Im Aufzug mit Christiana Bukalo

Wie lebt man staatenlos?

Staatenlosigkeit ist ein Thema, das ich – ganz ehrlich – noch nicht allzu lange auf dem Schirm habe. Und ich denke, damit bin ich nicht allein. Dabei leben in Deutschland rund 123.000 Menschen, die davon betroffen sind. Eine davon ist Christiana Bukalo, die sich mit dem von ihr gegründeten Verein Statefree e.V. genau für Menschen einsetzt, die das erleben.

Sie erzählt mir, wie ein Leben ohne Staatsangehörigkeit aussieht und wie es den Alltag beeinflusst: von der Eröffnung eines Bankkontos, über den Zugang zu Bildung und wählen gehen bis hin zum Reisen. Wir sprechen über ihre Kindheit in einer kleinen Stadt bei München, wie belastend der Kampf um die Aufenthaltserlaubnis war und noch immer ist und warum sie sich nicht „einfach“ einbürgern lassen kann – obwohl sie hier geboren ist.

Vor allem sprechen wir auch darüber, wie wenig unser System für Staatenlose tut – oder tun will. Was der Klimawandel mit der Zunahme von Staatenlosigkeit zu tun hat und warum Christiana später gerne mal einen Blumenladen hätte, hört ihr in dieser Folge.

Viel Spaß bei dieser Fahrt mit Christiana Bukalo

Christianas Empfehlung:

Institute on Statelessness and Inclusion

European Network on Statelessness

00:00:00.000

Raúl Krauthausen: Eine spannende Aufzugsfahrt wartet auf dich. In der Popkultur spielen Aufzüge eine große Rolle. Der kurze Flirt, eine unangenehme Begegnung oder doch der Elevatorpitch. Aber was machen wir in Aufzügen wirklich am liebsten? Das haben wir uns bei Schindler auch gefragt und dazu eine Studie gemacht. Denn wir arbeiten schon seit 150 Jahren daran, wie wir Aufzüge und die Fahrten darin für dich immer noch angenehmer machen können. Das spannende Ergebnis der Umfrage hörst du am Ende dieser Folge. Viel Spaß bei dieser Fahrt wünscht dir Schindler.

Bevor es heute losgeht, du weißt sicher, was jetzt kommt, wie immer der Hinweis auf Steady, denn mit Steady kannst du diesen Podcast finanziell unterstützen. Mit einem kleinen monatlichen Beitrag hilfst du mir und dem Team, den Podcast Schritt für Schritt unabhängig zu produzieren. Jetzt unter im-aufzug.de informieren und Unterstützer*innen werden. So erhältst du vorab Zugang zu den neuen Folgen und wirst, wenn du das möchtest, namentlich im Podcast genannt. Diese Woche geht der Dank an die Unterstützer*innen Stefan, Markus und Mi. Vielen Dank für eure Wertschätzung. Und schon geht’s los. Bisher haben wir uns nur im Internet ausgetauscht, aber jetzt endlich ganz in echt, über Trauer, Kinderbücher und Postkolonialismus. Wie Kinder mit dem Tod oder Rassismus umgehen, hat uns besonders beschäftigt. Josephine Apraku hat dazu nicht nur Bücher geschrieben, sondern auch eigene Anekdoten aus dem Alltag im Gepäck. Wir haben uns gefragt, wie können wir Kinder ermächtigen, selbst kritisch zu hinterfragen? Und wo müssen wir die Kontrolle auch mal abgeben? Josephine macht Antidiskriminierungstrainings und erzählt mir, dass Abwehr ein normaler Teil des Lernprozesses sein kann und warum Betroffenheit von Rassismus ein Spektrum ist. Außerdem lassen wir die Pandemiezeit noch mal Revue passieren und sprechen darüber, wie sich die soziale Kluft dadurch spürbar weiter geöffnet hat. Los geht diese spannende Aufzugsfahrt mit Josephine Apraku. Die Tür geht auf und wer kommt rein? Ich freue mich sehr. Josephine Apraku, wir kennen uns nur aus dem Internet.

00:02:33.000

Josephine Apraku: Wir kennen uns nur aus dem Internet, aber ich glaube, damit sind wir wahrscheinlich nicht alleine. Viele Leute kennen sich inzwischen nur aus dem Internet.

00:02:39.000

Raúl Krauthausen: Das stimmt, aber wir haben jetzt keine Ahnung, wann hatte ich das erste mal mit dir Kontakt. Vor Corona oder während?

00:02:48.000

Josephine Apraku: Ich glaube, unser Kontakt hat sich entwickelt, ganz kurz bevor alles zugemacht hat.

00:02:55.000

Raúl Krauthausen: Irgendwie so, ne? 00:02:56.000

Josephine Apraku: Ja, ich glaube im Februar 2020 ungefähr.

00:02:58.000

Raúl Krauthausen: Ich erinnere mich zumindest noch daran, dass ich durch die Stadt gerollt bin und mit dir telefoniert habe, weil ich keinen anderen Ort hatte, an dem ich Ruhe bekam. Weder zu Hause, im Lockdown, wir waren zu Hause. Das Büro war schon zu bei uns. Und dann bin ich spazieren gegangen mit dir am Ohr.

00:03:19.000

Josephine Apraku: Aber krass, ne?

00:03:20.000

Raúl Krauthausen: Ja. 00:03:21.000

Josephine Apraku: Also ich finde es total abgefahren, weil ich mich noch so gut an diese Zeit erinnere, einfach weil das so eine krasse Zäsur war für mich. Und auch, ich weiß nicht, wie es dir damals ging, aber ich fand auch total interessant, dass eigentlich auch alle Leute um mich herum die ganze Zeit dachten, ja dann ist halt sechs Wochen jetzt alles zu, ist ja auch mal ganz angenehm, also kommt davon natürlich für wen, ehrlicherweise. Und ja, in sechs Wochen wird sich das erledigt haben. Also ich glaube, dass super viele Leute auch so um mich herum und ich selbst auch, ich will mich da gar nicht rausnehmen, so die ganze Zeit dachte, naja, wie lange kann das schon dauern?

00:03:53.000

Raúl Krauthausen: Und es hat ewig gedauert, oder? 00:03:54.000

Josephine Apraku: Ewig gedauert. Also ich meine, bis Ende 2022 war auch, ich glaube, ich habe irgendwann lustigerweise diesen Schift mitbekommen in der Deutschen Bahn von Maskenpflicht zu keine Maskenpflicht mehr und ich meine, es war Ende 2022.

00:04:11.000

Raúl Krauthausen: Und so viele Leute, die immer gesagt haben, ja und ich trage dann weiterhin noch Maske, macht ja auch Sinn. Und jetzt sieht man diese Menschen auch gar nicht mehr.

00:04:17.000

Josephine Apraku: Kaum, ja.

00:04:19.000

Raúl Krauthausen: Würde ich mich auch gar nicht von frei machen. Ich glaube, ich habe das auch gesagt.

00:04:22.000

Josephine Apraku: Ich weiß gar nicht, ob ich das gesagt habe. Ehrlicherweise glaube ich, war es bei mir in so fern noch mal vielleicht ein bisschen anders als das, also zumindest mit Blick auf öffentliche Verkehrsmittel. Mein ganzes Leben findet halt innerhalb von drei Blöcken ungefähr statt. Oder der größte Teil davon. Das heißt, ich bin maximal eigentlich zu Fuß zwischen diesen Blöcken unterwegs.

00:04:40.000

Raúl Krauthausen: Ich bin, ich wohn mit meiner Frau zusammen. Wir waren dann zwei Jahre lang quasi zu Hause, haben auch kaum irgendwie den Bezirk verlassen und an irgendeinem fragte ich sie, wie genau fährt man noch mal mit dem Bus? Also wo fahren die lang? Ich habe es einfach, ich konnte es wieder zurückholen, aber es war so eine, ich habe so lange meinen Bezirk nicht verlassen und das war auch nicht nötig zum Glück. Das ist ja auch ein Privileg. Aber das war auch eine interessante Erfahrung, dass es geht. Wie so im Dorf.

00:05:10.000

Josephine Apraku: Und was ich noch an mir merke ist, also mal abgesehen davon, dass ich es immer noch seltsam finde, auch auf Leute zu treffen, gerade wenn es mehrere Leute sind in meinem Raum. Ich finde es immer noch super seltsam. Ich denke mir, darf das eigentlich sein? Das, aber was ich zum Beispiel auch total merke, ist, also ehrlicherweise, ich habe 2019 ein Kind bekommen. Das heißt, bei mir ist es noch so eine Überschneidung von diesen Zuhause-Bleib-Ereignissen quasi. Und was ich immer noch habe, ist, wenn ich zum Beispiel abends draußen unterwegs bin, ich denke, hier sind ja so viele Menschen. Das finde ich auch immer noch komisch.

00:05:41.000

Raúl Krauthausen: Und ich habe jetzt neulich gehört, die Inzidenzen sind wieder relativ hoch, aber es interessiert keinen mehr, auch nicht die

Medien. Wenn du sagst, du hast 2019 ein Kind bekommen, dann ist das Kind jetzt fünf, Corona-Zeit, da wächst man auf.

00:05:55.000

Josephine Apraku: Das ist echt krass. Also ich habe das Gefühl, fürs Kind ist es vielleicht gar nicht so ein Einschnitt gewesen.

00:06:00.000

Raúl Krauthausen: Kennt es ja nicht anders. 00:06:02.000

Josephine Apraku: Ja, genau. Also kannte ja noch so dieses Zuhause sein. Und ich fand es aber als Elternteil echt krass, weil wirklich, das ist nicht übertrieben, wir hatten gerade die Kita-Eingewöhnung abgeschlossen. Ich werde für immer dieses Datum in mein Gehirn gebrannt haben. Am 13. März 2020, als alles zumachte, da waren wir fertig mit der Kita- Eingewöhnung.

00:06:23.000

Raúl Krauthausen: Wow. 00:06:24.000

Josephine Apraku: Und dann ein halbes Jahr erst mal keine Kita mehr, dann kurz so ein bisschen und dann wieder ein halbes Jahr keine Kita mehr. Das war echt krass. Also so als berufstätige Person und als Elternteil und so. Und vor allem so kleine Kinder, die beschäftigen sich nicht selbst. Und die Sachen, die sie machen, sind potentiell tödlich. Das heißt, du sitzt dann da und musst irgendwie das hinkriegen. Das fand ich total krass, ehrlich gesagt.

00:06:46.000

Raúl Krauthausen: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. 00:06:47.000

Josephine Apraku: Das fand ich echt krass. Also ja, aber ich meine, es gab ja ganz viele solcher Geschichten. Also zum Beispiel neben uns haben oder wohnen immer noch Leute, deren Kinder in der Zeit auch in die Schule gegangen sind und die hatten zum Beispiel nicht die angemessene Internetausrüstung, die sie gebraucht hätten, um ihre Kinder zu Hause zu beschulen. Also solche Geschichten gibt es ja total viel. Da sind wir ja überhaupt nicht allein.

00:07:08.000

Raúl Krauthausen: Das ist ja auch so ein Thema, das kaum diskutiert wurde. Dann hieß es immer, ja, Digitalisierung und ist doch alles super. Aber

Lehrmittelfreiheit, dass die nichts kosten sollten für die Familien. Nicht jeder kann sich einen Laptop leisten.

00:07:24.000

Josephine Apraku: Voll. Und ich wohne in einem Bezirk. Also ich rede manchmal auch zum Beispiel mit den Leuten, die direkt in der Schule gegenüber arbeiten, mit Schulsozialarbeiter*innen. Und da sind schon auch einige dabei, die meinten, naja, es ist schon auch hier noch mal krass auf eine Art und Weise, weil hier einfach viele Leute wohnen, die in super kleinen Wohnungen sind, aber die Familien vergleichsweise groß sind. Das heißt, selbst wenn du die angemessene Ausstattung hast, hast du überhaupt nicht genug Raum, um dich zurückzuziehen. Also was ja auch nur so mittelgut funktionieren würde, ist, dass du dann irgendwie, keine Ahnung, vier Kinder in einem Raum hast, alle an unterschiedlichen Endgeräten, die dann da irgendwie ihren Kram hinkriegen sollen. Das ist einfach eine total krasse Situation gewesen. Also und ich finde es spannend, weil ich weiß nicht, wie es dir geht, aber es gibt für mich so zwei Sachen, die ich so total mitnehme, nämlich einmal was ich total krass finde, ist, wenn ich jetzt sage, wir können Sachen auch online machen, Workshop zum Beispiel, der inhaltlich genau gleich aussieht, wie wenn ich in Präsenz da bin, sind alle Leute so total dagegen. Das finde ich total interessant, weil das für viele ja auch immer noch zugänglich sein kann, auch auf eine Art und Weise, wie es es sonst gegebenenfalls nicht ist. Und was ich aber zum Beispiel auch total krass finde, ist, dass ich den Eindruck habe, dass ich wirklich spürbar wahrnehme, wie so diese gesellschaftliche Kluft, also mit Blick auf, wer hat eigentlich Geld und so weiter, dass die wirklich spürbar aufgegangen ist.

00:08:47.000

Raúl Krauthausen: Absolut. 00:08:48.000

Josephine Apraku: Dass das echt noch mal krasser ist und das merke ich in meiner Gegend also richtig doll.

00:08:52.000

Raúl Krauthausen: Gleichzeitig ist mir aufgefallen, wie viel Unsinn wir in Präsenz gemacht haben, was doch super einfach online gegangen wäre.

00:09:00.000

Josephine Apraku: 100%ig. Ja.

00:09:02.000

Raúl Krauthausen: Aber das geht auch nicht in meinen Kopf. Ich bin manchmal super erleichtert, wenn ich nicht irgendwo hin muss.

00:09:08.000

Josephine Apraku: Voll, ich auch.

00:09:09.000

Raúl Krauthausen: Gleichzeitig jetzt diesen Dialog, den wir jetzt hier haben in Präsenz, hat eine ganz andere Ebene, eine ganz andere tiefe Körpersprache, kann man viel besser wahrnehmen, Stimmung, als wenn man in so einer Zoom Karre.

00:09:18.000

Josephine Apraku: Stimmt, aber ich finde, bei uns ist noch was anderes. Erstens, wir sind beide in Berlin und wir haben ja jetzt schon einiges an so online Gespräch hinter uns.

00:09:26.000

Raúl Krauthausen: Ja, das stimmt. 00:09:28.000

Josephine Apraku: Das für mich ist echt noch mal ein anderes Ding, aber ich weiß total, was du sagst.

00:09:31.000

Raúl Krauthausen: Ja. Gibt es noch irgendwas, was du aus der Corona-Zeit mitnimmst, wo du sagst, könnte man beibehalten oder bloß nie wieder?

00:09:39.000

Josephine Apraku: Ja, ich glaube, diese Sachen online zu machen, dass Leute gegebenenfalls auch in Teilen sozusagen andere Flexibilität haben können. Wobei, was ich auch spannend finde, ist, dass ich den Eindruck habe, dass dadurch, dass ja vergleichsweise wenig anderes ging, Leute vor allem gearbeitet haben. Und ich habe den Eindruck, das ist auch was, was wir mitgenommen haben, ein ziemlich hohes Arbeitspensum. Also ich weiß noch, dass ich viel so in der Situation war, dass ich so im 30-Minuten-Takt Gespräche getaktet habe mit Leuten. Und du planst aber dazwischen keine Pausen mehr ein, weil du nirgends hinfährst, sondern du sitzt am gleichen Endgerät. Das heißt, alles ist immer genau sozusagen auf die Minute. So, jetzt ist von 9.30 Uhr bis 10 Uhr das eine Gespräch und dann von 10 Uhr bis 10.30 Uhr das nächste. Also, und ich hatte das Gefühl, dass das zumindest in meinem Fall ein ziemlich krasses Arbeitspensum mit sich gezogen hat. Und ich habe schon auch das Gefühl, auch wenn ich meine

Mutter zum Beispiel anschaue, meine Mutter geht jetzt Ende diesen Monats in Rente und ist, glaube ich, über die Maßen glücklich. Und ich habe den Eindruck, auch wenn ich so sehe, wie sich das Arbeitsleben von meiner Mutter verändert hat, dass eigentlich immer nur mehr Aufgaben dazugekommen sind. Also es ist nicht maßgeblich mehr Geld geworden, aber die Aufgaben sind immer krasser geworden.

00:10:49.000

Raúl Krauthausen: Kann man ja noch mal schnell machen. 00:10:50.000

Josephine Apraku: Genau, vielleicht kannst du das noch schnell reinschieben und dann guckst du das noch mal nach. Und jetzt ist es so, das wird irgendwie auch nicht mehr Sachen werden nicht mehr grafisch gesetzt, sondern irgendwie Redakteur*innen müssen das selber direkt in so eine Maske einpflegen und so. Also das ist schon echt krass. Und das ist auch echt was, was ich spüre und wo ich auch den Eindruck habe, dass die Leute um mich herum wirklich auch ausgebrannt sind. Also ich glaube, dass diese Zeit viele Leute auch ganz schön ausgebrannt haben.

00:11:13.000

Raúl Krauthausen: Mir ist irgendwann aufgefallen, bei diesen ganzen Online-Calls, die man so im Sekundentakt aneinander reichen kann, vergisst man die Zeit, dass man ja auch Dinge vor- und nachbereiten muss. Ich habe dann irgendwann angefangen, meinen Tag zu strukturieren in Me-Time, Meet-Time und Make-Time. Also das dann ab 14 Uhr gibt es einfach keine Calls mehr. Man muss irgendwie Dinge ja auch aufarbeiten, die du besprochen hast.

00:11:38.000

Josephine Apraku: Voll.

00:11:39.000

Raúl Krauthausen: Sonst steht man nur noch in Calls. Und mehr als drei Calls schaffe ich nicht. Dann bin ich auch brain dead.

00:11:43.000

Josephine Apraku: Dann kann ich richtig gut nachvollziehen.

00:11:45.000

Raúl Krauthausen: Dann kriege ich auch nicht mehr auseinandergehalten. Das aber auch für sich selber zu realisieren, wo ich denke, ich habe noch nicht mal ein Kind, ich bin irgendwie gesund. Das musst ich auch erstmal verstehen.

00:11:58.000

Josephine Apraku: Voll. Und ich finde es total spannend. Ich kann mir vorstellen, also dadurch, dass wir ja schon auch Ähnliches so ganz grundsätzlich in unserer Arbeit machen, was ich so anstrengend finde an Calls, also eigentlich grundsätzlich, ich bin total eine Quatschperson. Ich unterhalte mich super gerne mit Leuten. Ich höre Leuten auch super gerne zu. Aber ich finde, im Rahmen der Arbeit ist es nochmal was anderes, weil du ja in gewisser Weise auf eine emotionale Art den Raum halten musst. Einerseits im Hinblick auf so Gefühle rund um Abwehr, was so Diskriminierungsthemen angeht, aber auch so Gefühle von, keine Ahnung, zum Beispiel Leute wollen irgendwie einen Workshop mit dir machen oder einen Vortrag. Und die übertragen ihre Sorge, die Sachen, die sie nicht auf dem Schirm haben, ja sehr oft auf dich. Und haben dann die Sorge, dass du es nicht hinkriegst. Aber dabei ist es ja mein Job, das hinzukriegen und auch eine gewisse Entspanntheit darin zu haben. Und ganz oft habe ich in der, in so Gesprächssituationen diesen Moment von, dass ich genau das sozusagen Leuten dann vermitteln muss. Dieses kriegen wir hin, das ist total normal, das ist Standard, das ist auch Standard, Abwehr ist normal in dem Zusammenhang, ich plane alles ein. Also, dass es von mir auch immer sozusagen so eine Art von, schon auch eine Art von emotionaler Sorge sozusagen ist, die ich dann der Person, mit der ich gegebenenfalls spreche, sozusagen zukommen lassen muss. Und das ist was, was ich tatsächlich anstrengen finde. Deswegen merke ich auch, ich kann nicht mich unendlich unterhalten.

00:13:15.000

Raúl Krauthausen: Genau, irgendwann ist man einfach auch, genießt man die Ruhe. Was ich unter anderem mit dir unbedingt heute besprechen wollte, waren Kinderbücher. Du hast nämlich unter anderem jetzt ganz aktuell ein Kinderbuch über Trauer geschrieben, „Mach’s gut, Uroma“. Das ist ja auch so ein Tabuthema, mit Kindern über Sterben, über Tod überhaupt zu reden. Kommt dieses Tabu aus der eigenen Angst der Erwachsenen oder weil man Kinder beschützen will?

00:13:44.000

Josephine Apraku: Ich finde es total spannend, ich habe das Gefühl, es ist eigentlich meistens beides. Also, wenn ich jetzt über zum Beispiel Rassismus spreche und dass es wichtig ist, mit Kindern Rassismus zu thematisieren, ist es in der Regel auch beides. Es ist so ein Ding von, die Erwachsenen haben einerseits Angst, vermeintlich sozusagen ihre Kinder zu beschädigen und da geht es natürlich oder zu verletzen oder auch

Sachen zu teilen, die traumatisch sein können und im Zusammenhang mit Diskriminierung ist das sicherlich erstmal nicht unberechtigt. Allerdings bezieht sich das in der Regel ja auf Kinder, die im Kontext von Rassismus privilegiert sind, also auf weiße Kinder. Das bezieht sich nicht auf Kinder, die von Rassismus betroffen sind, die erfahren es sowieso und da gibt es fast, machen natürlich nicht alle Bezugspersonen, aber es gibt fast wie so eine Art Notwendigkeit, Zwang, sich damit auseinanderzusetzen. Und ich glaube, gleichzeitig ist es so, dass dieses Beschützen-Wollen der eine Aspekt ist, aber ich glaube schon auch, dass es so eine Sorge ist von Erwachsenen, weil meistens ist es so, die Sorge rührt ja daher, dass sie selber nicht wissen, wie thematisiere ich das eigentlich. Und es ist dann so eine Angst gibt es, falsch zu thematisieren, was ich total spannend finde, weil ich mir, ich meine, ich habe ja ein Kind und ich denke mir ganz oft, es ist überhaupt nicht notwendig, dass ich es in Anführungszeichen richtig mache. Ich glaube, es ist wichtig, dass ich es mache und dadurch, dass mein Kind ja noch ein bisschen mit mir verbandelt sein wird, habe ich auch die Möglichkeit sozusagen Fehler auch zu thematisieren und zu sagen, weißt du was, ich habe das damals so erklärt, aber wenn ich drüber nachdenke, finde ich eigentlich heute gar nicht mehr so gut. Heute würde ich es so erklären. Und das finde ich auch total wichtig, also auch, dass mein Kind sozusagen an mir erkennt, Meinungsbildung bedeutet auch, dass wir nicht festgefahren sein müssen, dass wir nicht eine Perspektive für immer genauso beibehalten müssen, sondern dass wir, wenn wir merken oder wir etwas dazulernen zum Beispiel, dass wir unsere Haltung revidieren können. Und ich glaube beim Thema Tod, aber ich glaube bei vielen Themen ehrlicherweise, die in irgendeiner Weise mit Schmerz verbunden sind, ist das so eine Mischung aus Kinder sollen vermeintlich beschützt werden und Erwachsene und Bezugspersonen wissen meistens einfach selber nicht was tun.

00:15:39.000

Raúl Krauthausen: Und wie hast du dir das Thema erarbeitet? 00:15:41.000

Josephine Apraku: Ehrlicherweise hat es in meinem Fall wirklich einen sehr persönlichen Bezug und zwar als ich schwanger war, ist meine deutsche Oma gestorben und das ist eigentlich, finde ich wirklich eine schöne Geschichte, weil meine Oma, also ich muss kurz ein bisschen ausruhen. Meine Oma hat meinen Opa ziemlich früh kennengelernt, die waren verheiratet, mein Opa ist, mein deutscher Opa ist relativ früh gestorben, ich glaube der war 60, meine Oma wird dann Mitte, Ende 50 gewesen sein, also eigentlich irgendwie noch viel Zeit sozusagen nach

hinten und meine Oma war dann nie wieder mit jemandem zusammen, weil meine Oma sich dachte, ich möchte eine gute Zeit haben und das kann ich alleine sehr gut und es ist tatsächlich so, also ich kenne wirklich wenig Leute, die so einen vollen Terminkalender hatten wie meine Oma, meine Oma ist die ganze Zeit durch die Gegend gereist, war irgendwie bei Ausstellungen, hat nochmal Psychologie studiert in ihren 70ern. Dann irgendwann ging es ihr gesundheitlich einfach nicht mehr gut und sie hatte eine Krebserkrankung, hat sich davon nur so mittelgut erholt tatsächlich und dann war sie irgendwann so, ich hatte auch ein gutes Leben, also es ist jetzt auch, jetzt kann es langsam mal vorbei sein und dann ist sie im Sommer 2018 gestorben und es gab eine Todesanzeige, meine Oma hat in Düsseldorf gelebt und das ist total süß, weil die letzten, also meine Oma war ganz am Ende im Hospiz und ich war da, meine Schwester war da, meine Mutter war da, die Kinder, also auch noch die anderen Kinder von meiner Oma waren da und ihre letzten Worte waren, ich hatte ein schönes Leben, tschüss, macht’s gut und das ist total süß, weil nämlich mein Onkel das auf die Todesanzeige gedruckt hat und dann ist im Sommer 2018 die Todesanzeige von meiner Oma viral gegangen, weil alle das so nett fanden und dann gab es das so in der bunten und was weiß ich, wo das überall abgedruckt wurde, was ich total schön fand, weil das sehr gut zu meiner Oma gepasst hat, meine Oma hätte das cool gefunden, glaube ich und dann 2022 ist ein Onkel von mir gestorben, der auch aus Ghana kommt, der aber in Berlin gelebt hat, seine Familie in Berlin hatte bzw. die Familie ist immer noch hier und da ist es natürlich auch noch mal so die Frage, okay, wie wird eigentlich damit umgegangen, wenn eine Person stirbt, die vielleicht sozusagen in Teilen hier eine Art von Bestattung haben möchte oder zumindest eine Form von Zeremonie, vielleicht auch in Ghana einen Teil und dann Anfang letzten Jahres ist meine Oma aus Ghana gestorben, die in London gelebt hat und kurz danach bin ich angesprochen worden von dem Verlag, bliblablupp ist das, und die meinten, ja, hast du eine Idee und ich hatte vorher noch keine Idee, habe dann mit ihr gesprochen und dachte, eigentlich ist es voll die coole Idee, darüber zu schreiben, wie das eigentlich ist, wenn so ein Familienmitglied stirbt, weil ich hatte wirklich gerade sozusagen diese Situation gehabt und war mit

meinem Kind in London, mein Schwester war dabei, meine Mutter war dabei und das war also gar nicht nur ein trauriger Anlass, sondern es war auch eine Art von Familienzusammenführung, auch eine Art von Familienfeier, wir haben viele Gespräche gehabt über meine Oma, die irgendwie auch teilweise einfach so sehr rigoros war und so klar irgendwie und dann dachte ich, das ist eine schöne Geschichte für Kinder,

weil mein Kind war ja dabei und mein Kind hatte super viele Fragen, wir haben auch im Nachhinein immer noch viel gesprochen und viele von sozusagen diesen Erlebnissen werden tatsächlich in dem Buch auch verarbeitet, weil ich so dachte, da kommen ja mehrere Themen zusammen, nämlich wie wir mit Tod umgehen, hat natürlich auch was damit zu tun, wie wir lernen mit Tod umzugehen und das kann an unterschiedlichen Orten der Welt sehr unterschiedlich aussehen, aber wie wir mit Tod umgehen, hat auch damit zu tun, wo stirbt eine Person, wo möchte eine Person bestattet werden und was bedeutet das dann gegebenenfalls und für mich ging es darum, so eine Verbindung zu schaffen von, ja wir trauern gemeinsam, aber wir kommen auch zusammen und es ist total schön, uns mal wiederzusehen, wir erinnern uns gemeinsam und mir war auch wichtig, noch mal so Familienkonstellationen zu zeigen, die einfach nicht so oft da sind, also und in dem Fall ist es eben eine Patchwork-Familie, wo meine Schwester vorkommt, ich komm davor, zwei Väter kommen davor, meine Mutter kommt davor, die sich übrigens auch direkt in der Illustration erkannt hat, total süß, also das heißt, da werden sozusagen so mehrere Themen vermischt und dadurch hat es in gewisser Weise was Nahbares und irgendwie auch was Alltägliches, glaube ich und ich denke für viele Leute ist aber eine sehr andere Lebensrealität, für die gibt’s dann sicherlich auch noch mal Einblicke in, ah okay, also eine Ashanti- Beerdigung könnte zum Beispiel so aussehen und Ashanti-Beerdigungen sind eine richtig krasse Sache, da sind Leute schon arm bei geworden.

00:20:02.000

Raúl Krauthausen: Einfach so, weil so aufwendig, so teuer? 00:20:04.000

Josephine Apraku: Super aufwendig, super aufwendig, super aufwendig und da geht’s wirklich darum zu trauern und das Leben zu feiern und du könntest theoretisch sogar Leute bezahlen, die dann für dich mit trauern, die dann so richtig tief sich in ihre Emotionen sozusagen reingeben. Es gibt eine Tradition, dass zum Beispiel Särge extra angefertigt werden für die Leute, die dann etwa einen Bezug zum Leben haben, zum Beispiel eine Person, die in der Fischerei tätig war, könnte dann als Fisch gestalteten Sarg haben, Särge werden, können auch getragen werden von mehreren Leuten und dann gibt es eine Art Choreografie, die die auch tanzen und so, also es ist schon eine sehr aufwendige Sache.

00:20:43.000

Raúl Krauthausen: Wow. 00:20:44.000

Josephine Apraku: Ja.

00:20:44.000

Raúl Krauthausen: In dem Buch geht’s ja auch darum, dass dann irgendwie zumindest symbolisch die Welt zusammenkommt zu diesem einen Tag und dann auch verschiedene Kulturen beleuchtet werden, wie getrauert wird, dass quasi der Anlass der ist, der Zusammenführung, wie du sagst und das hat ja aber eine neue Dimension. Also man redet ja mit dem Kind dann quasi nicht über den Tod, sondern auch verschiedene Arten von Trauer, von Völkern, Ländern, Kulturen und Patchwork ist auch nochmal ein spannendes Thema. Als ich das Kinderbuch geschrieben habe, wir hatten 96 Seiten, wir hatten viele Ideen, so ein Buch braucht Kapitel und dann weißt du am Ende, ok, du hast eigentlich nur 20 Seiten pro Kapitel. Du musst doch wahrscheinlich super viel rausstreichen von Ideen, die du auch unterbringen wolltest. Wie hast du das hinbekommen?

00:21:34.000

Josephine Apraku: Ich finde das total spannend. Das habe ich meistens tatsächlich nicht. Ich neige nicht dazu, also übermäßig viel Text zu produzieren, sondern ich kriege es in aller Regel immer relativ auf Punkt zu produzieren und habe eher noch, dass ich sozusagen so ein bisschen, dass ich eher noch sozusagen Kleinigkeiten ergänze. Hier noch ein Satz zum Beispiel, der das nochmal genauer erklärt. Also ich neige eher dazu tatsächlich relativ auf Punkt zu produzieren und nicht super viel darüber hinaus und das habe ich erst in letzter Zeit gelernt. Ich glaube ich bin gut darin, einen sehr klaren roten Faden zu haben und nicht sozusagen so viele Nebenschauplätze aufzumachen und das hilft mir tatsächlich. Das heißt auch in dem Fall, ich habe die Geschichte geschrieben und dann habe ich noch Sachen ergänzt, aber ich musste eigentlich nichts rausstreichen und ehrlicherweise, ich wusste ja, dass es so für Kinder ab vier, fünf sein soll. Das heißt, es ist ja ein Buch, das schon irgendwie viele Themen auf unterschiedliche Arten und Weisen auch komplex behandelt. Also ich bin zum Beispiel super froh darüber, dass Anna Meidert die Illustration gemacht hat, die wirklich, wie ich finde, total schön geworden sind und das nimmt mir ja in gewisser Weise auf der Text Ebene sehr viel Arbeit ab, weil ich nämlich Sachen, die ich auf der Textebene vielleicht komplizierter veranschaulichen müsste, als Bild auch einfach zeigen kann.

00:22:48.000

Raúl Krauthausen: Stimmt, das gibt eben nochmal eine ganz neue Dimension. Ich hatte mal Ralph Caspers zu Gast und wir sprachen auch

über Trauer und er meinte, dass Kinder trauern anders als Erwachsene. Die trauern natürlich genauso, das ist genauso schlimm, aber man nennt es wohl die sogenannte Pfützentrauer. Also das werden quasi von einem Moment auf den anderen auch ihre Emotionen switchen, wie sie in Pfützen springen. Und dann ist sie total traurig und dann geht sie wieder raus und dann können sie wieder spielen. Das fand ich ein spannendes Wort. Hast du das auch erlebt?

00:23:23.000

Josephine Apraku: Voll, also ich habe das auch immer noch ab und zu, das ist total süß, bevor das Buch rauskam, dass mein Kind immer meinte,
ich bin so traurig, ich habe Uroma nie kennengelernt. Also so für mich gefühlt auch aus dem Nichts und ich finde es eigentlich total schön, weil es dann so ein Moment ist, es ist wie so eine Welle, die kommt und dann ebbt die Welle wieder ab und dann geht es weiter in die nächste Welle und die kann ganz anders aussehen. Damit kann ich viel anfangen.

00:23:49.000

Raúl Krauthausen: Vor einigen Jahren habe ich mal den Schul Psychotherapeut meiner Grundschule getroffen. Ich war früher auch bei dem Patient, Schüler. Ich wurde da irgendwie so reingesteckt, niemand wusste warum, er auch nicht. Man dachte, der hat eine Behinderung, der RauL, da muss man mal reden und ich habe ihn Jahre später wieder getroffen und in der Zeit hat er sich als Experte für Inklusion an Schulen entwickelt, weil das war die erste Grundschule, die inklusiv war und so und die haben Konzepte geschrieben, man spricht vom sogenannten Flemming-Modell, das hat er mitentwickelt und dann habe ich ihn gefragt, was ist denn jetzt gerade der aktuelle Stand eurer Arbeit? Er meinte ja, wir nehmen inzwischen auch Kinder in die Grundschule auf, die im Laufe ihres Grundschulalters sterben werden aufgrund von Krankheit oder so. Das meinterst einmal eine ganz andere Nummer, aber nicht weil die Kinder das überfordert, sondern das Lehrpersonal und die Eltern, vor allem die Eltern von nicht betroffenen Kindern, weil die dann Angst haben, auch wieder irgendwie Kindern über den Tod reden zu müssen oder ihren eigenen Tod vielleicht kommen sehen, der auch dann irgendwann automatisch kommt und dass er als Kinderschulpsychotherapeut plötzlich mit Erwachsenen Psychotherapie gemacht hat.

00:25:08.000

Josephine Apraku: Kann ich mir sehr gut vorstellen.

00:25:09.000

Raúl Krauthausen: Fand ich total interessant und er meinte, ja die Kinder sind tottraurig, wenn jemand nicht mehr wiederkommt, aber wie schön ist es eigentlich, wenn man im Grundschulalter lernt, damit umzugehen, weil wir werden es alle lernen.

00:25:25.000

Josephine Apraku: Voll und das auch so als Teil der Normalität zu verstehen. Also ich glaube, was für mich noch mal super hilfreich war ehrlich gesagt, war, dass ich meine Oma im Hospiz besuchen konnte. Ich habe dann da zwischenzeitlich einfach neben ihr gesessen. Also meine Oma war auch, ich würde gar nicht unbedingt sagen, geschlafen oder so, sondern ich habe wirklich einfach in dem Moment so richtig verstanden, sterben ist ein Prozess. Also das ist nicht unbedingt etwas, das sozusagen von jetzt auf gleich passiert und eine Person atmet von jetzt auf gleich nicht mehr, sondern ich habe wirklich gesehen, das war ein Prozess. Das hat echt ein paar Tage gedauert, bis meine Oma gestorben ist. Es war so ein bisschen, ich habe es damals so ein bisschen verglichen wie mit einer Geburt rückwärts. Also du hast quasi ja, ein Kind ist auch ziemlich lange im Uterus und dann bildet sich so alles aus und so weiter und ich hatte das Gefühl, das ist eigentlich ganz ähnlich. Da wird sozusagen so nach und nach wird das Kraftwerk abgeschaltet so ein bisschen und irgendwas daran fand ich auch super tröstlich und aber auch, weil ich in dem Moment erlebt habe, also mit Blick auf meine Oma, dass meine Oma auch Autonomie hatte in dem Moment. Meine Oma hatte einfach keinen Bock mehr, die hatte auch keine Lust mehr auf irgendwie, wir machen jetzt noch XYZ, um als lebensverlängernde Maßnahmen, sondern meine Oma hat angefangen zu Hause, das hat sich nochmal erzählt, dass ich ihr, ich weiß, naja, ich habe ja meine Oma nicht genannt, deswegen wird ihr Arzt auch nicht bekannt sein, aber der irgendwann meinte, wenn es ihnen wirklich schlecht geht, fangen sie einfach mal an, ihre Schmerztabletten zu sammeln. Das hat meine Oma gemacht. Also einfach, wenn meine Oma selbst entscheiden wollte, wenn ich merke, ich kann nicht mehr, dann möchte ich auch nicht müssen und dann möchte ich nicht, weil es irgendwelche Vorstellungen darüber gibt, wie ein Leben zu Ende gehen muss oder so oder ab wann ein Leben lebenswert ist oder nicht. Ich möchte das für mich selbst entscheiden können. Das war für mich schon auch eine total gute Erfahrung, ehrlich gesagt. Also das so zu sehen und ich glaube, dass das wichtig ist, auch für Kinder zu sehen, dass der Tod ein Teil des Lebens ist und ich finde das spannend, weil in anderer Aspekt bemerke ich auch immer wieder bei meinem Kind zum Beispiel, aber nicht nur bei meinem Kind, dazu habe ich tatsächlich auch einiges schon

gelesen, so in der psychologischen Auseinandersetzung, dass mein Kind immer mal fragt oder auch sagt, aber nicht, dass du bald stirbst und es ist schon auch so eine Art Sicherheitsfrage von, du bist meine Bezugsperson. Also du kannst jetzt, du musst noch ein bisschen hier bleiben. Also und da ist natürlich auch Emotionalität drin gekoppelt, das will ich überhaupt nicht ausklammern, aber das finde ich total spannend. Also und wirklich einfach eine Beschäftigung damit zu haben. Ich habe, als wir bei der Beerdigung, es war ja keine Beerdigung, aber als wir bei der Zeremonie bei meiner Oma in London waren, lag meine Oma in einem offenen Sarg und da meinte ich, möchtest du auch mal gucken und Tschüss sagen? Und mein Kind, wollte meine Oma auch einfach noch mal sehen. Also und ich finde das schön, dass sie einfach die Option hatte und dass sie dann selbst überlegen konnte, will ich das oder nicht. Und dann habe ich sie so auf dem Rücken getragen, hat sie reingeguckt und meinte, sie sieht aber sehr friedlich aus. Total süß Ja.

00:28:23.000

Raúl Krauthausen: Nochmal zum Thema Kinderbücher. Du hast auch ein Buch geschrieben über Rassismus, mit Kindern über Rassismus sprechen und als ich das las, ich habe es nicht komplett durchgelesen, aber als ich las, dass du dieses Buch geschrieben hast und dann da drin rumblätterte, das gibt auch ein Workbook dazu, musste ich mich an eine Szene erinnern aus der Kinderserie „Raising Dion“ auf Netflix.

00:28:46.000

Josephine Apraku: Ich habe es nie ganz gesehen, aber ich weiß welches es ist.

00:28:49.000

Raúl Krauthausen: Ja, ganz kurzer Plot. Dion ist ein Junge, ich glaube neun Jahre ungefähr, der merkt, dass er Superkräfte hat und seine alleinerziehende Mutter versucht, ihn dabei zu unterstützen bei aller Überforderung als alleinerziehende Frau, diese Kräfte sinnvoll einzusetzen und kennenzulernen und zu erforschen. Wirklich sehr wertschätzend auch Körper, was Körper angeht, sehr wertschätzend und irgendwann hat der Junge Streit mit dem Hausmeister der Schule und der Hausmeister ist wirklich gemein und dann ist er traurig zu Hause und erzählt die Geschichte und fragt, warum ist der Mann so gemein und dann sagt die Mutter irgendwie sinngemäß, weil du schwarz bist, ganz einfach und wir müssen lernen damit umzugehen und es gibt böse Weise und ich fand das so krass in der Kinderserie, das gleiche mit der zweiten oder

dritten Folge so knallhart auszusprechen, dass ich das irgendwie auch super gut fand, weil man nicht so rumeiert.

00:29:48.000

Josephine Apraku: Voll.

00:29:49.000

Raúl Krauthausen: Das heißt, es geht vielleicht auch gar nicht so sehr darum, Kinder immer davor zu beschützen, auch in Bezug auf Tod oder Behinderung nicht, sondern einfach die Wahrheit zu sagen und dann Strategien gemeinsam zu entwickeln.

00:30:01.000

Josephine Apraku: Voll und ich finde, also auch wenn ich so an mein eigenes Großwerden denke und an meine Schulzeit denke, das was ich so anstrengend fand, ist wahrzunehmen, dass du in eine Schule gehst oder umgeben bist von weißen Menschen und es immer diese Erzählung gibt von wir sind alle gleich, wir sind alle gleich viel wert und so weiter und du fühlst bis in jede Faser deines Seins irgendwas daran stimmt nicht. Ich bin nicht so gleich wie die anderen. Das fühlst du ja und manchmal, wenn ich das Erwachsenen erkläre, also auch so ein bisschen wie Rassismus in der Gesellschaft funktioniert, dass eigentlich ein Teil davon auch so eine Art von gesamtgesellschaftlichem Gaslighting ist, nämlich dadurch, dass wir Rassismus immer an den Rand drängen, immer nur über die extremsten Gewalttaten sprechen und so weiter, dass das etwas ist, das ja auch im kleinen, im zwischenmenschlichen Miteinander stattfindet. Eigentlich wird dir immer suggeriert, das bildest du dir nur ein und darin besteht ja auch eine Gefahr. Also auch für die mentale Gesundheit übrigens finde ich das super anstrengend und erschöpfend und deswegen finde ich das gar nicht schlecht darüber klar und direkt zu sprechen. Meine Mutter hat das mit mir zum Beispiel auch gemacht und ehrlicherweise waren die Ressourcen Anfang der 90er Jahre echt noch mal andere als heute.

00:31:14.000

Raúl Krauthausen: Du meinst so zum weiterbilden? 00:31:16.000

Josephine Apraku: Ja, also auch so was Kinderbücher angeht. Also ich weiß noch 2019, mein Kind ist Anfang 2019 geboren und ich war relativ am Anfang dann in einem Buchladen, der neu war und die hatten super viele diverse Kinderbücher und ich habe total viele mitgenommen. Mein Kind war noch weit davon entfernt, dass ich irgendwas vorlese, aber ich

dachte, ich nehme die jetzt mit, wer weiß, wie lange das so bleibt und das war Anfang der 90er überhaupt nicht so. Also meine Mutter hat viel so Übersetzungen aus dem US-Amerikanischen gelesen, die jetzt gar keinen Bezug auch zu Deutschland hatten oder so und da ging es auch absichtsvoll um Rassismus und Südstaaten und Versklavung und so. Mich hat das auch total interessiert, aber das hat mir so einen Rahmen zumindest gegeben zu verstehen, dass Teile davon immer noch relevant sind auch in meinem Leben. Dass die Art und Weise, wie ich betrachtet werde, daran sozusagen sich anknüpfen lässt. Von daher, ich finde das total wichtig und ich finde das total spannend, weil hier geht es ja um Schutz. Also die Mutter, die das in der Serie macht, will ihr Kind ja beschützen und sagen, es gibt Leute, denen kannst du vertrauen, es gibt Leute, denen kannst du nicht vertrauen, es gibt Leute, die werden dir so entgegentreten und es gibt Leute, die werden dir so entgegentreten und das hat was damit zu tun, wie du wahrgenommen wirst.

00:32:27.000

Raúl Krauthausen: Und ich fand das wirklich so empowernd, weil sie war auch die Einzige, die das jemals so sagen kann. Also nicht nur, weil sie Mutter ist, sondern auch, weil sie auch schwarz ist und weil sie es selber erlebt hat. Wenn die Person weiß gewesen wäre, dann hätte ich das nicht akzeptiert als Botschaft. Ich als Weißer auch nicht. Das fände ich wirklich unfassbar stark. Dann gibt es eine andere tolle Szene, da habe ich mich auch natürlich dann voll wiedergefunden. Seine beste Freundin sitzt im Rollstuhl und die hat Glasknochen und er nutzt die Superkräfte, um sie schweben zu lassen. Und sie ist stinksauer, sie will das gar nicht. Und dann geht er auch wieder nach Hause und erzählt es seiner

Mutter und fragt, aber ich wollte dir doch helfen. Dann sagt sie, ja, aber du hast nicht gefragt. Und dann merke ich, sind das so einfache Antworten, die man dann gibt. Man hat einfach richtig gemerkt, da haben sich die Macher*innen mit auseinandergesetzt.

00:33:26.000

Josephine Apraku: Das erinnert mich gerade daran, mein Kind hat so eine Serie geguckt, von der ich zuerst dachte, mhm was ist das? Das heißt Princess Power und das ist halt so eine Kinderserie und es ist total süß. Da gibt es genauso eine Situation auch und zwar sind es so Prinzessinnen, die auch von Rassismus unterschiedlich betroffen sind und die spielen ein Fußballspiel und eine Prinzessin ist blind. Und dann versucht die andere auch, die die ganze Zeit zu unterstützen, aber die möchte das gar nicht, möchte einfach in Ruhe Fußball spielen. Und dann irgendwann haben die, naja, Konflikte, ich finde, das trifft es nicht mal. Irgendwann sagt sie, ey,

du hörst jetzt bitte sofort damit auf, das ist richtig nervig, so kann ich überhaupt nicht spielen. Und dann geht es tatsächlich auch darum, es wird dann so thematisiert, okay, ach so stimmt, ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass du vielleicht auch möchtest, dass ich dich frage, ob es überhaupt irgendwas gibt, was du brauchst und was es konkret wäre. Und dann lösen die das Problem, es ist total süß. Dann spielen die, glaube ich, so mit, ich glaube, die haben dann irgendwie so spielen mit Glocken oder so was, das ist auf jeden Fall echt nett gemacht auch.

00:34:25.000

Raúl Krauthausen: Wie hast du mit deinem Kind über das Thema gesprochen?

00:34:28.000

Josephine Apraku: Tatsächlich ist es immer so ein bisschen unterschiedlich. Also ich versuche natürlich so ein bisschen mit dem Alter zu gehen. Ich versuche darauf zu achten, dass wir Kinderbücher haben und das einfach, egal auch, sei es im Freundinnenkreis oder so, dass es einfach total normal ist, dass wir mit sehr unterschiedlichen Leuten unterwegs
sind. Und da ist Rassismus ein Faktor, aber da ist nicht nur Rassismus ein Faktor, da geht es natürlich auch um Klassismus zum Beispiel. Also wer hat Zugang zu Geld? Genau. Also das sind so, das sind so ganz, da kommen ganz viele Sachen rein, sozusagen, die wichtig sind. Aber zum Beispiel auch, ich habe viele queere Freundinnen, das ist zum Beispiel auch ein Faktor. Also ganz viele unterschiedliche Sachen. Und mir ist einfach total wichtig, dass mein Kind das als Normalität erlebt. Trotzdem merke ich natürlich auch an meinem Kind, dass mein Kind geprägt
wird von dieser Gesellschaft. Also wir haben schon auch Gespräche, wo wir hatten das jetzt gerade, als mein Kind meinte, also ich weiß gar nicht mehr genau, mein Kind wollte irgendwie mit so einem Rollkoffer durch den Flur fahren und da meinte ich, nee, mach das bitte jetzt nicht, weil das, was hier im Flur steht, da stand noch ein Karton, der soll da stehen bleiben. Und mein Kind meinte, du bist aber nicht der Chef. Und meinte ich, wer ist denn der Chef? Papa ist der Chef. Dann meinte ich, warum ist Papa der Chef? Papa ist stark und schlau. Da meinte ich, ich bin auch stark und schlau. Da meinte mein Kind, ja, aber du bist nicht der Chef. Und dann dachte ich, ja gut, okay, damit muss ich jetzt irgendwie umgehen. Und dann wollte mein Kind halt so Kleinigkeiten, zieh mich mit dem Koffer durch die Gegend, mach dies, mach das. Und meinte ich, ich würde es wirklich total gerne machen, aber ich bin nicht der Chef. Ich weiß gar nicht, ob ich die Befugnis habe, das zu machen. Und dann dachte

sich mein Kind irgendwann, das ist ja natürlich echt irgendwie, darauf habe ich auch keinen Bock. Dann meinte sie irgendwann, na gut, wir sind alle unser eigener Chef. Und dann war sie damit so, okay, aber klar, solche Sachen haben wir auch, solche Gespräche haben wir auch. Also mein Kind ist auch schon nach Hause gekommen und hat irgendwelche Sachen gesagt von wegen, schwarz und braun ist hässlich. Also ich habe ganz normale Gespräche, wie alle anderen Eltern auch. Dadurch, dass mir einfach total bewusst ist, unsere Kinder werden in diese Verhältnisse hinein sozialisiert und es gibt keinen Weg daran vorbei. Es gibt keinen, sozusagen, konsequenten Schutz, habe ich, glaube ich, eine gewisse Entspanntheit. Und erwarte nicht, dass das bei uns kein Thema ist, sondern ich weiß, dass es ein Thema sein wird und ich bin da, um zu begleiten. Das mache ich sowieso, also wie gesagt, auch mit der Auswahl zum Beispiel von Büchern und so weiter oder von Geschichten, Hörgeschichten oder was weiß ich. Oder auch, wenn wir manchmal Sachen hören, die ich super problematisch finde, dass ich dann kurz zum Beispiel eine Pause mache und sage, ist dir das auch aufgefallen? Und manchmal erkläre ich dann Hintergründe oder so. Ich versuche es meistens kurz zu halten, weil ich auch so merke, so total viel über etwas referieren ist nicht so spannend und das kann ich auch gut nachvollziehen. Genau, und deswegen versuche ich eigentlich einfach, das immer wieder auch einzubinden und da nicht so eine total große Sache daraus zu machen, sondern es ist ein Thema von vielen Themen und ein normales Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen.

00:37:25.000

Raúl Krauthausen: Ein Freund von mir hat zwei Kinder und die guckten sehr gerne Paw Patrol und der hat dann auch erst versucht, das denen auszureden, aber er hat gemerkt, das geht nicht, gegen die Klasse kommst du nicht an, wenn alle gucken und dann gibt es T-Shirts und Rucksäcke und Spielzeug und so. Und dann hat er einfach, genau wie du sagst, eine Frage gestellt. Ist euch aufgefallen, dass die Tiere immer das machen, was die Menschen sagen? Und dass es immer alles die Challenge ist. Kann man nicht auch einfach nur spielen? Und dann haben die Kinder das selber hinterfragt. Das fand ich irgendwie schön, dass sie so zu ermächtigen, damit auch kritischer umzugehen.

00:38:07.000

Josephine Apraku: Voll und ich denke mir auch, was willst du sonst machen? Also du kannst ja, ich meine stell dir das mal vor als Elternteil oder auch als Bezugsperson in irgendeiner Form, die ganze Zeit zu schauen, dass du quasi auswählen musst, wozu dein Kind Zugang hat in

der Schule und so weiter, kannst du total vergessen. Also ich glaube, da klappst du ab ziemlich schnell, ehrlich gesagt. Von daher und ich denke mir auch, also diese Sachen zu hinterfragen ist ja grundsätzlich ein wichtiges Werkzeug. Also es ist ja was, was sie im besten Fall wirklich auch lange begleitet. Von daher üben wir das.

00:38:38.000

Raúl Krauthausen: Ich habe über dich gelesen, dass die Leute über dich sagen, dass du immer ganz viele Ideen hast. Also Bücherideen, Workshopideen, Konzeptideen. Wie gehst du mit diesem Karussell um? Ich nehme an in deinem Kopf ist Kirmes. So in meinem Kopf ist oft Kirmes. Zumindest wie packt man es auf die richtige Reihenfolge, die Perlenkette? Was mache ich zuerst, was als nächstes? Am liebsten wenn man ja alles gleichzeitig macht.

00:39:06.000

Josephine Apraku: Ja, das ist eine gute Frage. Also ich glaube, eine Sache, die mir vielleicht hilft, ist, dass ich ja auch Sachen mit Freundinnen mache. Das heißt, es kann gar nicht immer alles nur davon abhängen, wie ich es machen würde. Zum Beispiel möchte ich so eine Gesprächsreihe mit einem Freund machen und der meinte, ich kann ab Oktober. Und dann dachte ich, das ist ja gar nicht schlecht. Dann können wir uns so ein bisschen schon vorbereiten. Wir können schon mal überlegen, wie wir es machen wollen. Aber das nimmt so ein bisschen die Dringlichkeit raus, die ich manchmal innerlich verspüre. Das ist ganz gut. Und dann kommt ja dazu, ich arbeite sowieso frei beruflich. Das heißt, ich habe eigentlich immer die Situation, dass ich mit mehreren Leuten, Organisationen parallel arbeite. Jongliere eigentlich immer. Ich finde es oft nicht angenehm, ehrlich gesagt, weil das so ein bisschen… Mangelwirtschaft. Na ja, gar nicht unbedingt das, sondern eher so ein Ding von, da sind schon viele coole Sachen dabei. Nur wenn es Sachen sind, wo ich auch viel organisieren muss, wo ich zum Beispiel auch andere Leute koordinieren muss oder so. Zum Beispiel, ich bin auch gerade dabei, ein Kinderbuch fertig zu machen, wo andere Leute geschrieben haben. Und dann musst du anderen Erwachsenen hinterher laufen, dass die ihren Kram machen und so. Dann überschneidet sich das natürlich oft und dann gehen Zeitpläne oft nicht auf und so weiter. Aber ich merke auch, ich habe da eine innerliche Entspanntheit. Irgendwie wird es schon. Irgendwie wird es schon. Und ich muss auch sagen, ich mag auch einfach viele Ideen zu haben. Und ich finde, dass ich relativ viel auch umsetze. Natürlich nicht alles, aber schon irgendwie relativ viel. Und was ich so merke an mir ist, ich glaube, dass meine größte Angst vor dem Alter tatsächlich die ist, dass

ich einfach weiß nach hinten raus, meine Zeit knapp. Und das ist, ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll. Da denke ich mir, ich will noch dies machen und jenes machen. Das würde ich eigentlich auch richtig gerne, richtig gut können. Aber dafür brauchst du ganz viel Übung. Das ist sozusagen mein größtes Ding. Und die Sachen, die Ideen, die ich so habe, sind oft Sachen, die ich auch umsetzen kann. Und dann versuche ich, sie umzusetzen.

00:40:58.000

Raúl Krauthausen: Und hast du dann so einen Ideenparkplatz? 00:41:00.000

Josephine Apraku: Gar nichts, alles in einem Kopf.

00:41:01.000

Raúl Krauthausen: Ach krass. Ich fange an, irgendwann mir so Dokumente zusammenzulegen, wo ich aber Ideen rein dampel. Weil ich merke, dass ich dann auch entspannter bin. Das ist auf jeden Fall nicht weg. Und ich muss nicht an alles gleichzeitig denken.

00:41:16.000

Josephine Apraku: Das ist voll spannend, weil ich habe das Gefühl, dass je nachdem, was es ist, versuche ich eigentlich relativ schnell es umzusetzen oder es zumindest anzugehen. Deswegen habe ich das Gefühl, dass ich das sozusagen sowieso, also ich muss nicht unbedingt parken, aber ich bin meistens schon in Teilen schon dabei und gucke, ob das realistisch ist, ob das was ist, was ich tatsächlich machen kann. Und das hilft mir.

00:41:37.000

Raúl Krauthausen: Und wenn du sagst, du arbeitest mit vielen Freund*innen zusammen, sind es dann überwiegend Leute aus den Communities, also Bipoc oder queere Menschen oder Menschen, die auch gerade über Trauer geschrieben haben?

00:41:49.000

Josephine Apraku: Ganz unterschiedlich. Also manchmal sind es wirklich einfach nur Leute, mit denen ich sowieso irgendwie eine Form von Freund*innenschaft habe. Und dann ergibt sich das, weil wir irgendwie so merken, ja, merkst du das auch? Ich habe so dieses irgendwie dieses eine Thema und ich finde, es würde voll Sinn machen, darüber zu sprechen oder so. Manchmal ist es wirklich nur das. Und manchmal sind es auch so ganz kleine Sachen. Zum Beispiel habe ich jetzt ein paar Mal über Instagram so Fragerunden zum Thema Schreiben und Sachen veröffentlichen gehabt.

00:42:13.000

Raúl Krauthausen: VG Wort und so.

00:42:14.000

Josephine Apraku: VG Wort, ja, ja. Ey, wirklich, ich finde das ist so wichtig, weil ich finde das echt spannend. Ich habe jetzt so mit ein paar Leuten gesprochen, die auch schon Sachen veröffentlicht haben und ich so, bist du bei VG Wort? Was ist VG Wort? Ich so, du musst sofort dich bei VG Wort anmelden. Hast du Kondition? Nein. Aber was machst du denn, wenn die Leute absagen? Dann verdiene ich kein Geld. Gut, dann müssen wir gucken, was du Kondition hast. Ich finde das nämlich voll wichtig. Darüber müssen wir echt mehr reden.

00:42:41.000

Raúl Krauthausen: Ich hatte mein Gespräch mit Esra Karakaya von Karakaya Talks und die hat ja dieses Bipoc Media Fest. Ich fand das wirklich total interessant, weil ich das gerade bei People of Color beobachte, dass in dieser Welt mit all ihrer Scheißigkeit man sich auch selber ermächtigen und empowern kann, indem man sich untereinander unterstützt, beauftragt, bezahlt. Und bei Esra habe ich das gesehen, seit Black Lives Matter ist mir das aufgefallen. Und bei Menschen mit Behinderung gibt es das kaum, dass wir uns untereinander beauftragen. Aber gibt es genauso Fotografinnen, Webdesigner*innen, was auch immer? Und ich würde mir wünschen, dass man sowas mal macht. Wie würdest du da vorgehen?

00:43:30.000

Josephine Apraku: Ich gucke meistens, was habe ich für ein Projekt und was wird da gebraucht. Zum Beispiel ein Kinderbuch ist, glaube ich, ein gutes Beispiel. Zum Beispiel, was ich immer mal mache, ist, dass ich einfach auf Insta den Schwarm frage, welche Illustrator*innen kennt ihr? Welche vielleicht auch mehrfach marginalisierten Illustrator*innen kennt ihr? Und dann sammle ich das und dann habe ich eine Liste. Und das lege ich tatsächlich relativ ordentlich ab, weil ich manchmal auch in die Situation komme, dass Leute sagen, ja, wir wissen jetzt gar nicht, wir würden irgendwie gerne eine Person beauftragen, die nicht weiß und heterosexuell und ableisiert und so weiter ist. Hast du eine Idee? Und dann kann ich halt direkt einfach die Liste weiterschicken oder direkt auch Leute empfehlen, mit denen ich schon zusammengearbeitet habe.

00:44:11.000

Raúl Krauthausen: Aber dann bist du ja das Nadelöhr. Müste man das nicht alles transparent machen online?

00:44:16.000

Josephine Apraku: Ja, na klar. Also darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber so eine Datenbank zu pflegen, ist, glaube ich, echt noch mal eine andere Nummer. Und ich versuche, das wirklich einfach sehr konsequent in Zusammenhängen zu machen, in denen ich arbeite, weil mir schon auch wichtig ist, also zum Beispiel mit Verlagen habe ich jetzt ja schon mit ein paar unterschiedlichen zusammengearbeitet. Und ich habe ungefähr, glaube ich, eine Idee davon, was ist realistisch, zum Beispiel geldmäßig zu bekommen. Was ist ein vergleichsweise guter Vertrag und so weiter? Das dürfen Leute dann natürlich trotzdem immer noch anders sehen als ich, aber so im Vergleich mit zum Beispiel anderen Verlagen. Und dann kann ich in der Regel einfach auch schauen, dass die Ausgangskonditionen schon gar nicht so schlecht sind. Weil ich denke mir manchmal, zum Beispiel mit Blick auf mein Kind, wenn es jetzt so um den Körper geht, ist mir total wichtig, dass mein Kind lernt, das ist dein Körper und du bestimmst über deinen Körper und du hast Autonomie über deinen Körper. Weil mein best case scenario ist, dass wenn mein Kind in eine Situation kommt, wo Menschen grenzüberschreitend sind, dass mein Kind direkt merkt, du hast eine Grenze überschritten, darauf habe ich keine Lust. Und so ähnlich sehe ich es eigentlich auch im Zusammenhang mit meiner Arbeit, nämlich dass Leute eigentlich schon sozusagen so anfangen, dass sie vergleichsweise gute Verträge haben und sie sich dann überlegen, ey, der Vertrag, da verdiene ich ja viel weniger und muss viel mehr machen, habe ich da eigentlich Lust drauf? Also einfach um schon sozusagen eine Art Einstieg zu finden, wo es vergleichsweise gut ist, wo die Konditionenvergleichsweise gut sind.

00:45:50.000

Raúl Krauthausen: Gleich geht’s weiter. Wenn du diesen Podcast unterstützen möchtest, dann kannst du das mit einem kleinen monatlichen Beitrag tun. Im Gegenzug kannst du alle Folgen vorab hören und du wirst, sofern du das möchtest, hier im Podcast namentlich genannt. Alle Infos findest du unter www.im-aufzug.de. Ende der Service- Durchsage. Viel Spaß beim zweiten Teil der Folge.

00:46:18.000

Raúl Krauthausen: Als wir unser Kinderbuch gemacht haben, da war uns von Anfang an wichtig, dass die Illustrationen auch von jemanden mit

Behinderung gemacht werden, weil es einfach zu viele Klischees gibt, wenn nichtbehinderte Rollstühle malen und so. Und der Verlag hat sich erst so ein bisschen, ja, sagen wir mal, sie wollten da ins Gespräch gehen und für uns war das aber nicht verhandelbar. Und beobachtest du das auch, wenn du Kinderbücher zum Thema Rassismus machst oder Allgemeinbücher zum Thema Rassismus, die illustriert werden müssen, dass Schwarze Illustratorinnen einfach anders auch an das Thema rangehen.

00:46:55.000

Josephine Apraku: Voll, na klar, voll. Also bei dem Kinderbuch „Tschüss, Uroma“, zum Beispiel, sehe ich das auch total. Also es wird schwarz sein, wird sehr divers dargestellt. Also die fahren ja nach Ghana und der eine Opa kommt auch aus Ghana und ich finde es total cool. Der ist so 70er- Jahre inspiriert angezogen. Also sie sind natürlich ein bisschen älter gemacht worden, damit Kinder direkt erkennen, das ist dein Opa sozusagen. Und der ist so ein bisschen 70er inspiriert. Und das ist, glaube ich, auch für Leute cool, die sich so mit Ghana und Menschen in den 70er- Jahren in Ghana und so was befassen, weil die modisch einfach mega weit vorne waren. Du hast unterschiedliche Hautschatterungen, du hast unterschiedliche Körperformen. Also all diese Sachen sind total relevant, finde ich. Von daher kann ich das total gut nachvollziehen und ich muss sagen, ich habe meistens nicht die Situation, dass so doll ich in Diskussionen gehen muss. Habe ich zumindest das Gefühl.

00:47:49.000

Raúl Krauthausen: Ich kann mir vorstellen, dass der Diskurs da auch weiter ist.

00:47:52.000

Josephine Apraku: Ich glaube in Teilen ja und andererseits ist es bei mir inzwischen so, dass manche, also nicht alle Bücher, aber manche von den Büchern, die ich veröffentlicht habe, ich ja auch schon länger mit den Leuten zusammen arbeite. Das heißt, es ist nochmal ein anderes Verhältnis, glaube ich. Also das Workbook zum Beispiel habe ich mit familiarfaces gemacht und da war es ja wirklich eigentlich so, dass die meinten, wir würden gerne noch was machen, was irgendwie auch anknüpft an das erste Buch. Hast du eine Idee, und ich hatte zwei Ideen und die sind auch beide umgesetzt worden. Ich hatte auch sehr konkrete Ideen. Ich war so, okay, wir brauchen eine Art Workbook, was eigentlich so ein bisschen funktioniert wie ein Workshop, aber den du so zu Hause begleitend machen kannst, wo du immer mal eine Pause machst und dann

wieder reinkommst. Weil ich schon merke, dass viele Leute da auch so eine Lücke empfinden, zwischen, okay, jetzt bin ich in den Workshop gegangen oder ich habe ein theoretisches Buch gelesen, aber ich kann es nicht so richtig auf mich beziehen oder nur stellenweise. Und die waren irgendwie entspannt. Also die haben…

00:48:47.000

Raúl Krauthausen: Ist ja auch ein neuerer Verlag, ne? Wenn man es vergleicht

00:48:50.000

Josephine Apraku: Das stimmt, aber selbst bei denen… Also ich arbeite ja jetzt zum Beispiel gerade an einem Buch mit dem Carlsen Verlag, im Sommer kommt auch eins raus. Ich muss schon sagen, also dass mir sehr viel Vertrauen entgegengebracht wird, aber ich arbeite eben mit dem Carlsen Verlag auch schon relativ lange zusammen und ich glaube, dass so diese zwischenmenschliche Ebene schon auch eine wichtige Ebene ist. Also und ich weiß auch, und das finde ich auch wichtig, ich weiß, was ich beitragen kann realistisch und ich weiß auch, wo andere Leute deutlich mehr Expertise haben. Zum Beispiel bei der Gestaltung, bei dem Workbook, also als ein konkretes Beispiel. Ich wusste, was ich für eine Gestaltung möchte, nämlich ich wollte eine Gestaltung, wo viele Linien sind, damit Leute besser an Ränder schreiben können, zum Beispiel ihre Gedanken. Mir war wichtig, dass es viel Raum gibt für Notizen. Mir war wichtig, dass es so ein bisschen was hat, so eine Mischung aus das, was an Achtsamkeitsplanern cool ist und aber auch so ein bisschen was so an schönen Papeteriematerialien da ist und aber auch so das, was so an Heften, wo du Sachen abkreust und so was. So eine Kombination daraus und in möglichst schön. Und das ist sozusagen das, wo meine Vision anfängt und aufhört und dann gibt es eine Person, die grafische Gestaltung macht und die deutlich mehr Ahnung davon hat, wie das umgesetzt werden kann und da habe ich in der Regel dann auch Vertrauen. Also ich glaube, dass ich gut darin bin zu sehen, wo fängt meine Kompetenz an, wo kann ich wirklich was beitragen, wo reicht es auch, dass ich einfach sozusagen nur eine Meinung noch gebe, gefällt mir die Farbe oder finde ich so besser oder so, finde ich das irgendwie nachvollziehbar. Genau und ich habe den

Eindruck, dass so diese zwischenmenschliche Ebene schon auch eine wichtige Ebene ist dann.

00:50:30.000

Raúl Krauthausen: Und sind die Illustratorinnen dann auch schwarz?

00:50:33.000

Josephine Apraku: Bei dem Buch, was jetzt im Juli rauskommt, das wird ein Kindervorlese Buch rauskommen, das heißt „Ein ganz normaler Tag“ und da haben viele unterschiedliche Autor*innen geschrieben. Alle Autor*innen haben auch eine eigene Person, die illustriert hat jeweils und das sind alles von Rassismus betroffene Menschen bzw. von Rassismus oder Antisemitismus betroffene Menschen.

00:50:50.000

Raúl Krauthausen: Du hast ja auch Afrikawissenschaften studiert und eines deiner Themen ist Postkolonialismus. Großes Thema in Deutschland diskutieren wir da im Humboldt-Forum, vor allem hier in Berlin, Berliner Kontext, da viel darüber. Gibt es irgendwas, was du in deinem Studium selber so neu und unerwartet fandest in diesem Erkenntnis des Postkolonialismus, das du teilen kannst?

00:51:17.000

Josephine Apraku: Ich würde nicht unbedingt sagen total unerwartet, ich glaube vielleicht eher so. Ich habe mich in dem Studium aufgehoben gefühlt, weil postkoloniale Theorie ja vor allem auch dazu beiträgt, Normalitäten zu hinterfragen und zu hinterfragen, warum ist das eigentlich normal, wie ist das eigentlich gewachsen. Fragen von wie entstehen zum Beispiel auch Texte, wie entsteht ein Kanon zum Beispiel, also Sachen, die wir keineAhnung gängigerweise in der Schule lesen beispielsweise, wie entsteht das eigentlich alles, wie entstehen eigentlich gesellschaftliche Erzählungen. Und ich fand das total schön, weil ich glaube, dass ich Teile sozusagen davon schon mitgebracht habe und darin die Art und Weise die Welt so zu betrachten und alles auseinanderzunehmen, um zusammenzubauen, unterschiedlich zusammenzubauen, ich glaube darin habe ich mich sehr aufgehoben gefühlt und sehr zu Hause gefühlt. Und das war für mich tatsächlich eine total schöne Erfahrung, weil ich das als Gegensatz zu meiner Schulbildung wahrgenommen habe. In der Schule habe ich das überhaupt nicht so wahrgenommen. Ich habe mich für immer daran erinnern, dass wir im zweiten Halbjahr der 13. Klasse im Deutschleistungskurs, ich hatte Deutschleistungskurs und Englischleistungskurs, argumentieren lernen sollten. Ich dachte mir, Digga, das ist die 13. Klasse, hier ist jetzt auch, hier passiert jetzt nicht mehr viel, wir haben noch irgendwie acht Wochen, die wir jetzt hier irgendwie absitzen, der Drops ist gelutscht eigentlich. Das fand ich total krass und ich finde, also für mich fasst das einfach noch mal so schulische Bildung sehr stark zusammen. Das heißt natürlich nicht,

dass alle Lehrkräfte das genau gleich machen und so, aber wer sich so ein bisschen mit dem Schirme auch mit Schule auseinandersetzt, gerade auch wissenschaftlich, wird verstehen, dass Schule nicht dafür da ist, um besonders kritische Geister in die Welt hinaus zu entlassen.

00:52:59.000

Raúl Krauthausen: Nee, eher sie zu formen. 00:53:00.000

Josephine Apraku: Anzupassen an die gesellschaftlichen Verhältnisse.

00:53:03.000

Raúl Krauthausen: Ich habe in meinem Studium der Gesellschaft und Wirtschaftskommunikation irgendwann so in der Mitte die Entscheidung getroffen. Ich forschte mal so ein bisschen im Bereich Behinderung und Vielfalt in den Medien und meine Diplomarbeit handelte dann auch von dem Thema „Die Darstellung behinderter Menschen im Fernsehen“ und in meiner mündlichen Prüfung habe ich die Fernsehserie Glee analysiert und habe sie auf Rassismus und Ableismus und Sexismus untersucht und was ich nicht wusste war, dass meine Dozentinnen die Prüfung abnahmen, das war ihre Lieblingsserie und das sagte sie mir dann in dem Gespräch, also ja da hast du ja aber was vorgenommen jetzt in irgendeine Lieblingsserie und so und dann habe ich ihr anhand von Bildausschnitten, wir durften ihnen keine Videos zeigen, bewiesen, dass die Serie sexistisch, rassistisch und ableistisch ist und die fand es danach auch nicht mehr ihre Lieblingsserie, fand ich interessant, dass es auch so schnell geht, aber ich habe für mich gemerkt, ich habe mir auch super viele Sachen mardig gemacht, also früher mochte ich, keine Ahnung, den Film Avatar oder so und dann ist es aber auch so voller Klischees und Rassismen, Sexismen, Abelismen, dass ich auch Disney-Filme inzwischen sehr schwer gucken kann, zumindest die älteren, dass man sich ja auch selber irgendwie so eine Art Hobby genommen hat.

00:54:29.000

Josephine Apraku: Ich finde es voll spannend, ich glaube für mich fühlt sich das nicht so an.

00:54:31.000

Raúl Krauthausen: Nee?

00:54:32.000

Josephine Apraku: Nee.

00:54:33.000

Raúl Krauthausen: Kannst du das gucken ohne dich zu ärgern? 00:54:34.000

Josephine Apraku: Ehrlicherweise, ich gucke es fast nie. Das macht es einfach.

00:54:39.000

Raúl Krauthausen: Also ich kann es nicht mehr gucken? 00:54:41.000

Josephine Apraku: Ja, ich glaube meine Auswahl ist einfach anders und ich glaube meine Auswahl ist anders und mir geht es auch nicht unbedingt darum, dass Sachen so total frei von problematischen Darstellungen sind, zum Beispiel ich mochte super gern die Serie Mad Men, ich weiß nicht ob du kennst diese 60er Jahre Werbeagentur-Typen, die die ganze Zeit irgendwie eigentlich Alkohol trinken und sexistisch sind wirklich in einer Tour und ich fand die Serie aber trotzdem total gut, weil ich sie im Hinblick auf so Männlichkeit total spannend fand, also weil ich schon fand, dass Männlichkeit thematisiert wird. Ich glaube es natürlich auch eine Frage der Perspektive, wie gucke ich mir etwas an, aber ganz zum Schluss, also du hast diese Hauptfigur Donald Draper, der ja eigentlich die Identität einer anderen Person gestohlen hat, um dem Krieg zu entkommen und ganz zum Schluss in der letzten Folge, glaube ich der letzten Staffel, ist der irgendwie in so einer Therapieeinrichtung in Kalifornien und fängt total an zu weinen und es so sagt eigentlich glaube ich sinngemäß sowas, was ich schon echt lange her geguckt habe, aber sagt so sinngemäß sowas wie, ich habe mich nie geliebt gefühlt, weil kein Mensch mich sieht, weil ich mich nie zeigen kann. Sowohl sozusagen mit Blick auf meine gestohlenen Identität, als auch als Typ, wie ich hier so als so mega grandioser Typ die ganze Zeit durch die Gegend laufe. Von daher muss ich sagen, also ich kann schon auch Sachen mir angucken, die jetzt nicht sozusagen in Anführungszeichen einwandfrei sind, das ist auch nicht mein Anspruch, weil eigentlich lässt sich alles kritisieren, aber die Frage ist natürlich will ich das immer und die Frage ist auch wofür will ich das, also ich finde es auch interessant mir Sachen anzugucken, um nochmal auch so einen geschärften Blick dafür zu bekommen, wie ist etwas eigentlich strukturiert, wie funktioniert es eigentlich, wie operiert das sozusagen, selbst in Momenten, wo ganz viele Sachen total gut dargestellt sind. Also ich finde das auch spannend ehrlich gesagt.

00:56:32.000

Raúl Krauthausen: Ich finde es ja bei dir immer wieder so schön, wenn wir uns unterhalten, dass du immer auch die andere Perspektive mit einbeziehst, also dass es nicht so ist, es ist richtig und es ist falsch, aber es ist ja auch unglaublich anstrengend, immer die verständnisvolle Person zu sein, die dann irgendwie auch die ganze emotionale Arbeit leistet oder Kübra Gümüşay alles mal formuliert, dass sie keine Lust mehr hat, die intellektuelle Putzkraft zu sein. Wie oft erpackt dich dieses Gefühl einfach so, fickt euch alle?

00:57:13.000

Josephine Apraku: Ich glaube, ich habe das eigentlich gar nicht so sehr, ich glaube ich habe das eher gesamtgesellschaftlich, als so per se in direkten Momenten, weil ich glaube, also ich habe ja gerade schon so ein bisschen auch angedeutet, so dieses Konditionen haben. Ich glaube für mich ist es meistens okay, weil ich sehr gut darin bin, mich abzugrenzen. Ich habe einfach klare Grenzen für die Art und Weise, wie ich arbeite und das schicke ich quasi, also nur so als Beispiel, wenn ich ein Angebot rausschicke, dann schicke ich das quasi direkt mit und dann ist auch klar, so und so bin ich bereit zu arbeiten und das und das mache ich auch alles nicht. Und das nimmt mir natürlich total viel Arbeit ab, ich muss nicht immer allen Menschen, ich muss nicht alle Erwartungen erfüllen, dadurch kann ich die Arbeit machen, von der ich meine, dass ich da auch hilfreich sein kann. Ich glaube, das ist eine Sache.

00:58:00.000

Raúl Krauthausen: Das heißt, Konditionen sind nicht nur Geld, sondern auch alle müssen das gelesen haben oder?

00:58:05.000

Josephine Apraku: Zum Beispiel oder also ich habe einfach schon super abgefahrene Situationen gehabt in so Arbeitskontexten, keine Ahnung, zum Beispiel, dass Leute in den Workshop gekommen sind und dann das journalistisch verarbeitet haben, was natürlich total ätzend ist für alle anderen Leute, die im Workshop sind und da teilweise auch wirklich problematische Sachen dabei waren, dass dann einfach klar ist, wir kommen hier zusammen und hier wird nicht irgendwie irgendwas journalistisch verarbeitet, sondern das ist ein Raum für Selbstreflektion und das kannst du machen, aber es zwingt dich auch kein Mensch dazu, das zu machen, also überleg dir das vorher. Das ist ein Lernangebot. Also genau, ich glaube, da geht es also tatsächlich nicht nur um Geld, da geht es zum Beispiel auch um ganz pragmatische Sachen. Wenn ich irgendwo übernachte, dann möchte ich nicht irgendwie ganz kompliziert mich durch

irgendeine Stadt finden, in der ich noch nie war, sondern im besten Fall kann ich über die Straße gehen und dann ist da der Veranstaltungsort oder so. Es sind wirklich so teilweise super pragmatische Sachen. Von daher habe ich das Gefühl, ich habe das gar nicht die ganze Zeit und in meinem Freundinnenkreis sowieso nicht, sondern das ist wirklich einfach nochmal ein ganz anderer Raum und ich finde es spannend, weil gerade als du über die Serien gesprochen hast, eine Erfahrung, die auch viele Leute mit mir teilen, ist so dieses Ding von „Ich habe angefangen, mich mit verschiedenen Formen von Diskriminierung stärker zu beschäftigen und merke auf einmal, die Leute, die mich umgeben, haben echt problematische Ansichten und dass dadurch so eine Einsamkeit aufkommt, weil sie merken, ey, unsere Werte passen überhaupt nicht zusammen, darüber habe ich vorher so nie nachdenken müssen und ich glaube, dass ich inzwischen eigentlich einen Freundinnenkreis habe, wo ich irgendwie, ja, wo ich entspannt sein kann, wo ich nicht die ganze Zeit darüber reden kann und wenn dann irgendwie auf eine Art und Weise, die für mich angenehm ist, die produktiv ist, mit gegenseitiger Unterstützung.

00:59:41.000

Raúl Krauthausen: Und dann muss da auch nicht alles pc sein, ne? Also… 00:59:44.000

Josephine Apraku: Nee, da sind natürlich auch teilweise superproblematische Witze und so dabei, aber das musst du ja auch können. Das kannst du nicht, wenn du davon keine Ahnung hast, ehrlich gesagt.

00:59:55.000

Raúl Krauthausen: Das finde ich ganz interessant, weil ich beobachte das auch. Also mein Freundinnenkreis ist größtenteils nicht behindert und die sind auf jeden Fall keine Menschen, an denen ich mich abarbeiten muss oder die ich aufklären muss. Und trotzdem sagen sie halt mal Dinge, die man halt so sagt, so was wie, keine Ahnung, komm wir gehen irgendwo hin oder eine Party schmeißen, kurz mal vergessen haben, dass Gäste in Rollstuhl sein könnten, aber das dann auch schnell wieder fixen. Und ich glaube, dieses Fixen wollen, das ist halt der Unterschied.

01:00:28.000

Josephine Apraku: Voll, den Teil der emotionalen Arbeit, der gängigerweise an dir hängen bleiben würde, als eigene Verantwortung wahrzunehmen. Voll.

01:00:37.000

Raúl Krauthausen: Genau. Und ich bin dann auch irgendwann dazu übergegangen zu schauen, wann nehme ich jemandem etwas übel. Also inzwischen nur dann, wenn er oder sie offensichtlich nicht bereit ist, daraus zu lernen.

01:00:48.000

Josephine Apraku: Ja, damit kann ich viel anfangen.

01:00:51.000

Raúl Krauthausen: Ich würde auch nicht in der Öffentlichkeit die eigene Bubble kritisieren.

01:00:55.000

Josephine Apraku: Kann ich sehr gut nachvollziehen.

01:00:57.000

Raúl Krauthausen: Weil dann merke ich inzwischen, tun wir allen anderen einfach nur den Gefallen zu signalisieren, ihr wisst ja selber nicht, was ihr wollt. Safer Space kann eben auch das bedeuten, dass wir uns trotzdem solidarisch miteinander erstmal verhalten.

01:02:13.000

Josephine Apraku: Voll. Ich finde das total spannend, weil ich das auch total komplex finde. Also 2020 war ja in meiner Wahrnehmung das Jahr in Deutschland, wo Rassismus ein Thema geworden ist und auch es einen breiten öffentlichen Diskurs dazu gab. Und da gab es schon auch viele Leute mit sehr unterschiedlichen Haltungen zu unterschiedlichen Dingen. Und in gewisser Weise fand ich das auch total gut. Weil dann nämlich nochmal klar wird, ja, also wir beanspruchen für uns alle, eine rassismuskritische Perspektive zu haben. Wir kommen aber nicht immer zu dem gleichen Ergebnis. Und ich fand schon auch, also so anstrengend ich teilweise auch die Diskussionen so fand, ich fand das schon auch befreiend, weil ich auch wichtig finde zu sagen, ich komme zu meiner Haltung, weil, und dann muss ich eben transparent machen, warum habe ich dazu diese und jene Ansicht, warum habe ich dazu eine andere Ansicht und so weiter. Wie komme ich eigentlich zu meiner Haltung? Also deswegen bin ich da glaube ich so ein bisschen zwiehgespalten von ja und nein, wobei ich dazu sagen muss, ich finde soziale Medien sind für Kritik sowieso kein besonders guter Ort.

01:02:16.000

Raúl Krauthausen: Grundsätzlich nicht. 01:02:17.000

Josephine Apraku: Ganz grundsätzlich nicht. Also genau, ich finde da kommt es echt total darauf an, was konkret du kritisieren möchtest und wie genau und spezifisch du das machen kannst. Aber ich finde das tatsächlich einen schwierigen Ort, weil ich den Eindruck habe, dass Algorithmen das einfach super gut finden, wenn es irgendwo Stress und Drama gibt. Und da hast du sozusagen dann noch den Algorithmus, der irgendwie, also ich kann es besser nicht ausdrücken, aber quasi für dich in die Schlacht zieht und das ist, also da sehe ich mich zum Beispiel überhaupt nicht.

01:02:47.000

Raúl Krauthausen: Ich habe einige Interviews mit dir gelesen und gehört und Podcasts und deine Posts natürlich auch. Du postest gar nicht so viel, also im Sinne von jeden Tag drei Posts oder so. Aber trotzdem bist du ja immer wieder im Gespräch bzw. der Algorithmus spült dich immer wieder in meinen Feed und das finde ich ganz angenehm. Und am angenehmsten daran finde ich, dass du Menschen mit Behinderung mitdenkst und zwar regelmäßig. Das machen nicht viele. Das fällt mir immer wieder auf, dass behinderte Menschen oft als erste vergessen oder als letzte genannt werden. Aber regelmäßig erwähnst du dieses Thema. Wo kommt diese Sensibilisierung in deiner Geschichte her?

01:03:33.000

Josephine Apraku: Also ich könnte jetzt sagen, dass ich auch in einer Inklusionsklasse war, aber ich weiß nicht, ob das das so richtig trifft. Ich glaube natürlich ist das in Teilen relevant, weil das einfach Teil meiner Normalität war in der Schule. Aber naja, also ich glaube eigentlich ist das ja auch ein bisschen eine simple Sache. Wenn ich sage, dass ich mich gegen Rassismus einsetze, dann ist mir auch total klar, dass Rassismus zum Beispiel als Form von Diskriminierung dazu führt, dass Menschen teilweise große Probleme mit ihrer Gesundheit haben. Also es gibt inzwischen ja wirklich auch viele Untersuchungen, die einfach deutlich machen, dass Menschen, die Rassismus erfahren durch den Stress, eher Herz-Kreislauf-Erkrankungen bekommen, eher Depressionen und Angstzustände bekommen, eher Krebserkrankungen bekommen und so weiter. Und also das ist schon so eine sehr simple und sehr pragmatische Perspektive ehrlich gesagt. Aber ich sehe schon auch, also wenn ich mir Deutschland aktuell angucke und auch die politische Situation in Deutschland angucke, dann finde ich schon auch wichtig, immer wieder auch in den Blick zu nehmen, dass rechte Ideologien intersektional funktionieren, dass sie sich nicht nur gegen, in Anführungszeichen, eine Gruppe richten, gegen Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sondern sie richten sich gegen Menschen, die eine Behinderung haben. Sie

richten sich gegen Frauen, Frauen, die alleinerziehend sind zum Beispiel. Sie richten sich gegen Menschen, die nicht heterosexuell sind. Die richten sich ganz krass gegen Menschen, die von Klassismus betroffen sind. Also ich finde schon wichtig zu überlegen, wie kann Solidarität aussehen? Was bedeutet das? Was verlangt das von mir auch ab als Person? Was muss ich auf dem Schirm haben, ohne dass Leute mir die ganze Zeit sozusagen sagen müssen, ach, übrigens, vielleicht könntest du darauf achten, dass… Sondern ich versuche halt zu schauen, was kann ich in den Blick nehmen? Was kann ich davon wahrnehmen? Wie kann ich dafür sorgen, dass nicht die ganze Zeit andere… Die emotionale Arbeit, die ich teilweise auch selbst anstrengend finde, wenn ich nicht dafür bezahlt werde, dass ich die sozusagen eigenständig übernehme? Und ich finde das spannend, dass du das gerade sagst, weil ich kann mich noch daran erinnern, daran musste ich die ganze Zeit während des Gesprächs denken, dass du und ich uns ja auch ausgetauscht haben. Sodass wenn alle Stricke reißen und zum Beispiel du hast eine Frage oder so, dass wir uns auch einfach immer Fragen beantworten und das auch nicht mega schlaue Fragen sein müssen oder so. Und das finde ich zum Beispiel auch voll wichtig, wirklich auch zu sagen, ey, es geht gar nicht darum, alles auf dem Schirm zu haben. Und ich meine, ich merke das ja auch, ich lerne immer noch mega viel auch über Rassismus. Also, und das ist ein Thema, mit dem ich mich ja schon auch irgendwie viel beschäftige, aber ich lerne auch die ganze Zeit noch dazu. Und einfach zu sagen, wir haben Spaces, wo wir uns Sachen fragen können. Und das müssen nicht besonders schlaue Fragen sein. Das ist auch voll okay, wenn wir irgendwas noch nicht fertig gedacht haben oder so. Also wirklich das auch als Teil von Solidarität zu begreifen.

01:06:18.000

Raúl Krauthausen: Man merkt das auch wirklich in deiner Arbeit. Du hast jetzt, wir haben viel über Rassismus gesprochen. Das Kinderbuch über Trauer und Tod, das ist ja auch noch mein ganz eigenes Themenfeld. Du hast ein Buch geschrieben, das heißt „Kluft und Liebe“. Da geht es um Beziehung, Partnerschaft und da drin gelebten Klassismus und Rassismus. Du hast dich viel mit Klassismus auch auseinandergesetzt. Ist das so, gibt es alles Eigenschaften, die in dir vereint sind oder einfach deine Neugier, wo du sagst, ja, da war ich jetzt vielleicht nicht so direkt betroffen, aber das Thema ist genauso wichtig und spannend?

01:06:57.000

Josephine Apraku: Ich finde es total spannend, weil Betroffenheit kann ja ein Spektrum sein. Also zum Beispiel bin ich chronisch krank, aber es macht natürlich etwas damit, wie ich wahrgenommen werde. Nämlich ich

werde nicht als chronisch kranke Person wahrgenommen. Ich werde auf jeden Fall nicht als Person mit Behinderung wahrgenommen. Und je nachdem sozusagen, wie das in Deutschland ausgelegt ist, je nachdem, wie gut es mir in einem Jahr geht, habe ich einen Behindertengrad von 40 Prozent, so seltsam das auch ist. Also ne ich bin nicht von allen Sachen direkt betroffen und auch nicht von allen Sachen auf die gleiche Art und Weise. Und ich finde diesen Gedanken von Spektrum auch hilfreich. Ich kann das mal mit Blick auf Rassismus vielleicht auch veranschaulichen. Also unsere Erfahrung mit einer Form von Diskriminierung hat ja immer auch damit zu tun, wie sind wir im Kontext von anderen Diskriminierungsverhältnissen positioniert. Und das versuche ich einfach immer deutlich zu machen. Das heißt, wenn Rassismus quasi ein Riesenspektrum ist, du kannst es dir vorstellen mit ganz vielen kleinen Pünktchen oder Wassertropfen oder so, dann berührt mich nicht jeder Wassertropfen, sondern mich berühren ganz bestimmte Wassertropfen. Aus der Kombination, dass ich als Frau wahrgenommen werde, aus der Kombination, dass ich als heterosexuell wahrgenommen werde, dass ich eine deutsche Staatsbürger*in schafft habe, dass ich eine relativ helle Hautschattierung habe, dass ich einen akademischen Grad habe, all das macht etwas damit, wie ich Rassismus erfahre. Das heißt nicht, dass ich super wenig Rassismus erfahre. Ich glaube, so Quantifizierung ist eh so ein bisschen kompliziert, aber es macht etwas Spezifisches aus der Erfahrung, die ich sozusagen mache. Und für mich ist sozusagen diese Perspektive einfach hilfreich.

01:08:38.000

Raúl Krauthausen: Felix Lobrecht war in diesem Podcast mal zu Gast. Wir haben uns auch viel über Diskriminierungsformen unterhalten und er hat gesagt, dass er glaubt, dass ein Großteil der Diskriminierungen, die wir gesellschaftlich machen und erleben, ihren Ursprung im Klassismus haben. Also als reicher Behinderter Mensch erlebt man anderen oder weniger Diskriminierung als behindertem Mensch, der kein Geld hat oder nicht das Privileg hat, ausgebildet zu sein. Das Gleiche mit Frauen, mit Schwarzen und so weiter. Müssenwir, um wirklich einen nennenswerten Schritt weiterzukommen, uns vielleicht gesamtgesellschaftlich in der Schule und so auch viel mehrmit Klassismus auseinandersetzen, um dann von dort aus wie so einen Blumenstrauß die anderen Ismen zu erforschen?

01:09:33.000

Josephine Apraku: Ich finde es spannend, also ich höre diese Perspektive ab und zu, dass sozusagen Klassismus eine zentrale Grundform von Diskriminierung ist.

01:09:41.000

Raúl Krauthausen: Sexismus wahrscheinlich auch. 01:09:42.000

Josephine Apraku: Aber ich denke mir so ein bisschen, also es ist glaube ich so ein bisschen eine Perspektivsache, das kannst du durchdeklinieren mit allen Formen von Diskriminierung. Also eine schwarze Person mit Behinderung würde eine andere Diskriminierungserfahrung machen als eine weiße Person mit Behinderung. Das kannst du wirklich mit allen Formen von Diskriminierung so machen. Alles steckt sozusagen in allen drin. Von daher würde ich für was anderes plädieren. Ich würde glaube ich eher dafür plädieren, dass wir einfach insgesamt uns mit verschiedenen Formen von Diskriminierung befassen und überlegen, was bedeuten die eigentlich, wie wirken die eigentlich. Also wenn ich jetzt zum Beispiel an Rassismus als Form von Diskriminierung denke, dann gibt es in Deutschland ja Zahlen dazu, dass wenn wir uns zum Beispiel das Gender

Pay Gap angucken, dass es noch mal auch ein zusätzliches Pay Gap gibt zwischen Frauen, die von Rassismus betroffen sind und weißen Frauen, dass es da also sozusagen noch mal eine Kluft gibt. Oder dass Menschen, die von Klassismus betroffen sind in Deutschland, sehr oft und auch überproportional von Rassismus betroffen sind. Also du hast halt Überschneidungen von Diskriminierungsformen und ich finde das ehrlich gesagt auch nicht so seltsam, weil ich meine am Ende des Tages leben wir im Kapitalismus und da geht es natürlich in gewisser Weise darum zu reflektieren, wer ist gutes Humankapital vermeintlich und wer ist es nicht, bzw. welches Humankapital wird wo zum Einsatz gebracht. Von daher glaube ich, also leben wir in einer Gesellschaft, die immer auch mit einer vermeintlichen Arbeitsaufteilung und damit verknüpft auch mit einer Vorstellung von Wertigkeit und am Ende auch Menschlichkeit sozusagen einhergeht. Ich glaube aus der Nummer kommen wir nicht raus, aber das würde ich sagen bezieht sich auf alle Formen von Diskriminierung. Zum Beispiel, dass im Zusammenhang mit Sexismus Sorgearbeit ein total großes Ding ist und Sorgearbeit unbezahlt ist, dass natürlich am Ende des Tages viel auch im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen macht, nämlich dass Sorgearbeit als natürliche Aufgabe sozusagen von Frauen wahrgenommen wird einerseits und dass aber Menschen, die wenig verdienen oder die für bestimmte Arten von Arbeit gar nichts verdienen, damit natürlich in gewisser Weise eine schlechtere Entscheidungsfreiheit haben und weniger Autonomie haben und so weiter, auch zusammenhängt. Also genau deswegen, ich glaube es ist so ein bisschen eine

Perspektivfrage, ich versuche deswegen auch immer so ein bisschen zu erklären, quasi Diskriminierung oder auch Synonymunterdrückung ist ein Oberbegriff und es gibt unterschiedliche Formen und da ist nicht eine schlimmer als eine andere, sondern das sind unterschiedliche Formen, die überschneiden sich, die bedingen sich auch gegenseitig, die leihen sich auch Teile voneinander aus zum Beispiel, das finde ich total wichtig und am Ende durchziehen sie sich natürlich auch alle gegenseitig auch in den Erfahrungen, die wir als Einzelpersonen machen.

01:12:18.000

Raul Krauthausen: Eine Erkenntnis, die mich wirklich krass schockiert hat, die auch relativ obvious ist, der migrantische Anteil an Schüler*innen an Förderschulen ist so viel höher als an Regelschulen ist und wenn man sich dann anschaut, welche Nationalitäten, dann sind es meistens aus Ländern außerhalb Europas. Also kein schwedisches Kind wird als lernbehindert tituliert, aber das afghanische Kind vielleicht eher und dieser Rassismus, der im Bildungssystem schon so tief verankert ist, wird ja überhaupt nicht verarbeitet. Also wir reden dann über Sinn und Unsinn von Inklusionsschulen, aber wir reden nicht über Rassismus im Bildungssystem in Förderschulen.

01:13:06.000

Josephine Apraku: Zum Beispiel, ich finde das spannend, also ich finde die Schule ist da auch ein total interessantes Beispiel natürlich im Hinblick auf Rassismus, also da gibt es viele Untersuchungen, die eben zeigen, bei gleicher Leistung kriegen Kinder, die von Rassismus betroffen sind, schlechtere Übergangsempfehlungen und schlechtere Noten, aber das gilt zum Beispiel auch im Zusammenhang mit Klassismus. Also Kinder, die von Klassismus betroffen sind, auch bei gleicher Leistung, kriegen schlechtere Übergangsempfehlungen zum Beispiel. Also von daher können wir sehen, dass sozusagen diese gesellschaftliche Auslese, dass dieser Prozess ja schon ziemlich früh anfängt und mit Blick auf Ableismus finde ich total interessant, dass da sozusagen noch mal die Art und Weise, wie die Diskriminierung funktioniert, in Teilen noch mal anders funktioniert, weil wir da nämlich nicht sagen, zumindest zu Beginn gehen alle Kinder auf die gleiche Grundschule, was ja natürlich auch nur so mittelfunktioniert mit Einzugsgebieten und so weiter, aber dass da sozusagen oftmals ja schon von Beginn an eine krasse Segregation da ist.

01:13:58.000

Raúl Krauthausen: Nach dem Motto aus den Augen, aus dem Sinn. Und dann nimmt man die Kinder mit Migrationshintergrund auch gerne aus,

also eben in diese Förderschule, damit wir uns im Regelsystem damit nicht befassen müssen.

01:14:13.000

Josephine Apraku: Genau und ich finde den Aspekt hier auch noch mal so wichtig, weil die, die sozusagen am Ende übrig bleiben, also die Leute, die einen vergleichsweise einfacheren Zugang zu in Anführungszeichen höherer Bildung haben, also eine Abitur machen, dann studieren oder sowas, dass das natürlich meistens auch Leute sind, die intersektional privilegierter sind. Dann hast du da vor allem Leute, die sind weiß positioniert, die kommen aus bürgerlichen Haushalten, die haben keine Behinderungen, da sind natürlich Frauen dabei, aber da also und das finde ich so wichtig immer wieder zu schauen, auf welche Art und Weise und an welchen Stellen genau sozusagen funktioniert die Auslöse, wie die Auslese, wie wird jeweils unterdrückt.

01:14:54.000

Raúl Krauthausen: Du schreibst viel über Aufklärung, machst viel Aufklärung auch in deiner Arbeit als Freelancerin oder freischaffende Beraterin. Du hattest auch eine dozierende Tätigkeit an der Hochschule. Gibt es irgendetwas, wo du sagen würdest, das würdest du inzwischen anders machen nach den vielen Jahren Erfahrung?

01:15:17.000

Josephine Apraku: Die Frage ist, was meinst du mit anders machen?

01:15:20.000

Raúl Krauthausen: Also hast du vielleicht selber Fehler reproduziert, die du nicht machen würdest oder würdest du eine Abkürzung nehmen, wo du lange gebraucht hast, um Dinge zu begreifen oder Leute zu erreichen vielleicht auch?

01:15:31.000

Josephine Apraku: Ich glaube vom Prinzip, ich sage das fast ungern, aber vom Prinzip glaube ich, mache ich meine Arbeit immer noch ähnlich, wie ich sie von Beginn an mache. Das hängt aber auch damit zusammen, dass ich schon von Beginn an viel darüber nachgedacht habe, wie kann ich meine Arbeit machen und so wenig Reproduktion wie möglich sozusagen im Raum haben und an welchen Stellen brauchen wir Reproduktion zur Dekonstruktion. Also es heißt natürlich nicht, dass Leute irgendwie mit rassistischen Fremdbezeichnungen um sich schmeißen oder so, aber du kommst ja gar nicht, du musst dich ja sozusagen auf die Art und Weise, wie zum Beispiel Rassismus wirkt, beziehen, um es dekonstruieren zu

können. Das heißt, da habe ich glaube ich schon von Beginn an darauf geachtet und dann kommt natürlich so eine Frage auf von Abwehr, wie gehe ich mit Abwehr um? Darüber habe ich natürlich irgendwie auch von Beginn an nachgedacht. Ich glaube, was es für mich eher ist, ist, dass ich stärker überlege, in welche Räume gehe ich real und in welche nicht. Und real heißt nicht unbedingt tatsächlich um wohin gehen, das kann auch virtuell sein, aber in welche Räume begebe ich mich, welche Arten von Arbeit mache ich. Ich glaube für mich ist es tatsächlich stärker das, als die Art und Weise, wie ich es inhaltlich mache.

01:16:49.000

Raúl Krauthausen: Das ist das, was du mit Konditionen dann meinst. 01:16:52.000

Josephine Apraku: Ja, auch glaube ich.

01:16:53.000

Raúl Krauthausen: Woran erkennst du und was machst du, wenn das du als Token benutzt wirst?

01:17:00.000

Josephine Apraku: Aus der Nummer komme ich ja gar nicht raus. Ganz realistisch aus der Nummer komme ich nicht raus. Ich glaube es ist aber wichtig, das zu wissen und auf dem Schirm zu haben. Im Sinne von, ich war zum Beispiel beteiligt an, in Berlin gibt es ja das sogenannte Afrikanische Viertel und in dem waren drei Straßen nach Kolonialisten benannt und da hat es Ende 2016 einen Beschluss gegeben, dass die unbenannt werden und dann gab es so eine erste Jury, die sich zusammensetzen sollte, die Namen auswählen sollte und das war so ein Verfahren, dass Leute in ganz Berlin Namen vorschlagen durften. Das heißt unser erster Job, erstmal da durchzugehen, wer kommt da eigentlich formal durch. Und da hatten wir super viele Diskussionen, wen nehmen wir jetzt, wen nehmen wir nicht und so weiter. Und da bin ich dann irgendwann ausgestiegen und ich so dachte, das was ich zumindest machen kann ist, dass ich nicht die Entscheidung, die ich problematisch finde, gegebenenfalls in meinem Namen gerechtfertigt wird. Es ist keine machtlose Situation oder keine machtlose Position. Ich glaube das ist wichtig und ich glaube dann ist halt so ein bisschen immer die Frage von, welche Handlungsoptionen habe ich eigentlich, was kann ich eigentlich machen, muss ich da jetzt so total reingehen. Aber letztlich ist es natürlich schon so, die Arbeit die ich mache, wenn ich jetzt zum Beispiel Workshops mache oder so, das ist leicht für eine Organisation zu sagen, ja aber wir haben diesen einen Workshop gemacht, damals mit Josephine Abraku vor

20 Jahren und das halt immer noch nach so nach dem Motto, da komme ich gar nicht komplett raus und darüber habe ich keine Kontrolle.

01:18:26.000

Raúl Krauthausen: Das ist interessant, du bist die erste Person, die das antwortet, wenn ich das frage.

01:18:30.000

Josephine Apraku: Ah echt?

01:18:30.000

Raúl Krauthausen: Ja. Die meisten sagen, ja dann gehe ich gar nicht hin, also eine super harte Meinung.

01:18:35.000

Josephine Apraku: Ah spannend.

01:18:36.000

Raúl Krauthausen: Aber ich denke so, nee, also ich erwische mich selber manchmal auf einer Bühne, dass ich gerade ein Token bin.

01:18:42.000

Josephine Apraku: Also wie gesagt, ich finde auch nicht, dass du da komplett rauskommst. Also vielleicht ist es dann so ein bisschen die Frage von, was ist die Definition jeweils von den Leuten, das kann natürlich sein, aber wenn ich ehrlich bin, also im Rahmen meiner Arbeit, wenn ich jetzt mit einem Museum arbeite oder so oder zum Beispiel wenn ich ein Lektorat mache, ich habe keine Kontrolle darüber, was die Leute weiter damit machen. Letztlich. Das heißt, ich war dann da, im besten Fall habe ich einige Leute erreicht, im besten Fall sind da Leute, die dann sich bestärkt fühlen zum Beispiel und irgendwie stärker auch darauf achten, dass das Thema auf dem Tisch bleibt, aber ich habe darüber keine Kontrolle. Das ist auch überhaupt nicht meine Vorstellung tatsächlich.

01:19:25.000

Raúl Krauthausen: Ich war mal bei einer Agentur, also unter Vertrag, die so Redner*innen vermittelt und das ist halt eine ganz, ganz klassische Redner*innen Agentur, nichts mit Vielfalt und so und der Chef meinte zu mir, Herr Krauthausen, es gibt eine Sache, die man einfach wissen muss in diesem Spiel. Die Leute, die einen einladen, sind nicht die, die sich verändern wollen, sondern die machen das, weil man das halt so macht. Checkliste abhaken irgendwie und die Leute, die sich wirklich verändern wollen, laden sie gar nicht ein, weil die in der Regel das schon wissen. Das, was wir in unseren Vorträgen oft halten, sind ja auch ganz oft

Binsenweisheiten, kann man selber googeln, es gibt zig Millionen YouTube-Videos zu den Themen und weil das so ist, nehmen sie viel Geld dafür, weil davon können sie sich Zeit kaufen und das fand ich eine ziemlich privilegierte Perspektive natürlich, nicht jeder kann
alles, aber gleichzeitig war ich dankbar für diesen Tipp, weil ich jahrelang das umsonst gemacht habe. In meinem Glauben, die Welt wird besser danach und so, aber der meinte das am Beispiel Apple, also Apple lädt sich keine Innovationsexpertinnen ein, weil die Innovationen sind und das macht irgendwie Sinn.

01:20:48.000

Josephine Apraku: Ich muss kurz darüber nachdenken, ich glaube, ich habe schon auch viel mit Leuten zusammengearbeitet, die solche Themen selbst auf dem Schirm haben. Ich glaube, was mein Job ja auch ist, ist gar nicht unbedingt nur Sachen zu thematisieren, also hängt natürlich von der Konstellation ab, aber Sachen zu thematisieren, die Leute nicht auf dem Schirm haben, sondern mein Job ist ja auch einerseits Sachen zugänglich zu gestalten, das finden Leute mal mehr, mal weniger, also ja genau, da muss ich jetzt glaube ich gar nicht so ausschweifend drüber reden und aber auch, dass ich einen Tag strukturiere, das heißt mein Job ist ja auch einen roten Faden zu gestalten, von dem Leute dann verstehen, ah okay, wir waren jetzt hier, jetzt geht es um mich als Person, wie bin ich eingebunden, aber wenn wir auf der Ebene der Organisation sind, es ist total wichtig auch zu gucken, was hat eigentlich die Organisation gerade als Grundlage für die Art und Weise, wie ich hier als Einzelperson agiere, das ist ja eigentlich auch Teil meines Auftrags.

01:21:40.000

Raúl Krauthausen: Na klar, also einzelne Individuen wird man garantiert erreichen und auch emotional mitnehmen und auch weiterbringen, aber die Organisation, es ist ja selten so, dass der CEO mit dir im Raum und Workshop sitzt, es ist ja selten so, dass Aktionärinnen bei dir im Workshop sitzen, die die dann am Ende die wirklichen Entscheidungen treffen.

01:22:01.000

Josephine Apraku: Ich glaube, ich kann das nicht so pauschal tatsächlich sagen, weil ich einfach in ganz unterschiedlichen Kontexten Workshops schon gegeben habe, wo super unterschiedliche Leute dabei waren, also manchmal mit einem Museum zum Beispiel, wo es dann um so Sachen geht, zum Beispiel wie gestalten wir unsere Sammlung, also zu überlegen, okay wir haben jetzt aktuell die und die Ausrichtung, aber wenn wir diverser werden wollen, was können Ausrichtungen sein, was könnten

auch konkrete Strategien sein, da geht es gar nicht unbedingt darum, dass ich sozusagen so krass viel Wissen in den Raum bringe, sondern eher quasi mit kritischer Reflektion arbeite und…

01:22:34.000

Raúl Krauthausen: Also Techniken lehrst?

01:22:36.000

Josephine Apraku: Ja, ich würde nicht mal sagen Techniken lehren, sondern wirklich eher so, wie gestalten wir jetzt den Raum, dass wir hier rauskommen nach vier Stunden zum Beispiel und zumindest schon mal nächste Schritte haben für wir haben uns jetzt das überlegt, das überlegt und das überlegt, das sind die Sachen, die wir wollen, dann nächsten Schritt, was können Strategien sein, um daran zu kommen, also das ist ja auch mein Job, deswegen war ich schon in ganz unterschiedlichen Konstellationen, ich kann das tatsächlich gar nicht so pauschal sagen.

01:23:05.000

Raúl Krauthausen: Okay, das ist interessant, da muss ich jetzt drüber nachdenken, nehme ich gerne mit, können wir dann im Nachgang nochmal edarüber austauschen. Tadzio Müller war hier auch mal zu Gast.

01:23:16.000

Josephine Apraku: Wer ist das?

01:23:17.000

Raúl Krauthausen: Einer der Strategien von Ende Gelände oder Letzte Generation, Ende Gelände glaube ich, und selber auch queer, unfassbar intelligente Person und sprach dann davon, dass wir eigentlich den Menschen dabei helfen müssen zu trauern, dass sie Rassistinnen sind, dass sie Klimaverschmutzerinnen sind, dass sie Sexistinnen sind oder Ableistisch sind und dass, wenn wir das zu hart machen, dann natürlich so eine Art Reaktanz-Effekt kommt, also eine komplette Ablehnung und wenn wir das zu lange spielen, dann verhärten sich die Fronten so sehr, dass dann daraus Arschlöcher entstehen wie AfD und so, die mit Argumenten nicht mehr bereit sind überzeugt zu werden und die bleiben jetzt da. Und das fand ich so interessant, wie ihr das jetzt erklärt habt, wenn ein Bundeskanzler Olaf Scholz sich hinstellt und sagt, ich bin der Klimakanzler, da muss ihm jemand bei der Trauerarbeit helfen, dass er es nicht ist. Und das fand ich eine spannende Perspektive, dass natürlich die ganze emotionale Trauerarbeit wir dann leisten müssen als Betroffene, als von Rassismus Betroffene, als von Ableismus Betroffene, immer die Hand

reichen, immer die Menschen dabei helfen, white fragility ist ja dann das Wort im Rassismus, damit umzugehen, weil wir das als gesellschaftlich gelernt haben, uns vernünftig zu entschuldigen, um Verzeihung zu bitten, auch die Resonanz auszuhalten. Wo tankst du da?

01:24:57.000

Josephine Apraku: Wo tank ich da? Also im Moment ehrlich gesagt, meine Mutter hat einen Garten in Brandenburg, den ich komplett übernommen habe und ich habe die Entscheidung getroffen, dass es der schönste Garten im Ort sein soll irgendwann.

01:25:15.000

Raúl Krauthausen: Challenge accepted. 01:25:16.000

Josephine Apraku: Ganz genau. Und im Moment muss ich vor allem überlegen, wie ich die ganzen Nacktschnecken loswerde, weil es echt extrem ist dieses Jahr. Aber ich habe, das klingt wirklich trauriger als es ist, aber ich habe tatsächlich erst so richtig gerafft Ende letzten Jahres, dass ich Hobbys brauche. Also dass mein Gehirn so funktioniert, dass wenn es etwas gibt, das mich interessiert und ich kann dazu viel lernen, dass ich das auch mache, dann höre ich Podcasts, unterschiedlichen Formen von Diskriminierung und so weiter. Und das ist auch super interessant, das mache ich auch immer noch total gerne, aber ich habe auch gemerkt, ich brauche auch irgendwas, was überhaupt gar nichts damit zu tun hat. Also zum Beispiel in meinem Fall ist das Perlenketten auffädeln oder mir Gedanken machen über Gartengestaltung oder so. Und das ist eigentlich auch echt wichtig, weil so Gestaltung eigentlich ein total wichtiger Teil von mir ist. Ich liebe es Sachen zu gestalten, es macht mich glücklich bis wirklich ins tiefste meines Inneren. Ja und ich glaube, das ist es. Also tatsächlich zu gucken, was sind Sachen, die ich gerne mache, die überhaupt gar nichts damit zu tun haben. Und ich finde das tatsächlich auch deshalb wichtig, weil Teil der Entmenschlichung ist ja auch, dass wir in so einer, Toni Morrison hat das mal gesagt, dass es wie so eine unendliche Beschäftigungstherapie ist, sich mit Rassismus zu befassen. Und ich würde sagen, das gilt für andere Formen von Diskriminierung genauso auch. Und ich glaube, es ist wichtig Momente zu haben, wo du nicht in dieser Schleife drin bist, sondern wo du ein Mensch jenseits, so gut das natürlich geht, oder nicht unbedingt jenseits, aber wo du ein Mensch in Teilen vielleicht abseits zumindest von diesen Diskriminierungsverhältnissen bist und andere Teile von dir leben lässt und explorierst. Für mich ist es zumindest so. Aber wenn ich ehrlich sein

soll, ich muss vielleicht noch kurz das sagen. Ich habe starke Zweifel daran, dass Scholz sehr traurig ist und Trauerarbeit machen muss, weil ich glaube, er selbst weiß wahrscheinlich am besten, dass er nicht der Klimakanzler ist.

01:27:11.000

Raúl Krauthausen: Aber das würde ja bedeuten, er lügt.

01:27:12.000

Josephine Apraku: Ich glaube, dafür bräuchtest du jetzt eine Art Justiziariat, damit ich diese Frage beantworten kann.

01:27:18.000

Raúl Krauthausen: Also ich finde es auch super spannend, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Menschen glauben, was sie sagen und dadurch so weit weg sind von der Realität.

01:27:30.000

Josephine Apraku: Und ich sehe tatsächlich mit der Aussage noch ein Problem und zwar, wenn es so wäre, dass die Leute, die jetzt die AfD wählen, vor allem so drauf sind, weil sie so stark in der Abwehr verharrt haben, weil sie irgendwie auf Leute wie dich oder mich getroffen sind, das wäre ja ein einfaches Ding. Das würde einfach bedeuten, wir müssen einfach nie wieder mit Diskriminierung reden, Problem gelöst. Also verstehst du, was ich meine? Ich habe das spitz ausgedrückt und ich befürchte, so ist es nicht. Ich glaube, deswegen ist mein Fokus, was so Trauerarbeit angeht, auch zu überlegen, wie gestalten wir eigentlich unseren Aktivismus nachhaltig, nämlich indem wir Pausen haben, vielleicht auch gemeinsam trauern oder auch einfach nur menschliche Bedürfnisse miteinander stellen, zum Beispiel Dinge zusammen essen.

01:28:11.000

Raúl Krauthausen: Ich glaube, ein Weg könnte auch die Begegnung sein, solange es eine friedliche Begegnung ist. Also mein Gegenüber kann ja sein, dass er ein Problem mit behinderten Menschen hat, aber wenn er nicht die Wahl hat, sich dem zu entziehen, weil im Bus Menschen mit Behinderung mitfahren oder in der Kita des Kindes auch Kinder mit Behinderung sind, dann wird er oder sie das ja vielleicht lernen.

01:28:33.000

Josephine Apraku: Ja, vielleicht, vielleicht auch nicht. Keine Ahnung. Ich glaube, ich habe da so ein bisschen zu Abwehr einfach eine andere Haltung, weil meine Erfahrung ist, also und Leute, die mit mir schon

Workshops gemacht haben, wissen das, ich bin eigentlich eher ruhig, meine Argumente sind eher auf der sachlichen Ebene. Also ich habe da kein tiefes emotionales Involvement in dem Moment, weil ich mir denke, na ja, ich kann keine Person überreden oder zwingen, sondern das ist der Stand an Wissen, den ich habe und den teile ich jetzt und alle Fragen, die ihr habt, könnt ihr mir gerne stellen. Und Leute kommen auf Abwehr ja schon teilweise da rein, einfach nur überhaupt, wir sind jetzt hier in einer Organisation, warum müssen wir überhaupt mit Rassismus umgehen? Also so kommen ja Leute da auch schon rein. Deswegen versuche ich ehrlich gesagt nicht, mir persönlich den Stress zu machen, dass ich das immer auf mich beziehe, wenn Leute auf Abwehr gehen. Und ehrlicherweise, das hilft natürlich auch, es gibt in der Sozialpsychologie auch eine Auseinandersetzung mit Rassismus und Identitätsentwicklung, racial identity development. Und ich glaube, das passt übrigens auch sehr gut für andere Formen von Diskriminierung. Und wenn wir das so ein bisschen durchgehen, wird auch noch mal total klar, die Auseinandersetzung mit Diskriminierung bedeutet in einer Gesellschaft wie dieser, in der wir dazu sozialisiert sind, uns nicht damit zu befassen, dass wir emotional darauf reagieren. Das heißt, Abwehr und die emotionale Reaktion ist auch erstmal nicht unbedingt ein Problem, sondern kann auch ein ganz normaler Teil vom Lernprozess sein. Und die Frage ist dann, wie können wir eigentlich Emotionen auch lernen zu regulieren?

01:30:00.000

Raúl Krauthausen: Und das lernen wir ja nicht. 01:30:01.000

Josephine Apraku: Genau. Und aber spezifisch auch im Zusammenhang mit Diskriminierung, das als Teil sozusagen der Aufgabe zu betrachten und nicht nur, wir müssen kognitiv diesen Wissensbestand haben und diesen Wissensbestand, sondern eigentlich auch so dieses, wie gehe ich eigentlich damit um, wenn ich merke, dass so dieses Feuer, diese Lava schon so langsam aus mir rauskommt und ich eigentlich total gerne im Affekt reagieren möchte. Also das kannst du ja lernen, damit umzugehen. Ist ja auch nicht so, dass ich die ganze Zeit komplett frei von jeglicher Diskriminierung durch die Gegend laufe oder dass wenn Leute mir eine Rückmeldung geben und sagen, ey, das was du gesagt hast war super fremdenfeindlich und dass ich dann nicht trotzdem auch innerlich vielleicht diesen Film von, aber ich bin eigentlich ein guter Mensch. Wie kannst du mir das unterstellen? Ich versuche immer alle mitzudenken. Wieso siehst du nicht, dass ich versucht habe irgendwie x, y, z mitzudenken? Das ist ja, also es ist ja was, was als Konsequenz unserer

Sozialisierung auch irgendwie normal ist. Aber damit kannst du ja umgehen. Kannst einfach sagen, okay, kenn ich, passiert immer wieder, tief einatmen, tief ausatmen, was auch immer du jetzt sagen wollen würdest. Tu es einfach nicht. Gib dir noch ein paar Minuten und dann kommst du wieder runter und kannst irgendwie anders reagieren. So reagieren, wie du auch reagieren willst.

01:31:10.000

Raúl Krauthausen: Wir haben immer die Wahl, wer wollen wir sein versus wer sind wir in der Gesellschaft?

01:31:15.000

Josephine Apraku: Voll und dafür müssen wir uns unsere Emotionen glaube ich auch angucken und wie wir reagieren.

01:31:20.000

Raúl Krauthausen: Superspannendes Gespräch, wir können das nur ewig fortsetzen. Machen wir vielleicht auch noch mal in einer anderen Folge. Eine Frage, die ich all den Gästen stelle, weil ich das wirklich tatsächlich auch wichtig finde, das Zepter irgendwie weiterzureichen und auch Wissen weiterzugeben, gibt es eine Organisation, die jetzt nicht deine eigene ist, die du empfiehlst, mit der sich unsere Zuhörer*innen auseinandersetzen können?

01:31:45.000

Josephine Apraku: Das ist ja eine Frage. Da gibt es diverse Organisationen. Jetzt fühle ich mich unter dem Druck, welche nenne ich jetzt, aber vielleicht eine, die sehr verbunden ist mit der Arbeit, mit der ich in dieses ganze Thema eingestiegen bin. Ich habe ja angefangen mit Stadtrundgängen vor 17 Jahren zu deutscher Kolonialgeschichte und es gibt eine Organisation, die machen jetzt da, wo ich früher auch Stadtrundgänge gemacht habe, regelmäßig, ich glaube samstags und sonntags eine und zwar nennen die sich einfach, warte mal, heißen die D- Star, dekoloniale Stadtrundgänge? Ich glaube schon und die können auch auf Insta aufgesucht werden und dann können Leute zum Beispiel einfach Stadtrundgänge zur deutschen Kolonialgeschichte machen, die ja sehr viel auch damit zu tun hat, wie Rassismus hier heute funktioniert, also bestimmte Formen von Rassismus heute funktionieren. Aber ich empfehle zum Beispiel auch total gerne Each One Teach One, das ist nämlich auch im sogenannten afrikanischen Viertel, also wenn Leute schon einen Stadtrundgang gemacht haben und spezifisch auch schwarz positionierte Leute, könnten dann nochmal bei Each One Teach One vorbei, da gibt es nämlich…

01:32:51.000

Raúl Krauthausen: Auch EOTO genannt? 01:32:52.000

Josephine Apraku: Auch EOTO genannt, genau. Und die haben eine schwarze Präsenzbibliothek und manchmal gibt es eben auch Veranstaltungen, die sich zum Beispiel auch an weiße Bezugspersonen berichten oder so.

01:33:01.000

Raúl Krauthausen: Super cool, ich war neulich in einer größeren Runde, wo auch jemand von EOTO anwesend war und ich fand es einfach so cool, wie die auch protestiert haben gegen das, was vor Ort gesagt wurde, wo ich als behinderter Mensch ja auch Teil dieses Beirats war, dann doch anscheinend nichts gesagt habe, auch wenn es behinderte Menschen genauso betrifft. Also da wurde hinterfragt, was ist eigentlich der Sinn und Unsinn von diesen Beiratssitzungen, wenn immer nur gesagt wird, was alles nicht gut läuft. Aber wenn man zahnlos ist als Organisation, dann kann man seine Zeit auch anders investieren. Wie oft finden wir uns in solchen Runden wieder?

01:33:42.000

Josephine Apraku: Voll. Und deswegen finde ich auch genau das, worüber wir schon früher auch mal gesprochen sind, diese Vernetzung untereinander voll wichtig. Also zum Beispiel ganz pragmatisch bei so was, wer ist da dabei, den Leuten kurz zu schreiben, ey ganz kurz, wir können uns mal kurz schließen, können theoretisch überlegen, gibt es irgendwie einen Begriff, den wir nennen, wenn wir merken, das ist jetzt mir wirklich hier ein bisschen zu absurd langsam oder so. Also wirklich auch zu gucken, was bräuchten wir in solchen Räumen, das muss ja gar nicht total perfekt laufen oder so, aber das ist so, dass einfach klar ist, wir untereinander kommunizieren und wir ziehen an einem Strang.

01:34:14.000

Raúl Krauthausen: Super wichtig. Liebe Josefine, das war super cool. 01:34:17.000

Josephine Apraku: Finde ich auch, danke, dass du mich eingeladen hast.

01:34:18.000

Raúl Krauthausen: Ja, sehr gerne. Wir verlinken auf jeden Fall die Tipps und deine Werke, gesammelte Werke. Verlinken wir auf jeden Fall in den Show Notes. Und ich freue mich sehr, dass du mein Gast warst.

01:34:32.000

Josephine Apraku: Ich auch, so eine lange Aufzugfahrt.

01:34:34.000

Raúl Krauthausen: Ja, normalerweise frage ich auch immer, gibt es ein Aufzugserlebnis, das du teilen möchtest?

01:34:41.000

Josephine Apraku: Ich sag das wirklich ungern, ich glaube nein. Ich glaube, alle meine Aufzugfahrten… …

01:34:46.000

Raúl Krauthausen: Waren Aufzugsfahrten, normal. 01:34:48.000

Josephine Apraku: Ja, so richtig uninteressant. Ich bin noch nie stecken geblieben, nichts.

01:34:52.000

Raúl Krauthausen: Dann bist du die Erste, die dir das erzählt. 01:34:57.000

Josephine Apraku: Ja, das tut mir nur leid. Ich wünschte, ich hätte eine gute Erzählung dafür gehabt.

01:35:00.000

Raúl Krauthausen: Sehr schön, dass du da warst. 01:35:01.000

Josephine Apraku: Danke dir.

01:35:01.000

Raúl Krauthausen: Wir sehen uns bald wieder. 01:35:02.000

Josephine Apraku: Hoffentlich.

01:35:03.000

Raúl Krauthausen: Gerne. 01:35:07.000

Raúl Krauthausen: Danke fürs Mitfahren. Wenn ihr mögt und euch diese Folge Spaß gemacht hat, bewerte diese Folge bei Apple Podcasts, Spotify oder wo auch immer ihr zuhört. Alle Links zur Folge, so wie die Menschen, die mich bei diesem Podcast unterstützen, findet ihr in den Show Notes. Schaut da gerne mal rein. Wenn ihr meine Arbeit unterstützen

möchtet, würde ich mich freuen, euch bei Steady zu begrüßen. Mit einer Steady-Mitgliedschaft bekommt ihr exklusive Updates von mir und die Gelegenheit, mich zweimal im Jahr persönlich zu treffen. Im Aufzug ist eine Produktion von Schönlein Media. Ich freue mich auf das nächste Mal hier im Aufzug. Diese Folge von Im Aufzug wurde dir präsentiert von Schindler. Bei dieser Fahrt in Rauls Aufzug fahren wir doch alle gerne mit, aber im Alltag ist das nicht die Regel. Besonders berufliche Gespräche sind gar nicht beliebt bei den Befragten unserer Schindler- Umfrage. Da ist schon eher ein Kuss, ein kleiner Flirt oder sogar eine neue Liebe

kennenzulernen gefragt. Mal einen Prominenten zu treffen, finden auch manche spannend. Tatsächlich wollen die meisten Menschen aber einfach nur eines – in Ruhe Aufzug fahren. Willst du noch mehr über Aufzüge erfahren, dann steig bei uns ein. Unter schindler.de/karriere findest du viele Möglichkeiten, um mit uns ganz nach oben zu fahren.

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Dieser Podcast ist eine Produktion von Schønlein Media.
Produktion: Fabian Gieske , Anna Germek
Schnitt und Post-Produktion: Jonatan Hamann

Coverart: Amadeus Fronk

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