ähm, Überlebenden mehr gibt. Man zitiert halt einfach dann, ne. Man zitiert es wirklich in Reden jetzt am 27. Januar hier in Leipzig auf einer Gedenkveranstaltung. Da wurden, glaube ich, in drei Reden bestimmt zehn Holocaust-Überlebende zitiert und über diese Taten gesprochen und über die Opfer gesprochen. Und das ist ja auch der richtige Tag dafür. Aber trotzdem, dass man darüber so spricht, als wäre das Verbrechen so vom Himmel gefallen, das stößt mir schon immer sehr sauer auf irgendwie. Und, ähm, dass, dass dann diese Überlebenden so zu diesen übersinnlichen Wesen stilisiert werden, die dann auch, da wo aber alles andere ausgeblendet wird eben, ne, was mit Rache oder Kritik oder so, oder Entschädigungsforderungen zu tun hat. Das sind so Sachen, die mir einfach immer mehr auffallen. Ob sich das jetzt verändert hat die letzten Jahrzehnte oder Jahre, das kann ich nicht so genau sagen und beurteilen.

00:46:13,783 

Raúl Krauthausen: Gleich geht es weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und du wirst, sofern du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos findest du unter www.im-aufzug.de. Ende der Servicedurchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge.

00:46:43,203 

Raúl Krauthausen: Wir machen es uns ja auch gar nicht klar, können es aber gleichzeitig, äh, jetzt live im Fernsehen sehen, äh, wie es in den USA schnell bergab geht. Ähm, dass, äh, ja, die Nazizeit und die Verfolgung von Juden wirklich in wenigen Monaten, äh, losging und es nicht so, äh, sagen wir mal, äh, also wie wir das vielleicht erinnern, schleichend passiert ist. Man hätte es sehen können, wenn man es, äh, wenn man, wenn man das wissen wollte und, ähm, es geht schneller, als wir glauben.

00:47:16,863 

Susanne Siegert: Ja, ich glaube trotzdem, es war schon so eine Art schleichender Prozess mit so Ausgrenzungsdiskurse, ne. Und das, das ist, finde ich, auch immer trotzdem wichtig, dass man dann da so ein bisschen eine Parallel zu heute zieht, dass man sieht, es wird auch jetzt mit Geflüchteten so umgegangen, dass man die so, ne, ein bisschen ins Abseits schiebt und dazu gehört eben auch eine Sprache, wie man spricht von Gruppenvergewaltigern und, ähm, von den, von den Paschas und so, ne. Also auch das ist, wenn man sich das so als Pyramide

vorstellt, glaube ich, ’ne, ’ne Stufe, so, so einer Verfolgung, dass man erst mal anfängt, so ein

bisschen Misstrauen zu schüren. Ähm, und das begann ja auf jeden Fall schon sehr lange, bevor die erste Person vergast wurde.

00:47:54,323 

Raúl Krauthausen: Ja, da hast du recht. Also ich wollte das jetzt auch nicht, äh, nicht so sagen, dass es, ähm… Also es fängt mit Sprache an und das erleben wir auch hier in, in Deutschland. Ähm, und irgendwann werden Dinge sagbar. Aber jetzt so zu sehen, wie schnell dann, äh, sagen wir mal, auch Leute verfolgt werden in den USA, ähm, dass einfach dann geguckt wird, okay, wir haben da jetzt angestellt, die feuern wir erst mal alle. Guck mal, wer ist hier Trans und so. Also da, das ist schon, wow.

00:48:23,907 

Susanne Siegert: Ja, und vor allem halt legitimiert durch ’nen Präsidenten. Ich glaub‘, das ist irgendwie das, was so scary ist, dass es da dann ja wirklich, wie du sagst, fast schon über Nacht passiert ist, so-

00:48:32,327 

Raúl Krauthausen: Ja.

00:48:32,568 

Susanne Siegert: Er ist gewählt und sofort alles, was man sich vorher ausmalen konnte, wird irgendwie auch umgesetzt. Das ist, das ist wirklich, äh, das ist sehr, sehr scary, ja.

00:48:39,808 

Raúl Krauthausen: Es gab ja ein sehr erfolgreiches Format vom, vom SWR, glaube ich, Ich bin Sophie Scholl, hieß das. Das hast du ja bestimmt, äh, auch mitbekommen, dass ja mit aktuellen Schauspielerinnen gespielt wurde, ähm, bisschen versucht hat, die Zeit von damals in das Medium von heute, äh, äh, zu übertragen, aber dann doch alles gespielt ist. Bei deinen Inhalten, da sieht man echte Fotos aus der Vergangenheit. Ähm, das ist ja noch mal was anderes. Siehst du da, sagen wir mal, in dieser, ich sage es jetzt mal hart, aber in dieser Entertainisierung, äh, von der Geschichte auch ’ne Gefahr?

00:49:22,867 

Susanne Siegert: Auf jeden Fall. Ich hab‘ mal den Begriff Holocaust-Cosplay genannt, äh, gelesen und das fand ich auch echt, äh, irgendwie ganz passend, ne. Und, ähm, ich finde, also erst mal, ich finde, das Projekt, das war zu der damaligen Zeit vielleicht noch nicht so, aber wenn man sich’s heute anschaut, wirkt es ja wirklich wirr, so wie ein Fremdkörper, ne. Weil, wie du schon sagst, es sind so viele authentische Inhalte auf diesen Plattformen. Und dann, finde ich, ist es– kann’s kein Gegenangebot sein, zu sagen, man kommt da mit so einer Tatort-Machart irgendwie, dass man dann da versucht, ähm, vermeintlich authentisch die Geschichte von diesen Personen rüberzubringen. Was eben aber ja so ’n bisschen der Kritikpunkt oft war, ja auch in dieser bekannten Jan-Böhmermann-Folge, dass sie auch in den Kommentaren so aufgetreten sind, ne, als wäre eine Sophie Scholl da am Community-Management machen und dass der dann in den Kommentaren auch stand. Und ich weiß nicht, wie ernst Leute das meinten, so: „Oh nein, Sophie, geh da nicht hin“, so ungefähr, ne. Und das ist, finde ich, dann schon sehr, sehr scary. Ich find‘, die Kritik fängt schon so ’n bisschen da an: Warum muss man sich diese Geschichte raussuchen, die absolut relevant ist und auch, ähm, spannend? Und ich finde, man kann auch aus den Flugblättern und so… Ich hab mir die jetzt erst angeschaut, weil morgen ist ja der Jahrestag der Ermordung von Sophie Scholl und Hans Scholl und Christoph Probst. Ähm, aber ich fände zum Beispiel, warum kann man sich nicht irgendwie andere Widerstandsgruppen anschauen, die noch nicht so bekannt sind und die vielleicht, ähm, auch schon früher irgendwie eingetreten sind? Warum kann man sich nicht sogar Widerstand von Opfern und Verfolgten anschauen? Also es ist schon so, ähm, Max Czollek hat mal von Stauffenberg als so Posterboy des deutschen Widerstands gesprochen und ich finde, das ist halt Sophie Scholl auch auf ’ne Art, ne, dass man, äh, sagt, die wird so hochgehalten, ähm, aber am Ende war sie halt wenige Wochen Teil der Weißen Rose, soweit ich das weiß. Und, ähm, dafür finde ich, es hat sie schon ’n sehr, sehr großen Raum in unserer Erinnerungskultur. Und es gäbe voll viele spannende Perspektiven, wo man über so Handlungsspielräume spricht, also gar nicht über Widerstand, für den man dann irgendwie, ähm, äh, hier hingerichtet wird, sondern wo es wirklich darum geht, einfach so aus Anstand, sich vielleicht so halbwegs zu entziehen, dieser Verfolgung und Ausgrenzung, ähm, von Verfolgten. Und solche Geschichten haben, hätten, finde ich, mal ’ne riesen Bühne verdient und auch, ähm, viel mehr Publikum verdient als jetzt noch mal, äh, Sophie Scholl und Stauffenberg zum Beispiel.

00:51:37,087 

Raúl Krauthausen: Äh, der Comedian Shahak Shapira hat ein Kunstprojekt, das heißt Yolocaust.

00:51:43,167 

Susanne Siegert: Mhm.

00:51:43,807 

Raúl Krauthausen: Kennst du bestimmt.

00:51:44,847 

Susanne Siegert: Ja, genau, ja.

00:51:45,387 

Raúl Krauthausen: Wenn man das Holocaust-Mahnmal von Berlin sieht und dann eins zu eins drübergelegt aus der Gegenwart, Menschen, die einfach Selfies da machen oder tanzen oder so.

00:51:55,207 

Susanne Siegert: Mhm.

00:51:55,207 

Raúl Krauthausen: Und, ähm, man kann dann so ’nen Schieberegler hin- und herschieben, Vergangenheit, Gegenwart. Und, ähm, also ich hatte plötzlich so ’n Beklommeneitsgefühl und das ist so ’ne einfache Botschaft und es sagt so viel, ähm, wo ich, wo ich wirklich, also wenn du jetzt sagst, Holocaust-Cosplay, es geht ja so ’n bisschen in die Richtung, ne?

00:52:17,247 

Susanne Siegert: Mhm. Ja, aber ich bin trotzdem der Meinung und das sehe ich auch viel bei, bei TikTok, ne, es gibt da jetzt grade, ähm, auch viel Trends, wo mit AI gearbeitet wird, zum Beispiel so POV-Challenge. Du wachst auf, ähm, im industriellen Zeitalter in Großbritannien oder keine Ahnung. Oder da gab es halt auch ’ne POV-Challenge, wo mit KI quasi der Tagesablauf von einem Häftling in Auschwitz gezeigt wurde. Also mit KI generiertem Videomaterial, was natürlich komplett, also gar nicht den Tatsachen entsprach, ne. Oder es gibt irgendwie Challenges, sag ich mal, wo sich, ähm, Creatorinnen schminken, wie KZ-Häftlinge sich irgendwie Wunden schminken, sich die Haare weg, weg, äh, schminken und so, ne. Und das ist für mich auch mega befremdlich, genauso wie diese Selfies am Holocaust-Mahnmal. Aber ich glaube trotzdem, man muss da so ’n bisschen seine eigene Deutungshoheit, äh, da ’n bisschen von diesem hohen Ross runterkommen und so verstehen, für junge Menschen ist es vielleicht einfach auch anders, ne. Die haben da nicht ihre Berührungsängste und für die ist das vielleicht voll der krasse Moment, dass sie zum ersten Mal auf dieser Plattform mit dem Thema zu tun haben und dann, und dann sich damit beschäftigen und, äh, merken: „Oha, krass, das macht was mit mir.“ Also, ich, ich versteh‘ die Kritik, weil ich selber auch das ganz schrecklich finde, als persönlich, aber ich glaube, dass man schon annehmen muss, dass es einfach andere Formen gibt der Kommunikation, auch des Erinnerns, des Gedenkens. Und vielleicht ist ’n Selfie in Auschwitz eine davon, die für uns halt einfach komplett ew ist und Bauchgefühl schlecht. Aber für die ist es halt irgendwie eine Art von Ausdruck, ne, von, von wirklich gut gemeintem Gedenken. Und ich finde, da kann man, muss man dann vielleicht auch ’n bisschen weniger harsh in seinem, äh, Urteil sein.

00:53:53,487 

Raúl Krauthausen: Und ich finde genau solche versöhnlichen Gedanken, äh, wie du sie gerade teilst, ist das, was wir in unserer Gesellschaft viel mehr brauchen, da es eben nicht immer nur richtig und falsch gibt. Und ich bin auch jemand, der sehr schnell, äh, dann irgendwie verurteilt. Und jetzt aber von dir das so zu hören, ähm, das erinnert mich an, an ein Gespräch, das ich mal mit ’ner Profitänzerin hatte, ähm, die mir gesagt hat: „Auf TikTok, das sind nicht einfach nur Tanzvideos.“ Nein, das sind halt Menschen, die ihren Körper spüren. Andere machen halt Sport und die tanzen halt und die werden richtig gut mit der Zeit. Und da gibt’s überhaupt gar keine Wertschätzung von Erwachsenen, sondern die bezeichnen es dann lächerlich als Tanzvideos. Und, ähm, das ist ja auch, also das ist kulturprägend. Wir sehen, glaube ich, inzwischen keine Pro7-Show, wo nicht irgendjemand ’n, ’n TikTok-Move macht oder so.

00:54:47,007 

Susanne Siegert: Total.

00:54:47,587 

Raúl Krauthausen: Ähm, das, das immer so zu verachten, weil das ist ja irgendwie nicht, nicht, sag’n wir mal, ernste Unterhaltung, ähm, ist, äh, glaube ich, auch ’n Problem.

00:54:58,807 

Susanne Siegert: Ja, sehe ich, sehe ich ganz genauso. Ja.

00:55:01,047 

Raúl Krauthausen: Welche Verantwortung siehst du denn in der jüngeren Generation, ähm, was, äh, Erinnerungskultur angeht?

00:55:08,707 

Susanne Siegert: Hm, also ich glaube erst mal eigentlich ähnliche Verantwortungen, wie wir jetzt alle haben, egal welches Alter, dass man schon, wenn man jetzt gerade ich spreche jetzt ja auch aus ’ner, wenn ich sage, zum Beispiel wir, dann meistens aus so einer Mehrheitsgesellschaft, das heißt Nachfahren von ehemaligen Nazitäterinnen, ähm, oder Mitläuferinnen, wie auch immer man das Ganze eben bezeichnen möchte, aber auf jeden Fall auf der nicht verfolgten Seite, sagen wir mal so, ähm, dass man da schon die Verantwortung hat, dass man so ’n bisschen reflektiert und einordnen kann, was hat die eigene Familie gemacht. Und man muss jetzt nicht genau wissen, welche Stationen hat irgendwie der Uropa mit der Wehrmacht durchgemacht und was hat die Oma, Uroma währenddessen zu Hause gemacht? Aber dass man zumindest nicht so diesen Widerstandsmythos, ähm, wieder, ne, erzählt und dass man irgendwie nicht so diesen, dieses Märchen von, die haben Juden im Dachboden versteckt, erzählt. Also dass man da schon ehrlich genug ist, auf diese Frage auch ehrlich zu antworten. Und wenn man sagt: „Ich weiß es nicht genau“, aber, ähm, man kann sagen, Studien zufolge haben nur, ich glaube, ähm, wenige hundert Wehrmachtssoldaten, irgendwie sich widersetzt und Widerstand geleistet, ähm, auch wenn angeblich das ja irgendwie alle gemacht haben und keiner hat geschossen und so, ne. Also ich glaub‘, das ist ’ne Verantwortung, die wir auf jeden Fall haben. Und dann die andere Verantwortung ist ganz klar, dass man den Aktivismus von Betroffenen ernst nimmt und auch die Forderungen, die daraus entstehen, auch wenn das vielleicht für uns nicht immer so bequem ist, weil da auch Forderungen dabei sind, die einen vielleicht selber angreifen, weil da Forderungen dabei sind, wie die wollen Raum einnehmen, sage ich mal, was sowohl Gedenkveranstaltungen angeht oder auch Mahnmäler, die wollen eben ihre eigenen Orte dafür, aber die wollen einfach nur Platz in der Gesellschaft einnehmen, was ihnen ja auch zusteht, aber dass man das dann nicht, dass man das eben eher bestärkt, als jetzt irgendwie entweder diesen Raum selber einzunehmen oder das kleinzureden und irgendwie auch so ein bisschen, ja, die wollen ja nur jetzt noch an den Holocaust erinnern und damit wir ein schlechtes Gewissen haben und damit sie noch Entschädigungszahlungen bekommen, welche auch immer die damit meinen, keine Ahnung, oder dass sie im Fall von Jüdischen nachfahren. Es ist ja wirklich so, dass man so sagt, ja, ihr wollt ja nur über den Holocaust sprechen, damit wir alle Israel unterstützen, aus schlechtem Gewissen. Also da gibt es ja wirklich so perverse Gedanken, wie man so deren Aktivismus delegitimiert und ich glaube, da ist unsere Verantwortung da, einfach dahinter zu stehen und dem irgendwie auch den Raum zu geben, weil das Gedenken, also die Hoheit über das Gedenken, das haben immer noch die, aber unsere Hoheit könnte halt schon darüber darin liegen, dass wir so zumindest reflektieren über Täterschaft und dass eben endlich mal aufhört, dass man irgendwie so darüber spricht, als wäre das so ein Vokabel von einer fremden Sprache, sondern dass man schon merkt, wenn man darüber spricht, über Naziverbrechen, sprechen wir über Verbrechen, die auch unsere Vorfahren begangen oder zumindest einfach mit angeguckt haben. Und auf diesen Verbrechen wurde irgendwie so unsere Gesellschaft aufgebaut. Und das, finde ich, ist schon eine Verantwortung, das so klar zu benennen und dann daraus zumindest irgendwie abzuleiten, wie man jetzt so sich die Gesellschaft vorstellt. 

00:57:51

Raúl Krauthausen: Hast du das bei dir in der Familie gemacht? 

00:57:53

Susanne Siegert: Ja, und ich muss auch sagen, da gab es auch nie jetzt krassen Widerstand oder so. Meine Eltern sind auch nie auf mich zugekommen mit irgendwelchen falschen Erzählungen, dass die das ja alles gar nicht wollten und so. Ich habe von meinen Uropas vor allem, bei den Frauen ist es halt ein bisschen schwerer, wenn die jetzt keine Institution angehört haben, dann kann man jetzt nicht so schwarz auf weiß Dokumente irgendwie irgendwo anfordern über deren Werdegang während der Nazizeit. Aber zu Uropas, die in der Wehrmacht waren, ist das ja ziemlich einfach. Und das war schon auch einschneidend für mich, dass du dann auf so einer Gefechtsliste von einem meiner Uropas siehst du halt dann so die Station, dass er an einem Tag in Lemberg in der heutigen Ukraine war und dort an einem Tag dabei war, wo es einfach einen Angriff auf Juden und Jüdinnen gab, Pogrom gegen Juden und Jüdinnen gab und zu wissen, dass egal, was er währenddessen gemacht hat, er war auf jeden Fall Zeuge von diesem Massaker, über das ich jetzt so aus Opferperspektive auf meinem Kanal sprechen würde, das hat schon mit mir nochmal viel gemacht, zu überlegen, okay, ich muss auf jeden Fall auch schaffen, öfter diese Täterperspektive einzunehmen. Nicht um den Opfern Raum zu nehmen, aber um die so ergänzend auch mit reinzubringen, dass man nicht darüber spricht, als wären die eben so im luftleeren Raum einfach tot umgefallen, sondern dass man schon darüber spricht, das waren bewusste Entscheidungen, die zu deren Vernichtung geführt haben. Und ich glaube, das sollte man gerade uns, in Anführungszeichen Nachfahren von Täterinnen und Tätern, da ein-, zweimal öfter vor Augen führen.  

00:59:17

Raúl Krauthausen: Was mich wirklich zum Nachdenken gebracht hat, das zeigt auch, wie wenig ich mich bisher mit der Materie auseinandergesetzt habe nach der Schulzeit, dass du unterscheidest zwischen Erinnern und Gedenken. Und deswegen heißt dein TikTok-Account ja auch keine Erinnerungskultur, weil erinnern können wir uns nur an Dinge, die wir selber erlebt haben. Und diese Menschen gibt es immer weniger. Das heißt, gerade wenn es Gruppen an junge Menschen sind, geht es vor allem ums Gedenken. Was hat dich noch dazu bewogen, eher über das Gedenken zu sprechen? 

00:59:51

Susanne Siegert: Ja, es gibt dieses Konzept, eben Gedenken erinnern. Es gibt aber auch Konzepte, die zum Beispiel sagen, ja, erinnern ist jetzt nichts, was jetzt nur einen selber betrifft. Es gibt ja auch so kulturelle Gedächtnisse und kollektive Gedächtnisse, wo man auch sagt, naja, auch durch Geschichtsunterricht, durch Erzählungen etc. werden Erinnerungen so weitergetragen, dass ich auch sagen kann, ich erinnere mich trotzdem an die Kindheit meiner Mama, weil es einfach eine ganz andere Auseinandersetzung sein wird, die wir jetzt dann bald haben, mit dem Thema ganz ohne Überlebende, weil die haben einfach eine echt große Rolle gespielt in unserer Erinnerungskultur bisher und ich finde es auch gut, dass man dann sprachlich da vielleicht auch eine Zäsur schafft und zeigt, oh guck mal, das wird jetzt irgendwie eine ganz andere Auseinandersetzung sein, ohne deren Support und die sind ja da und üben damit irgendwie unausgesprochen Druck aus auf ihre Umgebung, dass man eben gefälligst erinnert und wenn die nicht mehr da sind, dann ist es schon auch noch viel mehr unsere eigene Entscheidung. Dann ist es, glaube ich, noch viel bewusster, dass man sagt, wie auch wenn die nicht mehr da sind und irgendwie das sich einfordern, müssen wir trotzdem dran erinnern oder gedenken oder wie auch immer. Also ich bin jetzt keine Hardlinerin und hasse diesen Begriff, Erinnerungskultur geht gar nicht, aber ich finde es einfach spannend zu sagen, hey, warum nicht ein anderer Begriff für eine ganz andere Auseinandersetzung, die wir jetzt dann einfach haben werden. 

01:01:20

Raúl Krauthausen: Ja, das ist ein Teil der Reflexion, auch der eigenen Arbeit, die man macht. Auch spannend fand ich, du hast auf TikTok eine Playlist von Videos zum Thema Sprache. Und einige dieser Formulierungen kannte ich, andere wiederum nicht, die man nicht mehr sagen sollte. Zum Beispiel die Polizei, dein Freund und Helfer ist anscheinend auch Nazisprache gewesen. Bei dem Thema jedem das Seine oder Kraft durch Freude, da war mir das schon klar. Was gibt es noch für Formulierungen? 

01:01:56

Susanne Siegert: Boah, ja, wirklich viele und das ist auch was, wo ganz oft der Kommentar kommt, so Sprachpolizei und gar nichts darf man mehr sagen und ich finde, du sagst jetzt auch, du hast dich dafür entschieden vielleicht das irgendwie nicht mehr zu sagen oder man sollte es nicht mehr sagen, aber wenn das jemand weiterhin sagen soll, dann mach es mir wirklich, könnte mir auch nicht egaler sein, aber ich finde darauf hinzuweisen, dass zum Beispiel, was ich total krass fand, Sonderbehandlung wäre so ein Wort, das man ja auch sagt, selbst über, keine Ahnung, Geflüchtete oder Gäste der Berlinale bekommen alle eine Sonderbehandlung, weil sie halt besonders behandelt werden. Aber Nazis haben das halt benutzt so als Tarnwort für Vergasung, für Vernichtung und haben dann gesagt, Juden, Jüdinnen, Sittin, Roma etc. werden der Sonderbehandlung unterzogen. Und das ist für mich ein gutes Beispiel dafür, dass man den Begriff deswegen jetzt vielleicht nicht total streicht aus dem Wortschatz. Ich möchte es trotzdem streichen, aber wie gesagt, kann jeder machen, wie er möchte. streicht aus dem Wortschatz, ich möchte es trotzdem streichen, aber wie gesagt, kann jeder machen, wie er möchte, aber dass man zum Beispiel, wenn es halt darum geht, um Geflüchtete zum Beispiel zu sprechen, ist es schon krass schwierig, dass man dann in dem Kontext dieses Wort verwendet, was einfach vor nicht mal 100 Jahren noch diese ganz andere Bedeutung hatte in unserem Land, vielleicht hat man da schon nochmal eine andere Verantwortung, auf die Sprache zu gucken, asozial, auch sowas als Schimpfwort super viel benutzt unter jüngeren Menschen, aber auch so in Reality-TV und so. Ich finde auch da lohnt es sich einmal zu überlegen, kann man das auch irgendwie anders verwenden, weil die Nazis eben unter diesem Begriff Asozial halt super viele Menschen verfolgt haben, einfach weil die nicht so in deren Bild gepasst haben. Da ist schon gereicht, du bist Alkoholiker, obdachlos, ja, prostituiert oder unter Prostitutionsverdacht, das hat eigentlich schon gereicht, du bist Alkoholiker, obdachlos, ja, prostituiert oder unter Prostitutionsverdacht. Das hat eigentlich schon gereicht und ich finde, dann kann man schon überlegen, boah, gibt es vielleicht auch andere Beleidigungen, die da nicht da irgendwie so anknüpfen dran und trotzdem die andere Person beleidigen. 

01:03:46

Raúl Krauthausen: Ich habe Werbung studiert, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und da gab es dann auch immer einen Fachbereich, der nannte sich Text und Sprache. Und da hatte ich eine Kommilitonin, die dann irgendwann erschrocken zu mir aufsah und gesagt hat, der Claim der Deutschen Bank war Leistung aus Leidenschaft.  Und das ist doch im Prinzip nur in anderen Worten, Kraft durch Freude ausgedrückt. Oder SAT eins hatte mal den Claim powered by Emotion. Und dann dachte ich, wow. Also wenn mans jetzt drauf anlegt, dann würde ich da jetzt auch nochmal in der Werbeagentur.

01:04:38,947 

Susanne Siegert: Eine Runde drehen.

01:04:40,427

Raúl Krauthausen: Ja,

01:04:42,047 

Susanne Siegert: Voll. Ich finde auch, man kann dann da wahrscheinlich ganz, ganz erbsenzählerisch auch unterwegs sein und ganz viele, entdeckt ganz, ganz viele Spuren. Und ich versuche auch immer nicht zu zeigefingermäßig da auch auf Leute einzuprügeln, weil ich glaube, das ist dann eher dieser Abwehrreflex wieder. Aber alles in allem finde ich schon sensible Sprache in so vielen Bereichen und auch in dem Bereich, es ist auch echt einfach sich das abzugewöhnen und man denkt dann irgendwann daran zurück, dass man ja auch mal behindert, als ich schon verwendet hat, wo man jetzt selber denkt, boah crazy, was war da denn los? Ich finde, das gehört irgendwie dazu.

01:05:17,607 

Raúl Krauthausen: Inwieweit sind denn Menschen mit Behinderungen in deiner Arbeit Thema? Ich habe jetzt nie alles gesehen, deswegen nehme ich mal an, es ist Thema. Ich habe viel über Sintis und Roma gesehen und auch über Menschen, die eine psychische Erkrankung haben. Behinderung ist mir jetzt noch nicht untergelaufen, aber ich nehme mal an, das hast du auch gemacht.

01:05:40,827 

Susanne Siegert: Genau, es wurde meistens gleich, sage ich mal, behandelt wie Menschen mit psychischen Erkrankungen unter dieser T4 Aktion, wo dann ja auch ganz genau genannt wurde von den Nazis, wer fällt unter diese Definition von lebensunwertem Leben. Und da gehört eben auch dazu, Menschen mit körperlichen Fehlbildungen oder andere Art von Behinderungen. Also das war ja auch eine sehr, sehr große Kategorie, wer da alles dann da reingefallen ist. Und das ist auch echt ein Thema, was ich erst in den letzten Monaten auch im Zuge von meiner Buchrecherche viel mich damit beschäftigt habe und erstmal gemerkt habe, wie wenig man darüber irgendwie weiß. Aber eben, und das finde ich voll interessant, weil es eben so eine Erinnerungskultur ist, die eigentlich ohne Überlebende auskommen muss, weil über ermordete Menschen mit Behinderungen, die haben, sage ich mal so blöd, nicht so diese Lobby, weil entweder, also A, gibt es super wenige Überlebende und wenn es Überlebende gab, dann haben die meistens nach dem Kriegsende auch darüber geschwiegen, weil es ja dann trotzdem einfach weiterging mit der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und auch die Angehörigen darüber eher so geschwiegen haben, weil man wollte nicht die Familie sein, die eine verrückte Tante in der Familie hatte oder hat sich auch vielleicht geschämt, wenn sie es nicht geschafft haben, Außenfamilienmitglieder aus den Heimen, aus Anstalten sich nach Hause zu holen, die dann ermordet wurden. Und deswegen ist in unserer Erinnerungskultur, die eben so krass auf Zeitzeuginnen sich irgendwie stützt, spielt das eben so überhaupt keine Rolle. Und wenn, dann super anonym, weil man aus, ich würde mal sagen, vermeintlicher Rücksicht auf Datenschutz da auch überhaupt keine Namen nennen möchte. Alle Daten sind irgendwie anonymisiert, Dokumente geschwärzt, wenn es sie überhaupt gibt. Also das ist echt eine krasse Lehrstelle, dass man darüber irgendwie spricht, auch namensbezogen. Also ich glaube, jeder von uns kann irgendwie Holocaust überlebende jüdische nennen mit Namen oder hat Gesichter vor Augen, aber bei Menschen mit Behinderung ist das überhaupt nicht so. Und das fand ich eine krasse Erkenntnis, dass das so eine namenlose Erinnerung eigentlich ist.

01:07:33,507 

Raúl Krauthausen: Und auch finde ich ehrlich gesagt, so wie wir gegenwärtig über Behinderung reden, in Form von Pränataldiagnostik und so weiter, ja dahinter ja auch so die Idee immer steckt, Behinderung zu vermeiden, zu verhindern, auszurotten. Und das hat schon für mich sehr krasse Nazi-Vibes.

01:07:54,547 

Susanne Siegert: Total, total. Ja, oder auch, die haben als Propaganda gab es bei den Nazis ja auch, diese Menschen mit erbbaren Krankheiten et cetera kosten die Erfolgsgemeinschaft in

Anführungszeichen soundso viel Geld.

01:08:06,567 

Raúl Krauthausen: So argumentiert die AfD im Moment auch.

01:08:08,527 

Susanne Siegert: Genau das, dass man das unter so einem Nützlichkeitsaspekt und irgendwie wie viel Geld kostet das argumentiert. Das ist schon echt scary zu sehen. Dann ergibt es auch Sinn, dass danach Überlebende sich nicht geäußert haben und ihr Schicksal eher so unter Teppich gekehrt haben, weil es einfach genauso weiterging und eigentlich bis heute an vielen Stellen weitergeht. Das ist schon krass zu sehen und da kann man dann doch irgendwie was auch lernen aus der Geschichte, zu merken, oha, bei ganz vielen Themen und Punkten hat sich halt irgendwie doch nichts geändert.

01:08:34,987 

Raúl Krauthausen: Ja, oder auch wenn du sagst, Sonderbehandlung. Es gibt ja auch Sonderschulen, es gibt Sonderfahrdienste. Und das ist schon auch noch mal, glaube ich, wichtig, da Sprache ernst zu nehmen. Bei den Recherchen jetzt zu deinem Kanal, aber auch in der Gegenwart jetzt mit der ganzen Kackscheiße, mit den Nazis, der AfD und so weiter, habe ich schon den Eindruck, und wahrscheinlich ist es jetzt auch keine krasse Erkenntnis, aber ich habe den Eindruck, dass Hass keine Grenzen kennt. Also fängt es halt irgendwann mit einer Gruppe an, die zu hassen und dann hat man die ausreichend stigmatisiert oder ist irgendwie damit erfolgreich und dann geht es halt einfach zur nächsten Gruppe. Und das sehen wir ja jetzt auch gerade, glaube ich, in den USA. Erst gibt es jetzt diese Jagd auf Trans und queere Menschen. Jetzt werden behinderter Menschen die Sozialleistungen gekürzt und so, dass ich mich frage, wie man da wieder rauskommt. Also es gibt Leute, die zum Beispiel sagen, wenn man einmal in diesem Strudel ist, kommt man da mit einer Gegenerzählung nicht mehr raus. Was man braucht, ist eine alternative Erzählung. Und das finde ich gruselig, weil Hass kennt keine Grenzen. Und selbst wenn du ein heterosexueller, weißer, nichtbehinderter, junger Cis-Mann bist, wird es irgendwann den Grund geben, dich zu hassen, weil du kurze Haare hast.

01:10:05,767 

Susanne Siegert: Ja, ist super, super scary. Ich wünschte, ich könnte irgendeine Art schlauen Gedanken dazu haben, der nicht einfach nur resigniert klingt. Das ist wirklich krass.

01:10:15,887 

Raúl Krauthausen: Belastet dich deine Arbeit emotional?

01:10:18,287 

Susanne Siegert: Also natürlich macht das was mit allem. Und es gibt also auch immer noch und ich glaube, der Tag, wo man dann merkt, man liest irgendwie über so toten Listen hinweg und es macht nichts mit allem, da muss man auch mal ganz kurz innehalten und reflektieren: „Huch, was ist denn hier gerade passiert? Also der Moment ist auf jeden Fall noch lange nicht erreicht. Aber das ist ja auch bewusst. Ich will jetzt in meinen Videos nicht auf die Tränendose drücken und irgendwie da mit schwerer Stimme. Und das werfen mir aber auch viele Leute vor, so im Sinne von: Du lächelst da und du trittst irgendwie da so ein bisschen funny, funny auf. Aber ich will ja auch trotzdem irgendwie niedrigschwellig sein und ich glaube, dazu gehört, dass man eben nicht mit so einer Schwere erst mal schon einsteigt, die einem so ein bisschen Angst macht, sondern dass man schon grundsätzlich einfach neutral, offen mit dem Thema beginnt. Aber ich glaube, dass ich halt mittlerweile auch mit diesen Output auf den Kanälen, immer wenn ich mich da beschäftige merke, oha, das hat gerade was mit mir gemacht, auch eine große Motivation spüre, zu merken, das macht für anderen Menschen auch was und löst bei denen irgendwas aus. Und deswegen ist es jetzt nicht so, dass das super krass mich negativ lang beeinflusst, sondern dass ich dann irgendwie einen Output und weiß, ich kann das irgendwie mit anderen Leuten dann vielleicht mit aushandeln. Und das ist dann, glaube ich, eher das Gefühl, was ich dabei habe. Und ich muss auch sagen, ich kann damit jeden Tag Pause machen. Also ich könnte jetzt ja sagen, ich beschäftige mich das ganze Wochenende nicht damit und lese nichts und gucke nicht meine Kommentare et cetera. Und Menschen, die aber jetzt zum Beispiel dieses Trauma selbst erlebt haben oder Nachfahren sind, die können diese Pause halt nicht machen. Und ich finde allein deswegen ist es immer so ein bisschen, wäre es jetzt schwierig von mir zu sagen: „Ja, das ist ganz schlimm für mich und ich weine mich jeden Tag in den Schlaf, weil ich kann, habe halt entscheiden, wie weit ich mich da reinbegeben möchte und das können halt ganz viele andere Menschen nicht.

01:12:00,567 

Raúl Krauthausen: Trotzdem habe ich schon den Eindruck, dass du eine gewisse Verantwortung spürst, weil morgen ist nun mal der Todestag von Sophie Scholl. Da jetzt nichts zu machen, würde dir wahrscheinlich auch ein ausreichend schlechtes Gewissen machen.

01:12:15,523 

Susanne Siegert: Das ist ein guter Anlass, äh, darüber zu sprechen, ne. Und, äh, ich denke mir, vielleicht gibt’s entweder. Also morgen gibt’s bestimmt viele Leute, die auch darüber was machen, da bin ich mir sicher, ähm, aber genau bei so vielen Themen denke ich mir halt: „Boah, krass, das hab ich noch nie gehört“ und, ähm, es ist trotzdem irgendwie eine wichtige Perspektive. Ähm, wenn ich sie jetzt nicht mache, vielleicht macht’s dann irgendwie keiner und das ist schon natürlich auch ’ne Motivation. Äh, ich würde es vielleicht nicht Verantwortung nennen. Das klingt bisschen größer, als ich’s jetzt selber machen würde, aber, ähm, ja, vielleicht ist es auch das, aber einfach so das Gefühl, das ist wichtig und, ähm, ich möchte dem irgendwie eine Bühne geben und wenn’s keine andere gibt, dann, ähm, muss man halt die selber schaffen.

01:12:55,324 

Raúl Krauthausen: Das heißt, wenn, wenn du dich nicht mit den Themen beschäftigst, kannst du privat in deinem Freundeskreis, äh, auch, äh, dir einfach die Susi sein, die auch andere haben das im Kalender. Das ist jetzt nicht so, dass man mit dir bedeutungsschwer das Thema sich auf die Party einlädt.

01:13:10,523 

Susanne Siegert: Bitte nicht. Bitte nicht. Also ich, wie gesagt, mein Ausgleich war immer viel Reality-TV gucken. Ich bin, äh, viel mit Freundinnen unterwegs und wir unterhalten uns halt natürlich über ganz normal. Ich habe meinen regulären Full-Time-Lohnarbeitsjob, über den ich auch genauso erzähle. Und, ähm, deswegen, es ist natürlich ein wichtiger Teil und ich, ähm, merke, dass ich froh bin, dass ich Freundinnen habe, mit denen ich darüber sehr, sehr viel sprechen kann, äh, über auch meine Erlebnisse und Erfahrungen, äh, über Rechercheergebnisse, die man findet. Aber dass es auch voll okay ist, dass es halt für andere Leute ein Thema ist, das sie auch ein bisschen befremdlich finden, und, äh, ich will auf jeden Fall nicht die, die, die, die Holocaust-Tante, so sage ich mal blöd, sein. So ’ne. Also, das ist. Für mich gibt’s auch andere Themen, ähm, und das ist jetzt nicht mein, das ist nicht mein, mein Leben bestimmt, auch wenn’s gerade sehr viel Zeit einnimmt und natürlich, ähm, meine Gedanken, äh, viel prägt, aber das-. Trotzdem gibt’s irgendwie doch eine andere Susi auf jeden Fall.

01:14:07,443 

Raúl Krauthausen: Wo sind denn, oder wie ist denn die Vision von deiner Arbeit auf Social Media? Wie geht’s für dich weiter? Was, was stellst du dir vor für die Zukunft?

01:14:16,123 

Susanne Siegert: Ja, ähm, also ich glaub schon, dass ich so im, in the long run irgendwann mal die Entscheidung treffen muss: Mache ich das jetzt einfach so weiter die nächsten zehn Jahre oder schaue ich, ob ich mir vielleicht auch als Lohnarbeit ’nen, ’nen Job suchen kann, der zumindest in mir so ein bisschen dieses, äh, man möchte was Sinnvolles machen mit seiner, seinen Fähigkeiten, die man sich so, ähm erlernt hat, erfüllt, ne. Also das war schon eine Überlegung: Arbeitet man vielleicht irgendwann bei ’ner Stiftung, wenn es das einfach nicht mit keiner Erinnerungskultur klappt, dass ich das so zu ’nem Sicheren– Weil leider bin ich da sehr alman, äh, gestrickt, dass ich da wirklich eine Sicherheit irgendwie haben möchte für mein Altan, für meinen Lebensunterhalt und Miete et cetera. Ähm, vielleicht leg ich das auch irgendwann mal ab, aber gerade sieht’s nicht danach aus. Äh, deswegen, das ist, glaube ich, so eine Überlegung, die gerade viel in mir brodelt. So, was passiert jetzt eigentlich im Herbst bring– bring ich mein Buch raus. Ich will dann irgendwie erst mal ein paar Lesungen machen, aber wie lange möchte man das alles irgendwie noch neben seinem Job machen und, ähm, vielleicht kommt irgendwann mal der Moment, wo das dann nicht mehr der Fall ist. Der ist, wie gesagt, gerade nicht irgendwie am Horizont. Aber hey, wenn irgendjemand zuhört, der ’ne Idee hat, was ich dann, wie ich das– dann meld euch gerne. Und im Kleinen habe ich ganz viele so Ziele, ne. Also ich sag mal, Themen, die ich, äh, noch besprechen möchte. Ich möchte total gerne auch mal—Ich hab ja schon ein Archiv besucht, ähm, was eher Dokumente zu Verfolgten eben beinhaltet. Ich würde voll gerne auch mal echte, sage ich mal, Dokumente sehen, eben eher zu meinen Uropas zum Beispiel. Ich habe jetzt ja immer nur Scans, mit denen ich gearbeitet habe, auch mal in solchen Archiven, die zu besuchen. Ich würde total gerne mal einen Livestream machen von ’ner Gedenkstätte, also so ’ne Tour, also ’ne geile Tour quasi begleiten in einem Livestream, weil das gibt’s auch schon ganz viel bei TikTok, aber das machen halt dann eher so „normale“ Creatorinnen. Und das natürlich fachlich, sage ich mal, sachlich auf dann einer eher oft, hmm, schwierigen Ebene, wo die einem dann so Hinweisschilder vorlesen und was sie halt irgendwie nicht erklärt bekommen, das den– reiben sie sich dann so zusammen: Was bedeutet das und was is– ist das hier? Und, ne, also das ist dann immer echt schwierig zu gucken, weil Leute stellen in den Kommentaren tausendfach Fragen und die können auf keine einzige eingehen, natürlich. Und da wär’s cool, mal ein Gegenangebot zu schaffen, mit ’ner Gedenkstätte ’nen Livestream zu machen, dass man sagt, man, man führt Leute irgendwie da durch, NutzerInnen, die können Fragen stellen und man moderiert das so ein bisschen. Und, ähm, das, ne, ist ein ganz kleines Ziel, aber was ich mir schon länger mal vorgenommen habe. Genau, also das… Mal gucken, was dann noch so passiert.

01:16:41,183 

Raúl Krauthausen: Ja, also wer, wenn nicht mit dir, jetzt mal ernsthaft, auch irgendwie dir ’ne, ’ne Sti– von der Stiftung finanzierte Stelle zu ermöglichen, kann wohl nicht wahr sein, dass das nicht geht.

01:16:50,303 

Susanne Siegert: Ja, das, wo alle sagen, es ist so ein wichtiges Thema, ne. Ich glaube, das ist auch das, was mich so nervt und ärgert, ne, dass man so, äh, das so hört und ich denke immer: Ja, schön, aber trotzdem sitze ich jetzt-

01:16:59,643 

Raúl Krauthausen: Also ich meine, du bringst das Thema ja ins 21. Jahrhundert.

01:17:02,463 

Susanne Siegert: Ja, auf Kanälen, die viele Leute nutzen, ne. Und, äh, mal gucken, was, was da… Vielleicht gibt’s ja auch nächstes Jahr einen ganz neuen Kanal, der, der dann– wo es dann gilt, den zu erschließen, ne. Das ist ja auch alles, äh, super dynamisch und das ist ja auch mega spannend, das so mitzumachen.

01:17:15,903 

Raúl Krauthausen: Hast du die Dinge noch archiviert außerhalb dieser Social-Media-Plattform?

01:17:18,523 

Susanne Siegert: Ehrlich gesagt, nein. Also, da. das ist aber auch so. Hab ich am Anfang noch gemacht und dann dachte ich mir so, es wird keine Rolle spielen. Und wenn ’ne neue Plattform irgendwo kommt, dann, ähm, hat diese Plattform ’ne ganz andere Ansprache und ’ne ganz andere Machart- und dann kann ich das da nicht posten, ja. Es fängt ja schon an. So, und ich dachte dann so: Postest du mal bei YouTube Shorts oder so. Und dann haben die Videos da eine Begrenzung grade von einer Minute. Meine meisten Videos sind aber so neunzig Sekunden, achtzig Sekunden lang. Dann klappt das zum Beispiel schon mal nicht. Genau das. Aber ich glaub, das ist sehr schwierig. Äh, da, glaub ich, wird man nichts mehr verstehen.

01:17:52,263 

Raúl Krauthausen: Siehst du Grenzen in der Aufklärung?

01:17:55,683 

Susanne Siegert: Also, du meinst jetzt so für das Format, äh, auf Social Media?

01:17:58,343 

Raúl Krauthausen: Ja, also ich, äh, ich bin jetzt seit, ja, fünfundzwanzig Jahren Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit und ich würd sagen, die Arbeit, die ich mache, ist halt lange Aufklärungsarbeit gewesen. Und inzwischen komme ich zu der Erkenntnis, dass Aufklärung, ein Video gesehen zu haben, ein Buch gelesen zu haben, äh, einen Workshop besucht zu haben, was ganz anderes ist, als es selber erlebt zu haben, gespürt zu haben, begegnet zu sein, ähm, und dass das dann einen ganz anderen immersiven Effekt haben kann.

01:18:32,583 

Susanne Siegert: Also wenn du die Leute jetzt persönlich treffen würdest? Okay, verstehe. Als ein Buch zu schreiben. Mhhhm.

01:18:37,483 

Raúl Krauthausen: Also das dient mir jedenfalls meine, meine Erkenntnis, ähm, dass wenn die Leute zum ersten Mal einem behinderten Menschen die Hand geschüttelt haben, das was anderes ist, als wenn sie. Ja, aber wenn sie es lesen, man kann auch behinderten Menschen die Hand schütteln.

01:18:51,603 

Susanne Siegert: Ja, ja, also ich glaube, ähm, grad bei Social Media, ne, da hat das, oder auch bei Buch et cetera, hat man ja immer die Möglichkeit, das irgendwie wegzulegen. Äh, und ich glaube, allein deswegen hat das bestimmt seine Grenzen und man kann entscheiden. Aber das finde ich halt irgendwie auch das Gute, ne, weil ich glaube, Erinnerungskultur ist jetzt im Aufwachsen, im schulischen Kontext ja immer auch so was Erzwungenes. Also du hast halt deinen Mittwoch, dritte Stunde Geschichtsunterricht und du sprichst darüber und am Donnerstag fahren wir dann irgendwie alle nach Sachsenhausen, Dachau, I don’t know. Und dann musst du dafür bereit sein an dem Tag. Ob du das bist, körperlich, mental, im Kontext deiner Klasse, das ist total egal. Aber bei Social Media und meinen Videos und auch bei Büchern kannst du halt irgendwie dann entscheiden, ne. Vielleicht swipst du an zehn Videos vorbei. Beim elften denkst du dir: „Ha, das war irgendwie doch ganz interessant.“ Und dann kommt man in das bekannte Rabbit Hole rein und guckt sich irgendwie mehr an. Und ich finde das auch eine Chance, dass man in seinem eigenen Tempo dann, wenn man sich irgendwie dazu bereit fühlt, bei dem Thema ist es ja schon auch noch mal wichtig, so wie es so mental, die Kapazität et cetera… Deswegen kann ich, das finde ich das eigentlich auch einen Vorteil und finde es auch okay, wenn Leute an zehn Videos vorbeiswipen und dann auch gar nicht folgen, sondern vielleicht einfach ab und zu mal sich ein Video angucken und dann auch nicht, weil ich find’s auch okay, nicht zu sagen: „Ich will jeden Tag ein Video sehen über Naziverbrechen und Millionen ermordete Menschen.“ Das ist okay.

01:20:06,483 

Raúl Krauthausen: Du machst jetzt schon viele Jahre diese Arbeit und ich finde auch qualitativ von Anfang an sehr hochwertig. Ähm, also ich schaue mir das, so komisch das klingt, wirklich gerne an. Gibt es eine Botschaft, die du an die ZuhörerInnen dieses Podcasts oder auch deiner FollowerInnenschaft weitergeben möchtest? Also eine spezielle Erkenntnis?

01:20:28,839 

Susanne Siegert: Also ich glaube, meine Erkenntnis und die, von der profitieren vielleicht auch andere Creator und Creatorinnen, ist einfach dieses, weil ich bin mir sicher, es hören gerade viele Leute zu, die mir tendenziell auch eher positiv gegenüber gestimmt wären, die auch sagen: „Das ist interessant und das gucke ich mir auch gerne an, in Anführungszeichen, aber dass man das auch irgendwie äußert und hinterlässt im Sinne von Kommentare, Unterstützung, Interaktion. Weil das ist so was, was man, glaube ich, echt unterschätzt, dass wenn Leute das negativ finden und scheiße, dann werden sie das auf jeden Fall kommentieren. Und wenn 20-mal da steht, deine Frisur sieht scheiße aus, dann werden noch mal 20 Leute das da auch hinschreiben. Ist total egal. Aber wenn da zehnmal steht, gutes Video, dann wird man denken: „Das steht ja eh schon zehnmal da. Ich muss es nicht noch mal hinzufügen.“ Und ich finde, das ist so krass, gerade jetzt, wo man ja immer das Gefühl hat, das ist so ein Strudel aus Trolls und Hass und Scheiße und Hetze irgendwie, ist es echt so krass zu merken, einfach Leute zu unterstützen, deren Arbeit man irgendwie gut findet durch so einfache Mittel, auch wenn man sich irgendwie redundant vorkommt unter jedem Video, nur eine bestimmte Art Emoji zu schreiben. Aber das ist vielleicht jetzt eine simple Botschaft, aber das ist echt wichtig und das nehme ich mir auch selber immer wieder vor. Leute, die ich einfach gerne folge und gerne unterstütze, muss man nicht durch Geld oder Folgen machen, aber einfach durch irgendeine Art von positive Bestärkung. Das ist echt für Algorithmen, aber auch fürs eigene mentale Wohl manchmal ganz gut zu merken, dass man da schon auch mehr Leute positiv irgendwie erreicht damit, als es vielleicht die Realität in den Kommentaren manchmal einen erscheinen lassen.

01:22:05,439 

Raúl Krauthausen: Unterscheiden sich die Kommentare auf TikTok, Instagram, YouTube-Chart und so weiter?

01:22:10,659 

Susanne Siegert: Ja, das Alter merke ich das schon, weil bei TikTok ist mein Publikum sehr viel jünger. Da sind so fünfzig Prozent unter fünfundzwanzig und bei Instagram eher so, ich würde sagen, mein Alter, also Anfang dreißig. Aber trotzdem auch viel so ’ne, ähm, noch älteres Publikum, auch so meine Eltern-Generation und so, die ist da auch viel mit dabei. Äh, und ich– Bei Instagram ist es dann schon oft so, dieses noch einen Fakt hinzufügen, den man weiß, äh, und bei TikTok ist halt viel, ja, leider schon ein bisschen– Aber auch oft interessant, muss man auch sagen. Deswegen, das ist jetzt nicht immer nur schlecht. Aber bei TikTok ist es halt ganz oft eher so ein Fragestellen, auch von Fragen, die man, boah, als basic bezeichnen kann, was ich aber auch gut finde, einen Raum zu haben, wo Leute das dann fragen. Zum Beispiel hat mal eine Person gefragt: „Hä, krass, aber das heißt, es wurden nicht nur deutsche Juden/Jüdinnen verfolgt? Also für die war das halt so ein deutsches Ding, innerdeutsches Ding und nicht, dass es ganze Europa betroffen hat. Aber ja, fair. Warum? Also ist eine legitime Frage, ne? Und dass viele Leute davon ausgehen, dass es in jedem Lager Gaskammern gab und so. Das ist auch irgendwie durch Filme et cetera, glaube ich, so einfach gekommen. Und ansonsten, ähm, ein ganz großer Unterschied in den Kommentaren, der ist auch einfach, dass man auf Instagram durch diese ältere Zielgruppe noch ein bisschen mehr so diese Ablehnung merkt im Sinne von, ähm, man greift indirekt ihre Vorfahren an, und zwar Vorfahren, die sie vielleicht sogar gekannt haben, ihre Opas, zu denen sie ein enges Verhältnis hatten. Und deswegen sagen die dann eher so: „Hey, stopp. Das reicht jetzt mal und du kannst nicht so pauschal von Täterschaft sprechen und so“. Während auf TikTok da durch diese jüngere Zielgruppe, die da vielleicht gar keinen direkten Berührungspunkt zu diesen Menschen hat, ähm, das sind nur so abstrakte Täterbegriffe. Die haben aber dafür eher so eine Zugewandtheit zu Recherche dazu, ne, und da, dazu zu sprechen und zu recherchieren, was, was war da, weil die einfach das gar nicht mehr als Teil der Familienerzählung wahrnehmen. Das ist sehr, sehr interessant, dass man eben dieses Ablehnende bei Instagram und dieses eher Zugewandte, zumindest mein Gefühl, ähm, bei Instagram mehr sieht.

01:24:03,059 

Raúl Krauthausen: Und LehrerInnen oder ExpertInnen?

01:24:05,819 

Susanne Siegert: Ähm, das ist eigentlich bei beiden schön und ich habe da immer, ähm, auch am Anfang echt so ein bisschen Respekt vor gehabt, so: „Fuck, ey. Nicht, dass man, dass HistorikerInnen und Gedenkstätten das so ein bisschen belächeln und das so auch vor allem vielleicht als Format nicht, ähm, anerkennen oder nicht geeignet finden, aber ich hab da ganz andere Erfahrungen gemacht. Die sind da immer sehr offen und, ähm, sehr auch bereit für Austausch und, ähm, loben das und, ähm, das ist– Oder bieten auch Themen an und so, ne, und sagen: „Hey, das ist doch vielleicht ein interessantes Thema.“ Und das, ähm, das zeigt ihr auch noch mal, ne, die haben schon anerkannt, dass das irgendwie eine Plattform für das Thema ist, aber noch nicht für sich irgendwie als Institution. Also das, ähm, ist immer schön zu merken, dass man auch in der Szene, sage ich jetzt mal, schon anerkannt wird und da ist jetzt nicht so eine: „Ach, mein Gott, ja, dieses TikTok“, das ist echt eher eine Seltenheit.

01:24:55,539 

Raúl Krauthausen: Und hast du mal, ähm, Experimente mit künstlicher Intelligenz gewagt? Also ich mein, du hast ja super viele Inhalte jetzt auch schon aufbereitet und kreiert, dass, das dir ja vielleicht auch bei deiner weiteren Arbeit helfen könnte, von Redaktionsplan über Untertitel bis hin zu Frage-Antwort?

01:25:14,039 

Susanne Siegert: Äh, ich glaube tatsächlich gar nicht. Ähm, so bei der Recherche, ne, da ist ja doch auch ChatGPT und so noch ein bisschen tricky, schwierig manchmal, zumindest so, wie ich jetzt die Proms bisher kenne. Da gibt es bestimmt auch ganz krasse Hacks, wie man das

weiterverwenden kann. Ähm, aber es ist halt auch so, ne, irgendwie Teil meiner Videos, dieser, diesen Weg auch aufzuzeichnen, der anfängt mit: Ich gebe das einfach mal in ’nem Begriff in einem Archiv ein und dann kommt man erst mal auf dreihundert Dokumente und dann dampft man das noch mal ein bisschen ein und guckt sich das aber alles an und dann– Also das ist, glaube ich, auch so ein bisschen dieses Mechanische und dieses, äh, diese Teil, so eine Reise, wo man auch verschiedene Emotionen durchläuft und so groß gesagt. Ähm, ich glaube, das ist irgendwie auch Teil des Konzepts, ganz hochgestochen gesagt. Deswegen, ähm, hat da und auch beim Schnitt, da bin ich vielleicht auch einfach noch nicht auf die richtigen Tools gestoßen. Da bin ich auch so noch auf einer krassen Lernkurve unterwegs, glaube ich, da besser zu werden. Ähm, aber ja, ich würde es nicht ausschließen, gerade beim Schnitt, ne, dass es irgendwie das viel einfacher, ähm, machen wird irgendwann. Aber bisher ist das alles noch sehr old school, ähm, wie ich das angehe.

01:26:19,739 

Raúl Krauthausen: Hast du dir das alles selber beigebracht?

01:26:21,839 

Susanne Siegert: Ja, ich habe Journalismus studiert und dadurch ist, glaube ich, so ein bisschen das Schnittthema. Zumindest war das, hat das meine Rolle gespielt im Studium, so

Fernsehbeiträge zu schneiden. Und ich glaube auch, so, ähm, das Schreiben– Na gut, ich

glaube, wie man jetzt vor bald schon fünfzehn Jahren, als ich Bachelor gemacht habe, ne, 2011 bis 2014, da, wie man da Schreiben gelernt hat, unterscheidet sich natürlich massiv zu dem, wie man jetzt auf TikTok schreibt. Aber ich glaube, für so ein Grundverständnis und so, dass man schon mal was vom Zwei-Quellen-Prinzip gehört hat, das hat schon irgendwie ein bisschen geholfen. Aber das sind alles Skills, die jetzt wirklich jeder kann. Also das merkt man ja, ne, dass Dreizehnjährige, meine Cousine, die irgendwie TikTok verwendet, dass die sehr, sehr viel besser ist darin, da irgendwelche Trends zu filmen, zu schneiden. Die machen das so ausm FF. Deswegen, das ist jetzt nichts, wo man ein Schild haben muss. Das kann wirklich jeder und es gibt ja so viele Ressourcen online und das ist, glaube ich, auch immer, was ich sagen möchte, ne. Ich mache meine Videos alle hier, da jetzt, wo ich gerade auch sitze in meinem Wohnzimmer, nehme die hier auf, recherchiere hier. Äh, ich muss in kein Archiv gehen. Ich muss, ähm, nicht in irgendein Schnittstudio gehen oder ein Studio, um das aufzunehmen. Es geht alles zu Hause mit dem Handy, mit dem, was man eh schon hat. Und deswegen, äh, theoretisch ist halt– gibt’s keine Ausrede, damit irgendwie nicht zu starten, sowohl mit einer Recherche als auch, wenn man das möchte, mit eigenen Videos.

01:27:33,279 

Raúl Krauthausen: Was ich an Social Media so spannend finde, dass man relativ schnell zu Ergebnissen kommt, ne. Also man, man kreiert einfach etwas. So einen Fernsehbeitrag, das ist schon noch mal mehr Aufwand, so. Und, äh, ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich kein Video-Mensch bin. Ich bin eher so der Podcaster oder Post-Macher, aber kein Video-Mensch.

01:27:52,079 

Susanne Siegert: Bist du bei TikTok eigentlich?

01:27:53,759 

Raúl Krauthausen: Ja, aber es ist eher sporadisch.

01:27:55,859 

Susanne Siegert: Okay, okay.

01:27:56,579 

Raúl Krauthausen: Aber wir können uns gerne dort folgen. 

01:27:58,779 

Susanne Siegert: Ja.

01:27:59,819 

Raúl Krauthausen: Ich bin ja eher Konsument auf der Plattform.

01:28:01,459 

Susanne Siegert: Ja.

01:28:02,099 

Raúl Krauthausen: Kein Creator.

01:28:03,199 

Susanne Siegert: Mhm.

01:28:03,999 

Raúl Krauthausen: Ähm, eine Frage, die ich all meinen Gästen immer stelle: Ähm, gibt es eine Organisation, einen Verein oder ja, vielleicht auch eine Person, ein Buch, ähm, das du weiterempfehlen könntest, das man sich mal anschauen kann, wenn man sich für. Ja, mit einem neuen Thema, zum Beispiel mit deinem Thema beschäftigen möchte oder auch

mit einem anderen Thema deiner Wahl, das dir wichtig ist?

01:28:26,375 

Susanne Siegert: Also ich muss sagen, für mich hat dieses Ganze angestoßen, ähm, meinen Gedanken zu diesen Begriffen Gedächtnistheater, wie eigentlich, wie blick ich jetzt so auf Erinnerungskultur? Wie blicken aber, sage ich mal, ehemalige verfolgte Gruppen auf dieses Thema und auch auf, ähm unsere Rolle in der Erinnerungskultur? Und da hat es jetzt absolut keinen Geheimtipp, aber ich, für mich hat das sehr viel gemacht. Ähm, die Bücher von Max Tscharlik, äh, „Desintegriert euch!“-

01:28:51,715 

Raúl Krauthausen: Mhm.

01:28:51,735 

Susanne Siegert: -„und Versöhnungstheater“, die ja auch sehr bekannt sind. Aber für mich war das auch echt so ’n Anspruch für mein eigenes Buch, weil er da ja drin sehr viel schreibt, wie eben Jüdinnen und Juden heute so ihre Rolle in diesen Theatern, nenn ich’s jetzt mal, ausgestalten und dann zu überlegen: „Okay, ja was, wie könnte man denn die Rolle ausgestalten von Nachfahren, von Täterinnen? Wie könnten wir das irgendwie auch annehmen und anders gestalten?“ Und das, ähm, war für mich echt, äh, weil’s auch irgendwie einfach zu lesen ist und auch das ist was, was mich bei vielen anderen Büchern echt, echt oft, uh, an Verzweiflung gebracht hat, ne, zu denken: „Wer soll das denn verstehen, außer man hat das irgendwie jetzt zwölf Jahre studiert“, so. Und das, ähm, war dann irgendwie eine schöne Abwechslung und auch echt ’ne krasse Inspiration, neu über The-Themen zu denken und auch, ähm, eben darüber zu schreiben jetzt in letzter Konsequenz.

01:29:35,775 

Raúl Krauthausen: Wenn die Aufzugtür hier jetzt aufgeht, wo geht’s für dich weiter?

01:29:39,375 

Susanne Siegert: Ähm, ich werde jetzt gleich einkaufen gehen. Ich bin nämlich, wie gesagt, heute ist Freitag, Sonntag ist Bundestagswahl und wir werden abends zu Hause ein bisschen zumindest gemeinsam sein, die Wahlergebnisse angucken und ich hab, äh, werd dafür Kuchen backen und deshalb werde ich gleich noch für einkaufen. Ähm, und, äh, ansonsten steht jetzt

hier heute nur noch ein bisschen mehr schreiben, schreiben, schreiben an. Das ist bestimmt

gerade sehr, äh, mein Tag, aber schönes Wetter draußen, deswegen gehe ich gerne noch eine

Runde raus und dann, ja, mal schauen.

01:30:05,475 

Raúl Krauthausen: Vielen Dank für das tolle Gespräch. Wünsche ich dir ganz viel Erfolg.

01:30:08,715 

Susanne Siegert: Danke schön. Hat mich gefreut.

01:30:09,915 

Raúl Krauthausen: Ich hoffe, wir bleiben in Kontakt, ähm, das hat, ähm, mich super, äh, bereichert. Spaß gemacht, hätte ich beinahe gesagt. Hat’s auch- -aber bereichert vor allem. Schön, dass du da warst, liebe Susi.

01:30:23,915 

Susanne Siegert: Ja, danke. Danke für das schöne Gespräch. Bis bald.

01:30:26,175 

Raúl Krauthausen: Bis bald. Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewertet diese Folge bei Apple Podcast, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, sowie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Show Notes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. „Im Aufzug“ ist eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal, hier „Im Aufzug“.

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wirklich schneller. Anders sieht es da allerdings in den USA aus. Hier scheinen die meisten

Knöpfe zum Türenschließen wirklich Fakes zu sein. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren? Dann steig bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, um mit uns ganz nach oben zu fahren. 

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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann

Coverart: Amadeus Fronk

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